Die Geigerin - Silke Heimes - E-Book

Die Geigerin E-Book

Silke Heimes

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Beschreibung

»Ich spiele. Das ist alles. Über die Gründe denke ich nicht nach. Sie denken ja auch nicht darüber nach, ob es nötig ist, zu atmen.«
Nachdem die Geigerin Simone ein schwerer Schicksalsschlag trifft, wegen dem sie nicht mehr Geige spielen kann, bricht für sie eine Welt zusammen, eine Welt, in der Musik ALLES bedeutet. Sie hört Töne, die sich zu Musik entwickeln, die nur sie hören kann, und verbindet diese mit Farben, die nur sie wahrnehmen kann.
Begleiten Sie Simone in eine unzuverlässige und zugleich melodische und farbige Welt, in der Ereignisse von fragwürdiger Zufälligkeit zu einem symphonischen Ende führen.

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Silke Heimes

 

 

Die Geigerin

 

 

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © by Steve nach Motiven, 2023 

Korrektorat: Bärenklau Exklusiv

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

10 

11 

12 

13 

14 

15 

16 

17 

18 

19 

20 

21 

22 

23 

24 

25 

26 

27 

28 

29 

30 

31 

32 

33 

34 

35 

36 

37 

38 

39 

40 

41 

42 

43 

44 

Folgende Bände sind von Silke Heimes ebenfalls erhältlich: 

 

Das Buch

 

 

»Ich spiele. Das ist alles. Über die Gründe denke ich nicht nach. Sie denken ja auch nicht darüber nach, ob es nötig ist, zu atmen.«

Nachdem die Geigerin Simone ein schwerer Schicksalsschlag trifft, wegen dem sie nicht mehr Geige spielen kann, bricht für sie eine Welt zusammen, eine Welt, in der Musik ALLES bedeutet. Sie hört Töne, die sich zu Musik entwickeln, die nur sie hören kann, und verbindet diese mit Farben, die nur sie wahrnehmen kann.

Begleiten Sie Simone in eine unzuverlässige und zugleich melodische und farbige Welt, in der Ereignisse von fragwürdiger Zufälligkeit zu einem symphonischen Ende führen.

 

 

***

 

 

1

 

 

Ein Film. Immergleiche Bilder. Schling, der sie nach dem Konzert anspricht, ihr eine Solokarriere als Geigerin in Aussicht stellt, Städtenamen wie Mailand, London und New York fallen lässt. Simone, die zuversichtlich seine Hand drückt und in der Damentoilette der Oper ihrem Spiegelbild zulächelt.

Später die Wohnung, in der sie mit einer Flasche Rotwein durchs Zimmer rennt, Boris übermütig Fang mich doch zuruft und über die Lehne des roten Sofas klettert. Dann der Sturz. Ihre Hände, die den Flaschenhals umklammern. Der Reflex, sie auszustrecken, sich auf dem Boden abzustützen. Schmerz, Blut und Boris, der Mach kein Scheiß schreit.

Die Mühe zu atmen. Wie Simone auf die Seite fällt, sich krümmt. Handtücher, die als blutige Lappen um ihre Hände hängen. Ein Arzt, der etwas spritzt. Aus, vorbei. Das Geigen, alles.

Zwei Männer, die Simone auf eine Trage legen. Eine weitere Spritze. Dämmerzustand.

Später jemand, der sie entkleidet. Im Rücken kaltes Metall. Eine Männerstimme, die sagt: Suchen Sie sich einen schönen Traum aus.

 

 

 

2

 

 

Später, viel später, das rosige Gesicht einer Krankenschwester. »Die Ärzte haben vier Stunden operiert«, sagt sie. Simone fragt nicht. Sie weiß, dass sie nie wieder geigen wird.

Der Professor kommt. »Ein ganz normaler Reflex«, sagt er, »man hält fest, statt loszulassen, das geht nicht über die Ratio, das geht über Nervenbahnen«, sagt er, der Simone kennt, sie schon spielen gehört hat. Er erklärt, wie er sich um ihre Hände bemüht hat, zeigt ihr Bilder der zerschnittenen und der operierten Hände. Die Welt müsste stillstehen, denkt Simone.

»Äußerlich werden die Hände gut verheilen«, sagt der Professor. »In ein paar Jahren wird man die Narben kaum noch sehen. Was allerdings die Nerven angeht …« Simone spürt sein Bedauern, aber die Worte erreichen sie nicht, haben nichts mit ihr zu tun.

»Mit dem Geigen wird es wohl vorbei sein«, sagt der Professor und wirkt müde. Vielleicht empfindet er Simones Hände als persönliche Niederlage. »Wenn ich etwas für Sie tun kann …« Simone kommt es vor, als läge ihr Leben einen Halbton daneben. So ist es, denkt sie, und so wird es bleiben. 

»Ich lasse Sie jetzt alleine«, sagt der Professor. »Wenn Sie etwas brauchen, klingeln Sie.« Simone nickt nicht einmal.

Sie bekommt Schmerzmittel. In den Medikamentennebel hinein Bilder des Unfalls, die Gewissheit, nie wieder zu geigen. Sobald die Wirkung der Medikamente nachlässt, das Bedürfnis zu schreien.

Simone beißt in die Bettdecke, bis die Kiefer wehtun. In den Schmerz über den Verlust der Karriere mischt sich jener über den Verlust der Eltern.

Nach dem Tod der Eltern hatte Simone nur noch verbissener gegeigt, wollte nicht wahrhaben, dass die Eltern durch einen von einem Betrunkenen verursachten Unfall ums Leben gekommen waren. Sie hatte Albträume, damals, und im Krankenhaus wieder.

Sie kann nicht vergessen. Die Schlaflosigkeit wacht über ihre Wunden und verhindert, dass sie vernarben. Sie hat gelesen, dass dauerhafter Schlafentzug zum Tod führt. Ihr würde es genügen, wenn die Schlaflosigkeit jenen Bereich des Gehirns, in dem die Erinnerungen gespeichert sind, auslöschen würde.

Im Krankenhaus scheint man an hoffnungslose Fälle gewöhnt zu sein. Hin und wieder kommt jemand, der mit Simone reden will. Dann blickt sie zur Wand. Boris’ Besuche bereiten ihr regelrecht Übelkeit. Seine Hände sind in Ordnung, er kann weiter geigen, einen Weg gehen, der ihrer hätte sein können. Sie hasst alle, die vor dem Bett stehen und nach dem Besuch ihr Leben fortführen, als sei nichts passiert.

 

 

 

3

 

 

Drei Wochen nach dem Unfall wird Simone entlassen. Ihre Hände und Unterarme sind bis zu den Ellenbogen in Gips, von den Fingern zu den Handgelenken hat man Fäden gespannt, die verhindern sollen, dass die Sehnennähte reißen.

Täglich kommt ein ambulanter Dienst, der Simone beim Waschen und Ankleiden hilft. Mittags bekommt sie Essen auf Rädern, das in seiner Konsistenz immer gleich ist und nach Plastik schmeckt. Nachmittags geht sie zur Krankengymnastik.

Solange die Arme in Gips sind und die Finger an den Schnüren hängen, weiß die Krankengymnastin nichts mit Simone anzufangen, versucht Ellenbogen und Schultergelenke beweglich zu halten, zeigt ihr Übungen zur Kräftigung der Rückenmuskulatur, die Simone zu Hause ausführen soll, was sie nicht macht.

Nach sechs Wochen wird der Gips entfernt. Zwei erschreckend dünne Hände und Unterarme kommen zum Vorschein. Hände und Arme, die Simone nicht als ihre erkennt. Die Krankengymnastin weist sie an, die Beweglichkeit der Finger zu trainieren. Simone weigert sich.

Die Übungen werden nicht dazu führen, dass sie jemals wieder präzise Geige spielen wird, und etwas anderes will sie nicht. Zuweilen stehen ihr die Tränen in den Augen. Dann verzichtet die Krankengymnastin auf die Übungen und knetet Simones Finger.

»Sie sind zu jung, den Rest Ihrer Tage als Invalide zu verbringen«, sagt die Krankengymnastin und legt einen schrecklichen Optimismus an den Tag. »Wenn ich nicht mehr arbeiten könnte, würde ich Jura studieren«, sagt sie, und Simone überlegt die Praxis zu wechseln, sich eine weniger hoffnungsfrohe Therapeutin zu suchen, doch ihr fehlt die Energie.

»Ich würde lesen«, sagt die Krankengymnastin, während sie Simones Hände walkt. »So ein Unfall ist doch auch eine Chance.«

Simone sagt »Guten Tag« und »Auf Wiedersehen«. Die Zettel mit Adressen von Selbsthilfegruppen, die ihr die Krankengymnastin gibt, steckt sie in die Hosentaschen, aus denen sie nach der Wäsche zerfasert und unlesbar wieder auftauchen.

Boris ruft täglich an. Simone lässt ihn mit dem Anrufbeantworter sprechen. Es hat keinen Sinn, mit ihm zu reden, er sagt ohnehin immer das Gleiche. »Warum lässt du dir nicht helfen?« »Warum lässt du niemanden an dich heran?« Immer dieselben Vorwürfe, getarnt als Fragen. Meist folgen Grüße von Monika und Lars, Barbara und Sven. Jeden Tag fügt Boris ein neues Namenspaar hinzu, eine endlose Reihe von Namen, sogar verhasste Kollegen lassen grüßen.

Zuweilen findet Boris sich vor der Tür der Wohnung ein. Zuerst klingelt, dann klopft er, setzt sich schließlich auf die Treppe und spricht mit Simone, als gebe es keine Tür, als säßen sie auf dem roten Sofa, auf dem sie oft gesessen und manchmal sogar miteinander geschlafen haben.

Boris führt lange Selbstgespräche im Treppenhaus. An manchen Tagen, an sonnigen etwa, streitet er ab, mit dem Unfall etwas zu tun zu haben, wohingegen er sich, an regnerischen Tagen möglicherweise, in Selbstvorwürfen ergeht. »Gib mir eine Chance!«, ruft er an diesen Tagen. »Gib uns eine Chance!« Dann hat seine Stimme einen hellen Klang. Grashüpfergrün.

Meist bleibt er eine halbe Stunde. Nachdem er eine Weile auf der Treppe gesessen hat, springt er auf, rennt ein paar Stufen nach oben, hält inne und hüpft die Stufen wieder nach unten. Dabei branden seine Worte wie Wellen an die Tür. »Liegt dir nichts an mir?«, schreit er. »Vier Jahre, die wirft man nicht einfach weg!«

Zwischendurch verlegt er sich aufs Flehen. »Vergib mir! Ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen«, ruft er dann unmittelbar vor der Tür, als erhielten seine Worte dadurch mehr Gewicht.

Zu anderen Zeiten flucht er: »Ich weiß, dass du mich verantwortlich machst. Das ist ungerecht!« Er schreit, bis er heiser ist, manchmal weint er.

Eine Zeit lang hört Simone ihm zu, dann ist sie seiner endlosen, gegen die Tür gesprochenen Monologe überdrüssig. Obwohl sie weiß, dass es Unsinn ist, nimmt sie es ihm übel, dass er weiterspielen kann, während für sie alles vorbei ist.

 

 

 

4

 

 

Das Einzige, was Simone nach ihrer Entlassung liest, ist die Tageszeitung. Sie stürzt sich auf die absonderlichsten Nachrichten.

An einem Tag liest sie einen Artikel über das Fliegenhirn. Ein Experte hat durch Ausschalten bestimmter Gene einer einzelnen Region im Gehirn von Taufliegenmännchen das Balzverhalten außer Betrieb gesetzt. Die sechsstufige Choreographie der Fliegenbalz, von der Wahrnehmung des weiblichen Duftes bis hin zur Kopulation, ist in der Aktivität von nur sechzig Nervenzellen festgelegt. Sechzig Zellen im Hirn der männlichen Taufliege, die über den Fortbestand der Spezies entscheiden. Kein Wort über die Gebärmütter der Taufliegenweibchen, ohne die auch die sechzig Hirnzellen des Männchens nichts auszurichten vermögen.

Am nächsten Tag liest sie einen Artikel über Sonnenwinde. Imaginierte Teilchenschauer, die auf die Erde prasseln. Geisterhafte, masselose Neutrinos, die den menschlichen Körper in jedem Augenblick durchdringen. Und während Simone liest, spürt sie die feinen Nadelstiche der Neutrinos.

In den Nächten träumt sie von großen Hühnern, die außerhalb des Universums weitere Universen in Eiform ausbrüten. Ihre Gedanken beginnen zu leuchten, erst vereinzelt, dann zahlreicher, bis alle Gedanken wie farbige Schleier in ihrem Kopf wirbeln, eine Eruption, die die äußeren Schichten der Sonne aufwühlt und Teilchenwolken ins All schleudert.

---ENDE DER LESEPROBE---