Die Geliebte des Herzogs: Die DeWinter-Highland-Saga - Erster Roman - Constance O'Banyon - E-Book
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Die Geliebte des Herzogs: Die DeWinter-Highland-Saga - Erster Roman E-Book

Constance O'Banyon

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Beschreibung

Sie will ihn hassen – aber seine Liebe ist stärker als ihr Zorn: „Die Geliebte des Herzogs“ von Constance O‘Banyon jetzt als eBook bei venusbooks. Endlich Frieden! Die Welt atmet auf, als die britische Armee 1815 siegreich aus der Schlacht bei Waterloo hervorgeht. Nur einer jungen Dame ist nicht nach Feiern zumute: Kassidy Maragon trauert um ihre Schwester, die im Kindbett gestorben ist. Ihr Zorn richtet sich gegen den vermeintlichen Vater, den Duke of Ravenworth, der Abigail entehrt haben soll. Kassidy reist zu seiner Burg, um den Schuft zur Verantwortung zu ziehen – und erlebt eine Überraschung: Vor ihr steht der Mann, den sie vor vielen Jahren als attraktiven Offizier Raile DeWinter kennenlernte und nie vergessen konnte. Doch nun darf sie nur Verachtung für ihn empfinden! Sie ahnt nicht, welches gefährliche Geheimnis die Herzöge von Ravenworth hüten – und welche tiefen Gefühle Raile für sie hegt … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Das Romance-Highlight „Die Geliebte des Herzogs“ von Constance O’Banyon, einer Königin des historischen Liebesromans. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 594

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Über dieses Buch:

Endlich Frieden! Die Welt atmet auf, als die britische Armee 1815 siegreich aus der Schlacht bei Waterloo hervorgeht. Nur einer jungen Dame ist nicht nach Feiern zumute: Kassidy Maragon trauert um ihre Schwester, die im Kindbett gestorben ist. Ihr Zorn richtet sich gegen den vermeintlichen Vater, den Duke of Ravenworth, der Abigail entehrt haben soll. Kassidy reist zu seiner Burg, um den Schuft zur Verantwortung zu ziehen – und erlebt eine Überraschung: Vor ihr steht der Mann, den sie vor vielen Jahren als attraktiven Offizier Raile DeWinter kennenlernte und nie vergessen konnte. Doch nun darf sie nur Verachtung für ihn empfinden! Sie ahnt nicht, welches gefährliche Geheimnis die Herzöge von Ravenworth hüten – und welche tiefen Gefühle Raile für sie hegt …

Über die Autorin:

Constance O’Banyon ist ein Pseudonym der amerikanischen Autorin Evelyn Gee, die 1939 in Texas geboren wurde und heute mit ihrer Familie in San Antonio lebt. Ihre historischen Liebesromane haben sich weltweit über acht Millionen Mal verkauft; 1996 wurde sie mit dem renommierten Romantic Times Career Achievement Award ausgezeichnet. Über ihre Arbeit sagt sie: »Ich liebe Geschichte – und ich liebe es, Geschichten zu erzählen. Manchmal glaube ich fast, schon einmal in einer anderen Zeit gelebt zu haben, denn wenn ich schreibe, fühle ich mich, als wäre ich wirklich dort gewesen.«

Bei venusbooks veröffentlichte Constance O’Banyon einen weiteren Roman, in dem es um die Frauen und Männer der DeWinter-Familie geht: Die Gefangene des Earls

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eBook-Neuausgabe Oktober 2017

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Dieses Buch trägt im amerikanischen Original den Titel Song of the Nightingale und erschien in Deutschland erstmals 1996 unter dem Titel Süß wie das Lied der Nachtigall bei Bastei Lübbe.

Copyright © der Originalausgabe 1992 by Constance O’Banyon

Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe 1996 by Gustav Lübbe Verlag GmbH, Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2017 by dotbooks GmbH, München

Copyright © der Lizenzausgabe 2017 venusbooks GmbH, München

Copyright © der aktuellen eBook-Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/stocker 1970, shutterstock/vso und shutterstock/Dark Bird

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-95885-590-8

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des venusbooks-Verlags

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Besuchen Sie uns im Internet:

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Constance O’Banyon

Die Geliebte des Herzogs

Roman

Aus dem Englischen von Kerstin Winter

venusbooks

Für Bobbi Smith Walton. Wenn die Treue eines Freundes Wohlstand bedeutet, dann bin ich in der Tat reich.

Für meinen Ehemann Jim und meine Kinder Pain, Rick, Kim und Jason, die ihrer Mutter zugestehen, sich gegen Ende eines Romans vollkommen zu verwandeln, und die mich immer noch lieben, wenn es vorbei ist. Für Sharon, meine wunderbare Schwiegertochter, die so oft meine letzte Rettung ist.

Ganz besonderen Dank an ein reizendes kleines Mädchen, Kassidy Sullivan, die mir erlaubt hat, ihren wunderschönen schottischen Namen auszuleihen.

Das Lied der Nachtigall

Im zarten Hauch einer Sommerbrise hört man, wenn man aufmerksam lauscht, vielleicht das Lied der Nachtigall.

Und wenn wahre Liebe knospt, singt sie des Nachts von Leidenschaft. Laßt Euch verzaubern, Liebende, vom Lied der Nachtigall.

Voll inniger Sehnsucht, voller Melancholie singt sie ihr nächtliches Lied. Möge die Nacht noch harren und der drohende Winter noch warten.

Constance O’Banyon

Kapitel 1

London, 1810 Ein Haus in der Percy Street

Raile De Winter stieg die Stufen zu dem eleganten Stadthaus hinauf. Seine Gedanken kreisten um die Frage, warum sein Onkel, der Duke of Ravenworth, ihn so dringend sehen wollte. Sein Onkel war seit drei Jahren krank, und Raile hatte die Befürchtung, daß der alte Duke vielleicht im Sterben lag.

Im Haus reichte er seinen Hut dem Butler, der ihn mit dem üblichen starren Lächeln begrüßte.

»Haben Sie eine Ahnung, warum mein Onkel mich sprechen will, Larkin?« fragte Raile. Er wußte, daß dem Butler so gut wie nichts von dem entging, was im Hause seines Onkels geschah.

Der alte Mann zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Seine Gnaden vertraut sich mir nicht an.«

»Möchte er mich sofort sehen?«

»Mir wurde gesagt, ich solle Sie heraufbringen, sobald Sie eingetroffen sind. Der Doktor, Lord John und ... Ihre Stiefmutter sind bereits bei Seiner Gnaden.«

Railes Miene verhärtete sich. »Also ist der Clan bis auf meinen Bruder Hugh versammelt.«

»Ihr Halbbruder wird nicht erwartet«, bemerkte der Butler. Er wandte sich um, ging zur Treppe und stieg diese unverzüglich empor. Raile folgte ihm.

Als sie das Zimmer seines Onkels erreicht hatten, hielt Raile Larkin auf. »Sie können sich wieder Ihren Pflichten widmen. Ich brauche keine Ankündigung.«

Der Butler sah ihn einen kurzen Moment mißbilligend an, machte dann aber gehorsam kehrt und ging davon, während Raile die Tür öffnete und eintrat.

Der Duke hatte eine Aversion gegen Sonnenlicht, und so überraschte es Raile nicht, daß das Zimmer im Dunkeln lag. Das einzige Licht kam von einer Lampe auf dem Nachttisch, die nur das Bett beleuchtete, aber die Zimmerwinkel nicht erreichte. Obwohl es ein warmer Tag war, brannte in dem Kamin aus schwarzem Marmor ein Feuer, das den Raum unerträglich heiß und drückend machte und den Geruch von Krankheit verstärkte.

Niemand hatte Railes Eintreten bemerkt, und so blieb er im Dunkeln stehen, um die Menschen im Zimmer zu betrachten.

Seine Gnaden, William DeWinter, der Duke of Ravenworth, lag in dem massiven Bett und hatte sein gichtiges Bein auf einen Kissenstapel postiert. Sein Gesicht mit den tiefen Falten war vor Ärger verzerrt.

Dr. Worthington trat mit einem nervösen Blick auf den Duke zum Fußende des Bettes und begann, die Bandagen um das Bein zu wickeln. Als er versehentlich eine empfindliche Stelle berührte, schoß der Gehstock des Dukes vor, und dem Arzt gelang es gerade noch rechtzeitig, sich zu ducken und dem Schlag auszuweichen.

Railes Lippen zuckten. Nein, der Duke lag gewiß nicht im Sterben. Raile atmete erleichtert auf, denn er mochte den verbitterten alten Mann wirklich gern.

Raile wandte seine Aufmerksamkeit nun den anderen Personen im Raum zu. Sein Vetter John, der den Titel erben würde, war seit der Kindheit mit Raile befreundet. Er stand neben dem Bett und redete aufmunternd auf seinen Vater ein.

Nur widerwillig richtete Raile nun den Blick auf seine Stiefmutter Lavinia, die ein wenig abseits stand und die Szene scheinbar ungerührt beobachtete. Ihre Augen verrieten keinerlei Gefühl, als gingen sie die Ereignisse nichts an.

Raile hatte dieser Frau, die sein Vater nach dem Tod seiner richtigen Mutter geheiratet hatte, niemals nahegestanden. Er hatte jedoch auch wenig Möglichkeiten bekommen, seine Stiefmutter wirklich kennenzulernen. Sein Vater war kurz nach der Geburt von Hugh, seinem Halbbruder, gestorben, und Lavinia und ihr Sohn waren in London geblieben, während er, Raile, weiterhin auf dem Landsitz seines Onkels gelebt hatte, wo er nach dem Tod seiner Mutter ein neues Zuhause gefunden hatte.

Raile versuchte, Lavinia unvoreingenommen zu betrachten. Es war nicht schwer zu verstehen, warum sein Vater von ihr fasziniert gewesen war. Ihr dunkles Haar umrahmte in dicken Ringellocken ihr Gesicht, und ihre Figur war so schlank und geschmeidig wie die eines jungen Mädchens. Sie hatte ein ausdrucksvolles Gesicht, und in ihrer Jugend mußte sie eine außergewöhnliche Schönheit gewesen sein, denn sie war immer noch eine attraktive Frau. Die Härte in ihren Augen und die Art, wie Lavinia die Lippen schürzte, war jedoch etwas, das Raile abstieß.

Raile konnte Hugh nur bedauern. Sein Halbbruder hatte nie eine Chance bekommen, für sich selbst zu denken, denn Lavinia beherrschte sein Leben mit eiserner Hand. Hugh war zu einem unfähigen Schwächling herangewachsen, der sich jede ihrer Meinungen und Aussagen aneignete, als besäße er keinen eigenen Kopf. Raile mochte beide nicht besonders, tolerierte sie aber, da sie zu seiner Familie gehörten.

In diesem Augenblick stieß der Duke ein obszönes Schimpfwort aus und schleuderte dem Doktor ein Glas entgegen. Es verfehlte Dr. Worthingtons Kopf nur um Millimeter, spritzte ihn aber mit Wasser voll. Der arme Doktor tupfte sich das Gesicht mit seinem Hemdsärmel ab.

»Euer Gnaden, wie soll ich Ihre Gicht behandeln, wenn Sie ständig meine Methoden kritisieren? Wenn es mir gelungen ist, Ihre Schmerzen ein wenig zu lindern, mahnen Sie mich, ja nichts von meinen sogenannten ›neumodischen Wissenschaften‹ anzuwenden. Schlage ich Ihnen dann vor, Ihr Bein infeste Bandagen zu wickeln, dann beschuldigen Sie mich, mit veralteten Methoden zu arbeiten. Ich frage Sie, Euer Gnaden, was soll ich da noch tun?«

»Verschwinden Sie, Mann – gehen Sie raus!« brüllte der Duke. Vor Zorn traten die Adern an seinem Hals hervor. »Machen Sie, daß Sie rauskommen, Sie Quacksalber, und quälen Sie einen anderen Narren mit ihrer Hexenmedizin!«

Das ließ sich der Doktor kein zweites Mal sagen. Er rauschte an Raile vorbei, riß die Tür auf und verließ fluchtartig den Raum.

»Guten Morgen, Onkel«, sagte Raile vergnügt und trat ins Licht. »Wie ich sehe, hat Doktor Worthington immer noch unter dir zu leiden. Es wundert mich wirklich, daß er überhaupt noch kommt.«

Die Augen des Dukes schleuderten zornige Blitze. »Ich habe vor über drei Stunden nach dir geschickt. Du hast dir reichlich viel Zeit gelassen, herzukommen«, fuhr er Raile an.

»Ich habe mich auf den Weg gemacht, sobald ich deine Nachricht erhalten habe, Onkel. Offenbar war meine Sorge um deinen Gesundheitszustand unbegründet, wenn du immer noch in der Lage bist, den armen Doktor zu terrorisieren und zu quälen.«

Einen Augenblick lang leuchtete Respekt in den Augen des alten Mannes auf, doch seine Stimme war schroff. »Du bist der einzige, den ich niemals habe beherrschen können, Raile.«

Ihre Blicke trafen sich, und ein kleines Lächeln umspielte Railes Mundwinkel. »Das stimmt nicht ganz, Onkel. Wie Doktor Worthington gehorche ich. Du rufst mich, und ich eile zu dir, oder etwa nicht?«

Der Duke hob sich mühsam in eine sitzende Position. Plötzlich war seine Miene hart, und er schien seinen Ärger kaum unterdrücken zu können. »Die Umstände, die mich veranlaßt haben, dich heute herzubestellen, sind alles andere als angenehm, Raile«, grollte er.

»Was ist denn los?« fragte Raile ein wenig verwundert. »Gibt es etwas, das dich beunruhigt?«

»Ich habe dich immer wie einen Sohn behandelt. Ich habe dich in meinem Haus aufgenommen und dich mit meinem eigenen Sohn John aufgezogen, ist es nicht so?«

Seltsam berührt warf Raile John einen Blick zu, bevor er antwortete. »Das hast du getan, Onkel«, stimmte er zu. »Und dafür werde ich dir immer dankbar sein.«

»Und als du einundzwanzig Jahre alt geworden bist, habe ich dir da nicht alle Unterstützung gegeben, die du brauchtest, um dein eigenes Glück zu machen? Antworte mir!«

Raile trat näher an das Bett seines Onkels. »Ja, natürlich. Das hast du getan.«

»Und wie zahlst du mir meine Großzügigkeit zurück? Du bringst Schande über den alten und ehrenhaften Namen der DeWinters!« Er ballte eine Faust und schüttelte sie in Railes Richtung. »Glaub mir, Raile, das lasse ich mir nicht bieten, hörst du?«

Raile starrte seinen Onkel einen langen Augenblick an. »Ich wüßte von keinem Ereignis, bei dem ich Schande über unseren Namen gebracht haben soll«, sagte er schließlich mühsam beherrscht. Es fiel ihm schwer, seine eigene Verärgerung im Zaum zu halten. »Wenn man mich eines Vergehens beschuldigt, dann möge der Kläger vortreten!«

»Du bist in Begleitung von Lady Harriet Pinsworthy gesehen worden – ist es so oder nicht?« verlangte der Duke zu wissen.

Raile warf seiner Stiefmutter einen raschen Blick zu. Lavinia schien ganz damit beschäftigt, den Saum ihres Kleides zu inspizieren, doch Raile konnte sehen, daß sie hämisch grinste. Lavinia wußte sehr gut, daß es Hugh war, den man mit Lady Harriet erwischt hatte – ganz London wußte es, doch offensichtlich dachte sie nicht daran, seinen Onkel in dieser Hinsicht aufzuklären.

Wortlos wandte er sich wieder dem Duke zu.

Der alte Mann steigerte sich in seinen Zorn hinein. »Wie man mir mitteilte, hast du nicht nur öffentlich mit dieser schändlichen Verbindung geprahlt, sondern auch noch den Gatten der Frau in einem Duell herausgefordert.«

Das Gesicht des Dukes war vor Wut aschfahl geworden, und seine knotigen Hände zitterten, als er sie nun zu Fäusten ballte. Seine Stimme stieg fast schrill an. »Ein Duell, Raile, in dessen Verlauf du deinem Gegner feige in den Rücken geschossen hast! Es ist ein Wunder, daß Lord Pinsworthy überlebt hat! Hattest du denn ernsthaft geglaubt, daß diese Schande meiner Aufmerksamkeit entgehen würde, nur weil sie sich in irgendeinem unbedeutenden kleinen Dorf zugetragen hat? Hast du geglaubt, ich würde es zulassen, daß unser ehrenhafter Name mit widerwärtiger Feigheit in Verbindung gebracht wird?«

Railes Miene verriet nichts von dem Sturm der Gefühle, der in seinem Inneren tobte. Der Schmerz, daß sein Onkel ihn wahrhaftig einer solchen Tat für fähig hielt, war fast unerträglich. Doch seine Augen waren kalt und seine Stimme ungerührt, als er sprach. »Darf ich fragen, von wem du diese Information bekommen hast?«

Das Gesicht seines Onkels wurde noch eine Spur grauer. Er legte sich zurück und schloß die Augen. »Du kannst fragen, aber ich gedenke nicht, dir eine Antwort darauf zu geben.«

Raile warf John einen Blick zu, der eine fast unmerkliche Kopfbewegung in Lavinias Richtung machte. Raile wirbelte zu seiner Stiefmutter herum, die ihn nun mit unverhülltem Triumph in ihren kalten, blauen Augen ansah. Hatte sie seinen Onkel vorsätzlich angelogen? Aber warum?

Railes Stimme war immer noch beherrscht, doch das Funkeln seiner Augen verriet seinen Zorn. »Du warst es, die Onkel dies erzählt hat, Lavinia?«

Lavinia eilte an die Seite des Dukes, so daß das Bett sich zwischen ihr und Raile befand. »Ich wollte es nicht tun, aber dir diese Tat ungestraft durchgehen zu lassen, hätte unser aller Ruin bedeutet«, erwiderte sie mit bebender Stimme.

»Und was ist mit meinem Bruder?« fragte er grimmig.

»Warum ist er nicht anwesend, wenn meine Familie mich einer solchen Tat beschuldigt?«

»Ich beschuldige dich nicht, Raile«, warf John ein. Raile warf ihm einen überraschten. Blick zu. Es kam äußerst selten vor, daß John offen gegen seinen Vater Position bezog.

»Deine Ansicht ist hier nicht gefragt, John«, knurrte der Duke. »Du hältst den Mund, bis ich mich mit deinem Vetter auseinandergesetzt habe!«

Einen Augenblick sah es so aus, als wollte John protestieren, doch dann senkte er den Blick und trat einige Schritte zurück.

Raile begriff, daß von John keine weitere Unterstützung zu erwarten war. In dieser Angelegenheit stand er also allein da. Wie sollte er das Lügengeflecht zerreißen, das Lavinia gewoben hatte? »Du hast mir noch nicht geantwortet, Lavinia. Wo ist mein Bruder?« fragte er noch einmal.

»Mein Sohn ist in der Schule. Wie man es erwarten sollte, widmet er sich ganz seinen Studien.« Lavinia warf mit einer Kopfbewegung die Haare zurück und begegnete trotzig Railes verächtlichem Blick. »Ich habe deinem Onkel prophezeit, daß du die Tat abstreiten würdest«

In seinem Inneren kämpfte der Stolz mit dem Schmerz. »Nein«, erwiderte er schließlich. »Wenn mein Onkel etwas Derartiges glaubt, nur weil du es behauptet hast, Lavinia, dann werde ich es nicht abstreiten.«

Der Duke stützte sich auf einen Ellenbogen. »Natürlich glaube ich ihr. Im Gegensatz zur ersten Frau meines Bruders stammt Lavinia aus einer sehr alten und ehrwürdigen Familie. Ich habe deinen Vater damals oft genug gewarnt, daß aus der Verbindung mit der Tochter eines Handelsmannes nichts Gutes entstehen kann, aber er wollte ja nicht auf mich hören. Ich bin nur froh, daß er nicht mehr miterleben muß, wie der Sohn aus dieser Ehe Schande über seine Familie bringt!«

Voller Zorn trat Raile einen Schritt auf seinen Onkel zu, der erschrocken in die Kissen zurückfuhr. »Über mich kannst du sagen, was immer du willst, aber sprich kein schlechtes Wort mehr über meine Mutter! Als sie starb, war mein Vater ein gebrochener Mann! Diese erste Ehe war nicht nur von echter Liebe gekennzeichnet, sondern hat ihm auch einiges an Wohlstand eingebracht, und du weißt das sehr gut!«

Die Hand des Dukes bebte sichtlich. »Was ich weiß, ist vor allem eines, Raile De Winter. Ehrbarkeit kann man nicht kaufen. Oh, ich bin mir bewußt, daß du seit fünf Jahren für meinen Unterhalt aufkommst, aber ich habe dich nie darum gebeten, also erwarte von mir auch keine Dankbarkeit!«

»Ärgert dich das Wissen, lieber Onkel, daß es das Geld meiner Mutter ist, das die DeWinter-Familie davor bewahrt, möglicherweise Abstriche in ihrem augenblicklich angenehmen Lebensstil zu machen?«

Die Augen seines Onkels funkelten. »Behalte dein Geld, und sei verflucht, Raile!«

»Warum sollte ich? Ich will, daß du dich mit jedem Bissen, den du dir in den Mund schiebst, daran erinnerst, wessen Geld es möglich macht, daß du genug zu essen hast. Ich will, daß du daran denkst, wovon der Butler, der dich bedient, bezahlt wird. Du sollst niemals vergessen, daß es das Geld meiner Mutter ist, das ihr Vater durch Handel verdient und ihr vererbt hat! Nur durch dieses Geld kannst du so leben, wie du es jetzt tust.«

»Du bist eine Schande für uns alle!« fauchte der Duke, der nun außer sich war. »Verlaß dieses Haus, und komm niemals wieder, solange ich lebe. Und ich hoffe inständig, daß mein leiblicher Sohn nicht so dumm ist, dich nach meinem Tod wieder willkommen zu heißen!«

Der Zorn erstickte Raile fast, als er sich zum Gehen wandte. Er wünschte sich im Augenblick nichts mehr, als auf irgend etwas oder irgend jemanden einschlagen zu können.

Die Stimme seines Onkels folgte ihm, als er durch die Tür in den Korridor trat und die Treppe hinabging. »Verschwinde aus diesem Land. Du tust gut daran, niemals nach England zurückzukehren!«

Raile war schon an der Eingangstür, als John ihn einholte.

»Warte, Raile. Ich muß mit dir reden!«

Raile schüttelte die Hand ab, die der andere ihm auf die Schulter gelegt hatte, schob den verdatterten Butler beiseite und riß die Tür auf. Er hatte keinerlei Bedürfnis, mit jemandem zu reden. Er fühlte sich verraten und wollte nur allein sein.

Doch John ließ sich nicht beirren. Er griff nach Railes Arm und zog ihn herum. »Wir wissen doch beide, daß es Hugh war, der sich mit Lord Pinsworthy duelliert hat!«

Raile wandte den Blick zum Himmel und versuchte, seine Wut unter Kontrolle zu zwingen. »Ganz London weiß, daß Hugh dafür verantwortlich ist! Ich kann einfach nicht glauben, daß dein Vater nichts von dem Gerede gehört hat. Und noch weniger kann ich begreifen, wieso er es für gesichert hält, daß ich eine solche Tat begangen habe. Denkt er so gering von mir?«

»Er hört doch nur, was Lavinia ihn hören lassen will. Du weißt, wie sie sich stets um ihn bemüht, ihn um den Finger wickelt«, erwiderte John voller Bitterkeit. »Und Vater läßt sich nur allzu leicht von ihr täuschen.«

»Ich hätte gedacht, daß wenigstens Hugh mit der Wahrheit herausrückt.«

Johns Gesicht wirkte wie versteinert. »Verdammt, Raile, wann wirst du endlich begreifen, daß Hugh alles tut, was Lavinia ihm sagt?«

Raile zuckte zusammen. Er wollte lieber glauben, daß in seinem Halbbruder wenigstens noch ein Funken Anstand existierte. »Aber wenn er heute hiergewesen wäre, dann hätte er zugegeben, daß er derjenige war, der der Familie Schande gemacht hat. Mein Bruder hätte niemals zugelassen, daß ich einer Tat beschuldigt werde, die er begangen hat!«

»Ich fürchte doch, Raile. Denk nur einmal an die Zeit damals, als dieses Mädchen in Ravenworth ein uneheliches Kind geboren hat. Es war Hughs Baby, aber er hat allen Leuten erzählt, daß du es gezeugt hast. Du hast damals die Schuld auf dich genommen, wie du es heute wieder getan hast! Wann geht es endlich in deinen Kopf, daß Hugh deiner Loyalität nicht würdig ist?«

»Nicht bevor er es mir selbst beweist, John.«

»Hugh ist ein Bastard, Raile. Das ist er immer gewesen, und es wird sich nicht ändern!«

»Ich bin überzeugt, daß er von Lavinias Lügen nichts weiß.« Raile holte tief Luft. Hugh war immerhin sein Bruder. Das mußte doch auch ihm etwas bedeuten. »Nun, wie auch immer. Ich werde ohnehin verschwinden.«

»Das soll doch wohl nicht heißen, daß du Vaters Drohung ernst nimmst? Du willst England verlassen?«

»Ich spiele schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken, mir ein Offizierspatent zu kaufen. Der Vorfall heute hat mir nur bei der Entscheidung geholfen.«

John schob die Hände in die Taschen. »Ich kenne dich lange genug, um zu wissen, daß nichts, was ich sagen könnte, dich von deinem Vorhaben abbringen kann, wenn du dich einmal entschlossen hast. Ich wünschte nur ...«

»Es ist vorbei, John. Laß es gut sein. Paß du nur gut auf dich und meinen Onkel auf, denn ich kann ihm trotz allem nichts Böses wünschen. Setz dich einfach mit meinem Anwalt in Verbindung, wenn einer von euch etwas braucht. Er wird dafür sorgen, daß ihr es bekommt.«

John wirkte plötzlich peinlich berührt. »Ich bin froh, daß letztendlich herausgekommen ist, wer den Unterhalt der Familie bezahlt.«

»Dabei hatte ich gehofft, daß mein Onkel es niemals zu erfahren bräuchte. Woher weiß er es?«

»Letzten Sommer war ich einen Nachmittag beim Anwalt. Der Mann beschwor mich, daß Vater dringend seine Ausgaben einschränken müßte. Nach einigen Finten und Bitten und Flehen verriet er mir endlich, daß du es bist, der der Familie die finanzielle Unabhängigkeit ermöglicht. Ich sagte es Vater. Ich fand, daß er wissen sollte, was du seit Jahren für uns getan hast. Nun weiß es auch Lavinia.« John schüttelte verbittert seinen Kopf. »Wir haben dir so viel zu verdanken. Und was bieten wir dir dafür?«

Raile wollte nun nur noch fort. »Ihr schuldet mir nichts. Ich bin es, der dir und deinem Vater viel zu verdanken hat! Er hat mir damals ein neues Zuhause gegeben.«

»Warum hast du meinem Vater nicht die Wahrheit gesagt? Warum hast du ihm nicht erzählt, daß Hugh es war?«

Raile blickte einen Moment in den klaren Himmel, bevor er in Johns ernsthafte blaue Augen sah. »Warum hast du es ihm nicht gesagt?«

Ohne ein weiteres Wort wandte Raile sich um und ging davon.

Kapitel 2

Sechs Monate später Ein anderes Haus in der Percy Street

Die dreizehnjährige Kassidy Maragon stürmte die Stufen des eleganten Stadthauses ihrer Tante hinunter. Der Handabdruck ihres Bruders prangte noch deutlich auf ihrer Wange, und sie war so wütend, daß sie kaum auf die empörten Rufe der Kutscher achtete, die ihre Wagen bremsen mußten, als sie auf die andere Straßenseite zum Park hinüberstob.

Henry war ein verständnisloser Schuft. Seine kleine Tochter Trudy war am Boden zerstört gewesen, als sie hatte feststellen müssen, daß eine unachtsame Spielgefährtin ihre Lieblingspuppe kaputtgemacht hatte. Das Kind hatte zum Steinerweichen geschluchzt, doch anstatt sie in den Arm zu nehmen, hatte ihr Vater sie nur getadelt, daß sie nicht besser auf ihre Besitztümer aufgepaßt hatte. Als Strafe hatte sie Hausarrest bekommen: Sie durfte einen ganzen Monat lang nicht mehr draußen spielen.

Kassidy bereute nicht, daß sie das weinende Mädchen gegen Henrys strikten Befehl getröstet hatte. Sie hatte ihren Bruder ein gefühlloses Ungeheuer geschimpft, wofür er ihr eine saftige Ohrfeige verpaßt hatte.

Nun wischte Kassidy sich die Tränen von den Wangen und holte tief Luft. Noch einen Tag, dann hatte sie nie mehr unter Henrys strenger Herrschaft zu leiden. Ihre Eltern waren ein langes Jahr in Indien gewesen, und morgen würden sie endlich nach Hause zurückkehren.

Zähneknirschend war Henry der Bitte ihrer Eltern nachgekommen, seine Schwestern nach London zu bringen, um dort mit ihnen zusammenzutreffen. Es war Kassidys erster Besuch in London, und sie dachte nicht daran, sich von ihrem Bruder diese aufregende Reise verderben zu lassen. Und so vergaß sie auch vollkommen, daß sie sich gerade noch so sehr über Henry geärgert hatte, als sie einen farbenprächtig gekleideten Händler sah, der seine Waren in einem Singsang anpries.

Dann hörte sie jemanden ihren Namen rufen und wandte sich um. Ihre ältere Schwester Abigail stand auf der anderen Seite der Straße und winkte ihr. Kassidy bedeutete ihrer Schwester, mit ihr in den Park zu kommen.

Die zwei waren so unterschiedlich, wie Schwestern nur sein konnten. Abigail hatte blondes Haar und edle Gesichtszüge. Sie fiel niemals aus dem Rahmen, und ihr Benehmen war stets tadellos. Kassidy fand ihre Schwester soviel schöner als sich selbst, und obwohl sie ebenfalls blond war, hielt sie ihr Haar für langweilig und unattraktiv. Zudem wußte sie, daß sie sich alles andere als damenhaft benahm.

Obwohl die Schwestern sich im Wesen so unterschieden und Abigail drei Jahre älter war als Kassidy, waren sie die besten Freundinnen. Kassidy schrieb ihre enge Beziehung dem sanften Wesen ihrer Schwester zu. Abigail war stets freundlich und geduldig, während sie ausgesprochen aufbrausend war und eine Abneigung gegen Dummheit aller Art hatte.

»Hat er dir weh getan, Liebes?« fragte Abigail nun. Ihr hübsches Gesicht zeigte Sorgenfalten.

»Nein. Heute kann er mir nicht weh tun. Ich bin viel zu glücklich!«

»Henry ist wirklich das Ungeheuer, als das du ihn bezeichnet hast, und ich werde Mutter und Vater sagen, wie er dich mißhandelt hat.« Abigail zog Kassidys Kopf an ihre Schulter. »Er wird dich nie wieder schlagen, das verspreche ich dir. Er hat bloß Glück, daß Tante Mary das nicht mit angesehen hat. Sie hätte ihm schon anständig die Meinung gesagt.«

»Tante Mary hätte ihm die Ohrfeige wahrscheinlich zurückgegeben, und das weißt du!«

Beide Mädchen kicherten.

»Schau mal«, sagte Kassidy nun. Die Grobheit ihres Bruders war schon wieder vergessen. »Da oben im Baum! Ein Eichhörnchen!«

»Wir müssen zurück, Kassidy«, ermahnte Abigail sie. »Du weißt doch, daß Tante Mary Gäste zum Tee erwartet.«

»Was kümmert es mich? Es geht doch nur um Henrys alte Schwiegermutter und ihre ›reizenden‹ Töchter, die so affektiert sind, daß ich kaum ertragen kann, mich längere Zeit in demselben Raum mit ihnen aufzuhalten.«

»Das kann ja durchaus sein, aber wir sollten Tante Mary dennoch nicht enttäuschen. Sie hat sich wegen Henry sehr viel Mühe gemacht.«

»Sieh doch.« Kassidy zeigte auf den Baum über ihnen. »Das Eichhörnchen ist in das Loch im Stamm geschlüpft. Meinst du, es lebt das ganze Jahr über dort?«

Abigail stand mit ihren sechzehn Jahren über solchen kindischen Dingen. »Ich habe absolut keine Ahnung. Und ehrlich gesagt interessiere ich mich auch nicht für die Angewohnheiten eines Nagers.«

»Ich würde zu gerne wissen, was ein Eichhörnchen in London zu fressen findet.«

Abigail lächelte. Die Begeisterung ihrer Schwester für die Natur war auf jeden Fall ansteckend. »Onkel George kann es dir garantiert sagen.«

»Glaubst du, Mutter und Vater werden uns mit in die Drury Lane nehmen?« fragte Kassidy, griff über ihren Kopf und brach einen Zweig ab. »Ich möchte zu gerne die Blumenmädchen sehen, die dort Lavendel verkaufen, und die Limonade der Straßenhändler probieren.«

»Ich möchte lieber den Palast sehen. Onkel George hat mir schon versprochen, daß ich das Parlament besichtigen darf«, sagte Abigail, während sie anmutig einen Fuß vor den anderen setzte. »Und ganz besonders gerne würde ich mit einem der überdachten Boote die Themse hinabfahren.«

»Und ich will nach Ascot und dort die edlen Pferde bewundern«, erwiderte Kassidy. »Was glaubst du – werden Mutter und Vater wohl sofort aufs Land zurückkehren wollen?«

Abigail dachte einen Augenblick nach. »Eigentlich finde ich es nicht besonders wichtig, was wir machen. Hauptsache, wir sind endlich wieder zusammen«, sagte sie schließlich. »Sie haben mir schrecklich gefehlt.«

»Ja, und stell dir nur vor, Abigail. Wir müssen uns nie wieder von Henry herumkommandieren lassen. Ein Jahr kann entsetzlich lang sein, wenn man unter seiner strengen Herrschaft leben muß.«

Abigail nickte. »Henry kann nicht wirklich glücklich sein. Er lacht nie und kann es nicht leiden, wenn andere sich amüsieren. Mir tun unsere Nichten furchtbar leid. Warum, glaubst du, ist er wohl so?«

»Ich weiß nicht. Auf jeden Fall kommt er weder nach Vater noch nach Mutter«, erwiderte Kassidy nachdenklich. Dann, plötzlich, grinste sie schelmisch. »Vielleicht ist er von Zigeunern ausgesetzt worden.«

»Wahrscheinlich müßten wir Mitleid mit ihm haben«, meinte Abigail ernsthaft. »Patricia behandelt ihn schließlich nicht gerade nett.«

»Manchmal bist du einfach zu gut für diese Welt«, sagte Kassidy mit einem Stirnrunzeln. »Ehrlich gesagt habe ich keine Lust, mir über Henry oder seine Frau Gedanken zu machen. Ich will Spaß haben, und mit den beiden ist das einfach nicht möglich. Henry ist der Meinung, daß London vom Teufel errichtet wurde. Nichts paßt ihm – in seinen Augen ist hier alles schlecht. Wenn er unglücklich ist, dann hat er es auch verdient.«

Kassidy und Abigail tauschten einen Blick. »Wir aber nicht!« sagten sie einstimmig und brachen dann in Gelächter aus.

»Wir gehen jetzt besser ins Haus zurück, Kassidy.« Abigail blickte zur Sonne hinauf. »Du wirst dir deinen Teint ruinieren, wenn du noch länger draußen bleibst.«

»Geh du schon vor. Ich möchte noch ein bißchen bleiben. Aber ich verspreche dir, daß ich zum Tee zurück bin.«

Abigail sah sie einen Moment unschlüssig an. Es gehörte sich schließlich ganz und gar nicht, wenn Kassidy allein im Park herumspazierte. Doch als sie einige Kindermädchen mit ihren Schützlingen in der Nähe entdeckte, gab sie schließlich nach. »Also gut. Aber mach dir dein neues Kleid nicht dreckig. Du willst doch bestimmt tadellos aussehen, wenn wir Mutter und Vater wiedersehen.«

Kassidy sah Abigail hinterher, die die Straße überquerte und im Haus verschwand. Dann ließ sie sich auf eine Marmorbank am Teich fallen und betrachtete eine ganze Weile einen Goldfisch, der zwischen den Seerosen hin und her schwamm, während sie über ihre erste Reise nach London nachdachte. Zwar liebte sie das Leben auf dem Land, aber die Stadt hatte auch ihre Reize. In London war jeder Tag wie ein Abenteuer.

Kassidy war zu sehr in Gedanken verloren, um die beiden Jungen zu bemerken, die sich ihr von hinten genähert hatten. Sie sah sie erst, als einer von ihnen zwischen die Bank und den Teich trat.

»Guck mal, Eimer, was ham wir denn hier? Meinst du, das is’ eine von den reichen Ladys von der anderen Straßenseite? Vielleicht ist die ja zu vornehm, um sich mit Jungens wie uns abzugeben!«

Kassidy blinzelte und starrte dann die beiden frechen Burschen an, die Besen und runde Bürsten in einer Art Geschirr über ihren Schultern trugen. Ihre Kleider waren verdreckt und ihre Gesicht geschwärzt. Offenbar handelte es sich um Kaminkehrer.

Kassidy wandte ihnen demonstrativ den Rücken zu. Was bildeten die beiden sich ein, so mit ihr zu sprechen?

»He, guck’s dir an. Die ist zu fein, um mit uns zu plaudern«, rief der eine spöttisch.

»Richtig. Mit Ihnen werde ich bestimmt nicht reden. Lassen Sie mich in Ruhe«, erwiderte Kassidy hochnäsig.

»Komm schon, Hank«, sagte der andere nun. »Laß sie in Frieden. Sie hat dir doch nichts getan.«

Der Junge namens Hank grinste schmierig. »Ich würd’ ja gern wissen, ob die immer noch so große Töne spuckt, wenn ich sie in den Teich schmeiße.«

Kassidys Kopf wirbelte herum, und ihre grünen Augen funkelten den Jungen furchtlos an. »Das wagen Sie nicht!«

Natürlich konnte Hank jetzt erst recht nicht mehr kneifen. Er trat vor sie, packte sie am Arm und zerrte sie auf den Teich zu. »Soll’n wir mal wetten, Miss? Hm, soll’n wir?«

Kassidy trat nach ihm und traf sein Knie. Durch den Schmerz lockerte er seinen Griff ein wenig, und sie nutzte den Moment, um ihren Arm zu befreien. Gleichzeitig ballte sie die andere Faust und rammte sie dem Jungen in die Eingeweide. Der Bursche heulte vor Schmerz auf. Sein Kamerad konnte sich. das Grinsen nicht verkneifen.

»Jetzt hast du gekriegt, was du verdienst. Laß sie doch in Ruhe. Pa erwartet uns bestimmt schon!« Mit diesen Worten wandte Elmar sich um und marschierte ohne einen Blick zurück davon.

Doch Hank war nun erst richtig wütend. Er brauchte nur einen kurzen Moment, um sich wieder zu erholen, dann stürzte er sich voller Zorn auf Kassidy. Doch bevor der arme Kerl sie erreicht hatte, wurde er in die Luft gerissen, und seine Füße baumelten im Leeren. Verdattert starrte er auf einen Offizier der Armee Seiner Majestät, dessen Uniform die Insignien eines Colonels aufwies.

»Tja, mein Freund, hast du wirklich nichts Besseres zu tun, als hilflose kleine Mädchen zu quälen? Was für eine großartige Heldentat, sie in den Teich zu werfen.« Der Offizier betrachtete Kassidy. »Du bist mindestens doppelt so groß wie sie!«

Hank versuchte, sich freizustrampeln. »Die ist überhaupt nicht hilflos. ’ne richtige Hexe ist das!«

Raile warf dem Mädchen einen weiteren Blick zu. Es stand da mit trotzigem Blick und geballten Fäusten, und seine Augen schienen Blitze zu schleudern. Raile ließ den Jungen los. »Ja, jetzt begreife ich, was du meinst. Dennoch ... wenn du dich schlagen willst, dann tritt der Armee bei und bekämpfe die Franzosen!«

Plötzlich überzog Schamesröte das Gesicht des Jungen. »Tut mir leid, Sir«, sagte er, dann warf er Kassidy einen raschen Blick zu. »’tschuldigung, Miss.« Rasch sammelte er Besen und Bürsten zusammen und trollte sich, ohne einen weiteren Blick zurückzuwerfen.

»Hat er Ihnen weh getan?«

Kassidy musterte ihren Retter nun genauer und hielt den Atem an. Er war der umwerfendste Mann, den sie je in ihrem Leben gesehen hatte, Oh, wenn nur Abigail noch ein wenig länger geblieben wäre, um ihn auch kennenzulernen. Gewiß wäre der Mann von ihrer Schönheit bezaubert gewesen und hätte sich auf der Stelle in sie verliebt.

»Nein, er hat mir kein bißchen weh getan. Danke schön, Sir!«

Er lächelte, als er sich nun vor sie kniete. »Vielleicht haben Sie sich nicht weh getan, aber das hübsche weiße Kleid ist ziemlich verschmutzt.«

Kassidy blickte an ihrem Ärmel herab, sah die großen schwarzen Flecken und schüttelte entsetzt den Kopf. »Oh, nein. Tante Mary hat mir das Kleid gekauft. Sie hat mich extra ermahnt, es nicht schmutzig zu machen. Ich sollte es doch morgen tragen, wenn ich Mutter und Vater endlich wiedersehe.«

Raile zog ein Taschentuch aus seiner Uniform, tauchte es in den Fischteich und begann, den Ärmel damit abzutupfen. »Vielleicht kann ich ja helfen.« Und während Kassidy hoffnungsvoll zusah, rubbelte der Mann sanft an ihrem Ärmel.

Voller Erleichterung sah sie, wie die Flecken verblaßten. Am liebsten hätte sie ihren Retter umarmt. Aber das konnte sie natürlich nicht tun, und so strahlte sie ihn nur bewundernd an. Er war so freundlich und mitfühlend! Was für ein Glück, daß er im rechten Moment vorbeigekommen war!

»Na bitte«, sagte Raile DeWinter, als er sich wieder zu voller Größe aufrichtete. »Wenn Sie Ihrer Tante Mary nichts sagen, dann muß sie niemals von dem kleinen Zwischenfall erfahren.«

Er reichte ihr das Taschentuch. »Auf Ihrer Stirn ist auch noch ein Fleck, aber das machen Sie am besten selbst.«

Kassidy nahm das Taschentuch und rieb sich damit die Stirn, bis er zufrieden nickte. Als sie ihm sein Tuch zurückgeben wollte, schloß er ihre Hand mit seiner darum. »Behalten Sie es als ein Andenken«, sagte er mit Lachfältchen an den Augen. »Wer weiß, wann Sie es das nächste Mal brauchen.«

»Vielen Dank.« Kassidy beobachtete einen Moment lang fasziniert, wie der Wind sein dunkles Haar zerzauste, dann bewegte sie sich rückwärts auf den Spazierweg zu. »Ich muß jetzt gehen. Aber ich vergesse bestimmt nie, was Sie für mich getan haben.«

»Na, nun laufen Sie schon.«

Kassidy tat, was er gesagt hatte, wandte sich nach einigen Schritten aber noch einmal um. »Werde ich Sie jemals wiedersehen?«

Seine Augen wurden plötzlich dunkel und traurig. »Ich fürchte nicht. Ich verlasse England morgen.«

»Und Sie kämpfen gegen die Franzosen?«

»Ja.«

»Dann werd’ ich an Sie denken und dabei wissen, daß mir nichts passieren kann, weil Sie zwischen mir und Napoleon stehen«, erwiderte Kassidy mit kindlichem Ernst.

Raile konnte das Lächeln nicht unterdrücken. Dieses kleine Gör war ausgesprochen bezaubernd. »Ich werde mein Bestes geben, um Sie zu beschützen.«

»Gut. Ich werde Sie als meinen Ritter in Erinnerung behalten«, sagte sie.

Er verbeugte sich förmlich vor ihr, während er sich Mühe gab, eine unbewegte Miene beizubehalten. »Es ist mir eine Ehre, Ihr Ritter zu sein. Ich verspreche Ihnen, ich werde mich Ihres Vertrauens als würdig erweisen, denn ich bin mir meiner Pflicht voll bewußt. Aber nun muß ich Abschied nehmen.«

Kassidy lief schon über die Straße und machte erst auf der anderen Seite wieder halt. Als sie sich umwandte, war er fort.

Ein wenig traurig blickte sie auf das Taschentuch in ihrer Hand und sah erst jetzt, daß ein Buchstabe darauf eingestickt war. Mit einem Finger zeichnete sie das geschwungene »R« nach. Warum hatte sie ihn nur nicht nach seinem Namen gefragt?

Aber nun war es zu spät. Kassidy schob ihren Schatz in ihre Tasche und rannte die Treppe hinauf.

Sie freute sich schon darauf, Abigail von dem phantastischen Offizier zu berichten, der sie vor einem unfreiwilligem Bad im Teich bewahrt hatte. Ob sie wohl neidisch sein würde?

Kassidy saß beim Abendessen neben ihrer Tante Mary – so weit entfernt von Henry wie möglich. Henry hatte Kassidy zum Essen zu den Kindern schicken wollen, aber Tante Mary hatte sich durchsetzen können, daß ihre Nichten am Tisch der Erwachsenen essen durften. Dementsprechend schlecht war Henrys Laune.

Kassidy tauchte ihren Löffel in das Zitroneneis und erwiderte das Lächeln ihres Onkels George. Er war ein wunderbarer Mensch! Obwohl ihr Onkel keinen Titel trug, saß er im House of Commons und war, wie man ihr gesagt hatte, ein höchst wichtiger und einflußreicher Mann im Parlament. Doch auch wenn es sie mit einem gewissen Stolz erfüllte, war es ihr im Grunde genommen egal. Für sie reichte es, daß er ihr Onkel George war, den sie seit eh und je für seine Wärme und seinen Humor liebte.

Sie sah, wie ihr Onkel und ihre Tante einen zärtlichen Blick austauschten. Tante Mary war die Schwester ihrer Mutter. Sie behauptete stets, daß ihre Lieblingsnichte ganz nach ihr kam, aber Kassidy bezweifelte sehr, daß sie jemals zu einer solchen Schönheit wie Mary heranwachsen würde. Nun, immerhin hatten sie beide blondes Haar, und sie verstanden sich auf eine Art und Weise, die über das normale Nichte-Tante-Verhältnis hinausging.

Während sie einen weiteren Löffel Zitroneneis nahm, blickte sie verstohlen zu ihrem Bruder Henry und seiner Frau Patricia hinüber. Henry war in den Dreißigern, von großer und schlanker Statur, und obwohl er ihrem Vater äußerlich ähnelte, waren die beiden so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Henry war im gleichen Maße sauertöpfisch, wie ihr Vater liebenswert war.

»Ich halte es für unverantwortlich, Kinder an einem Erwachsenentisch essen zu lassen«, verkündete er nun nicht zum ersten Mal, wobei er Kassidy einen verärgerten Blick zuwarf. »Sie werden dadurch nur verzogen und sind irgendwann nicht mehr zu bändigen!«

Die blasse, farblose Patricia bekräftigte die Worte ihres Mannes mit einem eifrigen Nicken.

»Unsinn«, erwiderte Tante Mary und lächelte auf ihre Lieblingsnichte herab. »Kassidy ist aus dem Alter heraus. Sie wächst langsam zu einer wunderschönen jungen Lady heran. Und solange sie in meinem Haus ist, muß sie nicht mit den Kindern essen und bei Sonnenuntergang zu Bett gehen.«

Kassidy suchte Abigails Blick und sah, wie ihre Schwester grinste. Selbst Abigail genoß es, daß Henry diese Niederlage einstecken mußte. Er hätte es niemals gewagt, sich in Georges Haus gegen Tante Mary zu wenden.

Der Butler trat ein und lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Mit ernster Miene trat er zu Onkel George und reichte ihm einen Brief. »Verzeihung, Sir, daß ich Ihre Mahlzeit störe, aber der Bote sagte, der Brief sei dringend.«

George überflog die Nachricht, dann weiteten sich plötzlich seine Augen. Er warf seiner Frau einen beunruhigten Blick zu. »Wir sollten uns ins Arbeitszimmer zurückziehen«, schlug er vor.

Sofort erhoben sich alle und begannen, nacheinander den Raum zu verlassen. George griff nach der Hand seiner Frau, um sie zurückzuhalten, und wandte sich an die anderen. »Geht schon vor. Eure Tante und ich werden gleich nachkommen.«

Im Studierzimmer setzten sich Abigail und Kassidy auf das breite Ledersofa nebeneinander. Abigail nahm Kassidys Hand und drückte sie ängstlich. »Vielleicht ist die Nachricht von Mutter und Vater«, sagte sie. »Ob sie sich verspäten?«

»Höchstwahrscheinlich«, grummelte Henry. »Ich hoffe nur, daß es nicht zu lange dauert. Ich habe London satt!«

Kurz darauf betraten auch Onkel und Tante das Studierzimmer. Es war deutlich zu sehen, daß Tante Mary geweint hatte.

»Ist etwas mit Vater und Mutter, Onkel George?« fragte Kassidy mit dumpfer Vorahnung. »Kommen sie etwa später, als wir gedacht haben?«

Onkel Georges Augen wurden weich, als er sie ansah. »Ich fürchte, sie werden überhaupt nicht kommen«, sagte er traurig. »Wir haben gerade die Nachricht bekommen, daß das Schiff auf See gesunken ist. Leider ist es an mir, euch mitzuteilen, daß es keine Überlebenden gibt.«

Bleiernes Schweigen legte sich über das Zimmer. Kassidy schüttelte nur ungläubig den Kopf. Sie war wie betäubt und bemerkte nicht, daß ihr die Tränen die Wangen herabströmten. Sie konnte es nicht glauben – es tat einfach zu weh!

»Nein!« schrie sie plötzlich auf. »Das kann doch nicht sein! Nicht Mutter und Vater!«

Tante Mary trat zum Sofa, kniete sich nieder und legte ihre Arme um beide Mädchen. »Oh, meine Lieblinge! Was soll ich nur sagen?«

Schluchzend klammerten sich die beiden Schwestern aneinander, während Tante Mary, selbst wieder den Tränen nahe, leise tröstende Worte sprach.

Der Tag hatte so wunderbar begonnen und so tragisch geendet. Kassidy konnte es einfach nicht fassen. Sie sollte Vater und Mutter niemals wiedersehen dürfen? Ihr war, als sei damit auch ihr Leben vorbei ... Oder hatte sie nur einen entsetzlichen Alptraum?

Abigail war vollkommen zusammengebrochen; sie weinte unbeherrscht, und die Tränenströme schienen nicht enden zu wollen. Ihr Kummer war so tief, so erschreckend absolut, daß Kassidy plötzlich etwas begriff. Sie mußte stark sein! Sie mußte ihrer Schwester helfen! Die Sorge um Abigail gab ihr Kraft, und so gelang es ihr, ihre eigene Trauer ein wenig zurückzudrängen. Ihre Finger strichen zärtlich über das seidige Haar ihrer Schwester. »Komm, Liebes«, murmelte sie, »du und ich, wir haben uns. Wir werden das überstehen. Gemeinsam schaffen wir es, du wirst schon sehen!«

Henry kam auf die Füße und bemühte sich sichtlich um Fassung. Mit bebender Stimme sagte er: »Nun, es scheint, als wäre nun ich das Familienoberhaupt. Ich ... ich werde versuchen, alles so zu machen, wie Vater es von mir erwartet hätte.«

Kassidy und Abigail sahen sich verzweifelt an. Es kam also noch schlimmer. Sie hatten ihre Eltern verloren und sollten sich in Zukunft der Herrschaft eines lieblosen, kalten Mannes beugen ...

Plötzlich wußte Kassidy nicht mehr, ob sie und Abigail es wirklich durchstehen konnten.

An dem Tag, als die Kutsche London verließ, regnete es. Kassidy saß neben Abigail und hielt ihre Hand. Henry und Patricia saßen ihnen gegenüber, während die Kinder mit ihrer Amme in einer zweiten Kutsche folgten.

Henry hatte in der Tat den Platz als Oberhaupt der Familie eingenommen. Er hatte von seinem Vater den Titel des Viscount geerbt und nahm seine neue Verantwortung ausgesprochen ernst.

Tante Mary hatte ihn angefleht, Kassidy und Abigail bei ihr zu lassen, aber er hatte sich starrsinnig geweigert. Seiner Ansicht nach brauchten Mädchen in diesem Alter eine starke Hand und eine Person, die ständig ein Auge auf sie hatte.

Abigail legte ihren Kopf an Kassidys Schulter und flüsterte: »Ich weiß nicht, ob ich den Schmerz ertragen kann. Es tut so weh.«

»Du hast mich, Abigail. Und ich werde dich niemals im Stich lassen.«

»Ich glaube, ich würde es ohne dich nicht schaffen, Kassidy. Bitte hilf mir.«

Kassidy schloß die Augen und legte ihren Kopf in die Polster zurück. Es kam ihr vor, als hätte sie ihre Kindheit ein für allemal hinter sich gelassen. Abigail war so zart und so schwach, und sie würde zerbrechen, wenn niemand ihr in ihrem Kummer beistand. Und Abigail hatte nur noch einen Menschen auf der Welt, der das tun konnte.

Sie, Kassidy, mußte die Kraft für sie beide aufbringen.

Kapitel 3

Belgien, 17. Juni 1815 Waterloo

Düstere Gewitterwolken hatten sich vor die untergehende Sonne geschoben, so daß die Nacht schneller als gewöhnlich hereingebrochen war. Blitze zerrissen den tintenschwarzen Himmel und tauchten das Land für Sekundenbruchteile in grelles weißes Licht, auf das kurz darauf das ohrenbetäubende Krachen des Donners folgte.

Zu Tode erschöpfte und kampfesmüde britische Soldaten kauerten unter provisorischen Zelten in der Hoffnung, dort vor dem Regen, der mit Gewißheit niedergehen würde, Schutz zu finden. In der Ferne erklang sporadisch das Geräusch von Gewehrfeuer, wenn Soldaten beider Parteien aus ihrer Deckung eine Salve abfeuerten.

Ein Bündel gezackter Blitze jagte über den Himmel, und dann ging ein leichtes, seltsames Rauschen über das Land. Die ersten dicken Regentropfen fielen vom Himmel und begannen, das fruchtbare Ackerland zu tränken.

Colonel Raile De Winter zog seinen Mantel über den Kopf und bewegte sich auf die Biwakfeuer zu. Er war zwei Tage lang geritten, um zu seinen Männern zu gelangen, und auf der Strecke in zwei Gefechte hineingeraten. Er hatte genug!

Bei jedem Schritt hörte er das leise Klirren seiner Sporen. Er hätte sie längst abschnallen sollen, aber er war selbst dazu zu müde gewesen, als er vom Pferd gestiegen war. Er wollte nur noch zu seinem Zelt, zu seiner Pritsche, wollte nur noch schlafen.

Nun kam er an einer Gruppe Soldaten vorbei, die hastig zum Gruß aufsprangen.

»Rührt euch, Männer. Spart euch eure Kräfte für die morgige Schlacht auf«, wies Raile sie freundlich an.

Am Eingang seines Zeltes hielt er an, um einen Blick über das Lager und den Wald dahinter zu werfen. Die Kundschafter hatten berichtet, daß Napoleon Wellington dicht auf den Fersen war. Am nächsten Tag würden sie unweigerlich mit dem Feind zusammenstoßen. Und viele von den Soldaten, die in dieser Nacht hier lagerten, würden am nächsten Tag um dieselbe Zeit tot sein.

Der Sieg würde wie immer dem Stärkeren gehören, und Raile hatte wie die meisten Engländer größtes Vertrauen in Wellingtons Kriegsführung.

»Denen machen wir morgen die Hölle heiß, nicht wahr, Colonel?« rief einer der Soldaten, der eben noch versucht hatte, die Messingknöpfe seiner zerlumpten Uniform auf Hochglanz zu polieren.

Raile musterte den Mann aufmerksam. Er war noch sehr jung – kaum alt genug, um sich rasieren zu müssen. Seine Kleider waren durchnäßt, und wahrscheinlich fror er erbärmlich, doch in seinen Augen funkelte eine Begeisterung, um die Raile ihn nur beneiden konnte.

»Das tun wir, Soldat! Wenn wir davon nicht überzeugt wären, dann würden wir jetzt nicht hier sein!«

Das 34. Regiment der Leichten Dragoner stand seit dem Portugalfeldzug unter Railes Kommando, und er hatte jeden Grund, mit der Leistung seiner Männer zufrieden zu sein. Mochten ihre Uniformen auch zerlumpt und verdreckt, ihre Gesichter auch von Erschöpfung gezeichnet sein, so besaßen sie immer noch das gewisse innere Feuer, und Raile wußte, daß sie in der bevorstehenden Schlacht ihr Bestes geben würden.

»Denken Sie, daß es morgen vorbei ist, Sir?« fragte der junge Soldat in der Hoffnung, von seinem Befehlshaber aufmunternde Worte zu hören. »Können wir Bonaparte diesmal aufhalten?«

»Ich glaube genau wie General Wellington, daß wir Napoleon diesmal einen vernichtenden Schlag versetzen werden. Wenn die Preußen dazukommen, werden wir ganz sicher siegen«, antwortete Raile zuversichtlich.

Dann wandte er sich um und betrat sein Zelt, wo Oliver Stewart, sein Kammerdiener, der hier als Bursche fungierte, bereits auf ihn wartete.

Ein leichter Vorwurf lag in Olivers Begrüßung. »Ich hatte früher mit Ihnen gerechnet, Sir!«

»Ich wäre auch schon gegen Mittag hier eingetroffen, wenn wir nicht auf dem Weg durch feindliche Truppen aufgehalten worden wären«, antwortete Raile müde, während er seinen roten Uniformrock aufknöpfte. »In den Wäldern wimmelt es nur so von Franzosen.«

»Moment.« Oliver hastete vor und nahm Raile den Mantel ab. »Ich mache das schon für Sie, Sir. Sie sind ja bis auf die Knochen durchnäßt. Ganz sicher werden Sie sich den Tod holen!«

»Mach nicht soviel Getue«, sagte Raile nicht unfreundlich und ließ sich auf die Kante seiner Pritsche nieder, damit Oliver ihm die schlammigen Stiefel ausziehen konnte.

»Haben Sie wenigstens etwas gegessen, Colonel?«

»Danke, ich möchte nichts«, antwortete Raile, den die Erschöpfung plötzlich übermannte. »Ich will nur schlafen.«

Oliver musterte einen Moment die dunklen Ränder unter den Augen seines Herrn und nickte schließlich. »Ihre Stiefel müssen dringend poliert werden, Colonel. Sie möchten morgen doch sicherlich tadellos gekleidet in die Schlacht ziehen.«

Raile wand sich aus seinem Rock und ließ sich auf die Pritsche zurückfallen. »Geh du auch schlafen, Oliver«, sagte er gähnend. »Wir alle brauchen morgen unsere ganze Kraft.«

Oliver, ganz der ergebene Diener, nahm die Stiefel und die nassen Kleider, löschte die Lampe und zog sich zurück.

Raile schloß die Augen und wünschte sich, daß der Schlaf rasch kommen würde. Doch aus irgendeinem unerfindlichen Grund drangen ausgerechnet jetzt unerwünschte Erinnerungen an die Vergangenheit in sein Bewußtsein und verweigerten ihm die dringend benötigte Ruhe. Wenn er doch nur das Denken einfach hätte abschalten können!

Er atmete tief und gleichmäßig und versuchte, sich auf die bevorstehende Schlacht zu konzentrieren. Die Franzosen würden morgen all ihre verfügbaren Kräfte mobilisieren – das mußten sie, denn es war ihre letzte Chance.

Raile hatte genug vom Krieg – er wollte wieder nach England zurück. Wenn der Kampf vorbei war, würde er nach Hause zurückkehren und sich seiner Vergangenheit stellen.

Seit Monaten hatte er nicht mehr an sein Vaterland gedacht – zumindest nicht bewußt! Warum mußten ihn die schmerzvollen Erinnerungen jetzt heimsuchen? Vielleicht lag es daran, daß ihm zum ersten Mal bewußt geworden war, daß er sterben könnte, bevor er die Gelegenheit hatte, seine Ehre wiederherzustellen. Er wollte seinem Onkel beweisen, daß er unrecht gehabt hatte, ihn, Raile, zu verstoßen.

Voll Bitterkeit verzog er die Lippen. Oh, ja, er hatte nicht die Absicht, zu sterben, bevor er nicht seinen Namen von der Schande reingewaschen hatte.

Nicht zum ersten Mal kam ihm in den Sinn, wie unbedeutend sein Leben gewesen war, bevor er in den Krieg gezogen war, um unter Wellington zu dienen. So oft hatte er seitdem Menschen sterben sehen und selbst dem Tod ins Auge geblickt. Dies hatte ihn entscheidend verändert. In London hatte er die Nächte in den Armen schöner Frauen verbracht; die Tage waren mit Alkohol und Glücksspiel in Gesellschaft des Prinzen of Wales und seiner Günstlinge ausgefüllt gewesen.

Ja, sein früheres Leben hatte keinerlei Bedeutung mehr – es schien nicht mehr zu ihm zu gehören. Und während der Regen auf das lederne Zelt platschte, nickte Raile schließlich ein und fiel in einen traumlosen Schlaf, der seinem unruhigen Geist endlich ein wenig Frieden brachte.

***

Sonntag, 18.Juni

Es war fast Mittag, als der erste Schuß durch das Tal hallte.

Raile hob sein Fernglas, um die Position des Feindes auf dem offenen Feld zu studieren. Der gepflügte Boden war durch das Gewitter der vergangenen Nacht aufgeweicht; und die Alliierten hatten ziemliche Schwierigkeiten, ihre schwere Ausrüstung vorwärtszubringen. Die Kanonen waren zum Teil bis zu den Achsen in die Erde eingesunken, so daß die Soldaten sie nur mühsam drehen und auf den vorrückenden Feind richten konnten. Irgendwann waren die schweren Geschütze jedoch endlich in Position gebracht, geladen und feuerbereit.

Jedesmal, wenn eine Kanone gezündet wurde, blitzte grelles Feuer auf, und ein Donnerschlag hallte durchs Tal. Der beißende Gestank des Pulvers durchdrang die Luft. Rauchschwaden waberten träge über dem ausgedehnten Feld und lösten sich nur zögernd auf. Als das Kampfgetümmel heftiger wurde, vermischten sich die Schwefelwolken mit dem über dem Tal hängenden Nebel und verliehen dem Schlachtfeld das unheimliche, geisterhafte Aussehen einer Höllenszenerie. Bald war der Acker übersät mit Toten, Sterbenden und Verwundeten.

Raile nahm voll bitterer Ironie die sprießenden Kartoffeln und die Gerste wahr, die auf dem Acker gediehen – ein bißchen Wirklichkeit in einer Welt, in der der Wahnsinn herrschte; ein bißchen Wirklichkeit, das bald von den schweren Stiefeln der vorrückenden Armeen zertrampelt werden würde.

Er beobachtete, wie die französischen Streitkräfte sich sammelten, um über das offene Feld zu stürmen. Glaubten sie ernsthaft, sie könnten an diesem Tag siegen? Er hatte in genügend Schlachten gekämpft, um zu wissen, daß der Tod keine Nation bevorzugte, keine Loyalität ehrte, keinen noch so hehren Beweggrund respektierte. Alle tapferen Narren mußten am Ende erkennen, daß nur der Stärkere triumphierte. Und Gott allein wußte, wer der Stärkere war. Napoleons Strategie gegen Wellingtons Geschick – darauf lief es wohl im Endeffekt hinaus.

Seit vier Stunden tobte der Kampf nun schon, und keine der beiden Parteien hatte an Boden gewonnen. Napoleon schickte ständig Kolonnen von gewaltiger Stärke in die Schlacht, die die vorderen Reihen der Briten gefährlich ausdünnten.

Es war schon später Nachmittag, als Railes Aufmerksamkeit auf die französischen Infanteristen gelenkt wurde, die gegen Wellingtons Rechte marschierten. Ein grausamer Kampf entbrannte, in dessen Verlauf Wellington zurückgetrieben wurde.

Raile und seine Männer warteten mit gezogenen Säbeln auf die französischen Ulanen. Das Klirren und Rasseln der Säbel übertönte sogar den Kanonendonner, der immer wieder durch das Tal rollte. Dann hörte Raile jemanden rufen, daß die Preußen eingetroffen wären.

Gott, laß es wahr sein, betete Raile im stillen. Und in diesem Augenblick traf ihn eine feindliche Lanze an der Schulter und riß ihn von seinem Pferd.

Glühender Schmerz lähmte ihn für einen Augenblick. Dann schüttelte Raile den Kopf, um wieder klar zu werden, und sprang auf die Füße. Er sah, daß mehrere hundert Preußen zur Rechten auf das Schlachtfeld geströmt waren, doch dann bemerkte er, daß etwas nicht stimmte. Offenbar war der Befehlshaber gefallen, denn in den preußischen Reihen herrschte plötzlich Unruhe. Dann brach das Chaos aus, und schon begannen die ersten, sich in den Schutz der Wälder zu flüchten.

Raile schätzte rasch die Lage ab. Wenn die Preußen ihre Position nicht hielten, dann konnte der Feind durch die Reihen brechen und Wellingtons rechte Flanke, seine schwächste Stelle, angreifen.

Raile zögerte nicht. Er packte die Mähne seines Pferdes, schob den Fuß in den Steigbügel und schwang sich auf den Rücken des Tieres. Unter dem ohrenbetäubenden Getöse einer Kanone wendete er sein Pferd und stürmte in die Richtung, in der der Feind gegen die flüchtenden Preußen vorstieß.

Railes Männern war sein Manöver nicht entgangen. Das Donnern der Pferdehufe mischte sich mit dem Krachen der Kanonen, als sie sich ihm anschlossen und wagemutig hinter ihrem Colonel herstürmten. Die Sonne funkelte auf den gezogenen Säbeln, während sie auf die Franzosen zustoben.

Raile ließ sein Pferd weiterlaufen, beugte sich blitzschnell seitlich aus dem Sattel und riß im vollen Galopp die zu Boden gefallene Lanze mit der preußischen Flagge an sich. Ohne das Tempo zu verlangsamen, raste er in eine Mauer französischer Kavalleristen hinein. Ein Franzose, dessen Schwert bereits blutverschmiert war, startete einen Angriff auf ihn. Ohne nachzudenken, stieß Raile dem Feind die Lanze mitten durchs Herz.

Der Franzose fiel mit einem überraschten Gesichtsausdruck vornüber und anschließend vom Pferd zu Boden. Die blutbefleckte preußische Flagge ragte aus dem niedergemetzelten Körper wie ein Banner des Sieges.

Der Anblick ihrer Flagge, die aus einem getöteten Feind ragte, erfüllte die Preußen plötzlich mit neuem Mut. Erst wandten sich einige um, dann folgten andere, und schließlich rannten sie als geeinte Front den Hügel hinab, um sich mit frischem Elan erneut auf die Franzosen zu stürzen.

Bald schon entbrannte ein Mann-zu-Mann-Kampf, und Raile, inmitten des tobenden Pulks, feuerte sowohl Briten als auch Preußen an, den Feind endgültig und vereint zu vernichten.

Irgendwann traf eine Kugel sein Pferd, und es brach unter ihm zusammen, so daß Raile seinen Kampf zu Fuß fortführen mußte. Schweiß brannte ihm in den Augen, und er wußte nicht, ob er sein eigenes Blut oder das des Feindes schmeckte, aber es zählte ohnehin nicht. Railes Schwert mähte durch Fleisch und Knochen, bis er einen plötzlichen Schmerz spürte. Er blickte an sich herab und sah Blut aus einer klaffenden Wunde an seinem Oberschenkel fließen. Doch einen Moment später zwang er sich schon, den Schmerz zu ignorieren, und er schwang erneut den Säbel gegen jeden Franzosen, der in seine Nähe kam.

Zeit hatte keine Bedeutung mehr – das einzige, was zählte, war töten oder getötet werden.

Plötzlich explodierte neben Raile eine Kanonenkugel, und ein gewaltiger Schlag gegen seinen Kopf ließ ihn taumeln. Er sank auf die Knie, kam mühsam wieder auf die Füße und stolperte vorwärts. Dann, mit einem Mal, kam ihm der Boden entgegen, und Raile stürzte in eine tiefe Schwärze.

Er sah nicht mehr, daß die Männer einen schützenden Kreis um ihn bildeten und den Feind zurückschlugen. Er hörte nichts von den klagenden, unheimlichen Tönen der Hörner, die den französischen Rückzug ankündigten. Er merkte nichts von dem Tumult, der in den feindlichen Reihen ausbrach, erfuhr nicht mehr, daß das Blatt sich gewendet hatte und die Franzosen nun von Wellington zurückgedrängt wurden.

Raile kam wieder zu Bewußtsein, als ein paar Männer ihn aufhoben und ihn zum Lazarettzelt hinter den Linien trugen. Durch einen Schleier von Schmerz und Blut betrachtete er ein Land, das in ein Inferno verwandelt worden war und das noch sehr, sehr viele Jahre die Narben dieses Krieges tragen würde. Einen Moment lang fragte er sich, ob er nicht doch in der Hölle gelandet war.

Für die Franzosen hatte sich alle Hoffnung zerschlagen, und mit der Verzweiflung kam die Erkenntnis, daß ihr Kaiser eine vernichtende Niederlage erlitten hatte. Raile entdeckte französische Flaggen, die unter den Stiefeln der Soldaten auf dem Rückzug in den Boden gestampft wurden.

Nun erschien Oliver an seiner Seite. Er gab sich sichtlich Mühe, seine Sorge zu verbergen und seiner Stimme einen zuversichtlichen Tonfall zu verleihen. »Sie werden wieder auf die Beine kommen, Sir! Es ist bestimmt nur ein Kratzer.«

Oliver verschwieg seinem Herrn die Tatsache, daß dessen Gesicht eine blutige Masse war und daß die Wunden an Schulter und Schenkel viel zu stark bluteten.

Raile versuchte, sich aufzusetzen, doch der Schmerz war so stark, daß er kraftlos wieder zurückfiel. »Meine Männer?«

»Sieben tot, zwanzig verwundet. Sie haben Ihnen heute alle Ehre gemacht, Sir«, versicherte Oliver ihm. »Aber Sie dürfen nicht sprechen. Sie müssen still liegenbleiben, bis sich die Sanitäter um Ihre Wunden kümmern können – dann werden Sie im Handumdrehen wieder gesund und munter sein!«

Raile sog bebend die Luft ein. Er wußte, daß er schwer verwundet war, und Oliver wußte es genausogut.

»Haben wir gewonnen?« fragte er eindringlich.

»Allerdings, Colonel. Zwar habe ich gehört, daß die Garde Napoleons auf ihrem Posten geblieben ist, um den Rückzug ihres Kaisers zu decken, aber auch sie wird nicht mehr lange durchhalten können.«

»Bemerkenswert im Kampf, bemerkenswert in der Niederlage«, murmelte Ralle, der immer noch den Griff seines Säbels umklammert hielt. Dann glitt sein Blick wieder zu Oliver. Es kostete ihn große Mühe, zu sprechen. »Dieser heutige Tag bedeutet den endgültigen Niedergang des Korsen, Oliver. Davon wird er sich nicht mehr erholen.«

Raile blickte über das Schlachtfeld, das mit gefallenen Männern – Kameraden wie Feinde – und toten Pferden übersät war. »So viele Tote ..., es kommt mir so schrecklich sinnlos vor ...«

Die Männer legten ihn behutsam auf einen Karren, der Verwundete in das Feldlazarett bringen sollte. Oliver setzte sich neben seinen Herrn und hielt seinen Kopf, als das Gefährt über die zerfurchten Straßen rumpelte. Als der Schmerz unerträglich wurde, hüllte eine gnädige Ohnmacht Raile ein.

In den frühen Morgenstunden holte das Messer des Sanitätsoffiziers das Geschoß aus Railes Bein, doch die Kopfwunde sah übel aus. Der Arzt reinigte und verband sie, bevor er sich zu dem besorgten Oliver umwandte.

»Ich habe alles für ihn getan, was in meiner Macht steht«, sagte er, während er sich seine blutbeschmierten Hände an der Schürze abwischte. »Nun ist es an Gott, ob er gesund wird oder nicht.«

»Er ist sehr kräftig. Er wird es schaffen«, sagte Oliver zuversichtlich.

»Wenn ich ein Freund des Wettens wäre, würde ich mein Geld nicht darauf setzen. Die Kopfwunde ist schwer, und es steckt noch ein Splitter darin, den ich nicht zu entfernen wage, weil ich Angst habe, ich könnte das Gehirn verletzen. Selbst wenn er durch irgendein Wunder überlebt, kann es sein, daß er nie mehr aufwacht oder vielleicht erblindet.«

Oliver packte den Doktor am Arm. »Sie müssen ihn retten! Er ist ein außergewöhnlicher Mann, er ist tapfer und entschlossen. Er ist ein Held!«

Der Offizier dehnte seine verspannten Muskeln und blickte auf die lange Reihe von Pritschen, auf denen Verwundete und Sterbende lagen. »Jeder, den Sie hier sehen, ist ein Held, aber die meisten werden sterben. Und dieser hier, fürchte ich, auch.«

Den ganzen langen Tag und die folgende Nacht wachte Oliver am Bett des Colonels, während draußen vor dem Lazarettzelt die Männer des 34. Regiments im Regen auf Nachricht warteten, ob ihr befehlshabender Offizier leben oder sterben würde.