Die Ikone der Heiligen Dreifaltigkeit des Andrej Rublev - Jutta Koslowski - E-Book

Die Ikone der Heiligen Dreifaltigkeit des Andrej Rublev E-Book

Jutta Koslowski

0,0

Beschreibung

Die Ikone der Heiligen Dreifaltigkeit des Andrej Rublev ist wohl die berühmteste Ikone der Welt. Zahlreiche Menschen in Ost und West sind fasziniert von der lichten Farbigkeit, der harmonischen Komposition und den zarten Gestalten dieses Bildes. Es scheint, als verströme es Ruhe und Frieden in das Herz desjenigen, der sich in seine Betrachtung versenkt. So ist diese Ikone auch zu einer ökumenischen Brücke geworden, die die Glaubenswelt der Orthodoxie dem westlichen Betrachter nahe bringen kann. Aber "man sieht nur, was man weiß". Deshalb wird in diesem Buch kenntnisreich der Hintergrund dieses Werkes erschlossen: Die biblische Geschichte vom Besuch der drei Engel bei Abraham und ihre Auslegung wird ebenso erläutert, wie die orthodoxe Dreifaltigkeits-Lehre und die Ikonen-Theologie; es wird erzählt aus der Zeit und dem Leben des Malermönches Andrej Rublev, und schließlich wird die Dreifaltigkeitsikone in Bildgehalt, Farbe und Form eingehend analysiert. Die Darstellung wird abgerundet durch eine spirituelle Deutung der Dreifaltigkeitsikone und die Berichte von Menschen, deren Leben durch dieses Bild verändert worden ist.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 286

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

A. Die Grundlagen: Orthodoxe Tradition

I. Die Erscheinung Gottes bei Abraham

Die Erzählung in Gen 18

Die Auslegungen der Kirchenväter

II. Die Entwicklung der Dreifaltigkeits-Ikonographie

Exkurs: Die Beziehung zwischen Theophanes dem Griechen und Andrej Rublev

III. Das Orthodoxe Verständnis von der Dreifaltigkeit

IV. Das Orthodoxe Verständnis von den Ikonen

B. Der Ikonenmaler: Andrej Rublev

V. Das Leben des Andrej Rublev

Der geschichtliche Hintergrund

Die Berichte der alten Quellen

VI. Die Beziehung zwischen dem Heiligen Sergij von Radonesh und Andrej Rublev

C. Die Ikone: Die Heilige Dreifaltigkeit

VII. Die Geschichte der Dreifaltigkeitsikone

VIII. Der Bildgehalt der Dreifaltigkeitsikone

Die Darstellung

Die Komposition der Formen

Die Komposition der Farben

IX. Die Problematik der Personendeutung der Dreifaltigkeitsikone

X. Der Theologisch-spirituelle Gehalt der Dreifaltigkeitsikone

Die Dreifaltigkeitsikone als Leitbild für die Ökumene

Fenster zum Himmel und Weg zu Gott: Die Anziehungskraft der Dreifaltigkeitsikone

Wille zum Einssein und Freiheit der Liebe: Die Botschaft der Dreifaltigkeitsikone

Leitbild der Einheit und Vision von Gemeinschaft: Das ökumenische Potential der Dreifaltigkeitsikone

Weihegebet über der Dreifaltigkeitsikone

Abbildungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

FÜR KÄLA –UNVERGESSEN, UNSTERBLICH

Geleitwort

In den letzten Jahrzehnten sind nicht wenige bedeutende Forschungsbeiträge zu des ehrwürdigen Andrej Rublevs Ikone der Allerheiligsten Dreifaltigkeit erschienen. Dieses Interesse ist durchaus verständlich und gerechtfertigt, da unter Theologen und Kunstgeschichtlern dieses großartige Werk noch immer sein Geheimnis hütet. Gewiss gibt es auch Gelehrte, die ernsthaft meinen, das letzte Wort dazu sei ihnen schon gelungen und die vorgelegte Interpretation unstrittig. Oft jedoch weist die Vielfalt einander ausschließender Hypothesen auf den eigentlichen irrationalen Kern, der sich endgültiger Formulierung im verbalen Ausdruck entzieht. Dies betrifft zweifellos die Frage nach eindeutiger Zuordnung der dargestellten Engel zu einer der drei göttlichen Hypostasen. Nicht weniger Beachtung verdient die künstlerische Sprache der Ikone und deren Entschlüsselung, die bei der Betrachtung der Komposition, der Farben und Linien vernehmlich und, sich selbst interpretierend, hörbar sind.

Dieser Weg führt zur Überwindung eines abstrakten Intellektualismus. Er empfängt erst in der konkreten geistlichen Erfahrung Sinn und Bedeutung und wird damit zum Besitz nicht nur eines engen Kreises von Fachkundigen, sondern eines jeden Menschen, der die Grenzen des Alltagsbewusstseins sprengen will und nach dem Aufstieg vom Bild zum Göttlichen Urbild verlangt.

Jutta Koslowski kann auf diesem Wege mit ihrer Arbeit sehr hilfreich sein. Sie belastet den Leser nicht mit einer einseitigen Hypothese, sondern empfiehlt dafür eine treffliche Orientierung für die durchaus nicht leichte theologische und ästhetische Interpretationsgeschichte der Dreifaltigkeitsikone. Wer mit der Welt altrussischer Malerei nur wenig vertraut ist, wird bei der Lektüre dieses Buches empfinden, dass hier von spirituellen Werten die Rede ist, ohne deren Aneignung die moderne Menschheit, freudlos überladen, im Materialismus und Atheismus versinkt. Zugleich ließ die Verfasserin die Ikone transparent werden für die Vertiefung einer wahrhaft ökumenischen Bewegung, der die Wiederherstellung der Einheit unter den getrennten Christen ernsthaft am Herzen liegt. Lebendig und produktiv wird sie in dem Maße, wie sie die Fähigkeit zum Miterleben der geistlichen Erfahrung des anderen in sich entwickelt. Als Theologin, die sowohl in katholischer und evangelischer, als auch in orthodoxer Theologie ein Diplom erworben hat, vermag Jutta Koslowski ein positives und ermutigendes Beispiel zu setzen für die Überwindung der historisch bedingten Spaltung zwischen westlicher und östlicher Christenheit.

Erzpriester Prof. Dr. Vladimir Ivanov

UMLEUCHTET VON STRAHLEN DES GÖTTLICHEN LICHTES, HEILIGER ANDREJ,

HAST DU CHRISTUS ERKANNT, DIE GÖTTLICHE WEISHEIT UND KRAFT,

UND DURCH DIE IKONE DER HEILIGEN DREIFALTIGKEIT

HAST DU DER GANZEN WELT DIE EINHEIT DER HEILIGEN DREIHEIT GEPREDIGT.

WIR ABER RUFEN ZU DIR MIT VERWUNDERUNG UND FREUDE:

DA DU FREIMÜTIG REDEN DARFST ZUR HEILIGEN DREIFALTIGKEIT,

BETE FÜR UNS, DASS SIE UNSERE SEELEN ERLEUCHTE!

Troparion auf das Fest des Heiligen Andrej Rublev am 4. (17.) Juli. Zit. n. MÜLLER, LUDOLF: Die Dreifaltigkeitsikone des Andréj Rubljów (Quellen und Studien zur russischen Geistesgeschichte, Bd. 10), München 1990, S. 11. Das Gedenken des Heiligen Andrej wurde im Dreifaltigkeitskloster schon seit langer Zeit an diesem Datum, dem Gedenktag seines Namenspatrons, des Heiligen Andreas von Kreta, begangen.

A. Die Grundlagen: Orthodoxe Tradition

I. Die Erscheinung Gottes bei Abraham

1. Die Erzählung in Gen 18

»Und J H W H erschien ihm [Abraham] bei den Terebinthen von Mamre, als er bei der Hitze des Tages am Eingang des Zeltes saß. Und er erhob seine Augen und sah: und siehe, DREI MÄNNER standen vor ihm; sobald er SIE sah, lief er ihnen vom Eingang des Zeltes entgegen und verneigte sich zur Erde und sagte: HERR, wenn ich denn Gunst gefunden habe in DEINEN Augen, so geh doch nicht an deinem Knecht vorüber! Man hole doch ein wenig Wasser, dann wascht eure Füße, und ruht euch aus1unter dem Baum! Ich will indessen einen Bissen Brot holen, dass IHR euer Herz stärkt; danach mögt ihr weitergehen; wozu wäret ihr sonst bei eurem Knecht vorbeigekommen?2Und sie sprachen: Tu so, wie du geredet hast! Da eilte Abraham ins Zelt zu Sarah und sagte: Nimm schnell drei Maß Mehl, Weizengrieß, knete und mache Brotfladen! Und Abraham lief zu den Rindern und nahm ein Kalb, zart und gut, und gab es dem Knecht; und der beeilte sich, es zuzubereiten. Und er holte Rahm und Milch und das Kalb, das er zubereitet hatte, und setze es ihnen vor; und er stand vor ihnen unter dem Baum [und bediente sie], und sie aßen.

Und sie sagten zu ihm: Wo ist deine Frau Sarah? Und er sagte: Dort im Zelt. Da sprach ER: Wahrlich, übers Jahr um diese Zeit komme ICH wieder zu dir, siehe, dann hat Sarah, deine Frau, einen Sohn. Und Sarah horchte am Eingang des Zeltes, der hinter ihm war. Abraham und Sarah aber waren alt, hochbetagt; es erging Sarah nicht mehr nach der Frauen Weise. Und Sarah lachte in ihrem Innern und sagte: Nachdem ich alt3geworden bin, sollte ich noch Liebeslust haben? Und auch mein Herr ist ja alt! Da sprach JHWH zu Abraham: Warum hat Sarah denn gelacht und gesagt: Sollte ich wirklich noch gebären, da ich doch alt bin? Sollte für JHWH eine Sache zu wunderbar sein? Zur bestimmten Zeit komme ich wieder zu dir, übers Jahr um diese Zeit; dann hat Sarah einen Sohn. Doch Sarah leugnete und sagte: Ich habe nicht gelacht! Denn sie fürchtete sich. Er aber sprach: Nein, du hast doch gelacht!

Und DIE MÄNNER erhoben sich von dort und blickten auf die Fläche von Sodom hinab; und Abraham ging mit ihnen, sie zu begleiten.« (Gen 18,1-16)4

Dies ist die biblische Erzählung, die der berühmten Ikone der Heiligen Dreifaltigkeit des Andrej Rublev5 zugrunde liegt. Der Text hat einige Besonderheiten, die auch für das Verständnis seiner künstlerischen Verarbeitung von Bedeutung sind.

Insbesondere fällt auf, wie widersprüchlich die Identität des zu Abraham gekommenen Besuchs geschildert wird. Er wird von Abraham zunächst in der Einzahl angesprochen (»wenn ich denn Gunst gefunden habe in deinen Augen«), im Folgenden dann stets in der Mehrzahl (ihr). Auch der Erzähler wechselt zwischen Singular (er) und Plural (sie), während das Gegenüber Abrahams von sich stets im Singular spricht (ich). Außerdem werden der bzw. die Besucher als »drei Männer« und »die Männer« bezeichnet und von Abraham als »Herr« angesprochen. Der Erzähler offenbart uns mehrmals, dass es sich bei dem Gast oder den Gästen um JHWH gehandelt hat (in vielen Übersetzungen gleichfalls mit »Herr« wiedergegeben).

Die hier zitierten Verse bilden keine in sich abgeschlossene Erzähleinheit, sondern sind Teil eines größeren Ganzen. Das wird schon daran deutlich, dass es in V. 18,1 heißt »und JHWH erschien ihm« und sich nur aus dem Kontext erschließt, dass es sich bei dem Gastgeber um Abraham handelt. Der Text ist Bestandteil der Vätergeschichten im Buch Genesis, die die Abrahams- und Jakobs-Geschichten, eine kurze Isaak-Überlieferung und den Josefs-Zyklus umfassen. Innerhalb der Abraham-Erzählung ist das Thema der Nachkommenschaft von zentraler Bedeutung, wie ja auch in unserem Text die Verheißung eines Nachkommens den Anlass für den hohen Besuch zu bilden scheint. Schon ganz am Anfang der Abrahams-Geschichte heißt es: »Und JHWH sprach zu Abram: Geh aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft und aus dem Haus deines Vaters in das Land, das ich dir zeigen werde! Und ich will dich zu einer großen Nation machen und will dich segnen« (Gen 12,1.2) Diese Verheißung stand in beständigem Widerspruch zu der Kinderlosigkeit Abrahams, einem kaum erträglichen Schicksal in damaliger Zeit. Deshalb erneuert Gott auch bei allen Begegnungen mit Abraham sein Versprechen (15,1-6; 17,1-6; 17,15-22; 18,9-15). Abraham »glaubte JHWH, und er rechnete es ihm als Gerechtigkeit an« (15,6). Zugleich wird Abraham immer wieder von Zweifeln erfasst: So versuchte er, der Verheißung durch die Zeugung mit Hagar nachzuhelfen (K. 16), und als Gott daraufhin bekräftigt, dass ihm von Sarah ein Sohn geboren werden soll, »fiel Abraham auf sein Gesicht und lachte und sprach in seinem Herzen: Sollte einem Hundertjährigen ein Kind geboren werden, und sollte Sarah, eine Neunzigjährige, etwa gebären?« (17,17) Dies sind fast die gleichen Worte, mit denen Sarah in unserem Textabschnitt ihren Unglauben geäußert hat, und beide Begebenheiten müssten sich fast zur selben Zeit abgespielt haben, da die Geburt des Isaak [übersetzt: er wird lachen] jeweils für »im nächsten Jahr um diese Zeit« angekündigt wird. Es handelt sich also um Parallelüberlieferungen. Die feministische Exegese hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass in der traditionellen Auslegung Sarah als Prototyp weiblicher Untugenden verunglimpft wurde (sie sei neugierig, lauscht, zweifelt, lügt und fürchtet sich), während ihr Mann Abraham als Held des Glaubens ins religiöse Bewusstsein eingegangen ist – obwohl die biblische Überlieferung von beiden fast dasselbe erzählt.

Auch das Ende der hier zitierten Verse bildet nicht den Abschluss der Erzähleinheit. Es schließt sich Abrahams vergebliche Fürbitte für die Stadt Sodom an, die Rettung Lots und die Vernichtung der Jordanebene. So wie unsere Verse an die vorhergehenden durch die Parallele Abraham – Sarah angebunden sind, so findet die Gastfreundschaft Abrahams ihr Gegenstück in der Gastfreundschaft Lots: »Und als Lot sie sah, stand er auf, ging ihnen entgegen und verneigte sich mit dem Gesicht zur Erde; und er sprach: Ach, siehe, meine Herren! Kehrt doch ein in das Haus eures Knechtes, und übernachtet, und wascht eure Füße; morgen früh mögt ihr dann eures Weges ziehen! Aber sie sagten: Nein, sondern wir wollen auf dem Platz übernachten. Als er jedoch sehr in sie drang, kehrten sie bei ihm ein und kamen in sein Haus. Und er machte ihnen ein Mahl, backte ungesäuertes Brot, und sie aßen.« (19,1-3)

Im Fortgang der Erzählung erfahren wir manches, was die Unsicherheit, wer denn nun eigentlich zu Abraham gekommen ist, noch steigert: JHWH entschließt sich, nach Sodom zu gehen und zu »sehen, ob sie ganz nach ihrem Geschrei, das vor mich gekommen ist, getan haben; und wenn nicht, so will ich es wissen« (18,21); »die Männer wandten sich von dort und gingen nach Sodom; Abraham aber blieb noch vor JHWH stehen« (18,22), um mit ihm zu verhandeln; »JHWH ging weg, als er mit Abraham ausgeredet hatte, und Abraham kehrte zurück an seinen Ort« (18,33); »die beiden Engel kamen am Abend nach Sodom« (19,1). Im Weiteren werden sie wiederum angesprochen als »meine Herren« (19,2) – »die Männer« (19,5 u.ö.) – »die Engel« (19,15) – »sie« (19,17) – »er« (ebd.) und »Herr« (19,18). In V. 13 sagen die Besucher Lots: »JHWH hat uns gesandt, die Stadt zu vernichten«. Und ganz am Schluss ist noch die Rede davon, dass Gott in diesem Geschehen gehandelt habe: »Und es geschah, als Gott die Städte der Ebene des Jordan vernichtete, da dachte Gott an Abraham und geleitete Lot mitten aus der Umkehrung« (19,29).

Die Engel, die hier auftauchen, sollten für die ikonographische Umsetzung dieser Erzählung eine große Rolle spielen. Denn außer einigen wenigen frühen Darstellungen zeigen alle Bilder dieser Szene drei Engel zu Gast bei Abraham – obwohl von Engeln nur als Gästen des Lot die Rede ist. Die Beziehung zwischen diesen Engeln und Gott selbst ist verwirrend: Zunächst heißt es ja, dass Gott nach Sodom gehen will; da es die Männer bzw. Engel sind, von denen in Sodom berichtet wird, spricht dies für eine Identität zwischen beiden, so wie ja in dem ganzen Text nicht eindeutig zwischen den Personen unterschieden wird. Andererseits wird ausdrücklich gesagt, dass JHWH bei Abraham bleibt, während die Männer sich entfernen, und später heißt es, sie seien von Gott gesandt. Dies spricht für eine Differenz zwischen ihnen.

Außer den allgemeinen Pluralformen und dem Singular wird nur an zwei Stellen ein Zahlwort gebraucht: In 18,1.2 heißt es: »Und JHWH erschien ihm bei den Terebinthen von Mamre, als er bei der Hitze des Tages am Eingang des Zeltes saß. Und er erhob seine Augen und sah: und siehe, drei Männer standen vor ihm«; und in 19,1: »Und die beiden Engel kamen am Abend nach Sodom, als Lot gerade im Tor von Sodom saß«. Die Tatsache, dass zunächst von drei Personen gesprochen wird und später von zwei Engeln (während JHWH mit Abraham spricht), haben einige Exegeten so miteinander zu vereinbaren gesucht, dass Gott dem Abraham in Begleitung von zwei Engeln erschienen sei. Auch dem Problem Identität – Differenz kann man auf diese Weise möglicherweise gerecht werden, wenngleich trotzdem viele Fragen offen bleiben. In der christlichen Theologie und Ikonographie war es dann allerdings aufgrund prinzipieller Überlegungen Christus, der sich an Stelle von JHWH gezeigt haben soll. In der jüdischen Theologie dagegen wurde daran festgehalten, dass sich der eine und einzige Gott zusammen mit zwei Engeln gezeigt hat, während christologische und zumal trinitarische Deutungen abgelehnt wurden. Christen, die sich dieser Auslegung angeschlossen haben, wurden von ihren Glaubensgenossen oft als häretische »Judaisierer« verdächtigt.

Die moderne historisch-kritische Exegese versucht, sich dem schwierigen Text auf dem Wege der literarischen Scheidung zu nähern, insbesondere seit HERRMANN GUNKEL für das Buch Genesis seine Quellenscheidungs-Theorie entwickelt hat. Der Wechsel zwischen Singular und Plural, zwischen JHWH und Elohim in 19,29 wird dadurch erklärt, dass verschiedene Erzählungen von einem Verfasser zusammengearbeitet wurden, und es gibt unterschiedliche Rekonstruktionsversuche, wie diese Fassungen ursprünglich ausgesehen haben könnten. Zweifellos ist Gen 18.19 ein Text, bei dem sich gegen die Feststellung literarischer Uneinheitlichkeit wenig Einwände erheben lassen. Andererseits lässt sich der theologischen Tiefe der Erzählung auf diesem Wege kaum beikommen, weshalb auch jüngere Ansätze wieder mehr Gewicht auf den kanonisch gewordenen Text legen. Letztlich ist es gerade dieses Geheimnisvolle, was unseren Text immer wieder anziehend macht: Er stellt uns den Gott vor, der sich nicht fassen lässt und dennoch begegnet, der die Grenzen unseres Verstehens und erst recht unserer Grammatik sprengt. Diese Züge finden sich auch in anderen Texten (z.B. in der Jakobs-Geschichte Gen 32,23-33: Jakob ringt mit einem fremden Mann und hat damit Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen) – sie lassen sich nicht einfach auf die Zufälligkeiten der Textentstehung reduzieren. So gilt für alle exegetischen Versuche, von denen einige im Folgenden vorgestellt werden sollen, dass sie der Erzählung nicht »beikommen« sondern sich ihr höchstens »annähern« können.

1 Wörtlich: und lagert aufgestützt.

2 Oder: darum seid ihr bei eurem Knecht vorbeigekommen.

3 Wörtlich: verbraucht.

4 Diese und alle folgenden Bibelstellen sind zitiert nach der Revidierten Elberfelder Übersetzung, Wuppertal 1984. Die Hervorhebungen der verschiedenen Personenbezeichnungen wurden hinzugefügt, um die komplexe Textstruktur zu verdeutlichen.

5 Leider hat sich bisher keine einheitliche Transliteration von der kyrillischen in die lateinische Schrift durchgesetzt, da die wissenschaftlich erarbeiteten Richtlinien in der praktischen Anwendung vielen zu kompliziert erscheinen. Für die Wiedergabe von Namen konnte ich mich deshalb nicht einer allgemeingültigen Form anschließen, sondern musste mich für eine unter verschiedenen anderen Möglichkeiten entscheiden. Da jede Autorin bzw. jeder Autor hier eine andere Wahl getroffen hat, ist die Schreibweise in Zitaten und Literaturangaben uneinheitlich.

2. Die Auslegungen der Kirchenväter

In den Schriften der Kirchenväter finden sich verschiedene Auslegungen zu dem Text in Gen 18. Sie lassen sich auf drei verschiedene Grundmuster zurückführen: die angelologische Deutung, die christologische Deutung und die trinitarische Deutung.

Das angelologische Verständnis besagt, dass es drei Engel waren, die Gott als Boten (griechisch angeloi) zu Abraham gesandt hat. Wenn JHWH selbst als handelndes Subjekt beschrieben wird, so ist das im mittelbaren Sinn zu verstehen. Diese Deutung findet sich vielleicht schon in der griechischen Bibel6 in Hebr 13,2 ausgedrückt, wo es wohl mit Bezug auf die Gastfreundschaft Abrahams und Lots heißt: »Die Gastfreundschaft vergesst nicht, denn dadurch haben einige, ohne es zu wissen, Engel beherbergt.« Auch Theodoret von Kyros vertrat diese Auffassung7 und im Westen der Kirchenlehrer Augustinus: „Gott erschien dem Abraham bei der Eiche von Mamre in der Gestalt von drei Männern, die ohne Zweifel Engel gewesen sind, obwohl einige meinen, einer unter ihnen sei der Herr Jesus Christus gewesen, indem sie versichern, er sei, auch bevor er Fleisch angezogen habe, sichtbar gewesen.“8 Die Begründung für seine Auffassung sieht Augustinus in der bereits zitierten Stelle aus dem Hebräerbrief (obwohl diese auch die von ihm abgewiesene christologische Deutung nicht ausschließt).

Die christologische Deutung versteht den Text so, dass (der präexitente) Christus dem Abraham in Begleitung zweier Engel erschienen ist, denn dort ist ja ausdrücklich vom »Herrn« und von »zwei Engeln« die Rede. Sie wurde bereits von einem sehr frühen Schriftsteller, Justin dem Märtyrer (gestorben um 165), vertreten. In dem berühmten Dialog mit Tryphon lässt er seinen jüdischen Gegner die angelologische These vertreten, der er selbst entgegenhält, dass der präexistente Logos, das ewige Wort Gottes zu Abraham gekommen ist. Dieser könne auch angelos genannt werden, „weil er den Menschen verkündet [griechisch angelein], was der Schöpfer des Alls, über dem kein anderer Gott ist, ihnen verkünden will.“9 Im selben Sinne äußerten sich Novatianus, Origines, Hilarius von Poitiers, (Pseudo-)Johannes Chrysostomos und Canon 15 der (arianischen) dritten Synode von Sirmium 357.10

Die trinitarische Auffassung hat sich zeitlich zuletzt entwickelt, denn sie setzt eine ausgearbeitete Trinitätstheologie voraus; schließlich aber hat sie sich allgemein verbreitet. Hier wird in den drei Besuchern bei Abraham eine Offenbarung des dreieinigen Gottes gesehen. Das komplexe Ineinander von Identität und Differenz und der ständige Wechsel zwischen Singular und Plural im Text passt besonders gut zu den Aussagen über das letztlich unfassbare Mysterium der Dreifaltigkeit: Die drei Männer bzw. Engel sind zugleich der eine Herr, Gott. Diese Auffassung findet sich bei Athanasios dem Großen, Ambrosius von Mailand und bei Caesarius von Arles (gestorben 543): „Dreien läuft Abraham entgegen, und einen betet er an. Darin aber, dass er drei gesehen hat, hat er das Geheimnis der Trinität begriffen; dass er sie aber wie einen angebetet hat, zeigt, dass er erkannt hat, dass in den drei Personen ein Gott ist.“11

Dabei ist zu beachten, dass sich nach orthodoxem Verständnis die drei göttlichen Personen nicht unmittelbar dem Abraham gezeigt haben, denn der Vater selbst ist für Menschen unerkennbar. Gemäß Ex 33,18-23 kann niemand Gottes »Angesicht« und seine »Herrlichkeit« sehen und am Leben bleiben; nur »von hinten« können wir ihn sehen: »Er [Mose] aber sagte: Lass mich doch deine Herrlichkeit sehen! Er [Gott] antwortete: Ich werde all meine Güte an deinem Angesicht vorübergehen lassen und den Namen JHWH vor dir ausrufen: Ich werde gnädig sein, wem ich gnädig bin, und mich erbarmen, über wen ich mich erbarme. Dann sprach er: Du kannst es nicht ertragen, mein Angesicht zu sehen, denn kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben. Weiter sagte JHWH: Siehe, hier ist ein Platz bei mir, da sollst du dich auf den Felsen stellen. Und es wird geschehen, wenn meine Herrlichkeit vorüberzieht, dann werde ich dich in die Felsenhöhle stellen und meine Hand schützend über dich halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann werde ich meine Hand wegnehmen, und du wirst mich von hinten sehen; aber mein Angesicht darf nicht gesehen werden.« Nach biblischer Darstellung wohnt Gott »in unzugänglichem Licht, den keiner der Menschen gesehen hat, noch sehen kann.« (1. Tim 6,16). Sowohl in der hebräischen wie in der griechischen Bibel findet sich eine kontinuierliche Tradition der Unerkennbarkeit Gottes. Andererseits gibt es auch die gegenläufige Tendenz der Offenbarkeit Gottes. So heißt es über Mose nur wenige Verse vor den eben zitierten: »Und JHWH redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann mit seinem Freund redet.« (Ex 33,11) Und über die Herrlichkeit Gottes heißt es: »Wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.« (Joh 1,14) Hier deutet sich schon an, wie im Christentum beide Tendenzen – die Unerkennbarkeit ebenso wie die Offenbarkeit Gottes – durch den Glauben an Jesus Christus als Gottes menschgewordenen, den Menschen offenbargewordenen Sohn miteinander vereint werden. Deshalb schließt der Prolog des Johannesevangeliums mit den Worten: »Niemand hat Gott jemals gesehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat ihn kundgemacht.« (Joh 1,18) Wir haben die »Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi.« (1. Kor 4,6)

Der Glaube an Christus als »die den Menschen zugewandte Seite Gottes« hat die christologische Deutung von Gen 18 unterstützt, wonach es nur Christus in Begleitung zweier Engel sein konnte, der sich dem Abraham offenbart hat. Andererseits hat die Dreizahl der Personen und ihre gleichzeitige Einheit die trinitarische Deutung unterstützt, wobei es sich bei dem Besuch dann nicht um den dreifaltigen Gott selbst, sondern um eine Erscheinung des dreifaltigen Gottes gehandelt hat, d.h. um eine Theophanie; keine der Personen war Gott-Vater, der wesenhaft körperlos ist, sondern der Vater zeigte sich in einer dieser Personen. Man kann auch sagen, dass es sich bei dem Besuch Gottes bei Abraham um eine prophetische Vision des Mysteriums der Dreifaltigkeit gehandelt hat, wie es sich dem gläubigen Denken der Kirche dann Schritt für Schritt im Laufe der Jahrhunderte enthüllt hat. „Denn die Ikonenmaler malen »die unsichtbare Gottheit nicht nach ihrem Wesen, sondern malen und stellen sie dar nach der Vision der Propheten«“.12 Die angelologische Deutung schließlich wurde durch die Nennung der (zwei) Engel im biblischen Text inspiriert, die Engelsgestalt wurde dann auf alle drei Figuren übertragen. Letztlich bleiben alle drei Deutungsmöglichkeiten nebeneinander bestehen – eben deshalb weil der Bibeltext selbst nicht eindeutig sondern vielschichtig ist und nach verschiedenen Richtungen betrachtet für jede der Deutungen Anhaltspunkte bietet. Sie schließen sich gegenseitig nicht aus, sondern vielmehr ein.

Die trinitarische Auffassung hat auch Eingang in die orthodoxe Liturgie gefunden. So heißt es im Kanon des Sonntags der Patriarchen in der fünften Ode: „Der gesegnete Abraham sah die Dreifaltigkeit, sofern dies Menschen möglich ist, und bewirtete sie wie einen nahestehenden Freund.“13 Und im Kanon des Gottesdienstes der Heiligen Väter lautet die erste Ode: „Der heilige Abraham begrüßt die altehrwürdige Gottheit, die eins in drei Personen ist.“14 Als weitere Beispiele aus der byzantinischen Dichtung seien die folgenden angeführt: „An der Eiche von Mambre, in Isaak mitleidsvoll der Gastfreundschaft Lohn ihm entrichtend, erschien dem Abraham einst der dreipersönliche Gott, den auch wir jetzt verherrlichen als den Gott unserer Väter.“ – „Als dem Patriarchen Abraham du erschienst in Mannesgestalt, dreifaltige Einheit, hast du deiner Güte und Herrschaft unveränderliches Wesen gezeigt.“ – „Um der einen Herrschaft dreifaltiges Wesen deutlich einst zu enthüllen, mein Gott, bist Abraham du im Menschenkleide erschienen, der deine einzige Macht in Hymnen besang.“15

Um zu ermessen, wie Andrej Rublev selbst wohl die Erzählung vom Besuch der drei Männer bei Abraham verstanden haben könnte, ist es aufschlussreich, die Schriften von Vätern aus der russisch-orthodoxen Kirche seiner Zeit heranzuziehen. Zwischen 1104 und 1107 pilgerte ein russischer Abt namens Daniil in das Heilige Land und besuchte 16 Monate lang die Heiligen Stätten, auch den Hain Mamre. Von seiner Pilgerfahrt hat er einen wertvollen Bericht hinterlassen, in dem er über die Eiche in Mamre schreibt: „Und es ist jene Eiche nicht sehr hoch, sehr knorrig und dicht an Zweigen, und viele Früchte sind an ihr, ihre Zweige aber haben sich bis tief zur Erde geneigt [...]. Und erstaunlich und wunderbar ist es, dass dieser Baum so viele Jahre auf einem so hohen Berg gestanden und keinen Schaden genommen hat und nicht zu Staub vergangen ist, sondern er steht, von Gott befestigt, wie er zu Beginn gepflanzt worden ist. Und unter dieser Eiche kam die heilige Dreifaltigkeit zum Patriarchen Abraham, und hier speiste sie bei ihm, unter dieser heiligen Eiche; und hier segnete die heilige Dreifaltigkeit den Abraham und die Sara, sein Weib, und verlieh ihnen, in ihrem Alter den Isaak zu zeugen. Hier zeigte die heilige Dreifaltigkeit dem Abraham auch ein Wasser, und ein Brunnen ist dort bis heute, unten an jenem Berge, nahe am Weg.“16 Falls Andrej diese Reisebeschreibung gekannt haben sollte, ist vielleicht der sich neigende Baum in der Mitte seines Dreifaltigkeitsbildes ein Nachklang der liebevollen Beschreibung Daniils. Eindeutig wird hier die Begebenheit trinitarisch verstanden. Im Fortgang des Berichtes zeigt sich übrigens, dass Daniil glaubte, zu Abraham seien die drei Personen der Gottheit und zwei Engel gekommen: „Und von jenem Berg sandte die heilige Dreifaltigkeit zwei Engel nach Sodom, dass sie Lot, den Neffen Abrahams, herausführten.“17

1389, als Andrej etwa 30 Jahre alt war, reiste der Moskauer Metropolit Pimen zum Patriarchen nach Konstantinopolis. Dort sah er in der Kirche Hagia Sophia auch den als Reliquie verehrten Tisch, an dem Abraham seine Gäste bewirtet haben soll. Einer seiner Begleiter hat die Reise ausführlich geschildert und beschreibt „den Tisch Abrahams, an welchem er Gott-Christus bewirtete, der in der Dreifaltigkeit erschien.“18 Ungewöhnlicherweise heißt es hier nicht, dass Christus in Begleitung zweier Engel erschien, sondern in der Dreifaltigkeit erschien – demnach wären die beiden anderen Männer als Vater und Geist zu verstehen.

1420 bereiste der Diakon Sossima ebenfalls Konstantinopolis und sah und beschrieb denselben Tisch: „Zuerst verehrten wir die heilige, große Kirche der Sophia [...] und sahen [...] den Tisch Abrahams, an dem Abraham unter der Eiche von Mamre die heilige Dreifaltigkeit bewirtet hat.“19 Aus der Schrift geht hervor, dass der Verfasser den älteren Bericht des Daniil gekannt und benutzt hat. Auch hier liegt eine trinitarische Deutung vor. Damit befinden wir uns in unmittelbarer Nähe zu Rublevs Dreifaltigkeitsikone, denn Sossima war Mönch in dem Dreifaltigkeits-Sergijev-Kloster, für das diese Ikone gemalt wurde, und Rublev ist ihm wohl begegnet, als er 1422/27 (nach anderen 1411) in dem Kloster gearbeitet hat.

Zwischen 1460 und 1478, ein paar Jahrzehnte nach der Entstehung von Rublevs Dreifaltigkeitsikone, verfasste Iossif Sanin (auch Iossif von Volokolamsk oder Volozkij), der spätere Abt des Klosters von Volokolamsk und einer der bedeutendsten russischen Theologen seines Jahrhunderts, ein ausführliches Sendschreiben an den Archimandrit Vassian, der ihn über das Geheimnis der Dreifaltigkeit befragt hatte. Damit ist uns ein weiteres Zeugnis der trinitarischen Auslegung von Gen 18 erhalten. Nachdem Iossif als Belege für die Trinität die pluralen Selbstaussagen Gottes in der Urgeschichte anführt (Gen 1,26; 3,22; 11,7), geht er auf die Begegnung Hagars mit einem Engel bzw. mit Gott ein (Gen 16,10.13) und fährt dann mit der Deutung der Gastfreundschaft Abrahams fort: „Einen erwartete er [Abraham], und drei erschienen ihm in menschlicher Gestalt: und er sagte zu ihnen: »Herr, wenn ich Gnade gefunden habe vor dir.« Wieso spricht er zu dreien und nennt einen Herrn? Wenn er sagt »Herr«, so ist es die gemeinsame Bezeichnung; und wenn er sagt »Habe ich Gnade gefunden vor dir« – siehst du daraus nicht klar, dass er Gott verkündet? Denn wer kann Gnade geben außer Gott, und von wem erwartet er die Verheißung der Gnade, wenn nicht von Gott? Er nahm drei Fremdlinge auf und bereitete ihnen als Menschen ein Kalb, und der Sara befahl er, drei Maß Mehl zu kneten, als Bild der Dreifaltigkeit, und stellte einen Tisch vor sie hin. O Wunder! Drei Jünglinge sitzend und der Patriarch, ein hundertjähriger Greis, vor ihnen stehend! Siehe, dass nicht einer sitzt und zwei vor ihm stünden wie Diener, das heißt Engel, sondern alle drei sitzen gleich an einer Stelle und allen hat der Patriarch in gleicher Weise die Füße gewaschen und den Tisch aufgestellt, und allen gibt er gleiche Ehre. [...] Der eine Gott-Vater spricht mit Abraham, aber die zwei schickt er nach Sodom in der Gestalt des Sohnes und des Heiligen Geistes, weil Gott alles durch den Sohn tut und durch den Heiligen Geist vollendet, wie es heißt: »Der Himmel ist durch das Wort des Herrn gemacht und all seine Stärke durch den Geist seines Mundes.«“20

Iossif geht jedoch nicht nur auf die trinitarische Deutung ein, sondern auch auf die anderen Möglichkeiten, die sich, wie er erkennt, nicht ausschließen. Demnach sind Abraham Engel erschienen: „Denn überall in der Schrift, in der unsern wie in der Alten, heißt es, dass die Gottheit sich in Engel verwandelt, die Engel aber erscheinen nicht, wie sie ihrem Wesen nach sind, sondern in anderer Gestalt, nämlich menschlich. Gott aber hat sich in Engel verwandelt, die Engel aber sind dem Abraham in menschlicher Gestalt erschienen, [...] denn dem Menschen ist es auch nicht möglich, die Engel in ihrem Wesen zu sehen.“21 Auf diese Weise erklärt er nicht nur den ständigen Wechsel zwischen Einzahl und Mehrzahl, sondern auch zwischen Gott/Engeln und Männern im biblischen Text. Dass die Personen der Gottheit sich in Gestalt von Engeln zeigen, galt nach Iossif übrigens nur bis zu der Zeit der Fleischwerdung des Sohnes; seitdem gibt es nicht mehr Theophanien im eigentlichen Sinne, da Christus die eine und endgültige Offenbarung Gottes für die Menschen ist. „Hieraus folgt, dass die Trinität sich für Iossif nirgends in so klarer und vollkommener Weise menschlichen Augen geoffenbart hat, wie in der Abrahamsszene, wo alle drei Hypostasen in gleicher Deutlichkeit miteinander in die Sichtbarkeit getreten sind und gleiche Ehre von Menschen empfangen haben.“22

Außerdem kann man auch sagen, dass Abraham Gott in Begleitung zweier Engel aufgenommen habe – wobei Iossifs Deutung dadurch ganz aus dem traditionellen Rahmen fällt, dass mit »Gott« dann die Person des Vaters und nicht die des Sohnes gemeint sein soll! Und die beiden anderen »Engel« werden letztlich wiederum trinitarisch verstanden als Gestalten für den Sohn und den Geist. Denn der Vater ist von niemandem gesandt, während der Sohn und der Geist vom Vater gesandt sind, d.h. sie sind seine Gesandten oder Boten – griechisch angeloi (Engel).

„So ist das Sendschreiben des Iossif für die Interpretation der Dreifaltigkeitsikone des Andrej Rubljow von hohem Wert. Es zeigt, welch hohe Bedeutung die Abrahamsszene aus Gen 18 im Jahrhundert Andrej Rubljows für die Trinitätstheologie hatte. Es zeigt ferner, dass damals die verschiedenen Auffassungen zur Deutung dieser Geschichte bekannt waren und mit theologischer Leidenschaft und scharfsinnigen Argumenten diskutiert wurden und dass führende theologische Denker der Russischen Orthodoxen Kirche fähig waren, jeder der Deutungen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ohne den eigenen Standpunkt preiszugeben, der in jener Szene die entscheidende trinitarische Epiphanie, das deutlichste In-Erscheinung-Treten der drei Hypostasen des dreieinigen Gottes sah.“23 Insgesamt kann man sagen, dass sich zu der Zeit und in dem Umfeld Rublevs das trinitarische Verständnis von Gen 18 weitgehend durchgesetzt hat, wie ja auch seine Ikone der »Heiligen Dreifaltigkeit« als künstlerischer Höhepunkt der Darstellung dieser Erzählung im trinitarischen Sinn gilt.

6 Die Ausdrücke hebräische bzw. griechische Bibel werden hier anstelle der gegenüber dem Judentum bisweilen abwertend gebrauchten Begriffe Altes bzw. Neues Testament gebraucht. Sie beziehen sich auf die Sprache, in der diese Heiligen Schriften ursprünglich verfasst wurden, wobei zu beachten ist, dass im Bereich der orthodoxen Kirche auch die hebräische Bibel vor allem in ihrer griechischen Übersetzung, der Septuaginta, bedeutsam geworden ist.

7 Vgl. MAINKA, RUDOLF M.: Zur Personendeutung auf Rublevs Dreifaltigkeitsikone. In: Ostkirchliche Studien, Bd. 11, 1962, S. 3-13, hier: S. 9.

8 Augustinus: De civitate Dei, Buch 16, Kap. 20. Zit. n. MÜLLER: Die Dreifaltigkeitsikone, S. 20.

9 Justin: Dialogus cum Tryphone Judaeo, Kap. 56. Zit. n. MÜLLER: Die Dreifaltigkeitsikone, S. 21.

10 Vgl. MAINKA: Zur Personendeutung, S.9.

11 Migne, PL, Bd. 39, Sp. 1748. Zit. n. MÜLLER: Die Dreifaltigkeitsikone, S. 21.

12 Zit. n. BUNGE, GABRIEL: Der andere Paraklet. Die Ikone der Heiligen Dreifaltigkeit des Malermönches Andrej Rubljow, Würzburg 1994, S. 17.

13 Zit. n. OUSPENSKY, LEONID / LOSSKY, VLADIMIR: The meaning of Icons, New York 2 1982, S. 201. Übersetzung aus dem Englischen von der Verfasserin.

14 Zit. n. ebd.

15 KIRCHHOFF: Dreifaltigkeitshymen, S. 43/45/54. Zit. n. BUNGE: Der andere Paraklet, S. 16 f.

16 Daniil: Chozenie, S. 70 f. Zit. n. MÜLLER: Die Dreifaltigkeitsikone, S. 22.

17 Daniil: Chozenie, S. 77. Zit. n. MÜLLER: Die Dreifaltigkeitsikone, S. 23.

18 Nikon-Chronik, PSRL, Bd. 11, S. 95-104. Zit. n. MÜLLER: Die Dreifaltigkeitsikone, S. 23.

19 Sossima: Palestinskij Sbornik. Zit. n. MÜLLER: Die Dreifaltigkeitsikone, S. 23 f.

20 Iossif: Poslanija, S. 139 ff. Zit. n. MÜLLER: Die Dreifaltigkeitsikone, S. 25 f.

21 Iossif: Poslanija. Zit. n. MÜLLER: Die Dreifaltigkeitsikone, S. 26.

22 MÜLLER: Die Dreifaltigkeitsikone, S. 27.

23 Ebd.

II. Die Entwicklung der Dreifaltigkeits-Ikonographie

Die Auslegungen der Kirchenväter haben sich auf die ikonographische Umsetzung dieses Themas ausgewirkt, wie im folgenden Abschnitt gezeigt werden soll. Auch in den Gemälden zu Gen 18 finden sich deutlich die drei Typen des angelologischen, christologischen und trinitarischen Verständnisses; sie haben sich im Lauf der Zeit nacheinander in dieser Reihenfolge herausgebildet.24 Und dieselbe Überschneidung der Deutungsmöglichkeiten zeigt auch die Ikonographie: Fast alle Darstellungen (ab dem Ende des ersten Jahrtausends) zeigen drei Engel, insofern sind sie alle »angelologisch«. Bald kommt zusätzlich eine Hervorhebung des mittleren Engels und seine Kennzeichnung als Christus und somit die christologische Dimension ins Bild. Noch später setzt sich die Beschriftung der Ikonen als »Heilige Dreifaltigkeit« durch, jedoch meist unter Beibehaltung des christologischen Bildgehalts. Deshalb ist eine Ikone wie die »Dreifaltigkeit« Rublevs, die den Höhepunkt dieser ikonographischen Entwicklung bildet, ebenso reichhaltig und vieldeutig wie die biblische Erzählung selbst und die Tradition ihrer Auslegung, und deshalb ist es ein Zeichen ihrer immerwährenden Faszination, dass es hier eine abschließende Deutung niemals geben kann und wird.

Aus dem ersten christlichen Jahrtausend sind nur wenige Fresken bzw. Mosaiken zu Gen 18 vorhanden; sie stammen ausschließlich aus dem Bereich der Westkirche, da im Osten während des Bilderstreites (730-843) zahllose Kunstwerke zerstört worden sind. Die erhaltenen Zeugnisse können jedoch in gewissem Maß als Ausdruck einer gemeinchristlichen Tradition gelten, da die Westkirche damals von der Ostkirche nicht getrennt war und auch viele östliche Künstler beschäftigt hat. Die Abbildungen zu dieser Szene werden erst im Laufe der Zeit, und dann namentlich im Osten, immer zahlreicher. Es ist jedoch sicher, dass die Darstellung des Besuches der drei Männer bei Abraham und die kultische Verehrung eines entsprechenden Bildes lange Tradition hat, obgleich es aus den ersten drei Jahrhunderten keine Abbildung gibt. Wir erfahren an