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Die GebärdeDeutschland in der Nachkriegszeit: Eine Gebärde seines jungen Gegenübers weckt Erinnerungen des Arztes. Er erzählt die Geschichte eines Klassenkameraden, die des Juden Eli Kaback, dessen Schulalltag von antisemitischen Grausamkeiten geprägt war. Der FremdeAls eines Tages ein fremder Mann in der Gegend auftaucht, ahnt der Hauptmann nicht, dass er schon bald einen alten Weggefährten wiedersehen wird. Es kommt zu einer Begegnung, die voll vergangener Tragik ist und alte Wunden aufreißt...-
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Seitenzahl: 24
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Ernst Wiechert
Saga
Die Gebärde und der Fremde - Zwei Erzählungen
Coverild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1947, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726927573
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
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Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.
«Liebet euch untereinander!»
Es war ein nichtiger anlass, und kein andrer als der alte Doktor war imstande, eine Geschichte daran zu knüpfen. Es war schon nach dem Essen, und wir sassen vor dem Kamin. Der Wind ging durch die Bäume des Gartens, und wenn niemand sprach, hörte man den Wald hinter der Gartenmauer brausen. Der Kamin war der Anlaß des kleinen Festes. Jahrelang hatte die kleine Hausfrau ihn sich gewünscht, und nun sprangen die Funken aus dem Buchenholz, und der Wind, der über den Dächern war, hob die Flamme zu sich empor und ließ sie wieder fallen, wenn es ihm gefiel. Es brannte kein Licht im Zimmer, und wir alle hatten die Hände um die Knie gefaltet, müssige, behütete Hände, und sahen zu, wie der rote Schein über ihre Gliederung spielte.
«Glaubt ihr, dass man Andersen irgendwo anders lesen könnte als hier?» fragte die Hausfrau.
«Oder Stifter . . .», sagte jemand.
Aber niemand antwortete. Jeder blickte lächelnd vor sich hin, mit dem lächelnden Wissen der Zugehörigen, als hätte man von Weihnachten gesprochen, oder von der ersten Liebe, oder von einem Schubertlied.
Nur der Hausherr hatte den Kopf in beide Hände gestützt. «Heute, in der Stadt», sagte er, «sprach mich ein armer Teufel an. Er holte mich ein und blieb einen Augenblick an meiner Seite, dicht, aber doch mit einem gleichsam innerlichen Abstand. ,Ein stellungsloser Musiker, mein Herr. . .’, sagte er. ,Ich habe Hunger . . .’ Ein zerfallenes Gesicht, frisch zerfallen gleichsam, als habe er noch vor acht Tagen nichts als Beethoven gekannt. Augen wie verirrte Tiere am Waldrand, dicht vor den Bezirken der Menschen. Vielleicht war es, dass ich mich meiner guten Kleidung schämte, oder weil Bekannte mir entgegenkamen . . . oder . . . ja, wahrscheinlich war es, weil ich an den Kamin dachte und an heute Abend . . . ,Das geht nicht’, sagte ich; ,auf der Straße . . . das ist ungehörig . . .’ Und dann war er fort, untergetaucht, zurückgefallen in die Menge, wie ein Mensch die Hände von einem Bootsrand losläßt und ins Meer versinkt . . .»