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Dieses Buch beschreibt die fünf Internet-Giganten der westlichen Welt. Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft. Aus den Anfangsbuchstaben wird das Akronym GAFAM gebildet. Der Autor beleuchtet deren Entstehung, Funktion, Organisation und Produkte. Vertiefend richtet der Autor den Fokus auf die vielfältigen Überwachungspraktiken zum Nachteil von Mensch und Gesellschaft. Die von ihnen ausgehenden Bedrohungen für das zivilgesellschaftliche Gefüge sind das Resultat einer radikal neoliberalen Ideologie, wie sie im Silikon Valley kultiviert wird. Ernüchterung ist an die Stelle der Begeisterung über das Internet gewichen, so wie sie in den Anfangsjahren des Internets bestand.
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Seitenzahl: 237
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Zum Wesen und Wirken der digitalen Riesen
Die neoliberale Doktrin der KI-Ideologen
2.1 Angriff auf den Staat
2.2 Kryptogeld statt staatlicher Währung
2.3 Kosmetisch geschönte Ethik
2.4 Der 11. September 2001: Glück im Unglück
2.5 Digitale Manipulation statt Kommunikation
2.6 Meinungsfreiheit für Bots?
2.7 Das Ende der Freien Presse
2.8 Wie wird sich Europa positionieren?
Google, mehr als nur die Suchmaschine
Unterschiedliche Angaben in unterschiedlichen Quellen
3.1 Struktur und Ordnung mit der Alphabet Inc.
3.2 Googles Erfolgs“geheimnisse“
3.3 Das Kernprodukt: Die Suchmaschine
3.4 Innovationssprünge im Eiltempo
3.5 Datenkrümel und Datenbeifang
3.6 Blick in die Zukunft mit Vorhersageprodukten
3.7 YouTube, Skype und MasterCard als Datenquellen
3.8 Aus Beifang Vorhersageprodukte machen
3.9 Daten als Zahlungsmittel für IT-Gratisleistungen
3.10 Die Bedeutung von KI für Google
3.11 Alphabet/Google-Produkte
3.12 Alphabet/Google-Tochterunternehmen
3.13 ATAP-Labor
3.14 Alphabet/Google-Zukunftsprojekte
Amazon erobert die Welt
4.1 Wachstum first, Profit second
4.2 Amazon ist mehr als ein Online-Bauchladen
4.3 Das Imperium
4.4 Amazons Engagement im stationären Einzelhandel
4.5 Alexa und die Rolle der Künstlichen Intelligenz
4.6 Bezos Investmentengagements
4.7 Amazon als Arbeitgeber
4.8 Arbeitsbedingungen
4.9 Forschung und Entwicklung
META/Facebook
5.1 Zahlen, Daten, Fakten
5.2 Zuckerberg, der „gefährlichste Mann der Welt“
5.3 Daten als Diebes- und Handelsgut
5.4 Rechtsverstöße am laufenden Bande
5.5 „Verführung“ Minderjähriger
5.6 Eine Whistleblowerin packt aus
5.7 Metaverse - The next big thing
5.8 Perspektivwechsel mit Augmented Reality
Apple, Lifestyle- und Prestigeobjekt
6.1 Gottvater Steve Jobs
6.2 Apple, ein teures Prestigeobjekt
6.3 Apple, Taktgeber für Lifestyle
6.4 Erfolgsjahrzehnte mit Tops und Downs
6.5. Beginn der i-Epoche
6.6 Tim Cook übernimmt das Ruder
6.7 Neues Spiel, neues Glück
6.8 Apples KI-Nachholbedarf
6.9 Die Augmented Reality-Brille kommt
6.10 Kommt das Apple Auto?
6.11 Apple kauft und kauft hinzu
6.12 Die Apple-Story im Überblick
Microsoft
7.1 Bill Gates: Schöpfer und Gestalter
7.2 Bill Gates, der Gutmensch
7.3 IBM, Microsofts Geburtshelfer
7.4 Windows Erfolgsgeschichte
7.5 Wettbewerbsfeindliches Verhalten
7.6 Rechtsverstöße als business as usual
7.7 Microsoft und der Datenschutz
7.8 Unternehmenskultur und Mitarbeiterführung
7.9 Die Bedeutung von KI für Microsoft
Digitale Überwachung zum Quadrat
8.1 Datenkapitalismus: Profite durch Überwachung
8.2 Überwachung zwecks Scoring
8.3 Ubiquitäre Überwachung
8.4 „Freiwilliger Zwang“ zur Überwachung
8.5 Überwachung und Datennachschub durch Tracking
8.6 Trittbrettfahrer des Überwachungskapitalismus
8.7 Palantir, die globale Daten-Stasi
8.8 Die Schufa auf dem Wege zur Banken-Stasi
8.9 Google ist bei Dir, jederzeit und überall.
8.10 Das Smartphone: Der Spitzel in der Hosentasche
8.11 Wertige Datenkrümel
8.12 Das Telefon am Arbeitsplatz: Chef hört mit
8.13 Warenkorb und Smartphone als Informationsquelle
8.14 Vorsicht vor Persönlichkeitstests
8.15 Beweisen Brille oder Frisur die Intelligenz?
8.16 Videoüberwachung und Gesichtserkennung
8.17 Ins Gesicht geschriebene Kriminalität
8.18 Sexualpräferenz digital erkennen
8.19 Clearview, die globale digitale Gesichterdatei
8.20 Datensammler im Gesundheitsbereich
Gaia-X, die GAFAM-Abwehrwaffe
Literaturverzeichnis
Was bedeutet die häufige Abkürzung „KI“ in diesem Buch?
Die Informatik war ein großer in der Technikgeschichte. Dieser wurde durch einen buchstäblichen Quantensprung erweitert. Gemeint ist die „Künstliche Intelligenz“ (KI). Vom Jahr 2000 an standen die digitaltechnischen Möglichkeiten zur Verfügung, um KI zu nutzen. Das Interesse am Thema und den Möglichkeiten wuchs.
Etwa um 2000 entstanden die vier großen digitalen Plattformen, Apple (1976), Amazon (1994), Google (1997, und Facebook (2004). Künstliche Intelligenz befand sich noch im Embryonalstadium. Von 2010 an drang die KI in das Geschäft der Plattformen ein. Sie wurde zur Funktionsvoraussetzung für die Angebote der Digitalkonzerne. Google optimiert mit Hilfe von KI dauernd seine Suchtechnologie. Unverständliche Suchanfragen werden verständlich aufbereitet. Mehr noch: Die Plattformen wurden zu Entwicklungszentren der KI, insbesondere Google. Es setzte das bis heute anhaltende exponentielle Wachstum der KI ein. Die Begriffe Computer- und/oder Informationstechniken konnten fortan mit dem der Künstlichen Intelligenz (KI) gleichgesetzt werden. KI war die sich aus der evolutionären Entwicklung der Computertechnik ergebende Fortsetzung.
Vieles ist bei den Plattformakteuren mit der KI verwoben oder nur durch KI erklärbar. Darum ist diese aus zwei Buchstaben bestehende Abkürzung sehr häufig in diesem Buch anzutreffen. Wer mehr über das Thema Künstliche Intelligenz wissen will, dem sei mein Buch „Künstliche Intelligenz – Das Wichtigste, was Du wissen musst“ (ISBN 978-3-751-903373-8) empfohlen.
Die digitalen US-Riesen werden häufig mit dem Akronym GAFAM betitelt. Hierbei stehen G für Google, A für Amazon, F für Facebook, A für Apple und M für Microsoft. Gebräuchlich sind auch die Bezeichnungen „Big Five“, „Big Tech“ oder „Frightfull Five“. Hierbei handelt es sich um oligopolistische Marktbeherrscher in Reinkultur. Ihre Macht ist weltumspannend und bezieht Wirtschaft und Gesellschaft in Gänze ein. Zwar unterscheiden sich ihre Geschäftsfelder, aber die digitale Überwachung von Nutzern und das Sammeln deren Daten zwecks Weiterverkauf an interessierte Unternehmen und Großorganisationen ist allen fünf gemeinsam.
Der namhafte deutsche Soziologe Max Weber hat den Begriff Macht als „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung, den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, definiert.“ Befolgen die Beherrschten den Willen des Machtträgers, entsteht aus der Macht die Herrschaft. Diese ist nach Weber nur dann legitim, wenn keine Manipulations- und Druckmittel eingesetzt werden. Das aber geschieht, wie es die Harvardprofessorin Shoshana Zuboff aufzeigt. Mit Lügen, Manipulationen, Lobbying und prall gefüllten Geldspeichern, mit Rechtsverstößen und Dank einer nicht mehr überschaubaren Komplexität übt das digitale Kartell von Google, Amazon, Apple und Facebook eine ungeheure Macht über Menschen, Wirtschaft und Gesellschaft aus. Ähnliches gab es bereits einmal in der Geschichte. Mit ihrem gewaltigen Straßennetzt schufen die Römer nicht nur infrastrukturelle Macht, sondern zugleich Informationsmacht. Informationen und Güter konnten dank dieses Netzes schneller und verlässlicher als je zuvor überbracht werden. Auch die Manipulationen der Firma Cambridge Analytica bei der Abstimmung zum Brexit und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten bezeugen die „instrumentelle Macht“ des digitalen Quartetts. Eric Schmidt, der langjährige CEO von Google, bezeugt dieses:
„Wir sind überzeugt, dass Portale wie Google, Facebook, Amazon und Apple weitaus mächtiger sind, als die meisten Menschen ahnen. Ihre Macht beruht auf der Fähigkeit, exponentiell zu wachsen. Mit Ausnahme von biologischen Viren gibt es nichts, was sich mit derartiger Geschwindigkeit, Effizienz und Aggressivität ausbreitet wie diese Technologieplattformen und dies verleiht auch ihren Machern, Eigentümern und Nutzern neue Macht.“1
Er muss es wissen. Die wirtschaftliche Größe der Genannten macht sie zu „Torwächtern“, die den Zutritt in den Internetbereich kontrollieren. Sie entledigen sich potenzieller Konkurrenten durch Aufkauf oder „Vernichtung“. Sie verfügen über einen Großteil der digitalen Infrastruktur und zwingen Nutzern ihre Bedingungen auf. Ihre globale Präsenz ermöglicht es ihnen, Steuern zu vermeiden. Profite werden in Steueroasen verschoben. Dem Staat entgehen notwendige Steuereinnahmen. Die Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur, Bildung und Gesundheitswesen ist gefährdet. Steuergerechtigkeit ist für diese Konzerne ein Fremdwort. Mit Lobbyismus wirken sie auf eine Machtausweitung hin. Sie steuern die Rahmenbedingungen des digitalen Marktes. Ein nahezu wettbewerbsfreier Markt steht ihnen zur Verfügung. Dafür sorgt auch ihre Doppelrolle, einerseits als Anbieter und andererseits als Vermittler von Waren und Leistungen. So hebt Amazon eigene Angebote zum Nachteil von Fremdanbietern besonders hervor.
Der heutige Mensch ist gezwungen, sich per E-Mail-Account oder als Unternehmen in das Internet zu begeben. Anderenfalls droht ihm soziale Isolation. Eine Bewerbung oder ein Angebot ohne Angabe des E-Mail-Accounts oder der Webseite, eine Bestellung per Brief bei Amazon sind nutzlos. Wir Menschen sind nicht nur im Netz, wir sind das Netz. Je mehr Menschen eine Plattform nutzen, etwa Facebook oder Amazon, um so mehr steigert das die Anziehungskraft von Facebook & Co auf andere Menschen. Experten sprechen von sozialer Gravitation. Diese sorgt für einen unablässigen Fluss vermarktbarer Persönlichkeitsdaten in Industrie, Handel und Politik. Zu deren Nutzung als Handelsgut sind die Techkonzerne eigentlich nicht legitimiert, tun es aber einfach. Nutzer verlieren dabei die Selbstbestimmung über ihre eigenen Daten. Dafür sorgt auch der sogenannte „Lock-in-Effekt“. Je mehr man Internetdienste in sein Leben lässt, umso abhängiger wird man von diesen. So kann man zahlreiche Angebote nur nutzen, wenn man sich über seinen Facebook- oder Google-Account anmeldet. Bei Apple sind sogar die Produkte gekoppelt, etwa die Watch mit dem iPhone. Das alles ermöglicht eine gigantische Überwachung des Menschen, von den Finanzen über die Gesundheit bis hin zur Gesichtserkennung.
Zur Macht durch Technik gesellt sich die Macht der Technik. Denkbar ist, dass sich Technologien der Künstlichen Intelligenz (KI) eines Tages so weit entwickelt und verselbstständigt haben, dass sie den Menschen beherrschen. Die neuen Techniken greifen tiefer und unmittelbarer in die Lebensführung des Menschen, in seine Kommunikation, ja selbst in seine Gedanken und Gefühle ein. Und damit beherrschen und steuern sie Wirtschaft und Gesellschaft. Das ist das, auf was Amazon und Facebook letztendlich zielen. Sie wollen, wenn die Smartphones und Laptops eingeschaltet sind, ein Gefühl der Zufriedenheit und Bequemlichkeit schaffen und so Gewöhnung und Abhängigkeit schaffen. Mittels Dopaminausstoß fördert das die emotionale Abhängigkeit, steigert die Wirksamkeit der Werbebotschaften und ermöglicht das Abfischen von Informationen. Es ist bekannt, dass Facebook Forschungen finanziert, deren Ziel es ist, das Gehirn von Menschen an neuronale High-Tech anzuschließen und es auszulesen.
Die Hauptakteure digitaler Macht sind Google, Amazon, Apple, Facebook und weniger stark Microsoft. Sie spielen unterschiedliche Rollen. Apple verdient sein Geld überwiegend mit Hardware, Amazon mit Handelsverkäufen und seinen Webdiensten (AWS). Alphabet/Google hat viele Zuflüsse, etwa Werbung, den Verkauf von Daten, insbesondere Persönlichkeitsprofile und Technologien, beispielsweise Android. Facebook schöpft seine Profite aus dem Anzeigengeschäft und dem Verkauf von Datenprofilen seiner Nutzer.
GAFAM lässt sich von diversen wissenschaftlichen Einrichtungen zuarbeiten. Viele Institute und Hochschuleinrichtungen sind von diesem Machtkartell wirtschaftlich abhängig. Die Branchendominanz von Google & Co wird durch solche wissenschaftlichen Trüffelschweine gefördert. Mobilfunkstandard 5G, Quantencomputer und die Verbindung Mensch und Technik mittels biophysischer Systeme wirken als Machttreiber. Big Five steuert die Datenflüsse der der Digitalgesellschaft. Diese Konzerne beherrschen die Technologien, um für ihre Zwecke Ordnung im Chaos der Datenströme herzustellen. Nur so sind diese von Wirtschaft und Gesellschaft nutzbar. Der GAFAM-Verbund ist mit einer Marktkapitalisierung von knapp 9,31 Billionen USD (Stand 1/2022) derart mächtig, dass kein Unternehmen und kein Staat gegen sie ankommt. Die Marktkapitalisierung hatte sich im Vergleich zu vor fünf Jahren fast vervierfacht. Bei soviel Macht wundert man sich nicht, dass Regierungen ihnen vielfältige kartell-, steuer- und arbeitsrechtliche Vorzugsbehandlungen gewähren. Der langjährige Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, warnte schon 2014:
„Einige große Internetkonzerne besitzen heute mehr Macht als uns lieb sein kann. Ich füge hinzu, mehr Macht als viele Staaten und Staatslenker. (…) Ein Informationsmedium aufzubauen, braucht weltweite Regeln. Der Google-manipulierte Mensch kann nicht unsere Vision sein.“2
Gleichwohl ist festzustellen, dass Regierungen ihre Maßnahmen gegen große Techkonzerne verschärfen. In Amerika, Asien und Europa sind neue Gesetze in Arbeit, vor allem im Bereich der künstlichen Intelligenz, mit denen die Gatekeeper gezügelt werden sollen. Das aber setzt voraus, dass die Politik über ein Verständnis der digitalen Welt verfügt. Aber sie kommt kaum noch hinterher, den KI-Innovationen entwickeln sich rasend schnell. Die meisten davon, werden innerhalb der nächsten zwei bis fünf Jahre den Mainstream erreichen Innovationen wie Edge AI, Computer Vision, Entscheidungsintelligenz und maschinelles Lernen werden den Markt der nahen Zukunft prägen, meinen die Experten des US-Forschungsunternehmens Gartner.
Enthusiastisch wurde die Botschaft vom „guten“ Internet um 1990 herum in die Welt getragen. Das elektronische Netz entstand im Milieu des gesellschaftlichen Aufbruchs nach 1968. Apple Legende Steve Wozniak hierzu: „Unsere Idee war: Wir können die Menschheit von vielen Einschränkungen befreien.“3 Als Folge globaler Vernetzung und digitaler Kontrollmöglichkeiten erwartete man eine weltweite Demokratisierungswelle.
Der Acker im Silikon-Valley wurde betulich und übersichtlich abgesteckt. Facebook begann als soziales Netzwerk an der Stanford-University. Google bot eine leistungsfähige Suchmaschine an. Microsoft beglückte die Welt mit Lizenzen für sein Betriebssystem Windows. Apple präsentierte einen kreativ gestalteten Computer und Amazon etablierte sich als Versandbuchhandlung. Die Reviere waren abgesteckt, man kam sich (noch) nicht ins Gehege.
Erst im Laufe der Zeit gab es Revierübergriffe. Interne Konkurrenz entstand. Mittlerweile bieten alle fünf Akteure Smart-Speaker wie Echo oder Google Home und damit gekoppelte virtuelle Assistenten wie Siri oder Alexa an. Cloud-Dienste sind bei allen Digitalgiganten buchbar. Marktführer Amazon ist der Platzhirsch. Alle haben Tablets im Angebot. Netflix und Prime bieten Filme für das Heimkino. Auch Facebook offeriert mittlerweile Nachrichten, Videos, E-Mail-Dienste und den Einkauf von Konsumgütern. Die Techkonzerne sind dabei, Ökosysteme aufzubauen, die dem Nutzer ein reichhaltiges Angebot bieten, so dass er die Plattform nicht verlassen muss. Ein digitales Ökosystem ist das Netzwerk einer Plattform wie etwa Microsoft, das Kunden, Entwickler und sonstige Partner vereinigt.
Die Entwicklung der Digitalsphäre ist faszinierend, aber auch besorgniserregend. Das Ehrenwort der Gründerväter des Internets, an einer dezentralen, egalitären und libertären Gesellschaft mitzuarbeiten, wurde gebrochen. Henry Kissinger neigt zum Pessimismus. Er befürchtet das „Ende der Aufklärung“. Selbst einige KI-Pioniere warnen vor ihren Schöpfungen, so die früheren Google-Manager Tristan Harris und James Williams. Sie sehen das Heraufziehen einer „gelenkten Demokratie“, die vor allem den Interessen einer „globalen Plutokratie“ dient. Das im Massachusetts Institute of Technology erscheinende „Zentralorgan“ des technologischen Fortschritts, „Technology Review“, stellt fest und fragt: „Technologie bedroht die Demokratie. Wie können wir sie retten?“
Man ist fast geneigt, diese Frage zu verneinen, denn die GAFAM-Akteure bestreiten fast das gesamte gesellschaftliche Leben, insbesondere den wirtschaftlichen und somit das beruflichen Alltag. Die Digitalgiganten haben in Summe eine Marktkapitalisierung von etwa sechs Billionen Euro, mithin also fünfmal soviel wie der gesamte Dax. Da kann man es sich schon mal erlauben, der Bundesregierung die Schnittstelle für die Corona-App zu diktieren oder Australien zu drohen, die Google-Suchmaschine abzuschalten als das Land eine faire Vergütung seiner Verlage forderte. Die Diskussion über die mediale Macht von Google, Amazon, Facebook und Microsoft wird seitens der Politik sehr verhalten geführt. Wir sind dabei, uns der Übermacht der Digitalriesen zu ergeben. Damit beantwortet sich auch die Schicksalsfrage von Europa. Wir werden uns fügen, denn ein Leben ohne iPhone, GoogleMaps, WhatsApp oder Amazon würden die meisten Menschen als Kastration empfinden. Der Verlust des Smartphones wäre tragischer als der der Demokratie.
Es sind wir Menschen, die als ungewollte Steigbügelhalter den Herren Zuckerberg und Bezos, Gates und Musk in den Sattel ihrer edlen Rösser helfen. Wir stehen unter ihrer digitalen Dauerüberwachung. Kühen gleich werden unsere Daten beständig abgemolken und so wie Kuhmilch zu unterschiedlichen Produkten weiterverarbeitet. Den GAFAM-Riesen gehören aber nicht nur die Weiden, Kühe und Melkmaschinen, sondern verfügen zunehmend über die gesamte Infra- und Vertriebsstruktur der Wertschöpfungskette nebst Kommunikationskette. Die Hälfte der Unterseekabel befindet sich bereits in den Händen von Google, Facebook, Amazon und Microsoft. Diese bieten nicht nur digitale Inhalte, sondern das notwendige Netz und gefährden so die Netzneutralität. Klugerweise bündelten sie verschiedene Dienstleistungen, am intensivsten Google.
Insidern ist bekannt, dass die aktuellen Digitalakteure im Silicon Valley die Demokratie für eine „veraltete Technologie“ halten. Sie ist ihnen zu langsam. Eric Schmidt, Ex-Vorstandsvorsitzender von Google, erklärt in seinem Buch „Die Vernetzung der Welt“, seinen Konzern ohne den Einfluss staatlicher Macht entfalten und staatliche Strukturen mit den Mitteln der Digitalisierung beseitigen zu wollen. In bester neoliberaler Manier beschränkt er den Neoliberalismus nicht auf die Wirtschaft, sondern proklamiert ihn als ein ordnungs- und gesellschaftspolitisches Modell für alle gesellschaftlichen Bereiche. Für den Internet-Pionier Tim O’Reilly, besteht die Zukunft der Politik in „algorithmischer Regulation“ gesellschaftlicher Prozesse, anders ausgedrückt, in digitaler Automatisierung von Politik und Gesellschaft.
Staaten, insbesondere in der EU, seien hierbei ein Hemmnis. Außerdem haben Ergebnisse von Suchmaschinen nichts mit Datenverarbeitung zu tun. Deswegen sei auch die Frage der Verantwortlichkeit für Inhalt und Wirkung gegenstandslos, zumal Entscheidungen von einer automatisierten KI getroffen würden.
Sehr aktiv agiert auch der neue Vorstandsvorsitzende von Google gegen jedwede Regulierung der KI. Er sieht ein Zuviel an staatlicher Regulierung und fordert einen freien Markt, den er und Seinesgleichen mit ihrer gewaltigen Wirtschaftsmacht immer stärker einengen.
Sein Engagement ist verständlich, denn in weiser Voraussicht wirken er und seine neoliberalen Gesinnungsgenossen für einen Haftungsausschluss von KI- Produkten. Wenn überhaupt, muss weltweit kalifornisches Digitalrecht gelten, denn Googles Server stehen in Kalifornien und amerikanische Richter stehen der heimischen Digitalindustrie wohlwollender gegenüber als europäische.
Auch Peter Thiel, Mitgründer von Paypal und deren zeitweiliger Geschäftsführer, gehört zu den Anhängern des Libertarismus, einer politphilosophischen Strömung, die eine Beschränkung des Staates bei weitgehender wirtschaftlicher Freiheit fordert. Auf dem Nominierungsparteitag der republikanischen Partei der USA warb er lautstark für den Kandidaten Donald Trump und spendete 1,25 Milliarden US-Dollar. Obwohl man aus dem Munde der amerikanischen KI-Giganten immer wieder hört, dass die KI-Wirtschaft und Gesellschaft tiefgehend verändern werde, operieren sie nach wie vor unter den Bedingungen rechtlicher Freiheit. Eine Regulierung ihres Tuns ist nicht in Sicht. Das würde die technologische Entwicklung behindern, behaupten die Platzhalter im Silicon Valley. Die neoliberalen Gralshüter proklamieren die vereinnahmten Daten aus Social Media und anderen Quellen als ihr Eigentum, mit dem sie nach ihrem Ermessen schalten und walten können. Sie haben einen beispiellosen Zugang zu Meinungen, Kauf- und Lebensgewohnheiten, ja selbst zur Gefühlswelt von Milliarden Menschen. Dieser Wissensschatz ermöglicht ihnen eine Einflussnahme, ohne dass es den Betroffenen bewusst wäre oder diese ihre Zustimmung gegeben hätten. Insofern geht es bei der Diskussion über Nutzerrechte und den Schutz persönlicher Daten um mehr als nur um individuelle Rechte. Die Menge an Daten und die daraus resultierenden Einwirkungsmöglichkeiten auf die Gesellschaft machen diesen Fundus zu einem öffentlichen Gut, das allen zur Verfügung stehen muss. Als Gemeingut sind sie eigentlich demokratischer Kontrolle zu unterwerfen.
Steuervermeidung gehört zur DNA des Neoliberalismus, insbesondere der amerikanischen Digitalkonzerne. Dort, wo sie ihre Profite machen, fordern sie eine gute Infrastruktur bis hin zu guten Schulen und Universitäten für die Kinder ihrer Mitarbeiter. Sie fordern ohne zu geben, denn auf ihre weltweiten Milliardengewinne zahlen sie kaum Steuern, und das erst recht nicht in der EU, obwohl sie dort einen beträchtlichen Teil ihrer Umsätze erzielen. Ihr Europageschäft betreiben sie aus Steueroasen wie Irland und Luxemburg, die ihnen viele Möglichkeiten zur Steuervermeidung gewähren.
Shoshana Zuboff, Harvard Professorin und Amerikas renommierteste Expertin in Sachen Google & Co schreibt, dass „Google wie Facebook sich nachträglich dafür ein(setzen), die Regulierung zurückzufahren, Gesetze zur Förderung der Privatsphäre im Web abzuschaffen, zu verwässern oder gleich zu blockieren und jeden Versuch, ihre Praktiken einzuschränken, im Keim ersticken, weil derlei Gesetze existenzielle Bedrohungen“ für ihr Geschäftsmodell sind. Als sich in Kalifornien eine Initiative für eine bessere Bezahlung der Fahrer von Uber und ähnlichen Unternehmen der Gig-Economie entstand wurde die neoliberale Gegenwehr unter den Deckmäntelchen von Vielfalt und Freiheit organisiert. Sie sorge dafür, dass alles beim Alten blieb. Der Primat der Wirtschaft setzte sich gegen den des Politischen durch. Amazons Kampf gegen Gewerkschaften und Mitbestimmung der Arbeitnehmer geht ebenfalls in diese Richtung. Als sich das Europäische Parlament im Mai 2021 ein Bild von den Vorwürfen gegen Amazon machen wollte und Amazon zu einer Anhörung bat, blieb der Konzern dieser ohne weitere Erklärung einfach fern. Der sozialpolitische Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion kritisierte dieses Verhalten mit scharfen Worten in Richtung Jeff Bezos: „Dass Herr Bezos unsere Einladung ignoriert und nicht einmal einen Vertreter einsendet, ist ein Akt unfassbarer Arroganz und eine Missachtung von demokratischen Institutionen.“4
Die neoliberalen Gralshüter stellen den Unternehmer als gesellschaftliche Leitfigur heraus. Der Digitalbereich ist empfänglich für diese Art neoliberalen Gedankengutes. Viele IT-Start-Ups fühlen sich als ihres Glückes Schmied. Sie hingen und hängen an den Lippen von Steve Jobs und anderen Branchenchampions, um deren Marketingrezepte zu imitieren. Trotz der Start-up-Misserfolgsstatistik hoffen viele von ihnen, vom IT-Tellerwäscher zum Digitalmillionär aufzusteigen. Dafür passen sie ihren Körper und ihre Seele den Anforderungen des Marktes an, bis hin zur Selbstausbeutung. Sie befinden sich in einem niemals endenden Prozess der Selbst-Optimierung. Wer scheitert hatte kein Pech, sondern ist selber schuld.
Die Nadelstiche von Kryptowährungen sind ein neoliberales Husarenstück gegen nationale Währungssysteme. Mit Bitcoins und demnächst der Libra wird die Währungspolitik von Staaten ausgehebelt. Kryptogeld kennt keine Anbindung an eine demokratisch legitimierte Instanz. Das sei auch nicht nötig, meinen die Anhänger von Kryptowährungen, da Wirtschaft und Staat durch ein System von Algorithmen und den Marktmechanismus reguliert werden sollen. Im Falle von Bitcoins ähnelt der Marktmechanismus einem Glücksrad, an dem Drogen- und Schwarzgeldkriminelle drehen. Besonders mit der Libra droht die Gefahr, dass Staaten und Staatsbündnissen die Gestaltungs- und Regulierungsmacht zugunsten von Facebook genommen wird. Facebook kann sich auf seinen gewaltigen Aktivposten von 2,7 Milliarden Nutzern stützen. Die Europäische Zentralbank würde zum zahnlosen Tiger. Wir bekämen ein rein privates und damit unreguliertes Bankensystem von Zuckerbergs Gnaden.
Der Libra wird kommen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Obwohl einige der neoliberalen Glaubensbrüder aus der Digitalwirtschaft ihr zunächst zugesagtes Mitwirken wegen zunehmender Kritik widerriefen, solle man aus dem Abgang der Partner keine Schlüsse über das Schicksal der Digitalwährung ziehen, meint Libra-Manager David Marcus. „Natürlich sind das keine großartigen Nachrichten auf kurze Sicht, aber auf eine gewisse Weise ist das auch befreiend. Wandel in diesem Maßstab ist hart.“5 Bei so viel Druck von außen sei klar, dass es sich um ein interessantes Projekt handelt.
Es scheint, als wolle die Digitalwirtschaft das Damoklesschwert gesetzlicher Regelungen mit selbstverpflichtenden Erklärungen abwenden. Mindestens ein Dutzend ethischer Empfehlungen werden allein in Deutschland angeboten. Wie fragwürdig diese Angebote sind, zeigen die Gütekriterien des Bundesverbandes KI e.V. Hier reicht es, eine Selbstverpflichtungserklärung zu unterschreiben, um in den Besitz eines Gütesiegels zu kommen.
Die Angebotsschwemme an Ethik-Empfehlungen erinnert an die Praxis von Unternehmen, die mit Führungsgrundsätzen, Unternehmens-Leitbildern oder Quality Guidelines in Hochglanzbroschüren ihre Ethik be(mein)eiden. Es darf vermutet werden, dass unter der Überschrift ‚Wertekodex‘ kritische Fragen zu moralisch fragwürdigem Verhalten abgewehrt werden sollen. In diesem Zusammenhang sei an die wohlklingenden Gelübde von Kundenorientierung und Gesetzestreue erinnert, so beispielsweise in den Policies der Deutschen Bank oder von VW. In der empirischen Großstudie über das deutsche Corporate Governance-System ist nachzulesen, dass die Bedeutung solcher Kodizes in der unternehmerischen Praxis gering ist: „Mit ernstzunehmenden firmenspezifischen Verhaltenskodizes sind nur etwa 20 Prozent der deutschen Gesellschaften ausgestattet.“6
Man hat den Eindruck, als verhielte sich die Wertediskussion der deutschen Wirtschaft reziprok proportional zum Werteverfall. Man darf mit gutem Grund annehmen, dass Unternehmen eine Art ethische Kosmetik betreiben, um gesetzliche Regelungen zur KI aufzuschieben oder gar zu verhindern. Die Politik tut ein Übriges, indem sie ihre gesetzgeberische Abstinenz zur KI mit dem Hinweis auf die proklamierte Eigenverantwortung der Wirtschaft begründet. Was also nützt eine KI-Ethik? Sie wäre nichts anders als eine freundliche Bitte an Facebook, Google & Co sowie an die Chinesen, doch bitte die Moral zu beachten. Vielleicht nimmt man sie dort zur Kenntnis, aber verbindliche Regeln und Gesetze, die den Verbraucher schützen, wären wirksamer. Da Internet und KI alle Bereiche unseres Lebens durchdringen, muss das Recht vor der Ethik stehen, denn sonst drohen der freiheitlichen Gesellschaft unabsehbare Folgen und Gefahren.
Der Terroranschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 war, so zynisch es klingen mag, für die nach Rechtsfreiheit strebenden Digitalunternehmen ein Glücksfall. Glück im Unglück könnte man fast meinen. Überwachungspraktiken, die vor diesem Datum als indiskutabel galten, wurden über Nacht für notwendig erklärt. Das Thema Sicherheit wurde dem Schutz der Privatsphäre vorgelagert. Der US Kongress verabschiedete den „Patriot Act,“ der eine weitreichende Überwachung und Kontrolle der Zivilbevölkerung ermöglichte. Fortan war es möglich, ohne Richtererlaubnis Telefonate mitzuhören und E-Mails mitzulesen. Hausdurchsuchungen und Kontoüberprüfungen finden nunmehr ohne Wissen des Betroffenen statt. Ein vager Terrorismusverdacht allein reicht aus, um diese und andere grundrechtsbeschränkende Maßnahmen zu praktizieren.
Die Liste neoliberaler Forderungen prominenter KI-Akteure nach einer rechtsfreien KI ist lang. Technologie vor Recht, lautet das Credo. Begründung: Es liege im Wesen der künstlichen Intelligenz, dass sie ein nicht mehr kontrollierbares Eigenleben entfalte, denn schließlich sei sie intelligent und neutral. Dem ist zu entgegnen: Natürlich ist die Technologie hinsichtlich ihrer Anwendung neutral. Sie fragt nicht, wofür sie genutzt wird. Das aber entbindet kein KI-Unternehmen und politisches Entscheidungsorgan von seiner Verantwortlichkeit. In China ist die Politik für die Totalüberwachung verantwortlich, nicht aber die hervorragende Technik von Huawei oder kreative Start-Ups. Viele Staaten der Welt nutzen mittlerweile chinesische Überwachungs-technologie. Die Sicherheit der 40.000 gut betuchten Einwohner Monacos wird von 520 Videokameras gewährleistet, die sehr aktuell mit G5- Technologie von Huawei nachgerüstet wurden.
China ist ein mahnendes Beispiel für eine KI-Praxis, die den Big Brother aus George Orwells Roman „1984“ real machte. Laut CNBC (Consumer News and Business Channel), einer NBC-Tochter), überwachen 200 Millionen Überwachungskameras das beobachtbare Leben der Menschen. 1,4 Millionen Staatsbürger sind in einer Gesichtserkennungs-Datenbank gespeichert (CNBC 16. Mai 2019). Im „Reich der Mitte“ kann es keinen KI basierten Angriff auf die Demokratie geben, da es keine Demokratie gibt. Außerdem scheinen die Chinesen im Einklang mit ihrer Überwachung zu leben. Sie entspricht ihrem Bedürfnis nach Sicherheit und Ordnung.
Neoliberale Forderungen nach Entstaatlichung des Internets und die Praxis der sogenannten „Frightful Five“ (Apple, Google, Amazon, Microsoft, Facebook) zwingen zum Nachdenken über das Verhältnis von KI und Demokratie. Ist es einem Rechtsstaat förderlich, wenn, so wie im US-Wahlkampf 2017, über eine Milliarde Dollar für KI-basierte Wählerbeeinflussung ausgegeben wird? Sind Googles Aufwendungen für Lobbyismus in Höhe von 18 Millionen Dollar demokratiekonform? Die Washington Post attestiert Google eine Meisterschaft in der politischen Einflussnahme und in Sachen Raffinesse. Die New York Times zitiert Barry Lynn, einen der renommiertesten Wissenschaftler im Bereich digitaler Monopole: „Google wirft sowohl in Washington wie auch in Brüssel aggressivst mit Geld um sich, um an den Drähten zu ziehen“7. Obama war 2008 einer der Nutznießer. Googles CEO ließ ihm 250 Millionen Daten von Wahlberechtigten für sogenanntes Mikrotargeting zukommen. Das ist eine internetbasierte Kommunikationsstrategie, bei der Wählern personalisierte Werbebotschaften unterschwellig überbracht werden, ohne dass sie als Werbung erkannt werden. In sozialen Netzwerken oder Datenbanken zugängliche Daten werden gesammelt, beispielsweise Bildungsabschlüsse, die Automarke oder Mitgliedschaften, in Kategorien eingeordnet, um potenzielle Wähler unter Zuhilfenahme von KI per E-Mail, postalisch oder per Telefonbot gezielt anzusprechen. Die Macher im Hintergrund produzieren individuelle Wahlversprechen. Solche Posts stärken oder schwächen Meinungen und Vorlieben von Menschen. Zugleich verschwimmt bei politischen Botschaften die Grenze zwischen politischer Werbung und journalistischen Inhalten in sozialen Netzwerken.
Diese Praxis ist wenig demokratiefördernd, denn Demokratie beruht auf Interessenbündelung und -ausgleich. Im Digitalen schwindet die allgemeine politische Öffentlichkeit. Auch wird erkennbar, dass sich das Wahlverhalten von Menschen ebenso beeinflussen lässt wie das Konsumverhalten. Googles Geldfluss in die Kassen der Demokratischen Partei war renditeträchtig. Nach Obamas Wahlsieg brachten 296 Personen ihr Wissen und ihre Kontakte aus dem Regierungsapparat in die Googlesphäre ein. 61 wechselten von Google in umgekehrte Richtung, davon 31 direkt ins Weiße Haus oder zu Institutionen, die für den Suchmaschinenriesen von unmittelbarer Relevanz waren.
Die Bundesorganisationen der im deutschen Bundestag vertretenen Parteien gaben in den drei Monaten vor der Bundestagswahl 2021 rund 4,7 Millionen Euro für Mikrotargeting bei Facebook, YouTube und Google aus, allen voran die Grünen. Im August 2021 konnten zwei deutsche Publizisten im Zusammenwirken mit DIE PARTEI aufzeigen, wie das Geschäft des Mikrotargeting funktioniert. Englische IT-Unternehmen, Kanto Systems und Century Media boten ihre Dienste an, so wie seinerzeit für Cambridge Analytica. Diese Unternehmen konnten beste Referenzen zu gewonnenen Wahlen in Pakistan, Jordanien und im Irak vorweisen. Den angeblichen Interessenten aus Deutschland wurde eine Datenbank mit „psychografischen Profilen“ deutscher Wähler präsentiert. Diese könnte Mikrobotschaften zu jedem erdenklichen Thema generieren und versenden. 815.000 Euro verlangt New Century Media für den Einstieg in den deutschen Digitalwahlkampf. Wissenschaftler, die solche Einflussnahmen im Graubereich des Wahlkampfes untersuchen forderten die Parteien wiederholt, darauf zu verzichten und bekannt zu machen, welche Agenturen engagiert wurden. Twitter und TikTok erlauben keine politische Werbung auf ihren Plattformen.
Die individuelle Passgenauigkeit basiert auf dem Profiling, dass über den Nutzer aufgrund seiner Internetnutzung erstellt wird. Ein Obama Berater hierzu: „Wir wussten schon, für wen… die Leute stimmen würden, bevor sie sich entschieden hatten.“8 Obamas Wahlkampfleitung kannte „Name, Anschrift, Rasse, Geschlecht und Einkommen jedes einzelnen unschlüssigen Wählers im Land, den es zu überreden galt, für Obama zu stimmen“, schrieb die New York Times. So kann es sein, dass eine Facebookseite auf den männlichen Nutzer namens Miller abgestimmte Werbeinhalte enthält, aber andere Botschaften für die Nutzerin Müller. Obamas Wahlerfolg beweist dessen Wirkung. Filter Bubbles und Echokammern verstärken die Wirkung des Mikrotargetings. Hierbei wird die eigene politische Meinung immer wieder bestätigt und dadurch verstärkt, dass Algorithmen entgegengesetzte Meinungen herausfiltern. Allerdings bezweifeln Studien die Wirkung solcher Algorithmen.