Die Geschichte des kleinen Guido - Jón Svensson - E-Book

Die Geschichte des kleinen Guido E-Book

Jón Svensson

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Beschreibung

"Es ist alles so merkwürdig im Leben dieses Knaben. Selten hat der Heiland so innig mit einem Kinde verkehrt wie mit dem kleinen Guido." Diese Aussage steht über dem Bericht des Autors über das Leben des jungen Guy de Fontgalland, den er 1924 in Paris kennenlernt und der bald darauf mit 11 Jahren stirbt, von vielen als Heiliger angesehen.ZUM AUTOR:Jón Stefán Sveinsson (1857 – 1944) war durch seine Nonni-Bücher einer der in Deutschland bekanntesten isländischen Schriftsteller. Er veröffentlichte seine Werke weltweit unter dem Namen Jón Svensson. Im Jahr 1870 verließ er Island. In Frankreich – nach dem deutsch-französischen Krieg - nahm er den katholischen Glauben an und trat in den Jesuitenorden ein. Seit 1906 schrieb er die 12 "Nonni-Bücher" über seine Jugend auf Island und sein späteres Leben und Wirken in Europa, USA und Japan in deutscher Sprache. Sie wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt. -

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Jón Svensson

Die Geschichte des kleinen Guido

Saga

I. Wie ich Guido zum ersten Male traf.

Als ich im Jahre 1924 in Paris weilte, wurde ich öfters eingeladen, in den vielen Schulen der grossen Stadt den Pariser Knaben und Mädchen Vorträge zu halten und Geschichten zu erzählen.

Ich folgte diesen Einladungen natürlich gerne, hatte grosse Freude daran, mitten unter der fröhlichen Jugend zu sein, und ich sah auch, dass sowohl die kleinen wie die grossen Kinder immer und überall spannende Geschichten ungemein gern hören.

Eines Tages erhielt ich einen Brief von dem Direktor des Aloisiuskollegs in der Franklinstrasse. Dieses Kolleg ist eine Lateinschule, ein grosses französisches Gymnasium.

Die Pariser nennen es Collège Saint Louis de Gonzague de la rue Franklin. Und da dieser Name etwas lang ist und die Franzosen die Neigung haben, alles kurz zu machen, nennen sie die Schule einfach Franklin. Das genügt ihnen.

Ich soll sicher den Gymnasiasten einen Vortrag halten, dachte ich, als ich den Brief sah. Ich öffnete ihn, und es war wirklich so. Die jungen Franzosen wollten Geschichten von mir hören. Sofort machte ich mich bereit, nach „Franklin“ zu fahren.

An der Porte de Versailles, wo meine Wohnung war, stieg ich in einen Eisenbahnzug. Denn ich hatte einen langen Weg durch die riesengrosse Stadt zu machen.

Der Zug sauste tief unter den Häusern durch finstere unterirdische Gänge dahin.

Nach einer halbstündigen Fahrt stieg ich aus. Ich war in der Nähe des Kollegs. Noch eine kurze Wanderung, und ich hatte das grosse, schöne Gymnasium erreicht.

Als ich vor der Eingangspforte stand, scholl mir ein fröhliches Lachen und Rufen entgegen.

Die vielen Zöglinge hatten gerade Pause und tollten wie wild in den Höfen der mächtigen Anstalt umher. „Das ist ja herrlich“, rief ich halblaut vor mich hin, „eine solche Menge junger Burschen und eine solch lustige Gesellschaft!“

Ich klingelte. Der Pförtner öffnete die Tür und führte mich hinein.

Sofort begab ich mich nach dem Gebäude, in dem der Direktor wohnte.

Der Weg dorthin lief quer über die Spielplätze. Ich musste also mitten durch die vielen spielenden Kinder gehen.

Ich hatte es nun freilich schon oft erfahren, wie klug und lebhaft die kleinen Pariser Knaben und Mädchen sind, wunderte mich aber doch jetzt darüber, dass sie so gar nicht schüchtern waren. Nun, vielleicht kam das auch daher, weil ich so tapfer auf sie zugeschritten bin und ihnen so entgegengelacht habe.

Kaum hatten mich die nächsten gesehen, da kamen sie auch schon auf mich zu. Wir grüssten uns gegenseitig, und gleich fing ein kurzes Gespräch zwischen uns an.

Jetzt wurden auch die vielen andern fröhlichen Spieler auf uns aufmerksam. Von allen Seiten stürmten sie herbei, und ein dichter Knäuel von freundlichen kleinen Gymnasiasten bildete sich um mich herum.

Es gab eine Menge zu fragen und zu antworten. Die Jungens wollten natürlich wissen, wer ich sei, und ich wollte sie ebenfalls alle kennen lernen.

Ein sehr geweckt dreinschauender Junge stellte mir seine Kameraden vor, einen nach dem andern.

Aber o weh! Ich bekam so viele verschiedene Namen zu hören, dass sie mir alle wieder aus meinem Kopf davongelaufen sind.

Nur einen habe ich im Gedächtnis behalten. Dieser Name war nämlich so kurz und so leicht zu merken, und der kleine Junge, der ihn trug, machte selber einen so tiefen Eindruck auf mich, dass ich ihn nicht mehr vergessen konnte.

Der Junge hiess Guy.

Und sein Name wurde noch kürzer ausgesprochen als geschrieben. Denn er wurde nicht G — u — y genannt, sondern einfach Gi, das heisst auf deutsch: Guido.

Der Herr Direktor des Franklin-Gymnasiums erlaubt uns schon, dass wir den Besuch in seinem freundlichen Hause hier übergehen und uns nur mit dem kleinen Guy beschäftigen. Er ist der Held unserer Erzählung, und wir wollen seinen Namen von jetzt ab in seiner deutschen Form, also Guido, nennen.

Ich sehe ihn deutlich vor meinen Augen, sobald ich an ihn denke. Er stand bescheiden hinter der ersten Reihe, die mich umgab, und schaute mich mit seinen grossen, ungemein klaren und ausdrucksvollen Augen an. Und es lag so etwas Erhabenes und Reines über ihm, dass ich tief davon ergriffen wurde.

„So! Guido heisst dieser Junge?“ fragte ich, nur, um etwas zu sagen.

„Ja, Pater!“ riefen einige muntere Knabenstimmen, „er heisst Guido — und de Fontgalland noch dazu.“ Und während sie sich nach ihm umdrehten, riefen sie: „Komm doch, Guido, und sage selber dem Herrn Pater deinen Namen.“

Und sie suchten ihn etwas weiter vorwärts zu ziehen, damit ich ihn besser sehen könne.

Doch der kleine Guido sträubte sich bescheiden, aber auch entschieden dagegen und versuchte, auf seinem Platz zu verbleiben.

Ich beruhigte die wilden Jungen und trat vor Guido hin mit der Frage:

„Woher bist du, mein kleiner Guido?“

„Ich bin gar nicht weit weg von zu Hause, ich wohne hier in der Nähe, Herr Pater.“

„Du bist also ein Pariser?“

„Jawohl, Herr Pater, ich bin ein Pariser!“

Ich wollte noch eine Frage stellen, aber da wurde mit der Schulglocke geläutet.... Die ganze Schar machte eine rasche, höfliche Verbeugung und lief nach der andern Seite des Spielplatzes, wo ein Lehrer auf sie wartete. Der kleine Guido verschwand mitten unter den dahinstürmenden Buben wie in einem Strudel. Ich habe ihn von dieser Stunde an nie mehr gesehen.

Er war ungefähr elf Jahre alt, kräftig und stark und von blühender Gesundheit. Niemand konnte ahnen, dass der Tod ganz nahe bei ihm war, ja dass er schon seine kalte Hand auf die Schulter des prächtigen Knaben gelegt hatte.

Einige Wochen später ist der kleine Guido de Fontgalland gestorben ...!

Ach! Hätte ich das damals geahnt!

Doch niemand konnte das wissen. Und noch viel weniger konnte jemand daran denken, dass sich hinter diesem unscheinbaren, stillen Jungen etwas ganz Grosses verberge, ja dass man diesen kleinen Schüler des Franklin-Gymnasiums gleich nach seinem Tode in der ganzen Welt wie einen Heiligen verehren werde, und dass er überall um Hilfe in allerlei Nöten angerufen werden würde – und zwar mit den überraschendsten Erfolgen.

Unzählige Scharen von Menschen kamen daher und sagten, er habe Wunder an ihnen gewirkt. Unzählige fromme Eltern haben den kleinen Guido wegen seines heldenmütigen und tugendhaften Lebens, das erst jetzt nach seinem Tode weit und breit bekannt wurde, und wegen seiner brennenden Liebe zum Jesuskinde als Vorbild für ihre Kinder erwählt.

Nein, das alles ahnte ich in jener Stunde nicht, und ich hätte es auch nicht glauben können, wenn es mir damals jemand vorausgesagt hätte, trotz des geheimnisvollen Lichtes, das ich in den Augen des kleinen Guido leuchten sah.

Und doch ist alles das geschehen und noch viel mehr als das.

Mich selber hat die Nachricht von seinem Tode sehr überrascht.

Einige Wochen nach dem oben genannten Besuch im Franklin-Kolleg wurde ich eingeladen, den Zöglingen des Gymnasiums der Madriderstrasse, Le collège de la rue de Madrid, Geschichten aus meiner isländischen Heimat zu erzählen. Die Schule lag nicht weit entfernt vom Franklin-Kolleg. Für meine Vorträge wurden die Zöglinge in drei Abteilungen geteilt.

Als die Kleinen an die Reihe kamen, erfuhr ich, dass einige der jüngeren Zöglinge aus dem Franklin-Kolleg eingeladen worden seien. Das freute mich sehr, denn ich hoffte, bei dieser Gelegenheit den kleinen Guido de Fontgalland wieder zu sehen. Es kamen acht Schüler aus seiner Klasse. Doch Guido war nicht dabei.

„Er ist sehr krank“, berichteten mir seine kleinen Freunde, „und kann schon lange nicht mehr aufstehen.“

Es tat mir dies herzlich leid. Aber noch schmerzlicher war es für mich, als ich nicht lange danach hören musste, dass der liebe kleine Junge gestorben sei!

Nun liess mich Guido keine Stunde mehr los. Ich dachte jetzt noch häufiger an ihn als vorher und ruhte nicht, bis es mir endlich gelang, etwas aus seinem Leben zu erfahren, und ganz besonders auch zu hören, wie er starb. Denn gerade sein Sterben, so dachte ich, muss herrlich gewesen sein.... Ja so ungefähr wie das Eintreten eines Engels in den grossen Himmel.

Und so war es auch. Die Mutter des kleinen Guido und viele andere, die ihn kannten, erzählten mir Wundersames von dem merkwürdigen Kinde. Ich bewahrte bisher alles wie ein Geheimnis. Nun haben mich aber viele gedrängt, einiges über den eigenartigen Jungen auch in deutscher Sprache zu erzählen. Ich habe mich endlich entschlossen, den Bitten nachzugeben, und so ist dieses Büchlein zustande gekommena.

II. Guidos erste Lebensjahre.

„Welche Zartheit, welche Frische in dieser Kinderseele!“

(Kardinal Cerretti.)

Der kleine Guido de Fontgalland gehört einer reichen, vornehmen Pariser Familie an. Er ist geboren am 30. November 1913.

Seine beiden Eltern, der Graf und die Gräfin de Fontgalland, wohnen in Paris, rue Vital Nr. 37.

Man darf nicht denken, Guido sei von Anfang an ein kleiner Heiliger gewesen, dem nichts Dummes und Unrechtes eingefallen wäre. O nein! Seine Mutter bemerkt in einer kleinen Lebensgeschichte, die sie kurz nach dem Tode ihres Kindes geschrieben hat, Guido sei zwar prächtig herangewachsen, er habe aber daneben manche Unarten an sich gehabt, wenigstens in den ersten Kinderjahren.

Tatsächlich war der kleine Junge von Natur aus ein kleiner Brausekopf, ein unruhiges Bürschlein, das immer etwas treiben musste, und das zuweilen die Geduld seiner Mutter auf eine harte Probe stellte. Eines ist jedoch untadelig an ihm gewesen: er war immer sehr ehrlich, aufrichtig, offen und zuverlässig.

Wenn er in seiner ungestümen Art irgend etwas verbrochen hatte, dann ging er sofort zu seiner Mutter, klagte sich selbst seiner kleinen Untaten an und nahm jede Strafe, die ihm dafür auferlegt wurde, bereitwillig auf sich.

Wie alle gesunden Kinder hat er schon früh alles wissen wollen, und er bestürmte darum seine Mutter und alle, die um ihn waren, täglich mit tausend Fragen.

Als er acht Monate alt war, lernte er sein erstes Wort aussprechen. Es hiess nicht, wie bei den meisten Kindern, „Mama“, sondern „Sesu“. So sprach er nämlich damals den Namen Jesus aus.

So jung er noch war, hatte er doch von seiner Mutter bald gelernt, dass der kleine Jesus sein allerbester Freund sei.

Von da an bewahrte das kleine Kind eine unaussprechlich zarte Zuneigung und Liebe zum „kleinen Jesus“ — „Le petit Sésu“, wie er ihn damals nannte.

Und als er grösser wurde, behielt er die Gewohnheit bei, den Heiland immer „den kleinen Jesus“ zu nennen.

Bevor er gehen konnte, führte ihn das Kindermädchen oft in seinem kleinen Kinderwägelchen draussen spazieren. Sooft sie ihm auf dem Wege vom Jesuskind sprach, sandte der kleine Strampler ein Kusshändchen zum Himmel hinauf.

Guido wurde grösser, lernte gehen und sprechen, und mit dem Alter wurde er immer lebhafter und unbändiger. Aber auch seine Liebe zum Heiland nahm immer zu.

Schon steht das Büblein kräftig vor uns und streckt sich, als ob es über alles hinauswachsen wollte. In dem weissen Gesichtchen schimmert ein frisches Rosa; sein dichtes Haar ist kastanienbraun, die Stirn schön und edel, und seine Augen sind ungewöhnlich gross und dunkelblau.

Wie ein kleiner Engel sieht er aus, und er bleibt trotz seiner Wildheit die Freude seiner Eltern und Grosseltern. Er hatte oft die drolligsten Einfälle, und alle, die ihn kannten, hatten den kleinen Spassmacher lieb.

Als er in seinem dritten Jahre war, hörte er, dass er bald einen kleinen Bruder bekommen werde.

Guido freute sich sehr darüber, denn mit der Ankunft des kleinen Bruders hoffte er einen lieben Spielkameraden zu erhalten. Er betete von nun an täglich beim Morgen- und Abendgebet, dass der kleine Bruder bald kommen möge, und ganz besonders, dass es auch wirklich ein richtiger Bruder werde, nicht aber eine Schwester.

„Aber warum willst du denn keine Schwester, Guido?“ fragte ihn seine Mutter.

„Weil ich die kleinen Mädchen nicht leiden kann“, sagte Guido.

„Und warum denn nicht?“

„Weil man immer nachgeben muss, wenn man mit ihnen spielt“, antwortete er; „mit einem kleinen Bruder ist es aber anders. Er wird immer das tun, was ich will.“

Man sieht, ein wenig herrschsüchtig konnte der kleine Guido in seinen ersten Lebensjahren schon sein.

Sein Gebet wurde erhört: am 16. Mai 1916 kam ein nettes kleines Brüderchen, und es wurde Markus genannt.

Das erste Zusammentreffen der beiden Brüder war putzig.

Als Guido das winzig kleine Kind erblickte, rot, dick, mit geschlossenen Augen und offenem Mund..., schaute er es erst eine lange Weile schweigend an. Schliesslich sagte er ganz enttäuscht:

„Wie! Soll das da mein Brüderchen sein? Das kleine Ding, das sich da so bewegt...?“

„Aber gewiss, Guido.“