Die Fischerhütte im Irgendwo - Rainer Haak - E-Book

Die Fischerhütte im Irgendwo E-Book

Rainer Haak

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Beschreibung

Tom ist frustriert. Mit seinem Leben. Nichts bereitet ihm mehr Freude. Weil sich irgendwas ändern muss, nimmt er sich ganz zeitgemäß eine Auszeit und landet entgegen seiner Vorstellung – All-Inclusive-Glamping-Trip – in einer alten Fischerhütte, fernab der Zivilisation: Kein fließendes Wasser, kein Strom, nicht mal Handyempfang! Dafür aber ein wunderschöner See vor der Tür und ein Wald in seinem Rücken, der nach Abenteuer ruft. Glücklicherweise ist er auch nicht völlig allein in der Wildnis. Unerwartete Begegnungen mit der vor Lebensfreude sprühenden Katharina erhellen seinen Tag, er trifft den alten Fischer Olaf mit seinem abenteuerlustigen Enkel Finn und lernt die Künstlerin Christina kennen, deren Flötenmusik sehnsuchtsvoll über den See schwingt. Alle diese Begegnungen bereichern ihn und bringen ihn auf neue Gedanken. Und nicht zuletzt ist da noch der Briefkasten, in dem Tom immer wieder geheimnisvolle Post von G: entdeckt. Er findet Fragen, die ihn herausfordern, sich neu auf die Suche nach der Farbe in seinem Leben zu machen ...

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Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Copyright © 2024 adeo Verlag

in der SCM Verlagsgruppe GmbH,

Berliner Ring 62, 35576 Wetzlar

Erschienen im März 2024

ISBN 9783863348786

Umschlaggestaltung: spoon Design ∙ Lynn Johannson

Umschlagfoto: A. Film / Shutterstock

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

www.adeo-verlag.de

Alles in diesem Buch ist wahr.

Auf seine Weise.

Es wird so oder ganz anders

von denen erlebt,

die sich auf die Suche machen

nach sich selbst

und den vielen Farben des Lebens.

1

BEI GIOVANNI IN DER TRATTORIA

(Wie alles begann)

Tom schlug sein altes Notizbuch auf. Mit einem energischen Strich von oben nach unten teilte er die Seite in zwei Hälften. Links oben schrieb er „Positiv“, rechts „Negativ“. Er wollte endlich seine Gedanken und Gefühle ordnen.

Schon seit längerer Zeit dachte er über sein Leben nach. Es fühlte sich klebrig an. Alles war wie immer. Nur graue, langweilige Routine, von der er sich wie gefesselt fühlte. Es gab kaum noch etwas, worauf er sich freute. Längst hatte er aufgehört zu träumen. Er wollte, dass alles anders wird. Und traute sich nicht, etwas zu ändern. Er wusste selbst nicht, was er wollte, und fand, dass ihm immer mehr Aufgaben und Hindernisse das Leben schwer machten.

Die linke Seite dürfte fast leer bleiben, da war er sicher. Was gab es denn schon Positives in seinem Leben? Er dachte an die Zeltausrüstung, die im Keller lagerte. Aber er hatte sie seit drei Jahren nicht mehr benutzt. Zu ärgerlich, dass gerade jetzt sein Stift den Geist aufgab: „ZeltausrrrRRR“. Er seufzte. Dann schlurfte er zur Schublade und kramte einen Ersatzstift hervor: „Zeltausrüstung“. Das fast leere Blatt Papier starrte ihn herausfordernd an. Was gibt es sonst noch an Positivem?, fragte er sich.Ihm fielen seine Kumpels ein, wie er sie immer noch nannte. Er überlegte, wie lange er sie schon kannte. Fast mein ganzes Leben!

Dann dachte er an seine Schwester. Britta war ein richtiger Sonnenschein. Er liebte ihr glucksendes Lachen. Sie hatte fast immer gute Laune. Doch kürzlich hatte sie ihn ganz ernst angeschaut und gefragt: „Was ist eigentlich mit dir los? Ich erkenne dich kaum wieder. Du funkelst und sprühst gar nicht mehr. So kann das nicht weitergehen!“ Er wollte es sich zu Herzen nehmen, hatte er versprochen. Noch einmal schaute er in sein Notizbuch. Wosierechthat,hatsierecht, fasste er seine Erkenntnis zusammen. Ichmussmalrausausallemundmichselbstwiederfinden.

Aber die Zeit verging wie immer in den letzten Jahren viel zu schnell. Es war Sommer geworden und Tom hatte sein Vorhaben fast vergessen. Nur einmal hatte er einen Versuch gestartet, an einem Donnerstagabend, als er sich wie jede Woche mit seinen Kumpels traf. Früher hatten sie gemeinsam tausend Abenteuer erlebt, draußen am Fluss, oben im Wald oder irgendwo am Meer. Oft hatten sie bis in die Nacht hinein diskutiert und die Welt verändert.

Seit einigen Jahren trafen sie sich meistens in der Trattoria bei Giovanni, aßen gepflegt und ließen sich den Rotwein schmecken. An jenem Donnerstag hatte Tom an sein Glas geklopft, unsicher um Gehör gebeten und seine Situation geschildert. „Vielleicht hat ja jemand von euch eine Idee, wohin ich mich für ein paar Tage zurückziehen könnte, um ungestört zu entspannen und nachzudenken. Lasst doch mal eure Kontakte und Beziehungen spielen und sagt es gern weiter.“ Danach hatte er Saltimbocca alla Romana gegessen mit ein paar Gläsern funkelndem rubinrotem Wein – zur Feier des Tages.

Einige Wochen später entdeckte Tom in seinem Briefkasten einen unscheinbaren, herausgerissenen Zettel. Er nahm ihn mit spitzen Fingern an sich und schüttelte lächelnd den Kopf. Vielleicht irgendwelche Kinder?

In der Wohnung sah er sich den Zettel genauer an. Handschriftlich stand dort: Fisherman-lodge.com. Darunter waren eine Adresse und eine Telefonnummer geschrieben. Seine Neugier war geweckt. Schnell öffnete er seinen Laptop und schaute nach: www.fisherman-lodge.com. Doch die Seite konnte nicht gefunden werden. Ob mich da jemand auf den Arm nehmen will? Er legte den Zettel erst einmal zur Seite.

Die Sache ließ ihn jedoch nicht los. Das Wort Fisherman gefiel ihm. Es hörte sich nach Abenteuer an. Und bei dem Wort Lodge dachte er an einen Aufenthalt vor zwei Jahren in Kanada zurück. Da hatte er eine coole, edle Unterkunft mitten in paradiesischer Wildnis gehabt.

Er wählte die Telefonnummer von dem Zettel. Sein Herz klopfte laut. Ob er jemanden erreichen würde?

„Hier Fisherman’s Trail, Guten Tag, Sie sprechen mit Hubert Salaske.“

Tom musste kurz grinsen, dann meldete er sich.

„Tom Fisherman, äh, Entschuldigung, Tom Sander, ich habe Ihre Telefonnummer, nein, ich wollte fragen, ob Sie eine Unterkunft für ein paar Tage haben, in der ich ungestört ausspannen und entschleunigen kann. Irgendwo abseits in der Natur. So eine Art Auszeit, wie im Kloster.“ Tom schluckte. Er wusste so gar nicht, worauf er sich da einlassen würde.

Hubert Salaske sprach ruhig, er schien sich über den Anruf nicht zu wundern. „Sie können gern in unserer Fisherman-Lodge wohnen. Sie liegt mitten in einem Naturschutzgebiet, völlig abseits an einem romantischen See.“

„Wunderbar!“, antwortete Tom erfreut, „Vielleicht für drei oder vier Tage. Ich glaube, länger brauche ich nicht.“

Salaske sprach genauso ruhig wie am Anfang. „Tut mir leid, wir vermieten die Lodge nur für 14 Tage am Stück. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass unsere Gäste diese Zeit brauchen.“

Tom überlegte fieberhaft. So lange hatte er sich das nicht vorgestellt. 14 Tage hört sich so an, als wollen die möglichst viel an mir verdienen. Wie soll ich mich denn nun entscheiden?

„Hallo, Herr Sander? Wollen Sie die Lodge mieten?“

Tom gab sich einen Ruck. Hoffentlich mache ich das Richtige!

„Also gut, ich komme für 14 Tage.“

„Ich buche Sie dann ein“, sagte Salaske ohne Betonung, als hätte er die Antwort erwartet. „Und bitte nehmen Sie so wenig Gepäck wie möglich mit. Ein Rucksack und eine Reisetasche, das wäre in Ordnung.“

Ihm blieben zwei Wochen zur Vorbereitung. Wenig Gepäck, das ist vielleicht eine gute Möglichkeit, loslassen zu lernen. Er dachte zurück an einige Wildnis-Camps vor Jahren in Schweden. Er schloss die Augen und begann zu lächeln. Die Erinnerungen taten ihm gut. Damals war alles sehr einfach und spartanisch gewesen. Er schluckte mehrmals. Inzwischen habe ich zum Glück die ideale Mischung für meine Reisen gefunden: schöne Hotels mit Sauna und Wellness und trotzdem Natur und Wildnis.

In den nächsten Tagen besorgte sich Tom eine zünftige Outdoorhose mit extragroßen Taschen. Die gönne ich mir! Und natürlich bestellte er ein schwedisches Taschenmesser. Ein richtiges Bushcraft-Messer. Zwei Tage vor der Abfahrt wurde es geliefert. Ehrfürchtig packte er es aus und nahm es zärtlich in die Hand. Er strich über den Griff aus Bubinga, einem extrem harten Holz. Die Klinge ließ sich nur mit beiden Händen öffnen. Sicherheit geht vor!

Hose, Messer, dazu kam selbstverständlich noch ein neues Notizbuch mit drei Stiften. Für alle Fälle!

In der letzten Nacht vor der Abfahrt schlief Tom sehr unruhig. Er träumte von seiner Lodge, von Sauna und Wellness und fantastischem Essen und Trinken. Zugleich sah er sich als Abenteurer und Entdecker durch die wilde Natur pirschen. Und er genoss die lauen Abende auf der Terrasse, an denen er große Erkenntnisse in sein neues Notizbuch schrieb.

2

DAS HELLBLAUE RUDERBOOT

(Es geht los)

Kurz vor der Abfahrt checkte Tom noch einmal sein Gepäck. Es war immer noch zu viel, was da in der Diele gestapelt war. Den Laptop nahm er zur Seite. Den brauchte er in der Lodge nicht, denn er wollte die Tage nutzen, um digital zu entgiften. Manches legte er spontan weg und holte es gleich wieder zurück. Er spürte, wie seine Aufregung immer größer wurde. Einige Bücher fischte er wieder aus dem Gepäck – schließlich wollte er live etwas erleben und nicht nur über die Träume und Abenteuer anderer lesen. Was brauche ich wirklich? Überhaupt: Worauf habe ich mich da nur eingelassen?

Plötzlich stand Britta vor der Tür. Meine Schwester ist wirklich ein Schatz! Sie hatte ihm noch etwas Proviant für die Fahrt mitgebracht und das strahlendste Lächeln der Welt. Das war das Beste, was er auf die Reise mitnehmen konnte.

Dann saß er im Auto und fuhr los. Ich muss verrückt sein! Er hatte jetzt gut vier Stunden Zeit, sich innerlich auf das Abenteuer vorzubereiten. Draußen zog ein schöner Spätsommertag an ihm vorbei. Sein Kopf war voll. Nein, er war leer. Ich sollte mich etwas ablenken und für die richtige Urlaubsstimmungsorgen!

Er schaltete seine Playlist vom vorletzten Sommer ein. Das tat gut. Sofort begann er zu lächeln und manchmal sang er laut mit: „Country roads, take me home …“

Am frühen Nachmittag kam er in dem Dorf an, in dem sich die Agentur befinden sollte. Fast wäre er hindurchgefahren. Bei dem kleinen Laden am Ortsende machte er kehrt und fuhr langsam an ein paar alten Bauernhäusern vorbei, einem Friseursalon mit der Aufschrift „Schnittpunkt“ und einer Baumschule. Schließlich kam eine unscheinbare Baracke mit der Aufschrift „Fisherman’s Trail“ in sein Blickfeld. Er war am Ziel, Dorfstraße 5.

Tom hielt an und stieg zögernd aus. Eigentlich hatte er ein großes, modernes Gebäude erwartet. Skeptisch öffnete er die Tür. Es roch nach Deo und Maschinenöl. Seltsame Mischung, fand er. Hinter dem Tresen stand ein Mann mit einem kleinen Bauch und langen, leicht ergrauten Haaren. Er trug ein schwarzes T-Shirt und ein knallgrünes Jackett. Am auffallendsten war seine Nerd-Brille aus Horn.

„Guten Tag! Herr Salaske? Ich bin …“

„Sie sind Tom Sander, nicht wahr? Es ist alles für Sie bereit. Hier sind Ihr Schlüssel und ein paar Informationen. Den Schlüssel lassen Sie bei der Abreise bitte stecken.“

Das ging schnell, dachte Tom verwundert. „In welche Richtung fahre ich weiter, um zur Lodge zu kommen?“

Salaske sah zum Fenster hinaus zu Toms Auto und sagte mit seiner unaufgeregten Stimme, die Tom noch gut von ihrem Telefongespräch im Ohr hatte: „Den Wagen lassen Sie einfach hier. Der Fußweg beginnt gleich auf der anderen Seite der Straße, sehen Sie, dort. Zwei bis drei Stunden, dann sind Sie angekommen. Wenn Sie immer der Plakette mit dem Fisch folgen, kommen Sie exakt zur Fisherman’s Lodge.“

In diesem Augenblick war Tom fest davon überzeugt, den größten Fehler seines Lebens gemacht zu haben. Mein schweres Gepäck durch den Urwald schleppen? Was ist das für ein Service? Benebelt drehte er sich um und ging zur Tür.

Salaske sagte noch mit seiner monotonen Stimme, dass es in dem Naturschutzgebiet um die Lodge herum keinen Empfang gebe. Dann fügte er kurz hinzu: „Also kein Netz, meine ich.“

Tom hatte den Schlüssel in die Hosentasche gesteckt. Sonderbar, den Schlüssel hätte ich doch auch bei der Rezeption der Ferienanlage abholen können. Das ist überhaupt alles sehr sonderbar.

Kopfschüttelnd wuchtete er den Rucksack und die Reisetasche aus seinem Kofferraum. Ich verstehe, so wenig Gepäck wie möglich. Er schluckte mehrmals und zog die Schultern hoch.

Trotzig stiefelte er über die gepflasterte Dorfstraße. Gleich auf der anderen Seite zeigte eine blaue Plakette mit einem Fisch den Beginn des Wanderweges an. Er blickte noch einmal zur anderen Seite. Seinen Wagen ließ er nur ungern hier zurück.

Na, dann wollen wir mal, machte er sich Mut und schritt los mit frischem Schwung. Für kurze Zeit war er wieder der Entdecker, der sich auf ein großes Abenteuer einlässt. Doch es dauerte keine halbe Stunde, da spürte er das Gewicht des Rucksacks und der Reisetasche. Sein Rücken begann zu schmerzen. So hatte ich mir den Urlaub nicht vorgestellt! Der Weg wurde schmaler und manchmal ratschte ihm ein Zweig ins Gesicht. Aua! Und wieder fragte er sich: Was tue ich hier eigentlich?

Durch die Büsche und das Schilf rechts vom Weg war an einigen Stellen bereits der See zu erahnen. Fast schien es, als würde er das Wasser riechen. Er hielt an und stellte das Gepäck mitten auf dem Wanderpfad ab. Vorsichtig bahnte er sich den Weg zum Seeufer. Dort angekommen, konnte er kaum glauben, was zu sehen war. Das Wasser glänzte, blinzelte und funkelte wunderschön in der Nachmittagssonne.

Tom holte tief Luft. Er genoss es, hier zu stehen und sich von der Schönheit in ferne Lüfte entführen zu lassen. Er folgte mit seinem Blick den Vögeln am Himmel und tauchte im nächsten Augenblick ins Meer seiner Erinnerungen: Wie oft hatte er früher die Wälder durchstreift und sich auf die Ankunft am See oder am Meer gefreut!

Da entdeckte er in etwa zweihundert Meter Entfernung ein hölzernes Ruderboot, hellblau angestrichen, das leicht auf den Wellen schaukelte. Darin saßen ein älterer Mann und ein Junge, der fast noch ein Kind war. Die beiden winkten fröhlich herüber.

Tom drehte sich um. Es war niemand zu sehen. Er war gemeint! Fröhlich winkte er zurück. Was für ein Empfang! Die Leute hier scheinen freundlich zu sein!

Bevor er mit dem Gepäck weiterzog, öffnete Tom grinsend die Reisetasche, kramte seine neue Outdoorhose heraus und zog sich um. Wieder stieg ein Gefühl von Entdeckergeist und Lagerfeuer in ihm hoch. Vielleicht erlebe ich ja doch noch ein richtiges Abenteuer!

Das Gehen fiel ihm jetzt leichter. Seine Schuhe federten auf dem weichen Boden, der von mehreren Schichten Blättern und Nadeln bedeckt war. Die Sonne leuchtete freundlich durch den Blätterwald. Wasfüreineschöne,ursprünglicheLandschaft! Wieder fiel ihm ein Fisch in den Blick – er war auf dem richtigen Weg.

In dem Augenblick wehte wie aus weiter Ferne ein sonderbares Geräusch zu ihm herüber. Es hörte sich an, als würde der Wind ein geheimnisvolles Lied singen. Tom ging langsam weiter. Nach ein paar Schritten war es wieder still. Er blieb stehen, stellte sein Gepäck ab und lauschte. Wieder hörte er das Geräusch. Er versuchte, das Ohr gleichzeitig in alle Richtungen zu halten. Ja, da ist es! Jetzt waren es helle Flötentöne, die geheimnisvoll durch den Wald und über den See hallten. Gerade so, als würden sonderbare Fabelwesen zum Flug über das Wasser einladen. Oder zum Tanz im verzauberten Märchenwald?

Es war wunderschön und äußerst unheimlich zugleich. Tom kam sich für einen Moment vor, als wäre er in einer anderen Welt gestrandet. Er verlor sich in den Tönen und in seinen Träumen.

Dann herrschte wieder Stille. Tom hatte eine Gänsehaut. Er lächelte und spürte gleichzeitig, dass seine Hände zitterten. Aus der Reisetasche holte er sein neues Taschenmesser, streichelte es kurz und steckte es in eine seiner vielen Hosentaschen.

Wieder setzte er seine Wanderung fort. Der Weg wurde immer schmaler und verwunschener. Doch gerade, als er meinte, völlig die Orientierung verloren zu haben, öffnete sich der Pfad zu einer Lichtung. Was er sah, verschlug ihm die Sprache. Er blieb stehen und staunte. Eine alte Fischerhütte aus Holz mit großer Veranda blickte hinunter auf den See, der eine Open-Air-Aufführung mit Tausenden Lichtreflexen bot, golden und rot, weiß und silbern. Kein Foto hätte es so schön abbilden können wie die Wirklichkeit.

Eine Minute lang konnte Tom sich nicht von der Stelle bewegen. Dann fing sein Kopf wieder an zu arbeiten. Das ist so romantisch! Jetzt kann es nicht mehr weit sein bis zur Ferienanlage. Dort werde ich erst einmal zur Rezeption gehen und einen kühlen Drink bestellen.

Müde setzte er sich auf die Veranda der Hütte. Von der Bank hatte er einen traumhaften Blick auf den See. Es tat gut. Eine letzte Pause, bevor ich am Ziel ankomme!

Er wischte sich die Stirn. Herrlich! Dann drehte er sich kurz um und sah interessiert zur Eingangstür. Fast traf ihn der Schlag. Über der Tür prangte ein großes Schild: „Fisherman-Lodge“. Tom erstarrte. Er kam sich vor wie im falschen Film. Das kann nicht wahr sein! Das ist die Ferienanlage? Diese alte Hütte?

Als er sich wieder gefangen hatte, versuchte er, seine Gedanken zu ordnen. Er fühlte sich irgendwie betrogen. Verärgert holte er sein Smartphone heraus, um Salaske anzurufen. Zum Glück habe ich die Nummer gespeichert! Er schüttelte das Gerät. Mist, kein Netz!

Mehrmals lief er ziellos hin und her und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Dann fiel ihm der Schlüssel ein, den er in der Agentur bekommen hatte. Doch in seiner Hosentasche war er nicht. Da war nur das Taschenmesser. Er fasste sich mit der Hand an die Stirn. Ja klar! In seiner anderen Hose fand er ihn sofort. Und tatsächlich, er passte exakt ins Schloss. Wie in Trance öffnete er die Tür. Innen war es dunkel. Tom suchte den Lichtschalter. Nichts! Er tastete genervt an der Wand entlang. Wieder nichts! Gibt es denn hier kein Licht?

Ihm wurde schlagartig bewusst, dass er völlig auf sich allein gestellt war. Schnell öffnete er die Fensterläden, damit von draußen Licht in die Hütte fallen konnte. Die Sonne stand zum Glück noch ein gutes Stück über dem Horizont.

Tom sah sich jetzt im Inneren um. Es gibt keinen Strom hier, stellte er fachmännisch fest. Die Fischerhütte bestand hauptsächlich aus einem großen Raum. Die Wände aus dunklem Holz ließen ihn sehr gemütlich wirken.

An der linken Seite befand sich eine Art Küche mit einem gusseisernen Herd, wie zu Großmutters Zeiten. Daneben stand ein Regal mit diversen Töpfen und Tellern. Er fühlte sich wie in einem Museum – als wäre er in eine längst vergangene Zeit gebeamt worden.

An der rechten Seite entdeckte er einen Durchgang, ohne Tür, zu einem zweiten Raum. Tom schaute hinein. Es war ein kleiner Schlafraum. In der Mitte stand ein Bett – frisch bezogen mit weißer Bettwäsche wie in einem feinen Hotel. Immerhin, ein Zeichen von Zivilisation! Er strich über den feinen Stoff und dachte an seinen Urlaub in Kanada.

Dann wandte er sich zurück zum Hauptraum. Der Eichentisch in der Mitte gefiel ihm. Darauf standen eine Menge Kerzen.