Die Katze, die für Käse schwärmte - Band 18 - Lilian Jackson Braun - E-Book
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Die Katze, die für Käse schwärmte - Band 18 E-Book

Lilian Jackson Braun

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Beschreibung

Spürnase auf Abwegen! „Die Katze, die für Käse schwärmte“ von Bestsellerautorin Lilian Jackson Braun jetzt als eBook bei dotbooks. Die Bewohner von Pickax fiebern dem großen Gourmet-Festival entgegen, doch kurz vor der Eröffnungsfeier wird das verschlafene Örtchen von einer Explosion erschüttert. Im einzigen Hotel der Stadt ist eine Bombe hochgegangen – hat die geheimnisvolle Fremde, die dort abgestiegen ist, womöglich etwas damit zu tun? Natürlich stürzt sich der ehemalige Polizei-Reporter Jim Qwilleran sofort in die Ermittlungen. Doch diesmal scheint er sich auf die besondere Spürnase seines Siamkaters Koko nicht verlassen zu können. Denn Koko hat plötzlich seine Leidenschaft für Käse entdeckt – und nichts anderes mehr im Sinn. Kann Jim den Fall auch ohne seine Hilfe lösen? „Der Handlungsverlauf ist so anspruchsvoll entworfen worden, dass er nicht nur Katzen-Liebhabern gefällt.“ The Times Die Krimi-Serie mit Suchtpotenzial! Der achtzehnte Fall für Reporter Jim und Siamkater Koko – jetzt als eBook kaufen und genießen: „Die Katze, die für Käse schwärmte“ von Lilian Jackson Braun. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 348

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Über dieses Buch:

Die Bewohner von Pickax fiebern dem großen Gourmet-Festival entgegen, doch kurz vor der Eröffnungsfeier wird das verschlafene Örtchen von einer Explosion erschüttert. Im einzigen Hotel der Stadt ist eine Bombe hochgegangen – hat die geheimnisvolle Fremde, die dort abgestiegen ist, womöglich etwas damit zu tun? Natürlich stürzt sich der ehemalige Polizei-Reporter Jim Qwilleran sofort in die Ermittlungen. Doch diesmal scheint er sich auf die besondere Spürnase seines Siamkaters Koko nicht verlassen zu können. Denn Koko hat plötzlich seine Leidenschaft für Käse entdeckt – und nichts anderes mehr im Sinn. Kann Jim den Fall auch ohne seine Hilfe lösen?

»Der Handlungsverlauf ist so anspruchsvoll entworfen worden, dass er nicht nur Katzen-Liebhabern gefällt.« The Times

Über die Autorin:

Lilian Jackson Braun (1913–2011) wurde in Massachusetts geboren. Nach der Highschool arbeitete sie als Journalistin und in der Werbebranche, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Romanen widmete. Ihre Katzenkrimis wurden in 16 Sprachen übersetzt und standen regelmäßig auf der »New York Times«-Bestsellerliste.

Bei dotbooks erscheinen alle Bände der Erfolgsserie. Eine vollständige Übersicht finden Sie am Ende dieses eBooks.

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eBook-Neuausgabe November 2016

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1996 by Lilian Jackson Braun

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel »The Cat who said cheese«.

Copyright © der deutschen Ausgabe 1997 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Forewer (Katze),Volhah (Stadt)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-880-9

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Lilian Jackson Braun

Die Katze, die für Käse schwärmte

Kriminalroman

Aus dem Amerikanischen von Christine Pavesicz

dotbooks.

Kapitel 1

In jenem Jahr der Überraschungen war der Herbst in Moose County, vierhundert Meilen nördlich vom Rest der Welt, besonders schön. Nicht nur weil die meisten Sommerurlauber heimgefahren waren; engagierte Bürgergruppen und begeisterte Feinschmecker hatten sich etwas überaus Köstliches ausgedacht: das Große Gourmet-Festival. Und um dem Ganzen noch die rechte Würze zu verleihen, stieg im Hotel von Pickax City, der Bezirksstadt, eine geheimnisvolle Frau ab. Sie war nicht schön. Sie war nicht mehr blutjung. Sie hielt sich von anderen Menschen fern. Und sie trug immer Schwarz.

Die Leute von Pickax (dreitausend Einwohner) waren von dieser rätselhaften Frau fasziniert. »Haben Sie sie gesehen?« fragten sie einander. »Sie ist jetzt über eine Woche hier. Was glauben Sie, wer sie ist?«

Der Mann an der Hotelrezeption verriet nicht einmal seinen besten Freunden ihren Namen; er sagte, das sei gesetzlich verboten. Was erst recht alle davon überzeugte, daß ihn die geheimnisvolle Frau aus niedrigen Motiven bestochen hatte, denn Lenny Inchpot war nicht gerade der gesetzestreueste Bürger der Stadt.

Also ergingen sie sich weiter über ihren olivfarbenen Teint, ihre sinnlichen braunen Augen und ihr volles dunkles Haar, das die linke Gesichtshälfte fast verdeckte. Doch es blieb die brennende Frage: »Warum wohnt sie in dieser vergammelten Absteige, die jederzeit in Flammen aufgehen kann?« Das war natürlich unfair. Das New Pickax Hotel war zwar düster, aber ehrbar und makellos sauber, und an der Rückwand war eine Feuertreppe. Es gab sogar eine Präsidentensuite, obwohl hier niemals ein Präsident abgestiegen war – nicht einmal ein chancenloser Kandidat für ein Amt auf Bundesstaatenebene. Aber es war noch nie vorgekommen, daß jemand länger als eine oder höchstens zwei Nächte dort wohnte, und die Angestellten von Reisebüros im ganzen Land wurden von der Beschreibung in ihrem Hotelverzeichnis beeinflußt:

NEW PICKAX HOTEL, Entfernung vom Flughafen von Moose County: 18 Meilen; 20 Zimmer, einige mit eigenem Bad; Präsidentensuite mit Telefon und TV; Hochzeitssuite mit rundem Bett. Zweistöckiges Gebäude mit Aufzug, häufig außer Betrieb. Außenfassade wie ein Gefängnis, innen düster; Baujahr zirka 1935. Gemeinschaftsräume ungewöhnlich ruhig, Einrichtung aus der Zeit der Wirtschaftskrise. Eingangshalle und Speisesaal beengt; keine Bar; kleiner, reizloser Ballsaal im Untergeschoß. Schlafzimmer einfach, aber sauber; Matratzen ziemlich neu; Beleuchtung düster. Metallene Feuertreppe an der hinteren Hausmauer; Zimmer mit Fenstern sind für den Notfall mit Seilen ausgestattet. Frühstücksbüfett, mittags Tagesgerichte, Abendessen mittelmäßig, Bier und Wein. Keine Spirituosen. Kein Zimmerservice. Rezeption nur bis 23 Uhr besetzt. Preise: mittel bis niedrig. In Krankenhausnähe.

Geschäftsreisende stiegen für eine Nacht im New Pickax Hotel ab, weil es in der ganzen Stadt sonst keine andere Übernachtungsmöglichkeit gab. Leute, die zu einem Begräbnis in die Stadt kamen, waren aufgrund der ungünstigen Flugpläne manchmal gezwungen, zwei Nächte zu bleiben. Im Speisesaal herrschte Grabesstille, weil die Geschäftsreisenden allein an einem Tisch saßen und ihre Fachbroschüren lasen, während sie auf das Hacksteak mit gedünsteten Karotten warteten. Manchmal konnte man Gabeln klappern hören, wenn die auswärtigen Trauergäste leise die Erbsen in ihrer Hühnerragout-Pastete zählten. Und jetzt saß in einer Ecke am anderen Ende des Speisesaales auch noch eine Frau in Schwarz, die mit einem Glas Wein und einer zu Tode gekochten Gemüseplatte spielte.

Ein Bewohner von Pickax, der sich über sie Gedanken machte, war Journalist – ein großer, gutaussehender Mann mit attraktiven grauen Strähnen im Haar, mit traurigen Augen und einem üppigen graumelierten Schnurrbart. Sein Name war Jim Qwilleran; seine Freunde nannten ihn Qwill, und die Leute in der Stadt sprachen ihn freundlich und respektvoll mit Mr. Qwilleran an. Er schrieb zweimal die Woche eine Kolumne für den Moose County Dingsbums, war aber einst im Süden unten – wie man im lokalen Sprachgebrauch die städtischen Gebiete im Süden nannte – ein preisgekrönter Polizeireporter gewesen. Eine unerwartete Erbschaft hatte ihn in den Norden geführt und mit dem Kleinstadtleben bekannt gemacht – eine außergewöhnliche Erfahrung für einen Mann aus Chicago.

Jung und alt, Männer wie Frauen, alle bewunderten Qwilleran – nicht nur weil er seine milliardenschwere Erbschaft wohltätigen Zwecken zugeführt hatte. Seine Bewunderer schätzten, daß er ein einfacher Mensch geblieben war: Er fuhr ein kleines Auto, tankte es selbst voll und wusch selbst die Windschutzscheibe, er ging zu Fuß durch die Stadt und fuhr mit dem Fahrrad durch die Gegend. Als Journalist war er an den Menschen, die er interviewte, ernsthaft interessiert. Er reagierte höflich, wenn Fremde seinen Schnurrbart erkannten und ihn auf der Straße oder im Supermarkt begrüßten. Verständlicherweise hatte er im ganzen Bezirk viele Freunde gewonnen, und daß er allein lebte – in einer Scheune, mit zwei Katzen –, war eine Schrulle, die sie zu akzeptieren gelernt hatten.

Qwillerans Mitbewohner waren keine gewöhnlichen Katzen, und seine Wohnung war keine gewöhnliche Scheune. Es war eine achteckige, hundert Jahre alte, vier Stockwerke hohe Apfelscheune mit einem beeindruckenden Bruchsteinfundament und einer Kuppel. Um die Scheune als Wohnung nutzen zu können, waren einige architektonische Veränderungen vorgenommen worden. In die Wände waren dreieckige Fenster eingesetzt worden. Der Innenraum war bis zum Dach offen und hatte drei Galerien, die durch spiralförmig verlaufende Rampen miteinander verbunden waren. Und im Erdgeschoß umgaben die Wohnbereiche einen riesigen weißen, würfelförmigen Kamin mit riesigen weißen Rauchabzügen, die zum Dach hinauf gingen. Die Scheune wäre eine Attraktion gewesen, hätte es der Besitzer nicht vorgezogen, zurückgezogen zu leben.

Die beiden Tiere waren elegante Siamkatzen, deren dunkelbraune Extremitäten in auffallendem Kontrast zu ihrem sandfarbenen Körper standen. Der Kater, Kao K’o Kung, wurde Koko gerufen; er war lang, geschmeidig und muskulös, und seine unergründlichen blauen Augen sprühten vor Intelligenz. Seine Gefährtin Yum Yum war klein und zart und hatte blauviolette Augen, die groß und herzzerreißend dreinschauen konnten, wenn sie auf einem Schoß sitzen wollte. Doch dieses anmutige Geschöpf konnte auch durchdringend kreischen, wenn eine Mahlzeit überfällig war.

Eines donnerstags morgens im September saß Qwilleran hinter verschlossenen Türen in seiner Privatsuite auf der ersten Galerie, dem einzigen Ort in der Scheune, zu dem die Katzen absolut keinen Zutritt hatten. Er versuchte, tausend Worte für seine Freitagskolumne, ›Aus Qwills Feder‹, zu schreiben.

Emily Dickinson, wir brauchen dich!

»Ich bin niemand. Wer sind Sie?« sagte diese produktive amerikanische Dichterin.

Ich sage: »Gott schenke uns Niemande! Dieses Land braucht weniger Berühmtheiten und mehr Niemande, die ein ganz normales Leben führen, sich tapfer durchschlagen, ein bißchen Gutes tun, ein paar Freuden genießen und deren Namen oder Gesichter niemals, niemals in die Zeitung oder ins Fernsehen kommen.«

»Yau!« beschwerte sich ein Bariton vor der Tür, gefolgt von einem Sopran, der kreischte: »M-m-mach!«

Qwilleran sah auf die Uhr. Es war zwölf Uhr, Zeit für ihren mittäglichen Leckerbissen. Genaugenommen war es drei Minuten nach zwölf, und sie waren sauer wegen der Verzögerung.

Er riß die Tür des Arbeitszimmers auf und stand vor zwei entschlossenen Beschwerdeführern. »Ich würde nicht sagen, daß ihr zwei verwöhnt seid«, schalt er sie. »Ihr seid nur zwei Tyrannen, die nichts anderes als Essen im Kopf haben.« Während sie mit hoch erhobenem Schwanz über die Rampe zur Küche hinunterflitzten, nahm er die Abkürzung über eine metallene Wendeltreppe. Trotzdem waren sie vor ihm an ihrem Futterplatz. Er verteilte ein paar Knusperhäppchen auf zwei Teller – getrennte Teller waren Yum Yums neueste Katzenrechtsforderung gewesen, und er konnte ihr keinen Wunsch abschlagen. Die Hände in die Hüften gestützt, stand er da, um ihnen beim Fressen zuzusehen.

Heute hatte sie es sich jedoch anders überlegt. Sie half Koko, seinen Anteil zu fressen; danach widmeten sich beide ihrem Teller.

»Katzen!« murmelte Qwilleran fassungslos. »Ist es euch beiden Autokraten recht, wenn ich jetzt wieder an die Arbeit gehe?«

Von ihrem Mahl gesättigt, ignorierten sie ihn vollkommen und putzten sich hingebungsvoll ihre Gesichtsmasken und Ohren. Er ging hinauf in sein Arbeitszimmer und schrieb einen weiteren Absatz:

Wir sehnen uns nach Helden, die wir bewundern, nach Vorbildern, denen wir nacheifern können, und was bekommen wir? Die Parade reicht von korrupten Politikern, verrückten Exhibitionisten, bösartigen Erbinnen, launenhaften Künstlern, waghalsigen Draufgängern, überbezahlten Sportlern über untalentierte Unterhaltungskünstler zu Leuten, die keine Bücher schreiben können und es trotzdem tun …

Das Telefon unterbrach ihn, und er hob beim ersten Läuten ab. Am anderen Ende war Junior Goodwinter, der Chefredakteur des Moose County Dingsbums. »He, Qwill, gibst du heute nachmittag deinen Freitagsbeitrag ab?«

»Nur falls ich bei all den Unterbrechungen einen einzigen vollständigen Aussagesatz zustande bringen sollte«, fauchte er. »Warum?«

»Wir möchten, daß du an einer Sitzung teilnimmst.« Qwilleran mied Redaktionssitzungen, wann immer er konnte. »Worum geht es?«

»Dwight Somers wird uns über das Große Gourmet-Festival informieren. Er war ein paar Tage bei den führenden Köpfen des Klingenschoen-Fonds in Chicago, und er kommt mit dem Shuttleflug um Viertel nach drei zurück.«

Qwillerans Gereiztheit nahm etwas ab. Er selbst hatte den Klingenschoen-Fonds ins Leben gerufen, um seine geerbten Milliarden unter die Leute zu bringen. Dwight Somers war einer seiner Freunde, ein PR-Mann, der hier lebte, aber gute Kontakte zum Süden unten hatte. »Okay, ich komme.« »Übrigens, wie geht’s Polly?«

»Jeden Tag besser. Sie darf jetzt schon Treppen steigen – und sie freut sich darüber, als hätte sie den Nobelpreis gewonnen.« Polly Duncan war eine bezaubernde Frau in seinem Alter und Leiterin der öffentlichen Bücherei von Pickax, jedoch zur Zeit krankgeschrieben.

»Sag ihr, daß Jody und ich uns nach ihr erkundigt haben. Sag ihr, Jodys Mutter hat im Vorjahr einen Bypass bekommen, und es geht ihr blendend!«

»Danke. Das wird sie freuen.«

Qwilleran wandte sich erneut seiner Schreibmaschine zu und hämmerte wieder ein paar Sätze herunter:

Das Sammeln von Niemanden ist ein befriedigendes Hobby. Im Gegensatz zu Diamanten kosten sie nichts, und es gibt auch keine Fälschungen. Im Gegensatz zu Erstausgaben von Dickens sind sie zahlreich vorhanden. Im Gegensatz zu Chippendale-Möbeln nehmen sie keinen Platz im Haus ein.

Wieder läutete das Telefon. Der Anruf kam von der Kanzlei Hasselrich, Bennett & Barter, und Qwilleran stöhnte. Anrufe von Anwälten hatten nie etwas Gutes zu bedeuten.

Die zittrige Stimme des ältesten Teilhabers sagte: »Ich bitte um Verzeihung, Mr. Qwilleran, daß ich Sie bei Ihrer Arbeit störe. Zweifellos bringt Qwills Feder gerade eine weitere hervorragende Kolumne zu Papier.«

»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, erwiderte Qwilleran höflich.

»Sie genießen gewiß diese schönen Herbsttage.«

»Es gibt keine schönere Jahreszeit in Moose County. Und Sie, Mr. Hasselrich?«

»Ich genieße jeden Augenblick und fürchte den Wintereinbruch. Und sagen Sie mir doch bitte, wie geht es Mrs. Duncan?«

»Danke, sie macht gute Fortschritte. Ich hoffe, Mrs. Hasselrich geht es besser.«

»Sie erholt sich langsam, jeden Tag ein bißchen mehr. Kummer ist eine hartnäckige Krankheit der Seele.« Schließlich räusperte sich der Anwalt und sagte: »Ich rufe an, um Sie daran zu erinnern, daß Ende des Monats in Chicago die Jahresversammlung des Klingenschoen-Fonds stattfindet. Mr. Barter wird Sie wie üblich vertreten, doch dachte ich, da Sie noch nie an einer Versammlung teilgenommen haben, wollen Sie ihn vielleicht begleiten. Ich kann Ihnen versichern, Sie wären sehr herzlich willkommen.«

Jahresversammlungen waren für Qwilleran noch schlimmer als Redaktionssitzungen. »Ich danke Ihnen für Ihren Vorschlag, Mr. Hasselrich. Leider kann ich aufgrund von Verpflichtungen in Pickax zu diesem Zeitpunkt nicht hier weg.«

»Ich verstehe«, sagte der Anwalt, »aber ich würde es als Versäumnis betrachten, wenn ich die Einladung nicht Vorbringen würde.«

Nach ein paar weiteren höflichen Worten legte Qwilleran selbstgefällig und zufrieden den Hörer auf; er hatte es wieder einmal geschafft, nicht an einer langweiligen Sitzung der Finanzgenies teilnehmen zu müssen. Als er das Klingenschoen-Vermögen geerbt hatte, war er im Hinblick auf finanzielle Dinge so ahnungslos gewesen, daß er im Lexikon nachsehen mußte, wie viele Nullen eine Milliarde hatte. Reichtum hatte ihn nie interessiert; es machte ihm Spaß, für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten, jede Woche seinen Scheck abzuholen und sparsam zu leben. Als er plötzlich Milliarden besaß, betrachtete er das viele Geld als lästige und unangenehme Bürde. Den riesigen Besitz einer Stiftung zu übergeben war ein Geniestreich gewesen, der es ihm ermöglichte, glücklich und unbelastet zu leben. Er kehrte zu seiner Schreibmaschine zurück:

Wie erkennt man einen Niemand? Man sieht einen Fremden, der anonym eine gute Tat begeht und verschwindet, ohne ein Dankeschön abzuwarten. Jemand, von dem man es nicht erwartet hätte, sagt spontan einen witzigen oder weisen Satz. Ich erinnere mich an einen alten Mann, der mit einem Gehstock im Stadtzentrum von Pickax unterwegs war. Der Wind blies mit fünfundsechzig Stundenkilometern und Böen bis zu neunzig Kilometern pro Stunde. Wir suchten Schutz in einem Hauseingang, und er sagte: »Vor dem Amtsgebäude hat mich der Wind umgeworfen, aber es macht mir nichts aus; er ist schließlich Teil der Natur.«

Als das Telefon zum dritten Mal läutete, meldete sich Qwilleran recht barsch; sein Tonfall änderte sich jedoch, als er die melodische Stimme von Polly Duncan hörte. »Wie geht es dir?« fragte er besorgt. »Ich habe schon einmal angerufen, aber es hat niemand abgehoben.«

»Lynette hat mich zur Herzklinik in Lockmaster gebracht«, sagte sie lebhaft, »und der Arzt ist ganz erstaunt, wie rasch ich mich erhole. Er sagt, das kommt daher, daß ich immer gesund gelebt habe, abgesehen von der Tatsache, daß ich mich zu wenig bewege. Ich muß jetzt jeden Tag Spazierengehen.«

»Gut! Wir werden gemeinsam Spazierengehen«, sagte er. Doch er dachte: Das sage ich ihr schon seit Jahren; auf mich hat sie nicht gehört. »Ich komme heute abend zur üblichen Zeit, Polly. Brauchst du irgend etwas aus dem Kaufhaus?«

»Das einzige, was ich brauche, ist ein gutes Gespräch – nur wir beide. Lynette geht heute aus. À bientôt, Lieber.«

»A bientôt.«

Bevor er sich wieder seiner Abhandlung über Niemande zuwandte, nahm Qwilleran sich einen Augenblick Zeit, um sich über Pollys gute Nachrichten zu freuen. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie sie ihn mitten in der Nacht angerufen und um Hilfe gebeten hatte, an ihren verängstigten Blick, als die Sanitäter sie auf eine Trage legten, wie mulmig ihm im Wartezimmer der Intensivstation zumute gewesen war, und wie lange er in der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses in Minneapolis gewartet hatte. Jetzt genas sie allmählich im Haus ihrer Schwägerin, sehnte sich aber nach ihrer eigenen Wohnung. Er machte sich eine Tasse Kaffee und schrieb dann:

Ich selbst habe schon im Süden unten begonnen, Niemande zu sammeln. Der erste war ein dreizehnjähriger Junge, der für eine achtköpfige Familie kochte. Der nächste war eine Busfahrerin, die bremste, einen anderen Bus anhielt und persönlich einen verwirrten Fahrgast in den richtigen Bus setzte.

Die nächste Störung war ein Anruf von John Bushland, dem Fotografen. »Sag mal, Qwill, erinnerst du dich, wie ich mal versucht habe, deine Katzen in meinem Studio zu fotografieren? Wir bekamen sie nicht mal aus ihrem Tragkorb heraus.«

»Wie könnte ich das vergessen?« erwiderte Qwilleran. »Es war der Kampf des Jahrhunderts – zwischen zwei erwachsenen Männern und zwei entschlossenen Katzen. Wir haben verloren.«

»Also, ich würde es gern noch mal versuchen – in deinem Haus, wenn es dir nichts ausmacht. Es gibt wieder einen Wettbewerb für einen Katzenkalender. In ihrem eigenen Revier würden sie sich wohler fühlen; vielleicht kann ich Schnappschüsse machen.«

»Klar. Wann willst du es versuchen? Bei Tageslicht oder am Abend?«

»Natürliches Licht ist besser für die Augenfarbe. Wie wäre es morgen früh?«

»Komm doch so gegen neun Uhr vorbei«, schlug Qwilleran vor. »Dann sind sie vollgefressen und mit sich und der Welt zufrieden.«

Schließlich schaffte er es, seine Abhandlung auf tausend Worte auszudehnen. Der letzte Absatz lautete:

Eine Warnung an alle, die jetzt anfangen, Niemande zu sammeln: Erwähnen Sie Ihre kostbaren Sammelstücke niemals gegenüber den Medien. Andernfalls werden Ihre besten Stücke über Nacht zu Berühmtheiten, und einen berühmten Niemand gibt es nicht.

Allen Widrigkeiten zum Trotz wurde der Autor von ›Qwills Feder‹ rechtzeitig fertig, um an der Sitzung in der Zeitungsredaktion teilnehmen zu können. Wie immer verabschiedete er sich von den Katzen und sagte ihnen, wohin er ging und wann er zurück sein würde. Je mehr man mit Katzen sprach, davon war er überzeugt, um so klüger wurden sie. Seine beiden Kandidaten für den Mensa-Club hielten jedoch gerade ihr Nachmittagsschläfchen; sie hoben nur benommen den Kopf, warfen ihm einen kurzen, glasigen Blick zu und schliefen weiter.

Er ging zu Fuß in die Innenstadt. In Pickax ging kein Mensch zu Fuß, außer zu einem Fahrzeug auf dem Parkplatz. Qwillerans Gewohnheit, seine Beine zu benutzen statt sein Auto, wurde als exzentrische Schrulle betrachtet – die Art von Macke, die man von jemandem erwarten konnte, der aus dem Süden unten heraufgezogen war. Zuerst ging er in Lois’ Imbißstube, um dort ein Stück Apfelkuchen zu essen.

Die Inhaberin, eine dralle, energische Frau mit zahllosen treu ergebenen Kunden, machte gerade eine kleine Nachmittagspause und plauderte mit den Gästen, die gemächlich ihren Kaffee tranken. Sie redete über ihren Sohn, Lenny, der abends in der Hotelrezeption arbeitete und daneben das neue College, das MCCC, besuchte. Sie redete von seiner Freundin, Anna Marie, die am MCCC eine Ausbildung als Krankenschwester machte und ebenfalls als Teilzeitkraft im Hotel beschäftigt war. Studenten, sagte sie, waren froh, wenn sie stundenweise arbeiten konnten, obwohl der Geizhals, dem das Hotel gehörte, Niedrigstlöhne zahlte und sie nicht einmal versicherte.

Qwilleran, der Lois’ Ausführungen stets unterhaltsam fand, kam gutgelaunt bei der Redaktionssitzung an.

Der Moose County Dingsbums war eine Zeitung im Großformat, die fünfmal in der Woche erschien. Ursprünglich war sie vom Klingenschoen-Fonds subventioniert worden, schrieb aber mittlerweile schwarze Zahlen. Das Redaktionsgebäude war neu. Die Druckerei war hochmodern. Die Belegschaft schien immer gut gelaunt zu sein.

Die Sitzung fand im Konferenzzimmer statt. Die schlichten, holzgetäfelten Wände waren mit gerahmten Belegseiten von denkwürdigen Titelblättern aus der Geschichte des amerikanischen Journalismus geschmückt: Titanic: Der Eisberg war stärker … Krieg in Europa … Kennedy ermordet. Die Redaktionsmitglieder saßen um den großen Teakholz-Konferenztisch herum und tranken Kaffee aus Bechern, die mit witzigen Journalistensprüchen bedruckt waren: »Was du nicht essen kannst, sollst du auch nicht drucken.« … »Der Redaktionsschluß ist zum Ignorieren da.« … »Bösartigkeit ist das Salz des Lebens.«

»Komm rein, Qwill«, sagte der Chefredakteur. »Dwight ist noch nicht da. Da wir nicht gern Zeit vergeuden, erfinden wir gerade Gerüchte über die geheimnisvolle Frau.«

Um den Tisch herum saßen sechs Redaktionsmitglieder:

Arch Riker, der korpulente Verleger und Herausgeber, war seit seiner frühesten Jugend mit Qwilleran befreundet und im Süden unten ebenfalls Journalist gewesen. Jetzt erfüllte er sich seinen Traum, eine Kleinstadtzeitung herauszugeben.

Junior Goodwinters jungenhaftes Gesicht und schmächtige Figur täuschten über seine Bedeutung hinweg; er war nicht nur der Chefredakteur, sondern auch ein direkter Nachkomme der Gründer von Pickax City. In einer Gemeinde vierhundert Meilen nördlich vom Rest der Welt spielte das eine große Rolle.

Hixie Rice, die Leiterin der Anzeigen- und Werbeabteilung, war ebenfalls aus dem Süden unten zugewandert und strahlte nach etlichen Jahren im Hinterland noch immer einen gewissen großstädtischen Schwung und Schick aus.

Mildred Hanstable Riker, die Verfasserin der Haushaltsspalte und Ehefrau des Verlegers, war eine mollige, gutherzige Frau, die aus Moose County stammte und erst vor kurzem von ihrer Tätigkeit als Kunst- und Haushaltslehrerin in den öffentlichen Schulen pensioniert worden war.

Jill Handley, die neue Feuilletonredakteurin, war hübsch und sehr bemüht, fühlte sich jedoch bei ihren neuen Kollegen noch nicht so richtig zu Hause. Sie kam vom Lockmaster Ledger im Nachbarbezirk, wo die Bewohner von Moose County als Barbaren galten.

Wilfred Sugbury, der Sekretär des Verlegers, war ein dünner, drahtiger junger Mann mit einem nüchternen Gesicht, der seinen Job überaus ernst nahm. Er sprang auf und schenkte Qwilleran eine Tasse Kaffee ein. Auf dem Becher stand: »Als ersten killen wir alle Redakteure.«

Ein weiterer Teilnehmer sah vom Aktenschrank aus zu: William Allen, ein großer, weißer Kater, der früher dem Pickax Picayune angehört hatte.

Qwilleran nickte der Reihe nach allen freundlich zu und setzte sich neben das jüngste Redaktionsmitglied. Jill Handley wandte sich ihm ehrfurchtsvoll zu: »O Mr. Qwilleran, ich liebe Ihre Kolumne! Sie schreiben phantastisch!«

Streng antwortete er: »Es ist strikt verboten, für den Dingsbums zu arbeiten, wenn Sie nicht Kaffee trinken, Katzen mögen und mich Qwill nennen.«

»Sie haben Siamkatzen, nicht wahr … Qwill?«

»Grob gesagt, ja. In Wirklichkeit haben sie mich. Was hat Sie veranlaßt, die Zivilisation zu verlassen und in der Wildnis zu arbeiten?«

»Nun, meine Kinder wollten auf die High-School in Pickax gehen, weil sie hier ein größeres Schwimmbecken haben, und mein Mann hat hier oben geschäftlich gute Bedingungen vorgefunden, und ich wollte für eine Zeitung arbeiten, die eine Kolumne wie ›Qwills Feder‹ bringt. Und das ist die Wahrheit!«

»Genug!« sagte der Boß am Kopfende des Tisches. »Wenn Sie weiterreden, wird er gleich eine Gehaltserhöhung verlangen … Und jetzt einen Applaus für unseren Goldmedaillengewinner!«

Alle klatschten, und Wilfred errötete. Er war beim Siebzig- Meilen-Radrennen am Labor Day als erster ins Ziel gekommen. Doch in der Redaktion hatte kein Mensch auch nur gewußt, daß er ein Fahrrad besaß – so bescheiden und auf seine Arbeit konzentriert war er.

Qwilleran sagte: »Herzlichen Glückwunsch! Wir sind alle stolz auf Sie. Ihre Leistungen auf dem Fahrrad sind Ihren Leistungen in der Redaktion ebenbürtig.«

»Danke«, sagte Wilfred. »Ich habe nicht erwartet, daß ich gewinnen würde. Eigentlich habe ich mich nur so aus Spaß angemeldet, aber dann beschlossen, mein Bestes zu geben. Also habe ich den ganzen Sommer hart trainiert. Ich war zuversichtlich, daß ich die gesamte Strecke durchhalten würde, selbst wenn ich als letzter durchs Ziel käme. Aber es lief alles gut für mich, und nach den ersten sechzig Meilen dachte ich auf einmal: He, Junge, du kannst dieses verrückte Rennen gewinnen! Das war zwischen Mudville und Kennebeck, und da waren nur noch ein paar Fahrer vor mir, also habe ich mich bis zur Ziellinie noch ein bißchen mehr angestrengt. Neun Fahrer sind ans Ziel gekommen, und ihnen allen gebührt Anerkennung für eine großartige Leistung. Sie waren genauso gut wie ich, nur lief es bei mir besser – Glück, glaube ich. Ich hoffe, ich kann nächstes Jahr wieder teilnehmen.«

Soviel hatte der stille junge Mann in den ganzen zwei Jahren, die er in der Redaktion arbeitete, nicht gesprochen, und alle Köpfe drehten sich zu ihm und hörten verblüfft zu. Nur Qwilleran fiel darauf etwas ein: »Wir bewundern Ihre Energie und Entschlossenheit, Wilfred.«

Riker räusperte sich. »Während wir auf Mr. Somers warten, der sich verspätet, nehmen wir doch unsere Überlegungen wieder auf.« Dann fügte er mit lauter, scharfer Stimme hinzu: »Wer ist die geheimnisvolle Frau, und was tut sie hier!«

Mildred sagte: »Sie ist immer schwarz gekleidet und sehr verschlossen. Ich glaube, sie hat einen großen Verlust erlitten und ist in Trauer. Sie ist in diese ruhige Stadt gekommen, um mit ihrem Kummer fertig zu werden. Wir sollten ihr Bedürfnis nach Zurückgezogenheit respektieren.«

Qwilleran strich sich über den Schnurrbart, eindeutig ein Zeichen von Interesse. »Kommt sie jemals aus dem Hotel heraus?«

»Klar«, sagte Junior. »Unsere Reporter vor Ort haben gesehen, wie sie in einem Mietauto mit einem Aufkleber vom Flughafen herumgefahren ist, ein dunkelblauer zweitüriger Wagen.«

»Und«, fügte Hixie hinzu – ihr Tonfall ließ wichtige Neuigkeiten erwarten –, »als ich einmal im Black Bear Café einen Anzeigenauftrag abschloß, sah ich sie in der Eingangshalle des Hotels – mit einem Mann! Er trug Anzug und Krawatte, und er hatte eine Aktentasche.«

»Die Sache wird interessant«, sagte Riker. »Ist er eingezogen oder ausgezogen?«

Qwilleran sagte: »Ich habe sie noch nicht gesehen. Sieht sie gut aus? Ist sie jung? Ist sie mondän?«

»Warum gehst du nicht mal ins Hotel essen, Qwill, dann siehst du sie selbst.«

»Nein, danke. Das letzte Mal, als ich dort war, hat mir eine Hühnerbrust Butter auf meine neue Sportjacke gespritzt. Ich habe das als feindseligen Angriff auf die Medien betrachtet.«

Wilfred sagte schüchtern: »Lenny Inchpot hat mir erzählt, sie sehe fremdländisch aus.«

»Sehr interessant«, sagte Junior. »Wir haben eine ausländische Agentin in unserer Mitte, eine Kundschafterin für ein internationales Kartell, das sich hier einnisten und unsere Umwelt verschmutzen will.«

»Oder sie arbeitet als Geheimagentin der Regierung, die prüft, ob sich die Gegend hier für eine Giftmülldeponie eignet«, meinte Riker.

Die neue Mitarbeiterin hörte verwirrt zu und wußte nicht, wie sie auf die mit unbewegter Miene vorgetragenen Mutmaßungen reagieren sollte.

»Oder sie ist ein Besucher aus dem Weltall«, sagte Mildred fröhlich. »In diesem Sommer wurden viele UFOs gesichtet.«

»Ihr seid alle auf dem Holzweg«, erklärte Hixie. »Ich sage, der Mann mit der Aktentasche ist ihr Anwalt, und sie ist Gustav Limburgers heimliche Freundin, die ihm jetzt eine Vaterschaftsklage anhängt.«

Alle lachten, mit Ausnahme von Qwilleran und der neuen Redakteurin. Sie fragte: »Was ist daran so lustig?«

»Gustav Limburger«, erklärte Mildred, »ist ein kleiner, gebeugter, bösartiger, achtzigjähriger Geizhals, der zurückgezogen in Black Creek lebt. Ihm gehört das New Pickax Hotel.«

»Nun, was ist an meiner Theorie auszusetzen?« wollte Hixie wissen. »Er ist reich. Er steht mit einem Fuß im Grab. Er hat keine Familie. Es wäre nicht das erste Mal, daß ein alter Lustmolch etwas mit einer jungen Frau anfängt.«

Wieder lachten alle, und dann klopfte es an der Tür. Dwight Somers trat in den Konferenzraum und sagte: »Ich will auch mitlachen.« Bevor sich der PR-Mann den Vollbart abrasiert hatte, hatte er besser ausgesehen, doch er machte den Mangel an attraktiven Gesichtszügen durch Enthusiasmus und Ausstrahlung wett. Er nickte jedem einzelnen am Tisch zu; Hixie zweimal. »Tut mir leid, daß ich zu spät komme, Leute. Das Flugzeug hat irgendwo über Lockmaster einen Flügel verloren. Als Ursache wird feindliches Feuer vermutet.«

»Kein Problem«, sagte Riker und deutete auf einen Stuhl. »Der Klingenschoen-Fonds wird der Fluggesellschaft einen neuen Flügel kaufen.«

»Willkommen beim Moose County Bumsdings!« sagte Junior, während Wilfred davonflitzte, um ihm Kaffee zu bringen. Sein Becher trug die Aufschrift: »Als erstes killen wir alle PR-Leute.«

Der Herausgeber fragte: »Waren Sie zum ersten Mal in der Zentrale des Klingenschoen-Fonds, Dwight? Ich habe gehört, sie soll sehr beeindruckend sein.«

»Mann! Sie ist überwältigend! Sie sprechen von einem Unternehmen, das vier Stockwerke eines Bürogebäudes im Stadtzentrum von Chicago einnimmt. Der Beraterstab besteht aus Experten für Investitionen, Grundstücksanlagen, Wirtschaftsentwicklung und Philanthropie. Sie alle haben nur ein einziges Ziel: Moose County zu einer Gegend zu machen, in der man gut leben und arbeiten kann, ohne es in eine riesige Stadt zu verwandeln. Sie sind bestrebt, die Strände und Wälder zu erhalten, die Luft und das Wasser sauber zu halten, Branchen zu fördern, die mehr Nutzen als Schaden bringen, und durch gezielte Flächenplanung den Bau von Hochhäusern zu unterbinden.«

»Klingt utopisch. Wird es gelingen?«

»Wenn es gelingt, wird Moose County ein Prototyp für ländliche Gemeinden im ganzen Land werden – das heißt, wenn sie in Wohlstand leben und trotzdem ihre Lebensqualität behalten wollen.«

»Und was ist mit dem Fremdenverkehr?« fragte Junior.

»Bei der Art von Tourismus, der das Wesen der Gemeinde verändert, hält sich der Klingenschoen-Fonds zurück. Sie fördern kleine Landgasthöfe, die gutes Essen anbieten, eine gehobenere Urlauberschicht ansprechen und mit niveauvoller Publicity beworben werden. Für Leute, die preiswert Urlaub machen wollen, unterstützen sie kleine Campingplätze, für die man keine Wälder abholzen muß.«

Irgend jemand fragte nach der Wirtschaftsförderung.

»Jetzt kommen wir zum Thema«, sagte Dwight. »Wenn es eine Branche gibt, die sauber, unentbehrlich und mit einem positiven Image behaftet ist, dann ist das die Lebensmittelbranche! Der Bezirk ist bereits bekannt für Fischfang, Schafzucht und Kartoffelanbau. Jetzt unterstützt der Klingenschoen-Fonds auch Unternehmen wie eine Truthahnfarm und eine Kirschenplantage, Spezialitätenrestaurants und -geschäfte. Beim Großen Gourmet-Festival wird es die verschiedensten Veranstaltungen geben, die alle mit Lebensmitteln zu tun haben.« Er öffnete seine Aktentasche und verteilte Informationsmaterial. »Das Festival wird morgen in einer Woche mit Pauken und Trompeten eröffnet. Noch irgendwelche Fragen?«

Irgend jemand sagte: »Klingt, als könne es ganz lustig werden.«

»Der Trend geht zur Erlebnisgastronomie«, sagte Dwight. »Es gibt hier jede Menge Feinschmecker! Die Leute gehen häufiger essen, sie reden über das Essen, sie kaufen Kochbücher, nehmen an Kochkursen teil, sehen sich Videos über vernünftige Ernährung an, treten Gourmetclubs bei. Es gibt jetzt neue Parfüms auf dem Markt, die nach Vanille riechen, oder nach Himbeeren, Schokolade, Muskatnuß, Zimt …«

Riker sagte: »Ich hätte nichts gegen ein Aftershave, das nach Scotch riecht.«

»Keine Sorge! Das kommt auch noch.«

»Ab nächster Woche«, sagte Junior, »werden wir unsere Haushaltsspalte auf eine ganze Seite erweitern.«

Qwilleran fragte: »Ich vermute, die geheimnisvolle Frau gehört zu einem Werbegag für das Festival.«

»Nein! Ich schwöre es auf einen Berg Kochbücher«, sagte Dwight. Er machte seine Aktenmappe zu. »Leute, ich möchte euch für die Gelegenheit danken, euch in die Aktion einweihen zu können. Ich hoffe, ihr springt ebenfalls auf den Zug auf und wendet euch an mich, wenn ich euch helfen kann.«

»Die Aussicht ist appetitanregend«, sagte Riker. »Wilfred soll uns Hamburger und Bier holen!«

Kapitel 2

Qwilleran war ein geborener Gourmet, den man nicht erst zu überreden brauchte, damit er am Großen Gourmet-Festival teilnahm. Er hoffte, daß er dabei auf neues Material für ›Qwills Feder‹ stoßen würde. Für die zweimal wöchentlich erscheinende Kolumne neue Themen zu finden war nicht einfach, wenn man bedachte, wie klein der Bezirk war und wie lange diese Feder schon im Einsatz war.

Von der Zeitung ging er zu Toodles Supermarkt, um Futter für seine wählerischen Samtpfoten zu kaufen. ›Toodle‹ war in der Lebensmittelbranche ein angesehener alter Name; es hatte ihn schon gegeben, als die Lebensmittelhändler noch ihre eigenen Schweine schlachteten und Tee für einen Penny verkauften. Jetzt hatte der Markt die Größe und den Parkplatz eines Großstadt-Supermarkts, jedoch nicht die hypnotisierende Neonbeleuchtung. Das Fleisch und die anderen Waren wurden von Spots und hellen Glühbirnen beleuchtet, ohne daß sich dabei ihre Farbe veränderte oder Mrs. Toodle davon Kopfschmerzen bekam. Sie war diejenige, die das Geschäft führte, mit tatkräftiger Unterstützung ihrer Söhne, Töchter, Schwiegersöhne, Schwiegertöchter und Enkelkinder. Qwilleran kaufte ein paar Dosen Lachs, Krabbenfleisch, Cocktail-Shrimps und gehackte Muscheln.

Als nächstes schaute er bei Edd’s Editions hinein, einem Antiquariat für Bücher. Hier gab es Tausende Bücher, die aus Hinterlassenschaften in den umliegenden Bezirken zusammengekauft worden waren. Auf den Regalen, auf den Tischen und auf dem Fußboden türmten sich verblichene Bücher, und Eddington Smiths verstaubtes, ältliches Aussehen paßte zu seiner Ware. Auch ein wohlgenährter Langhaarkater namens Winston, der die Räumlichkeiten mit seinem buschigen Schwanz abstaubte, fügte sich harmonisch in die Umgebung ein. In dem Laden herrschte immer ein ganz bestimmter Geruch – nach modrigen Büchern aus feuchten Kellern, den Sardinen, von denen Winston sich ernährte, und der Leber mit Zwiebeln, die Eddington für sich selbst im Hinterzimmer kochte. An jenem Tag war dieser Geruch ungewöhnlich stark, und Qwilleran beschloß, so schnell wie möglich wieder zu gehen.

»Ich brauche etwas für Mrs. Duncan, Edd. Sie liest gern alte Kochbücher. Sie findet sie unterhaltsam.«

»Ich hoffe, es geht ihr besser?«

»Sie hat ihren Humor wiedergewonnen, und das ist ein gutes Zeichen«, sagte Qwilleran, während er hastig drei Regale mit Rezeptbüchern aus zweiter Hand durchsah. Eines war ein vergilbtes Taschenbuch aus dem Jahr 1899 mit dem Titel Köstliche Gerichte für die delikate Bewirtung von Gästen, zusammengestellt vom Damen-Kulturverein von Pickax. Als er es durchblätterte, sah er, daß es Rezepte für Würstchen mit Bohnen, Canapés und ›Mrs. Duncans berühmte Pasteten‹ enthielt. »Ich nehme es«, sagte er und dachte: Vielleicht war das Pollys Schwieger-Urgroßmutter.

Währenddessen packte Eddington einen neu eingetroffenen Karton mit den alten Büchern einer Familie aus, die Milchwirtschaft und eine Käserei betrieb.

Qwilleran entdeckte Die besten Käsesorten der westlichen Welt – ein Kompendium. »Das nehme ich auch«, sagte er. »Wieviel schulde ich Ihnen? Sie brauchen sie nicht einzupacken.« Die Gerüche wurden unerträglich, und er verließ eilig das Geschäft.

Er hatte die Gerüche des Bücherladens noch in der Nase, als er über die Main Street, rund um den Park Circle, über den Theaterparkplatz und auf einem bewaldeten Pfad heim zur Apfelscheune ging. Das Theater, ein prunkvolles Bruchsteingebäude, war einst das Klingenschoen-Herrenhaus gewesen, und das schöne Kutschenhaus dahinter war jetzt eine Garage für vier Autos mit einer Wohnung im ersten Stock. Als Qwilleran den Parkplatz überquerte, lud die Bewohnerin gerade Lebensmittel aus ihrem Auto aus.

»Brauchen Sie Hilfe?« rief er ihr zu.

»Nein, danke. Brauchen Sie Käsemakkaroni?« erwiderte sie und lachte herzlich. Sie hieß Celia Robinson und war eine fröhliche, grauhaarige ältere Dame, die ihn mit selbstgebackenen Speisen versorgte, die er im Tiefkühlschrank aufbewahren konnte.

»Zu Käsemakkaroni sage ich niemals nein«, antwortete er.

»Was ich Sie fragen wollte, Mr. Qwilleran: Was sagen Sie zu der geheimnisvollen Frau im Hotel? Ich glaube, Sie sollten Ermittlungen aufnehmen.« Mrs. Robinson las begeistert Spionageromane, und sie hatte ihm bereits zweimal als seine persönliche Assistentin geholfen, in Angelegenheiten herumzuschnüffeln, die ihm verdächtig vorkamen.

»Diesmal nicht, Celia. Es wurde kein Verbrechen begangen, und der Klatsch über diese Frau ist absurd. Wir sollten uns alle um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern … Und wie steht’s bei Ihnen? Arbeiten Sie noch immer an diesem ›Besuch von Freunden‹-Programm mit?«

»Ich bin noch immer dabei! Sie haben jetzt eine ›Brigade junger Freunde‹ aufgestellt, und ich schule sie – Collegestudenten, die ein bißchen Geld verdienen wollen. Nette junge Leute. Sie können die gehbehinderten und bettlägerigen Patienten sehr gut aufmuntern.« Sie hielt inne und schnupperte forschend. »Haben Sie da Handkäse gekauft?«

»Nein, nur ein Buch über das Thema. Es hat einem Käsehersteller gehört und via Osmose einen gewissen Geruch angenommen.«

»O Mr. Qwilleran! Sie meinen wohl – es stinkt!« Sie lachte über ihre eigene Direktheit.

»Wenn Sie es sagen, Madame«, sagte er mit einer steifen Verbeugung, bei der sie erneut in Lachen ausbrach.

Von hier marschierte er durch den dichten Nadelwald, der die Apfelscheune vom starken Verkehr des Park Circle abschirmte. Als er zur Scheune kam, sah er, daß ihn von einem der oberen Fenster zwei Augenpaare beobachteten. Kaum schloß er die Tür auf, waren sie auch schon da und begrüßten ihn; sie hüpften auf den Hinterbeinen herum und faßten mit den Pfoten an seine Kleidung. Er wußte, das lag weder an seiner unwiderstehlichen Person noch an den Dosen mit Meeresfrüchten. Es war das Buch über Käse! Sie rümpften die Nasen. Sie öffneten den Mund und entblößten ihre Fangzähne. Die Tierärzte nannten das ›flehmen‹. Wie immer es genannt wurde, es war keine schmeichelhafte Reaktion.

Qwilleran schnupperte das Buch über Käse selbst kritisch ab. Celia hatte recht; es roch eindeutig nach überreifem Käse – wie Limburger. Es war viele Jahre her, daß er in Deutschland den Limburger kennengelernt hatte, aber dieser Käse war unvergeßlich. Reif nannten sie es. Penetrant traf es wohl noch besser.

Limburger, das fiel ihm jetzt ein, so hieß auch der alte Mann, den sie bei der Redaktionssitzung so respektlos beschrieben hatten. Er hörte sich nach einem echten Original an. Wie die meisten Journalisten, schätzte Qwilleran Originale sehr; sie waren ein gutes Thema für einen Artikel. Er dachte an seine Interviews mit Adam Dingleberry, Euphonia Gage und Ozzie Penn, um nur ein paar wenige zu nennen. Er machte sich an die Arbeit.

Als erstes verbannte er das Käse-Kompendium in den Werkzeugschuppen, in der Hoffnung, es würde in ein paar Tagen seinen Geruch verlieren. Dann suchte er im Telefonbuch den Teil von Black Creek heraus und wählte eine Nummer. Erst nach langem Läuten hob jemand ab.

Eine quengelige, brüchige Stimme rief: »Wer ist da?«

»Sind Sie Mr. Limburger?«

»Wenn Sie den angerufen haben, dann reden Sie jetzt mit ihm. Was wollen Sie?«

»Ich bin Jim Qwilleran vom Moose County Dingsbums.«

»Ich will die Zeitung nicht abonnieren. Ist zu teuer.«

»Deshalb rufe ich nicht an, Sir. Sind Sie der Besitzer des New Pickax Hotel?«

»Das geht Sie nichts an.«

Qwilleran ließ nicht locker. »Ich würde gerne eine Geschichte über dieses berühmte Hotel schreiben, Mr. Limburger«, sagte er mit liebenswürdiger Stimme.

»Wozu?«

»Es ist seit über hundert Jahren ein Wahrzeichen der Stadt, und unsere Leser würden sich dafür interessieren …«

»Und was wollen Sie wissen?«

»Ich würde Sie gerne besuchen und Ihnen ein paar Fragen stellen.«

»Wann?« fragte der alte Mann mit feindseliger Stimme.

»Wie wäre es mit morgen vormittag so gegen elf Uhr?«

»Wenn ich da bin. Ich bin zweiundachtzig. Ich könnte jederzeit den Löffel abgeben.«

»Ich riskiere es«, sagte Qwilleran freundlich. »Sie klingen gesund.«

»M-m-m-ach!« ertönte ein Schrei ganz nahe an der Sprechmuschel.

»Was’s’n das?«

»Nur ein Tiefflieger. Bis morgen, Mr. Limburger.« Er hörte, wie der alte Mann den Hörer hinknallte und gluckste.

Bevor er Polly besuchte, las Qwilleran sich die Unterlagen über das Große Gourmet-Festival durch. Die Eröffnungsfeierlichkeiten würden sich um einen Gebäudekomplex namens Stables Row konzentrieren. Das war ein steinernes Gebäude von der Länge eines Häuserblocks an einer kleinen Seitenstraße im Zentrum von Pickax. Zur Zeit der Pferdekutschen war es ein Zehn-Cent-Stall gewesen – zehn Cents waren die Stallgebühren für einen Tag inklusive einem Eimer Hafer gewesen. Später war das Gebäude für modernere Zwecke umgebaut worden – es hatte im Laufe der Zeit die verschiedensten Geschäfte, Handwerkerläden und Büros beherbergt. Jetzt sollte es zu neuem, strahlendem Leben erweckt werden. Man hatte große und kleine Ladenflächen renoviert, in denen ein Pastetenlokal, eine Suppenküche, eine Bäckerei, ein Wein- und Käseladen, eine Küchenboutique, eine nostalgische Erfrischungshalle und ein Reformhaus eröffnet werden sollten.

Zu den Höhepunkten des Festivals sollten ein Pasteten- Backwettbewerb, eine Prominenten-Auktion, bei der man ein Abendessen mit einer bekannten Persönlichkeit ersteigern konnte, und eine Reihe von Kochkursen ausschließlich für Männer zählen. Qwilleran wußte, seine Freunde würden versuchen, ihn zur Teilnahme zu überreden, doch er wußte alles, was er über das Kochen wissen wollte – er konnte aus tiefgekühlten Speisen ein perfektes Abendessen zubereiten. Er machte für die Katzen eine Dose Muschelfleisch auf und sagte: »Okay, ihr beiden. Versucht, nichts anzustellen, während ich weg bin. Ich besuche jetzt euren Cousin Bootsie.«

Qwilleran fuhr mit dem Auto zur Pleasant Street, einer Gegend mit viktorianischen Fachwerkhäusern, die reiche Bewohner von Pickax in einer Zeit gebaut hatten, als die Zimmerleute gerade die Laubsäge entdeckt hatten. Die Veranden, die Dachgesimse, die Erkerfenster und Giebel waren so verschwenderisch mit Zierleisten geschmückt, daß die Pleasant Street den Spitznamen ›Zuckerbäcker-Straße‹ erhalten hatte. Hier hatten Pollys unverheiratete Schwägerin, die letzte gebürtige Duncan, das Haus ihrer Vorfahren geerbt, und hier war Polly zu Gast, um sich zu erholen.

Nach seiner Ankunft ging Qwilleran langsam den Weg zur Eingangstür hinauf und betrachtete verblüfft die architektonischen Exzesse. Er merkte nicht, daß ihn Bootsie, Pollys heißgeliebter Siamkater, von einem der Vorderfenster aus beobachtete. Die beiden waren Konkurrenten in bezug auf Pollys Zuneigung; sie hatten nie auf freundschaftlichem Fuß gestanden, schafften es aber, eine Art spannungsgeladene Waffenruhe zu halten. Qwilleran drehte einen Knopf an der Eingangstür, der in der Eingangshalle eine Glocke ertönen ließ, und Polly tauchte in einem hauchdünnen blauen Gewand auf. Sie trug einen weiten Kaftan, den er ihr zur Genesung geschenkt hatte.

»Polly! Du siehst wunderbar aus!« rief er. Es war schlimm gewesen, sie ganz blaß und lustlos zu sehen. Jetzt funkelten ihre Augen, und ihr gewinnendes Lächeln war wieder da.

»Dazu bedarf es bloß eines guten Befundes und etwas Rouge und Lidschatten«, sagte sie fröhlich. »Heute war Brenda hier und hat mir die Haare gemacht.«

Sie hielten sich in einer leidenschaftlichen Umarmung fest, bis Bootsie protestierte.

»Lynette ist heute abend in ihrem Bridgeclub gegangen, also steht einem Tête-à-tête bei Tee und Plätzchen nichts mehr im Wege. Die Diätassistentin im Krankenhaus hat mir ein Rezept für Plätzchen ohne Zucker, ohne Butter, ohne Eier und ohne Salz gegeben.«

»Klingt köstlich«, sagte er trocken.

Sie gingen in den Salon, den etliche Generationen von Duncans im Stil des neunzehnten Jahrhunderts belassen hatten – mit Samtvorhängen, fransenbesetzten Lampenschirmen, Bildern in reichverzierten Rahmen und mehreren Lagen von Teppichen. Ein runder Lampentisch trug einen Überwurf, der bis zum Boden reichte, und als Qwilleran sich auf einen Sessel setzen wollte, sauste unter diesem Überwurf ein fünfzehn Pfund schweres Geschoß hervor und knallte gegen seine Beine.

»So ein schlimmer Kater!« schalt Polly eher liebevoll als tadelnd. »Er hat nur gespielt«, erklärte sie Qwilleran.

Aber sicher, dachte er.