Die Herren der Unterwelt 11: Schwarze Berührung - Gena Showalter - E-Book

Die Herren der Unterwelt 11: Schwarze Berührung E-Book

Gena Showalter

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Beschreibung

Torins Liebe bringt Verderben - doch als der Krieger der Roten Königin begegnet, siegt das Verlangen … der elfte Band von Gena Showalters fantastischen "Herren der Unterwelt"! Sein Kuss bedeutet Verderben, seine Liebe entsetzliches Leid: Der unsterbliche Krieger Torin ist der Hüter des Dämons der Krankheit. Er muss körperlicher Nähe entsagen, denn seine Berührung entfesselt schreckliche Seuchen, die große Teile der Menschheit dahinraffen würden. Mit eisernem Willen versucht Torin deshalb, jeder sinnlichen Versuchung zu widerstehen. Doch dann begegnet er im Tartarus, dem Gefängnis der Unterwelt, der Roten Königin Keeley Cael. Sie ist verdammt … trotzdem weckt sie in Torin ein unbezähmbares Verlangen! Aber wie kann er sie lieben, wenn das ihr Ende und das der Menschheit bedeutet?

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Seitenzahl: 664

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New York Times- und USA Today-Bestsellerautorin Gena Showalter gilt als Star am romantischen Bücherhimmel des Übersinnlichen. Ihre Romane erobern die Herzen von Kritikern und Lesern gleichermaßen im Sturm. Die „Herren der Unterwelt“-Saga ist ihre erfolgreichste Serie.

Gena Showalter

Die Herren der Unterwelt 11: Schwarze Berührung

Roman

Aus dem Amerikanischen von Freya Gehrke

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

The Darkest Touch

Copyright © 2014 by Gena Showalter

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold & partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Daniela Peter

Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz; Thinkstock/Getty Images, München

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz; © Kim Haynes Photos

ISBN eBook 978-3-95649-423-9

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden

„Mein Sternzeichen? Krebs.“

1. KAPITEL

Wehe, du stirbst. Wag es ja nicht, mir wegzusterben.“ Fieberhaft durchwühlte Torin seinen Rucksack, der bis oben hin vollgestopft war mit Kleidung, Waffen und Krankenhausbedarf. Es war Tage her, dass er ihn gepackt hatte – blindlings hatte er alles hineingeworfen, wovon er glaubte, es irgendwann brauchen zu können. Aber ein Mundschutz war nicht dabei. Auch gut. Dann würde er eben ohne weitermachen.

Er stürzte zurück zum reglosen Leib seiner Gefährtin und setzte sich rittlings auf sie. Mit jeder verstreichenden Sekunde rann ihm ihr Leben durch die Finger. Herz-Lungen-Wiederbelebung kam für ihn nur in letzter Instanz infrage, doch plötzlich war das ihre einzige Hoffnung. Da sie in einem Verlies eingesperrt waren und niemand sonst sich in ihrer gemeinsamen Zelle befand, lag die Verantwortung bei ihm. Dem Kerl, der kaum je einer anderen Person so nahgekommen war.

Nennt mich Wunder-Doc.

Er führte die behandschuhten Hände über Maris zierlicher Brust zusammen – still, zu still. Doch statt mit dem zu beginnen, was er hätte tun sollen, ertappte er sich dabei, wie er innehielt, um diesen seltenen und außergewöhnlichen Kontakt zum anderen Geschlecht zu genießen. So weich. So sinnlich.

Was zum Teufel mache ich hier? Mit zusammengebissenen Zähnen drückte er zu.

Knack.

Zu fest. Soeben hatte er ihr das Brustbein und wahrscheinlich gleich mehrere Rippen gebrochen.

Wie ein Dolchstoß ins Herz trafen ihn die Schuldgefühle, und hätte das Organ nicht längst restlos in Fetzen gehangen, hätte es vielleicht sogar wehgetan. Schweiß rann ihm an den Schläfen herab, als er noch einmal auf Maris Brust drückte, diesmal sanfter. Es ertönte kein weiteres Knacken. Gut. Okay. Wieder pumpte er, und noch einmal, erhöhte nach und nach das Tempo. Aber wie schnell war zu schnell? Was war hilfreich? Was fügte ihr Schaden zu?

„Komm schon, Mari.“ Sie war ein Mensch, aber stark. Zerbrechlich, aber widerstandsfähig. „Bleib bei mir. Du kannst das überleben, ich weiß, dass du es kannst.“

Ihr Kopf rollte zur Seite, glasig starrten ihre Augen ins Leere.

„Nein. Nein!“ Er tastete nach einem Puls, wartete … Doch es war nicht das winzigste Flattern zu spüren.

Als er die Hände wieder auf ihre Brust legte, um von Neuem zu beginnen, blieb sein Blick an ihren blutbefleckten Lippen hängen; innerlich befahl er ihnen mit aller Macht, sich zu teilen, wenigstens ein Husten entweichen zu lassen. Zwar würde das bedeuten, dass sie weiterhin mit der Krankheit zu kämpfen hatte, aber krank war immer noch besser als tot.

„Mari, bitte.“ Er hörte die Verzweiflung in seinem Ton, doch es war ihm egal. Es darf nicht sein, dass ich ein so unschuldiges Mädchen umbringe.

Torin pumpte fester, hörte ein neuerliches Knacken.

Zur Hölle. Er war beileibe keine Heulsuse, aber er wollte verdammt sein, wenn das keine Tränen waren, die ihm da in den Augen brannten.

Er hatte angefangen, dieses Mädchen als Freundin zu betrachten, und trotz der vielen Jahrhunderte, die er bereits lebte, besaß er davon nicht viele. Die, die er hatte, beschützte er kompromisslos.

Bis sie auf der Bildfläche erschienen war.

Ohne ihn wäre sie gar nicht erst krank geworden.

Wieder tastete er nach ihrem Puls. Immer noch kein Lebenszeichen.

Fluchend machte er sich wieder an die Arbeit. Fünf Minuten … zehn … zwanzig. Er war Maris lebenserhaltende Maßnahme, das Einzige, das zwischen ihr und dem Tod stand; er würde es durchziehen, solange es eben sein musste.

Streng dich an, Mari. Du musst durchkommen.

„Kämpfe!“ Doch nach einer weiteren Ewigkeit ohne jegliche Veränderung in ihrem Zustand gestand er sich schließlich ein, dass seine Mühen vergebens waren. Sie war bereits fort.

War bereits tot.

Und es gab nichts, was er hätte tun können, um sie zurückzuholen.

Aufbrüllend riss Torin sich von ihr los und tigerte in der Zelle auf und ab wie das eingesperrte Tier, das er war. Ihm zitterten die Arme. Sein Rücken und seine Oberschenkel schmerzten. Aber was waren schon körperliche Schmerzen im Vergleich zu seelischen? Zu emotionalen Qualen? Das hier war seine Schuld. Er hatte gewusst, was geschehen würde, sollte er das Mädchen jemals berühren, und trotzdem hatte er sie immer näher zu sich gelockt.

Monster! Mit einem erneuten Schrei schlug er gegen die Wand und genoss das gnadenlose Pochen des Schmerzes, als Haut riss und Knochen brachen. Wieder und wieder schlug er zu, bis sich Risse im Felsen bildeten und die Luft um ihn herum stauberfüllt war.

Hätte er sich einfach mal Gedanken darüber gemacht, warum ein Mädchen wie Mari so ausgehungert nach Gesellschaft war, dass sie bereit war, Zeit mit ihm zu verbringen, dann wäre sie jetzt noch am Leben.

Er drückte die Stirn gegen die malträtierte Wand. Ich bin der Hüter des Dämons der Krankheit. Wann akzeptiere ich endlich die Tatsache, dass mir ein Leben als One-Man-Show bestimmt ist?

Dass mir auf ewig verwehrt bleibt, wonach ich mich am meisten sehne.

„Mari, Liebling“, erklang eine Stimme mit einem leichten Akzent. Weiblich … köstlich – selbst erfüllt von Panik und Schmerz, wie er es im Augenblick war. „Das Band ist zerstört. Warum ist es zerstört?“

Das Blut in Torins Adern verwandelte sich in Benzin und ging in Flammen auf, als hätte jemand ein brennendes Streichholz hineingeworfen. Immer stärker wurde ihm sein schneller werdender Herzschlag bewusst, und ihn packte ein verzehrendes Verlangen, zur Tür der Zelle zu marschieren und jeden einzelnen Metallstab aus der Verankerung zu reißen; was auch immer nötig war, um die Distanz zwischen ihm und der Sprecherin auszulöschen.

Eine extreme Reaktion. Das war ihm klar. Ebenso war ihm klar, dass es ungewöhnlich für ihn war, sich einer anderen Person derart peinigend bewusst zu sein. Doch zugleich war es unkontrollierbar und unaufhaltsam, und seine gesamte Welt drehte sich nur noch um diese eine Frau.

Es war nicht das erste Mal, dass das geschah. Jedes Mal, wenn sie die Stimme erhoben hatte, egal, wie ihre Worte lauteten, hatte in der Heiserkeit ihres Tonfalls ein Versprechen auf pure Lust gelegen. Als sehnte sie sich nach nichts mehr als danach, ihn zu küssen, zu lecken, an ihm zu saugen.

Männliche Instinkte, die zu unterdrücken er unzählige Jahre geschuftet hatte, schrien: Komm näher, kleiner Falter. Komm näher an meine Flamme.

Oder ich komme zu dir …

Er schritt zu den Gitterstäben und befahl der Dunkelheit zwischen ihrer und seiner Zelle, wie schon tausendmal zuvor, sich zu lichten. Doch es zeigte keine Wirkung. Ihr Aussehen blieb ein Mysterium.

Auf seltsame Weise wurde seine kranke Besessenheit von ihr dadurch nur noch intensiver … und er dachte bei sich, dass er für nur fünf Minuten küssen, lecken und saugen mit ihr mit Freuden eine Pandemie riskiert hätte.

Ich hasse mich. Jemand sollte ihn am Schlüsselbein aufhängen und mit dem Rohrstock verprügeln. Noch mal.

„Mari!“, rief das Objekt seiner Besessenheit. „Bitte.“

Krankheit rastete völlig aus, hämmerte von innen gegen Torins Schädel, verzweifelt auf der Suche nach einem Fluchtweg.

Einem Fluchtweg vor ihr? Noch eine ungewöhnliche Reaktion. Normalerweise schnurrte der Dämon förmlich, sobald ein potenzielles Opfer in der Nähe war.

Wie hatte das Biest über Mari gelacht …

Ihn hasse ich auch.

„Mari kann gerade nicht sprechen“, erklärte Torin. Niemals wieder.

Dieses Eingeständnis … Salz in meine Wunden.

Gitterstäbe ratterten. „Was hast du mit ihr angestellt?“

Nichts … Alles.

„Sag’s mir!“, schrie die Frau.

„Ich habe ihre Hand gehalten.“ Unvermittelt brachen die Worte aus ihm hervor, verbittert und schneidend. „Mehr nicht.“ Allerdings hatte er weit mehr getan als das, nicht wahr?

Er hatte eine Menge Zeit und Mühe investiert, um sie zu bezirzen. Hatte sie gefüttert. Mit ihr geredet und gelacht. Schließlich hatte sie sich wohl genug gefühlt, um ihm einen seiner Handschuhe auszuziehen und ihre Finger mit seinen zu verschränken. Absichtlich.

Es wird schon nichts Schlimmes passieren, hatte sie gesagt. Oder vielleicht hatte es in ihrem Blick gelegen. Die Details waren etwas verschwommen im Nebel seiner Begierde. Wirst schon sehen.

Er hatte ihr geglaubt. Weil ihr zu glauben wichtiger für ihn gewesen war als sein nächster Atemzug. So fest hatte er sich an sie geklammert; wie ein Verdurstender, der in einer zu Asche verbrannten Welt das letzte Glas Wasser entdeckt hat. Seine körperliche Reaktion hatte ihn beinahe in die Knie gezwungen. Eine Empfindung nach der anderen hatte ihn überrollt. Feminine Weichheit so nah an seiner maskulinen Härte. Ein blumiger Duft in seiner Nase. Das Kitzeln ihrer seidigen Haarspitzen an seinem Handgelenk. Ihre Wärme, die sich mit der seinen mischte. Ihr Atem, der auf seinen traf.

Ich habe eine unmittelbare Verbindung gespürt, augenblickliche Verzückung, und hätte um ein Haar in meine verdammten Jeans abgespritzt. Vom Händchenhalten.

Sie war daran gestorben.

Bei ihm spielte es nie eine Rolle, ob die Berührung versehentlich oder mit Absicht stattfand oder ob das Opfer Mensch oder Tier, jung oder alt, männlich oder weiblich … gut oder böse war. Jedes lebende Wesen erkrankte kurze Zeit nach dem Kontakt mit ihm. Selbst Unsterbliche wie er. Der einzige Unterschied: Unsterbliche überlebten es manchmal und wurden dann selbst zu Überträgern. Was auch immer sie sich für eine Krankheit von ihm einfingen, von da an konnten sie sie an andere weitergeben. Als Mensch hatte Mari von vornherein keine Chance gehabt.

„Sag mir die Wahrheit“, verlangte seine Obsession. „Jedes

Detail.“

Er wusste nicht, wie sie hieß oder ob sie Mensch oder Unsterbliche war. Er wusste nur, dass Mari einen Handel mit dem Teufel abgeschlossen hatte, um sie zu retten.

Jahrhundertelang waren die Frauen hier eingesperrt gewesen – wo auch immer „hier“ sein mochte –, aus keinem für Torin ersichtlichen Grund. Cronus, der Eigentümer des Gefängnisses, hatte noch nie einen Grund benötigt, um jemandes Leben zu ruinieren.

Zur Zerstörung von Torins Leben hatte er jedenfalls nach Kräften beigetragen.

Er war Torin einen Gefallen schuldig gewesen, und Torin, wie er nun einmal war, hatte beschlossen, über den zweifelhaften Ruf des Mannes hinwegzusehen und um eine Frau zu bitten, die durch seine Berührung nicht krank werden würde. Cronus, wie er nun einmal war, hatte sich nicht die Mühe gemacht, eine passende Kandidatin ausfindig zu machen, sondern schlicht eine seiner Gefangenen rekrutiert – die liebliche, unschuldige Mari.

„Cronus hat einen Handel mit dem Mädchen geschlossen“, erklärte Torin.

„Das weiß ich.“ Seine Obsession tobte und schnaubte, ganz der große böse Wolf. „Mari wurde der Fluch auferlegt, sich beinahe einen Monat lang jeden Tag in dein Zimmer zu teleportieren, immer in der Hoffnung, sie könnte dich überzeugen, sie zu berühren.“

„Ja“, krächzte er. Und als Gegenleistung hatte Cronus versprochen, ihre engste Freundin freizulassen – die Frau, von der Torin gerade ins Kreuzverhör genommen wurde.

Es war keine besonders große Überraschung, dass Cronus gelogen hatte.

Wenigstens hat er letzten Endes gekriegt, was er verdient.

Sobald Torin erkannt hatte, dass Mari krank war, hatte er sie ins Krankenhaus schleifen wollen, doch jener dämliche Fluch hatte sie mit unsichtbaren Fesseln an dieses Gefängnis gekettet. Sie hatte zurückkehren müssen. Da ihm keine andere Möglichkeit geblieben war, hatte Torin sich an ihr festgehalten, als sie in Gedankenschnelle von einem Ort zum anderen gewechselt war, und hatte so mit ihr kommen können. Er hatte sein Bestes gegeben, sie zu pflegen, so gut es ihm eben möglich war.

Doch sein Bestes war nicht gut genug gewesen. Würde niemals gut genug sein.

„Das Warum ist mir egal“, warnte die Frau. „Mich interessiert nur das Ergebnis. Was macht Mari in diesem Augenblick?“

Verwesen.

Das kann ich nicht sagen, ich … kann’s nicht. Stumm streifte er sich die Handschuhe ab und benutzte seine Hände als Schaufel, warf einen Haufen Erde nach dem anderen über seine Schulter. Nicht das erste behelfsmäßige Grab, das ich aushebe, aber hiermit schwöre ich feierlich, dass es das letzte sein wird. Nie wieder kurz entschlossene Freundschaften. Nie wieder Hoffnungen und Träume von Dingen, die niemals wahr werden konnten. Ich hab’s satt.

„Ignorierst du mich?“, fragte sie. „Hast du auch nur die geringste Ahnung, was für ein Wesen du da provozierst?“

Torin hielt keine Sekunde in seiner Tätigkeit inne. Er würde Mari begraben. Er würde einen Ausweg aus diesem Dreckloch finden. Dann würde er sich wieder der Aufgabe zuwenden, die er hatte fallen lassen, als er sich entschieden hatte, mit dem Mädchen zu kommen. Die Such- und Rettungsaktion für Cameo und Viola, die vor einigen Wochen verschwunden waren – Freundinnen, die sein Bedürfnis nach Abstand begriffen.

„Ich bin Keeleycael, die Rote Königin, und ich werde mir mit Freuden einen Kleiderbügel schnappen, um dir sämtliche Eingeweide einzeln rauszuziehen – durch den Mund.“

Krankheit wurde mucksmäuschenstill.

Auch das war eine Premiere.

Die Rote Königin. Irgendwie kam ihm der Titel bekannt vor. Ja, auch aus einem Kinderbuch, aber da steckte noch mehr dahinter. Er hatte ihn schon einmal gehört … Wo? Ein Bild flackerte vor seinem inneren Auge auf. Eine heruntergekommene Kneipe im Himmelreich. Ja, natürlich. In seiner Zeit als Soldat für Zeus hatte er so manchen flüchtigen Unsterblichen dorthin verfolgt. Hinter zitternd vorgehaltener Hand hatten verängstigte Männer und Frauen die Worte „die Rote Königin“ geflüstert, dicht gefolgt von „wahnsinnig“ und „grausam“.

Er hatte schon immer Freude daran gehabt, sich mit den Stärksten und Niederträchtigsten zu messen, und diese so tief verwurzelte Angst vor jener sogenannten Roten Königin hatte ihn neugierig gemacht. Aber als er die Flüsternden gefragt hatte, wer sie war und wozu sie imstande war, hatten sie keinen Ton mehr von sich gegeben.

Vielleicht war es diese Gefangene, von der die Rede gewesen war, vielleicht auch nicht. Es spielte sowieso kaum noch eine Rolle. Er würde nicht mit ihr kämpfen.

„Keeleycael“, wiederholte er. „Ganz schön langer Name. Wie wär’s, wenn ich dich stattdessen Keeley nenne?“

„Diese Ehre ist allein meinen Freunden vorbehalten. Solltest du es wagen, dann auf eigene Gefahr.“

„Danke. Mach ich.“

Sie ließ ein leises Fauchen hören. „Ich gestatte dir, mich als Eure Majestät anzusprechen. Ich werde dich Mein Nächstes Opfer nennen.“

„Normalerweise stehe ich eher auf Torin, Heiße Schnitte oder Der Sagenhafte.“ Spitznamen, die ihm halfen, durch den Schmerz hindurchzulächeln. Wahrscheinlich hätte ich mir Proctalgia Fugax zulegen sollen – der sprichwörtliche Schmerz in deinem Arsch.

„Warum ist Mari verstummt, Torin?“, fragte Keeley, als unterhielten sie sich über nichts weiter als den morgigen Speiseplan (Ratte am Spieß).

Sie wusste doch, dass Mari tot war, oder? Dass sie ihn zwingen wollte, es zuzugeben, war eine Art Strafe.

„Bevor du antwortest“, setzte sie hinzu, „solltest du wissen, dass ich eher einen Feind verschone, der mir die Wahrheit sagt, als einen Freund, der mich belügt.“

Kein schlechtes Motto. Seins lautete zufällig Lüg und stirb.

Und ehrlich gesagt, wäre es andersherum, hätte er dasselbe gewollt: Antworten. Andererseits, wäre es andersherum und sie hätte den Tod eines seiner Freunde verschuldet, dann hätte er Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um der Gerechtigkeit Genüge zu tun. Aber gefangen, wie sie nun einmal beide waren, in diesen Zellen für die Mächtigsten unter den Unsterblichen, gab es nichts, was sie unternehmen konnte. Ihr blieb nichts, als in ihrem eigenen Saft zu schmoren, hilflos zu spüren, wie ihr Zorn immer finsterer wurde, bis er sie womöglich in den Wahnsinn trieb. Ein grausames Schicksal.

Und außerdem eine Ausrede.

Wird Zeit, dass ich Eier zeige. „Mari ist … tot. Sie ist tot.“

Stille.

So bedrückende Stille, begleitet von Finsternis, als wären sie irgendwie plötzlich in einen Isolationstank gefallen.

In einem verzweifelten Versuch, seinem wachsenden Kummer die Schärfe zu nehmen, erklärte er: „Da du von Cronus’ Deal mit Mari weißt, musst du auch wissen, dass ich ein Herr der Unterwelt bin. Einer von vierzehn Kriegern, die verantwortlich für den Diebstahl der Büchse der Pandora waren – und für die Entfesselung der Dämonen aus ihrem Inneren. Zur Strafe wurde jeder von uns dazu verflucht, einen jener Dämonen in seinem Inneren zu beherbergen. Mir wurde Krankheit zugeteilt, die schlimmste HKVI der Welt. Hautkontakt-vermittelte Infektion. Ich mache andere krank, was ich auch tue, und es gibt kein Gegenmittel. Sie hat mich berührt, wie gesagt. Wir haben einander berührt. Aber mehr war nicht nötig. Sie ist gestorben. Sie ist tot“, wiederholte er dumpf.

Wieder nichts als Stille.

Er biss die Zähne zusammen, um sich davon abzuhalten, preiszugeben, dass die anderen Herren Prachtexemplare wie Gewalt, Tod und Schmerz hüteten. Dass Tausende von Unschuldigen von ihrer Hand gestorben waren und Tausende darüber hinaus Klagelieder über die Abscheulichkeit ihrer Taten geweint hatten. Dass trotz alledem keiner seiner Freunde so verdammungswürdig war wie Krankheit. Sie suchten sich ihre Opfer aus. Torin nicht.

Was bin ich doch für ein verfluchter Sechser im Lotto.

Wer sollte ihn je wollen? Single, männlich, unsterblich sucht eine Frau, um sie zu lieben – und zu ermorden.

Er konnte sich nicht einmal mit der Erinnerung an verflossene Bettgespielinnen trösten. Damals im Himmelreich hatte ihn, abgesehen von seinen Soldatenpflichten, herzlich wenig gekümmert, Frauen waren absolute Nebensache gewesen … bis sein Körper nach Aufmerksamkeit verlangte. Doch jedes Mal, wenn er sich eine Gespielin auserkoren hatte, waren ihm seine Kriegerinstinkte in die Quere gekommen. Er hatte dominiert und unterworfen, und mit seiner unbeabsichtigten Grobheit hatte er die Frauen zum Weinen gebracht, bevor sie auch nur ein Kleidungsstück abgelegt hatten. Was bedeutete, dass sie gar keine Kleidung abgelegt hatten.

Vielleicht hätte er die Frauen überreden können, weiterzumachen, doch sein Selbstekel war zu groß gewesen. Auf dem Schlachtfeld war er hervorragend, aber schlichten Sex bekam er nicht auf die Reihe?

Erniedrigend.

Heute hätte er den letzten kümmerlichen Rest seiner Unbescholtenheit für jeglichen Hautkontakt eingetauscht. Verzweifelt gierte er nach dem, was er einst verschmäht hatte. Nicht einmal im Kampf mit seinen Feinden konnte er noch auf die skrupellose Art und Weise unter die Gürtellinie gehen, die er so geliebt hatte – immer noch liebte.

„Torin“, sagte Keeley, und trotz der Anspannung, die er hörte, reagierte er mit demselben zügellosen Hunger wie zuvor. „Dir ist klar, dass du ein unschuldiges Mädchen umgebracht hast, oder?“

Er ließ sich in das Loch sinken, das er ausgehoben hatte, zog seine Handschuhe über und legte die Stirn in die erhobenen Handflächen. „Ja.“ Sein Blick huschte zu Mari. Es mochte ja sein, dass sie um seinen Zustand gewusst hatte, aber ein Teil von ihr musste darauf vertraut haben, dass er für ihre Sicherheit sorgen würde.

Das hatte sie nun davon.

„Torin“, wiederholte Keeley. „Ist dir ebenfalls klar, dass ich dich für deine Schandtat bestrafen werde?“

„Du kannst mir keine größeren Qualen zufügen, als ich ohnehin schon leide.“

„Das entspricht nicht der Wahrheit. Ich habe übrigens von dir und deinen Freunden gehört.“

Was hatte das denn jetzt mit der Sache zu tun? „Erklär mir, worauf du hinauswillst, und möglicherweise beschließe ich, dem Rest der Unterhaltung zu folgen.“ Anderenfalls wurde es Zeit, dass er seinen Weg in die Freiheit fand.

„Du magst ja die schlimmste HKVI der Welt haben“, behauptete sie, „aber meinen Tobsuchtsanfällen kann niemand das Wasser reichen.“

Interessant, aber irrelevant. „Versuchst du, mich auszuschimpfen, oder ist das eine Bewerbung als mein Sidekick?“

„Schweig!“

Krankheit krümmte sich wie der Feigling, der er war.

„Sicherlich hast du von Atlantis gehört“, fuhr sie gelassen fort. „Was du vermutlich nicht weißt, ist, dass ich für den Untergang der Insel in den Tiefen des Meeres gesorgt habe, weil ich ein kleines bisschen verärgert über ihren Herrscher war.“

Die Wahrheit? Oder pure Übertreibung?

So oder so … es erregte ihn genauso sehr wie ihre Stimme. Endlich. Die Gegnerin meiner Träume.

„Du hast mehr als nur meine Verärgerung auf dich gezogen, Krieger. Ich hatte hier eine Freundin. Nur eine einzige. Sie ist -war – meine Familie.“ Es entstand eine Pause, und er hörte, wie Keeley sich die Nase putzte. „Nicht durch Blutsverwandtschaft, sondern durch etwas weitaus Größeres. Einst war ich eine Kreatur des Hasses, doch sie hat mich zu lieben gelehrt. Und du hast sie mir entrissen.“

Ihr Schmerz schnitt ihm ins Herz.

„Torin“, fuhr sie fort, und er wusste instinktiv, dass dies die Ruhe vor einem allumfassenden, furchtbaren Sturm war.

„Ja, Keeley.“ Wenn sie sein Herz von ihm forderte – ein Leben für ein anderes –, dann würde er es ihr geben.

Der Sturm brach herein und enthüllte das Temperament, dessen sie sich gerühmt hatte.

„Ich bring dich um“, schrie sie. „Mach dich so was von kalt.“ Die Gitterstäbe vor ihrer Zelle ratterten immer stärker. „Du wirst Qualen erleiden, wie du sie dir nicht in deinen grauenvollsten Albträumen ausmalen könntest, denn ich werde dir antun, was ich schon so vielen anderen angetan habe. Ich werde dir mit einem Käsehobel die Haut abziehen und deine Innereien in einen Standmixer füllen, um mir einen Smoothie daraus zu machen. Ich werde dir dermaßen den Schädel einschlagen, dass dir das Hirn aus den Augenhöhlen rinnt.“

„Ich … weiß nicht, was ich darauf antworten soll.“

„Keine Sorge. Schon bald werde ich dir die Zunge rausschneiden und als Putzlappen verwenden – du wirst nie wieder irgendwem irgendwas antworten müssen!“ Ein Stein schlitterte in seine Zelle … der Vorbote einer ganzen Lawine. Zorn und Trauer verliehen ihr offensichtlich die Kraft, die Jahrhunderte der Gefangenschaft ihr gestohlen haben mussten.

Ich bin verloren. Er hatte dieser Frau ihre beste und einzige Freundin geraubt, und jetzt blieb ihr nichts als Elend und Schmerz.

Willkommen in meinem Leben.

Er wünschte, was er als Nächstes vorhatte, würde ihn umbringen, wusste jedoch, dass er sich danach bloß wünschen würde, es wäre so. Jede Verletzung, die er erlitt, schadete seinen Widerstandskräften gegen den Dämon und damit seiner Immunität. Dadurch konnte Krankheit sich aufbäumen und ihn infizieren. Zumindest für eine Weile. Trotzdem. Torin tat, was er sich ausgemalt hatte. Mit erdverschmierten Klauen grub er sich den Weg in seine Brust frei, riss sich das Herz heraus … und rollte es hinüber in Keeleys Zelle.

2. KAPITEL

Keeley war sich nicht sicher, wie viele Tage oder Wochen verstrichen waren, seit der Krieger ihr sein noch schlagendes Herz dargeboten hatte. Ein makabres Geschenk, das ihre dunkelsten Seiten sogar tatsächlich zu schätzen wussten. Sicher war sie sich nur, dass er die folgenden wie viele Tage auch immer unter Qualen gestöhnt und, wenn sie raten sollte, seine Lungen stückchenweise ausgehustet hatte.

Krank gemacht von seinem eigenen Dämon? Verdient.

Und auch wenn seine Qualen ihre schlimmste Wut gedämpft hatten, war sie immer noch fest entschlossen, ihn umzubringen. Das vergesse ich niemals. Niemals, niemals, niemals.

„Es ist das Richtige, es zu tun. Findest du nicht auch, Wilson?“, fragte sie den Stein, der gern jede ihrer Bewegungen beobachtete.

Er blieb stumm, stumm wie immer. Ihr die kalte Schulter zu zeigen war seine Spezialität.

Sein Gehabe machte ihr nichts aus. Besonders gut waren sie ohnehin nie miteinander ausgekommen.

„Ich hatte übrigens vor, Mari zu befreien. Ich hätte bloß etwas Zeit gebraucht. Nur noch ein paar Wochen, um genau zu sein.“ Oder Monate. Vielleicht Jahre. Die Zeit hatte aufgehört zu existieren. Mari jedoch hatte sich nicht um sich selbst geschert – ihr war nur Keeley wichtig gewesen.

Das Mädchen hatte gewusst, was Keeley sich Tag für Tag antat. Na ja, gewusst war vielleicht nicht das richtige Wort. Sie hatte einen Verdacht gehabt. Und sie hatte die Vorstellung verabscheut, Keeley könnte jegliche Art von Schmerzen leiden. Also hatte Mari, die liebreizende Mari, beschlossen zu handeln. Sie hatte Cronus’ selbstmörderisches Angebot angenommen, um Keeleys Freilassung auf die einzige Art zu erwirken, die ihr möglich war. Entgegen Keeleys Protesten.

„Cronus hat sich nicht mal an seinen Teil der Abmachung gehalten“, erklärte sie Wilson. Mari war bei der Erfüllung ihrer Hälfte gestorben, und trotzdem war Keeley nicht frei.

Hass grub sich tief in ihr Inneres, schlug Wurzeln in der Finsternis ihrer Seele und nährte sich vom reichen Boden ihrer Verbitterung. So viel zu erledigen. Zuerst würde sie sich um Torin kümmern. Dann würde sie mit dem König der Titanen dasselbe machen, was sie einst Prometheus angetan hatte – der nicht der Gutmensch war, für den ihn alle hielten. Keineswegs hatte er die Welt mit Feuer gesegnet. Wie lachhaft. Nein, er hatte versucht, sie bis in die hintersten Winkel in Flammen aufgehen zu lassen.

„Aber ich hab ihn bestraft, nicht wahr?“ Sie lachte, erfüllt von einer irrsinnigen Schadenfreude. „Jedes Mal, wenn seine Leber nachgewachsen ist, habe ich sie ihm rausgeschnitten und einem Schwarm Vögel zum Fraß vorgeworfen.“ Tag um Tag … Jahr um Jahr.

Natürlich hatte Zeus die Lorbeeren dafür eingeheimst. Aber diesmal nicht.

Ich bin die Rote Königin. Endlich wird die gesamte Welt von mir erfahren – und in Furcht erzittern.

„Bald“, raunte sie.

Möglicherweise schnaubte Wilson.

„Wirst schon sehen.“ Keeley kauerte sich in der hinteren Ecke ihrer Zelle zusammen und stach sich die Felsscherbe in den Unterarm, die sie zu einer behelfsmäßigen Klinge geschärft hatte. Aus der pochenden Wunde strömte Blut, und wie Spinnweben driftete Schwärze durch ihr Blickfeld. Trotzdem machte sie weiter, drückte fester, schnitt tiefer.

Hab schon viel Schlimmeres erlebt als das.

Wie zum Beispiel Mari zu verlieren … den einzigen Sonnenstrahl in einem Leben wie ein pechschwarzer Abgrund.

„Mari hat mich immer getröstet, niemals getadelt. Nicht ein einziges grausames Wort hat sie zu mir gesagt.“ Keeley zeigte mit der blutigen Klinge auf Wilson und fügte hinzu: „Aber du … Oh, du. Denk gar nicht erst dran, zu leugnen, dass du nie was anderes getan hast, als über mich herzuziehen.“

Selbstgefällig grinste der Bastard sie an.

„Ständig hast du mich verhöhnt, aber sie hat mich unermüdlich durchgefüttert. Ich kann gar nicht zählen, wie viele Nager sie mir rübergeworfen hat.“ Wie viele Leute waren bereit, so selbstlos zu teilen? Die einzige Nahrung zu verschenken, die sie aller Wahrscheinlichkeit nach finden würden, im Wissen, dass sie letzten Endes verhungern würden? Niemand!

War es da ein Wunder, dass sich zwischen ihnen ein buchstäbliches Band geschlossen hatte, das sie zusammenhielt?

Allerdings waren solche Bindungen das Lebenselixier für die Kuratoren, Keeleys Volk. Oder, wie andere Rassen sie gern nannten, die Parasiten. Ein solches Band war für das bloße Auge unsichtbar, und wie ein mystisches Tentakel schlang es sich um sein Ziel. Von dort leitete es Energie ab, ob mit oder ohne Zustimmung – und was immer das andere Ende noch zu bieten hatte.

Je mehr Bindungen Keeley schaffen konnte, desto mehr Macht besaß sie und desto besser konnte sie diese Macht kontrollieren. Doch sie musste vorsichtig sein. Bindungen funktionierten in beide Richtungen. Sie nahm, doch dabei gab sie auch.

Es machte niemals Spaß, ihre eigene Kraft gegen sich eingesetzt zu sehen.

„Aber Mari hat die Bindung nicht geholfen, nicht wahr?“ Und jetzt konnte sie es nicht mehr.

Keeleys Zorn kehrte zurück und verdoppelte sich. Mit einem Wutschrei ließ sie die Klinge fallen. Schon lange schliff die Gefangenschaft ihre Menschlichkeit fort, und das war wohl nie deutlicher gewesen als jetzt, während sie aufsprang und Stein um Stein aus der Felswand riss, bis von ihren Fingernägeln nichts mehr übrig war. Heiße Tränen strömten ihr über die Wangen.

Eine Königin weint nicht.

Eine. Königin. Weint. Nicht.

Ganz genau. Tränen waren eine Schwäche, die sie sich nicht leisten konnte. Mit zitternden Armen wischte sie sich die Augen. Ihre jüngste Verletzung protestierte und blutete noch stärker. Einatmen … Ausatmen.

Im Augenblick blieb Keeley nur noch ein einziges Band. Zu dem Land um sie herum. Das würde reichen müssen für alles, was sie vorhatte.

Neben Wilson ließ sie sich zu Boden sinken und murmelte: „Ich werde erstarken. Ich werde es schaffen.“

Tatsächlich? schien er zu fragen.

Sie hob das Kinn. „Niemand bestiehlt mich und überlebt lange genug, um damit zu prahlen.“

Sie besaß so wenig, was es zu schätzen lohnte. Ein Königreich – letzten Endes hatte jeder ihrer Untertanen sich von ihr abgewendet. Einen umwerfenden Verlobten – bis er sie belogen und verraten hatte. Und dann Mari, die ihr niemals wehgetan hatte …

Und nun fort war. Für immer.

Ihr entwich ein Schluchzen.

Eine Königin weint nicht. Eine Königin erduldet.

„Ich bin doch bloß ein Mädchen.“ Schneidend fuhren ihr die Worte durch die Kehle, als hätte sie Säure geschluckt. „Ein Mädchen, dem seine Freundin fehlt.“

Torin ließ ein gequältes Stöhnen hören. „Tut mir leid. Es tut mir so leid.“

Schon verheilt? Zu schnell! „Deine Entschuldigungen werden niemals reichen.“ Mit einer wütenden Armbewegung sandte sie weiteres Geröll in seine Zelle. Auch Wilson rollte durch die Gitterstäbe.

„Wilson!“ Mit einem Aufschrei hechtete sie ihm hinterher. Er schaffte es bis auf den Gang – wo er blieb und sie aufs Neue anstarrte, auf ewig außer Reichweite.

„Meinetwegen“, warf sie ihm mit zitterndem Kinn ins Gesicht. „Wenn du meinst. Ohne mich bist du gar nichts. Ich konnte dich sowieso nie leiden.“

„Keeley?“, fragte Torin.

Von einem Stein zurückgewiesen. „Halt du dich da raus, Krieger. Das ist eine Sache zwischen Wilson und mir.“ Zu aufgewühlt, um sich zu setzen, tigerte sie in ihrer Zelle auf und ab. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Zumindest theoretisch. Ich bin allein. Schon wieder.

„Schon seit Jahrhunderten hocke ich hier. Die ganze Zeit ist Wilson bei mir geblieben. Selbst als ich an die Wand gekettet war.“ Ohne Waffe hatte sie sich mit den eigenen Zähnen die Handgelenke durchnagen müssen, um ihre Arme zu befreien. Dann, als ihre Hände nachgewachsen waren, hatte sie Steine und Knochen zu Messern schärfen und sich die Füße abhacken müssen, um ihre Beine loszubekommen. „Und jetzt lässt er mich im Stich? Er ist genauso ein Bastard wie Cronus.“

Tja, dafür würde er das große Finale verpassen. Sie würde endlich die mühsame Arbeit zu Ende bringen, sich die Pyritnarben eine nach der anderen aus der Haut zu schneiden … und alles würde in die Luft gehen.

Die Narben hatten einen Namen … einen Namen … Bannzeichen! Ja. So nannte ihr Volk sie.

Die Bannzeichen! Auch wenn sie mehrere Anläufe brauchte, weil ihre Finger beinahe zu geschwollen waren, um den Griff der Steinklinge zu umfassen, schaffte sie es, die Waffe aufzuheben.

„Dämliche Bannzeichen, dämlicher Pyrit“, murrte sie. Auf eigenartige Weise war das Zeug das Kryptonit ihrer gesamten Rasse. Kurz gesagt: Keeleys schlimmster Albtraum.

Selbst im Fleisch oder im Geist eines Unsterblichen hinterließ das schwefelhaltige Höllengestein Narben, und bei ihr brachten diese Narben Schwäche mit sich. Besaß sie genug davon, machten sie Keeleys gesamte Macht zunichte. So immens ihr Ausmaß auch war.

So schwer zu Fall gebracht mit so lächerlichen Mitteln.

Sie würde Torin und Cronus nicht angemessen bestrafen können, bis sie jedes einzelne ihrer Bannzeichen entfernt hatte. Und sie mussten bestraft werden.

Angesichts der Tatsache, dass ihre Haut sich manchmal wieder zusammenfügte – einschließlich der unveränderten Narben –, war es eine akribische, frustrierende Aufgabe. Es hing immer vom Zustand ihres Körpers ab. Gut gesättigt konnte sie brandneue Zellen erschaffen. Ausgehungert regenerierte sie bloß die alten.

Und genau dafür habe ich jedes einzelne Insekt aufgehoben, das in den letzten Wochen durch meine Zelle gekrabbelt ist. Toter Käfer kommt. Das war ein dickes Frühstück heute Morgen.

Einst hatten die Bannzeichen sie von Kopf bis Fuß bedeckt. Um sie von ihrem Rücken zu bekommen, hatte sie die Wände wie ein Schmirgelpapier aus der Hölle benutzen und reiben, reiben, reiben müssen. Mit ihrem Gesicht, dem Oberkörper und den Beinen war es einfacher gewesen, wenn auch keinen Deut weniger schmerzvoll. Alles, was jetzt noch übrig war, waren ein paar winzige Narben auf ihrem Arm … und eine, die sich wieder und wieder regeneriert hatte.

Diesmal nicht.

„Es tut mir wirklich zutiefst leid“, beharrte Torin.

Hätte sie ihn nicht so sehr gehasst, wäre der kehlige, maskuline Klang seiner Stimme aufregend gewesen. War seine Reue überhaupt echt?

„Wenigstens hast du noch Wilson“, fügte er hinzu. „Wer auch immer das ist.“

„Mein Hausstein. Wir haben uns kürzlich voneinander getrennt.“

„Oh. Das, äh … tut mir auch leid.“

„Muss es nicht. Es war eine einvernehmliche Entscheidung.“

Eine Pause. Dann: „Tut mir trotzdem leid.“

„Ach … spar dir die Luft, du wirst ohnehin bald deinen letzten Atemzug tun.“ Sie schloss den Griff fester um ihre Klinge. Geschehen war geschehen und konnte niemals ungeschehen gemacht werden. Niemals, niemals, niemals. „Ich habe schon einmal den Fehler begangen, jemanden zu begnadigen, der sich gegen mich vergangen hatte.“ Den Mann, den sie geliebt hatte und den sie hatte heiraten wollen. „Mit den Konsequenzen muss ich bis heute leben.“

Obwohl … vermutlich sollte sie Hades dankbar sein. Bevor sie ihm begegnet war, hatte sie ihre Fähigkeiten kaum kontrollieren können. Mit einem einzigen Machtausbruch hatte sie mehr als die Hälfte ihres Volkes niedergemetzelt – in weniger als einer Sekunde.

Der Rest ihres Volkes war auf Rache aus gewesen.

Hades war zu ihrer Rettung geeilt und hatte sie in die Unterwelt gebracht, seine Heimat. Er hatte sie alles gelehrt, was sie wissen musste, um nicht nur zu überleben, sondern aufzublühen. Selbst als sie seinen Palast dem Erdboden gleichgemacht hatte und er einen neuen hatte errichten müssen, hatte er sie gelobt. Das ist mein Furcht einflößendes Mädchen.

Keeley rammte die Klinge so tief, dass sie auf Knochen stieß.

„Ich weiß, dass du dich nach Vergeltung sehnst“, sagte Torin, und seine Stimme war wie ein Rettungsboot der Ruhe auf dem Ozean ihrer schäumenden Wut, „aber selbst wenn wir hier rauskommen, wirst du sie nicht einfordern können. Du darfst mich nicht berühren, sonst wirst du krank.“

Auch darüber klang Reue aus seinem Ton.

Eine Lüge, ganz bestimmt.

„Dich umzubringen ist nicht die einzige Möglichkeit, Vergeltung zu üben, Krieger.“

Eine Pause, in der es vor Anspannung förmlich knisterte. „Was willst du damit sagen?“

„Ich hab dir doch gesagt, dass ich von euch gehört habe, richtig?“ Galen, Hüter der Eifersucht und der Falschen Hoffnung, war einer der erbittertsten Feinde der Herren der Unterwelt … und ebenfalls hier gefangen. Schon seit Monaten. Die ersten paar Wochen ihrer Bekanntschaft hatten sie damit verbracht, Informationen auszutauschen, und sicher hätten sie damit auch weitergemacht, wäre er nicht durch Krankheit und Hunger in Funkstille verfallen.

Was bedauerlich war. Wissen war wertvoller als Gold, und sie gierte unaufhörlich nach mehr. Weshalb ich einst ein Netzwerk von Spionen aufgebaut habe, das die Welt von einem Ende bis ans andere umspannte. Sie wusste Dinge, von denen selbst die Titanen und die Griechen nichts ahnten. Wenn sie sich nur daran erinnern würde.

„Du liebst deine Freunde“, stellte sie fest. „Sorgst für sie. Beschützt sie.“

„Wo ist der Zusammenhang?“

Als ehemaliges Mitglied der königlichen Garde der Griechen, gegen die Roms Gladiatoren wie Marshmallows ausgesehen hatten, musste ihm klar sein, worauf sie hinauswollte. „Unterbrich mich, falls dir das bekannt vorkommt, aber … die kann ich umbringen.“

Die Gitterstäbe vor seiner Zelle ratterten.

Volltreffer.

„Du wirst dich nicht in ihre Nähe wagen“, brüllte er. Entweder war er wieder voll bei Kräften, oder sein wachsender Zorn saß jetzt am Steuer. „Sie haben dir nichts getan.“

„So wie Mari dir nichts getan hatte?“

„Du warst nicht dabei. Du weißt nicht, wie das abgelaufen ist. Du gibst mir die Schuld an einem Unfall.“

„Wir wissen beide, dass du dir die Schuld daran gibst. Warum sollte ich es nicht tun?“

Es verging ein Moment, und als er das nächste Mal das Wort ergriff, war er wieder ruhig und gefasst. Sein Tonfall klang beinahe träge. „Jetzt komm mir nicht mit Psychoanalyse, Prinzessin. Ich gebe mir die Schuld, ja. Du kannst mir ebenfalls die Schuld geben. Aber lass es an mir aus, nicht an irgendjemand anderem.“

Auch wenn er sie nicht sehen konnte, hob sie das Kinn. „Ich bin eine Königin. Nenn mich noch einmal Prinzessin, und ich kastriere dich, bevor ich dich umbringe.“ Über viele Jahre war Kastration ihre Lieblingsmethode zur Bestrafung gewesen. Der Trick lag darin, wie man das Handgelenk drehte.

Er murmelte: „Du solltest froh sein, dass ich dich bloß Prinzessin nenne.“

„Und du solltest wissen, dass ich tue, was immer ich für angemessen halte, mit wem auch immer ich es für angemessen halte.“

„Deine Haltung vermittelt den Eindruck, als wärst du dir noch immer nicht im Klaren darüber, was für einen Riesenfehler du da gerade begehst.“ Mittlerweile war er von Gelassenheit zu Charme übergegangen, doch selbst das konnte den stählernen Unterton in seinen Worten nicht verschleiern. „Mag ja sein – oder auch nicht –, dass du die Rote Königin bist, vor der Unsterbliche in Angst erzittern, aber ich bin ein Krieger, mit dem man sich nicht anlegt. Auf dem Schlachtfeld genieße ich das Gefühl, wie eine Klinge durch meinen Gegner schneidet. Ich mag den Geruch von Blut. Er belebt mich. Ich halte sogar Schmerzensschreie für einen wunderbaren Soundtrack zum Training.“

In ihrer gemeinsamen Welt spielte Kraft eine große Rolle. Und so, wie er sich gerade beschrieben hatte …

Sexy.

Nein, nicht sexy!

„Gähn“, war alles, was sie sich zu erwidern erlaubte.

„Gähn?“ Die Gitterstäbe ratterten deutlich vehementer. „Hast du gerade ‚Gähn‘ gesagt?“

„Nur dass du’s weißt, Krieger wie dich hab ich schon zum Frühstück vernascht.“

Er zögerte keine Sekunde. „Und, hast du gespuckt oder geschluckt? Egal. Musst nicht antworten. Deine sexuellen Abartigkeiten sind in dieser Situation wirklich irrelevant. Ich wüsste es zu schätzen, wenn du dich konzentrieren würdest.“

Hitze flammte in ihren Wangen auf. „Ich hab doch nicht davon gesprochen!“

„Hey, ich verurteile niemanden. Ich bin bloß hier, um …“ Er hielt inne, und plötzlich hing ein spürbares Erstaunen in der Luft, die niemals ganz den Gestank von ungewaschenen Leibern und Abfall loswurde.

Was war da los? „Du bist hier, um … was? Mari zu helfen? Tja, zu spät. Hast du nicht. Sie ist fort, und …“ Keeleys Kinn bebte so heftig, dass sie Schwierigkeiten hatte, ihre nächsten Worte herauszubringen. „Und irgendjemand muss dafür bezahlen. Mehrere Jemande.“

„Vertrau mir. Ich …“ Klick … „bezahle bereits.“ Gemeinsam mit den letzten Worten erklang das Quietschen rostiger Angeln. Dann … schwere Schritte?

Verwirrt runzelte sie die Stirn. War er gerade …

Entkommen!

Keeley sprang auf, und die Klinge fiel ihr aus der Hand. Vor ihrer Zelle stand Torin, einen Rucksack auf der Schulter. Ach du … gute Güte. Er war alles, was ein Mädchen sich nur wünschen konnte – und mehr. Hochgewachsen wie ein Söldner und gestählt wie ein kaltblütiger Killer. Meine Lieblingssorte. Meine Schwäche.

Seit Jahrhunderten hatte sie keine andere Person gesehen … niemanden berührt. Warum musste Torin so atemberaubend sein? Sein Haar war schneeweiß, seine Augenbrauen und Wimpern dagegen nachtschwarz, und der Kontrast war ein sinnliches Vergnügen. Aber, oh, seine Augen … sie waren sein erstaunlichstes Merkmal. Kostbarste Smaragde, durchwoben von unzähligen Grünschattierungen, ohne den geringsten Makel.

Kribbelnd erwachten längst tot geglaubte Nervenenden in ihr zum Leben. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. Das Blut in ihren Adern begann zu kochen.

Geh zu ihm … Fass ihn an …

Definitiv nicht … Na ja, vielleicht. Der Kragen seines Oberteils war zerrissen, und der Stoff teilte sich über einer massigen, muskelbepackten Brust. Von seiner behelfsmäßigen Operation am eigenen Leib war keine Spur mehr zu entdecken. Koste ihn …

„Wie bist du aus einem ausbruchsicheren Gefängnis ausgebrochen?“, verlangte sie zu wissen. Ich bin auf Entzug, das ist alles. Selbst ein Erdferkel hätte diese Wirkung auf sie gehabt.

„Ein Geheimnis, das ich vergessen hatte“, entgegnete er.

„Das ist keine Antwort.“

„Sollte es auch nicht sein.“ Ungeniert ließ er seinen Blick über sie wandern, erschütternd in seiner Intensität – Aggression in ihrer reinsten Form. Seine Pupillen erweiterten sich, rasch überschattete tiefes Schwarz das Grün. Eine betörende Sonnenfinsternis. Hervorgerufen durch … Lust? Fand dieser böse Bube sie etwa trotz ihrer Eigentümlichkeiten attraktiv?

Das Blut in ihren Adern brodelte vor Begierde.

Was ist mit seinem Vergehen?

Das Brodeln ebbte zu einem Köcheln ab. „Ich rate dir, lauf, solange du noch kannst, Krieger.“

„Sonst was, Prinzessin?“

„Sonst füge ich dir noch schlimmere Schmerzen zu.“

Er schnellte mit der Zunge über einen seiner Schneidezähne. Bemüht um die Beherrschung, die er eben noch so gelassen zur Schau gestellt hatte? „Ich warne dich ein einziges Mal. Nur dieses eine Mal. Bedroh nie wieder meine Freunde. Tu es, und ich vernichte dich. Ich werde es nicht wollen, und danach werde ich mich dafür hassen, aber ich werde es tun. Hast du verstanden?“

Oh ja. Sie hatte verstanden. „Du bist ja noch viel mehr Beschützer, als ich dachte.“

Für einen Augenblick erfüllte sie eine schneidende Eifersucht auf seine Freunde. Sie wurden von diesem Mann geliebt, von ganzem Herzen, vorbehaltlos. Ohne Mari – Rasierklingen in meiner Brust, schabend und schneidend – gab es niemanden auf der Welt, der für Keeley einstehen würde. Nicht, dass sie jemanden brauchte, der sie verteidigte. Ich bin ein Pulverfass sondergleichen – und werde es auf ewig sein. Doch es wäre eine schöne Geste gewesen.

Er rüttelte an den Gitterstäben. „Ob du mich verstanden hast, habe ich gefragt.“

So wild …

Sie holte tief Luft. Nach Äonen im Mief hätte sein Geruch nach Leder und Moschus eine willkommene Abwechslung sein sollen, doch die Gänsehaut, die ihr auf den Armen ausbrach, ärgerte sie. Wäre er irgendein anderer Mann gewesen, dann hätte sie diese Reaktion animalische Anziehung genannt. Doch das war er nicht. Und wäre ihre Willenskraft schwächer gewesen, hätte sie ihrer Begierde nachgegeben und wäre näher gerückt. Sie hätte sich daran erinnert, wie es sich anfühlte, eine Frau zu sein, keine Gefangene.

Aber sie war die Rote Königin, und ihre Willenskraft war nicht schwächer.

Sie stemmte die Füße in den Boden und blieb, wo sie war. Also gut, der Mann brachte sie aus dem Konzept. Es gab keinen Grund, die Situation noch zu verschlimmern, indem sie mit der Versuchung spielte.

Was für eine köstliche Versuchung.

Nichts würde sie davon abhalten, Mari zu rächen.

„Keeley“, brachte er sich in Erinnerung. „Hör mir gefälligst zu.“

Befehle? „Sag mir noch einmal, was ich zu tun habe, und ich reiße dir das Rückgrat durch den Mund raus.“

Er blinzelte nicht einmal. „Das ist schwieriger, als dir vermutlich klar ist.“

„Oh, das weiß ich. Dazu braucht man Erfahrung – die ich habe. Massenhaft.“

Schon wieder: kein Blinzeln. „Hochmut steht niemandem gut zu Gesicht.“

„Ich trage keinen Hochmut. Ich trage Wahrheit.“ Ruhig. „Also, Folgendes habe ich verstanden, Krieger: Ich habe einmal geschworen, jeden zu verletzen, der mich verletzt, und ich lüge nie. Vor allem nicht mir selbst gegenüber.“ Sie hob das Kinn und wusste, sie gab das Musterbild eines sturen Weibsbilds ab. „Du, Torin, hast mich verletzt.“

Niedergeschmettert seufzte er auf, und trotzdem glomm Erregung in seinen Augen. Die Kombination verwirrte sie. „Also ziehen wir in den Krieg?“, fragte er.

Sie schenkte ihm ein kaltes Lächeln. „Wir sind bereits im Krieg, Krieger.“

„In dem Fall wäre es klug von mir, dich jetzt zu töten.“

„Bitte. Versuch’s.“ Dazu würde er ihre Tür öffnen müssen, wie er es mit seiner getan hatte … Etwas, das sie Tausende Male versucht hatte. Wie hat er geschafft, wozu ich nicht in der Lage war?

Finster sah er sie an. „Glaubst du ernsthaft, eine Frau wie du kann mich besiegen?“

Eine Frau wie sie? Was sollte das heißen?

Zorn perlte in ihr auf. „Ich hab schon Größere und Bessere als dich zu Fall gebracht.“

„Größer mag sein, aber besser? Das wage ich zu bezweifeln angesichts der Tatsache, dass es niemand Besseren gibt.“

Ihm stand Hochmut äußerst gut. „Hast du mal von Typhon gehört, angeblich der Vater aller Ungeheuer? Halb Drache, halb Schlange. Hundert Prozent große Schnauze. Zeus brüstet sich gern damit, er hätte ihn besiegt, aber ich war diejenige, die ihn in tausend Stücke gerissen und unter einen Berg gestopft hat. Und weißt du, warum? Weil er schief geguckt hat, als ich an ihm vorbeigegangen bin.“

„Gähn“, erwiderte Torin.

Ihr Rückgrat versteifte sich. „Du unterschätzt deine Gegnerin. Ein tödlicher Irrtum, den schon viele vor dir begangen haben. Du könntest sie nach ihren Erfahrungen damit befragen … aber sie sind tot.“

Sein Blick wanderte hin und her zwischen dem Türschloss und der Wunde an ihrem Arm. Schließlich erklärte er: „Du bist in Trauer über den Verlust deiner Freundin. Diesmal lasse ich dir deinen Fehltritt durchgehen. Diesmal. Noch mal werde ich nicht so gnädig sein.“

Och … Dachte der große, böse Krieger, er täte ihr einen Gefallen? „Du hast die Wahl. Bleib in diesem Reich oder verschwinde. Eines Tages in nicht allzu ferner Zukunft werde ich dieses gesamte Gefängnis zum Einsturz bringen. Sobald es so weit ist, komme ich dich holen. Falls du dann noch hier bist, werden wir die Sache in diesem Reich zu Ende bringen. Falls nicht, mache ich mich auf die Jagd nach deinen Freunden und fange mit ihnen an.“

Er schlug gegen einen der Gitterstäbe.

So viel zum Thema Beherrschung.

Ihr lief ein Schauer über den Rücken.

„Du kannst mich nicht besiegen, Keys. Warum willst du dir diesen Kampf antun?“

Ohne auf seine Vertraulichkeit einzugehen, entgegnete sie: „Ich schlage vor, du nutzt deine verbleibende Lebenszeit, um mir ein paar Fallen zu stellen.“ Egal, was er unternahm, er würde verlieren. Aber wenn er sich etwas anstrengte, würde er sich bei der bevorstehenden Niederlage vielleicht etwas besser fühlen. Oder auch nicht. Wahrscheinlich nicht.

Er verengte die Augen. „Also gut. Bis zum nächsten Mal … Eure Majestät.“ Mit einem letzten finsteren Blick, der sie – schockierenderweise – atemlos zurückließ, verschwand er aus dem Kerker.

Fieberhaft machte Keeley sich an die Arbeit, schnitt und säbelte an ihrer letzten Pyritnarbe herum. Das ist für dich, Mari.

Eigentlich wäre sie längst fertig, doch in Gedanken war sie immer wieder zu Torin abgeschweift …

Ich hasse ihn!

Und doch konnte sie nicht aufhören, sich zu fragen, ob sein weißblondes Haar so weich war, wie es aussah. Oder ob seine verruchten Lippen sich hart oder sanft anfühlen würden auf ihren. Oder ob seine gebräunte Haut so herrlich brennen, die gestählten Muskeln darunter sich unter jeder ihrer Berührungen anspannen würden.

Ein Schauer durchlief sie, schüttelte sie von Kopf bis Fuß. Böse Keeley. Böse! Doch nach allem, was sie durchgemacht hatte, verdiente sie etwas Wonne. Und wenn man mal ehrlich wahr, schuldete Torin ihr ein bisschen …

Auf keinen Fall. Damit würde sie gar nicht erst anfangen.

Torin war auf ewig tabu, egal, wie verzweifelt sie sein mochte. Hübsch war er, das war nicht abzustreiten, aber sie musste das in die richtige Perspektive bringen. Man musste sich nur mal Hades ansehen. Ein paar Zentimeter größer als Torin, mit einer Macht, wie Keeley sie bei niemandem sonst gesehen hatte. Sein schwarzes Haar war immer sexy zerzaust, und in seinen mitternachtsblauen Augen lag jederzeit das Versprechen auf wilde fleischliche Genüsse, die abzuliefern er hervorragend ausgestattet war. Und trotzdem standen die Chancen, dass Hades seiner Bettgespielin die Kleider vom Leib riss, genauso gut wie die, dass er sie häutete.

Keeley, die Königin, der niemals Zuneigung zuteilgeworden war, war seiner Anziehungskraft hilflos erlegen. Sie hatte sich in ihn verliebt. Hals über Kopf. Eine knisternde Romanze war zwischen ihnen entbrannt, die sich über Jahrhunderte hingezogen hatte.

„Du bist so mächtig, Kleines“, hatte er eines Tages verkündet. „Aber diese Macht ist instabil. Du könntest mich versehentlich verletzen … außer, wir setzen dir ein paar Bannzeichen, um deine gefährlichsten Kräfte zu dämpfen. Erst dann wäre ich sicher vor dir. Und ich will sicher sein. Ich will meine Ewigkeit mit dir verbringen. Willst du das nicht auch?“

Sie hatte ihn geliebt, und außerdem hatte sie es genauso gesehen. Ihre Kräfte waren instabil gewesen. Jedes Mal, wenn ihre Emotionen die Oberhand gewonnen hatten, waren schlimme Dinge geschehen – welche Jahreszeit auch herrschte, das Wetter reagierte entsprechend. Tsunamis. Wirbelstürme. Polarwinde. Tornados. Flächenbrände. Hätte sie jemals den Mann verletzt, dessen Frau sie werden sollte, hätte sie sterben wollen.

Als sie darauf hingewiesen hatte, dass er sich vor ihrer Macht hätte schützen können, indem er sich mit Bannzeichen versah und damit allein ihre Macht über ihn auslöschte, hatte er entgegnet, dass sein Volk niemals in Sicherheit wäre. Und sie konnte ja wohl kaum erwarten, dass jeder seiner Untertanen solche Mühen auf sich nahm, nicht wahr?

So vernünftig.

So ein Manipulator.

Hades, der gefährlichste Krieger der Welt, der Mann, dem Hunderte von dämonischen Armeen zu Befehl waren, der buchstäbliche Ex aus der Hölle, hatte Angst gehabt, ihre Macht sei größer geworden als die seine, nicht mehr und nicht weniger. Er hatte es schlicht nicht ertragen können.

Doch die Narben waren nicht einmal das Schlimmste seiner Verbrechen. Nachdem er sie geschwächt hatte, hatte er sie an Cronus verkauft – für ein Fass Whiskey.

Zwei Dinge werde ich niemals vergessen: die Vergehen gegen mich – und meine Macht. Und Hades wird so was von bezahlen. Sie hatte vor, ihm den Kopf abzuhacken und das Hirn rauszukratzen. Dann würde sie auf der untersten Ebene der Himmelreiche einen Stand aufbauen und jedem, dem er je ein Unrecht getan hatte, erlauben, seinen Schädel als Toilette zu benutzen.

Mit einem Wort: zauberhaft.

Keeley zischte, als die Klinge auf der anderen Seite ihres Arms wieder hervortrat. Mit zittrigen Fingern legte sie die Waffe weg und hob das frisch abgesäbelte Stück gebrandmarkter Haut in die Höhe. Während das Blut nur so zu Boden troff, musterte sie ihren Arm im Licht. Würde diese letzte Narbe zurückkehren?

Sie wartete, eine Minute ging in die nächste über. Obwohl ihre Haut sich nicht wieder zusammenfügte, kehrte auch ihre Narbe nicht zurück.

Sie … hatte es geschafft? Endlich Erfolg gehabt?

Es konnte nicht sein …

Sie drückte eine Hand gegen die Brust, wo ihr Herz hektisch hämmerte. Ich bin wieder ich? Jahrhunderte der Arbeit, endlich vollendet? Wankend kam sie auf die Füße, erwartete eine Woge der Macht, die sie jede … Sekunde … erfüllen würde … Doch da war nichts.

Es fehlt mir so sehr.

Ebenso erwartete sie ein überwältigendes Triumphgefühl, doch … auch das blieb aus. Entschlossenheit erfüllte sie, bis kein Raum für irgendetwas anderes blieb. Sie hatte noch so viel zu erledigen. Torin umbringen. Cronus umbringen. Hades umbringen.

Um Mari trauern.

Sie stopfte sich den gerade entfernten Hautlappen in die Tasche der letzten Überreste ihres Gewands. Meine Trophäe. Sie würde aufpassen müssen, ihn nicht zu berühren, denn bei Hautkontakt würde der Pyrit sie schwächen. Genauso wenig konnte sie ihn allerdings wegwerfen, wo jeder ihn finden und womöglich gegen sie verwenden könnte.

Sie schritt zu den Gitterstäben vor ihrer Zelle, und mit jedem Schritt wurde sie selbstbewusster, sah klarer. Versuchsweise sandte sie einen winzigen Machthauch aus – augenblicklich verbog sich das Metall zu einer weiten Öffnung.

Ich bin wahrhaftig wieder ich. Schwindelerregende Vorfreude trat an die Stelle ihrer Entschlossenheit, und ungebremsten Schrittes hob sie im Vorbeigehen Wilson auf.

„Wärst du bei mir geblieben“, beschied sie ihm, „hätte ich dich beschützt. Aber so? Vergiss es.“ Mit einer Handbewegung zerquetschte sie ihn zu Staub und wandte sich Maris Zelle zu. Mit einem weiteren Energiestoß teilte sie auch dort die Gitterstäbe.

Der Raum war genauso groß wie der ihrige, nur die Wände waren glatter und trugen keine Blutspuren. In der Mitte erhob sich ein Erdhügel von der Größe eines Sarges.

Zorn fuhr durch sie hindurch – und im selben Moment barsten Blitze aus den Poren ihrer Haut und breiteten sich knisternd um sie aus. Ja! Das! In der nächsten Sekunde riss sie ein Windstoß von den Beinen, ihre Haut prickelte köstlich, und ihr Blut perlte, während sie sich schwebend in die Luft erhob.

Das Verlies erzitterte in seinen Grundfesten, Staub und Schutt regneten von der Decke. Nur zu bald wurde das Chaos zu viel für die alten Mauern. Sie brachen in sich zusammen, eine nach der anderen, die Gitterstäbe verbogen sich, dann knickten sie ein, Risse zogen sich durch die Decke, bis sie schließlich einstürzte.

Kein Stein, kein Stäubchen wagte es, sie zu streifen.

Ruhe bewahren … langsam … Wir wollen ja nicht gleich das gesamte Reich in Schutt und Asche legen.

Jedenfalls noch nicht.

Tief einatmen … und aus … Langsam verstummte das Beben, bis nichts mehr zu spüren war, dann legte sich nach und nach der Staub. Keeley schwebte abwärts, immer weiter, und der Kerker um sie herum war nichts als ein Haufen Geröll. Sie landete auf einem Felsen, und der Wind fegte ihr durchs Haar.

Mit geschlossenen Augen aalte sie sich in ihrem ersten Moment der Freiheit seit Äonen. Hinter hoch aufgetürmten Wolken lugte die Sonne hervor und liebkoste ihr Gesicht trotz der winterlichen Kälte. Herrlich.

Scharf hallte das Knacken eines Zweiges über die Lichtung, und angespannt musterte sie den umgebenden Wald. Geschwärzte Bäume, verbrannter Boden. Rauchschwaden und Aschewolken.

Willkommen im Reich der Strömenden Tränen, wohin das Glück zum Sterben geht.

Wenn es hier unabhängig von Keeleys Emotionen regnete, dann regnete es so, dass das gesamte Reich unter Wasser stand. Sie hatte den Überblick verloren, wie oft sie in ihrer Zelle beinahe ertrunken wäre.

Einst war es Cronus’ Heimstatt gewesen, heute hausten hier die Unaussprechlichen, eine Rasse so blutrünstiger und niederträchtiger Kreaturen, dass kaum jemand ihren Namen in den Mund zu nehmen wagte.

Und doch wagen die Unaussprechlichen es nicht, meinen Namen in den Mund zu nehmen.

Sie grinste, und sie wusste, jeder, der sie in diesem Moment sähe, würde sie für das pure Böse halten. Und hätte recht.

Armer Torin.

Sie hatte alles getan, um sicherzustellen, dass er hierblieb. Und wenn es nur war, um sie zu vernichten, damit er seine Freunde vor ihrem Irrsinn bewahren konnte. Was bedeutete, dass er irgendwo da draußen war und wartete.

Vorfreude …

Ich darf nicht aufgeregt werden. Hier ging es ums Geschäft. Ein blutiges, blutiges Geschäft.

Ihr kam eine Idee. Schon bald würde Hades seine Lakaien nach ihr aussenden. Alle paar Wochen liefen sie hier auf, um nach ihr zu sehen und sicherzugehen, dass sie weiterhin in Gefangenschaft war. Es würde sicher Spaß machen, zuzusehen, wie sie auf Torin herumkauten. Er würde sich vor Schmerzen winden, und sie würden krank werden. Dann würde sie jedem von ihnen den Kopf abreißen.

Das ideale Ende, das schon so viele ihrer Feinde ereilt hatte. So wird’s gemacht.

Okay. Daran gab es kein Vorbei. Ich bin aufgeregt.

3. KAPITEL

Alter. Die Rote Königin, dachte Torin ungläubig. Kein Wunder, dass die Unsterblichen im Himmelreich sich nur flüsternd über sie unterhielten. Wahnsinnig? Grausam? Teufel, ja. Wahrscheinlich hatten sie angenommen, ihren Namen auszusprechen hätte eine Art Beetlejuice-Effekt und würde sie herbeirufen.

Mittlerweile verstand er wenigstens den Titel. Mit einer solchen Macht konnte sie ganze Armeen mit einem Fingerschnippen umbringen und weit mehr. Und das ist die Frau, die meine Freunde bedroht hat. Meine einzige Familie.

Ernsthaft.

Alter Schwede.

Der Dämon erschauderte.

Torin saß verborgen hinter verkrüppelten dornenbesetzten Ästen, deren schütteres Laub mit wahrhaftigen Zähnen nach ihm schnappte, und beobachtete Keeley aus der Entfernung. Wie ein Spanner hockte er da, völlig verblüfft von ihr. Ohne jede Regung hatte sie dagestanden, während um sie herum der Kerker in Stücke ging, und sie hatte nicht eine Verletzung davongetragen. Na ja, ganz stimmte das nicht. Ihr Arm hing in Fetzen. Aber trotzdem. Sie hatte das Gefängnis dem Erdboden gleichgemacht, genau wie angekündigt, und augenscheinlich hatte sie dafür nicht einen Finger gerührt.

Wozu war sie sonst noch imstande?

Etwas regte sich in seinem Inneren. Dieselbe Wildheit, die er einst auf dem Schlachtfeld verspürt hatte. Genau das Gefühl, für das er damals gelebt hatte – und von dem er geglaubt hatte, er würde es niemals wieder empfinden.

Er lächelte.

Idiot! Dies war einer der wenigen Kämpfe, die er womöglich nicht gewinnen konnte.

Konnte das überhaupt jemand? Hätte er auf seinem Weg nach draußen nicht die anderen Gefangenen befreit, wäre jeder einzelne von ihnen heute gestorben. Wäre das für sie von Bedeutung gewesen?

Definitiv nicht.

Wo er gerade bei den Gefangenen war … einer der Männer war ihm bekannt vorgekommen. Ausgemergelt, aber bekannt, und er hatte eine gewisse Wut in ihm ausgelöst. Torin hatte ihn nicht einordnen können – genauso wenig, wie er ihn im Anschluss hatte aufspüren können.

Nicht, dass das noch eine Rolle spielte. Im Augenblick hatte er eine dringendere Bedrohung auf dem Teller. In mehr als einer Hinsicht.

Er hatte den Überblick verloren, wie oft er kurz davor gewesen war, zurückzugehen und Keeley da rauszuholen. Nicht um ihr wehzutun oder sie anzuschreien, wie es sein Wunsch hätte sein müssen, sondern einfach um sie wiederzusehen, um sie zu necken. Um sie um Vergebung anzuflehen. Um sich zu beweisen, dass sie nicht so herzzerreißend wunderschön war, wie er sich zu erinnern glaubte. Um diesem dämlichen Ziehen ein Ende zu bereiten, einem unsichtbaren Band, das ihn ständig zu ihr lockte. Um einfach nur … bei ihr zu sein.

Wie dämlich war das denn?

Ich muss sie umbringen.

Ein scharfer Stich des Bedauerns fuhr ihm in die Brust, als er sich die machtvolle, mutige Schönheit tot und begraben vorstellte.

Verdammt! Über die Richtung, die ihr Schicksal nahm, hätte in ihm keinerlei Zweifel bestehen dürfen. Und es hätte nicht nötig sein sollen, dass er sich in Erinnerung rief, wie sie seine Familie bedroht hatte.

Zeit für ein wenig Verhaltenspsychologie: direkte Bestrafung. Torin schloss die Finger um den dicken Ast an seiner Seite und ließ die Blätter über sein Fleisch herfallen.

Messerscharfe Zähne schlugen sich in seine Haut, und Blut tropfte von seiner Hand. Wie Piranhas verfiel das Laub in einen fieberhaften Fressrausch, bis nichts als Knochen übrig war. Es schmerzte höllisch, als er den Arm wegzog. Bei der Pflanze musste er sich keine Sorgen machen, sie könnte eine Krankheit weiter-geben – innerhalb der nächsten Stunde würde sie verdorren.

Während seine Hand heilte, musterte er Keeley aufmerksamer. Dabei wurden zwei Dinge unangenehm deutlich. Die Bestrafung hatte nicht geholfen, noch immer verspürte er seltsamerweise keinerlei Bedürfnis, sie niederzumetzeln. Im Gegensatz dazu wuchs das Bedürfnis, sie anzugehen und mit ihr seine Kräfte zu messen. Ein Kräftemessen, das war alles.

Ihre Augen waren groß und sinnlich mandelförmig, als wollte sie die Männer um sich herum ständig in ihr Bett locken. Zieh mich aus, sagten sie. Mach mit mir, was immer du willst.

Selbst dreckverschmiert und verfilzt schimmerte ihr Haar im matten Sonnenlicht in einem strahlenden Kobaltblau. Ihre Lippen waren rot und erregend voll, die Art Lippen, die zu besitzen manche Frauen ein Vermögen bezahlen würden … und die überall am Körper zu spüren manche Männer ein Vermögen bezahlen würden. Ihre Haut war makellos, so rein wie Eis, und besaß ebenfalls einen blauen Schimmer.

Außerordentlich. Eine leibhaftige Zuckerfee aus der Hölle.

Einsatz Porno-Soundtrack.

Er stöhnte. Nicht das. Alles, nur nicht das.

Vor Jahrhunderten hatte Torin den Großteil seiner Zeit damit verbracht, jede Frau zu vögeln, die ihm unter die Augen kam – in Gedanken. Und er war gut gewesen. Ein Gott unter den Männern. Nicht zu vergleichen mit dem zu groben Soldaten, der es nicht geschafft hatte, einzulochen. Er hatte seine Gespielinnen genommen, gegen die Wand gedrückt, über Couchtische gebeugt und am Boden genommen, wild wie ein Tier, und sie hatten es geliebt.

Meine Einstiegsdroge. Öffnet mir Türen, durch die ich niemals gehen kann, und quält mich mit Bildern von dem, was ich niemals haben kann.

Keeley hob einen Arm und streckte den Zeigefinger aus. Ein Blitz zerriss den Himmel und fuhr in ihre Fingerspitze. Weder brach sie zusammen, noch geriet sie auch nur ins Wanken. Stattdessen lächelte sie.

Was zum Teufel war sie?

Krankheit hämmerte gegen Torins Schädel, versuchte rücksichtslos, von dem Mädchen wegzukommen.

Ausnahmsweise stimmte Torin dem Dämon zu. Ein Kampf mit Keeley wäre nicht das zügige Packen und Niederstechen, mit dem er gerechnet hatte. Er würde Zeit kosten. Zeit, die Torin nicht hatte. Cameo und Viola würden sich nicht von selbst finden. Und vergessen wir nicht die Notwendigkeit, die Büchse der Pandora aufzuspüren und zu zerstören. Sie war der einzige Gegenstand auf dieser und jeder anderen Welt, der ihn und all seine Freunde mit einem Schlag töten konnte.

Das hatte er zumindest geglaubt.

Obwohl er keinen Mucks von sich gegeben hatte, fuhr Keeleys Kopf in seine Richtung herum. Ihr eisblauer Blick fand den seinen, und sie verengte die Augen. Trotz der Entfernung zwischen ihnen – etwa hundert Meter – fühlte es sich an, als hätte sie ihm einen Schlag in die Magengrube versetzt.

Und es gefiel ihm.

Jetzt bring sie schon um und verschwinde.

„Versteckspiele?“, fragte sie. „Ich bin enttäuscht von dir.“