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Ein mysteriöser Fall für Jim und Kater Koko: „Die Katze, die rot sah“ von Bestsellerautorin Lilian Jackson Braun jetzt als eBook bei dotbooks. Jim Qwilleran und seine aufgeweckten Siamkatzen Koko und Yum Yum finden eine neue Bleibe: In der ungewöhnlichen Pension für Künstler jeder Art fühlen sich der Journalist und seine vierbeinigen Mitbewohner sofort wohl – zumindest bis kurz nach ihrem Einzug die attraktive Töpferin aus dem Hinterhaus als vermisst gemeldet wird. Als ehemaliger Polizei-Reporter ahnt Jim, dass ihr Verschwinden nichts Gutes verheißt. Zum Glück kann er sich bei der Aufklärung des Falls auf Kokos und Yum Yums feine Spürnasen verlassen … „Dieser skurrile und fesselnde Krimi packt den Leser – eine lebendige, witzige Geschichte mit fein präzisierten Charakteren!“ Publishers Weekly Die Krimi-Serie mit Suchtpotenzial! Der vierte Fall für Reporter Jim und Siamkater Koko – jetzt als eBook kaufen und genießen: „Die Katze, die rot sah“ von Lilian Jackson Braun. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 284
Über dieses Buch:
Jim Qwilleran und seine aufgeweckten Siamkatzen Koko und Yum Yum finden eine neue Bleibe: In der ungewöhnlichen Pension für Künstler jeder Art fühlen sich der Journalist und seine vierbeinigen Mitbewohner sofort wohl – zumindest bis kurz nach ihrem Einzug die attraktive Töpferin aus dem Hinterhaus als vermisst gemeldet wird. Als ehemaliger Polizei-Reporter ahnt Jim, dass ihr Verschwinden nichts Gutes verheißt. Zum Glück kann er sich bei der Aufklärung des Falls auf Kokos und Yum Yums feine Spürnasen verlassen …
»Dieser skurrile und fesselnde Krimi packt den Leser – eine lebendige, witzige Geschichte mit fein präzisierten Charakteren!« Publishers Weekly
Über die Autorin:
Lilian Jackson Braun (1913–2011) wurde in Massachusetts geboren. Nach der Highschool arbeitete sie als Journalistin und in der Werbebranche, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Romanen widmete. Ihre Katzenkrimis wurden in 16 Sprachen übersetzt und standen regelmäßig auf der »New York Times«-Bestsellerliste.
Bei dotbooks erscheinen alle Bände der Erfolgsserie. Eine vollständige Übersicht finden Sie am Ende dieses eBooks.
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eBook-Neuausgabe August 2016
Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1988 Lilian Jackson Braun
Die amerikanische Originalausgabe erschien 1988 unter dem Titel »The Cat Who Saw Red«.
Copyright © der deutschen Ausgabe 1992 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach
Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Forewer und Sashkin
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3-95824-832-8
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Lilian Jackson Braun
Die Katze, die rot sah
Kriminalroman
Aus dem Amerikanischen von Christine Pavesicz
dotbooks.
Jim Qwilleran sank auf einen Stuhl im Speisesaal des Presseklubs. Trotz seiner Länge von einem Meter achtundachtzig sah er aus wie ein Häufchen Elend, was durch seinen traurig herabhängenden, überdimensionalen Schnurrbart noch verstärkt wurde.
Daß er deprimiert war, hatte nichts mit den Getränkepreisen an der Bar zu tun, die um zehn Cents gestiegen waren. Es hatte auch nichts mit der trüben Beleuchtung zu tun, ebensowenig mit der düsteren Holztäfelung oder mit dem Montagsmief, in dem sich der freitägliche Fischgeruch und der Geruch des Biers vom Samstag sozusagen mit der Ausdünstung des alten Gebäudes vermischte, das einst das Bezirksgefängnis gewesen war. Der Grund für Qwillerans Niedergeschlagenheit war wesentlich schwerwiegender.
Der preisgekrönte Feuilletonredakteur des Daily Fluxion, der mehr als jeder andere Mitarbeiter der Zeitung ein Pfund schwere Steaks und Apfelkuchen mit Eiskrem schätzte, las mit Entsetzen und Bestürzung ein abstoßend grünliches Blatt Papier, auf dem eine Liste stand.
Arch Riker, der Leiter der Feuilletonredaktion des Fluxion, der ihm am Tisch gegenübersaß, sagte: »Was eßt ihr denn heute? Ich sehe, es gibt Kartoffelpuffer.«
Qwilleran starrte weiter auf das grüne Blatt Papier und rückte seine neue Lesebrille auf der Nase zurecht, als könne er nicht glauben, daß das, was er mit ihrer Hilfe las, tatsächlich dort stand.
Odd Bunsen, der Fotograf des Fluxion, zündete sich eine Zigarre an. »Ich nehme Erbsensuppe und Rippchen mit Röstkartoffeln. Aber vorher möchte ich einen doppelten Martini.«
Schweigend las Qwilleran die unglaubliche Liste zu Ende und begann dann nochmals von oben:
KEINE KARTOFFELN
KEIN BROT
KEINE GEBUNDENEN SUPPEN
KEINE GEBRATENEN SPEISEN
Riker, der das gemütliche, gut gepolsterte Äußere eines Redakteurs hatte, der am Schreibtisch arbeitet, sagte: »Ich möchte etwas Leichtes. Huhn und Knödel, denke ich, und Krautsalat mit saurer Sahne. Was nimmst du, Qwill?«
KEINE SOSSEN
KEINE SAURE SAHNE
KEINE DESSERTS
Qwilleran wand sich auf seinem Stuhl und grinste seine Kollegen säuerlich an: »Ich nehme Hüttenkäse und ein halbes Radieschen.«
»Du mußt krank sein«, sagte Bunsen.
»Doc Beane hat gesagt, ich muß dreißig Pfund abnehmen.«
»Nun ja, du kommst jetzt in das Alter, wo man aus dem Leim geht«, meinte der Fotograf fröhlich. Er war jünger und dünner und konnte es sich leisten, die Sache philosophisch zu sehen.
Abwehrend strich Qwilleran über den buschigen schwarzen Schnurrbart, der schon merklich grau meliert war. Er nahm die Brille ab, klappte sie behutsam zusammen und verstaute sie in seiner Brusttasche.
Riker, der ein Brötchen mit Butter bestrich, machte ein besorgtes Gesicht. »Wieso bist zu zum Arzt gegangen, Qwill?«
»Ein Tierarzt hat mich hingeschickt.« Qwilleran kramte nach seinem Tabakbeutel und begann seine Pfeife mit dem schwungvoll gebogenen Stiel zu stopfen. »Weißt du, ich war mit Koko und Yum Yum beim Tierarzt, um ihre Zähne reinigen zu lassen. Habt ihr je versucht, das Maul einer Siamkatze aufzumachen? Sie betrachten das als eine ungeheuerliche Verletzung ihrer Privatsphäre.«
»Ich wünschte, ich wäre mit einer Filmkamera dabeigewesen«, sagte Bunsen.
»Als Koko merkte, was wir vorhatten, verwandelte er sich in eine Art Wirbelsturm aus Fell. Der Tierarzt hatte ihn am Genick, ein Assistent packte ihn an den Beinen, und ich hielt ihn am Schwanz fest, doch Koko stülpte sich regelrecht um. Im nächsten Augenblick war er vom Tisch herunter und lief auf den Raum mit den Zwingern zu. Zwei Tierärzte und ein Tierpfleger jagten ihn um die Käfige herum. Die Hunde bellten, die Katzen drehten durch, die Menschen schrien! Koko landete auf der Klimaanlage. Dort oben saß er dann, in zweieinhalb Meter Höhe, und schimpfte auf uns herab. Und wer noch nie von einer Siamkatze ausgeschimpft worden ist, der weiß nicht, was gotteslästerliches Fluchen heißt!«
»Ich weiß«, sagte Bunsen. »Dieser Kater hat eine Stimme wie eine Rettungssirene!«
»Nach dieser Episode war ich vollkommen fertig, und der Tierarzt sagte, ich hätte eine ärztliche Durchuntersuchung dringender nötig als die Katzen eine Zahnreinigung. Ich war in letzter Zeit recht kurzatmig, also folgte ich seinem Rat und ging zu Doc Beane.«
»Wie habt ihr den Kater herunterbekommen?«
»Wir sind weggegangen und haben ihn oben sitzenlassen, und bald darauf kam er in den Behandlungsraum geschlendert, sprang auf den Tisch und gähnte.«
»Eins zu null für Koko«, meinte Riker. »Und was hat das Weibchen die ganze Zeit über gemacht?«
»Yum Yum saß in ihrem Transportkorb und wartete, bis sie drankam.«
»Und kringelte sich vermutlich vor Lachen«, sagte Bunsen.
»Das ist also die Geschichte«, schloß Qwilleran. »Und deshalb bin ich jetzt auf diese elende Diät gesetzt.«
»Das hältst du nie durch.«
»O ja, ich werde durchhalten! Ich habe mir von einem Teil des Preisgeldes eine Badezimmerwaage gekauft – eine schöne alte Personenwaage aus einer Landarztpraxis in Ohio.«
Qwilleran hatte bei einem Autorenwettbewerb des Daily Fluxion 1000 Dollar gewonnen, und die gesamte Belegschaft war gespannt, wofür der sparsame Junggeselle das Geld ausgeben würde.
»Was hast du mit dem Rest der Moneten gemacht?« fragte Riker mit mildem Sarkasmus. »Hast du sie deiner Ex-Frau geschickt?«
»Ich habe Miriam ein paar hundert Dollar geschickt, mehr nicht.«
»Du Trottel!«
»Sie ist krank.«
»Und deine Schwiegereltern sind reich«, erinnerte ihn Arch. »Du solltest dir ein Auto kaufen – oder ein paar Möbel, damit du mal in eine anständige Wohnung ziehen kannst.«
»Meine Wohnung in Junktown ist schon okay.«
»Ich meine, du solltest wieder heiraten – auf ein Häuschen in einem Vorort sparen – seßhaft werden.«
Allein bei der Vorstellung bekam Qwilleran Magenschmerzen. Als die drei nach dem Mittagessen in die Redaktion zurückgingen, hatte er noch immer Magenschmerzen, und zwar aus mehreren Gründen. Erstens konnte er Hüttenkäse nicht ausstehen. Zweitens hatte ihm Riker während der ganzen Mittagspause sanft, aber beharrlich zugesetzt, und Qwilleran hatte es ihm durchgehen lassen, weil sie alte Freunde waren. Und drittens fühlte er sich nicht wohl in seiner Haut, weil er am Nachmittag einen Termin mit dem Chefredakteur hatte. Wenn einen der Chef sprechen wollte, bedeutete das gewöhnlich nichts Gutes, und außerdem ging ihm der Mann selbst mit seiner aufgesetzten Kumpelhaftigkeit, die er ein- und ausschaltete, je nachdem, wie es ihm gerade am zweckdienlichsten schien, auf die Nerven. Zur vereinbarten Zeit meldete sich Qwilleran, begleitet von Riker, seinem unmittelbaren Vorgesetzten, im Büro des Chefredakteurs.
»Nur herein, Arch. Nur herein, Qwill«, sagte der Chefredakteur mit der honigtriefenden Stimme, die er sich für besondere Anlässe aufhob. »Habt ihr beide gut gespeist? Ich habe euch im Klub beim Schlemmen gesehen.«
Qwilleran brummte.
Der Chef lud sie mit einer Geste ein, Platz zu nehmen, und setzte sich selbst in seinen imposanten Chefsessel. Er strahlte vor Großmut. »Qwill, wir haben eine neue Aufgabe für Sie«, sagte er, »und ich denke, sie wird Ihnen gefallen.«
Qwillerans Gesicht blieb ausdruckslos. Das würde er erst glauben, wenn er die Einzelheiten gehört hatte.
»Qwill, alle hier halten Sie anscheinend für den besten Esser in der ganzen Belegschaft, und das allein qualifiziert Sie schon für die neue Stelle, die wir schaffen. Außerdem wissen wir, daß Sie uns den kraftvollen Stil liefern können, um den wir bei dieser Zeitung ständig bemüht sind. Ab jetzt, mein Freund, sind Sie für die neue Feinschmeckerspalte zuständig.«
»Worum geht es denn dabei?« fragte er schroff.
»Sie sollen eine regelmäßige Kolumne über die Freuden des guten Essens und Trinkens schreiben. Sie sollen in den besten Restaurants essen – auf Spesen, natürlich. Der Fluxion zahlt die Spesen für zwei Personen. Sie können einen Gast mitnehmen.« Der Chefredakteur hielt inne und wartete auf irgendeinen Ausdruck der Freude.
Qwilleran schluckte nur und starrte ihn an.
»Nun, wie klingt das, Qwill?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Qwilleran langsam. »Wissen Sie, ich trinke jetzt seit zwei Jahren keinen Alkohol mehr… und heute habe ich mit einer kalorienarmen Diät angefangen. Doc Beane sagt, ich soll dreißig Pfund abnehmen.«
Die Verblüffung des Chefs währte nur einen Sekundenbruchteil. »Selbstverständlich brauchen Sie nicht alles zu essen«, sagte er. »Kosten Sie einfach nur dies und das, und arbeiten Sie mit Phantasie. Sie kennen sich ja aus in diesem Geschäft. Unsere Haushaltsredakteurin kann kein Ei kochen, aber sie macht die beste Rezeptseite im ganzen Land.«
»Also…«
»Ich sehe keinen Grund, warum Sie es nicht übernehmen können.« Das Wohlwollen des Chefredakteurs war erschöpft, und er schlüpfte wieder in seine übliche Rolle des vielbeschäftigten Managers.
»Wir wollen am nächsten Montag mit der Spalte beginnen und als Einstieg in der Sonntagsausgabe einen Artikel über Sie bringen – mit Ihrem Bild und einem kurzen Lebenslauf. Arch sagt. Sie waren schon in Restaurants in ganz Europa.«
Qwilleran wandte sich zu seinem Freund. »Hast du davon gewußt, Arch?«
Der Leiter der Feuilletonredaktion nickte schuldbewußt. Er sagte: »Laß dir den Schnurrbart stutzen und ein neues Foto von dir machen. Auf deinem alten siehst du aus, als hättest du ein offenes Magengeschwür.«
Der Chefredakteur erhob sich und sah auf die Uhr. »Also, das wär’s dann. Herzlichen Glückwunsch, Qwill!«
Auf dem Rückweg zur Feuilletonabteilung sagte Riker: »Kannst du diese Diät nicht ein paar Wochen verschieben? Diese neue Schnapsidee von Percy wird im Sand verlaufen wie alle anderen. Wir machen das nur, weil wir herausbekommen haben, daß der Morning Rampage in zwei Wochen eine Feinschmeckerspalte startet. In der Zwischenzeit kannst du leben wie ein König –. jeden Abend eine andere Flamme ausführen – und es kostet dich keinen Cent. Das sollte deiner sparsamen Natur doch entgegenkommen. Du hast doch schottisches Blut in den Adern, nicht wahr?«
Qwilleran brummte.
Als erstes ging er zum Friseur und danach ins Fotolabor, um sich fotografieren zu lassen und sich bei Odd Bunsen über den neuen Auftrag zu beklagen.
»Wenn du Gesellschaft brauchst, ich stehe zur Verfügung«, bot ihm der Fotograf an. »Ich esse, und du kannst dir Notizen machen.« Er drückte Qwilleran auf einen Stuhl und ließ ihn eine äußerst anstrengende Haltung einnehmen. Dann drehte er ihm den Kopf in einen unnatürlichen Winkel.
»Riker sagt, du sollst mich so aufnehmen, daß ich wie ein Gourmet aussehe«, sagte Qwilleran mit finsterer Miene.
Bunsen schaute mit zusammengekniffenen Augen durch den Sucher der Porträtkamera. »Mit diesem traurigen Schnauzbart wirst du immer nur aussehen wie ein Jagdhund mit Magenschmerzen. Lächle doch ein bißchen.«
Qwilleran zuckte mit einem Wangenmuskel.
»Fang doch mit dem Toledo Tombs an. Das ist das teuerste Lokal. Danach kannst du dich durch die ganzen Gasthäuser essen.« Bunsen hielt inne, um Qwillerans Schultern nach links und sein Kinn nach rechts zu drehen. »Und dann solltest du einen Artikel über die Heavenly Hash Houses schreiben und die Leute darauf aufmerksam machen, wie miserabel sie sind.«
»Wer macht die Feinschmeckerspalte? Du oder ich?«
»Schon gut. Also jetzt – lächeln.«
Der Muskel zuckte wieder.
»Du hast dich bewegt! Wir müssen noch ein Foto machen … He, was werden denn deine zwei verrückten Katzen zu deinem neuen Auftrag sagen? Denk an die Essensreste, die du den Biestern mit nach Hause bringen kannst!«
»Daran habe ich noch gar nicht gedacht«, murmelte Qwilleran. Sein Gesicht hellte sich auf, und Bunsen machte sein Foto.
Der neue Gourmet-Journalist des Fluxion hatte wirklich vor, seine neue Tätigkeit mit einem Besuch des exklusiven Toledo Tombs zu beginnen – wenn auch nicht mit Odd Bunsen. Er rief Mary Duckworth an, den glanzvollsten Namen in seinem Adreßbuch.
»Es tut mir schrecklich leid«, sagte sie. »Ich fahre in die Karibik, und ich mußte auch schon eine Einladung zu einem Essen im Gourmetklub heute abend ablehnen. Möchtest du an meiner Stelle hingehen? Du könntest einen Artikel darüber schreiben.«
»Wo findet denn das Essen statt?«
»Im Maus Haus. Kennst du es?«
»Maushaus?« wiederholte Qwilleran. »Kein sehr appetitanregender Name für ein Restaurant.«
»Es ist kein Restaurant«, erklärte Mary Duckworth. »Es ist das Haus von Robert Maus, dem Rechtsanwalt. M-a-u-s, deutsch ausgesprochen. Er ist ein erstklassiger Koch – der Typ, der seine eigene Petersilie zieht, jeden Abend seine französischen Messer wegschließt und aus dem Gedächtnis blitzschnell eine Sauce mit siebenunddreißig Zutaten zubereitet. Es heißt, er kann allein am Geschmack den rechten Hühnerflügel vom linken unterscheiden.«
»Wo ist… Maus Haus?«
»In der River Road. Es ist ein bizarres Gebäude, das mal bei einem rätselhaften Selbstmord eine Rolle gespielt hat. Vielleicht kannst du das Rätsel lösen. Wäre das nicht ein Knüller für den Daily Fluxion?«
»Wann ist das passiert?«
»Ach, schon vor meiner Geburt.«
Qwilleran blies in seinen Schnurrbart. »Nicht gerade eine brandheiße Story.«
»Sprich beim Essen nicht darüber«, warnte ihn Mary. »Robert hat das Thema gründlich satt. Ich rufe ihn an und sage ihm, daß du kommst.«
An diesem Nachmittag ging Qwilleran früh nach Hause, um seinen guten Anzug anzuziehen und die Katzen zu füttern. Auf dem Heimweg kaufte er in einem Lebensmittelgeschäft etwas frisches Fleisch für sie. Mit ihrem katzenhaften Wahrnehmungsvermögen wußten sie schon bevor er die Treppe hinaufstieg, daß er kam. So, wie sie auf ihn warteten, sahen sie aus wie zwei Laibe Hausbrot. Die braunen Beine unter den Körpern verborgen, saßen sie der Tür zugewandt da – zwei helle, toastfarbene Fellbündel. Doch die braunen Ohren waren aufmerksam gespitzt, und zwei blaue Augenpaare blickten den Mann, der in die Wohnung trat, fragend an.
»Hallo«, sagte er. »Ich bin heute früh dran. Und wartet erst, bis ihr seht, was ich euch mitgebracht habe!«
Wie auf Kommando erhoben sich die Katzen. »Yau!« machte Koko in tiefem Bariton. »Mmmm!« quietschte Yum Yum in verzücktem Sopran.
Sie sprang auf das dicke Wörterbuch und begann vor Begeisterung, ihre Krallen in den zerfledderten Einband zu schlagen, während Koko in einer Demonstration der schwerelosen Fortbewegung durch die Luft schwebte, auf dem Schreibtisch landete und auf die Tabulatortaste der Schreibmaschine trat, worauf der Wagen einen Satz machte.
Qwilleran massierte zuerst mit fester Hand Kokos seidigen Rücken und strich dann zärtlich über Yum Yums helleres Fell. »Wie geht es meinem kleinen Liebling?« Er redete mit Yum Yum in einem schamlos zärtlichen Tonfall, den seine Kumpel im Presseklub nie für möglich gehalten hätten und den keine Frau in seinem Leben je zu Ohren bekommen hatte.
»Heute abend gibt’s Hühnerleber«, sagte er zu den Katzen, und Koko drückte seine Zustimmung aus, indem er den linken Rand auf der Schreibmaschine neu einstellte. Er hatte seine mechanischen Fähigkeiten erst jetzt entdeckt. Er konnte Lichtschalter betätigen und Türen öffnen, doch am meisten faszinierte ihn die Schreibmaschine mit ihren vielen Hebeln, Schaltern und Tasten.
Qwilleran hatte diese Entwicklung dem Tierarzt gegenüber erwähnt, und der hatte gemeint: »Tiere durchleben verschiedene Phasen, in denen sie sich für bestimmte Dinge interessieren, so wie Kinder. Wie alt sind Ihre Katzen?«
»Ich habe keine Ahnung. Sie waren beide erwachsen, als ich sie adoptierte.«
»Koko ist wahrscheinlich drei oder vier Jahre alt. Sehr gesund. Und er wirkt überaus intelligent.«
Qwilleran hatte sich diskret über den Schnurrbart gestrichen und es unterlassen, Kokos außergewöhnliches Talent zu erwähnen. Denn tatsächlich schien der altkluge Siamkater unheimliche detektivische Fähigkeiten zu besitzen. Qwilleran hatte erst vor kurzem ein Verbrechen aufgeklärt, das die Polizei vor ein Rätsel gestellt hatte, und nur seine engsten Freunde wußten, daß die Lösung des Falles zum Großteil Koko zu verdanken war.
Qwilleran schnitt die Hühnerleber für die Katzen klein, wärmte sie in ein wenig Brühe und richtete die Delikatesse auf einem Teller so an, wie sie es gerne mochten: den Saft in der Mitte und die mundgerechten Leberstückchen rundherum am Rand.
»Ihr Glückspilze!« sagte er. Sie konnten fressen, soviel sie wollten, ohne ein Gramm zuzunehmen. Unter ihrem seidigen, sandfarbenen Fell waren sie schlank und muskulös. Obwohl sie sich grazil und federleicht bewegten, hatten sie in ihren Hinterläufen eine Kraft, die sie mit einem einzigen, mühelosen Satz auf den Kühlschrank trug.
Qwilleran sah ihnen ein Weilchen zu und begann sich dann auf seinen neuen Auftrag zu konzentrieren: Er setzte sich an die Schreibmaschine, um eine Liste der Restaurants aufzustellen. Er ließ immer ein neues Blatt Papier in der Maschine eingespannt, das darauf wartete, beschrieben zu werden – ein Trick, der ihm das Anfängen erleichtern sollte. Als er nun auf dieses Blatt sah, hielten seine Finger über den Tasten inne. Er setzte sich die neue Brille auf und sah genauer hin. Am Beginn der Seite war ein einzelner Buchstabe getippt.
»Also wirklich, ich wußte, du würdest früher oder später lernen, mit dieser Maschine umzugehen«, sagte er über die Schulter, worauf er aus der Küche eine gurgelnde Antwort erhielt, da Koko gerade einen Bissen Leber schluckte und gleichzeitig einen beiläufigen Kommentar abgab.
Auf dem Blatt stand ein großes T. Die Maschine war auf Blockschrift eingestellt. Koko war offenbar mit seiner linken Pfote auf die Taste für Großschreibung gestiegen und mit der rechten auf den Buchstaben.
Qwilleran fügte ›oledo Tombs‹ an Kokos T und führte dann noch das Golden Lamb Chop, den Medium Rare Room und das Stilton Hotel an sowie einige Raststätten, diverse Spezialitätenrestaurants und avantgardistische Bistros.
Dann legte er seine Einheitskleidung, die er bei der Arbeit beim Daily Fluxion trug, ab – die Tweedjacke, die rotkarierte Krawatte, das graue Buttondown-Hemd und die sandfarbene Hose –, um sich zum Abendessen umzuziehen. Dabei sah er zufällig sein Spiegelbild, und was er sah, gefiel ihm gar nicht. Sein Gesicht war fleischig geworden; seine Oberarme waren schlaff; an bestimmten Stellen wölbte sich sein Körper nach außen statt nach innen. Hoffnungsvoll, aber nicht zuversichtlich stieg er auf die altehrwürdige Waage im Badezimmer, ein rostiges Gerät mit Laufgewichten und einem Waagebalken – und dieser Balken schnellte mit einem scharfen ›Klunk‹ in die Höhe. Er hielt den Atem an und verschob das Gewicht auf dem Balken zögernd um ein Viertelpfund, ein halbes Pfund, dann um ein, zwei, drei weitere Pfund, bis der Balken waagrecht stand. Drei Pfund! Er hatte nur eine Grapefruit zum Frühstück und den Hüttenkäse zu Mittag gegessen, und er war drei Pfund schwerer als noch am Morgen.
Zuerst war Qwilleran entsetzt – dann entmutigt – und schließlich zornig. »Verdammt!« sagte er laut. »Ich werde wegen eines elenden Auftrags kein Fettwanst werden!«
»Yau!« meinte Koko ermunternd.
Qwilleran stieg von der Waage herunter, um noch einen kritischen Blick in den Spiegel zu werfen, und bei dem Anblick zuckte eine Welle der Entschlossenheit durch seinen wabbeligen Körper. Er schob den Brustkorb heraus, zog den Bauch ein und spürte eine neue Willenskraft in sich.
»Ich werde diese verdammte Spalte schreiben«, verkündete er den Katzen, »und ich werde diese blöde Diät einhalten, und wenn ich dabei draufgehe!«
»Yau-au!« machte Koko.
»Drei Pfund schwerer! Ich kann es nicht fassen!«
Beim Wiegen hatte Qwilleran nicht bemerkt, daß Koko, die Vorderpfoten fest auf die Waage gepflanzt, hinter ihm gestanden hatte.
Als sich Jim Qwilleran am Montagabend zum Essen umzog, spürte er sein Alter. Zum ersten Mal in seinem Leben brauchte er jetzt eine Lesebrille; sein Schnurrbart und sein volles Haar waren schon grau meliert; und auch sein Bauchumfang erinnerte ihn daran, daß er sechsundvierzig war. Doch noch bevor der Abend um war, fühlte er sich wieder jung.
Er nahm ein Taxi zum Haus von Robert Maus in der River Road. Es lag weit draußen, und sie kamen an einem ausgedehnten Einkaufszentrum vorbei, an Joe Pikes Fischrestaurant mit dem riesigen Parkplatz, einer Rollschuhbahn und einem Holzlagerplatz. Zwischen einem Jachthafen und einem Tennisklub ragte ein monströser Steinhaufen auf. Qwilleran kannte ihn vom Sehen; er hatte ihn immer für die Versammlungsstätte irgendeines exzentrischen Kults gehalten. Das Gebäude war von der Hauptstraße zurückgesetzt; unnahbar und geheimnisvoll erhob es sich hinter einem eisernen Zaun und einem Hektar vernachlässigten Rasen. Es sah aus wie ein ägyptischer Tempel, der auf dem Transport beschädigt und ungeschickt repariert worden war.
Die Säulen an dem massiven Eingangstor waren möglicherweise am Nil ausgegraben worden, doch wies das Haus daneben architektonische Absurditäten auf, die so paßten wie die Faust aufs Auge: georgianische Schornsteine, große Fabrikfenster im ersten Stock, eine angebaute Garage auf der einen Seite und ein offener Autoeinstellplatz auf der anderen Seite, dazu zahllose Feuerleitern, Fensterbrüstungen und Dachsimse an allen möglichen und unmöglichen Stellen.
Qwilleran betätigte einen Türklopfer, der mit einem dröhnenden metallischen Laut gegen die Tür schlug. Dann wartete er gottergeben und mit knurrendem Magen, bis sich das schwere Tor knarrend öffnete.
Während der nächsten halben Stunde verstand er gar nichts mehr. Ein schlanker junger Mann mit einem frechen Blick und lächerlich langen, gelockten Koteletten begrüßte Qwilleran. Obwohl er die weiße Jacke eines Hausangestellten trug, hielt er in einer Hand ein halbvolles Champagnerglas und in der anderen eine Zigarette und grinste wie eine zufriedene Katze.
»Willkommen im Maus Haus«, sagte er. »Sie müssen der Typ von der Zeitung sein.«
Qwilleran trat in den düsteren, höhlenartigen Vorraum.
»Micky Maus ist in der Küche«, sagte der Mann, der die Gäste offiziell begrüßte. »Ich bin William.« Er steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen, um ihm die rechte Hand geben zu können.
Qwilleran schüttelte dem freundlichen Hausdiener oder Butler, oder was immer er war, die Hand. »Nur William?«
»William Vitello.«
Der Journalist warf einen scharfen Blick auf das alterslose, koboldhafte Gesicht und sagte: »Vitello? Ich hätte schwören können, Sie sind irischer Abstammung.«
»Irische Mutter, italienischer Vater. Meine Familie ist ein richtiger Eintopf«, erklärte William, von einem Ohr zum anderen grinsend. »Kommen Sie herein. Die anderen sind alle im großen Saal und lassen sich vollaufen. Ich mache Sie mit ihnen bekannt.«
Er führte ihn in einen riesigen Saal, der in so dunklen Farben gehalten war, daß ihn Dutzende Lampen und Kerzen in schweren Ständern und Kerzenhaltern nur schwach zu erhellen vermochten, doch Qwilleran konnte eine Empore erkennen, die von ägyptischen Säulen getragen und eine breite Treppe, die von Sphinxen bewacht wurde. Boden und Wände waren mit schokoladebraunen Keramikfliesen bedeckt, und die Stimmen wurden von den glatten Oberflächen schauerlich verzerrt zurückgeworfen.
»Es ist gespenstisch hier, wenn ich das sagen darf«, meinte Qwilleran.
»Dabei kennen Sie bei weitem noch nicht alles«, teilte ihm William mit. »Es ist wirklich zum Abgewöhnen.«
In der Saalmitte, unter der hohen Decke, war ein langer Tisch für das Abendessen gedeckt, doch die Gäste tranken ihre Cocktails unter der Empore, wo es zumindest etwas gemütlicher war.
»Champagner oder Sherry?« fragte ihn William. »Der Sherry hat’s in sich, ich muß Sie warnen.«
»Keinen Drink, danke«, sagte Qwilleran und griff nach Tabak und Pfeife. Er hoffte, das Rauchen würde seinen nagenden Hunger etwas dämpfen.
»Das ist nur ein kleines Essen heute abend. Die meisten Leute wohnen hier. Wollen Sie ein paar Mädels kennenlernen?« William deutete mit einer Kopfbewegung auf zwei Brünette.
»Sie wohnen hier? Was für ein Etablissement führt Maus hier eigentlich?«
Der Hausdiener wieherte vor Begeisterung. »Wußten Sie das nicht? Das hier ist eine Art verrückte Pension. Früher war es mal ein richtiges Kunstzentrum – auf dem Balkon waren die Studios und im hinteren Teil des Gebäudes eine große Töpferwerkstatt – aber das war vor Micky Maus’ Zeit. Ich selbst bin ein Sozialfall. Ich besuche die Kunstschule und bekomme hier Kost und Logis gegen diverse harte, niedrige Dienste.«
»Rasenmähen gehört wohl nicht dazu«, meinte Qwilleran mit einer Kopfbewegung auf das wild wuchernde Gras vor dem Haus.
Wieder prustete William vor Lachen und schlug dem Reporter auf den Rücken. »Kommen Sie, ich stelle Ihnen Hixie und Rosemary vor. Aber nehmen Sie sich vor Hixie in acht – sie hält nach einem Ehemann Ausschau.«
Die beiden Frauen standen bei einer Anrichte, auf der sich Tabletts mit Hors d’œuvres befanden. Rosemary Whiting war eine gutaussehende, ruhige Frau unbestimmten Alters. Hixie Rice war jünger, molliger, lauter und hatte längere Wimpern.
Hixie war vollauf mit Champagnertrinken und Häppchenessen beschäftigt; dabei plapperte sie ununterbrochen mit hoher, monotoner Stimme: »Ich bin total verrückt nach Schokolade! Schokoladenpralinen, Schokoladenplätzchen, Schokoladenkuchen, Schokoladentörtchen – alles was mit Schokolade und drei Tassen Zucker und einem Pfund Butter gemacht wird.« Sie hielt inne, um eine Auster im Speckmantel in den Mund zu stecken.
Man sah es ihr an, fand Qwilleran. Ihre Figur quoll über, wo immer ihr enganliegendes orangefarbenes Kleid das zuließ, und ihr Haar bauschte sich wie ein Schokoladensoufflé über ihrem pausbäckigen Gesicht mit den Babygrübchen.
»Kaviar?« meinte Rosemary und hielt Qwilleran einen Teller hin.
Er holte tief Luft und lehnte entschlossen ab.
»Er enthält viel Vitamin D«, fügte sie hinzu.
»Nein, danke.«
»Micky Maus«, sagte William gerade, »hat eine Macke, was Butter anlangt. Ich habe nur ein einziges Mal erlebt, daß er die Beherrschung verlor, und das war, als bei einem Brunch nur noch drei Pfund Butter da waren. Er geriet richtiggehend in Panik.«
»Leider sind tierische Fette…« begann Rosemary mit sanfter Stimme, doch Hixie unterbrach sie.
»Ich esse viel, weil ich frustriert bin, aber ich bin lieber fett und fröhlich als dünn und griesgrämig. Sie müssen zugeben, daß ich ein angenehmes Wesen habe.« Sie klimperte mit den Wimpern und langte nach einem weiteren Cocktailhäppchen. »Was gibt es heute zu essen, Willie?«
»Nicht viel. Nur Brunnenkresse-Creme-Suppe, Muscheln in Aspik, überbackene gefüllte Hühnerbrüstchen, geschmorten Chicorée – ich hasse Chicorée –, gebratene Curry-Tomaten, römischen Salat und Crêpes Suzette.«
»Nur ein Häppchen, wie Charlotte sagen würde«, bemerkte Hixie.
William sagte erklärend zu Qwilleran: »Charlotte ißt niemals eine Mahlzeit. Stets nur ›ein Häppchen‹, wie sie es nennt. Das dort drüben, das ist Charlotte – das alte Mädel mit den weißen Haaren und den drei Kilo Schmuck.«
Die Frau mit Haaren, die aussahen wie gesponnener Zucker, unterhielt sich lebhaft mit zwei wohlbeleibten Männern, die sichtlich mehr aus Höflichkeit als aus Interesse zuhörten. Qwilleran erkannte sie: Es waren die Penniman-Brüder, Mitglieder der städtischen Kunstkommission. Mit Penniman-Geld war der Morning Rampage gegründet worden, Penniman-Geld hatte die Kunstschule und die städtischen Parks finanziert.
Ein weiterer Mann, der ihm irgendwie bekannt vorkam, ging nervös im großen Saal herum. Er hatte ein gutaussehendes, schwermütiges Gesicht, das sich jedesmal, wenn eine Frau in seine Richtung sah, zu einem strahlenden Lächeln erhellte. Das auffallendste an ihm war sein kahlgeschorener Schädel.
Qwilleran beobachtete die anderen Gäste und entdeckte eine attraktive Rothaarige in einem olivgrünen Hosenanzug… einen jungen Mann mit einem Spitzbart … und dann sah er sie. Einen Moment vergaß er regelrecht zu atmen.
Unmöglich! sagte er sich. Und doch war diese winzige Gestalt unverkennbar, dieses schwere kastanienbraune Haar, dieses provokante schiefe Lächeln.
Und in diesem Augenblick drehte sie sich in seine Richtung und starrte ihn ungläubig an. Er spürte ein Kribbeln auf seiner Oberlippe und tupfte sich auf den Schnurrbart. Sie kam über den Fliesenboden auf ihn zu – sie glitt, genau wie früher, ihr Kleid flatterte, wie früher, und ihre melodische Stimme rief: »Jim Qwilleran! Bist du es wirklich?«
»Joy! Joy Wheatley!«
»Ich kann es nicht fassen!« Sie starrte ihn an und flog dann in seine Arme.
»Laß dich ansehen, Joy… Du hast dich überhaupt nicht verändert.«
»O doch.«
»Wie viele Jahre ist das jetzt her?«
»Bitte, rechne nicht nach… Dein Schnurrbart gefällt mir, Jim, und du bist kräftiger als früher.«
»Du meinst dicker. Du bist sehr nett. Du warst immer nett.«
Sie machte sich los. »Nicht immer. Ich schäme mich für mein Verhalten.«
Er sah sie aus der Nähe an und fühlte, wie es ihm den Hals zuschnürte. »Ich habe nie gedacht, daß ich dich noch einmal Wiedersehen würde, Joy. Was tust du hier?«
»Wir wohnen seit Januar hier. Mein Mann und ich betreiben die Töpferei im hinteren Teil des Hauses.«
»Du bist verheiratet?« Qwillerans auf keimende Hoffnungen schwanden. »Ich heiße jetzt Graham. Was tust du denn hier, Jim?«
»Mich nennt jetzt kein Mensch mehr Jim. Seit zwanzig Jahren heiße ich Qwill.«
»Schreibst du dich noch immer mit einem w?«
»Ja, und die Setzer und die Lektoren bekommen noch immer Magengeschwüre deswegen.«
»Verheiratet?«
»Im Augenblick nicht.«
»Schreibst du noch?«
»Ich bin seit über einem Jahr beim Daily Fluxion. Hast du meinen Namen noch nie unter einem Artikel gesehen?«
»Ich bin keine große Leserin – weißt du nicht mehr? Und mein Mann ist sauer auf den Kunstkritiker des Fluxion, daher kauft er den Morning Rampage.«
»Sag doch, Joy – wo warst du die ganzen Jahre?«
»Die meiste Zeit in Kalifornien – bis uns Mr. Maus einlud, die Töpferei hier zu übernehmen … Es gibt soviel zu erzählen! Wir müssen uns – wann können wir…?«
»Joy«, sagte Qwilleran mit gedämpfter Stimme, »warum bist du weggelaufen?«
Sie seufzte und sah zuerst auf eine Seite, dann auf die andere. »Das werde ich dir später erklären, aber zuerst, glaube ich, solltest du meinen Mann kennenlernen… bevor mein mies gelaunter Herr Gemahl einen Wutanfall bekommt«, fügte sie mit einem schiefen Lächeln hinzu.
Qwilleran sah sich im Saal um und entdeckte auf der anderen Seite einen großen, knochigen Mann, der sie beobachtete. Dan Graham hatte ausgebleichtes rotblondes Haar, einen deutlich hervortretenden Adamsapfel und eine sommersprossige Haut, die sich straff über den ausgeprägten Knochen seines Gesichts und seiner Hände spannte. Seine abgetragene Cordjacke, das ungebügelte Hemd und die Sandalen an den bloßen Füßen sollten wohl die unkonventionelle Geisteshaltung des Künstlers ausdrücken, dachte Qwilleran, doch in Wirklichkeit ließen sie den Mann schäbig und erbärmlich aussehen. Aber mies gelaunt? … Nein.
Als Joy Qwilleran als ›eine alte Flamme‹ vorstellte, reagierte Graham nur mit einem kurzen Nicken. Sie sagte das mit einer ganz speziellen Betonung – nicht schelmisch, sondern boshaft –, und Qwilleran dachte, zwischen den beiden stimmt einiges nicht. Und er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er sich darüber freute.
Er sagte zu Dan Graham: »Ich kenne Ihre Frau aus Chicago, aus unserer Jugendzeit. Ich war der Junge von nebenan. Ich arbeite jetzt beim Daily Fluxion.« Graham murmelte irgend etwas. Er sprach rasch und verschluckte halbe Worte.
»Wie bitte?« sagte Qwilleran.
»IchbereitegeradeeineAusstellungvor. VielleichtkönnenSiemirPublicityverschaffen.«
Joy sagte: »Es wird eine gemeinsame Ausstellung von uns beiden. Der Stil unserer Arbeiten ist sehr verschieden. Ich hoffe, du kommst zur Vernissage, Jim.«
»HaltenichtsehrvielvonlhremKunstkritiker«, murmelte ihr Mann. »SeineMeinungistkeinenSchußPulverwert.«
»Niemand mag Kunstkritiker«, sagte Qwilleran.
»Das ist ein Job, den ich nicht haben möchte. Und wie gefällt es Ihnen sonst hier im Mittleren Westen, Mr. Graham?«
»Diese Stadt kann mir gestohlen bleiben«, sagte der Töpfer. Qwilleran gewöhnte sich langsam an seine schnelle Sprechweise und an die veralteten Ausdrücke und Klischees, die er verwendete. »Will irgendwann mal in New York arbeiten – vielleicht auch in Europa.«
»Also, mir gefällt die Gegend hier sehr gut«, sagte Joy trotzig. »Ich würde gerne hierbleiben.« Ihr hatte immer alles sehr gut gefallen. Qwilleran erinnerte sich an ihre grenzenlose Begeisterungsfähigkeit.
Graham blickte gereizt auf den Tisch. »Du heiliger Strohsack! Wann gibt’s endlich was zu essen? Ich könnte ein ganzes Pferd verdrücken.« Er schwenkte sein leeres Champagnerglas. »Von dem Zeug kriegt man Appetit, aber keinen Schwips.«
»Ist Ihnen klar«, sagte Qwilleran, »daß ich unseren Gastgeber noch gar nicht kennengelernt habe?«
Joy nahm ihn bei der Hand. »Nein? Ich gehe mit dir in die Küche. Robert Maus ist ein richtiger Schatz.«
Sie führte ihn durch einen niedrigen Gang am hinteren Ende des großen Saales; sie hielt seine Finger fest und ging enger neben ihm, als notwendig war. Befangen schwiegen sie.
Die Küche war ein großer, malerischer Raum, in dem es nach Kräutern duftete und nach dem Wein, mit dem gekocht wurde. Mit dem gefliesten Boden, der Balkendecke und dem riesigen Herd in der Mitte erinnerte sie Qwilleran an Küchen, die er in der Normandie gesehen hatte. Kupferpfannen und Büschel von getrocknetem Dill und Rosmarin hingen von einem Gestell über ihren Köpfen, Messer und Beile steckten in einem Messerblock aus Eiche. Auf offenen Regalen standen Omelettpfannen, Souffléformen, Kupferschüsseln, ein Topf zum Dünsten von Fischen, Abtropfsiebe und ein paar Kochutensilien, die für den Uneingeweihten ein Geheimnis blieben.
Dominiert wurde die Szene von einem großen, gutgebauten Mann mittleren Alters, der makellos gekleidet war: weißes Hemd, konservative Krawatte, goldene Manschettenknöpfe. Er strahlte die Würde eines hochrangigen Richters aus, und seine leicht gebeugte Haltung wirkte wie eine elegante Verneigung. Er hatte ein Geschirrtuch um die Taille gebunden und knetete gerade einen Teig.
Als Joy Graham Qwilleran vorstellte, hielt Robert Maus entschuldigend seine bemehlten Hände hoch und sagte, nachdem er kurz überlegt hatte, in gemessenem Tonfall: »Sehr… erfreut.«
Eine Frau in weißer Arbeitskleidung assistierte ihm, und er gab ihr in respektvollem Ton knappe Befehle: »Kühlstellen, bitte… Wenn Sie jetzt die Bratpfanne vorbereiten möchten, bitte… Und jetzt das Huhn, Mrs. Marron. Vielen Dank.«
Mit geschickten Hieben eines mörderischen Messers begann er, die Knochen aus den Hühnerbrüsten auszulösen.