Die Herren der Unterwelt 10: Schwarzes Verlangen - Gena Showalter - E-Book
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Die Herren der Unterwelt 10: Schwarzes Verlangen E-Book

Gena Showalter

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Beschreibung

Wenn sie ihn berührt, erwacht der Dämon in ihm. Wenn er sie küsst, ersehnt sie ihr Ende. Aber sie gehören zusammen … der zehnte Band von Gena Showalters "Herren der Unterwelt"! Der Hölle entkommen! Dennoch will Kane, der Träger des Dämons der Zerstörung, nichts mit seiner Retterin Josephina Aisling zu tun haben. Denn wenn sie seinen gefolterten Körper berührt, erwacht der Dämon in ihm. Und trotzdem verspürt Kane ein unbezähmbares Verlangen für die schöne Halbfae, Tochter des Faenkönigs und einer Sklavin. Josephinas Schönheit zieht ihn genauso an wie ihre Verzweiflung. Als Hüterin der Verantwortungslosigkeit muss sie für die Leichtfertigkeit anderer in der Hölle büßen. Ein ewiger Schmerz … Zwischen Lust und Sehnsucht reift ein dunkler Plan: Wenn sie beide niemals im Leben vereint sein können - dann vielleicht im Tod?

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Gena Showalter

Die Herren der Unterwelt 10:

Schwarzes Verlangen

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Freya Gehrke

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2014 für die deutsche Erstausgabe im

MIRA Taschenbuch in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

The Darkest Craving

Copyright © 2013 by Gena Showalter

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Tania Krätschmar

Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz; Thinkstok/Getty Images, München

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN eBook 978-3-95649-309-6

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder

auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich

der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

An erster Stelle für meine Lektorin, Emily Ohanjanians. Deine Verständigkeit erstaunt mich jedes Mal aufs Neue. Ich danke dir so sehr für all deine harte Arbeit und deine Hingabe.

Zweitens für meine Agentin, Deidre Knight. Ich fühle mich so gesegnet, dich in meiner Ringecke zu haben. Was auch immer ich dir aufhalse, du bist immer da, um mir zu helfen!

Für Carla Gallway, für alles, was du tust! Großzügig und so herzerwärmend freundlich stellst du deine Zeit und deine Ressourcen zur Verfügung, und ich bin so dankbar, dich zu kennen!

Für die Gewinnerinnen des Blog-Wettbewerbs: Sabrina Collazo, Lizabel Rivera-Coriano, Charlayne Elizabeth Denney, Seemone Washington und Joni Payne. Ich hoffe, Kanes Geschichte begeistert euch genauso sehr wie mich.

Für Michelle Renaud und Lisa Wray. Ihr seid meine Mädels, und ich könnte mir kein besseres Team wünschen!

Für mein Lieblingsrestaurant, The Stuffed Olive, dafür, dass ihr mich verpflegt habt, während ich auf die Deadline hingearbeitet habe!

Keine Widmung wäre vollständig, ohne dass ich meine geliebte Jill Monroe erwähne. Mich wirst du nicht wieder los, denn ich werde dich niemals gehen lassen!

“Man hat mir gesagt, ich bin fast so gefährlich wie ein Tsunami.“

– Kane, Herr der Unterwelt

“Man hat mir gesagt, ich bin ein Tsunami.“

– Josephina Aisling

1. KAPITEL

New York City

Gegenwart

Josephina Aisling blickte auf den Mann hinunter, der vor ihr ausgebreitet auf dem Motelbett lag. Er war ein unsterblicher Krieger und auf eine Weise schön, wie es ein Sterblicher nie sein könnte. Sein seidiges Haar fiel in einer makellosen Mischung aus Schwarz, Kastanienbraun und Flachsblond auf das Kissen und ließ sie den Blick für einen Moment auf ihm ruhen, dann für einen weiteren Moment … Gütiger Himmel, warum eigentlich nicht für immer?

Sein Name war Kane. Er hatte lange Wimpern, eine markante Nase und ein stures Kinn. Mit seinen eins fünfundneunzig war er mit der Art Muskeln bepackt, die man sich ausschließlich auf den blutigsten Schlachtfeldern erarbeitete. Obwohl er eine schmutzige lange Hose trug, wusste sie, dass sich darunter auf seiner rechten Hüfte ein großes Schmetterlingstattoo verbarg, in tiefschwarzer Tinte und mit scharfen, gezackten Konturen. Die Flügelspitzen ragten unter dem Hosenbund hervor, und ab und zu glitten winzige Wellen darüber, als versuchte das Insekt, sich von der Haut zu erheben – oder sich tiefer hineinzugraben.

Beides war möglich. Die Tätowierung war das Mal des absolut Bösen, ein sichtbares Zeichen des Dämons, der in Kanes Körper gefangen war.

Dämon … Sie erschauerte. Herrscher der Hölle. Lügner. Diebe. Mörder. Aus ihnen sprach tiefste Finsternis, ohne jede Spur von Licht. Sie verlockten und verführten. Sie verdarben, folterten und vernichteten.

Doch Kane war nicht der Dämon.

Wie alle Mitglieder ihres Volks, der mächtigen Fae, hatte sie den Großteil ihres Lebens damit verbracht, Kane und seine Freunde zu studieren – die Herren der Unterwelt. Genauer gesagt hefteten sich auf Befehl des Königs der Fae seit unzähligen Jahrhunderten Spione an die Fersen der Krieger, die alles beobachteten und Bericht erstatteten. Diese Berichte wurden von Schriftgelehrten festgehalten und davon Bücher gedruckt, mit Bildern und Geschichten darüber, was die Spione gesehen hatten. Mütter hatten diese Bücher gekauft und ihren Kindern daraus vorgelesen. Dann, als diese Kinder erwachsen geworden waren, hatten sie sich selbst die nächsten Bücher gekauft, gefesselt von der Gier zu erfahren, was als Nächstes geschehen würde.

Die Herren der Unterwelt waren zu den Helden der besten und schrecklichsten Seifenoper zugleich in Séduire geworden, dem Reich der Fae.

Josephina verschlang davon regelrecht jedes Detail. Vor allem die über den megasexy Paris und den herzzerreißend einsamen Torin. Die wunderschöne Tragödie über Kane kam gleich darauf an dritter Stelle. Seine Lebensgeschichte könnte sie vermutlich besser wiedergeben als ihre eigene.

Er war Tausende von Jahren alt. Zeit seines Lebens hatte er insgesamt nur vier feste Freundinnen gehabt. Auch wenn er sich für eine Weile mit einer Reihe bedeutungsloser One-Night-Stands vergnügt hatte. Schlacht um blutige Schlacht hatte er ausgefochten, immer gegen seine schlimmsten Feinde, die Jäger. Dreimal war es ihnen gelungen, ihn gefangen zu nehmen, um ihn dann zu foltern – und atemlos hatte sie auf die Nachricht von seiner Befreiung gewartet.

Noch viel früher, ganz am Anfang, hatten er und seine Freunde die Büchse der Pandora gestohlen und geöffnet und damit die Dämonen losgelassen, die darin gefangen gehalten wurden. Zu jener Zeit waren die Griechen an der Macht gewesen, und sie hatten beschlossen, die Krieger zu bestrafen, indem sie ihre Körper zu Gefäßen für das Böse machten, das sie entfesselt hatten. Kane trug Katastrophe in sich. Die anderen waren mit Promiskuität, Krankheit, Misstrauen, Gewalt, Tod, Schmerz, Zorn, Zweifel, Lügen, Elend, Geheimnissen und Niederlage geschlagen. Jede der Kreaturen brachte einen beinahe lähmenden Fluch mit sich.

Promiskuität musste jeden Tag mit einer anderen Frau schlafen, oder er würde an Kraft verlieren und sterben.

Krankheit konnte kein anderes Lebewesen berühren, ohne eine Epidemie auszulösen.

Katastrophe hinterließ nichts als Desaster, wohin Kane auch ging – eine Tatsache, die Josephina ins Herz schnitt und die sie sehr gut nachfühlen konnte. Ihr gesamtes Leben war ein Desaster.

„Fass mich nicht an“, murmelte er, und es klang wie ein scharfes, hartes Krächzen. Mit den muskulösen Beinen wühlte er die bereits arg zerknitterte Decke fort. „Hände weg. Stopp. Ich hab Stopp gesagt!“

Armer Kane. Schon wieder quälte ihn ein Albtraum.

„Niemand fasst dich an“, versicherte sie ihm sanft. „Du bist in Sicherheit.“

Sofort wurde er ruhiger, und erleichtert stieß sie den Atem aus.

Als sie ihn gefunden hatte, war er in der Hölle auf einen Felsblock gefesselt gewesen, den Brustkorb weit aufgerissen, die Rippen gespreizt und nach außen ragend, die Hand- und Fußgelenke durchgenagt bis auf ein paar zerfledderte Sehnen und Bänder.

Er hatte ausgesehen wie ein Stück Fleisch beim Schlachter.

Ich hätte gern zwei Pfund Rumpsteak und ein Pfund Gehacktes vom Nackenstück.

Ekelhaft. Echt ekelhaft. Du widerst mich an. Über die Jahre hatte sie so viel Zeit allein verbracht, dass Selbstgespräche für sie die einzige Möglichkeit geworden waren, sich zu amüsieren … und traurigerweise auch die einzige Art von Gesellschaft für sie waren. Ich hätte vier Pfund Schweinerücken bestellt.

Ihn zu finden, war – trotz seines Zustands – das Beste, was ihr je im Leben passiert war. Er war ihr Ticket in die Freiheit. Oder wenigstens … zur Akzeptanz?

Prinzessin Synda, ihre Halbschwester und die allerüberbeste Frau, die das Volk der Fae je hervorgebracht hatte, war keine Herrin der Unterwelt, dennoch trug sie den Dämon der Unverantwortlichkeit in sich. Offenbar hatte es mehr Dämonen als freche, Büchsen stehlende Krieger gegeben, weshalb die übrig gebliebenen Wesen auf die Insassen des Tartarus verteilt worden waren – eines unterirdischen Gefängnisses für Unsterbliche. Syndas Ehemann war damals einer dieser Insassen gewesen, und bei seinem Tod hatte sich der Dämon auf unerklärliche Weise in ihrem Inneren eingenistet.

Als der König der Fae davon erfahren hatte, waren umfassende Nachforschungen zu allen Details des Falls angestellt worden – und zu einer möglichen Lösung. Bisher jedoch ohne Ergebnis.

Ich könnte Kane zu einer Sitzung des Hohen Rats der Fae mitbringen und mit ihm angeben. Könnte dafür sorgen, dass er der Versammlung alle möglichen Fragen beantwortet. Und vielleicht würde mein Vater mich dann sehen, und zwar wirklich sehen, zum ersten Mal in meinem Leben.

Sie ließ die Schultern zusammensacken. Nein, dahin gehe ich nie mehr zurück.

Josephina war schon immer die Prügelmagd der königlichen Familie gewesen, und so würde es auch immer sein. Allein dazu bestimmt, die Strafen zu erdulden, die Synda, der Geliebten, zustanden.

Und Synda stand immer eine Strafe zu.

Letzte Woche hatte die Prinzessin in einem Tobsuchtsanfall die königlichen Stallungen niedergebrannt, und mit ihnen alle darin eingesperrten Tiere. Josephinas Strafe? Eine Fahrkarte ins Endlose – ein Portal in die Hölle.

An jenem Ort war ein Tag wie tausend Jahre und ein Jahrtausend wie ein Tag, also war sie hinabgestürzt in einen schwarzen Abgrund, eine scheinbar endlose Ewigkeit lang. Sie hatte geschrien, doch niemand hatte sie gehört. Sie hatte um Gnade gefleht, doch keinen hatte es interessiert. Sie hatte geweint, doch nirgendwo Halt gefunden.

Dann war sie zusammen mit einem anderen Mädchen mitten in der Hölle gelandet.

Es war mehr als eine überraschende Erkenntnis, dass sie gar nicht wirklich allein gewesen war.

Das Mädchen hatte sich als Phönix entpuppt, eine Rasse, die von den Griechen abstammte. Jeder reinblütige Krieger unter ihnen besaß die Fähigkeit, von den Toten aufzuerstehen, ein ums andere Mal, und wurde mit jeder Erweckung stärker – bis ihn der endgültige Tod ereilte und keine körperliche Erneuerung mehr möglich war.

Kane begann von Neuem, sich hin und her zu wälzen und zu stöhnen.

„Ich lass nicht zu, dass dir was geschieht“, versprach sie ihm.

Und wieder beruhigte er sich.

Wenn die Phönix doch nur halb so gut auf sie reagiert hätte. Bei ihrem Anblick war Josephina purer Hass entgegengeschlagen, ein Hass, der weit über das hinausging, was die Kinder der Titanen – wie Josephina – und die Kinder der Griechen üblicherweise füreinander empfanden. Trotzdem hatte die Phönix nicht versucht, sie zu töten, sondern ihr sogar erlaubt, ihr auf der Suche nach dem Ausgang durch die Höhle zu folgen, ohne dass sie ihre eigenen schwindenden Kräfte beanspruchen musste. Genau wie Josephina hatte sie einfach nur rausgewollt.

An scharlachrot bespritzten Wänden waren sie vorbeigestolpert, in der Lunge den Übelkeit erregenden Gestank von Schwefel. Ein Grunzen und Stöhnen hatte ihre Ohren belagert und sich zu einer grauenvollen Sinfonie vereint, auf die ihre im Endlosen abgestumpften Sinne nicht vorbereitet gewesen waren. Dann waren sie über den verstümmelten Krieger gestolpert. Josephina hatte ihn erkannt, trotz seines Zustands, und war stehen geblieben.

Ehrfurcht hatte sie erfüllt. Dort vor ihrer – ihrer! – Nase befand sich einer der berüchtigten Herren der Unterwelt. Sie hatte nicht gewusst, wie sie ihm helfen sollte, wo sie sich doch kaum selbst helfen konnte, doch sie war entschlossen gewesen, es zumindest zu versuchen. Was auch immer sich dazu als nötig erwies.

Eine Menge hatte sich als nötig erwiesen.

Sie blickte zu ihm hinüber. „Du bist meine erste und einzige Möglichkeit, mir meinen neuerdings größten Wunsch zu erfüllen“, gestand sie. „Etwas, das ich definitiv nicht allein schaffe. Und sobald du aufwachst, werde ich die Einlösung deines Versprechens brauchen.“

Und dann …

Sie seufzte und verstummte. Zaghaft strich sie ihm mit den Fingerspitzen über die Stirn.

Selbst im Schlaf zuckte er noch zusammen. „Nicht“, drohte er. „Ich vernichte dich, Stück für Stück. Dich und deine gesamte Sippschaft.“

Das war keine Wichtigtuerei, keine leere Drohung. Er würde dafür sorgen, dass es genau so geschah, und vermutlich würde er dabei noch lächeln.

Vermutlich? Ha! Definitiv. Wie ein typischer Herr der Unterwelt eben.

„Kane“, sagte sie, und wieder wurde er ruhig. „Ich glaube, es wird Zeit, aufzuwachen. Meine Familie ist da draußen, und die wollen mich zurückhaben. Auch wenn für mich in diesem Abgrund tausend Jahre vergangen sind, war es für sie nur ein einziger Tag. Und da ich nicht nach Séduire zurückgekehrt bin, sind wahrscheinlich Fae-Soldaten auf der Jagd nach mir.“

Und um ihrer kleinen Schüssel Frühstückselend das Sahnehäubchen aufzusetzen, machte die Phönix definitiv Jagd auf sie, wild entschlossen, sie zu ihrer Sklavin zu machen und das Unrecht zu rächen, das Josephina ihr auf der Flucht angetan hatte.

„Kane.“ Sanft rüttelte sie ihn an der Schulter. Seine Haut war unglaublich weich und glatt, zugleich jedoch fiebrig heiß, die Muskeln darunter so fest und hart wie Granaten. „Du musst bitte die Augen aufmachen.“

Lange Wimpern schossen nach oben und enthüllten gold-smaragdfarbene Iris, die glasig und trüb wirkten. In der nächsten Sekunde fühlte sie, wie sich Männerhände um ihren Hals schlossen und sie auf den Rücken geworfen wurde. Die Matratze federte, selbst unter ihrem mickrigen Gewicht. Doch sie setzte sich nicht zur Wehr, als Kane sich auf sie rollte, sie mit seinem Körper regelrecht festnagelte. Er war schwer und sein Griff um ihre Kehle so hart, dass sie den Rosenduft nicht einatmen konnte, den sie mittlerweile mit ihm assoziierte. Ein seltsamer Geruch an einem Mann – einer, den sie nicht recht einordnen konnte.

„Wer bist du?“, fuhr er sie an. „Wo sind wir?“

Er hat mich direkt angesprochen. Mich!

„Antworte.“

Sie versuchte es, scheiterte jedoch.

Dann lockerte er den Griff um ihre Kehle.

So. Schon besser. Tief einatmen. Und wieder ausatmen. „Zunächst einmal bin ich deine zutiefst beeindruckende und wundervolle Retterin.“ Da mit dem Tod ihrer Mutter auch der einzige Mensch gestorben war, der ihr Komplimente machte, hatte sie beschlossen, sich eben selbst bei jeder Gelegenheit welche zu machen. „Lass mich los, dann klären wir alles andere.“

„Wer?“, beharrte er und drückte wieder fester zu.

In ihrem Sichtfeld blitzte es schwarz auf. Ihre Lungen brannten, lechzten nach Luft, doch noch immer leistete sie keinen Widerstand.

„Weib.“ Erneut verringerte er den Druck ein wenig. „Antworte. Jetzt.“

„Höhlenmensch. Freilassen. Jetzt“, gab sie zurück, während sie nach Atem rang.

Würdest du wohl bitte dein Mundwerk im Zaum halten? Du willst ihn doch nicht verscheuchen.

Abrupt riss er sich von ihr los und kauerte sich am anderen Ende des Betts zusammen. Wachsam behielt er sie im Blick, beobachtete, wie sie sich langsam aufsetzte. Eine heiße Röte lag auf seinen Wangen, und sie fragte sich, ob ihm sein Handeln peinlich war oder ob er bloß darum kämpfte, die Schwäche zu verbergen, die immer noch durch seine Adern strömte.

„Du hast fünf Sekunden, Weib.“

„Sonst was, Krieger? Tust du mir weh?“

„Ja.“ Entschlossen. Selbstbewusst.

Wie süß. Wäre es sehr seltsam, wenn sie ihn fragte, ob er ihr T-Shirt signieren könnte? „Weißt du nicht mehr, was du mir versprochen hast?“

„Ich habe dir gar nichts versprochen“, entgegnete er. Doch auch wenn sein Tonfall von Sicherheit erfüllt war, spiegelte sich Verwirrung in seinen Zügen wider.

„Hast du wohl. Denk an deinen letzten Tag in der Hölle zurück. Da waren du und ich und ein paar Tausend deiner grausamsten Feinde.“

Er zog die Augenbrauen zusammen, und in seinem Blick erwachte Erinnerung, Begreifen … und dann Entsetzen. Abrupt schüttelte er den Kopf, als versuchte er verzweifelt, die Gedanken loszuwerden, die jetzt in seinem Geist aufblitzten. „Das ist nicht dein Ernst. Das kannst du unmöglich ernst gemeint haben.“

„Doch, das habe ich.“

Er machte mit dem Kiefer ein knackendes Geräusch, eine Geste unterdrückter Aggression. „Wie ist dein Name?“

„Ich glaube, es ist besser, wenn du das nicht weißt. Auf diese Weise ist die emotionale Bindung nicht so groß, und du kannst leichter tun, was ich von dir verlange.“

„Ich habe nie wirklich gesagt, dass ich es tun würde“, quetschte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Und warum siehst du mich so an?“

„Wie denn?“

„Als wäre ich … eine riesige Schachtel Pralinen.“

„Ich hab von dir gehört“, sagte sie und beließ es dabei. Es war die Wahrheit, ohne näher auf sie einzugehen.

„Wohl kaum. Wenn du irgendwas über mich gehört hättest, würdest du panisch wegrennen.“

Ach, tatsächlich? „Ich weiß, dass dich deine Freunde in den vielen Schlachten, die ihr geschlagen habt, oft zurückgelassen haben, weil sie Angst hatten, du würdest irgendeine Tragödie verursachen. Ich weiß, dass du dich oft von der Welt fernhältst, weil auch du dich davor fürchtest. Und trotzdem ist es dir gelungen, Tausende niederzustrecken. Vielleicht sogar Zillionen?“

Er fuhr mit der Zunge über seine perfekten weißen Zähne. „Woher weißt du das?“

„Nennen wir es doch einfach … Klatsch und Tratsch.“

„Klatsch ist nicht immer wahr“, murmelte er. In Sekundenschnelle ließ er den Blick durch den Raum gleiten und dann wieder auf ihr nieder.

Zufällig wusste sie auch, dass dieses Abtasten mit den Augen eine Gewohnheit war, die er im Lauf der Jahre entwickelt hatte und mit der er alles Wichtige aufnehmen wollte. Eingänge, Ausgänge, Waffen, die gegen ihn verwendet werden könnten – Waffen, die er verwenden könnte.

Diesmal gab es nur die sich von der Wand lösende vergilbte Tapete und den mitgenommenen Nachttisch mit der gesprungenen Lampe darauf zu sehen. Die ratternde Klimaanlage. Den braunen Zottelteppich. Den Mülleimer voller blutiger Stofffetzen und entleerter Medizinfläschchen, mit denen sie seine aufgeschürfte Haut behandelt hatte.

„Da unten in der Hölle“, setzte er an. „Du hast mir bloß erzählt, was du wolltest, und dann den Fehler begangen anzunehmen, ich hätte zugestimmt.“

Das klang wie eine Absage. Aber … er kann es mir nicht verweigern. Nicht nach all dem. „Du hast dein Einverständnis geröchelt. Danach hab ich meinen Teil der Abmachung erfüllt. Jetzt wirst du deinen einhalten.“

„Nein. Ich hab nie um deine Hilfe gebeten.“ Wie ein Peitschenhieb fuhr seine Stimme durch sie hindurch und hinterließ ein deutlich spürbares Stechen. „Hab sie nie gewollt.“

„Und wie du sie wolltest! Deine Augen haben mich angefleht, und dem kannst du nicht widersprechen. Du konntest deine Augen schließlich nicht sehen, also hast du auch keine Ahnung, was sie getan haben.“

Es folgte eine ausgedehnte Pause. Dann erklärte er erstaunlich ruhig: „Ich glaube, das ist das unlogischste Argument, das ich je gehört habe.“

„Nein, das klügste. Dein armseliges Hirn kann’s bloß nicht verarbeiten.“

„Meine Augen haben nicht gefleht“, widersprach er, „und das ist mein letztes Wort.“

„Haben sie wohl“, beharrte sie. „Und ich hab was Furchtbares getan, um dich da rauszuholen.“ Leider würde sich das Problem nicht beheben lassen, indem sie der Phönix zur Entschuldigung eine Karte schickte.

So schwach, wie Josephina in der Hölle gewesen war, hatte sie, um Kane zu retten, Hilfe benötigt. Nur hatte es da ein kleines Problem gegeben, als sie die Phönix eingeholt hatte, die sich weiter ihren Weg in die Freiheit bahnte. Das Mädchen hatte sich so vehement geweigert – von mir aus kannst du in der Hölle verrotten, du Fae-Hure –, dass Josephina gewusst hatte, es gab keinen Weg, sie umzustimmen. Also hatte Josephina die Fähigkeit eingesetzt, die nur sie allein besaß. Unter den richtigen Umständen ein Segen. Doch davon abgesehen ein Fluch, der sie dazu verdammte, in einer Welt ohne Körperkontakt zu leben. Mit nur einer Berührung hatte sie der Phönix sämtliche Kraft aus dem Körper gezogen und das Mädchen auf ein bewegungsunfähiges Häuflein reduziert.

Gut, Josephina hatte sich die Kriegerin schließlich über die Schulter geworfen und sie aus der Hölle getragen, genau wie sie es mit Kane getan hatte. Auf dem Weg hatte sie sogar mit Dämonen gekämpft – ein Wunder, wenn man bedachte, dass sie in ihrem Leben noch nie gekämpft hatte – und irgendwann auch einen Ausgang gefunden. Doch das würde für die Phönix keine Rolle spielen. Josephina hatte ein Verbrechen begangen, und der Preis dafür musste gezahlt werden.

„Ich hab nie von dir verlangt, irgendwas Furchtbares zu tun.“ Eine finstere Warnung lag in seiner Stimme.

Eine, die sie ignorierte. „Vielleicht nicht mit Worten, aber ich hab mir bei deiner Rettung trotzdem fast den Rücken gebrochen.“ Sie zog die Beine unter ihren Körper, wodurch sie die Matratze ins Federn brachte und den geschwächten Kane beinahe hinuntergeworfen hätte. „Du wiegst gefühlte zehntausend Kilo. Aber das sind prachtvolle Kilos“, fügte sie hastig hinzu. Hör auf, den Mann zu beleidigen!

Mit zusammengekniffenen Augen musterte er sie von oben bis unten. Die Beiläufigkeit, die er bei seiner Bestandsaufnahme des Zimmers an den Tag gelegt hatte, fehlte völlig, und gleichzeitig konnte sie seinen Blick fast auf sich spüren, so als hätte er sie berührt. Ob er die Gänsehaut bemerkte, die sich auf ihren Armen ausbreitete?

„Wie kann ein Mädchen wie du solch einen Kraftakt zustande bringen?“

Ein Mädchen wie sie. Konnte er ihre Minderwertigkeit spüren? Sie hob das Kinn und erklärte trotzig: „Informationsaustausch war nicht Teil unserer Vereinbarung.“

„Zum letzten Mal, Weib, es gibt keine Vereinbarung.“

Ein rasendes Beben breitete sich in ihr aus und überschattete … was auch immer er vorher für Gefühle in ihr ausgelöst hatte. „Wenn du nicht tust, was du versprochen hast, dann … dann …“

„Was?“

Werde ich für den Rest meines Lebens leiden. „Was wäre nötig, damit du es dir anders überlegst und das Richtige tust?“

Augenblicklich verschloss sich seine Miene und verbarg all seine Gedanken. „Zu welcher Spezies gehörst du?“

Na, wenn das kein Themenwechsel war, aber okay, sie würde mitspielen. Die Fae waren keine besonders beliebte Rasse: die Männer weithin bekannt für ihren Mangel an Ehre im Kampf sowie eine unersättliche Begierde, mit allem zu schlafen, was nicht bei drei auf den Bäumen war; die Frauen berüchtigt für ihre Hinterhältigkeit und Skandale – und, okay, ihre Fähigkeit, hammermäßige Kleider zu schneidern. Vielleicht würde ihn dieses Wissen zum Umdenken bewegen.

„Ich bin halb Mensch, halb Fae. Siehst du?“ Sie strich die Haare zurück und lenkte damit seine Aufmerksamkeit auf ihre spitzen Ohren.

Als er die Spitzen entdeckte, runzelte er die Stirn. „Fae sind Abkömmlinge der Titanen. Titanen sind die Kinder von gefallenen Engeln und Menschen. Im Augenblick herrschen sie über die niederste Ebene der Himmelreiche.“ Die Worte kamen wie aus der Pistole geschossen.

Nicht einem Star gegenüber die Augen verdrehen. „Danke für den Geschichtsunterricht.“

Er runzelte die Stirn. „Demnach bist du …“

In seinen Augen böse? Eine Feindin?

Stumm schüttelte er den Kopf, anscheinend wollte er nicht länger darüber nachdenken. Dann zog er die Nase kraus, als hätte er etwas … nicht Unangenehmes, aber auch nicht Willkommenes gerochen. Scharf sog er die Luft ein, und sein Stirnrunzeln vertiefte sich. „Du siehst nicht im Entferntesten so aus wie das Mädchen … die Mädchen, die mich gerettet haben … Nein, hat. Nur eine“, stellte er fest und schüttelte noch einmal den Kopf, als versuchte er, dem Geschehenen einen Sinn zu verleihen. „Ihr Haar und ihr Gesicht haben sich immer wieder verändert, ich erinnere mich an jede einzelne Erscheinung. Und doch ist deine jetzige Gestalt keine davon. Aber dein Geruch …“

War derselbe, ja. „Ich hatte die Fähigkeit, mein Äußeres zu verändern.“

Eine seiner Augenbrauen schoss in die Höhe. „Hatte? Vergangenheitsform?“

Trotz seines angeschlagenen Zustands war ihm das nicht entgangen. „Richtig. Diese Fähigkeit besitze ich nicht mehr.“ Die Kraft – und Fähigkeiten –, die sie sich von anderen lieh, blieben entweder nur eine Stunde bei ihr oder aber bis zu mehreren Wochen. Über den Zeitrahmen hatte sie keinerlei Kontrolle. Was sie von der Phönix genommen hatte, war gestern verflogen.

„Du lügst. Niemand hat an dem einen Tag eine Fähigkeit und am nächsten nicht mehr.“

„Ich lüge nie – außer bei den wenigen Gelegenheiten, wenn ich’s doch tue. Aber das ist nie Absicht, und jetzt gerade sag ich die absolute Wahrheit.“ Sie hob die rechte Hand. „Ich schwör’s.“

Er verzog den Mund. „Wie lange bin ich schon hier?“

„Sieben Tage.“

„Sieben Tage“, wiederholte er und rang dabei nach Luft.

„Genau. Die meiste Zeit über haben wir ‚inkompetente Ärztin und undankbarer Patient’ gespielt.“

Ein düsterer Gesichtsausdruck verzerrte seine Züge. Und, oh, war das ein Furcht einflößender Anblick. Die Bücher wurden ihm nicht gerecht. „Sieben Tage“, sagte er noch einmal.

„Ich versichere dir, ich hab mich nicht verzählt. Im Kalender meines Herzens hab ich die Sekunden angestrichen.“

Er warf ihr einen finsteren Blick zu. „Du bist ganz schön neunmalklug, was?“

Augenblicklich begann sie zu strahlen. „Wirklich? Findest du?“ Das war das erste Kompliment von jemand anderem als ihr selbst seit dem Tod ihrer Mutter, und sie würde es in ihrem Herzen bewahren. „Danke. Würdest du sagen, dass ich hochintelligent bin, oder bin ich bloß leicht überdurchschnittlich?“

Er ließ den Unterkiefer sinken, als wollte er etwas sagen, doch es kam kein Ton heraus. Seine Lider schlossen sich … öffneten sich … schlossen sich wieder, und sein muskulöser Körper begann zu schwanken. Gleich würde er umkippen, und wenn er auf dem Fußboden landete, würde sie ihn nie wieder aufs Bett gewuchtet kriegen.

Josephina stürzte nach vorn und streckte die behandschuhten Finger nach ihm aus. Obwohl er bereits kippte, schlug er ihre Arme fort, als wollte er jedem Kontakt ausweichen. Kluger Mann (so klug, wie er sie fand?). Und so fiel er und krachte mit einem dumpfen Geräusch auf den Teppich.

Als sie hastig vom Bett krabbelte, um zu ihm zu eilen – was auch immer sie da ausrichten wollte, sie hatte keine Ahnung –, flog die Tür des Motelzimmers auf, sodass Holzsplitter in alle Richtungen flogen. Ein hochgewachsener, muskelbepackter Krieger mit dunklen Haaren stand auf der Schwelle, die Züge in Schatten getaucht. Er strahlte pure Bedrohlichkeit aus. Vielleicht, weil er zwei Dolche in der Hand hielt – die bereits blutverschmiert waren.

Ein weiterer Krieger trat hinter ihn, blond und mit … Großer Gott. In seinem Haar hatten sich menschliche Überreste verfangen.

Die Männer ihres Vaters hatten sie gefunden.

2. KAPITEL

Kane kämpfte gegen eine Woge von Schmerz, Erniedrigung und Versagen an. Voll ausgebildet war er erschaffen worden, ein Krieger bis ins Mark. Über die Jahrhunderte hatte er in zahllosen Schlachten gekämpft. Feind um Feind hatte er erschlagen und so einige blutige Wunden davongetragen – doch immer war er mit einem Lächeln aus dem Kampf hervorgegangen. Er hatte gekämpft, und er hatte gewonnen, und andere hatten dafür gelitten, dass sie es gewagt hatten, auf ihn loszugehen. Und trotzdem lag er hier, auf dem Fußboden in einem dreckigen Motel, zu schwach, um sich zu regen. Der Gnade einer wunderschönen, zerbrechlichen Frau ausgeliefert, die ihn in seinen schlimmsten Momenten gesehen hatte: in Ketten, misshandelt und aufgeschlitzt nach einer weiteren Folterrunde.

Er wollte diese Bilder aus ihren Gedanken löschen, und wenn er dafür in ihren Kopf greifen und sie mit einem Skalpell herausschneiden müsste.

Und dann würde er sie auch aus seinem Kopf schneiden. Die Jäger, die ihm die Schuld gaben für jedes Desaster, das sie je erlebt hatten. Ihre Bombe. Eine Reise in die Hölle. Der Angriff einer Horde von Dämonenlakaien, die sämtliche Jäger getötet und Kane verschleppt hatten. Tag um Tag dieselbe Qual.

Eiserne Fesseln. Das tropfende Geräusch von Blut. Befriedigtes Grinsen, blutbefleckte Zähne. Überall Hände. Suchende Münder. Leckende Zungen.

Im Hintergrund ein leiser Soundtrack. Schmerzerfülltes Stöhnen – von ihm. Lustvolles Stöhnen – ganz sicher nicht von ihm. Das Klatschen von Fleisch auf Fleisch. Kratzende Nägel, die sich immer tiefer gruben. Bellendes Gelächter.

Grauenvolle Gerüche drangen in seine Nase. Schwefel. Erregung. Schmutz. Altes Kupfer. Schweiß. Der stechende Gestank der Angst.

Eine brutale Emotion nach der anderen prasselte auf ihn ein. Ekel, Zorn, das Gefühl absoluter Vergewaltigung. Kummer, Erniedrigung, Trauer. Hilflosigkeit. Panik. Noch mehr Ekel.

Er stöhnte, ein tragisches Geräusch. In dem verzweifelten Versuch, einem Zusammenbruch zu entgehen, errichtete er eine schützende Mauer um seinen schreienden Geist und blockierte so die schlimmsten Empfindungen. Jetzt nicht darüber nachdenken. Ich … kann einfach nicht. Endlich war er frei. Das durfte er nicht vergessen. Er war gerettet worden.

Nein, nicht gerettet. Zumindest nicht sofort. Krieger hatten ihn den Lakaien abgenommen, nur um ihn für ihre ganz eigene Art der Folter festzubinden.

Dann war das Mädchen erschienen und hatte von ihm verlangt, ihr mit einer abscheulichen Tat zu helfen.

„Was hast du mit ihm gemacht?“, brüllte eine Männerstimme. „Warum waren da Fae-Soldaten vor der Tür und haben versucht, sich hier reinzuschleichen?“

„Halt. Ihr gehört nicht zu den Fae?“, hakte sie nach.

„Wer bist du, Weib?“

Kane erkannte den Sprecher. Es war Sabin, sein Anführer und der Hüter des Dämons Zweifel. Sabin war ein Mann, der nicht zögern würde, einer Frau das Genick zu brechen, wenn er glaubte, diese Frau hätte einen seiner Soldaten verletzt.

„Ich?“, entgegnete das Mädchen. „Ich bin niemand, und ich hab überhaupt nichts getan. Ehrlich.“

„Wenn du lügst, wird’s nur umso schlimmer für dich.“

Eine weitere Stimme, die Kane erkannte. Sie gehörte zu Strider, dem Hüter des Dämons Niederlage. Genau wie Sabin würde Strider nicht zögern, eine Frau anzugreifen, um einen Freund zu verteidigen.

Ihr Auftauchen hätte Kane beruhigen sollen. Sie waren Brüder im Herzen, die Familie, die er brauchte. Und sie würden ihn beschützen, ihn in Sicherheit bringen und alles in ihrer Macht Stehende tun, um für seine Genesung zu sorgen. Doch er war vernarbt, zerschlagen und emotional völlig nackt, und jetzt waren sie auch Zeugen seiner Schande.

„Ach, du meine Güte. Ich weiß, wer du bist“, japste das Mädchen. „Du bist … du bist … du.“

„Ja, und außerdem bin ich dein Verderben“, fuhr Sabin sie an.

Der Krieger nahm zweifellos an, dass das schwarzhaarige Mädchen für Kanes Zustand verantwortlich war. Ein Irrtum. Mühsam versuchte er, sich aufzurichten, doch seine Bauchmuskeln waren noch nicht wieder ganz zusammengewachsen und stützten ihn kaum.

„Bitte versteh mich nicht falsch“, antwortete das Mädchen, „aber das ist so ziemlich das Lahmste, was jemals jemand zu mir gesagt hat – und Kane hat hier schon so einiges vom Stapel gelassen. Du bist ein glorreicher Krieger, überall bekannt für deine Kraft und Gerissenheit. Ich bin mir sicher, dass du noch ein paar bessere Drohungen auf Lager hast als das.“

Mehr als einmal hatte er sich zusammenreißen müssen, nicht über die albernen Dinge, die von diesen kirschroten Lippen kamen, zu lächeln, trotz der Schmerzen, die ihn ununterbrochen quälten. Und wieder war es so weit. Er verstand das nicht.

„Das kann man auch richtig verstehen?“, knurrte Sabin. „Bewach die Tür“, befahl er Strider. „Ich reiß sie in Stücke.“

„Keine Chance, Boss. Erst bin ich an der Reihe.“

„Heißt das, wir kämpfen auf Leben und Tod?“, fragte sie beiläufig.

„Ja“, antworteten beide Männer gleichzeitig.

„Oh, alles klar. Also gut. Dann fangen wir mal an, was?“

Kane merkte, wie er sich versteifte.

„Meint sie das ernst?“ Sabin.

„Auf keinen Fall.“ Strider.

„Und wie“, widersprach sie. „Total ernst.“

Ganz schön vorlaut für so ein winziges Mädchen.

Ein Mädchen, das Kane auf jede nur mögliche Weise verwirrte.

Sanft, fast liebevoll hatte sie sich um ihn gekümmert, und trotzdem hatte ihn bei jeder Berührung ein Schmerz durchfahren, der nicht von seinen Verletzungen herrührte. Doch es war kein guter Schmerz, der ihn daran erinnert hätte, dass er noch am Leben war. Es war vielmehr ein scharfes Pochen, das durch seine Adern strömte und bis in die letzte Zelle vordrang, wie eine Krankheit, ein Krebsgeschwür, das an ihm nagte und ihn drängte, so schnell wie möglich von ihr wegzukommen. Und dennoch, auf einer noch tieferen Ebene, wo seine Urinstinkte an einer zerfasernden Leine zerrten, spürte er das tiefe Bedürfnis, sie einfach zu packen, sie festzuhalten und nie wieder loszulassen.

Sie war wunderschön, witzig und liebenswert, und jedes Mal, wenn er sie ansah, dachte er nur ein einziges Wort. Meins.

Meins. Meins. MEINS.

Es war ein ununterbrochenes, ohrenbetäubendes Beharren, unwiderlegbar – unaufhaltsam. Und vor allem war es falsch. Sein „Meins“ würde ihm niemals Schmerzen zufügen. Und er wollte kein „Meins“. Jedes Mal, wenn er es mit einer Beziehung versucht hatte, war sie von dem Bösen in seinem Inneren zerstört worden – und mit ihr die Frau. Jetzt, nach allem, was ihm zugestoßen war …

Seine Abscheu wurde noch intensiver, zischte und sengte, und seine Hände verkrampften sich zu gefährlichen Waffen. Nein, er wollte kein „Meins“.

„Legst du’s drauf an zu sterben?“, fragte Strider, während er im Kreis um sie herumschlich.

„Versuchst du, Zeit zu schinden?“, gab sie zurück. „Du hast wohl Angst, dass du es nicht mit mir aufnehmen kannst?“

Scharf zog der Krieger die Luft ein.

Das Mädchen hatte eine Herausforderung ausgesprochen – absichtlich oder unabsichtlich? –, und der Dämon des Kriegers hatte sie soeben angenommen. Strider würde alles in seiner Macht Stehende unternehmen, um zu gewinnen, und Kane konnte es ihm nicht verübeln. Jedes Mal, wenn der Mann eine Herausforderung verlor, litt er tagelang grauenhafte Qualen.

Dämonen brachten immer einen Fluch mit sich.

Ich muss ihn aufhalten. Ob das Mädchen zu Kane gehörte oder nicht, sie durfte nicht verletzt werden. Der Anblick von nur einem blauen Fleck auf dieser sonnengeküssten Haut würde ihm den Rest geben, das wusste er. Schon jetzt spürte er, wie sich die Finsternis in ihm erhob, kurz davor, die Kontrolle zu verlieren und in erschreckende Gewalttätigkeit auszubrechen.

Erneut versuchte er, sich aufzurichten, während er laut polternde Schritte vernahm, die den Boden erzittern ließen. Dumpfes Knurren ertönte. Das Rascheln von Stoff wisperte an ihm vorbei. Fleisch traf auf Fleisch, Knochen auf Knochen. Metall klirrte gegen Metall. Die Männer würden sie vernichten.

„Ist das alles, was ihr draufhabt?“, spottete das Mädchen – doch unter ihrem Spott atmete sie schwer. „Kommt schon, Jungs. Lasst uns das hier zu einem denkwürdigen Kampf machen. Einem für die Geschichtsbücher!“

„Nein““, wollte Kane schreien, doch nicht einmal an seine Ohren drang der Klang.

Strider sprang über ihn hinweg. Wieder ein metallisches Klirren.

„Was soll denn daran denkwürdig sein?“, brüllte Sabin. „Du springst doch immer nur aus dem Weg, wenn wir zuschlagen.“

„Tut mir leid. Das will ich eigentlich gar nicht, aber meine Instinkte sind einfach schneller als ich“, behauptete sie.

Für jeden außer Kane, der ihren geheimen Wunsch kannte, hätte diese Unterhaltung seltsam geklungen.

Der Kampf ging weiter, hartnäckig jagten die zwei Männer das Mädchen durch das kleine Zimmer, über Tische und Stühle, stießen sich von den Wänden ab und hieben mit hungrigen Klingen auf sie ein – doch verfehlten sie jedes Mal wieder, wenn sie flink davonhuschte.

Der innere Drang nach Gewalt verschärfte sich mit tödlicher Macht.

„Tut ihr nichts“, grollte er. „Sonst tue ich euch was.“ Er würde alles tun, um sie zu beschützen.

Selbst in diesem bemitleidenswerten Zustand?

Diese beschämende Frage ignorierte er.

Frage. Ja. Er hatte noch mehr Fragen an das Mädchen – und dieses Mal würde sie sie zu seiner Zufriedenheit beantworten, oder er würde … Er war sich nicht sicher, was er sonst tun würde. In jener Höhle hatte er jegliches Empfinden für Gnade und Mitgefühl verloren.

Bei seiner Drohung blieb Sabin abrupt stehen. Der Krieger senkte die Waffen.

Doch Strider weigerte sich aufzugeben und erwischte das Mädchen schließlich bei den Haaren. Sie schrie auf, als er daran zerrte und sie damit ruckartig an seinen muskulösen Körper zog.

Und jetzt kam Kane tatsächlich auf die Beine, wild entschlossen, die zwei auseinanderzureißen. Meins. Er marschierte auf Strider zu, stolperte dank seines Dämons über einen Schuh und krachte auf den Teppich. Er spürte, wie er vom Schmerz regelrecht verschlungen wurde.

Bevor das Mädchen um Hilfe rufen oder Striders Existenz verfluchen konnte, trat der ihr gegen die Knöchel, sodass sie zu Boden ging. Gleich darauf war er über ihr und fixierte ihre Schultern mit den Knien. Auch wenn sie weiterkämpfte, sie konnte sich nicht befreien.

„Ich hab … gesagt … nicht wehtun!“, schrie Kane mit dem letzten bisschen Kraft, das ihm noch geblieben war.

„Hey. Ich hab sie kaum angefasst. Außerdem hab ich gewonnen“, verkündete der Krieger, und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

Sabin marschierte zu Kane, hockte sich neben ihn und half ihm, sich auf den Rücken zu drehen. Dann schob ihm der Krieger sachte die Hände unter den Kopf und die Schultern. Kane zuckte vor dem körperlichen Kontakt zurück, eine Stimme in seinem Kopf protestierte dagegen, doch sein Freund hielt ihn fest und zog ihn vorsichtig in eine sitzende Position.

„Wir haben nach dir gesucht, Mann.“ Sanfte Worte, die ihn beruhigen und trösten sollten. Ein Jammer, dass nichts ihn je wieder beruhigen und trösten würde. „Und wir hätten niemals aufgegeben.“

„Wie?“, brachte er heraus. Lass mich los. Bitte lass mich einfach los.

Sabin verstand zwar seine Frage, aber nicht sein innerliches Flehen. „In irgendeiner Zeitung war eine Story über eine Art Superwoman in New York, die einen Hulk auf der Schulter getragen hat. Torin hat seine Zauberkünste spielen lassen und sich in die Sicherheitskameras in der Gegend gehackt, und zack – da warst du.“

Von ihrer eingezwängten Position am Boden aus sah das Mädchen zu ihm herüber. Etwas atemlos fuhr sie Sabin an: „Hey, merkst du nicht, dass er’s nicht mag, angefasst zu werden? Lass ihn los.“

Woher wusste sie das, wo es doch nicht einmal einem seiner besten Freunde aufgefallen war?

„Dem geht’s gut“, sagte Strider. „Warum trägst du Handschuhe, Weib?“

Doch anstatt zu antworten, schloss sie nur die Augen und fragte: „Bringst du mich jetzt um?“

„Nein!“, brüllte Kane. MEINS! MEINS!

Strider steckte seine Messer weg und stand auf. Augenblicklich rappelte sich auch das Mädchen auf. Lange Strähnen fielen ihr in die Stirn und über die Wangen; sie schob sich die Mähne hinter die spitzen Ohren, die ihn so überrascht hatten.

Die meisten Fae zogen es vor, in ihrem Reich zu bleiben. Sie gehörten nicht unbedingt zu den beliebtesten Rassen, und Unsterbliche neigten dazu, erst anzugreifen und dann Fragen zu stellen. Trotzdem war Kane über die Jahrhunderte einigen begegnet. Jeder dieser Fae hatte lockiges weißes Haar und milchweiße Haut. Diese hier jedoch besaß einen glänzenden Wasserfall tiefschwarzer Seide ohne die kleinste Welle und eine Haut im köstlichsten Bronzeton. Zeichen ihrer menschlichen Seite?

Doch ihre Augen gehörten ins Reich der Fae. Riesig und blau wie kostbarste Juwelen, und mit ihrer Stimmung erhellte oder verdunkelte sich die Farbe. Im Augenblick waren sie wie Kristalle, fast schon farblos. Hatte sie Angst?

Katastrophe gefiel der Gedanke, und er schnurrte zustimmend.

Sei still, fauchte Kane. Ich bring dich um. Mach dich so was von kalt.

Das Schnurren verwandelte sich in ein amüsiertes Glucksen, und Kane musste sich dazu zwingen weiterzuatmen, ein und aus, ein und aus, langsam und konzentriert. Am liebsten hätte er sich die Ohren abgeschnitten, um diese Übelkeit erregende Belustigung auszublenden. Er wollte das Zimmer verwüsten, jedes einzelne Möbelstück in Stücke schlagen, die Wände einreißen, jeden Quadratzentimeter Teppich herausreißen. Er wollte … das Mädchen packen und von diesem furchtbaren Ort wegbringen.

Er begegnete ihrem Blick, und sie schenkte ihm ein liebevolles Lächeln. Ein Lächeln, das sagte: Alles wird gut, versprochen.

Das rasende Gefühl in ihm mäßigte sich zu einem bloßen Köcheln.

So schnell.

Wie hatte sie das geschafft?

Von all den Gesichtern, die sie bisher getragen hatte, war dies mit Abstand das Schönste. Sie hatte die längsten Wimpern, die er je gesehen hatte. Ihre Wangenknochen waren hoch und scharf geschnitten, ihre Nase perfekt geschwungen und ihr Mund herzförmig, während ihr Kinn spitz zulief.

Sie war wie die Puppe eines kleinen Mädchens, der sprühendes Leben eingehaucht worden war, und sie roch nach Rosmarin und Minze – wie frisch gebackenes Brot und ein Pfefferminz nach dem Essen. Mit anderen Worten: ein Zuhause.

Meins.

Niemals, zischte der Dämon, und der Boden begann zu beben.

Blöder Dämon. Wie jedes Lebewesen bekam auch Katastrophe Hunger. Anders als bei anderen waren seine Lieblingsspeisen jedoch Angst und Bestürzung. Wenn er also nach Nahrung gierte – oder bloß ein Dessert wollte –, verursachte er irgendeine Katastrophe für Kane und alle um ihn herum.

Manchmal waren diese Katastrophen klein. Eine Glühbirne brannte durch, oder zu seinen Füßen brach der Boden auf. Doch viel zu oft waren diese Katastrophen riesig. Ein Ast stürzte aus einem Baum. Autos rasten ineinander. Gebäude brachen zusammen.

Bohrender Hass regte sich in seiner Brust. Eines Tages werde ich dich los sein. Eines Tages werde ich dich vernichten.

Das Beben hörte auf, als der Dämon schadenfroh auflachte. Ich bin ein Teil von dir. Mich wirst du niemals los. Niemals.

Wütend schlug Kane mit der Faust auf den Boden. Vor langer Zeit hatten die Griechen ihm gesagt, erst der Tod würde ihn wieder von dem Dämon trennen – sein Tod –, doch der Dämon würde auf ewig weiterleben. Vielleicht entsprach das der Wahrheit. Vielleicht auch nicht. Die Griechen waren berüchtigt für ihre Lügen. Doch wie dem auch sein mochte, Kane würde nicht den Tod riskieren. Er war verdreht genug, dass er Katastrophes Niederlage miterleben wollte, und gerade kalt genug, dass er selbst es sein wollte, der ihm den Todesstoß versetzte.

Es musste einen Weg geben, beides zu erreichen.

„… richtig? Ja?“, hörte er das Mädchen fragen.

Der Klang ihrer melodischen Stimme holte ihn zurück in die Gegenwart.

„Äh, Kane“, hakte Sabin nach. „Hast du ihr das wirklich versprochen?“

Also hatte sie mit Kane geredet, und er konnte sich schon denken, was sie gesagt hatte. Er schüttelte den Kopf, obwohl sein Hals beinahe zu schwach für die Bewegung war. „Nein. Hab ich nicht.“

„Aber … aber … Sein Erinnerungsvermögen muss irgendwie beeinträchtigt sein.“ Sie ließ den Blick zu Strider herumfahren, und ein tiefes Blau flutete ihre Iris, Ozeane des Zorns. „Was ist mit dir? Erfüllst du seinen Teil der Abmachung?“

„Ich?“ Strider schlug sich auf die Brust.

„Ja, du.“

„Und wie genau hättest du’s denn gern, hm?“

In ihrer Stimme lag ein heftiges Zittern, als sie antwortete: „Ich will … Ich will, dass du deinen Dolch nimmst und … mir ins Herz stichst.“

Der Krieger blinzelte und schüttelte den Kopf. „Du meinst das ernst, oder? Du willst wirklich sterben.“

„Ich will nicht, aber ich muss“, flüsterte sie, und der Zorn wich einem Ausdruck der Niederlage.

Mühsam schluckte Kane ein Brüllen hinunter, als er sich an ihre Worte in der Höhle erinnerte.

Ich bringe dich in die Welt der Menschen – und als Gegenleistung wirst du mich umbringen. Das musst du mir schwören.

Dort unten hatte er ihr vielleicht nicht geglaubt. Dort war er vielleicht zu verloren gewesen in seinem eigenen Schmerz, um sich darum zu scheren. Doch jetzt zu hören, dass sie tatsächlich sterben wollte … Nicht bloß nein, sondern zur Hölle, nein! Eher würde er sterben.

„Warum bist du mir dann vorhin ausgewichen?“, fragte Strider das Mädchen fordernd.

„Hab ich doch gesagt. Instinkte. Aber nächstes Mal reiß ich mich zusammen, versprochen.

Meins, hörte Kane von Neuem, und ein tiefes, düsteres Grollen stieg in seiner Brust empor, immer weiter, bis es aus ihm hervorbrach. „Meins! Rühr sie an, und ich bring dich um.“

Sowohl Sabin als auch Strider starrten ihn fassungslos an. Kane war immer der Ruhige gewesen, nie zuvor hatte er seinen Freunden gegenüber die Stimme erhoben. Doch er war nicht mehr der Mann, der er einmal gewesen war – und würde es niemals wieder sein.

„Bitte“, flehte sie Strider an, und in ihren Augen funkelte es Hellblau. Wie verzweifelt sie klang.

Wie viel heißer seine Wut brannte.

Etwas Furchtbares musste ihr widerfahren sein, dass sie glaubte, der Tod sei ihre einzige Option. Hatte jemand … War sie gezwungen worden … Er konnte den Gedanken nicht beenden. Dann würde er explodieren. Oder den Kopf in ihrem Hals vergraben und schluchzen.

Er blickte zu Strider empor. Dem großen blonden Strider mit seinen marineblauen Augen und dem verdrehten Sinn für Humor. „Fessel sie. Sanft. Wir nehmen sie mit.“ Er würde ihr helfen.

„Was?“ Abwehrend hob sie die Hände und wich vor dem Krieger zurück. „Auf keinen Fall. Nie und nimmer. Es sei denn, ihr habt vor, mich an einen geheimen Ort zu bringen, damit niemand das Blut sieht.

Er hätte lügen können. Stattdessen blieb er stumm, während Sabin ihm auf die Beine half. Protestierend schrien gebrochene Knochen auf, die erst vor Kurzem gerichtet worden waren, und fast wäre er vor Schmerz in die Knie gegangen, doch er hielt sich wacker. Er würde sich nicht erlauben zusammenzubrechen. Nicht schon wieder. Nicht vor den Augen sein… des Mädchens.

„Tut mir leid, Schätzchen“, entgegnete Strider, „aber du hast kein Mitspracherecht bei dem, was als Nächstes passiert. Du lebst weiter, nichts ist mit Sterben, und damit hat sich die Sache.“

„Aber … aber …“ Flehend blickte sie zu Kane. „Ich hab so viel Zeit auf dich verschwendet. Und ich hab sonst niemanden, den ich um Hilfe bitten könnte.“

„Gut.“ Jeder Mann, der auch nur in Erwägung zog, ihr zu geben, worum sie bat, würde einen grausigen Tod sterben.

„Gut? Gut! Oh!“ Entrüstung überschattete alles andere, und sie stampfte wütend auf. „Du herzloser, überproportionierter Rüpel!“

„Weil er dir nichts antun will? Das ist ja mal was Neues.“ Strider hob den Arm, um sie zu packen.

Blitzschnell entkam sie seinem Griff und rammte dem Krieger den Fuß in die Weichteile. Während Strider sich krümmte und nach Luft schnappte, flitzte sie zur Tür und rief ihm über die Schulter hinweg zu: „Ich bin so enttäuscht von dir, Lord Kane!“

Dann verschwand sie in die Nacht.

Augenblicklich versuchte er, ihr zu folgen, doch verflucht sollte seine Schwäche sein, die Knie gaben unter ihm nach. „Komm zurück, Weib! Sofort!“

Doch sie tauchte nicht wieder auf.

Kane durchrollte eine Woge des Zorns, die alles davor lächerlich erscheinen ließ. Er würde sie zurückholen. Er würde durch die Nacht streifen und jeden packen, der ihm über den Weg lief, und wenn derjenige ihm nicht die richtige Richtung weisen konnte, würde er ihm das Rückgrat durch den Mund rausreißen. Würde einen Ozean von Blut auf seinen Spuren hinterlassen, und das hätte sie nur sich selbst zuzuschreiben. Er würde …

Gar nichts tun, fiel Katastrophe ihm lachend ins Wort.

Und das traf ihn umso härter, als er nur zusammengekrümmt auf dem Boden ausharren konnte.

„Bring sie mir zurück“, schrie er Strider an.

Stöhnend vor Schmerz fiel der Krieger zu Boden. Soeben war er von einem mickrigen kleinen Mädchen besiegt worden; dafür würde sein Dämon ihm tagelang grausamste Schmerzen zufügen.

„Los!“, befahl Kane an Sabin gerichtet.

„Nein. Ich lass dich nicht aus den Augen.“

„Los!“, beharrte er. „Bring sie zurück.“

„Nur weil du mich anschreist, werde ich nicht meine Meinung ändern.“

Kane versuchte, zur Tür zu kriechen, doch dichter Nebel drängte sich in seinen Kopf und machte dem ein Ende. Eine Flut wilder Flüche brach aus ihm hervor.

Konnte denn gar nichts gut gehen für ihn? Nicht ein einziges Mal?

Katastrophe begann schon wieder zu lachen.

3. KAPITEL

Im Reich der Blutigen Schatten

Eine Woche später

Kane erhob sich von seinem breiten Doppelbett und schlurfte ins Badezimmer. Da er bereits nackt war, musste er nur noch in die Dusche treten. Heißes Wasser prasselte auf seine frisch verheilte Haut, von der endlich alle Blutergüsse und Schürfwunden verschwunden waren. Doch seine Muskeln waren noch immer völlig verspannt.

Ungebrochen glühte der Zorn in ihm weiter, der ihn beim Verschwinden seiner Retterin gepackt hatte, und der Hass auf Katastrophe war wie ein ständiges Brennen in seiner Brust. Doch seine Erinnerungen … die waren das Schlimmste.

Sie kamen tagsüber. Sie kamen nachts. In dem einen Moment lag er auf dem Bett, starrte die Decke an, und im nächsten wurde er zurückversetzt in die Hölle, an Händen und Füßen gefesselt. Oder er stand unter der Dusche, so wie jetzt, während das Wasser auf ihn herabregnete, und plötzlich sah er den Schmutz, das Blut und … andere Dinge, die einst an seiner Haut geklebt hatten. Und so fanatisch er auch schrubbte, sauber fühlte er sich trotzdem nicht.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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