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Wunderbare Erzählung von Ernst Wiechert über das Leben, die Liebe und den Tod. Freiherr Amadeus ist krank. In der Annahme, dass ihn bald der Tod ereilt, lässt der Vierzigjährige sein Leben Revue passieren – die guten und die schlechten Erinnerungen geben ihm Kraft, ebenso wie die Erinnerung an die Liebe seines Lebens... -
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Seitenzahl: 56
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Ernst Wiechert
Saga
Die Fahrt um die Liebe
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1930, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726951943
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
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Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com
Merkwürdig,« dachte der Freiherr, als das Mädchen im Vorzimmer des Professors ihm in den Mantel half. »Eine belanglose Angelegenheit, seinen Mantel anzuziehen, bis zur Unwirklichkeit belanglos durch tausend Wiederholungen ... und nun, eben? Wieviele Male noch? So hat es eben gesprochen in mir. Der Keim zu tausend ähnlichen Fragen, sinnlosen, feigen und erbärmlichen Fragen, aber doch Fragen ... Der Pfeil hat getroffen, der lautlose und dunkel befiederte ... mitten zwischen die Schultern ...«
Er fühlte ein leises Erschauern vor seinem Spiegelbild, als er, ohne zu eilen, sein Halstuch band, und lauschte, gleichsam verborgen vor sich selbst, nach der Tür des Sprechzimmers, ob sie sich nicht noch einmal öffnen und die erregte Stimme des Professors ihn aufhalten würde, schnell, überstürzt, wie einen Fallenden, den man in letzter Sekunde ergreift, bevor das Brausen des Abgrunds ihn verschlingt. »Diese Ärzte,« dachte er weiter, »sind nicht klug. Vielleicht klug, aber nicht weise. Sie müßten eine Sterbekammer haben hinter ihrem Sprechzimmer, heiter, froh und ganz still. Und in solchen Fällen wie bei mir müßten sie die Leute nicht mit einem teilnehmenden und vielsagenden, ach so vielsagenden Händedruck entlassen, sondern sie müßten sagen: »Nein, mein Lieber, lassen Sie das, dies auf die Straße Gehen, dies Nocheinmal nach Hause, letzte Verfügungen und so weiter ... diese ein wenig feigen Verdunkelungsmanöver der Kreatur ... kommen Sie hier hinein, ruhen Sie etwas und denken Sie an die wenigen schönen Stunden Ihres Daseins, die von keiner Reue beschwerten, von keiner Bitterkeit durchtränkten ...«
Und da müßte man einschlafen, von ungemerkten Mitteln, und hinübergehen, von ungemerkten Händen ... Das müßten sie so einrichten können, diese Spezialisten besonders ...«
Er nahm den Hut, den das Mädchen ihm reichte, sagte »Danke« mit seiner leisen, ein wenig belegten Stimme und ging mit guter Haltung hinaus.
Die läuferbedeckte Treppe tat ihm wohl, und er stieg sie langsam hinab, an der Lautlosigkeit seines Schreitens sich erfreuend und daß er dem allen nun ein wenig entronnen war, der irgendwie gefährlichen Luft des Sprechzimmers, dem erbarmungslosen Blitzen der Instrumente, dem grellen Licht der Untersuchungslampe und den etwas traurigen Augen des Professors, die so ruhig in das verborgene Antlitz des Todes sahen, das allen verborgen schien und nur ihm sich enthüllte.
Er nahm eine seiner schweren türkischen Zigaretten, zögerte ein wenig, bevor er das Streichholz anrieb und zündete es dann lächelnd an. Der leise, fast nur zu ahnende Schmerz in der Kehle kam wieder mit den ersten Zügen, blieb, nahm Besitz und milderte sich zum Unvermeidlichen, kaum Bewußten, wie das Atmen oder der Schlag des Herzens.
»Larynx ...« sagte der Freiherr leise, »so ist es also ... wie Kaiser Friedrich ... ein dunkles Wort, voller Klage und Gefahr ... Syrinx, das kannte ich, es erinnerte an Syringen und war dunkel und süß wie nur der Flieder sein kann ... Margaretens Haar duftete danach, die ich die Amsel nannte, und es war ihr Duft, aus dem ich das Adagio schrieb im ersten Streichquartett ... ja, aber Larynx, das ist unheimlich, ein dunkles Holzinstrument, seltsam gebogen, mit silbernen Klappen, wie jene Instrumente dort oben in seinem Zimmer ... daraus werden wir kein Adagio schreiben ... höchstens eine Marcia funebre ...«
Er stützte sich ein wenig auf das Geländer und schloß die Augen. Eine Melodie trat aus weiter Ferne in seine Seele, vom Winde noch geweht, ein noch ungeflochtener Kranz, wie die Melodien immer in seine Seele traten. Und er lauschte ihr wie einem Regen Gottes, lautlos und regungslos. Aber der dunkle Bogen ihrer Wölbung ließ ihn erschauern, der Klang jenes dunklen Instrumentes, das eine blasse Hand zu seinem Tode zu spielen begann. »Drei Jahre ... also wird es die Hälfte sein ... nicht viel, mein Freund, wenn man den Kranz herabreißen wollte vom Stern der Ewigkeit ... aber gleichviel, wir wollen nicht vergessen, was wir uns schuldig sind.«
Und seine Stirn war hell, als er in die Sonne der Straße trat, und nur seine Lippen zuckten ein wenig, als die schwere Tür mit leisem Rauschen zuglitt und ein gedämpfter metallischer Klang anzeigte, daß sie zugefallen war, daß etwas beendet war und abgeschlossen und versiegelt für alle Ewigkeit.
Er ging sehr langsam nach Hause. Die Gärten dufteten, vom Ruf der Amseln trunken erfüllt, und die helle Abendstunde stand so friedlich über allen Dächern, als seien Gottes Flügel still zusammengefaltet über dem scheidenden Tage. Der Freiherr trug den Hut in der Hand und sah von der Brücke über den schmalen Strom nach den fernen Hügeln und Wiesen, über denen das Abendrot stand. Und wie oft um diese Stunde des beglänzten Friedens fühlte er seine Seele groß und weit werden gleich feierlichen Sälen in einem stillen Hause, und jene schmerzliche Entrücktheit, in der die Tränen steigen wollten und in der die Melodien kamen, nicht jene vielen und unaufhörlichen, sondern die eine und unerhörte, nach der man ein Leben lang suchte, in der der Fall aller Stunden gesammelt war und die Ernte aller Sommer, das Schweigen aller Wintertage und das Rauschen aller Sommernächte, jenes Ewige, das ein Abglanz des ewigen Lebens war, jenes Echo seiner rufenden Menschenstimme, das so wirklich und unwirklich zu seinem Leben stand wie das Abendrot des Wassers zur Glut des westlichen Himmels.
»Jetzt werden die Hirten die Abendflöte blasen,« dachte er, »dort an den stillen Ufern ... die Syrinx, ja ... es wird schwer sein, trotz aller Tapferkeit, sehr schwer ...«
Unweit seines Hauses blieb er an einer Lebensmittelhandlung stehen und sah mit kalten Augen auf einen großen Wasserbehälter mit gläsernen Wänden, in dem die ersten Krebse der Jahreszeit dunkel und vielgliedrig in einer Ecke sich gespenstisch regten. Er überwand einen fast körperlichen Widerwillen, und es schien ihm, als sei es eine Art von nicht geringem Heldentum, mit dem er auf diese Symbole seines Todes blicke, die dort lautlos und mit bedrückender Sinnlosigkeit ihre Scheren tastend bewegten, als bewegten sie sie in einem gestaltlosen Nichts, und doch könnte eine ungekannte Strömung einmal ein Etwas in dieses Nichts tragen, zwischen ihre Scheren, die wie Maschinen sich öffneten und schlossen und die sich über dem Lebendigen so unwiderruflich schließen würden wie über dem Nichts des leeren Wassers.