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Ein niederrheinischer Roman. Joseph von Lauff war ein deutscher Offizier und Schriftsteller, der 1933 in Cochem verstarb. Lauffs umfangreiches literarisches Werk besteht vorwiegend aus Romanen, Erzählungen und Theaterstücken. In seinen Prosawerken behandelt er meist Themen aus seiner niederrheinischen Heimat.
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Seitenzahl: 572
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Die heiligen drei Könige
Joseph von Lauff
Inhalt:
Joseph von Lauff – Biografie und Bibliografie
Die heiligen drei Könige
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Schluß
Die heiligen drei Könige, J. von Lauff
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN:9783849638726
www.jazzybee-verlag.de
Dichter, geb. 16. Nov. 1855 in Köln als Sohn eines Juristen, besuchte die Schule in Kalkar und Münster, wo er das Abiturientenexamen bestand, trat 1877 als Artillerist in die Armee ein, wurde 1878 zum Leutnant, 1890 zum Hauptmann befördert und wirkte, einer persönlichen Aufforderung des Kaisers folgend, 1898–1903 als Dramaturg am königlichen Theater in Wiesbaden, wo er noch jetzt lebt; gleichzeitig wurde ihm der Charakter eines Majors verliehen. L. begann seine schriftstellerische Tätigkeit mit den epischen Dichtungen: »Jan van Calker, ein Malerlied vom Niederrhein« (Köln 1887, 3. Aufl. 1892) und »Der Helfensteiner, ein Sang aus dem Bauernkriege« (das. 1889, 3. Aufl. 1896), denen später folgten: »Die Overstolzin« (das. 1891, 5. Aufl. 1900); »Klaus Störtebecker«, ein Norderlied (das. 1893, 3. Aufl. 1895), »Herodias« (illustriert von O. Eckmann, das. 1897, 2. Aufl. 1898), »Advent«, drei Weihnachtsgeschichten (das. 1898, 4. Aufl. 1901), »Die Geißlerin«, epische Dichtung (das. 1900, 4. Aufl. 1902); er schrieb fernerhin die Romane: »Die Hexe«, eine Regensburger Geschichte (das. 1892, 6. Aufl. 1900), »Regina coeli. Eine Geschichte aus dem Abfall der Niederlande« (das. 1894, 2 Bde.; 7. Aufl. 1904), »Die Hauptmannsfrau«, ein Totentanz (das. 1895, 8. Aufl. 1903), »Der Mönch von Sankt Sebald«, eine Nürnberger Geschichte aus der Reformationszeit (das. 1896, 5. Aufl. 1899), »Im Rosenhag«, eine Stadtgeschichte aus dem alten Köln (das. 1898, 4. Aufl. 1899), »Kärrekiek« (das. 1902, 8. Aufl. 1903), »Marie Verwahnen« (das., 1.–6. Aufl. 1903), »Pittje Pittjewitt« (Berl. 1903) sowie die Lieder »Lauf ins Land« (Köln 1897, 4. Aufl. 1902). Als Dramatiker trat er zuerst hervor mit dem Trauerspiel »Inez de Castro« (Köln 1894, 3. Aufl. 1895). Von einer Hohenzollern-Tetralogie sind bisher erschienen und wiederholt ausgeführt »Der Burggraf« (Köln 1897, 6. Aufl. 1900) und »Der Eisenzahn« (das. 1899); ihnen sollen »Der Große Kurfürst« und »Friedrich der Große« folgen. Lauffs neueste Dramen sind das Nachtstück »Rüschhaus«, das vaterländische Spiel »Vorwärts« (beide das. 1900) und das nach dem Roman »Kärrekiek« verfaßte Trauerspiel »Der Heerohme« (das. 1902, 2. Aufl. 1903). Während L. in seinen Romanen echtes Volksleben des Niederrheins poetisch festhält und in seinen epischen und lyrischen Dichtungen trotz wortreicher Diktion ein starkes Talent verrät, greift er in seinen Dramen, namentlich in den höfisch beeinflußten Hohenzollern-Stücken, oft zu unkünstlerischen Mitteln und erweckte entschiedenen Widerspruch. Vgl. A. Schroeter, Joseph L., ein literarisches Zeitbild (Wiesbad. 1899); B. Sturm, Joseph L. (Wien 1903).
Die heiligen drei Könige mit ihrem Stern... Nein, die meine ich nicht. Es sind andere gewesen, ganz andere, einfache, schlichte, wenn auch großzügige Menschen, die in Wetter und Not standen und nicht müde wurden, auf eine große und stille Liebe zu hoffen. Sie opferten nicht Weihrauch und Myrrhen, weder Kleinodien noch seltene Dinge und zogen nicht aus, das Kind zu suchen, das geboren wurde aus Maria, der Jungfrau. Auch hießen sie nicht Kasper, Melcher und Balzer, sondern ganz anders, und wo sie erschienen, da spielte Phöns met de Fleut auf, streckten sich ihnen die Hände entgegen, lächelte Jüllecke Nakatenus ihr subtilstes Lächeln und klingelte inbrünstiglich mit ihren rotgoldenen Ohrgehängen, als wenn sie sagen wollte: »Freut euch, ihr Menschen, denn so was ist nicht alle Tage zu sehen. Sie tragen nicht Zepter und Kronen, aber Könige sind sie, Könige der Gesinnung nach und vom lautersten Wasser. Musik!« und dann stimmte Phöns met de Fleut an: »Sind wir nicht zur Herrlichkeit geboren«... um mittendrin allmählich in einen getragenen Walzer oder eine flotte Polka Mazurka überzugehen. Von diesen drei Königen will ich erzählen, sachlich und ohne Nebengedanken, nur von dem Wunsche beseelt, Großes und Liebes aus dem Land meiner Jugend an die Herzen stiller und versonnener Menschen zu legen.
So hört denn.
Anno Domini ... Nein, mag das Jahr unterbleiben. Es ist nicht wohlgetan, ein solches zu nennen. Es möchten sich Finger erheben, und ein heimliches Kichern könnte die Stunde entweihen. Das will ich nicht; denn steht nicht geschrieben: Du sollst nicht wider deinen Nächsten die Finger erheben, noch über ihn kichern, denn es ist ein Greuel vor dem Herrn? Auch will ich die betreffenden Namen nicht angeben. Warum auch? Es würde die Sache nicht fördern, ja möglicherweise zu Unzuträglichkeiten führen. Drum sage ich schlicht und einfach: Das, was ich zu erzählen habe, datiert geraume Zeit zurück, ist längst geschehen, wenn auch die Stätten, auf denen sich die Geschehnisse abspielten, noch heutigentages mit Händen zu greifen sind, in der Oster-, Schwaters- und Schleuferskat die heiligen drei Könige hausten und auf dem benachbarten Knollenkamp eine stolze und hohe Frau ihre Tage verbrachte, eine stolze und hohe Frau, die ihresgleichen nicht hatte.
Die Geschichte aber und wie sie mir wurde, das hatte ich einem laulichen Juniabend zu verdanken; denn an diesem Juniabend, der lind und weich war wie das sanfte Schaukeln von Schmetterlingsflügeln, kamen mir Gesichte und Eingebungen, die nicht zu den gewöhnlichen zählten.
Nach langen Jahren wieder in der engeren Heimat! Ein weiter Spaziergang führte mich über Dämme und Deiche in den weltabgekehrten Winkel hinein, dem die verschwiegenen Altwasser des Niederrheins, Volksgatt und Kalflach, eine eigentümliche Note verliehen. Alles wie früher! Die Wässerchen gluckerten wie ehedem durch die Niederung, die Erlentröddelchen wiegten sich im Sommerwind, und die Wiesen sahen aus, als wären aus rätselhafter Nacht unzählige Mirakel darüber gefallen, so reichlich und wundersam waren alle Fernen mit gelben, leuchtenden Blumen gesprenkelt. Weißröckige Mühlen, schwarze Barette auf ihren ehrwürdigen Häuptern, standen tief in der Ebene, drehten ihre langen Arme und schlappten behaglich mit ihren Segeltüchern. Über den Weihern und Woijen, die bereits ihren vollen Schilfkranz angelegt hatten, war ein Singen und Rufen. »Kärre-kärre-kiek!« Die Rohrdrossel schlug. Der Ruf drang weit in die Gegend und weckte die Teichrosen ins Leben, die schon begannen, ihre grünen Hüllen zu brechen. Geflüster und verträumtes Säuseln in den verschlafenen Pappeln! Weit zur Linken winkte die Basilika von Wissel herüber ... und als ich so versonnen meines Weges schlenderte ... auf der Krone des Binnendeiches kam eine hohe Gestalt gewandelt: ein Mann in schwarzer Soutane ... vornübergebeugt ... barhaupt ... mit Schnallenschuhen ... langstrümpfig und das Brevier in der Hand. Sein eisengraues strähniges Haar wehte in einer leichten Sommerbrise.
Kannten wir uns? Waren wir uns schon einmal begegnet im Leben?
Ich wußte es nicht, aber mir war so, als wenn etwas zu dämmern begönne, und als wir uns auf der breiten Deichkrone näherten, das schmale Gesicht des geistlichen Herrn deutlicher wurde, das schmale, längliche Gesicht, durch dessen Wangen man das Vaterunser hätte hindurch blasen können, blieben wir wie auf Verabredung stehen.
»Hochwürden ...!«
Unwillkürlich trat mir das Wort auf die Lippen.
Seine grauen Augen ruhten auf mir, zweifelnd, fragend, mit gütigem Lächeln.
»Hochwürden, Sie ...?!«
»Mein Gott, wo soll ich das hintun?«
Das Brevier hob und senkte sich wieder.
»Ich will deutlicher werden, Hochwürden. Erinnern Sie sich noch des Notars und Justizrates, der bis in die Mitte der siebziger Jahre hinein in dem benachbarten Kalkar amtierte?«
Seine Blicke weiteten sich maßlos.
» Habemus Papam! Dann sind Sie ja« ...
»Just den Sie meinen, Herr Tiebus: der Sohn dieses Mannes, und wenn ich Ihnen ferner erzähle ... Alte Zeiten, alte Spiegelbilder! Gott, dieser Wandel! Als kleiner, naseweiser Bengel habe ich bei Ihnen in der Christenlehre gesessen, damals, vor Jahren, als Sie noch als blutjunger Kaplan uns den Katechismus dozierten und nach getaner Arbeit zu deklamieren anhuben: Gott grüß' Euch, Alter! – Schmeckt das Pfeifchen?«
»Weist her!« zitierte der joviale Herr weiter, »ein Blumentopf
Von rotem Ton mit goldnen Reifchen? Was wollt Ihr für den Kopf?«
Eine welke, durchgeistigte Hand streckte sich aus.
»Nein, diese Freude! Kommen Sie mit mir. Dorthin!« und sein spanisches Rohr deutete auf die stattliche Basilika, die breit hingelagert zwischen saftigem Pappelgrün aus der Ebene aufragte. »Dorthin, mein Lieber! aber nicht der blutjunge Kaplan von früher, sondern der hochbetagte Pastor loci von Wissel gibt sich die Ehre, Sie über seine schlichte Schwelle zu geleiten, und die Dechanei wird sich freuen ... Doch zuvor eine Frage ...«
»Ich bitte, Hochwürden.«
»Hoffen Sie hier nicht nur ein Otium cum dignitate, sondern auch den Kuß der Musen zu finden?«
»Beides, Hochwürden.«
»Dann fußen Sie auf der richtigen Stelle. Beides ist reichlich vorhanden. Besonders das letztere. Hier ist seltsame Erde, wert und würdig, sie sprechen zu lassen. Wollen Sie hören?«
»Ich höre.«
»So mögen Sie wissen. Wo Sie hier stehen ... Sehen Sie drüben die einsamen Höfe? Sehr einsam und schlicht und bescheiden, kaum dazu angetan, sie mit dem Namen ›Hof‹ zu bezeichnen. Sie erinnern in ihrer Anspruchslosigkeit an die Wohnstätte des Zimmermannssohnes in Nazareth. Aber auch ihnen leuchtete das Licht, denn unter ihren Sparren hausten die drei, die wir hierzulande die heiligen drei Könige nennen.«
»Nicht möglich!«
»So ist es. Und drüben ... weiter zur Linken ... am Rheindamm bei den laubstillen Bäumen ... auf dem Knollenkamp ... da wohnte sie: eine Heilige und doch keine Heilige, aber eine schöne und eigenartige Frau, die Jahre hindurch die Wonnen der Liebe nicht kannte, aber gezwungen war, von ihnen zu träumen, eine Frau in trostloser Öde, an sich und der Zukunft verzweifelnd, rätselhaft in ihrem Tun und Lassen, verschlossen und weltabgekehrt, die Seele voll peinlicher Sorgfalt, allgütig, verzeihend, um letzten Endes durch eine Fülle des Lichtes zu schreiten und die Tage zu segnen. Von ihr und den drei Königen auf den verschwiegenen Höfen müssen Sie singen und sagen. Die Mühe verlohnt sich. Drum kommen Sie mit mir! De nihilo nihil. Aus nichts wird nichts. Aber das Wort ist lebendig. Zwischen meinen vier Pfählen schlagen preziöse Dinge die Augen auf, und diese Augen sehen in purpurblaue Tiefen. Introite, nam et hic dii sunt. Treten Sie ein, denn auch hier wohnen die Götter.«
Und siehe: keine halbe Stunde verging, da zweigten wir von der Deichkrone ab und zogen auf schmalen Wegen durch unabsehbare Tabakpflanzungen, dann an Obstreihen vorüber, durch einen wohlgepflegten Garten, in dessen Tiefe die Dechanei lag, weißgekalkt, mit rotem Ziegeldach, friedlich, vor Gott und den Menschen ein Wohlgefallen und mit dem Epheu des Behagens und des stillen Sinnierens umsponnen ... und als sie in Sicht kam, da legte der geistliche Herr die hohle Hand an den Mund und rief jovial über Stachelbeersträucher und Blumenrabatten: » Dominus vobiscum, Therese!« und, wie aus der Pistole geschossen, respondierte eine kräftige weibliche Stimme sakral aus dem offenen Küchenfenster heraus: » Et nunc et semper et in saecula saeculorum, Amen! Was soll es, Hochwürden?«
Pulvis et umbra sumus! und dennoch: »lieber Besuch, mein Hühnchen! Nicht lange gefackelt. 'ne Bouteille ›Schwart Water‹! Pfeifen und Tabak!«
»Varinas oder AB-Reuter, Hochwürden?«
»AB-Reuter zur Feier des Tages!« und nach kurzer Weile saßen wir uns in bequemen Korbsesseln dicht gegenüber, im Schirm und Schutz der von Joseph Keller gestochenen Disputa, leise umperlt von den Weisen eines Kanarienvogels, der nicht müde wurde, Kantilene an Kantilene zu reihen, silberfein und mit dem subtilen Klingeln von kristallenen Kelchen. O diese Weihe und Andacht, dieser Friede und dieses stille Genügen! Urväterhausrat und das sonnige Wohltun eines alten Besitzes! Überall grüßten schwarzgerahmte Stiche biblischen Inhalts von den Wänden herunter, erhoben sich hohe Bücherregale, angefüllt mit der Weisheit der Mystiker, der Kirchenväter und der neueren Eklektiker, unter anderen des Cäsarius von Heisterbach Homilien und den Dialogus miraculorum, Gefächer und Pulte, auf denen die Romantiker Platz gefunden hatten: Brentano, Achim von Arnim, Ludwig Tieck und der ritterliche de la Motte- Fouqué, ihm zur Seite Joseph Freiherr von Eichendorff, und mir war so, als würde irgendwo eine Laute geschlagen, als begönne irgendwo eine liebe Stimme zu singen: »Über'n Garten durch die Lüfte hört' ich Wandervögel ziehn« ... und alles war verwunschen um mich her wie in den heiligen Hallen eines von Seligen bewohnten Hauses.
Aber dieser Zauber währte nicht lange.
Eine laute, posaunenartige Stimme: »As 't üh belieft!« und würdig und gediegen, wie es sich für eine stattliche Jungfrau im kanonischen Alter geziemte, auf sanften Selfkantpantoffeln, eine Hornbrille auf der energischen Nase und mit blanken Augen war Therese ins Zimmer getreten, unbefangen, mit der Entschlossenheit einer richtiggehenden Standuhr, und während sie mich mit ihren grauen und sicheren Blicken studierte, dann auch begrüßte, stellte sie Tabakskasten, Pfeifen und Fidibusbecher zurecht, glättete das Tischtuch und entfernte sich wieder.
»'ne Perle von Frauenzimmer,« erklärte Hochwürden, »und wäre es dem Schöpfer in den Sinn gekommen, sie behost auf die Beine zu stellen, sie hätte Brigadier werden können oder Kommandeur eines Trainbataillons; auch das Amt eines Küsters hätte sie spielend versehen, denn Baßpartien liegen ihr bestens. Vor ihrem Mundwerk verstummen alle Zungen im Kirchspiel. Selbst die der Weiber. Aber ich bin zufrieden mit ihr, mehr als zufrieden, denn sie ist um meine Lebens- und Leibesbedürfnisse besorgt wie die geschäftige Martha im traulichen Häuschen von Bethanien, was nicht ausschließt, daß sie befähigt ist, auch die lernbegierige Maria zu verkörpern, die Liturgie und den Katechismus beherrscht und zu psalmodieren vermag wie eine tönende Orgel. Sie werden gleich sehen, denn jedes und alles an ihr ist eingestellt auf die Sitten und Gebräuche in einem Hause des Friedens und dem eines schlichten Seelenhirten.«
So erklärte der geistliche Herr, zündete Feuer, setzte selbst die Weichselrohrpfeifen in Brand und streckte die Beine.
Blaue Wölkchen stiegen zur Decke, feinmaschige Kringel und Krüsel, und während der AB-Reuter seine Wohlgerüche verschwenderisch austat, siehe: die Gepriesene erschien zum anderen zwischen Tür und Angel, stellte Wein und Gläser auf den Tisch, griff in die Tasche, brachte einen derben Korkenzieher zum Vorschein, klemmte die ›Gelblack‹ zwischen die Schenkel, um den Pfropfen mit einem fetten Schnalzer aus seiner engen Haft zu befördern.
»Profiziat! Das wäre geleistet, Hochwürden,« und Herr Severin Tiebus deutete schmunzelnd auf die Hingestellte, dann auf mich und dann auf sich selber und sagte: » Tres faciunt collegium, und nun, Therese, singen wir zum Willekumm den bekannten Introitus nach alter Sitte und nach alter Gewohnheit,« und mit einem launigen Kräuseln um die Mundecken begann er, den Wechselgesang in die Wege zu leiten. Mondflimmerig kam es ihm von den gütigen Lippen: » O lector lectorum, dic mihi: quid est unus?«
Feindrähtig zitterte es durch das wohlige Zimmer.
Da war die Stimme Theresens doch eine andere Nummer. Mehr ein Gerumpel. Es kam wie aus einer weitbauchigen Gießkanne, aus einer gigantischen Tritonsmuschel heraus, und mit dem Gehaben eines ausgetragenen Katechumenen gab sie die Antwort: » Unus est Oeconomus, qui regnat super ancillas in culina nostra.«
» O lector lectorum, dic mihi: quid sunt duae?«
» Duae sunt tabulae Mosis,« sang die kanonische Jungfrau, » unus es Oeconomus, qui regnat super ancillas in culina nostra.«
» O lector lectorum, dic mihi: quid sunt tres?«
Therese stemmte ihre Hände in die kräftigen Hüften, blitzte und wetterleuchtete durch ihre Brillengläser hindurch und knorzte volltönig den Abgesang herunter: » Tres sunt Patriarchae: Abraham, Isaak und der kleine Jakob, duae tabulae Mosis, unus est Oeconomus, qui regnat super ancillas in culina nostra.«
»Bravo! da haben wir's. Die drei Patriarchen Abraham, Isaak und der kleine Jakob sind nunmehr versammelt. Nichts fehlt mehr. Ich danke verbindlichst. Wir können beginnen,« und nachdem die imposante Küchengewaltige, Martha und Maria in einer Person, sich auf lautlosen Schuhen entfernt hatte und die Gläser eingeschenkt waren, als bereits eine stille und friedliche Abendsonne durch die weißen Mullgardinen blinzelte und alle Gegenstände mit ihren warmen Strahlen umglänzte, hub Herr Severin Tiebus an, die Geschichte von den heiligen drei Königen sacht und bedachtsam auseinanderzulegen, sacht und bedachtsam und mit dem Verständnis eines feinen Erzählers ... und durch seine Worte hindurch wähnte ich den klagenden Ruf einer Sterbeglocke zu hören, das flüchtige Rieseln des Schilfes an den Altwassern des Rheines, das Schlappen der Segel an den Windmühlenflügeln ... und dann wieder war es mir so, als begönnen irgendwo die Osterfeuer auf den Deichen zu flackern, große, leuchtende, heilige Feuer ... bei Grieth ... bei Emmerich und Huisberden und mehr dem Binnenland zu ... Feuer der Verheißung und einer seligen Andacht ... und ihr glorreiches Scheinen berührte die Sterne.
Minute reihte sich an Minute, Stunde an Stunde.
Fast alle Helle war von der Erde genommen. Das Land dunkelte ein. Die Bilder an den Wänden waren kaum noch zu sehen, so schummerig war es mittlerweile geworden, aber noch immer erzählte der geistliche Herr, mit dem Lächeln unter Tränen, sprachkundig wie Salomo, heiter wie das Klingeln von übermütigen Schellen ... und als dann die Lampe erschien und die dritte Bouteille immer weniger wurde, als die Stimme allmählich verzitterte und der würdige Herr die Hände faltete und nachdenklich in den zirpenden Docht schaute, da wußte ich alles. Nur eins nicht ... und als ich fragte: »Wie ist denn die ernste Geschichte in den Mund der Leute gekommen?« da hieß es: »Durch den Schäfer vom Knollenkamp. Auch das sollen Sie hören,« und Herr Tiebus erhob sich, trat an ein breitausgelegtes Repositorium, entnahm den Gefächern ein vergilbtes Manuskript und setzte sich wieder.
»Von meinem Amtsvorgänger, dem hochbetagten Dechanten Johannes van Holten,« sagte er tonlos, kniffte die Blätter auseinander, holte die Lampe näher heran und las mit weicher Betonung, aber mit Unterstreichung jedes einzelnen Wortes: »Ich, Johannes van Holten, amtierender Pfarrer von Wissel, Ehrendomherr zu Münster, habe dieses niedergelegt, aus lauterem Herzen heraus, um Jesu Christi willen und um der Wahrheit die Ehre zu geben, ohne Ansehen der Person, sonder Nebengedanken oder aus anderen Gründen, so wahr mir Gott helfe zu einem ewigen Leben und zur Anschauung meines Herrn und Erlösers. Amen. So hört denn! Es war in einer schwülen Johannisnacht. Die düsteren Bäume standen lautlos im Garten. Es war so still, daß ich vermeinte, das Rucksen in der alten Turmuhr zu hören. Der Abendstern zitterte noch über dem schwarzen Giebel der Nachbarscheune. Im übrigen hing das Himmelreich voll dunkler Flortücher. Der Tag selber war ohne jede Freude gewesen. Es mochte auf zehn gehen. Mein Geist war lebendig. Ich hatte mein Brevier gelesen und die Predigt für den Sonntag feinsäuberlich zergliedert und nicht ermangelt, den Stil zu läutern und ihm die erforderlichen Blüten und Perlen zu geben, als von jenseits des Rheines ein schweres Wetter heraufzog. Erst stand es wie angenagelt, rückte und regte sich nicht, um sich dann in Bewegung zu setzen und Sturmschritt über Land zu nehmen. Blanke Polensensen durchrissen das Himmelreich, und der Donner war so gewaltig und nachhaltig, daß von dem Rumpeln die Scheiben in ein gelindes Klirren gerieten. Jedes Zucken und Scheinen suchte ich durch das Zeichen des heiligen Kreuzes zu beschwichtigen.
Allein der Blitze waren zu viele. Meine Kraft reichte nicht aus; machtlos sah ich in das tobende Wetter. Dazu rauschte der Regen aus den geborstenen Wolken, als seien die Tage der Sintflut gekommen. Geraume Zeit hindurch währte das Posaunen und Orgeln. Meine Schaffnerin war nicht fähig, sich auf den Beinen zu halten. Ich mußte selber hingehen und neue Kerzen anzünden, um nicht im Dunkeln zu sitzen, um nicht von den scharfen Polensensen geblendet zu werden, als unvermittelt und zu wiederholten Malen angepocht wurde.
Auf mein ›Herein‹ tat sich langsam die Tür auf, und der Schäfer vom Knollenkamp war barhaupt ins Zimmer getreten.
Grundgütiger Himmel, wie sah dieser Mann aus!
Seine Augen flackerten, das durchnäßte strähnige Haar hing ihm wirr um die Schläfen, und kaum vermochte er das gebräuchliche ›Gelobt sei Jesus Christus‹ zu stammeln.
›In Ewigkeit, Amen,‹ gab ich zurück, ›aber um tausend Gotteswillen, was habt Ihr? Was führt Euch her?‹
Der Alte sah mich fassungslos an.
›Herr, daß ich's man sage,‹ meinte er schließlich, ›die Not, die pure Seelenbedrängnis.‹
›Strückerjans, habt Ihr zu beichten?‹
›Ja, Herr, ich habe zu beichten. Ich armer, sündiger Christ bekenne vor Gott und den Menschen und Ihnen, ehrwürdiger Vater ...‹
Seine aufgerissenen Blicke krochen am Boden, hoben sich auf, um wie haltlose Fünkchen die dunkeln Wände abzusuchen. Dazu schurfelte er die borkenrissigen Hände gegeneinander, daß die harten Fingergelenke wie trockene Hölzer zu knacken begannen.
›Herr, dieses Elend! Mein Verstand hat über'n Pferch fortgemacht, und meine Seele wandert durch Biesternis.‹
›So kommt und sagt, was Euch drückt. Exi immunde spiritus! Es ist besser so, denn alles Irdische ist eitel. Ihr werdet in mir schon einen milden Richter finden.‹
›Christus und kein seliges Ende, wie sollte ich können? Die Angst schreit aus mir. Ich bin durch Sünde gegangen. Hier diese Zunge – ich hätte sie ausreißen müssen. Hier diese Augen – ich hätte sie blind machen sollen, und hier diese Ohren ... Ich habe gesehen und doch nicht gesehen. Ich habe gehört und doch nicht gehört; denn alles, was ich hörte und sah, war Wüstenei und Tapsigkeit und das Sehen und Hören eines dämlichen Menschen. Herr, nicht aus Boshaftigkeit, aber der leibhaftige Satan ist mir aus dem Tornister gesprungen. Himmel verdammich! und hier dieses Maulwerk ... was es unter die Leute gebracht hat ... an den Leidensstationen ... am Kalvarienberg ... von wegen des Knollenkamps ... von wegen der Herrin ... das alles hat's aus dem Mistus und dem Spülwasser gelöffelt.‹
Mit einem dumpfen Laut brach er ab; nur noch ein betrübliches Stammeln: ›Elendigkeit, Hundsfötterei und kein seliges Ende!‹
Dann sah ich, wie er wankte, sich vortastete, um irgendeinen Halt zu gewinnen.
›Ich halt's nicht mehr aus!‹
Er lag auf den Knien und betete mit den Worten eines Verzweifelten: ›Herr, erbarme dich meiner, Christus, sei mit mir! Ihr himmlischen Heerscharen, schält mir die Zunge und das böse Wort aus dem Halse. Wer da falsch Zeugnis ablegt, soll verflucht sein in alle Ewigkeit, denn Christus regieret, und seine Hand ist wie eine zuckende Flamme. Herr, sei meiner armen Seele barmherzig!‹
Der ganze Mann war ein Häuflein tiefster Zerknirschung.
Ich trat näher und legte ihm die Hand auf die Schulter. Vieles ging mir durch den Sinn. Dunkle Gerüchte, die seit geraumer Zeit die Gegend unsicher machten und in die Häuser der Menschen hineinwisperten, fielen mir ein, und da sagte ich leise: ›Strückerjans, so habt Ihr Euch an Eurer Herrin versündigt?‹
›Versündigt, versündigt!‹
Wie harte Kiesel fielen ihm die Worte von den Lippen herunter. Er beugte sich tiefer. Seine Stirne berührte die Dielen.
›Und Eure Seele bereut?‹
›Herr, in Bußfertigkeit und ewiger Anbetung.‹
›So erhebt Euch und gehet getröstet nach Hause.‹
Der starkknochige Mann fuhr steil in die Höhe. Das Gesicht war wie das eines Sterbenden. Seine Augen leuchteten wie Mondsteine.
›Nur dann, wenn auch sie mir vergibt.‹
›Sie wird es.‹
Anderen Tages pilgerte ich in Gottes heiliger Morgenfrühe auf den Knollenkamp zu. Das weite Land lag wie ein Wunder um mich gebreitet. Von allen Gräsern tropfte der Tau, spiegelte sich die liebe Welt in den Farben des Regenbogens. In Andacht versunken, gedachte ich der asklepiadeischen Strophe, die da lautet:
›Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht Auf die Fluren verstreut, schöner ein froh' Gesicht, Das den großen Gedanken Deiner Schöpfung noch einmal denkt‹,
und trat zuversichtlichen Herzens in den stattlichen Hof ein.
Unbefangen, wenn auch schmerzlichen Mundes, empfing mich die Gutsherrin. Unsere Unterredung währte nicht lange. Was sie mir sagte, war wie aus einem lauteren Brunnen genommen. Ein großes, schönes, wenn auch nicht einwandfreies Herz tat sich mir auf. In einer halben Stunde war alles erledigt. Sie hatte allen, die den Stein wider sie hoben, vergeben ... ›und wenn eine Schuld war,‹ fügte sie schmerzlich hinzu, ›so gehet hin und sagt es den Leuten und predigt es von der Kanzel herunter, denn jedes und alles will wieder erlebt sein, oder Gottes Wort ist erlogen.‹
So weit meine Mission.
Bewegten Herzens trat ich den Heimweg an, dachte nach über die seltsamen Fügungen und Geschicke der Menschen und sagte mir: ›Meistens wollen die Betörten nicht das hören, was die Verleumdung zerstört, sondern das, was sie befestigt,‹ hatte aber noch die gottwohlgefällige Freude, ein feiertägiges Leuchten über dem Gutshof zu sehen – den Stern der Verheißung.
Solches habe ich niedergeschrieben nach bestem Gewissen und Wissen. Daß es also geschehen ist, dessen ist der liebe Herr Jesus Christus mein Zeuge, der da regiert von Beginn der Tage an und regieren wird bis in allewige Zeiten.«
Herr Severin Tiebus legte die einzelnen Blätter zusammen.
Wir hatten uns nichts mehr zu sagen.
Es war mittlerweile spät unter dem Monde geworden.
Die Nacht hellte sich auf. Die Finsternis zerteilte sich. Ich war wissend geworden.
Noch einmal erhob sich die Stimme des geistlichen Herrn: » O lector lectorum, dic mihi: quid sunt quatuor?« und prompt tönte die sonore Antwort der Küchengewaltigen herüber: » Quatuor Evangelistae, tres sunt Patriarchae: Abraham, Isaak und der kleine Jakob, duae tabulae Mosis, unus est Oeconomus, qui regnat super ancillas in culina nostra.«
Therese brachte die vierte Bouteille, den Evangelisten.
Nach einer kleinen Stunde trennten wir uns.
Eine Lerche wirbelte hoch, eine zweite, eine dritte, und unter diesem Lerchenwirbel: Phöns met de Fleut. Hinter ihm tänzelte ein langer Flor von einem mausegrauen Zylinder herunter.
O dieser Phöns met de Fleut!
Wie ein Storch in einer Erbsenrabatte, so stakelte er über die blumigen Fluren, ganz Wehmut und Trauer und mit der bekümmerten Miene des ersten Repräsentanten in einem solennen Beerdigungsinstitut. Bei diesem Kostgänger des lieben Herrn paßte streng genommen gar nichts zusammen. Er verkörperte die reinste Dissonanz und den lieblichsten Unsinn. Für den gedunsenen Leib waren die Arme zu lang und die Beine zu spillerig, und sein entwaldeter Kopf schaukelte sich auf dem gestreckten Hals wie ein Kürbis auf einer Fitzbohnenstange. Auch hieß er eigentlich gar nicht Phöns met de Fleut, sondern Alphons Desiderius Kersken, was aber die Leute nicht abhielt, bei dem musikalischen Namen zu bleiben und ihn so und nicht anders zu nennen. Sein Fuchsgesicht erinnerte an das eines Parterreakrobaten. Die eine Hälfte vermochte zu lächeln, während die andere sich in Tränen auflöste, und kam Not an den Mann, war er imstande, mit dem linken Auge eine ganze Gesellschaft zu unterhalten und mit dem anderen ein Partiechen Sechsundsechzig zu spielen. Überall wurde er mit Begeisterung empfangen. Einen Beruf kannte er nicht, aber er gab sich elastisch und hatte sein Künstlertum. Phöns spielte die Ziehharmonika ebenso gut wie das Cornet à piston, vagabundierte zu gewissen Zeiten auf den benachbarten Jahrmärkten herum, ließ das Drehbrett kreisen oder beflügelte die derben Schenkel der Kirmesgäste mit einer feurigen Polka Mazurka, um sich dann wieder mit der Rolle eines beschaulichen Hamsters in seinem bescheidenen Häuschen am Rheindamm zufrieden zu geben. Er lebte gleich einem Flachsfinken in Gottes freier Natur, aber von andermanns Rübsen, darbte, ohne zu klagen, und schlang gleich darauf mit äußerster Resignation eine drei Spannen lange Mettwurst hinunter, die ihm irgendein Bauer zugesteckt hatte, ohne dabei eine Miene zu verziehen oder das geringste Wort zu verlieren. Herr Alphons Desiderius Kersken war prachtvoll. Er war ein König in seinem Reich, aber ein König in Lumpen. Er gab mit der Rechten, um mit der Linken doppelt und dreifach zu nehmen. Er hatte Geist und Fähigkeiten wie ein Gentleman, dazu die sonnigen Angewohnheiten eines mit sich selbst zufriedenen Säufers. Dieser niederrheinische Troubadour freute sich mit den Fröhlichen, trauerte mit den Betrübten, ehrte den Papst und seine Heiligen und beweinte die Toten. Er war nicht umzubringen. Wurde irgendwo eine Hochzeit gefeiert – Phöns mußte dabei sein. Galt es, nach altem Gebrauch eine respektable Weihnachtssau auszukegeln – Phöns durfte nicht fehlen. Alle Neuigkeiten fanden in ihm den besten Verbreiter. Seine Ziehharmonika hatte Klang und Farbe in der ganzen Umgebung, und wurde irgendwo die Sterbeglocke geläutet – Alphons Desiderius Kersken folgte ihrem Ruf wie ein Leichenhuhn mit mausegrauem Zylinder und keuscher Florpleureuse, ganz auseinander, bejammernswert und mit dem kummerroten Gesicht eines in sich gebrochenen Mannes.
So auch heute.
Seine Schritte waren getrommelte Wehleidigkeit, sein Inneres Staub und Asche, seine Gedanken flackernde Bemühungen, das Unvermeidliche mit Würde und Andacht zu tragen.
In dem unermeßlichen Grasmeer tauchte ein Hof auf.
Phöns blieb stehen und machte mit der Hand eine grandiose Bewegung.
»O, o, o!« seufzte er aus tiefster Weste heraus, »Knollenkampbauer, mußte das kommen, mußte das kommen?!«
Sein klagender Ruf holte die singenden Punkte aus dem Himmelreich. Langsam plumpsten sie in die Ackerfurchen zurück.
Der Lerchenjubel verstummte, dafür aber kam es in wehen und getragenen Lauten herüber: » Oremus«!
»Ja, lasset uns beten!«
Um Christi willen, was war das nur?! Warum geisterten diese geheimnisvollen Stimmen um das stattliche Anwesen, das immer mehr und mehr aus seinen dunkeln Laubmassen herauswuchs?! Sonst lag der Knollenkamp mit blanken Fensterscheiben stur und kantig an der gewaltigen Lehne des Binnendeiches, der, vom Rheindamm ausgehend und ein stagnierendes Wasser begleitend, die weiten Wiesen- und Weidendistrikte von Bylerward zu sichern hatte – und war jetzt öde und mit Sterbelaken umkleidet ... dieser imposante Hof! und lärmten doch sonst die Elstervögel in seinen saftgrünen Pappeln, grüßten die Türme von Grieth, Emmerich und Kalkar freundlich herüber, rumpelten die Hufkarren unermüdlich ab und zu, lachten Knechte und Mägde, bestellten die Raufen oder zogen mit weißgescheuerten Melkeimern in die Koppeln hinein, stand der fünfundsiebzigjährige Knollenkampbauer wie ein eingerammter Eichenpfahl an der großen Einfahrt, um von hier aus seine eisblauen Lichter über Roggen- und Weizenschläge revieren zu lassen, unerbittlich und hart, mit der Zähigkeit von eiligen Stößern, die etwas Jagdbares verfolgten ... und war jetzt alles von einer Totenhand berührt, unwirtlich und sonder Bekömmnis. Die Türme umschleierten sich, keine Wagen fuhren ab und zu, Knechte und Mägde hatten ihr Lachen verloren, keine Melkgeschirre blenkerten zwischen den Triften, und der Gutsherr stand nicht mehr als eingerammter Eichenpfahl in der großen Einfahrt ... er ruhte vielmehr, lag strack und steif in der abgeblendeten Kammer, mit porzellanenen Händen, ein Kruzifix zwischen den klammen Fingern – und sein Schlaf war ein ewiger.
» Oremus!«
Wer Stäwe Donsbrügge, den Knollenkampbauer, nicht gekannt hatte, der hatte auch die Kreise Kleve und Geldern niemals gesehen, niemals gehört, wie so ein Mensch eine Champagnerflasche entkorkte, um den Papst und die Kirche zu feiern und den Antaster seines Besitzes und Erbes in Grund und Boden zu fluchen, niemals sich umschauern lassen von der gewaltigen Einsamkeit des endlosen Landes, denn in ihm verkörperte sich der ganze Niederrhein, seine gesegneten Äcker, Himmel und Erde und alles, was im blauen Leinwandkittel atmete und den geschälten Weißdorn regierte.
Ja, lasset uns beten!
Stäwe Donsbrügge war von der Koppel geschlagen, unversehens, ohne noch die Sakramente empfangen zu haben, im Angesicht und im Beisein seines einzigen Kindes, in schwüler Stunde, als ein schlimmes Wetter heraufzog und Vater und Tochter sich gegenüberstanden, Auge in Auge, Stirn gegen Stirn und jeden Atemzug eines schweren Unglücks gewärtig.
Aber Gott war barmherzig gewesen.
Er wollte sich und dem Hofe die große Schande ersparen.
Mit starker Hand griff er in dem Augenblick ein, als der Alte in heller Wut nach einem Schemel tastete, um diesen Schemel zu wuchten und niederkrachen zu lassen. Aber da war er zusammengebrochen wie ein Schleusenwehr in der Sturmflut, unvermittelt, das brechende Auge auf seine Tochter gerichtet, in der Linken die Abschrift des Testamentes, das er noch vor wenigen Tagen in amtlicher Form und im Beisein des instrumentierenden Notars in Kalkar getätigt hatte.
Und dieses Testament ...
»Oremus!«
Die meisten Leidtragenden hatten sich bereits eingefunden: Gutsbesitzer, die Honoratioren der kleinen benachbarten Stadt und solche, die bei dem Verstorbenen in Kost und Arbeit gestanden hatten. Sie verteilten sich in einzelne Trupps zwischen den weitläufigen Scheunen und Geschirrkammern oder hielten sich neben der Freitreppe auf, die ins Herrenhaus führte. Die Geistlichkeit fehlte noch. Aber sie mußte bald kommen. Um die Zeit bis dahin auszufüllen, bewegte sich die Lichtjungfer, die den Alten eingekleidet und aufgebahrt hatte, unauffällig von einer Gruppe zur anderen, redete diesen und jenen an, erzählte von ihrem entsagungsreichen Handel und Wandel, um dann wieder beängstigende Stoßseufzer und Anrufe mit der Würde eines Paukenschlägers und der wohltuenden Milde eines Klerikers unter die Leute zu streuen, als sich plötzlich ein verhaltenes Kichern erhob: »Phöns met de Fleut!« und sich alle Gesichter der Einfahrt zuwandten.
Und Alphons Desiderius Kersken erschien.
Die rechte Hand auf die schäbige Weste gepreßt, den Mausegrauen mit der Linken als Futterschwinge vor sich hertragend, bekümmert, fassungslos und den Wasserkopf sorgenvoll hin und her bewegend, steuerte er geradeswegs auf eine Gruppe von Teilnehmern los, aus der drei imposante Gestalten herauswuchsen.
Es waren Männer wie aus Bronze gegossen, drei Brüder, einer dem andern so ähnlich wie eine Kiefer der andern, bodenständige Männer, mit der niederrheinischen Scholle von Anbeginn ihrer Tage verwachsen, selbstherrlich, ohne diese Selbstherrlichkeit im Munde zu führen, und immer bereit, ihre ganze Kraft in den Dienst der guten Sache zu stellen, und obgleich diese drei mit dem Abgeschiedenen nicht das geringste zu tun gehabt hatten, weder als Freunde noch als Verwandte, sondern lediglich erschienen waren, ihm als Nachbar die letzte Ehre zu erweisen, fand Phöns met de Fleut nicht Worte genug, ihnen sein tiefgefühltestes Beileid an Herz und Nieren zu legen, ihnen minutenlang die Hände zu schütteln, als gälte es, in diesem erhabenen Augenblick Abschied für immer und auf Leben und Sterben zu nehmen.
»Klaas-Welm,« redete er den ersten an, »kann es die Menschenmöglichkeit sein, so aus dem Leben zu müssen?! und er war doch kumpabel, mit die eigenen Speziestaler den Deich bis nach Grieth hin zu pflastern.«
»Phöns, wir alle müssen mal dran glauben.«
»Müssen wir, müssen wir. Leider!« und der Mausegraue deutete sacht auf den zweiten.
»Ewert, meinen gehorsamsten Ausdruck. Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gepriesen bis in Methusalemstagen. Der Mann verstand es, 'ne reelle Bouteille Langkork auf den Kopp zu hauen und alle zu machen, und in diesem Momang: 'ne Handvoll Kirchhofserde und drei Vaterunser. Allens. Mortuus est, wie der Herr Dechant in der Gewohnheit besitzt, also zu sprechen. Gott, und dann Anna ...und dann Jan-Ohme noch ...!«
Er wandte sich dem dritten zu.
Nur ein Händeschütteln, aber ein Händeschütteln, als müsse es für die Ewigkeit halten. Sein Leid war zu schwer, zu tiefgründig und niederziehend, um dieses Leid in die gebührenden Worte zu kleiden. Dem dritten gegenüber konnte Phöns nicht mehr reden.
Bloß eins noch.
»Arnt...!« sagte er traurig. Er stülpte den Zylinder über, ließ die Pleureuse im Sommerwind schaukeln und wanderte ab – der großen Scheune zu, die im Schatten eines alten Birnbaums träumte und mit der einen Längswand den Hof nach der Feldseite zu abgrenzte.
Hier lehnte er sich gegen ein Aprikosenspalier, drückte sich sein baumwollenes Schnupftuch gegen die Lippen, krank vor Jammer und Elend, und hatte bei Gott und aller Welt von dem Verstorbenen weder Liebe und Freundschaft empfangen, noch die Versicherung erhalten, von ihm in seinem letzten Willen berücksichtigt zu werden, und doch schluchzte er über sein Taschentuch fort, als hätte er im Schatten des alten Birnbaums die Irrungen und Wirrungen und die wenig erfreulichen Überbleibsel eines verfehlten Lebens zu beweinen.
»Christus, und dann Jan-Ohme noch ...!«
Er wandelte sich.
Das fidelste Gesicht kam zum Vorschein. Ein Chamäleon hätte nicht schneller die Farbe geändert, als Phöns in diesem Augenblick aus dem Stadium des Florigen in das des Pläsierlichen hinüberwechselte. Eine ernste Krisis stand ihm bevor, und diese Krisis trat ein und löste sich auf durch eine näselnde Stimme, die bei den Leidtragenden herumhausierte und irgendetwas anpräsentierte.
»As 't üh belieft, Mynheer Gerpott.«
»As 't üh belieft, Mynheer Kermes.«
Die Stimme kam näher. Ein trübseliger Längeling, mit bläulichem Kinn, ganz in Schwarz gekleidet, barhaupt, etwas lahmen Fußes und einen langen Kreppstreifen hinter sich herziehend, beehrte die einzelnen Teilnehmer, um sie nach ortsüblichem Brauch und Herkommen für den Beerdigungsgang mit einem Wacholder zu stärken.
Wie der Pate des Todes schritt der Leichenbitter von einem zum andern, ein mächtiges Tablett mit unzähligen Schnapsgläsern vor sich her balancierend.
Er wandte sich an den alten Schäfer des Hofes.
»As 't üh belieft, Mynheer Strückerjans.«
»Danke.«
»Bitte, nehmen Sie bloß; es ist 'ne ›Blummesüte‹, Herr Schwaters.«
Immer näher und näher.
Der Mann am Aprikosenspalier wurde unruhig. Er befürchtete, übergangen zu werden, und streckte den Arm hoch.
»Mir auch! denn ich bin sozusagen auch einer von's Leichenbegängnis.«
»Ja so!« meinte der Angerufene, zog den Gänsehals ein und hielt ihm das Tablett unter die Nase.
»As 't üh belieft, Mynheer Phöns. Es ist um Gottes willen gegeben.«
»Merci und meinen gehorsamsten Ausdruck.«
Er langte zu und fingerte das größte Glas von der zinnernen Assiette herunter.
»Pompös und über alles Erwarten. Mit so was kann sich auch ein Toter befassen.«
Ein zweites wurde hinter die Binde gegossen, ein drittes, und er hätte sich noch ein viertes genehmigt, wären in diesem Augenblick nicht ernste und feierliche Trauerklänge über das sonnige Land gepilgert. Die Sterbeglocke schlug an und läutete ihn aus dem beglückenden Nebel des Fusels wieder in das Tal der Tränen hinein, zumal da sich die Tür des Herrenhauses öffnete, ein untersetzter Mann in den sechziger Jahren auf der mit Palm und welken Blättern bestreuten Freitreppe erschien und mit abgenommenem Hut die Erschienenen musterte. Er war die angeborene Ruhe, der vorbildliche Typ eines Grundbesitzers zwischen Rhein und Maas, Junggesell und auf dem Baumannshofe zu Hause, der, in der unmittelbaren Nähe von Grieth gelegen, bedeutsames Ansehen genoß und sich, unter Einrechnung der gesonderten Liegenschaften, seiner zweihundertundfünfzig Morgen schweren Weizenbodens erfreute. Herr Baumann, allgemein beliebt und angesprochen unter dem Namen ›Jan-Ohme‹, war etwas zu kurz in seinen unteren Potentaten geraten, dafür aber wurzelten sie um so fester auf seinem Erbe und Eigen, war sein Bäuchlein mit der schwergoldenen Kette um so stattlicher hinsichtlich seiner Rundung und Breite ausgefallen, lag sein Kopf mit den wohlgepflegten Sardellen, den grauen Hasenpfötchen und dem glattrasierten Gesicht so selbstverständlich zwischen den steifen Vatermördern, daß man sein unscheinbares Gangwerk als etwas Nebensächliches hinnehmen konnte, abgesehen davon, daß die silbernen Ringe in seinen Ohrläppchen ihm noch eine besondere Note verliehen.
Kurz, Jan-Ohme imponierte; er imponierte auch Phöns, denn kaum war dieser seiner ansichtig geworden, als der Mausegraue sich wieder in der Rolle einer vorgetragenen Futterschwinge gefiel, auf die Freitreppe zuwankte, um vor Jan-Ohme eine schmerzzerrissene Bewegung zu machen.
»Herr Baumann, um es mit einem Wort zu sagen, ich bin in die Pfanne gehauen. Ihr leiblicher Schwager ... heute rot, um morgen schon auf die Hobelspäne zu kommen. Dieses Malör... der größte Mann seines Jahrhunderts... der Pfleger der Witwen und Waisen ... Mitgefühl, Vertrauen und Liebe... Herr Baumann, nehmen Sie's 'nem alten Musikanten nicht übel...«
Er griff nach der Hand des Gutsbesitzers und schüttelte sie Minuten hindurch, auf Treu und Glauben und mit dem Ausdruck eines gutmütigen Amis, wie er noch kurz zuvor die Hände der drei ehernen Männer geschüttelt hatte, immer betonend, er würde sich glücklich schätzen, an Stelle von Stäwe Donsbrügge zwischen den gefirnißten Brettern zu liegen.
»Herr Baumann,« lamentierte er weiter, »mit dem Gefühl ist das eine besondere Sache. Aber wer so für die seligmachende Kirche, für Gott, König und Vaterland, wer so für seine mistenden Ochsen Erbarmnis hatte ... die diversen Langkork-Bouteillen mal gar nicht gerechnet ... wer so was in Estimierung genommen ...«
Er schluchzte, als wäre ihm das gebrannte Herzeleid angetan worden.
Jan-Ohme legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Phöns, alles schon richtig. Aber der Verhältnisse wegen und der näheren Umstände halber: immer dusemang und fortepiano.«
»Woso?« fragte dieser, und mit seinem Taschentuch fuhr er sich über den eierblanken Schädel.
»Weil ich als Schwager und Bruder der seligen Frau das in der Beurteilung habe.«
»Allerdings, allerdings! aber er ist doch sozusagen rips, mortuus est und mit der ewigen Krone versehen.«
»Ist er,« bestätigte Jan-Ohme und sah über den Hof weg, in die Felder hinein, wo sich zwischen den grünen Korngassen ein hochgetragenes Kruzifix zeigte. »Kein Zweifel, aber er war nebenher ein Krippensetzer und mit Mauke behaftet.«
Phöns entsetzte sich.
»Herr Baumann, wo seine mistenden Ochsen ...?!«
»Immer dusemang und fortepiano.«
Eine Bewegung entstand. Unter leisem Psalmodieren und dem Abgesang von Sterbegebeten zog die katholische Geistlichkeit in weißen Röcklingen und schwarzen Baretten auf die Stätte des Schweigens, woselbst der Knollenkampbauer das Zepter aus der knochigen Faust getan hatte, um es in andere Hände zu legen.
Gleichzeitig wurde der dunkle Sarg, im Schmuck seiner hellen Zinnbeschläge, aus dem Herrenhaus ins Freie getragen.
Phöns krümmte sich wie ein Wurm. Durch die hundertjährigen Pappeln säuselte ein Rascheln und Raunen. Alle Häupter entblößten sich, alle Hände machten das Zeichen des heiligen Kreuzes. Es war hart, unerbittlich und grausam, aber nicht mehr zu ändern: Stäwe Donsbrügge mußte von dem Erbe seiner Väter herunter. Sein Geschick war erfüllt, seine Mission zu Ende, und Gott regierte die Stunde.
Ja, lasset uns beten!
Die Kleriker setzten sich mit dem ragenden Kruzifix an die Spitze des Zuges.
Jan-Ohme, nachdem er die Honoratioren begrüßt und den drei ehernen Männern für ihr Erscheinen besonders gedankt hatte, begab sich unmittelbar hinter die Bahre und bat die Anwesenden, ihm Gefolgschaft zu leisten. Alle reihten sich ein nach Würde und Ansehen: die Grundbesitzer, die Kleinbauern und solche, die dem Verblichenen als Knechte oder Tagelöhner gedient hatten. Phöns schloß sich den letzteren an. Er tat es mit Absicht, aus einem tiefen Beweggrund heraus. Er wollte demütig sein, aller Hoffart bar und des Spruches eingedenk: Wer sich selber erniedrigt, der soll erhöhet werden vor Gott und den Menschen.
Graue Schattenflügel senkten sich über das Anwesen.
Ein junger Tonsurierter betete: »So fahre denn hin, christliche Seele! aus dieser Welt, im Namen Gottes, des allmächtigen Vaters, der dich erschaffen; im Namen Jesu Christi, des Sohnes, der für dich gelitten hat; im Namen des heiligen Geistes, der dir mitgeteilt worden ist; im Namen der Engel und Erzengel; im Namen der Throne und Herrschaften; im Namen der Fürstentümer und Mächte; im Namen der Cherubine und Seraphine; im Namen der Patriarchen und Propheten; im Namen der heiligen Apostel und Evangelisten; im Namen der gebenedeiten Märtyrer und Bekenner, der Mönche und Einsiedler; im Namen der Jungfrau Maria und aller Seligen! Heute noch mögest du in das Haus des ewigen Friedens aufgenommen werden, heute noch wohnen im gefeierten Sion! Durch Jesum Christum, unseren Herren. Amen.«
»Amen!« respondierte Phöns met de Fleut, »Amen, Amen! und so was soll ein Krippensetzer gewesen sein, einer mit Mauke behaftet?! so ein Mann mit fünfundzwanzig mistenden Ochsen ...! Herr Jeses noch mal!« und er gab einen Ton von sich, der weder Seufzen noch Stöhnen war, aber so erschütternd wirkte, daß selbst die umstehenden Scharwerker, die doch eine gehörige Portion Jammer vertragen konnten, mit ihrem Schwatzen innehielten und heimlicher sprachen.
» Oremus!«
Ein stilles, feierliches Licht ging über die Landschaft, ein kaum wahrnehmbares Wispern und Sensen, von dem man nicht wußte, woher es kam und wohin es wollte. Es duftete nach lauem Krepp und abgestorbenen Blumen, und unter diesem faden Geruch wurde der Knollenkampbauer von seinem eigenen Grund und Boden getragen.
Außer Phöns – niemand klagte um ihn, niemand weinte um ihn, denn Stäwe, so hoch sein Ansehen auch war und sein Name im ganzen Kreise gewertet wurde, niemals hatte ihn das warme Herdfeuer der Liebe umschienen. Von allen geehrt, aber auch von allen gefürchtet, nüchtern und eigenbrödelnd war er vom Beginn seiner Tage an durchs Leben gegangen. Er marschierte stets über knochentrockene Wege, aber diese Wege waren imstande, über andermanns Leiche zu führen. Ein Findling auf einer Ackerparzelle konnte nicht härter sein als er. Seine Hand lastete schwer auf Knechten und Mägden, und dennoch trug er Sorge um sie, als wären es seine leiblichen Kinder gewesen. Der Staat mit seinem fahrigen Wesen sagte ihm wenig. Dafür liebte er die alleinseligmachende Kirche. Er bewunderte sie. Sie verkörperte ihm das Unbeugsame, Zugreifende, Packende, das zielbewußte Handeln seines eigenen Menschen. Ihre Machthaber: jeder Bischof, jeder Pastor, selbst das einfachste Kaplänchen in der Diözöse, stand mit seinem Herzblut und in blauem Eisen vor dem, was sie lehrte und wollte. Das sagte ihm zu. Ecclesia militans! Ihr zu Ehren ließ er den Pfropfen knallen, beglückte er allsonntags den Klingelbeutel mit einem harten Speziestaler. Er lächelte selten, aber wenn er es tat, geschah es nur, um sich seiner unabsehbaren Roggen- und Weizenfelder zu freuen. Er schätzte sie höher ein als alle schönen Sachen und Sächelchen des irdischen Daseins. Sie galten ihm mehr als sein Weib, und als der Herr kam und sagte: »Konstanze Donsbrügge, geborene Baumann, ich nehme dein junges Leben hinweg, wie eine Sense einen Armvoll Halme hinwegnimmt, deine Zeit ist gekommen,« hatte er weniger Klage und Leid um sie, als wäre ihm ein minderwertiges Stück Kleefeld verhagelt, obgleich er sie, abgesehen von einer früheren Entgleisung, niemals gekränkt hatte in Taten, Worten, Gedanken und Werken. Sein sturer Erwerbssinn, seine unersättliche Liebe und Gier nach Äcker und Schollen hatten ihm Herz und Nieren verschrumpfelt. Er konnte nicht anders. Er mußte sein Leben leben, wie er es empfangen von Vater und Mutter, wie er es weiter durchlebt hatte bis zur unerwarteten und plötzlichen Stunde des Todes. Sein Abscheiden ging keinem ans Herz. Eher hätte man um einen Kiesel getrauert, der unter dem Eisen eines schweren Karrengauls in die Brüche gegangen. Warum sollte man auch? Er hatte gesät und geerntet. Seine Böden krachten unter der Fülle der Kornsäcke. Er hatte die fette, braune Erde in seiner Erregung vergewaltigt; sie hatte empfangen durch ihn, geboren durch ihn und war glücklich geworden durch die Inbrunst dieses stiernackigen Liebhabers. Aber diese Leidenschaft, dieser Minnedienst ging nicht zu den Menschen, erwärmte nicht, beseligte nicht, hatte mit Benignität und Duldsamkeit keine Gemeinschaft, und wenn er seine Hutungen inspizierte, seine Vorwerke und umbrochenen Fennen – er, der unbeugsame Herrenmensch und Niederungsbauer, der Kreisdeputierte, der Fels Petri – wenn er seine Schleusen aufsuchte, seine Vorgehölze, im blauen Leinwandkittel, die seidene Schirmmütze im Nacken, den geschälten Dorn in der Rechten führend und mit dem eckigen, undurchdringlichen Gesicht seine eigene Flurkarte umgreifend, dann fröstelte die Gegend, und Menschen und Vieh beeilten sich, aus seiner Nähe zu kommen. Selbst die Luderkrähen zogen ihren grindigen Schnabel aus dem Kleiboden, schwaderten auf und schaukelten lautlos über den Rhein fort ... und nun suchte er den ewigen Frieden, um zu wohnen im himmlischen Jerusalem, im Land der Verheißung.
Ja, lasset uns beten!
Langsam ging es an dem alten Birnbaum und der großen Scheune mit dem Aprikosenspalier vorüber. Die verschnittenen Bocksdornhecken blieben zurück, die Ställe, die Gesindewohnungen, die Geschirrkammern.
Das wehe Säuseln und Rascheln in den alten Baumkronen wurde stärker. Irgendwo winselte ein Hund, klingelte eine Halfterkette.
Die Lichtjungfer, die vor einer kleinen Viertelstunde den Leidtragenden zugesprochen hatte, stand jetzt mit leeren Augen, einen Rosenkranz zwischen den wächsernen Fingern, hoch auf der Freitreppe. Von hier aus hielt sie die Heerschau ab über den Paradezug des Todes.
Sie hatte keine Einwendungen zu machen. Alles klappte ihrer Anordnung und der Satzung gemäß. Jeder tat seine äußerste Pflicht und Schuldigkeit. Die Bruderschaft der Sebastianer aus Grieth und die marianische Kongregation von Wissel gliederten sich zielbewußt ein, ohne die geringste Störung zu verursachen. Die beiden Kirchenfahnen bauschten sich rechtzeitig in der leichten Sommerbrise. Der silberne Kruzifixus gespensterte heilverkündend dem Zuge voran. Sein Leuchten tat dem Herzen der Inspizierenden wohl.
Mit der Linken fuhr sie über ihr schwarzes Kleid aus Merinowolle. Sie glättete zufrieden die einzelnen Falten und Fältchen. Um ihre Mundecken spielte ein Lächeln, das nicht von dieser Welt war, sondern dem Toten galt und denen, die bereits an den ewigen Tischen saßen.
Als der Sarg die große Einfahrt passierte und sich dem Kommunalweg zuwandte, der über den Leedeich nach Grieth führte, machte sie kehrt, schlug etliche Male gegen die Haustür und sagte mit ihrer warmen und weichen Stimme, die dennoch so deutlich und eindringlich erschien wie die eines Kanzelredners: »Anna Donsbrügge, kommt vör! Ihr könnt nu erscheinen.«
Sie sprach nicht vergebens.
Eine hohe Frauengestalt war aus dem Hausflur an ihre Seite getreten, ein Weib mit herbem Gesicht und ruhiger Sicherheit. Was zwischen ihr und ihrem Vater geschehen war, stand noch auf ihrem bleichen Antlitz geschrieben, und dieses Antlitz war königlich und trotzdem mit einer Dornenkrone umwunden. Wer kannte Anna Donsbrügge nicht?! Alle kannten sie, alle, die auch ihren Vater gekannt hatten, über Xanten fort bis weit ins Geldrische hinein. Sie kannten ihren Eigenwillen, ihr reines Magdtum, ihre seltsame Schönheit. Sie wußten, daß Johannes van Holten, derzeiter Pfarrer von Wissel und Ehrendomherr von Münster, ihr Erzieher und Lehrer gewesen, und sie wußten auch, daß er gesagt haben sollte: »Meine Augen sehen und meine Ohren hören, und was sie sehen und hören, ist nicht in die Luft gezeichnet oder ein Klingen, das zwischen Himmel und Erde hängt und gar nichts bedeutet. In Anna Donsbrügge sind zwei Naturen verkörpert. Sie hat das Gemüt eines Kindes und den stolzen Sinn einer schönen Pantherkatze. Und wenn sie in ihre Jahre gekommen – sie wird ein Weib sein nach dem Herzen Gottes, wie nicht mehr zu finden. Der Schrei nach dem Manne wird sie beherrschen. Aber sie wird fern davon sein, eine törichte Jungfrau zu heißen. Sie wird mit vollen Händen geben, ohne daß die Linke weiß, was die Rechte verausgabt, aber sie wird auch ihr Eigen und Erbe verteidigen mit der Entschlossenheit eines Fahnenträgers, der sein seidenes Tuch zu beschützen hat, selbst auf verlorener Walstatt. Sie wird eine Kampfnatur sein, just wie ihr Vater. Drum trage ich Sorge ... und trage doch keine Sorge, denn ich weiß, sie hat das Gemüt eines Kindes, wenn auch den stolzen Sinn einer Pantherkatze ... und solche Menschen wissen die beschwerlichen Pfade des Lebens zu überwinden, durch sich und die Gnade des Herrn.«
Wer kannte Anna Donsbrügge nicht?! Alle kannten sie, alle, die in der Niederung wohnten, über Xanten fort bis weit ins Geldrische hinein. Sie kannten ihren Eigenwillen, ihr reines Magdtum und ihre seltsame Schönheit.
Ja, dieses herbe Magdtum, diese sieghafte Schönheit und dieser wilde verhaltene Schmerz um die Mundecken! alles das zwang in die Knie, legte einen Hermelin um ihre Schultern, um die Schultern von Anna Donsbrügge – und machte sie einer Herzogin ähnlich, einer Fürstin in Trauer.
Mit heißen Augen stand sie zwischen den Türpfosten. Mit diesen Augen folgte sie dem Sarge, dem Leichengefolge, bis sie untertauchten in dem Blust und Blühen des warmen Sommertages.
Da streckte sie sich und preßte ihr weißes Tuch gegen die Lippen.
»So!« atmete die Lichtjungfer auf, »nu hat der Knollenkamp Ruhe.«
»Wie meint Ihr das, Lena?«
»Ich meine man so, um dessentwegen und aus einem besonderen Grunde. 'nen ewigen Knüppel im Nacken zu haben, macht keine Freude. Es ist doch kommoder, ohne den Alten zu hausen.«
»Lena, über einen Toten spricht man nur Gutes.«
»Ich weiß das, mit Respekt zu vermelden. Das braucht mir keiner zu sagen. Niemand, keine menschliche Seele. Da ist weiter nichts bei. Aber jeder ist so, wie er ist. Auch der Knollenkampbauer. Keine Liebe und kein richtiges Mitleid. Man hat doch auch seine Augen, mit Respekt zu vermelden. Selbst die Fliegen sind nicht an den Toten gegangen. Auch die Kerzen wollten so richtig nicht brennen. Ich hab's schon gemorken. Solche Menschen sind vom Herrgott gezeichnet.«
»Schweigt und geht an die Arbeit. Öffnet die Läden und laßt Luft in die Kammern. Ihr seid hart wie ein Kiesel.«
»Nur bei Zeiten, und wenn ich es so in der Empfindung besitze. Das kann niemand mir abdisputieren, denn ich kucke durch Bretter.«
Dann ging sie.
Die Gutsherrin folgte. Sie schritt über den Flur in das Zimmer zur Linken, wo alles noch nach Weihrauch, gestreutem Buchsbaum und welken Blumen duftete – und alles öde und leer war.
Hoch über der mächtigen Deichkrone, die sich in saumseliger Schleife den Rhein entlang nach dem benachbarten Grieth zog, kroch es mit den Windungen und den sanften Gelenken einer dunkeln Riesenmade.
Über dem pilgernden Tier erhob sich etwas Schwarzes, Langgestrecktes, ragte das silberne Kreuz auf, dessen eigenartiger Glanz weit in das sommerstille Land hineinblenkerte.
Links flutete der Strom gemächlich nach Holland, rechts wellte sich ein unendliches Gras- und Halmenmeer gegen den Horizont an, um sich in einem violblauen Duft zu verlieren ... weit da drüben bei Hasselt und Qualburg und den feingestrichelten Konturen des Klever Reichswaldes. Stattliche Gehöfte lagen dazwischen, friedliche Weiler, geruhsame Windmühlen, und alles und jedes präsentierte sich wie auf der blanken Hand des ewigen Gottes ... und Stäwe Donsbrügge mitten darunter, hoch ob den Schultern von sechs ganz in Schwarz gekleideten Männern, auf seinem Paradebett, mit gefalteten Händen und unter dem Gefummel der bequem ihre Pfade dahinschreitenden Kleriker.
Knollenkampbauer, Knollenkampbauer, sind deine Wege immer gerecht gewesen?
Gerecht – ja, in deinem Sinne gerecht. Man mußte hierfür nur den richtigen Ausdruck gebrauchen.
Knollenkampbauer, Knollenkampbauer, und deine Taten und Werke – konntest du sie immer vertreten vor dem Gesetze und deinem Gewissen?
Bis auf mehrere Fälle: auch dieses – nur sie sind hart und frostig und unerbittlich gewesen.
»Und was noch kommen wird ...« sagte Jan-Ohme stumpf und dumpf vor sich hin, schüttelte bedenklich den Kopf und torkelte weiter.
Die Sterbeglocke von Grieth hub wieder an.
»Requiem aeternam dona ei, Domine!«
»Et lux aeterna luceat ei!«
»Amen!«
Jan-Ohme, wenn auch in sich gefestet und nicht bange vor Hölle und Teufel, konnte seine schlimmen Gedanken nicht los werden. Die Kälte des unbarmherzigen Sensenmannes saß ihm nun einmal im Nacken. Noch immer fühlte er die nadelspitzen Lichtseelen der Trauerkerzen, die den Sarg seines Schwagers umstanden hatten, noch immer den süßlich-faden Geruch nach Krepp und sickernden Wachstropfen. Alles war so plötzlich und überraschend gekommen, so ohne Übergänge, so aus dem Vollen heraus, ohne ihm Zeit zu lassen, sich zu besinnen und dem Geschick in die Parade zu fahren. Vieles wäre vielleicht noch im letzten Moment auf die Butterseite gefallen, hätte man ihn früher verständigt, ihn früher gerufen, vor wenigen Tagen noch, als die verflixte Testamentsgeschichte anfing bedrohlich zu werden. Das war nun unwiderruflich dahin ... und das Ende davon: Stäwe Donsbrügge wurde auf die Hobelspäne geworfen. Schade um den Mann! wenn er auch ein Krippensetzer und mit Mauke behaftet gewesen war; aber er hatte doch das Seine vorgestellt, hatte das Seine geleistet, wenn auch wie ein Bulle im Joch und mit schnaubenden Nüstern, hart bis zur Brutalität, eigenwillig wie'n Küster in 'ner Gnadenkapelle. Kein Zweifel: als Ökonomierat und Kreisdeputierter verfügte er über große Meriten, als Mensch und Familienoberhaupt nur über äußerst geringe ... und was zuletzt zwischen Vater und Tochter passiert war, in der kleinen blauen Stube, wo die Flurkarte an der Wand hing und eine holländische Kastenuhr jede Viertelstunde mit einem fidelen Klingeln begrüßte, das hatte den Knollenkamp mit dem letzten Aufschrei einer armen Seele durchzittert.
»Gott Verdammich nochmal!«
Unwillig warf Jan-Ohme den pontakroten Kopf in den Nacken.
»Auch das muß sich geben, wenn auch nicht der Verhältnisse wegen, sondern bloß der näheren Umstände halber, sonst ist alles für nichts und für die Katze gewesen. Immer man dusemang und fortepiano.«
Den kegelförmigen Zylinder, den er der Hitze wegen noch immer vor sich her balancierte, stülpte er über die eingeschmalzten Sardellen, unter fünfundvierzig Grad Neigung und mit einer energischen Forsche.
»So und nicht anders.«
Die traurigen Bilder und Erinnerungen streifte er ab. Er suchte nach neuen und fand sie. Drüben lag sein eigenes Anwesen, lag der Baumannshof an einem kreisrunden Wasser, die Fahne auf halbmast, in den preußischen Farben, die Kulören des Rechtsbewußtseins und der gesetzlichen Ordnung. Er begrüßte sie mit einer getragenen Handbewegung. Früher war das anders gewesen, damals, vor Jahren, als die Märzrevolten einsetzten und die demokratischen Köpfe eine neue Weltverfassung erträumten. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, und hoch die konstituierende Nationalversammlung in Frankfurt unter dem schwarz-rot-goldenen Lappen! Juden, Polen und sonstige Volksfreunde durchreisten das Land, beglückten den Niederrhein, um auch hier den Geist zu erleuchten und das Evangelium der Nächstenliebe zu predigen. Fort mit dem Katzenbuckeln vor Fürstenthronen, dem Lakaienscharwenzeln und dem niederträchtigen Hofzeremoniell. In Berlin krachten die ersten Flinten, desgleichen in Köln, desgleichen in Kleve. Preußen mußte aufgeteilt werden, in einzelne Distrikte, Kantone und Republiken. Klein, aber oho! Auch Jan- Ohme war Feuer und Flamme. Und da eines Tages ... Flüchtige Helden waren aus dem fernen Osten gekommen, aus Rußland, aus der verwanzten Polakei. Darunter eine gewisse Anna Maslowa Pugatschew mit ihrem senilen Gemahl, kinderlos und sonder Anhang, aber jung und rassig und nicht unterzukriegen – und, wie sie selber behauptete, 'ne veritable Fürstin mit Freiheitsideen. Ex oriente lux. Sie wollte nach Holland, blieb aber auf dem Baumannshof kleben, Tage hindurch, Wochen hindurch, wütete unter den Spargelbeeten und dem Hofgeflügel wie eine Semiramis des Nordens unter ihren moskowitischen Bauern und verstand es, die revolutionäre Bewegung immer emsiger in Brunst und Lohe zu blasen. Jan-Ohme, als kregeler Kerl und fixer Seladon, verstand sie und sah ihr tief in die Augen. Kein Rückwärts mehr. Die glorreiche Erkenntnis mußte durchgeführt werden. An Stelle der Monarchie hatte eine Republik zu treten. Selbstverständlich nur in engeren Grenzen, für die nächste Umgebung berechnet, für Huisberden, Wissel und die benachbarten Weiler, mit Grieth als Zentralstelle, ähnlich so wie der niedliche und graziöse Freistaat San Marino oder der von Andorra. Also los denn dafür! aber immer man dusemang und fortepiano. Von Anna Maslowa Pugatschew, der Fürstin, begleitet, 'ne schwarz-rot-goldene Kokarde am Hut, ein Stück Kreide im Sack und den Kavalleriesäbel seines seligen Vaters, der noch aus den napoleonischen Kriegen stammte, um die Hüften geschnallt, rasselte er mit etlichen Getreuen auf Grieth zu, hielt dortselbst auf offenem Markt eine zündende Rede und erklärte Post, Schule und Rathaus in Kraft der mitgeführten Kreide als besonderes Staatsgut.
Die Republik war hiermit bestätigt, die Frage hinsichtlich der Präsidentschaft allerdings noch offen gelassen.
Brausender Jubel umtoste ihn und die Fürstin.
Unter demselben Jubel wurden sie nach Hause geleitet.
Immer bedrohlicher krachten die Flinten. Aber was tat das? Jan-Ohme sielte sich in einem Meer von Zukunftsträumen.
Das war im Juni gewesen.
Zwei Monate später blitzten die ersten preußischen Bajonette in der Gegend von Kleve auf. Die in Grieth sahen sie leuchten.
Der Fürstgemahl machte ein langes, verschmitztes Gesicht. Nicht so die Fürstin, und als sie sich eines Abends solo und im traulichen tête à tête mit dem jungen Besitzer des Baumannshofes einer Bouteille Champagners erfreute, fiel sie ihm plötzlich um den Hals, zog ihn an ihre wogende Brust und machte ihm unter fließenden Tränen eine empfindsame Erklärung.
»Ach, du!« sagte sie schluchzend, »das, was ich lange ersehnte, ist endlich in Erfüllung gegangen. Kein Ukas und kein Strelitze kann mir das nehmen. Das edle Fürstengeschlecht der Pugatschews ist nicht zum Untergang verdammt. Es wird weiter leben unter der Sonne der Freiheit. Durch dich – ich fühle mich Mutter.«
Leider: Jan-Ohme hatte die traurige Gefälligkeit, ihr Glauben zu schenken.
Anderen Tages jedoch, als bereits die infamen preußischen Tamboure ihre Trommelfelle in der Nachbarschaft malträtierten und die Kreide nicht mehr in der Lage war, Post, Schule und Rathaus als republikanisches Staatsgut zu schützen, war Anna Maslowa Pugatschew mit ihrem Fürstgemahl und ihrer Mutterschaft spurlos verschwunden.
Der Baumannshof und Jan-Ohme hatten das Nachsehen. Und dann noch: in Kleve hatte er Muße und Andacht genug, über das wandelbare Geschick eines übereifrigen Umstürzlers nachzudenken, bis ihn das Wohlwollen und die milde Hand seines Königs begnadigte. Frei von allen Regungen und Wegungen eines Irregeführten, schwor er sein Demokratentum ab, ließ auf einem gerichteten Scheiter das schwarzrot-goldene Tuch in Staub und Asche aufgehen und an dessen Stelle die schwarz-weißen Kulören von seinem Söller herabbammeln.