Die Flamme der Highlands - Claudia Romes - E-Book

Die Flamme der Highlands E-Book

Claudia Romes

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Beschreibung

Schottland im Jahre 1613: Um eine alte Fehde beizulegen, ergibt sich Joan MacKenzie dem Wunsch ihres Vaters und heiratet Colin, den Sohn des verhassten MacDonell-Chiefs. Was nach einer friedlichen Einigung über die Besitzansprüche beider Clans aussieht, entpuppt sich als tiefreichende Verschwörung. Joan ist gezwungen von ihrem Familiensitz zu fliehen. Doch der hartgesottene Kriegersohn lässt sich nicht so leicht abschütteln. Colin, der längst für seine Braut entflammt ist, bringt Joan in die raue Bergwelt der Highlands. Er ist sicher, dass sie sich für ihre Rettung erkenntlich zeigen wird. Schon bald muss er erfahren, dass sich eine stolze MacKenzie nicht so einfach erobern lässt ...

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Kurzbeschreibung:

Um eine alte Fehde beizulegen, ergibt sich Joan MacKenzie dem Wunsch ihres Vaters und heiratet Colin, den Sohn des verhassten MacDonell-Chiefs. Was nach einer friedlichen Einigung über die Besitzansprüche beider Clans aussieht, entpuppt sich als tiefreichende Verschwörung. Joan ist gezwungen von ihrem Familiensitz zu fliehen. Doch der hartgesottene Kriegersohn lässt sich nicht so leicht abschütteln. Colin, der längst für seine Braut entflammt ist, bringt Joan in die raue Bergwelt der Highlands. Er ist sicher, dass sie sich für ihre Rettung erkenntlich zeigen wird. Schon bald muss er erfahren, dass sich eine stolze MacKenzie nicht so einfach erobern lässt ...

Claudia Romes

Die Flamme der Highlands

Historischer Liebesroman

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2019 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2019 by Claudia Romes

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Ashera Agentur

Lektorat: Cathérine Fischer 

Korrektorat: Vera Baschlakow

Covergestaltung: Anke Koopmann, Designomicon, München

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-289-5

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

Für Jasmin, die diese Geschichte als Erste gelesen hat

Inhalt

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel eins

Kintail, 1606

Die ersten Sonnenstrahlen trafen auf das Wasser von Loch Duich und brachten dessen Oberfläche zum Glitzern. Über Eilean Donan Castle war der Himmel in ein warmes Rosa getaucht, das nur durch einige wenige Wolken unterbrochen wurde. Der laue Juliwind schob sie stetig weiter Richtung Osten. Joan MacKenzie rannte die Treppe zum Hof hinunter, an der Ringmauer entlang, und versteckte sich im Schatten des Bergfrieds.

„Dieses unmögliche Kind!“, hörte sie ihre Gouvernante schimpfen. Lady Bridget hatte sie für den anstehenden Besuch in ein Samtkleid zwingen wollen. Joan hasste das unbequeme, zwickende Ding. Es schränkte sie in ihrer Bewegung derart ein, dass sie darin nur steif herumstehen konnte. Andere zwölfjährige Mädchen hätten sicher nichts dagegen gehabt, wie eine Puppe angezogen und vorgeführt zu werden. Nicht so Joan. Sie konnte es nicht ausstehen, etwas tun zu müssen, das für sie keinen Sinn ergab. Darunter fiel das Tragen von unpraktischer Kleidung ebenso wie stumpfsinnige Konversationen. Die starren Verhaltensregeln der Menschen waren ihr in vielerlei Hinsicht suspekt, weshalb sie die Gesellschaft der Tiere bevorzugte. Sie liebte Pferde, die wilde Natur und die Ufer der Meeresbucht, an dem ihr Familiensitz in die Felsen gebaut worden war. Eilean Donan Castle war seit jeher ihr Zuhause. Ein Zuhause, das gleichzeitig aufgrund seiner strategisch wichtigen Lage eine der am härtesten umkämpften Burganlagen des Landes war. Seit König Jakob vor drei Jahren entschied, Schottland in Personalunion mit England zu regieren, war das Interesse an der Burg noch weiter gewachsen. Plötzlich mischten die Engländer sich in die Belange Schottlands ein, was immer wiederkehrende Aufstände zur Folge hatte – die das Land zunehmend spalteten. Bisher war es Joans Vater, dem Clan-Chief der MacKenzies, jedoch gelungen, die englischen Einflüsse in Kintail so gering wie möglich zu halten – was zweifellos seinem diplomatischen Geschick zu verdanken war. George MacKenzie, der wie König Jakob einem alten schottischen Adelsgeschlecht entstammte, war ein einflussreicher Mann, der, anders als andere Clan-Chiefs des schottischen Hochlandes, stets um ein friedliches Miteinander bemüht war. Er galt als gerecht und ehrenhaft und vermittelte zuverlässig im Streitfall. Wann immer es unter den ansässigen Clans Unstimmigkeiten gab, wurde er zurate gezogen. Wenn niemand in den Highlands eine Lösung fand – George MacKenzie hatte eine parat. Seine einzige Schwäche schien die Liebe zu seiner Tochter zu sein, die er mit Zuwendung nur so überschüttete. Nie hatte Joan von ihm ein Nein gehört, was die junge Clan-Tochter zu einem besonders willensstarken, übermütigen Charakter werden ließ. Hatte Joan sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt, konnte sie nichts und niemand davon abbringen. Statt an Gesellschaften in der Burghalle teilzunehmen, brachte sie Stunden damit zu, im seichten Wasser auf Schatzsuche zu gehen oder Steine über die Oberfläche springen zu lassen.

An diesem Morgen war sie, wie so oft, Lady Bridget entwischt, bevor diese in ihr Zimmer gekommen war, um sie zu wecken. Gestern Abend hatte ihr Vater sie davon unterrichtet, dass er Besuch erwartete und Lady Bridget aufgetragen, Joan dafür herzurichten. Jeden Moment würden die Männer eintreffen und die Ruhe auf der Burg stören. Sämtliche Vorkehrungen waren getroffen, jeder Bewohner von Eilean Donan Castle hatte sich auf die Ankunft der Chiefs und deren treuster Clanmitglieder vorbereitet – außer Joan, die nicht vorhatte, sich während des Besuchs blicken zu lassen.

„Margaret Elisabeth Abigail Joan MacKenzie!“, rief Lady Bridget sie mit Nachdruck bei ihrem vollen Namen, den Joan nur dann zu hören bekam, wenn jemand wirklich wütend auf sie war.

Joan ließ sich davon jedoch nicht einschüchtern. Sie hörte ihre Gouvernante hecheln und warf einen vorsichtigen Blick auf den Hof. Lady Bridget keuchte vor sich hin, die Hände auf die Knie gestützt. Ein bisschen Mitleid hatte sie ja mit ihr. Schließlich waren die vielen Stufen der Burg mit achtundsechzig Jahren nicht mehr so leicht zu bewältigen. Und jammerte Lady Bridget nicht bereits genug wegen ihres Hüftleidens? Joan rümpfte die Nase. An jedem anderen Tag wäre sie wahrscheinlich brav im Bett geblieben und hätte die Reden ihrer strengen Kinderfrau sowie das Herausgeputztwerden über sich ergehen lassen, doch nicht heute. Auf keinen Fall wollte sie den Söhnen der anderen Chiefs, von denen zweifellos einige mitkommen würden, in diesem albernen Kleid und mit hochgestecktem Haar begegnen. Joan erinnerte sich noch zu gut an die letzte Weihnachtsfeier, bei der sie von ihnen ausgelacht wurde, weil sie ähnlich zurechtgemacht worden war. Keiner von ihnen hatte sie ernst genommen oder gar mit ihr spielen wollen. Für Joan war es ein furchtbares Weihnachtsfest gewesen, das sie am liebsten vergessen wollte.

„Wo bist du nur, Kind?“ Lady Bridget klang flehend. Für Joan ein sicheres Zeichen, dass sie dabei war, neben ihrer Geduld auch die Hoffnung darauf zu verlieren, Joan noch rechtzeitig aus ihrem Versteck hervorzulocken.

„Sie sind bereits auf der Brücke“, vernahm Joan Matthews angenehme Stimme. Er war der Sohn des Verwalters Duncan MacRae, der gleichzeitig einer der ältesten Freunde ihres Vaters war. Für Joan war Matthew der große Bruder, den sie nicht hatte. Sie schwärmte für ihn und seine kastanienfarbenen Augen und die rot-braunen Locken, die seine Ohren zur Hälfte bedeckten. Matthew war sechs Jahre älter als sie und bereits ein richtiger Mann. Er war stets freundlich zu ihr und brachte immer Verständnis für sie auf. Von ihm hatte Joan das Bogenschießen gelernt. Außerdem unterrichtete er sie im Schwertkampf, obwohl ihr Vater das nicht gerne sah, weil er es als zu gefährlich für sie erachtete. Matthew teilte Joans Liebe zur Natur. Obendrein war er der Einzige, der in ihr mehr als nur ein Mädchen sah – dafür liebte sie ihn.

„Na wunderbar“, brummte Lady Bridget, nachdem sie sich erneut vergeblich nach ihrem Schützling umgesehen hatte. „Wie soll ich das nur Mylord erklären?“

„Joan taucht schon wieder auf“, beruhigte Matthew sie.

„Aber wann?“ Lady Bridget ließ ein jammervolles Seufzen hören. Joan spähte gerade in dem Moment ein weiteres Mal hinter dem Wehrturm hervor, in dem Matthew in ihre Richtung sah. Er grinste halb und schüttelte leicht mit dem Kopf, verriet sie jedoch nicht.

„Wisst Ihr was?“, sagte er an Lady Bridget gewandt. „Geht nur schon hinein. Ich werde weiter nach Joan suchen.“

„In Ordnung. Wenn Ihr sie findet, schickt sie über den Küchentrakt zu mir. Ich will nicht, dass jemand sieht, wie sie im Morgenrock herumspaziert. Sie ist schließlich die Tochter unseres Chiefs.“

„Natürlich“, antwortete Matthew mit übertriebener Ernsthaftigkeit.

Nachdem Lady Bridget in der Burg verschwunden war, ging Matthew zu Joan. „Was führt Ihr wieder im Schilde, Mylady?“

„Gar nichts“, antwortete sie entschlossen. „Ich wehre mich nur dagegen, lächerlich gemacht zu werden. Das ist alles.“

„Du kannst dich nicht ewig verstecken. Das weißt du schon, oder?“

„Aber eine Weile … wenn du mir hilfst?“

Er lächelte breit und rubbelte ihr über den Schopf, sodass ihr langes rotes Haar ganz strubbelig wurde. „Ich sag ihnen, ich hätte dich nicht gesehen, in Ordnung?“

Joan fiel ihm in die Arme. „Danke!“

Das Fallgitter öffnete sich mit einem scheppernden Geräusch, und Matthew winkte Joan rasch fort, ehe der Burghof sich füllte.

Flink stahl das Mädchen sich zu den Stallungen und kletterte zu Epona, dem neuen Jährling ihres Vaters, in die Box. Das Tier war nach der walisischen Pferdegöttin benannt. Neben der weißen Ponystute sank sie ins Stroh – fest entschlossen, solange zu bleiben, bis der Besuch wieder gegangen war. Joan hörte, wie die Männer ins Burginnere marschierten, wie sie lachten und Scherze darüber machten, ob ihr Vater auch genug zu trinken für sie alle haben würde. Erst als wieder Ruhe eingekehrt war, riskierte sie einen Blick über das Stalltor. Epona stupste sie mit der Schnauze an, blies ihren heißen Atem gegen ihr Haar, sodass es ihr vor die Augen wehte. Das junge Highlandpony war erst vor einem Monat aus Glencoe hergebracht worden. Joan hatte es von Anfang an ins Herz geschlossen. Bei ihm fühlte sie sich wohl. Epona fragte nicht danach, wer Joan war oder wer sie sein sollte. Bei ihr war sie einfach nur das Mädchen von Eilean Donan Castle, das ihr von der großen, weiten Welt vorschwärmte, die sie zu erkunden vorhatte. Joan träumte davon, weiterzukommen als jede schottische Frau vor ihr. Manchmal schien ihr das Land, in dem sie geboren wurde, zu klein, zu eng. Obwohl sie Schottland mit seinen schroffen Berglandschaften, den Gletschertälern und den Lochs liebte, verspürte sie hin und wieder eine innige Reiselust – den Drang, Abenteuer zu erleben, einfach auszubrechen. Am liebsten hätte sie ihren Hauslehrer Sir Thomas begleitet, als dieser im letzten Herbst nach Spanien aufgebrochen war. Nichts schien Joans unbändigen Wissensdurst und ihre Sehnsucht nach dem Unbekannten stillen zu können – was für ein Mädchen ihrer Zeit als überaus bedenklich galt. Lady Bridget ließ es sich deshalb nicht nehmen, Joans Vater von jedwedem Verhalten in Kenntnis zu setzen, welches ihrer Meinung nach nicht damenhaft war. Doch nicht nur Lady Bridget rief George MacKenzie ständig auf, seiner Tochter endlich ihren Platz in der Gesellschaft deutlich zu machen. Auch Duncan MacRae empfand Joans Leidenschaft für die Kampfkunst und das Lesen als befremdlich. Nicht wenige Clanmitglieder glaubten, Joan verhalte sich viel zu jungenhaft, und auch, dass sie besser ein Stammhalter geworden wäre. Die Tatsache, dass sie ein Mädchen war und ihr Vater sich geweigert hatte, nach dem Tod ihrer Mutter erneut zu heiraten, ließ den Clan in eine ungewisse Zukunft blicken. Eine Frau als Clanoberhaupt war für die meisten nicht akzeptabel, weshalb George MacKenzies Nachfolge ungewiss blieb. Bisher hatte er sich noch auf niemanden festgelegt, der nach ihm den Clan anführen sollte. Es hieß zwar, er habe sich insgeheim längst entschieden, und dass einer der MacRae-Söhne darunter war, doch möglicherweise waren das nichts als Gerüchte. Gerüchte, die auf der langjährigen Freundschaft und tiefen Verbundenheit beider Familien fußten. George MacKenzie war ein weiser Mann, der sich davor hütete, Namen zu nennen. Um Unruhen zu vermeiden, behielt er sich vor, seine Nachfolge offen zu lassen, bis er es an der Zeit sah, dies zu ändern. Obgleich ihm ein Stammhalter als einziges Kind sicherlich recht gekommen wäre, allein um die unbequeme Pflicht seiner Erbfolge umgehen zu können, war er dennoch Feuer und Flamme für seine Joan. Letztlich spielte es keine Rolle für ihn, dass sie nur ein Mädchen war.

„Jetzt hör schon auf, Epona“, tadelte Joan die Ponystute, die auf der Kapuze ihres Morgenrocks herumkaute, als wäre darin saftiges Heu. Joan drehte sich nach der Stute um, tätschelte ihr den Kopf und zog ihre Kapuze aus dem Ponymaul. Als sie wieder nach vorn sah, zuckte sie erschrocken zusammen. Ein Junge stand inmitten des Stalls zwischen den Boxen, die zu beiden Seiten waren. Rasch ging sie wieder in Deckung, doch es war zu spät. Er hatte sie längst gesehen. Joan hörte, wie er näher kam. Vor Eponas Stalltor angekommen, räusperte er sich. Joan saß mit dem Rücken gegen das Tor gelehnt im Heu. Verunsichert schaute sie zu dem Jungen auf, der seinen Kopf über die Absperrung neigte und sie neugierig musterte.

„Was willst du hier?“, fragte sie erbost.

„Ich wollte mir nur die Pferde ansehen“, beteuerte er.

„Nun, jetzt hast du sie ja gesehen. Du kannst also wieder gehen.“

„Bist du immer so nett?“ Er legte die Arme auf die hölzerne Stalltür, lehnte sich weiter darüber und schaute mit hochgezogenen Brauen zu ihr runter.

„Ich bin nicht nett! Also lass mich in Ruhe.“

Epona presste ihm die Schnauze entgegen, als hoffte sie, von ihm gefüttert zu werden. Furchtlos streichelte er sie zwischen den Augen. „Was für ein schönes Pferd“, lobte er. „Mein Vater sagte mir schon, dass es auf Eilean Donan Castle besondere Pferde gibt. George MacKenzie sucht sich immer nur das Beste aus.“

„Sie ist kein Pferd, sondern ein Pony“, belehrte Joan ihn. „Außerdem … was willst du damit sagen: Er sucht sich immer nur das Beste aus?“ Joan sprang auf, drehte sich im Stand herum und funkelte den Jungen an, weil sie glaubte, einen Vorwurf herausgehört zu haben. Der Junge zog einen Mundwinkel zur Wange und winkte ab. „Ach, gar nichts. Bist du hier für die Tiere zuständig?“

Unwillkürlich sah Joan an sich herunter. Sie war nur im Unterkleid. Ihren alten, grauen Morgenrock hatte sie in der Frühe eilig übergeworfen. Ihr Haar war ungekämmt, und dank Matthew sah es jetzt so aus, als wäre dies bereits seit Langem so. Kein Wunder, dass der Junge sie für eine Dienstmagd hielt. Aber vielleicht war das auch besser so. Andernfalls würde er womöglich ihrem Vater verraten, wo sie sich aufhielt. Und das wollte sie unbedingt vermeiden. Rasch nickte Joan und setzte eine Unschuldsmiene auf.

„Bist aber noch ziemlich jung“, befand der Junge und strich sich das kinnlange, dunkle Haar zurück. „Wie alt bist du eigentlich?“

„Zwölf. Und du?“

„Vierzehn.“ Er streichelte über Eponas grazilen Hals, dabei musterte er Joan skeptisch. „Wird dir die Arbeit im Stall nicht manchmal zu schwer?“

„Nein“, betonte Joan mit fester Stimme. „Warum?“

„Siehst irgendwie nicht sehr stark aus. Bekommst du auch genug zu essen?“

„Du stellst ganz schön viele Fragen. Wer bist du überhaupt?“

Er wollte gerade antworten, als sie Schritte hörten, die sich vom Burghof aus näherten.

„Colin?“, schrie jemand, dass es nur so schallte. Der Junge fuhr aufgescheucht zusammen. Blitzschnell sank Joan erneut ins Stroh.

„Verdammter Mist!“ Der Junge riss die Stalltür auf und ging neben Joan in die Knie. Epona ließ ein leises Wiehern hören. Als Joan eine Hand an ihren Rumpf legte, beruhigte sie sich aber wieder.

„Sucht der nach dir?“, erkundigte Joan sich flüsternd bei dem Jungen.

„Psst“, machte dieser mit dem Zeigefinger vor den gespitzten Lippen.

„Wo steckst du, du kleiner Geck?“ Der Mann klang nun ganz nah. „Na, wenn ich dich erwische“, presste er wütend hervor. „Du kannst was erleben.“ Der Mann spuckte hörbar auf den Boden und stapfte aus dem Stall zurück auf den Hof.

„Puh, das war knapp.“ Der Junge prustete erleichtert.

„War das dein Vater?“, wollte Joan wissen.

„Gott bewahre, nein. Das war Seamus – mein Kindermädchen.“

„Also, dann ist deins aber so ganz anders als meins.“ Joan unterdrückte einen Lachanfall. „Dein Name ist Colin?“

Er nickte. „Und deiner?“

Joan überlegte einen Moment. „Margaret“, sagte sie schließlich. Dass dies nicht ihr Rufname war, musste er nicht wissen. Sein Auftauchen war zwar überraschend gewesen, dennoch empfand sie Colin als erfrischend. Genau wie sie war auch er auf der Flucht vor den Erwachsenen, und offenbar machte er sich genauso wenig Gedanken über die Konsequenzen. Er schien ebenso furchtlos zu sein wie sie. Das gefiel ihr.

„Ich glaube, jetzt ist er weg.“ Colin lachte ebenfalls. Beide sahen einander an, und Joan fielen seine eisblauen Augen, umringt von einem schwarzen Wimpernkranz, auf. Von Nahem sah Colin älter aus als vierzehn. Seine Schultern waren fast genauso breit wie Matthews. In der engen Box mit ihm zu sein, ließ ihr Herz schneller schlagen. Unwillkürlich strich sie den Stoff ihres Morgenrocks glatt. Vergeblich. Nun wünschte sie sich, sie hätte sich die Zeit genommen, sich anzukleiden, oder wenigstens ihr Haar anständig zu flechten, bevor sie Lady Bridget davongelaufen war.

Colin schien sich aber nicht an ihrem Aufzug zu stören. „Was kann man denn hier so machen?“, fragte er und kaute auf einem Strohhalm herum.

„Wir … könnten … zum Fluss runtergehen?“

„Darfst du das denn? Ich meine, deine Arbeit einfach liegen lassen?“

„Och, das ist kein Problem.“ Sie stemmte sich hoch. Vorsichtig spähte sie aus der Box in Richtung Stallausgang. Es war niemand zu sehen. „Lass uns gehen. Aber sei leise. Wir dürfen uns nicht erwischen lassen.“

Sie verließen die Stallungen und gingen hinter dem Haus der MacRaes die Ringmauer bis zum Tor entlang. Von dort aus schlüpften sie hinaus und kamen über einen kleinen felsigen Pfad hinunter zum dicht bewachsenen Uferstück des Sees. An dieser Stelle waren sie von der Burg aus nicht zu sehen. Joan hatte sich schon oft an diesen Platz geflüchtet, doch diesmal war sie nicht allein – das machte es umso aufregender. Über dem Fluss hingen noch immer vereinzelte Nebelfetzen. Dampfend hingen die Schwaden wie geisterhafte Wesen über dem Wasser, das ruhig dahinfloss. Joan ließ einen Stein nach dem anderen über den Fluss springen. Eine Weile beobachtete Colin sie dabei, dann suchte auch er am Ufer nach geeignetem Wurfmaterial. „Es ist echt toll hier!“, befand er, während er einen Stein übers Wasser hüpfen ließ.

„Bist du zum ersten Mal bei uns?“

Colin bückte sich nach einem besonders flachen Kieselstein und hielt ihn ins Licht. „Ich war schon hier, aber das ist lange her. Damals war ich ganz klein.“ Er hielt den Stein noch etwas in der Hand, bevor er ihn schwungvoll aufs Wasser hinaus schmetterte. Einen Augenblick lang sah es aus, als würde der kleine graue Klumpen den Nebel zerreißen.

„Nach Mutters Tod hat mich Vater nicht mehr oft auf Reisen mitgenommen“, fuhr Colin fort. „Ich bin meistens zu Hause geblieben. Unter vielen Menschen fühle ich mich nicht wohl.“

„Das geht mir genauso“, warf Joan ein. Colin betrachtete sie kurz, dann lächelte er und warf einen weiteren Stein ins Wasser. „Eigentlich wollte ich auch heute nicht mitkommen, aber mein Vater hat mich gezwungen. Er hat gemeint, dass es wichtig wäre … um die Zukunft Schottlands gehen würde und so was. Ich hasse diese Anstandsbesuche genauso sehr wie die Engländer.“ Er warf noch einen Stein aufs Wasser hinaus. Joan verfolgte gespannt seinen Weg, während sie über Colins Worte grübelte. Ihre Ansichten ähnelten sich sehr. Nie zuvor war sie jemandem wie ihm begegnet. Sechsmal hüpfte sein Stein über die dampfende Wasseroberfläche, bis er nicht mehr zu sehen war. Es war, als wäre er vom Dunst verschluckt worden oder auf der anderen Seite angekommen. Joan war beeindruckt.

„Sieht so aus, als hätte ich dich geschlagen.“ Colin stemmte die Hände in die Hüfte und grinste überlegen.

„Ich wusste nicht, dass es ein Wettkampf ist.“

„Wir sind Schotten. Für uns ist alles ein Wettkampf.“

„Na dann.“ Joan ging zu dem dichten Gebüsch, über dem sich die Burg erhob und holte ihren Köcher mit den Pfeilen und dem Bogen hervor. Beides hielt sie dort vor Lady Bridget versteckt. „Wollen wir doch mal sehen, wie gut du darin bist.“ Sie winkte Colin zu einem knorrigen Baum, auf dessen Stamm in leuchtend roter Farbe eine Zielscheibe aufgemalt war.

„Nicht, dass du dir wehtust“, neckte Colin sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Joan reagierte nicht auf seinen Spott. Sie zählte zwanzig Schritte vom Baum ausgehend, stellte sich hüftbreit neben Colin und spannte einen Pfeil in die Bogensehne.

„Du zielst zu hoch!“, ermahnte Colin sie.

Joan nahm einen tiefen Atemzug, nahm den Baum ins Visier und ließ den Pfeil los. Dieser zischte durch die Luft und traf, zu Colins Verblüffung, direkt in die Mitte der Scheibe. Stolz wandte Joan sich Colin zu, der wie gebannt auf den noch wackelnden Schaft starrte.

„Und?“

„Du warst viel zu nah! Da hätte jeder getroffen.“

„Ach wirklich? Dann ist es ja sicher ein Leichtes für dich, es mir nachzumachen.“

„Na schön! Wenn du unbedingt willst.“ Brummend nahm Colin ihr den Bogen ab und bediente sich an den Pfeilen im Köcher. „Aber heul nicht rum, wenn mein Pfeil deinen in der Mitte spaltet.“

„Keine Angst. Werde ich nicht.“

Colin spannte den Bogen.

„Du zielst zu tief.“ Joan ließ es sich nicht nehmen, ihm ihre Meinung zu sagen, so wie er es bei ihr getan hatte. Anders als bei ihm war sie sich jedoch sicher, dass ihre Belehrung richtig war.

„Schhht“, machte Colin nur und schielte angestrengt nach vorn. Im nächsten Moment sauste sein Pfeil los, verfehlte den Baum um nicht weniger als zwei Meter und landete irgendwo im ufernahen Gebüsch.

„Sieht so aus, als hätte ich diesen Wettkampf gewonnen“, tönte Joan überlegen.

„Das war doch nur Glück.“ Grummelnd zog Colin einen zweiten Pfeil aus dem Köcher, spannte ihn in die Sehne, zielte und ließ los. Diesmal streifte er zumindest den Baum – wenn auch nur an der Rinde.

Joan konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. „Ich weiß nicht, aber Bogenschießen ist wohl nicht so deine Stärke.“

„Ach, halt den Mund“, grummelte Colin und nahm sich einen weiteren Pfeil, den er erneut auf die Zielscheibe losließ – auch diesmal ohne Erfolg.

„Ich könnte es dir beibringen“, schlug Joan beschwichtigend vor.

„Ich werde mir von einem Mädchen bestimmt nichts sagen lassen. Du hattest Glück. Sonst gar nichts.“

„Ach so. Dann hattest du wohl einfach nur Pech, vermute ich?“

Colin schnalzte mit der Zunge. „Egal.“ Trotzig warf er den Bogen auf die Steine, ging dichter an das Wasser heran und setzte sich hin.

Joan ließ sich neben ihm nieder. „Du verlierst wohl nicht gerne.“

„Wer verliert schon gerne?“ Sein Ton klang jetzt nicht mehr so scharf.

„Aber es ist keine Schande zu verlieren. Es gehört dazu … zum Wettkampf. Ohne Verlierer gibt es auch keine Gewinner.“

„Würdest du jetzt damit aufhören? Ich sagte doch, es ist mir egal.“ Sein Blick blieb aufs Wasser gerichtet.

„Okay. Auch wenn es dir in Wahrheit nicht egal ist. Aber das ist schon in Ordnung. Ich mag auch nicht, wenn jemand besser ist als ich.“

„Du bist ein Mädchen“, betonte er nochmals, dabei warf er ihr einen flüchtigen Blick von der Seite zu. „Du dürftest in gar nichts besser sein als …“

„Ein Junge?“

Er zuckte die Schultern, ohne vom Wasser aufzusehen.

„Das ist Blödsinn, und das weißt du auch.“ Joan stand auf und sah wütend auf ihn herab. „Ich hätte irre Lust, dich jetzt an deinen Clan auszuliefern. Du scheinst besser dorthin zu passen, als ich dachte.“

„Das würdest du nicht wagen!“

„Colin?“, schallte es wie auf Kommando von der Burg bis zu ihnen hinunter.

„Wie passend“, neckte Joan. Augenblicklich sprang Colin auf, zog Joan hinter sich her ins dichte Ufergestrüpp hinein und presste ihr seine Hand auf den Mund.

„Du wirst gar nichts sagen, verstanden?“ Er drehte sie zu sich, sodass er ihr direkt ins Gesicht sehen konnte. „Seamus wird mich schlagen, wenn er mich findet.“

„Vielleicht hast du’s ja verdient“, nuschelte Joan in seine Hand.

„Sei still! Du hast doch keine Ahnung, worum es geht. Ich war meinem Vater ungehorsam. Und vielleicht habe ich seinen Whisky ausgeschüttet. Aber nur vielleicht.“ Er lockerte leicht seinen Griff.

„Du hast seinen Whisky ausgeschüttet? Warum?“

„Er hatte genug.“

„Colin!“, hörten sie Seamus erneut rufen. Diesmal klang er näher. Colin schob Joan weiter ins Gebüsch hinein und drängte sich ganz dicht an sie, um nicht entdeckt zu werden. Vor ihnen bildeten die begrünten Äste einen zuverlässigen Sichtschutz. Schritte waren auf dem groben Kies zu hören. Joan und Colin lugten durch die Blätter, Richtung Wasser. Joan hielt den Atem an und versteckte sich hinter Colin, der sie mit seinen Armen abschirmte, als wollte er sie beschützen. Wenige Sekunden später streifte Seamus an ihnen vorbei, ohne sie zu bemerken. Der wuchtige Mann, dessen Schultern auf Joan breiter wirkten als die eines ausgewachsenen Bären, stolperte auf seiner Suche über einen größeren Uferstein. Joan hatte Mühe, einen Lachanfall zu unterdrücken. Auch Colin plusterte die Backen auf und konnte sich gerade noch am Riemen reißen. „Verdammter Mist“, fluchte Seamus und rappelte sich wieder auf. „Soll der Alte seinen Bengel doch selbst suchen.“ Er rieb sich die aufgeschürften Hände und machte knurrend kehrt.

„Sind alle in deinem Clan vom Pech verfolgt?“ Joan hatte diese Bemerkung nicht zurückhalten können. Colin schien das weniger lustig zu finden. Er stieß sie von sich. „Ach, halt den Mund.“

„Ich lasse mir von dir nicht den Mund verbieten!“ Sie wollte an ihm vorbei aus dem Gebüsch marschieren, aber Colin hielt sie am Arm zurück. „Bleib hier und sei still.“ Wieder presste er ihr seine Hand auf den Mund. „Er ist sicher noch nicht weit genug weg.“

Joan spürte, wie die Wut in ihr kochte. Sie konnte es nicht ausstehen, festgehalten zu werden. Wild strampelte sie in seinen Fängen in dem Versuch, sich zu befreien. Kurz entschlossen biss sie Colin so fest sie konnte in den Finger. Dieser zischte vor Schmerz, verpasste ihr einen Stoß und rieb sich über den tiefroten Abdruck, den Joans Zähne auf seinem Zeigefinger hinterlassen hatten. „Verdammt, Margaret! Du bist wohl verrückt geworden.“

„Ich hatte dich gewarnt.“

Colin sah sie übel nehmend an. Tränen glitzerten in seinen Augen, und Joan bereute, so fest zugebissen zu haben.

„Ach, zeig mal her.“ Sie riss seine Hand an sich, um die Verletzung zu untersuchen, die sie ihm zugefügt hatte. „Du bist vielleicht ein Jammerlappen. Das blutet ja nicht mal.“

„Hat aber nicht viel gefehlt.“ Colin entzog ihr seine Hand und drückte auf der geröteten Stelle herum, als wollte er das Blut irgendwie herausquetschen. „Was bist du überhaupt für ein Dienstmädchen?“

„Ein besonderes.“

„Besonders verrückt vielleicht. Seid ihr hier alle so? Dann stimmt es wohl doch, was mein Vater sagt.“

„Du solltest besser zu deinen Leuten gehen. Sonst verrätst du mit deinem Gejammer noch uns beide.“

Seufzend kroch Colin aus dem Gebüsch hervor und warf einen Blick hinauf zur Burg. Joan wandte ihm den Rücken zu und ging zurück zum Wasser.

„Eins muss ich wohl zugeben …“ Colin kam neben sie und tunkte seinen Finger ins kühle Wasser. „Für ein Mädchen kannst du echt fest zubeißen.“

„Und?“

„Bogenschießen kannst du auch gut“, murrte er und sah sich dabei um, als fürchtete er, jemand könnte hören, wie er zugab, dass ein Mädchen in etwas besser war als er.

Joan lächelte überlegen. „Wie schön, dass du das jetzt endlich erkannt hast.“ Sie reichte ihm ihre Hand. „Freunde?“

Colin stellte sich hin, setzte ein schiefes Lächeln auf und legte seine Hand in ihre. Eine Weile standen sie einfach nur da und schauten dem Fluss zu, der plätschernd feine Wellen in ihre Richtung spülte. Joan genoss die Zeit mit Colin. Viel zu selten kamen andere Kinder nach Eilean Donan Castle. Heimlich beobachtete sie manchmal die Jungen und Mädchen der Pächter, wenn diese bei der Ernte auf den Feldern von Dornie halfen. Doch mit ihnen reden durfte sie nicht. Sie waren nicht von ihrem Stand, und das wurde ihr immer wieder eingebläut, auch wenn sie selbst keinen Unterschied zwischen ihnen und sich machte.

„Warum bist du eigentlich so ungern unter vielen Menschen?“, durchbrach Joan das Schweigen. „Dein Vater zwingt dich doch nicht etwa, irgendwelche Sachen zu tragen, die du nicht magst, oder?“

Unwillkürlich schaute er an sich hinunter. Sein Hemd war einfach geschnitten, darüber trug er ein rot-schwarzes brat –ein traditionelles rechteckiges Tuch, das (in seinem Fall) an der linken Schulter mit einer eher schlichten Silberbrosche zusammengehalten wurde.

„Das ist nicht das Problem“, antwortete er kopfschüttelnd.

„Sondern?“

„Die wollen, dass ich immer brav neben meinem Vater stehe. Heute will er wohl mit deinem Herrn verhandeln.“

„Worüber verhandeln?“ Joan ahnte bereits, dass es dabei um die Burg ging. Eigentlich ging es immer um sie.

„Ach, dies und das eben. Was Clan-Chiefs halt so machen.“

„Dein Vater ist einer der Chiefs?“ Joan blieb diese Frage fast im Halse stecken. Sie hatte ihn für den Sohn irgendeines Clanzugehörigen gehalten. Auf dem Weihnachtsfest im letzten Jahr war er jedenfalls nicht gewesen. Und sie konnte sich auch nicht daran erinnern, Colin auf irgendeiner anderen Gesellschaft schon einmal gesehen zu haben. An seiner Kleidung hatte sie zwar erkannt, dass er nicht unbedingt unbedeutend war, allerdings war sie mit den Traditionen einzelner Clans nicht so vertraut.

Colin nickte lang anhaltend, dann streckte er die Schultern durch. „Mein Vater ist Angus MacDonell.“

Joan stockte der Atem. Sie wusste nichts mehr zu sagen. Über keinen anderen Clan hatte sie Schlechteres gehört als über die MacDonells. Laut ihrem Vater ließen sie sich nichts sagen, hielten sich an keinerlei Regeln oder Absprachen. Ständig legten sie sich mit den englischen Soldaten an und brachten damit den Ruf der gesamten Highlander in Gefahr. Oft genug hatten ihr Lady Bridget und Matthew von Angus und seinen Männern erzählt. Sie hatten kein Benehmen und kannten keine Skrupel. Unerhört, dass ihr Vater diesen Clan überhaupt auf die Burg eingeladen hatte.

„Du solltest jetzt gehen“, sagte Joan, nachdem sie ihre Stimme wiedergefunden hatte.

„Aber warum denn?“

„Weil es besser so ist!“ Wenn ihr Vater rausbekommen würde, dass sie sich mit dem Sohn dieses ungesitteten Highlanders abgab, wäre er zu Recht wütend auf sie. Schließlich war es Angus MacDonell, der es wie so viele andere, seit sie denken konnte, auf ihr Zuhause abgesehen hatte.

Colin kniff verwirrt die Augen zusammen. „Aber …“

„Nun verschwinde schon!“ Sie verpasste ihm einen Schubs, und er fiel rücklings auf die Steine. Anstatt Verwunderung stand nun Zorn in seinem Gesicht. „Du hast sie ja nicht alle“, schrie er. „Geh zurück in deinen Stall, Mist schaufeln.“ Er richtete sich auf und drehte ihr den Rücken zu, die Hände zu Fäusten geballt. „Das mach ich“, rief sie ihm trotzig nach, aber ihre Stimme brach ab. Sie haderte mit sich, weil sie ihn eigentlich gemocht hatte. Sie hatte ihn nur weggeschickt, weil sie glaubte, dass es von ihr erwartet wurde, so mit einem MacDonell umzugehen. Jetzt war es zu spät, ihn zurückzuhalten. Colin sah sich nicht einmal mehr nach ihr um. Schnurstracks ging er den kleinen Pfad zur Burg hinauf, über den sie zusammen ans Ufer gekommen waren. Joan schaute ihm wehmütig hinterher, bis er nicht mehr zu sehen war. Sie spürte einen heftigen Stich im Herzen. Unmerklich schüttelte sie sich, rief sich ins Gedächtnis, mit wem sie den Morgen verbracht hatte. Colin war ein MacDonell – ein Feind ihres Clans! Sicher hatte sie das Richtige getan.

Kapitel zwei

Eilean Donan Castle, 1613