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In diesem abschließenden Band der Romanreihe um die Schicksale der Familie Greifenklau steigert sich die Handlung zu einem großen Höhepunkt und drängt ihrer endgültigen Entscheidung entgegen. In rascher Folge gleitet das Geschehen vor dem Hintergrund des Deutsch-Französischen Kriegs nach Paris, nach Algier, nach Berlin und schließlich vor die Tore von Sedan. Die Lösung aller Rätsel der Vergangenheit ist nun greifbar nahe. Die vorliegende Erzählung spielt 1870. Bearbeitung aus dem Kolportageroman "Die Liebe des Ulanen". "Die Herren von Greifenklau" ist der letzte Teil eines vierbändigen Romans. Weitere Bände sind: Teil 1: "Der Weg nach Waterloo" (Band 56) Teil 2: "Das Geheimnis des Marabut" (Band 57) Teil 3: "Der Spion von Ortry" (Band 58)
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Seitenzahl: 539
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KARL MAY’s
GESAMMELTE WERKE
BAND 59
DIE HERREN
VON GREIFENKLAU
Vierter Band der Bearbeitung von
Die Liebe des Ulanen
ROMAN
VON
KARL MAY
Herausgegeben von Dr. Euchar Albrecht Schmid
© 1953 Karl-May-Verlag
ISBN 978-3-7802-1559-8
Die seltsamen Entdeckungen der letzten Tage, die sich überstürzenden Ereignisse in und um Ortry, der Schurkenstreich am Schienenstrang, das abenteuerliche Wiedersehen zwischen den Trümmern des verunglückten Zuges und nicht zuletzt die Gedanken und Gefühle um die junge und schöne Erbin des Schlosses, in dem er unter der Maske eines krüppelhaften Hauslehrers zu leben gezwungen war – all das hatte in Doktor Müller den Wunsch nach einem Stündchen Alleinsein stark werden lassen, und so hatte er sich am Nachmittag nach dem Eisenbahnunglück auf eine einsame Bank im Park von Ortry zurückgezogen, um über sich und die Umwelt ins Reine zu kommen.
So saß er, in tiefes Sinnen versunken.
Doch bald wurde er aufgeschreckt, denn er vernahm Schritte, die sich von der Seite her näherten. Er blickte auf und erkannte Deephill, den Amerikaner. Höflich erhob er sich.
„Wir sahen uns heut bereits?“, fragte Deephill, indem er den Hut zog. „Deephill.“
„Ja. Monsieur. – Mein Name ist Müller, Doktor Müller. Ich bin der Erzieher des jungen Barons.“
„Erlauben Sie, für einige Augenblicke bei Ihnen Platz zu nehmen?“
Müller verbeugte sich.
„Es wird mir eine Ehre sein.“ Und mit einer abermaligen Verbeugung, die ein kleines Lächeln verbarg: „Sie haben – als Gast der Herrschaft – zu befehlen!“
„O nein“, lachte Deephill. „Die gewöhnliche Anschauung, dass der Erzieher gesellschaftlich unter dem steht, der ihn angestellt hat, ist uns Amerikanern nicht geläufig.“
„Amerika ist zu beneiden. Es ist ein Land, das mit den schädlichen und lächerlichen Standesvorurteilen aufgeräumt hat.“
„Ein Mann, dem ich die Erziehung, also das Glück und die Zukunft meiner Kinder anvertraue, kann doch unmöglich unter mir stehen.“
„Vermöchten sich doch auch andere zu dieser Anschauung zu erheben!“
„Dieser Seufzer lässt mich vermuten, dass Sie sich hier in Ihrer Stellung nicht ganz glücklich fühlen?“
„Ich bin zufrieden“, antwortete Müller zurückhaltend.
„Was nennen Sie zufrieden? Zufrieden ist gar nichts; Zufriedenheit ist ein Mittelding, weder warm noch kalt. Sie scheinen sehr genügsam zu sein.“
„Mein Lebensweg ist mir vorgeschrieben. Ich tue meine Pflicht und vertraue auf Gott.“
Deephill blickte ihm forschend ins Auge.
„Sie sind Ihrem Namen nach ein Deutscher?“
„Ja.“
„Nur ein Deutscher kann so sprechen wie Sie. Nur ein Deutscher tut seine Pflicht und vertraut auf Gott. Was macht Gott aus Ihnen, wenn Sie sich nicht selber rühren?“
Müller lächelte vor sich hin.
„Haben Sie keine Sorge – wir Deutschen streben auch.“
„Wonach aber? Nach Hirngespinsten, nach Idealen!“
„Das Ideale macht oft glücklicher als das Materielle.“
„Und doch – – ja, nehmen Sie es mir nicht übel – ich hasse diese idealen Deutschen; sie haben mich um mein Ideal gebracht. Wohin werden sie gelangen? Wissen Sie es? Können Sie es mir sagen?“
„Von welchem Gebiet sprechen Sie?“
„Sprechen wir zunächst von der Politik.“
„Davon versteh’ ich nichts.“
„Das dachte ich mir. Diese Herren Erzieher sind überall zu Haus, nur in der Politik nicht, während jeder Angehörige eines anderen Volkes es sich angelegen sein lässt, gerade in dieser Beziehung etwas zu leisten.“
„Hm! Es ist auch oft danach.“
Die Augen Mister Deephills blitzten.
„Herr, wollen Sie mich beleidigen?“
Es war ein eigentümlicher Blick, den der Erzieher ihm zuwarf.
„Beleidigen?“, entgegnete er. „Wie kommen Sie zu dieser Ansicht?“
„Weil Sie mir widersprechen.“
„Ist ein einfacher Widerspruch eine Beleidigung?“
„Es klang so.“
„Monsieur, Sie sind kein Amerikaner.“
„Was sonst?“
„Ein Franzose, und zwar ein Südfranzose, wohl gar ein Korse.“
„Wie kommen Sie zu dieser Vermutung?“
„Durch Ihre Gesichtszüge und Ihr hitziges Wesen. Sie erklären es für eine Beleidigung, dass ich mir erlaube, eine andre Ansicht als die Ihrige zu hegen, und hatten mich doch selber vorher aufs Empfindlichste beleidigt.“
„Wieso?“
„Indem Sie mir, dem Deutschen, ins Gesicht sagten, dass Sie die Deutschen hassen.“
„Man darf die Wahrheit sagen.“
„Wenn sie nicht beleidigend ist; im andern Fall verschweigt man sie, und wäre es auch nur aus reiner Höflichkeit oder aus wohlangebrachter Vorsicht.“
„Vorsicht? Meinen Sie, dass meine Offenheit mir Schaden bringen könnte?“
„Gewiss!“
„Wer sollte mir schaden?“
„Jeder Mann, den Sie sich zum Feind machen, kann Ihnen schaden, mehr, als alle Ihre bedeutenden und einflussreichen Freunde Ihnen Nutzen bringen können.“
Um die Lippen Deephills spielte ein selbstbewusstes Lächeln und er musterte Müller einen Augenblick.
„Also, ich setze den Fall, dass ich Sie beleidige. Wie wollen Sie mir schaden?“
Ganz langsam hob Müller die Lider und ließ seine Augen eine Zeit lang fest und ernst in denen seines Nachbars ruhen, dann zuckte er kurz die Achseln.
„Ich würde mich dadurch rächen, dass ich mich gar nicht mit Ihnen beschäftigte.“
Diese Worte wurden in einem Ton gesprochen, aus dem eine gewisse Bedeutung klang, die ein aufmerksamer Mann nicht leicht zu überhören vermochte.
„Ich verstehe Sie nicht“, sagte Deephill kopfschüttelnd. „Wie meinen Sie das?“
„Und doch ist es so deutlich und verständlich. Wenn ich Ihnen schade, indem ich Sie nicht beachte, bringe ich Ihnen...“
„Jetzt glaub’ ich zu verstehen, mein Herr! Sie meinen, es wäre ein Vorteil für mich, dass Sie sich mit mir beschäftigen?“
„Jawohl!“
Auf den Zügen Deephills spiegelte sich deutlich Überraschung.
„Mit andern Worten, mein Herr: Sie haben ein Geheimnis. Sie können mir nützen, indem Sie es mir mitteilen, und schaden, wenn Sie es verschweigen.“
Müller lächelte seltsam. „Man möchte fast glauben, dass Sie eine Art Diplomat seien. Diese Herren wittern hinter jedem Wort ein Geheimnis.“
„Hier aber scheint es sich doch in der Tat um ein Geheimnis zu handeln. Ich verstehe mich auf Gesichter – und Sie scheinen nicht der Mann, der aus Eitelkeit oder Spielerei mit halben Andeutungen um sich wirft. Hab’ ich Recht, Sir?“
„Vielleicht sind Sie selber dieses Geheimnis!“, wich der andre aus.
„Oder Sie?“ Er musterte Müller, der sich dem Fremden gegenüber keine Mühe gab, seine Gesichtszüge besonders zu beherrschen, mit noch größerer Aufmerksamkeit als vorher. „Mir ist, als hätte ich Sie bereits gesehen.“
„Ich war nie in Amerika.“
„Da nicht.“
„Auch nie in Südfrankreich.“
„Ich meine nicht, dass ich Sie, Ihre wirkliche Person, gesehen habe; sondern ich finde in Ihren Zügen etwas Bekanntes, Anheimelndes.“
„Anheimelndes? Bei dem Deutschen, den Sie hassen?“
„Dennoch! Ich möchte einschränkend sagen, dass ich natürlich nicht alle Deutschen hasse! Sie haben gewisse Züge, die mir entweder schon angenehm gewesen sind oder doch – ah, da fällt’s mir ein!“
Er fasste Müller beim Arm und drehte ihn so, dass er sein Gesicht grad vor sich hatte.
„Ja“, sagte er, „ich hab’s! Es ist kein Irrtum. Es sind dieselben Grundzüge, nur schärfer, ausgeprägter, mit einem Wort: männlicher. Waren Sie in England?“
„Nein.“
„Haben Sie Verwandte dort?“
„Auch nicht.“
Müller ahnte, was kommen werde, behielt aber seine unbefangene Miene bei.
„Sie entdecken wohl irgendeine zufällige Ähnlichkeit?“
„Ja.“
„Darf ich fragen, mit wem?“
„Mit einer Dame.“
„Ihrer Bekanntschaft?“
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