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Schon als Kind, an den Vorleseabenden im langen Winter, erfährt Nonni viel über Dänemark, das von den Isländern als ausnehmend schön und lieblich beschrieben und dessen Volk als so freundlich und fröhlich bezeichnet wird. Man kann sich vorstellen, mit welcher Spannung der 12-jährige Nonni 1870 die Seereise nach Dänemark antritt und mit welch offenem Herzen er dort zu leben beginnt.Jón Stefán Sveinsson (1857 – 1944) war durch seine Nonni-Bücher einer der in Deutschland bekanntesten isländischen Schriftsteller. Er veröffentlichte seine Werke weltweit unter dem Namen Jón Svensson. Im Jahr 1870 verließ er Island. In Frankreich – nach dem deutsch-französischen Krieg - nahm er den katholischen Glauben an und trat in den Jesuitenorden ein. Seit 1906 schrieb er die 12 "Nonni-Bücher" über seine Jugend auf Island und sein späteres Leben und Wirken in Europa, USA und Japan in deutscher Sprache. Sie wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt.-
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Seitenzahl: 186
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Mit Bildernvon Johannes Thiel
Saga
In diesem Buche will ich erzählen, was ich in meinen späteren Lebensjahren auf den dänischen Inseln, einem der Heimatländer der streitbaren und seetüchtigen Normannen, erlebt habe.
Ich habe lange in diesen paradiesisch-schönen, meerumsäumten Gauen geweilt — im ganzen 26 Jahre. Und ich muss gestehen, sowohl Land wie Leute sind mir ungemein teuer geworden; das Land, weil es so ausnehmend schön und lieblich ist, und das Volk erst recht, weil es so freundlich und fröhlich, so geweckt und höflich, so gebildet und dabei doch so einfach und bescheiden ist und noch dazu ein so gutes Herz hat.
Doch nicht nur in Dänemark, sondern auch in andern fremden Ländern habe ich mich jahrelang aufgehalten. Mein Schicksal hat es nun einmal so gewollt.
Das werden die meisten meiner jungen Leser aus meinen früheren Büchern und von meinen vielen Vorträgen wissen, die ich seit mehr als zwanzig Jahren fast täglich und in den verschiedensten Ländern Europas gehalten habe. Überall, wo ich gewesen bin, habe ich mich glücklich gefühlt, denn überall waren die Menschen gut zu mir.
Aber am meisten hat es mich immer zu dem entzückend schönen Land am Baltischen Meere und ganz besonders zu den paradiesischen Inseln am Sund und Belt hingezogen, die mitten in den azurblauen Fluten dieser prachtvollen nordischen Wasserstrassen wie duftende Lustgärten schimmern und deren liebenswürdige Bevölkerung für immer einen bevorzugten Platz in meinem Herzen einnehmen wird.
Ich erinnere mich noch lebhaft, wie ich den ersten Eindruck von den Schönheiten Dänemarks empfing.
Es war auf Island, meiner teuren Heimatinsel. Ich war damals noch ganz klein, zwischen neun und zehn Jahren alt.
Ich weilte für eine Zeit auf einem grossen Hofe im Innern des Landes, bei einer Familie, die zum Freundeskreise meiner Eltern gehörte.
Es wurde dort viel gelesen, viel geschrieben, viel gedichtet und überhaupt allerlei getrieben, was zu einem regen geistigen Leben gehört.
Eines Abends nun sass ich mit den Leuten in der grossen Wohnstube des Hofes, von den Isländern „Badstofa“ genannt. Ein Mann mit einem Buche in der Hand und einem andern auf dem Schosse sass an einer Holzsäule, an der eine kleine, äusserst einfache Öllampe hing.
Es war dies der Platz, von wo aus an den Winterabenden den wissbegierigen Bewohnern des Hofes vorgelesen zu werden pflegte. Die Leute sassen rundherum im Halbdunkel auf Stühlen und Bänken und Betten und waren mit Spinnen, Stricken, Nähen, Holzschnitzen, Kunstweben und ähnlichen Handarbeiten beschäftigt.
Ich war voller Aufmerksamkeit und Spannung; denn der Mann las eben etwas aus der Edda und dann aus einem uralten isländischen Sagabuch vor. — Es war dort von Dänemark die Rede, und das Land wurde als „Freias Wohnung“ bezeichnet.
Die Götterkönigin Freia war mir wohl bekannt. Aber dass sie in Dänemark gewohnt habe, davon hatte ich noch nie etwas gehört.
„Warum hat denn Freia sich gerade Dänemark als Wohnung gewählt?“ fragte ich einen sehr begabten Hirtenknaben, der neben mir sass und ein grosser Freund von mir war.
„Weisst du denn das nicht?“ antwortete er. „Freia ist die Göttin der Schönheit, der Liebe und der Fruchtbarkeit. Sie schwebt — so erzählt die Sage — in einem leichten Federgewand wie eine Wolke über die Erde, lässt warmen Regen über die Felder fallen und bricht die Macht des Winters. Deshalb musste sie in Dänemark wohnen. Das Land ist nämlich so schön und so fruchtbar, und die Menschen dort sind so gut und so liebenswürdig.“
„Ist Dänemark schöner als Island?“ fragte ich weiter.
„So wuchtig ist es nicht. Es hat keine Berge, keine Täler, keine grossen Flüsse, keine Wasserfälle wie Island. Aber es hat riesengrosse und schöne Buchenwälder, reiche, fruchtbare Ebenen, herrliche Frucht- und Blumengärten, ein mildes, angenehmes Klima und ist überhaupt viel lieblicher als unser Land. — Und hast du nicht gehört, was soeben aus dem uralten Sagabuch vorgelesen wurde? Ich meine die Knytlingersaga, die Geschichte von den Dänenkönigen, mit der herrlichen Erzählung von König Knut und den Bauern.“
Jetzt kam mir alles wieder in den Sinn, was der Mann in der „Badstofa“ vorgelesen hatte. Es war dort von den Bauern die Rede, wie sie um ihre Wälder und Weiden kämpften, und wie sie besonders um den Öresund stritten, auf dem sie jahraus jahrein einen so reichen Heringsfang hatten, und den der König jetzt wegnehmen wollte, weil sie sich weigerten, ihm ihre Pferde zur Verfügung zu stellen, wenn er mit seinem Gefolge das Land durchzog.
Auch von geheimnisvollen grossen und reichen Schiffen war in der Saga die Rede, die plötzlich im Öresund auftauchten und dann spurlos verschwanden.
Am meisten aber hat mich die Geschichte von König Knut gefesselt. Er war ein starker Beschützer der Christen und jagte alle Heiden und Ungläubigen aus seinem Lande fort. Alle Mörder und Räuber, die sich an der Küste Dänemarks zeigten und das friedliebende dänische Volk beunruhigten, liess er töten.
Wenn einer dem andern etwas zuleide tat, dann wurde er auf dieselbe Weise bestraft, mit der er ihn misshandelt hatte. Die Furcht vor seiner Gerechtigkeit und vor seinen Strafen war so gross, dass niemand in seinem Reich zu stehlen wagte.
Ja die Liebe zur Ehrlichkeit ging bei dem grossen Dänenkönig Knut so weit, dass er seinem Volke den Rat gab, die Türen und Schränke nicht zu verschliessen, wenn sie vom Hause weggingen, und die Pferde nicht anzubinden. Und wenn dann jemand etwas gestohlen werde, oder er vermisse irgend eine Sache, dann möge er nur zu ihm kommen. Er werde ihm zunächst den Wert ersetzen, den das Gestohlene habe. Dann aber werde er mit Hilfe seiner Soldaten den Dieb suchen und ihn dermassen bestrafen, dass ihm ein für allemal die Lust zum Stehlen vergehe.
Dieser erste Eindruck, den ich von Dänemark und den Dänen bekam, prägte sich tief in meine Seele ein, und mein Entschluss stand sofort fest: „Wenn ich einmal gross bin, dann werde ich Dänemark, die herrliche Wohnung der Freia, besuchen.“
Doch so lange sollte es nicht dauern bis zur Verwirklichung meines Wunsches, denn — merkwürdige Fügung! — kaum waren zwei Jahre vergangen — ich war eben zwölf Jahre alt geworden und wohnte bei meiner Mutter in der reizend schönen Stadt Akureyri auf Nordisland —, da kam eines Tages wie ein Blitz aus heiterem Himmel eine wunderbare Überraschung, wohl die grösste meines Lebens: ich sollte schon bald auf einem kleinen Segelschiff den gewaltigen Atlantischen Ozean durchqueren, um nach dem Lande meiner Sehnsucht, dem lieblichen Dänemark, zu reisen! ...
Man kann sich meine Ergriffenheit denken. Ich war kaum imstande, ein solches Glück zu fassen, und fiel gleichsam in eine dauernde Verzückung.
Die kühnsten Träume meiner Kindheit sollten jetzt mit einem Male in Erfüllung gehen — und zwar weit über alle meine Erwartungen hinaus.
Da ich in kurzer Zeit nach Dänemark reisen sollte, sehnte ich mich danach, noch etwas mehr über die Dänen und ihr Land zu erfahren.
Ich suchte daher jede Gelegenheit auf, mich über Dänemark zu erkundigen, und bemühte mich, mit einigen Dänen, die sich eben zu dieser Zeit in dem Städtchen aufhielten, zusammenzukommen, um sie mir etwas näher anzusehen und um ihren Charakter und ihr Wesen kennen zu lernen.
Eines Tages hatte ich hierin besonderes Glück:
Ich hatte mich ans Meeresufer begeben, das ganz nahe an unser Haus heranreichte, und betrachtete dort die grossen ruhigen Wellen, die ununterbrochen an den Strand schlugen, um gleich darauf eines jähen Todes zu sterben, und ich schaute dort den Wasservögeln zu, die in den Lüften und auf den Wellen ihr fröhliches Spiel trieben.
Da auf einmal kam ein kleiner Junge zu mir hergelaufen. Ich kannte ihn gut; er gehörte einer Familie der Stadt an.
„Nonni“, rief er mir zu, „du sollst sofort zu einem Fest bei dem Amtmann Havstein kommen; es sind sechs Knaben und sechs Mädchen eingeladen. Wir beide gehören dazu. Wir sollen dort Schokolade trinken.“
„Aber was ist das für ein Fest?“ fragte ich.
„Man will den Geburtstag der beiden kleinen Kopenhagener feiern, die seit einigen Tagen beim Amtmann als Gäste wohnen.“
Hocherfreut über diese feine Einladung und über das Glück, zwei kleine Dänen aus Kopenhagen sehen und sprechen zu dürfen, lief ich schnell nach Hause, um mich in Ordnung zu bringen. Der kleine Bote kam mit.
Meine Mutter wusste schon Bescheid und erlaubte mir gern, die Einladung anzunehmen.
Als ich mich gewaschen und meine Kleider gereinigt hatte, gingen wir zum Amtmann. Sein Haus war das schönste und grösste in der ganzen Stadt. — Wir traten ein. Die jungen Eingeladenen waren schon fast alle zur Stelle. Es war eine überaus frische und lustige Kindergesellschaft. — Die kleinen Dänen bildeten den Mittelpunkt der ganzen Versammlung. Es waren ein elfjähriger Junge und seine um ein Jahr ältere Schwester, beide Kinder eines sehr reichen Kaufmanns aus Kopenhagen, der auf seinem eigenen Schiffe mit ihnen den langen Weg von Dänemark nach Island gemacht hatte.
Wir wurden alle den jungen Fremden vorgestellt und suchten mit ihnen einige Worte in ihrer Sprache zu wechseln. Es ging aber schwer. Sie konnten kein Wort Isländisch und wir nur wenig Dänisch. Es gelang mir aber doch, in mangelhaftem Dänisch ihnen mitzuteilen, dass ich bald zum ersten Mal nach ihrer Vaterstadt Kopenhagen reisen solle.
Das interessierte sie lebhaft. Sie kamen gleich auf mich zu, nahmen mich in ihre Mitte und erzählten mir allerlei von der grossen Stadt, die sie aus und ein kannten. Leider hatte ich Mühe, alles zu verstehen, denn sie sprachen sehr schnell, wie es alle Dänen tun.
Ihre Freundlichkeit aber und ihre feinen Manieren gefielen mir ausserordentlich gut. Ja sie waren so liebenswürdig, dass ich es gar nicht beschreiben kann. — Von unserem Geplauder habe ich noch Folgendes behalten können:
Der kleine Knabe sagte:
„Aber du musst uns unbedingt besuchen, wenn du nach Kopenhagen kommst.“
„Das werde ich sicher tun“, antwortete ich. „Aber wie kann ich euch dort finden?“
„O das ist ganz leicht. Wir wohnen in der Kvästhusstrasse. Jedermann kennt dort unsern Namen.“
„Und wir werden dich mitnehmen ins Theater, wenn ein Kinderstück aufgeführt wird“, sagte das kleine Mädchen.
„Und in den Lustgarten ‚Tivoli‘, wo es so vieles zu sehen gibt“, fügte der Knabe hinzu.
„Und auch auf einen Kinderball“, fuhr das kleine Mädchen fort. „Du kannst doch tanzen?“
„Ja, aber nur Polka. Hier haben wir nur ganz selten einen Kinderball. Ich habe nur Polka gelernt.“
„O das ist aber auch genug. Dann wirst du mit mir Polka tanzen.“
Wie sie sprechen und plaudern konnten, diese dänischen Kinder! Und wie sie fröhlich waren! Und wie sie sich fein und nett benahmen! Ich war erstaunt und musste zugestehen, dass sie in jeder Beziehung viel feiner und geschliffener waren als wir. Ich schaute zu ihnen hinauf mit der grössten Verehrung, wie zu Wesen aus einer andern Welt.
„Aber wie heisst ihr?“ fragte ich jetzt.
„Ich heisse Dagmar“, antwortete das kleine Mädchen.
„Und ich Eskil“, sagte der Knabe.
„Und wie heisst du?“ fragten sie dann mich.
„Ich heisse Jón Svensson. Und mein Kindername ist Nonni.“
„Nonni! Den Namen wollen wir uns merken. Der klingt schöner und ist leichter zu behalten als der andere.“
„Aber Kinder!“ rief jetzt plötzlich Amtmann Havstein der Kinderschar zu, „wollt ihr nicht irgend etwas spielen, bevor ihr ins Speisezimmer geht?“
„Gewiss, gewiss!“ tönte es von allen Seiten zurück.
Die kleinen Dänen machten ein paar Schritte rückwärts und warteten bescheiden, dass wir irgend ein Spiel anfingen.
Doch wir schauten uns unschlüssig an, und keiner wagte, etwas vorzuschlagen. Die feinen kleinen Dänen, dachten wir, kennen sicher unsere isländischen Spiele nicht.
Es entstand eine kurze Verlegenheitspause.
Da schlug der Amtmann vor:
„Aber Eskil und Dagmar, ihr kennt so viele hübsche dänische Kinderspiele. Fangt doch irgend etwas an. Die andern werden schon mittun.“
Da hätte man aber die Geschicklichkeit und Überlegenheit der kleinen Dänen sehen sollen! Sie erklärten sich sofort bereit und waren nun lauter Beweglichkeit und Leben.
Leicht und rasch wie Schmetterlinge flatterten sie hin und her, stellten uns in Reihen und Kreise auf, gaben jedem seinen Platz, und nun wurden Reigen aufgeführt, alles unter ihrer Leitung. Es wurde fröhlich gesungen, gelacht und getanzt, bis unsere Wangen förmlich glühten in den schönsten, gesundesten Farben.
Dann wurden wir ins Speisezimmer geführt, wo wir auf das beste bewirtet wurden, und wo unter der mütterlichen Anleitung der Frau Amtmännin sogar ein paar kleine, kindliche Tischreden in gutem Isländisch und mangelhaftem Dänisch zu Ehren der fremden Gäste gehalten wurden. Diese antworteten und dankten auf die ungezwungenste und liebenswürdigste Weise. Sie sagten unter anderem: am liebsten würden sie uns alle auf ihrem Schiffe nach Kopenhagen mitnehmen.
Wie verstanden sie es doch, durch ihre echt dänische Freundlichkeit alle Herzen für sich zu gewinnen!
Schneller, als wir es haben wollten, war das Fest zu Ende, und wir mussten Abschied nehmen.
„Auf Wiedersehen in Kopenhagen, Nonni!“ sagten die beiden dänischen Kinder zu mir, als ich ihnen die Hand reichte.
„Auf baldiges Wiedersehen!“ antwortete ich.
Dann gingen wir alle nach Hause.
Ich war entzückt über die Bekanntschaft, die ich da gemacht hatte, und die Dänen stiegen immer höher in meiner Achtung.
Als ich nach Hause kam, erzählte ich meiner Mutter, wie ausnehmend gut die dänischen Kinder mir gefallen hatten.
„Das will ich schon glauben“, sagte sie mit einem freundlichen Lächeln. „Die dänische Liebenswürdigkeit ist überall bekannt.“
„Aber glaubst du, Mutter, dass alle dänischen Kinder so liebenswürdig sind wie diese?“
Die Mutter lachte über meine Frage und antwortete: „Die meisten von ihnen werden wohl so sein.“
Beim kleinen Feste im Hause des Amtmanns hatte ich mich aus eigener Erfahrung von der Liebenswürdigkeit des dänischen Charakters überzeugen können. Jetzt kam mir aber der Gedanke: Ob die Dänen auch energisch, männlich und tapfer sind?
Die herrlichen isländischen Sagas waren meine Lieblingslektüre. Dort aber spielen Starkmut und Männlichkeit eine gewaltig grosse Rolle. — Ich lief zu meiner Mutter. — „Mutter“, fragte ich, „sind wohl die Dänen auch ebenso mutig, wie sie liebenswürdig sind?“
Die Mutter erwiderte lachend:
„Aber, mein kleiner Nonni, du scheinst nur noch Dänen in deinem Kopf zu haben. — Doch ich begreife das schon, da du ja bald nach Dänemark reisen sollst“, fügte sie in einem etwas ernsteren Tone bei. „Nun, was deine Frage angeht, so kann ich dir sagen, dass die Dänen nicht nur liebenswürdige, sondern auch ganz hervorragend tüchtige, mutige und tapfere Menschen sind.“
Ich schaute die Mutter gespannt an, und sofort erinnerte ich mich wieder an König Knut und die Bauern am Öresund. Ich erzählte der Mutter, was ich wusste, und gleich fuhr sie begeistert fort:
„Ja, König Knut war nicht nur tapfer, er war auch gerecht. Er beschützte Dänemark mit seiner starken Hand und machte es zu einem grossen Reich. Schon mit zehn Jahren wurde er zum König von Dänemark ernannt. Mit dreizehn Jahren sammelte er ein gewaltiges Heer. Er sandte auch nach Norwegen Botschaft an seinen Schwager Fürst Erich und lud ihn ein, ebenfalls ein Heer zu sammeln und mit nach England zu fahren. Denn Erich war sehr berühmt wegen seiner Kriegstaten. König Knut steuerte mit seiner Flotte nach England, und die Saga erzählt:
Stürmischer zog nie
ein gepanzerter Krieger
in die Welt;
die Kampfschilde Knuts
färbten sich rot am Lande.
König Edmund von England wehrte sich heftig. Er kam König Knut so nahe, dass er ihn mit einem Schwerthieb erreichte. König Knut warf schnell den Schild über den Hals seines Pferdes. Aber der Hieb König Edmunds war so stark, dass er den Schild zerschnitt und das Pferd im Bug spaltete. Nun aber umringten die dänischen Krieger den englischen König so sehr, dass seine Soldaten ihn nicht mehr sahen. Sie glaubten, er wäre gefallen, und ergriffen die Flucht. König Knut aber drang mit seinem Heer immer tiefer in das Land ein und unterwarf das ganze englische Volk.“
Mein Staunen wurde immer grösser. Aber ich sah es der Mutter an, dass sie noch nicht fertig war mit dem Erzählen. Ohne dass ich lang zu waren brauchte, fuhr sie auch gleich weiter:
„Es ist wahr, König Knut war nicht nur ein tapferer Krieger und tüchtiger Herrscher, er war auch ein gottesfürchtiger Mann.
König Erich, ein Nachkomme König Knuts, liess die klügsten Männer in seinem Reiche alle zusammenrufen, gelehrte und ungelehrte, und erklärte, es sei sein Wille, dass die Gruft König Knuts untersucht würde, wenn die Priester nichts dagegen hätten.
Nun baten alle den König, zu bestimmen, und so zogen sie mit dem Einverständnis der Bischöfe und des ganzen Volkes auf Geheiss des Königs mit zahlreichem Gefolge nach Fünen, wo der König lag. Die besten Männer in Dänemark waren dabei.
Darauf wurde das Grab König Knuts geöffnet und der Sarg herausgenommen, und seine Überreste mit Lobgesängen um die Kirche herumgetragen. Vor der Kirche aber sass ein Mann, der seit langem ein Krüppel war. Er sass gerade am Wege, wo der Zug mit den Überresten vorbeiging, so dass die Männer den Sarg über ihn hinwegtragen mussten. Als der Sarg sich eben über dem armen Mann befand, stand dieser plötzlich auf und zog gesund mit den andern Männern um die Kirche und lobte Gott und den König Knut.
Jetzt wurde der Sarg in die Kirche getragen und mitten auf den Boden der Kirche gestellt. Darauf traten der König und die Priester hinzu. Der Sarg des Königs Knut wurde geöffnet, und siehe da, sein Leichnam war unversehrt, als ob er eben erst gestorben wäre. Allen, die zugegen waren, erschien das wie ein Wunder.
Nun wurde der Leichnam aus dem Sarge genommen und auf eine Bahre gelegt. Die Männer verlangten, dass man die Heiligkeit erproben solle, und alle riefen nach der Entscheidung des Königs. Der König sprach:
‚Ich bin dafür, dass die Probe gemacht wird, damit niemand sagen kann, das, was wir hier gesehen haben, sei eine Lüge der Dänen. Wir aber hoffen, dass Gott um der Verdienste des Königs Knut willen gewähren wird, dass seine Heiligkeit noch deutlicher und überzeugender werde, je mehr sie auf die Probe gestellt wird.‘
Da liess König Erich ungebleichte Leinwand nehmen und sie zu einer Puppe zusammenwickeln, so dass sie nicht länger und nicht kürzer war als König Knuts Leichnam. Darauf wurde diese Puppe auf den Leichnam gelegt, geweihtes Feuer genommen und die Leinwand angesteckt. Sie verbrannte vollständig, aber der Leichnam des grossen Königs Knut blieb unversehrt. Die Geistlichen stimmten das Tedeum an, und alle lobten den allmächtigen Gott und den heiligen König Knut.
Darauf wurde sogleich sein Todestag zu einem grossen Feiertag erhoben, und in ganz Dänemark wird sein Messetag gehalten wie die höchsten Festtage.“
Ich machte grosse Augen. Die Mutter fuhr fort:
„Das geschah alles vor vielen hundert Jahren. Und heute sind die Dänen nicht weniger tüchtig. Hast du nicht gehört, wie sie sich bei Düppel gegen die Preussen verteidigt haben? Da kämpften sie auf den Düppeler Schanzen in einem furchtbaren Handgemenge und wichen nicht eher, als bis 5200 der Ihrigen gefallen waren. Selbst ihre damaligen Gegner rühmten die Tapferkeit der Dänen bei dieser Gelegenheit.“
Einige Tage später sollte ich etwas erleben, wodurch mir der Starkmut und die Männlichkeit eines Dänen auf die erschütterndste Weise vor Augen geführt werden sollten. — Ich habe das tragische Erlebnis schon einmal erzählt, möchte es aber hier kurz wiederholen, weil es das Heldentum eines braven Dänen im schönsten Lichte zeigt.
Eines Morgens wurde ich von meiner Mutter mit einer dringenden Botschaft zu einem Hof geschickt, der hoch oben in den Bergen lag. — Ich sattelte mein Reitpferd Grani, rief mein Hündchen Fidel herbei, das auf allen meinen Reisen mein treuer Gefährte war, und ritt eiligst davon.
Kaum war ich aber eine kleine Strecke aus der Stadt hinausgeritten, da fängt auf einmal der Hund wütend zu bellen an. Auch das Pferd spitzte die Ohren. Ich warf scharfe Blicke nach vorn und entdeckte bald hinter einer kleinen Böschung einige fremde Gestalten. Ich erkannte sie gleich. Es waren dänische Matrosen vom grossen Kopenhagener Schiff „Hertha“, das eben auf der Reede gegenüber dem Städtchen lag. Sie hatten Landurlaub erhalten und gingen hier spazieren.
Ich kannte die wilde Art der jungen Matrosen und wollte ihnen in einem grossen Bogen ausweichen, aber es war zu spät. Sie fielen alle über mich her, umringten mich, ergriffen die Zügel meines Pferdes und hielten es fest. — Fidel bellte aus Leibeskräften die Fremden an.
„Herunter, du kleiner Isländer!“ riefen die Leute. „Wir wollen dein Pferdchen ein wenig probieren, ob es auch schnell laufen kann.“
„Nein, nein!“ rief ich, „ich kann nicht, ich darf nicht. Ich habe Eile. Ich muss voran.“
Und ich versuchte mich loszureissen und das Pferd voranzutreiben.
Da hatte ich aber nicht mit der Leidenschaft der Matrosen gerechnet. Diese Leute, die sonst immer auf dem Wasser leben, sind leidenschaftlich darauf erpicht, sobald sie ans Land kommen, sich unsere kleinen Ponys zu verschaffen, um Vergnügungsritte zu machen. Jetzt war eben eine gute Gelegenheit da. Ich war ihnen in die Hände gefallen, und sie waren nicht gesonnen, mich so ohne weiteres wieder entschlüpfen zu lassen.
Einer von ihnen fasste mich schon mit kräftigen Armen um den Leib und wollte mich vom Pferde herunterziehen. Ich wehrte mich, so gut ich konnte, und schlug sogar mit dem Schafte meiner Reitpeitsche um mich. — Der Mann liess mich los, aber nur für einen Augenblick. Mein Widerstand hatte ihn gereizt, und mit einigen Kameraden machte er Miene, mich jetzt etwas kräftiger anzupacken.