Die Königin und die Hure - Ellen Jones - E-Book
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Die Königin und die Hure E-Book

Ellen Jones

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Beschreibung

Der Kampf um die Krone hat begonnen! Der große Historienroman »Die Königin und die Hure« von Ellen Jones jetzt als eBook bei dotbooks. Sie war die einflussreichste Frau des Mittelalters – und war doch gefangen in einer Liebe, die drohte ihr alles zu entreißen … Die Normandie im 12. Jahrhundert: Gerade erst hat Eleonore von Aquitanien in einem aufsehenerregenden Prozess die Ehe mit dem französischen König annullieren lassen, als sie Heinrich II. begegnet, dem mächtigsten Mann seiner Zeit. In der Hoffnung auf ein selbstbestimmtes Leben folgt sie ihm an seinen Hof, wo sie als Königin an seiner Seite zu großer Macht aufsteigt. Doch als eine Londoner Hure Heinrich einen Sohn schenkt, droht Eleonore alles zu verlieren. Sie entscheidet sich zu kämpfen – den erbitterten Kampf einer Frau, die gegen die Konventionen ihrer Zeit aufbegehrt … Ellen Jones zeichnet mit farbenprächtiger Sprache und großer Geste ein scharfes – und überraschendes – Porträt von Alienor von Aquitanien, der mächtigsten und faszinierendsten Frau des Mittelalters: »Die Liebesabenteuer heutiger Königsfamilien verblassen dagegen«, urteilt der Sunday Express. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der prachtvolle historische Roman »Die Königin und die Hure« – ein Lesevergnügen für alle Fans der Bestseller von Rebecca Gablé und Elizabeth Chadwick! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 941

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Über dieses Buch:

Sie war die einflussreichste Frau des Mittelalters – und war doch gefangen in einer Liebe, die drohte ihr alles zu entreißen … Die Normandie im 12. Jahrhundert: Gerade erst hat Eleonore von Aquitanien in einem aufsehenerregenden Prozess die Ehe mit dem französischen König annullieren lassen, als sie Heinrich II. begegnet, dem mächtigsten Mann seiner Zeit. In der Hoffnung auf ein selbstbestimmtes Leben folgt sie ihm an seinen Hof, wo sie als Königin an seiner Seite zu großer Macht aufsteigt. Doch als eine Londoner Hure Heinrich einen Sohn schenkt, droht Eleonore alles zu verlieren. Sie entscheidet sich zu kämpfen – den erbitterten Kampf einer Frau, die gegen die Konventionen ihrer Zeit aufbegehrt …

Ellen Jones zeichnet mit farbenprächtiger Sprache und großer Geste ein scharfes – und überraschendes – Porträt von Alienor von Aquitanien, der mächtigsten und faszinierendsten Frau des Mittelalters: »Die Liebesabenteuer heutiger Königsfamilien verblassen dagegen«, urteilt der Sunday Express.

Über die Autorin:

Ellen Jones wurde in New York City geboren, studierte Schauspiel und begann ihre schriftstellerische Karriere mit dem Schreiben von Theaterstücken. Sie lebte mehrere Jahre in London, und entdeckte in dieser Zeit ihr Interesse an der Geschichte Englands und Frankreichs, die sie in ihren großen historischen Romanen über die Dynastie Heinrichs II. verarbeitete. Ellen Jones lebt in Los Angeles.

Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihren großen historischen Roman »Die Erbin der Krone«.

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eBook-Neuausgabe Oktober 2023

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1994 unter dem Originaltitel »Beloved Enemy. The Passions of Eleanor of Aquitaine« bei Simon & Schuster, New York.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1994 by Ellen Jones

Translated from the English language: BELOVED ENEMY

First published in the U.S. by Simon & Schuster

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1995 by Rütten & Loening, Berlin GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Helen Lane, Marisha, Den Rozhnovsky, Andrey_Kuzmin

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98690-868-3

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In diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen des Verlags wider.

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Ellen Jones

Die Königin und die Hure

Historischer Roman

Aus dem Amerikanischen von Hans Freundl

dotbooks.

Vorbemerkung

Dies ist ein Roman, dessen Handlung sich vor dem Hintergrund tatsächlicher historischer Ereignisse entfaltet. Die Charaktere sind, mit wenigen Ausnahmen, real und haben ihren Platz in der Geschichte. Viele der dargestellten Ereignisse haben tatsächlich stattgefunden; andere, die auf Legenden oder Gerüchten beruhen, sind dagegen eher zweifelhaft. Die Geschichtsschreiber des 12. Jahrhunderts waren sich nicht immer einig, und auch spätere Historiker haben die Vergangenheit auf unterschiedliche Weise interpretiert. Auch ich habe mir erlaubt, mit Daten, Schauplätzen und verschiedenen Ereignissen etwas freier umzugehen.

Liste der handelnden Personen

Das Haus Poitou-Aquitanien

Wilhelm IX.

Herzog von Aquitanien und VII. Graf von Poitou, der »erste Troubadour«

Wilhelm X.

Sohn von Wilhelm IX., des Herzogs von Aquitanien und VIII. Grafen von Poitou

Eleonore

älteste Tochter von Wilhelm X., des Herzogs von Aquitanien, Enkelin des ersten Troubadours, später Herzogin von Aquitanien

Dangereuse

Mätresse des ersten Troubadours, Eleonores Großmutter

Petronilla

Eleonores jüngere Schwester

Agnes

eine Äbtissin von Saintes, Eleonores Tante

Raimund

Fürst von Antiochia, Eleonores Onkel, jüngerer Bruder ihres Vaters

Ralph de Faye

Eleonores Onkel

Conon

ein Stallmeister

Meister André

ein Geistlicher in Poitiers

Die Capetinger

Ludwig VI.

»der Dicke«, König von Frankreich

Ludwig VII.

Sohn von Ludwig VI., des Königs von Frankreich

Das Haus Anjou-Plantagenet

Heinrich II.

Herzog der Normandie und Graf von Anjou, später König von England

Gottfried

Graf von Anjou, Heinrichs Vater

Mathilde

Gräfin von Anjou, Heinrichs Mutter

Gottfried

Heinrichs unehelicher Sohn

Kirchliche Würdenträger

Äbtissin von Fontevrault

Vorsteherin eines Klosters für Mönche und Nonnen

Abbé Suger, Erzbischof von Bordeaux

Berater von Ludwig VI. und Ludwig VII.

Bernhard von Clairvaux

Abt von Citeaux

Theobald von Bec

Erzbischof von Canterbury

Thomas Becket

ein Erzdiakon von Canterbury, später Lordkanzler von England

Das Personal der Bordelle

Ykenai

genannt Bellebelle, eine Dirne

Gytha

Bellebelles Mutter, eine Dirne

Morgaine

eine Dirne aus Wales

Gilbert

ein Bordellwirt in Southwark

Hawke

ein Bordellwirt in London

Weitere Personen

Bernard de Ventadour

ein Troubadour aus Aquitanien

Robert de Beaumont

Graf von Leicester, Justitiar (höchster politischer und juristischer Beamter des Königs von England)

Richard de Lucy

königlicher Justitiar

William Fritz-Stephen

Sekretär von Thomas Beckett

Hans de Burgh

ein flämischer Ritter

Ivo

ein Waldarbeiter im Dorf

Elfgiva

eine Wirtsfrau im Dorf

Mit einem Weibe gefahrlos zusammen zu leben ist schwieriger, als Tote wieder zum Leben zu erwecken.

Hl. Bernhard von Clairvaux

Predigten über das Hohelied

Der hartnäckigste Haß ist jener, der aus verschmähter Liebe entsteht.

Walter Map, 12. Jh.

De Nugis Curialium

In vollständiger Übereinstimmung und Einmütigkeit, So muß die Liebe wahrhaft Liebender sein.

Zwei Willen können nur Zufriedenheit erlangen In absoluter Gleichberechtigung.

Bernard de Ventadour

Limousin Troubadour

Prolog

Poitou, im Jahre 1130

Eleonore stand vor dem großen Eichentisch der Äbtissin und verbarg ihre Angst hinter dem trügerisch süßen Lächeln und der unschuldigen Miene, die sie in Gegenwart von Autoritäten immer aufsetzte. Die Äbtissin war noch nicht eingetreten, aber die ganze Kammer war erfüllt von einem Hauch von Verbotenem, der den mit Teppichen behängten Wänden, den silbernen Kandelabern, der geschnitzten Eichentruhe und sogar den flackernden elfenbeinfarbenen Kerzen zu entströmen schien. Es war ein heißer Augustnachmittag, aber hier in diesen Räumen begann man fast zu frösteln.

Eleonore konnte sich nicht denken, weshalb sie aus dem Schulzimmer hierhergerufen worden war. Gedanken an Klosterregeln, gegen die sie in letzter Zeit verstoßen hatte, schossen ihr durch den Kopf: Sie war im Garten auf einen Apfelbaum geklettert, hatte nach der Komplet aus der Küche einen Laib Brot stibitzt, hatte eine Schar Hühner aus ihrem Stall entkommen lassen und hatte sich einmal nach der Abendandacht aus dem Schlafsaal gestohlen – es war zuviel, um alles aufzuzählen. Es erfüllte sie mit einem gewissen Stolz, als sie sah, wie viele Klosterregeln man brechen konnte, bis die Äbtissin von Fontevrault es merkte.

Die Tür hinter ihr öffnete sich. Mit unruhigen Fingern glättete Eleonore den Rock ihrer schwarzen Nonnenkluft und vergewisserte sich, daß ihr Häubchen fest unter ihrem Kinn zusammengebunden war.

»Setz dich, mein Kind.« Die Äbtissin erschien auf der anderen Seite des Tisches.

Umrahmt von einem schlichten weißen Wimpel, wirkte das strenge Gesicht mit der langen, aristokratischen Nase gütig, fast freundlich. Der Gesichtsausdruck der Äbtissin war so ungewöhnlich, daß Eleonore instinktiv wußte, daß diese Vorladung nichts mit ihren Missetaten zu tun haben konnte. Dunkle Vorahnungen schwirrten wie ein Schwarm Schmetterlinge durch ihren Bauch. Nachdem sie sich gesetzt hatte, fiel ihr Blick auf die Bilder von gemarterten Heiligen, die auf den Wandbehängen dargestellt waren. Sie schaute schnell weg.

»Mein Kind, ich fürchte, ich habe schlechte Neuigkeiten für dich«, begann die Äbtissin mit ihrer ruhigen Stimme. »Heute morgen erschien bei uns ein Sendbote vom Herzogspalast in Poitou. Er teilte uns mit, daß der Tod deine Mutter und deinen Bruder ereilt hat.« Sie bekreuzigte sich. »Ich empfinde tiefes Mitgefühl mit dir angesichts dieses schmerzlichen Verlustes, aber ich bitte dich auch, nicht zu vergessen, daß deine Mutter und dein Bruder nun bei der heiligen Muttergottes weilen dürfen. Requiescant in pace.«

Ihre Mutter sollte gestorben sein? Und auch der kleine Wilhelm, der noch keine zwei Jahre alt war? Eleonore versuchte, sich ihre Mutter vorzustellen, die sie nicht mehr gesehen hatte, seit sie vor einem Jahr nach Fontevrault gekommen war. Alles, was sie in sich wachrufen konnte, war eine schwache, schattenhafte Gestalt, die sie ermahnte, sich anständig zu verhalten. Aber während der ersten sieben von ihren acht Lebensjahren war dieser Schatten immer an ihrer Seite gewesen, war so zuverlässig aufgetaucht wie die Morgensonne oder der Abendstern. Es war unmöglich, sich ein Leben ohne sie vorzustellen. Es mußte sich um einen Irrtum handeln. Eleonore öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken.

»Für den Rest des Nachmittags brauchst du nicht mehr am Unterricht teilzunehmen«, fuhr die Äbtissin fort. »Ich weiß, du wirst in der Kapelle beten wollen. Schwester Cäcilia wird dich begleiten.«

»Aber ich muß nach Hause.« Sie stieß die Worte seltsam krächzend hervor. »Sofort. Es – es ist vielleicht gar nicht wahr.«

»Ich glaube doch. Es ist immer besser, der Wahrheit so früh wie möglich ins Auge zu blicken. Dein Vater hält es für das beste, wenn du einstweilen noch hierbleibst. Offensichtlich sind die Verhältnisse in Aquitanien noch ungeordnet und ...«

»In Aquitanien ist immer alles ungeordnet«, entgegnete Eleonore. »Ich kann nicht hierbleiben. Meine Schwester Petronilla braucht mich, und dann – und dann wird es ja auch eine Beerdigung geben ...« Sie konnte nicht mehr weitersprechen.

»Angesichts der Hitze wird man die Beerdigung sofort vornehmen.«

»Ich möchte mit dem Boten reden.«

»Natürlich. Er ruht sich im Gästequartier aus.« Die Äbtissin erhob sich. In ihrem schwarzen Habit wirkte sie so groß und eindrucksvoll und so gebieterisch, daß jeglicher Widerstand in ihrer Gegenwart sofort zusammenbrach. Sie schwebte wie ein großer Vogel um den Tisch, blieb vor Eleonore stehen und umfaßte ihr Kinn mit ihren krallenartigen Fingern.

»Dein Unterricht darf nicht unterbrochen werden. Du wirst einmal eine außergewöhnlich gute Schülerin werden, wenn deine aufsässige Art und dein ausgelassenes Benehmen sich ein wenig gelegt haben. Nachdem du sehr schlecht begonnen hast, bin ich jetzt eigentlich recht zufrieden mit den Fortschritten, die du im letzten Jahr gemacht hast.«

Ihre Augen, die grau waren wie ein Tümpel im Winter, blickten Eleonore unverwandt an.

»Es ist besser, wenn du nicht zu lange über deinen Verlust nachgrübelst. ›Müßiggang ist der Feind der Seele‹, sagt der heilige Benedikt. Der Unterricht wird dich ablenken. Schließlich bist du ein Mädchen von acht Jahren und kein kleines Küken mehr, das ständig umhegt werden muß. Wie heißt es in der Heiligen Schrift? ›Der Herr gibt, und der Herr nimmt. Geheiligt sei der Name des Herrn.‹«

»Aber ich will nach Hause«, flüsterte Eleonore, die ihr kaum zugehört hatte.

»Es ist alles gesagt.« Die Äbtissin schwieg einen Moment, als sei sie sich unschlüssig. Dann schien sie zu einer Entscheidung gekommen zu sein. »Ich will, daß du mir jetzt aufmerksam zuhörst, Eleonore!« Die Krallen schüttelten ihr Kinn so ungeduldig, daß Eleonore zusammenzuckte.

Die Äbtissin begann zu sprechen, wobei sie darauf achtete, ihre Worte sorgfältig zu wählen. »Dein einziger Bruder ist tot. Wenn dereinst auch dein geliebter Großvater, Herzog Wilhelm, sterben wird, dann wird deinem Vater das Herzogtum Aquitanien zufallen. Aber wer kommt nach ihm? Nur noch du und deine jüngere Schwester. Unglücklicherweise besitzt dein Vater einen unbeherrschten Charakter und ein ungezügeltes Temperament. Sollte ihm etwas zustoßen – was der Himmel verhüten möge –, dann würdest du, als sein ältestes Kind, die Erbfolge antreten. Natürlich ist anzunehmen, daß dein Vater sich wieder verheiraten und weitere Söhne haben wird, aber bis dahin ...« Die Äbtissin ließ Eleonores Kinn frei.

Eleonore war verwirrt. Sie verstand nicht, was diese Worte bedeuteten. »Sich wieder verheiraten? Ihr meint, eine neue Frau wird an die Stelle meiner verstorbenen Mutter treten?« Der Gedanke an einen derartigen Verrat raubte ihr den Atem.

»Komm, schau nicht so erstaunt. Herzog Wilhelm kommt allmählich in die Jahre, und bald wird Gott ihn zu sich rufen. Aber dein Vater hat noch ein langes Leben vor sich, und gewiß wünscht er sich einen männlichen Erben für Aquitanien.«

»Anstelle – Ihr meint, anstelle von mir?« Die Welt taumelte auf einem schmalen Grat. Unter ihm tat sich ein schier endloser Abgrund auf. Eine neue Mutter? Neue Brüder, die den kleinen Wilhelm ersetzen würden? Vollkommen fremde Leute als Herrscher in Aquitanien? Die Kammer begann vor ihren Augen zu tanzen, und Eleonore mußte sich am Tisch festhalten.

»Das ist eben der Lauf der Welt. Nicht, daß ich diese Tradition billige, nach der die Söhne als Erben bevorzugt werden. Frauen sind dazu genauso imstande. Das heißt, Frauen mit einer gewissen Bildung.«

Die Kammer kam wieder zur Ruhe. Die Äbtissin schwebte zur Tür.

»Ich will keine neue Mutter«, sagte Eleonore mit einer grimmigen Stimme, die sie selbst überraschte. »Und auch keinen neuen Bruder. Ihr habt gesagt, wenn es nicht dazu kommt, dann wird Aquitanien mir zufallen?«

Es folgte ein langes Schweigen, währenddessen die Mutter Oberin Eleonore nachdenklich musterte. »Ich habe nur gesagt, daß du zum gegenwärtigen Zeitpunkt als nächste an der Reihe wärst. Die Wahrscheinlichkeit, daß du eines Tages wirklich das Herzogtum regieren wirst, ist allerdings gering, wenngleich es in Aquitanien kein Gesetz gibt, das eine weibliche Erbfolge untersagt.«

Eleonore starrte sie an. »Dann – dann wäre es also möglich?«

»Alles ist möglich. Aber wenn du eine erfolgreiche Herzogin werden willst, dann darfst du nicht auf den Kopf gefallen sein. Der englische König Alfred hat es einmal sehr treffend ausgedrückt: ›Ein ungebildeter König ist wie ein gekrönter Hintern.‹ Das trifft auf jeden Herrscher zu. Daher tust du gut daran, deine Ausbildung fortzusetzen.«

Obwohl Eleonore innerlich aufgewühlt war, warf sie der Äbtissin einen respektvollen Blick zu. Am Ende bekam die Mutter Oberin immer, was sie wollte. Und Eleonore erkannte, daß sie auch gar keinen Grund hatte, ihr zu widersprechen. Nach ihrer Reise nach Poitiers würde sie bestimmt wieder in das Kloster zurückkehren, um mit ihrer Ausbildung fortzufahren. Wenn sie Aquitanien davor bewahren wollte, Fremden in die Hände zu fallen, dann brauchte sie in der Tat einen klaren Kopf.

Die Glocke läutete zur Vesper.

»Geh jetzt.« Die Äbtissin öffnete die Tür. »Bete zur Muttergottes. Sie wird deine Gebete erhören.« Ein flüchtiges Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. »Auch ich werde dich in meine Gebete einschließen.«

Sofort kehrte der strenge Gesichtsausdruck wieder zurück. Aber Eleonore, die der Mutter Oberin von Anfang an nur mit Ehrfurcht und Angst begegnet war, wußte, daß sie eine unerwartete Verbündete gewonnen hatte.

Nachdem sie mit Schwester Cäcilia die Kapelle Saint-Benoit aufgesucht und, so gut es ging, zu beten versucht hatte, sagte Eleonore, sie brauche kein Abendessen, und machte sich auf, um nach dem Boten zu suchen. Sie lief an der hohen Steinmauer entlang, die das Kloster umgab, vorbei am Fischteich, am Gemüsegarten, am Kornspeicher, an der Mühle und am Taubenschlag. Weiter vorne erblickte sie die vom Nonnentrakt getrennten Quartiere der Mönche und eine lange Schlange schwarzgekleideter Gestalten, die zum Refektorium unterwegs waren.

Sie gelangte zum Gästequartier, wo sie auf Conon stieß, einen jungen Mann mit Haaren, die aussahen wie dichtes Stroh. Er lag auf einer Pritsche und schlief. Eleonore stieß ihn mit dem Fuß an. Er erwachte mit einem Ruck.

»Ist es wahr? Sind meine Mutter und mein Bruder wirklich tot?«

Conon rappelte sich auf. »Ja, Herrin.« Er senkte den Kopf und bekreuzigte sich.

»Wie ist es passiert? Niemand hat mir gesagt, daß sie krank gewesen wären.«

»Dazu war keine Zeit, denn es ist sehr schnell und unerwartet gekommen. Eure Mutter und Euer Bruder machten eines Nachmittags einen Ausflug. Es war sehr heiß, und das Essen, das sie mitgenommen hatten, war vermutlich verdorben – auch mehrere Bedienstete sind krank geworden und gestorben. Am nächsten Morgen jedenfalls hatten beide Fieber und klagten über starke Bauchschmerzen. Die Ärzte konnten nichts tun. Beide starben innerhalb von vierzehn Tagen.«

Conon traten Tränen in die Augen. Eleonore fühlte, wie sich ein schweres Gewicht auf ihre Brust legte.

»Eure Großeltern sind untröstlich. Der ganze Hof ist in Trauer versunken. Man fürchtet, Eure Schwester könnte vor Kummer vergehen, so sehr ist es ihr zu Herzen gegangen. Herzog Wilhelm hat sogar eigens ein Klagelied geschrieben.« Conon wischte sich die Augen aus und begann ein paar Töne zu summen.

»Und mein Vater?«

Conon legte eine Hand auf sein Herz und schloß die Augen. »Der Kummer hat ihn überwältigt. Mein Herr hat seit einer Woche weder Speis noch Trank zu sich genommen. Er weint unablässig. Herrin, Ihr habt noch nie eine derartige Verzweiflung erlebt. Man befürchtet, er könnte an gebrochenem Herzen sterben – es wird schon der Sarg für ihn gezimmert ...«

Das war die typisch aquitanische Art, Dinge zu beschreiben. Alles wurde maßlos übertrieben, aber doch enthielt Conons Geschichte bestimmt mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. In einer solchen Situation war ihre launische, unberechenbare Familie zu allem imstande. Plötzlich hatte Eleonore eine Vision: Eine Schar hochwohlgeborener Frauen drängte sich um ihren Vater. Alle versuchten ihn zu trösten, in der Absicht, die nächste Herzogin von Aquitanien zu werden, sobald ihr Großvater, Herzog Wilhelm, gestorben war. Eleonore erstarrte. Sie mußte unverzüglich nach Hause.

»Nimmst du mich mit, wenn du zurückreist, Conon?«

»Aber Herzog Wilhelm hat gesagt, Ihr sollt hierbleiben.«

»Bitte, Conon.« Ihre Unterlippe begann zu zittern. Er mußte sie einfach mitnehmen. Er durfte es ihr nicht abschlagen.

»Was wird denn der Herzog sagen, wenn ich seine Anweisungen mißachte? Außerdem muß ich zuerst noch nach Châtellerault, um Eure Onkel zu informieren. Aber wenn ich einen wichtigen Grund hätte, Euch mitzunehmen ...«

Eleonore schloß die Augen, keuchte und preßte ihre Hände seitlich an den Kopf. »Ich werde verrückt, wenn ich nicht nach Hause komme – ich werde sterbenskrank werden ...« Sie begann zu torkeln.

Conon nickte. »Sehr gut, Herrin. Ich werde dem Herzog sagen, daß ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe, wie Ihr in Ohnmacht gefallen seid, und daß ich mich, da ich um Euer Leben fürchtete, entschlossen habe, seinen Anordnungen nicht Folge zu leisten. Aber falls er das nicht als Entschuldigung akzeptiert, dann müßt Ihr für mich eintreten.«

»Das verspreche ich. Danke, vielen Dank.« Erleichtert schlang Eleonore ihre Arme um den Hals des Sendboten.

Als Eleonore drei Tage später zu Hause ankam, herrschte in der Burg die übliche Aufregung; es war alles noch fast genauso wie vor einem Jahr, als sie sie verlassen hatte.

»Ich bin froh, daß du gekommen bist, Nell«, sagte die sechsjährige Petronilla, ohne sich besonders überrascht zu zeigen, als Eleonore im Hof erschien, die Kleider staubbedeckt von der Reise. »Mama und Wilhelm sind weggegangen und werden nicht wieder zurückkommen.« Das Gesicht ihrer Schwester war schmutzverschmiert, und ihre Augen waren rotgerändert. »Niemand sagt mir, was ich jetzt tun soll.« Sie warf sich Eleonore in die Arme. »Ich habe gewußt, daß du kommst.«

Für Eleonore war eine Welt zusammengebrochen, doch hier schien alles weitgehend unverändert zu sein. Im Hof eilten Bedienstete umher und schöpften Wasser aus dem Brunnen, Hühner gackerten laut, und Falkner riefen ihre Befehle. Alle Leute, die sich um sie versammelten, bekundeten Eleonore ihr Mitgefühl; sogar die dicke Köchin kam herausgewatschelt, um sie zu umarmen.

Nachdem sie sich zuerst in der Burg umgesehen hatte, entdeckte Eleonore ihren Vater schließlich im Stall. Er war ein Bär von einem Mann mit himmelblauen Augen und strohblondem Haar. Er bedachte sie mit einem düsteren, fragenden Blick.

»Solltest du denn nicht in Fontevrault bleiben, Nell?«

»Ich – äh, ich mußte einfach heimkommen, und deswegen habe ich Conon überredet, mich mitzunehmen. Ihn trifft keine Schuld.«

Ihr Vater nickte geistesabwesend. »Vielleicht ist es so das beste. Ich weiß nicht, was ich mit Petronilla tun soll. Kein sehr schönes Willkommen, fürchte ich.« Er strich ihr liebevoll über den Kopf, dann nahm er sie ungestüm in die Arme. »Ich freu’ mich, dich zu sehen, meine Tochter. Deine arme Mutter – und der kleine Wilhelm – sie sind beide tot.« Er begann zu schluchzen.

»Ich weiß, Vater.« Sie ertrug es nicht, ihn in einem solchen Zustand zu sehen.

Er seufzte und wischte sich die Augen aus. »Was soll ich denn tun? Ich brauche doch einen Erben!« Er biß sich auf die Lippen und schüttelte den Kopf. »Nun, ich muß ins Limousin. Die Barone dort machen uns im Augenblick mehr Scherereien als sonst. Diese hinterhältigen Schweinehunde wissen die Gunst der Stunde zu nutzen. Und dieser Hurensohn, der König von Frankreich, hat deinen Großvater wieder einmal vorgeladen, damit er ihm wegen irgendeiner lächerlichen Anschuldigung Rede und Antwort steht. Unter uns gesagt, dem Herzog geht es nicht gut, er ist nicht reisefähig, also muß ich an seiner Stelle gehen. Was für ein heilloses Durcheinander. Du mußt dich selbst um dich kümmern und um Petronilla.«

»Was tust du denn hier, Nell?« fragte ihr Großvater, Herzog Wilhelm, beim Abendmahl im großen Saal des Maubergeonne-Turmes.

»Die Mutter Oberin – die Mutter Oberin meinte, ich sollte heimreisen.«

Das einstmals sonnengelbe Haar ihres Großvaters war nun grau geworden. Sein Gesicht, früher bronzefarben und von Wind und Wetter gegerbt, sah bleich und alt aus. Herzog Wilhelm, den alle liebevoll den Troubadour nannten, blickte sie mit seinen blauen, aber nicht mehr so durchdringend wie früher wirkenden Augen an. »Entgegen meiner eindeutigen Anweisung? Das glaube ich nicht. Wenn du schon lügen mußt, dann mach es geschickter. Aber trotzdem bin ich froh, dich zu sehen, mein Kind. Wie ich gehört habe, bist du jetzt die beste Schülerin in Fontevrault. Sehr gut.«

Er wendete sich den Gästen am hohen Tisch zu. »Eine Zeitlang befürchtete ich schon, Nell würde bald wieder von der Klosterschule verwiesen werden. Wegen ihres unbotmäßigen Verhaltens, wie man mir sagte.« Er rollte mit den Augen. »Wahrscheinlich hat sie die ehrwürdigen Mönche von ihren Gebeten abgelenkt, meine kleine Enkelin, habe ich recht?« Er küßte die Hand einer Dame, die neben ihm saß, zwinkerte einer Schönheit am anderen Ende des Tisches zu und – Eleonore konnte es nicht genau sehen und war sich deswegen nicht sicher – drückte den Oberschenkel der Ehefrau eines Adeligen, die an seiner anderen Seite Platz genommen hatte.

»Ja, wahrscheinlich«, bemerkte der Erzbischof von Poitou mißbilligend.

Eleonore vermutete, daß der Herzog sich mehr Zurückhaltung auferlegt hätte, wenn auch ihre herrische Großmutter am Tisch gesessen hätte, die allerdings ihre eigenen Gemächer hatte, die sie nur selten verließ. Als alle in das folgende Gelächter einstimmten, fühlte sie sich unbehaglich. Sie war nach Hause gekommen, um den Rest ihrer Welt zu beschützen, der ihr noch geblieben war. Ihr Vater und Petronilla waren niedergeschlagen, aber sonst herrschte auf der Burg dieselbe fröhliche und ausgelassene Stimmung wie früher. Warum trauerte niemand um ihre Mutter? In ihrer Brust barst ein Damm. Tränen schossen ihr über die Wangen. Zum ersten Mal wurde es ihr auf eine grausame, schreckliche Weise bewußt. Ihre Mutter war wirklich tot.

Für kurze Zeit trat Schweigen ein, das nur durch ihr Schluchzen unterbrochen wurde. Sie sah, daß alle Gäste am Tisch zu ihr schauten.

»Der Tod deiner Mutter und deines Bruders ist ein großes Unglück.« Der Herzog bekreuzigte sich. »Eine Tragödie. Aber, wie ich immer sage, man soll sich um die Menschen kümmern, solange sie noch leben, nicht erst, wenn sie gestorben sind. Wir müssen eine neue Mutter für dich finden, mein Kind, je früher, um so besser. Dein Vater muß einen Erben zeugen, und ...«

Eleonore würgte es, was ihn zum Schweigen brachte.

Die Unterhaltung ging weiter. Niemand beachtete sie mehr. Eleonore wischte sich die Tränen aus den Augen und suchte den jüngeren Bruder ihres Vaters. Raimund würde sie bestimmt verstehen und sie trösten. Aber er saß nicht am hohen Tisch, und sie hatte ihn auch seit ihrer Ankunft noch nicht gesehen.

»Wo ist Onkel Raimund?«

»Der ist nach England an König Heinrichs Hof gegangen, um dort sein Glück zu suchen«, antwortete ihr Großvater. »Nein, in Wirklichkeit hat mein unverbesserlicher Sohn ein bißchen zu heftig mit einer gewissen Dame herumgetändelt, und der wutentbrannte Ehemann ist deswegen auf ihn losgegangen. Er konnte mit knapper Not über die Grenze nach Anjou entkommen.« Er seufzte. »Hoffen wir, daß der englische Hof eine läuternde Wirkung auf ihn ausübt und daß Raimund nicht nur älter, sondern auch ein bißchen klüger wird.«

»Das wage ich zu bezweifeln! Der Apfel fällt bekanntlich nie weit vom Stamm!« rief jemand, der schon leicht angesäuselt war. »Der englische König hat doch selber schon so viele Bastarde in die Welt gesetzt, daß er bei Gott nicht das beste Vorbild abgibt.«

Herzog Wilhelm unterdrückte ein Lächeln. »Ja, vielleicht hätte ich Raimund doch lieber in den Vatikan schicken sollen?«

Brüllendes Gelächter antwortete ihm.

»Herzog, das ist wahrlich ein höchst unpassendes Gesprächsthema in Gegenwart des Kindes.« Der Erzbischof rümpfte die Nase.

»Ja, Ihr habt recht. Der Erzbischof versucht darauf hinzuwirken, daß der Bann der Exkommunikation von mir genommen wird, unter dem ich seit Jahren stehe.« Er zwinkerte Eleonore verschmitzt zu. »Als Gegenleistung habe ich ihm versprochen, meinen Lebenswandel zu bessern. Was immer man im Laufe seines Lebens angestellt hat, man sollte am Ende stets in den Schoß der Kirche zurückkehren.«

Herzog Wilhelm, der Troubadour, begann seine Laute anzuschlagen und trug dann mit seiner kratzigen, aber anrührenden Stimme, die Eleonore so liebte, eine von ihm komponierte Kanzone vor. Heute abend jedoch vermochte selbst die Musik ihres Großvaters es nicht, Eleonore das Gefühl der Verlassenheit zu nehmen und ihren Kummer zu verscheuchen. Sie hatte ihren Onkel Raimund sehr gern gemocht. Er war nur acht Jahre älter als sie und ein guter Kamerad. Sie vermißte ihn fast so schmerzlich wie ihre Mutter.

Ihr Großvater beendete sein Lied mit einem Wirbel an Akkorden und erntete viel Applaus. Dann fragte er: »Wo war ich stehengeblieben?«

»Ihr spracht vom Schoß der Kirche«, antwortete der Erzbischof mit selbstgefälligem Lächeln.

»Ah ja. Ein Schoß, der weit weniger verlockend ist als manch anderer Schoß, den ich kenne. Übrigens, da fällt mir etwas ein«, sagte der Herzog und begann, eine seiner Geschichten zum besten zu geben.

Als der Saal vom Gelächter widerhallte, packte der Erzbischof, der inzwischen rot angelaufen war wie ein Truthahn, Eleonore an der Hand und zog sie unter lautem Protest hinaus.

Während der nächsten paar Wochen wurde Eleonore zunehmend bewußt, daß sie genausogut auch in Fontevrault hätte bleiben können. Niemand kümmerte sich um sie, auch ihr Vater nicht. Er war nach zehn Tagen zurückgekehrt, mißmutig und enttäuscht, nachdem er bei einer Auseinandersetzung mit den rebellischen Adeligen des Limousin den kürzeren gezogen hatte. Er stürmte in der Burg umher, rief, er werde der Vorladung des französischen Königs nicht Folge leisten, und wurde immer unausstehlicher. Genau wie Eleonore befürchtet hatte, widmeten ihm die anwesenden Damen einen großen Teil ihrer Zeit, um ihn zu trösten.

»Jede von diesen dummen Schnepfen macht sich Hoffnung, ihn später heiraten zu können«, sagte Eleonore, während sie Petronilla dabei zuschaute, wie die sich Marzipan in den Mund stopfte.

Sie saßen in der Küche, wo sie bei der dicken Köchin immer herzlich willkommen waren.

»Will nicht, daß er wieder heiratet«, sagte ihre Schwester, der Speichel über das Kinn lief. »Jetzt sagt uns keiner mehr, was wir zu tun und zu lassen haben. Das gefällt mir.«

»Du wirst noch krank, wenn du immer soviel süße Sachen ißt«, meinte Eleonore. »Ich will auch nicht, daß er wieder heiratet. Niemand kann den Platz unserer Mutter einnehmen. Die Mutter Oberin sagt, ich bin jetzt die Erbin. Wenn Vater wieder einen Sohn bekommt, dann bin ich’s nicht mehr.«

»Mir wäre es lieber, wenn Aquitanien dir gehören würde, Schwester, statt irgend jemand anderem.«

Eleonore beugte sich hinüber und drückte einen Kuß auf Petronillas klebrige Wange.

Kurz nach der Rückkehr ihres Vaters rief Eleonores Großmutter Dangereuse sie alleine zu sich. Onkel Raimund hatte Eleonore erzählt, daß Dangereuse früher mit einem von Herzog Wilhelms Vasallen verheiratet gewesen war, bis der Herzog sie als seine Mätresse nach Poitiers geholt hatte. Da er damals noch mit Philippa von Toulouse verheiratet war, der Mutter seiner sieben Kinder, rief dies einen Sturm der Entrüstung hervor. Um die Wogen wieder einigermaßen zu glätten, sagte Raimund, hatte sein Vater eilig die Tochter, die seine Geliebte von dem Vasallen hatte, mit seinem ältesten Sohn verehelicht, der damals sechzehn Jahre alt war. Eleonore war ihr erstes Kind.

Obwohl sie es noch nicht genau verstand, wußte Eleonore, daß ihre Großeltern eine schwere Sünde begangen hatten – für die die Kirche immer noch Buße forderte. Sie hatte mitbekommen, wie die Bediensteten hinter vorgehaltener Hand darüber redeten, daß die launische alte Großmutter den Herzog von Aquitanien immer noch in ihrem Bann hielt. Die Ehebrecherin würde dies durch Hexerei bewerkstelligen, tuschelten sie, durch Zaubertränke und magische Sprüche. Eleonore glaubte das zwar nicht, aber dennoch war Dangereuse von einer Aura des Geheimnisvollen umgeben, die Eleonore Angst machte.

An einem heißen Nachmittag in der letzten Augustwoche stieg sie die Wendeltreppe zur obersten Etage des Maubergeonne-Turmes empor, wo Dangereuse ihre Gemächer hatte. Eleonore hatte ihre Großmutter seit ihrer Rückkehr aus dem Kloster nicht gesehen – man besuchte sie nur, wenn sie einen zu sich bestellte. Der Boden der Kammer war mit Teppichen belegt, die Gartennelken und weiße Lilien zeigten. Silberne Schalen und Krüge zierten die glänzenden Eichentische. Ihre immer noch hübsche Großmutter, die ein hermelinbesetztes Kleid trug, lag auf einem Himmelbett mit einem grün und golden bestickten Baldachin. Ihr kastanienbraunes, von einzelnen weißen Strähnen durchsetztes Haar fiel üppig über ihre zarten Schultern. Sie streckte Eleonore müde ihre weiße Hand entgegen. In der anderen Hand hielt sie einen silbernen Spiegel, den sie hin und her drehte, während sie ihr schmales Gesicht mit den hohen Backenknochen und den unnatürlich violetten Lippen studierte.

»Ich freue mich, dich zu sehen, mein Kind.« Eleonore küßte die ausgestreckte Hand, die angenehm nach Rosenwasser duftete. »Ich hoffe, diese Nonnen haben dir nicht die Seele aus dem Leib geprügelt?« Sie warf Eleonore einen durchdringenden Blick zu. »Wie ich sehe, scheint das nicht der Fall zu sein. Es ist besser, wenn du bald wieder nach Fontevrault zurückkehrst, um deine Ausbildung fortzusetzen.«

Als Eleonore dagegen zu protestieren begann, streckte ihre Großmutter gebieterisch den Zeigefinger in die Höhe. »Widersprich mir nicht! Bildung ist wichtig für eine Frau. Sie macht sie dem Mann ebenbürtig. Wissen ist Macht.«

Während sie immer noch in den Spiegel schaute, befeuchtete sie einen Finger und fuhr damit über eine Augenbraue. »Wie geht es deinem Vater? Ich habe ihn in letzter Zeit kaum gesehen.«

Tränen der Bitterkeit schossen Eleonore in die Augen. »Mein Vater ist die meiste Zeit weg, und wenn er einmal zu Hause ist, dann hat er schlechte Laune. Mein Großvater behandelt mich wie Luft. Die Diener, die für uns sorgen sollen, kümmern sich mehr darum, miteinander zu tratschen. Mir fehlt meine Mutter.«

»Ich vermisse sie auch, aber das Leben muß weitergehen.« Sie legte den Spiegel weg und blickte Eleonore an. »Heilige Maria Muttergottes, ich hoffe, du fängst nicht an, dich zu bemitleiden. Ich hasse nichts mehr als jammernde Frauenzimmer. Wenn dir die Dinge nicht passen, so wie sie sind, dann ändere sie.«

Sie fuhr mit den Fingern angewidert durch Eleonores dichte kastanienbraune Locken. »Schau dich doch einmal an! Welcher Mann soll denn einer schmutzigen, ungekämmten Göre Aufmerksamkeit schenken? Wasch deine Haare mit Essig.« Sie strich Eleonore mit der Hand über die Wangen und die Stirn. »Was für eine feine, glatte Haut du hast, aber ich sehe auch Flecken und Pickel. Zuviel Sonne und zuviel Süßigkeiten.«

»Keiner interessiert sich dafür, was wir essen oder ob wir überhaupt etwas essen.«

Dangereuse gab Eleonore einen kräftigen Klaps auf die Finger. »Als erstes mußt du lernen, daß eine Frau selbst dafür verantwortlich ist, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen.«

»Aber wie?«

»Wie? Wie?« Mit einem verächtlichen Schnauben nahm ihre Großmutter den Spiegel wieder zur Hand. »Wer danach erst fragen muß, wird es nie lernen.«

»Mein Vater redet davon, wieder zu heiraten. Er will einen Sohn.«

Dangereuse zuckte mit den Schultern und verzog das Gesicht vor dem Spiegel. »Na und? Männer reden immer davon, zu heiraten und Söhne zu bekommen. Das ist ihre einzige Beschäftigung neben Krieg spielen und Frauen verführen.«

»Aber ich könnte eine neue Mutter nicht ertragen – oder einen neuen Bruder.«

»Natürlich nicht.« Die Großmutter kicherte amüsiert. »Denn dann würdest du ja zur Seite geschoben werden, nicht wahr? Ich vermute, du bist scharf darauf, Herzogin zu werden.«

»Nein! Ich meine, ja – ich weiß nicht ...«

Großmutters Augen, die eine mattgrüne Farbe hatten, mit braunen Einsprengseln, und an den Ecken leicht schräg standen, wie bei einer Katze – oder einer Hexe –, brachten Eleonore durch einen vernichtenden Blick zum Schweigen.

»Du dummes Kind! Was verstehst du denn von diesen Angelegenheiten? In den vergangenen drei Jahrhunderten war das Herzogtum trotz seines Reichtums immer ein Unruheherd. Keiner der Herzöge ist hier seines Lebens froh geworden. Aquitania nannten es die Römer, wegen der vielen Flüsse, die hier entspringen. Ha! Flüsse von Blut sind das!«

»Ich könnte es nicht ertragen, wenn hier Fremde regieren«, flüsterte Eleonore, verblüfft durch das, was ihre Großmutter gerade gesagt hatte. »Ich liebe unser Land.«

»Ich auch. Und das zeigt, daß wir beide Dummköpfe sind. Du wirst nicht viel Freude haben an diesem Paradies, das kann ich dir versichern.« Dangereuse zuckte mit den Schultern. »›Aus wilden Schwänen werden niemals zahme Gänse‹, heißt es. Was soll man auch anderes erwarten?« Nach einer vielsagenden Pause griff sie wieder zum Spiegel, um sich darin zu betrachten. »Wenn kein männlicher Nachkomme vorhanden ist, wird Aquitanien einer Frau zufallen. Daher gibt es keinen Grund – keinen rechtlichen Grund –, weshalb du, falls dein Vater keinen Sohn mehr bekommt, nicht Herzogin werden solltest. Falls du einigermaßen klug bist, was sich aber erst noch herausstellen muß.« Ihr Blick wendete sich vom Spiegel ab und heftete sich auf Eleonores Gesicht. »Wenn du bekommen willst, was du dir wünschst, mußt du die Dinge selbst in die Hand nehmen. Aber um das tun zu können, mußt du dir erst einmal Aufmerksamkeit verschaffen. Aber wenn du nicht einmal das von alleine zuwege bringst, dann sehe ich schwarz für dich.« Sie beugte sich nach vorne, bis ihr Gesicht fast das von Eleonore berührte. »Ich verlasse zwar meine Gemächer nicht, aber ich werfe einen langen Schatten, mein Kind. Wenn ich das Wort ergreife, dann hört der Herzog mir zu ...«

Es klopfte an der Tür, und Herzog Wilhelm trat ein, einen Strauß dunkelroter Rosen im Arm. Dangereuse winkte Eleonore schnell zur Seite.

»Meine Liebste, wie wunderschön du heute wieder aussiehst, wie ein junges Mädchen. Nell stattet dir gerade einen Besuch ab?« Er setzte sich aufs Bett, nahm Dangereuses zarte Hand in die seine und drückte sie sanft an seine Wange. »Es verlangte mich plötzlich danach, dich mit Rosen im Haar zu sehen.«

»Wilhelm«, murmelte Eleonores Großmutter, deren Gesicht plötzlich jugendlich wirkte und strahlte.

Sie sahen sich an, während der Herzog die Köpfe mehrerer Blumen abschnitt und damit begann, sie ihr in das Haar zu flechten. Daß Eleonore auch noch da war, schienen sie vergessen zu haben. Eleonore schlich zur Tür. Sie wünschte sich, daß eines Tages irgend jemand auch sie so innig lieben würde wie ihr Großvater ihre Großmutter.

Sie war schon aus der Tür getreten, als Dangereuse ihr noch nachrief: »Sag meinem neuen Kaplan, Meister André, er soll damit anfangen, dir Provenzalisch beizubringen. Es ist besser, für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Für den unwahrscheinlichen Fall, daß du mir doch noch eine Überraschung bereitest.«

Während der nächsten Tage lief Eleonore gedankenverloren in der Burg umher und dachte an ihre Mutter. Sie hatte zwar ein heißes Bad genommen und ihre Haare mit Essig gewaschen, aber noch immer beachtete man sie nicht.

Sie aß, was ihr in den Sinn kam – verzichtete allerdings auf Süßigkeiten –, und tat auch sonst, wozu sie aufgelegt war. Als sie Bauchschmerzen bekam, nachdem sie sich mit unreifen Äpfeln vollgestopft hatte, schien das niemandem sonderlich Sorgen zu bereiten. Sie sprang mit ihrem Pony über verbotene Zäune und hoffte dabei fast, sie würde vom Pferd fallen und sich verletzen, so daß irgend jemand sich um sie würde kümmern müssen. Sie überredete den Ober-Falkner dazu, ihr beizubringen, wie man Sperber fliegen ließ, und niemand verwehrte ihr das. Als man sie und den Sohn des Haushofmeisters dabei entdeckte, wie sie, beide splitternackt, ihre körperlichen Unterschiede erforschten, da schlug der Haushofmeister zwar seinen Sohn, beließ es bei Eleonore aber mit der Ermahnung, sie solle endlich anfangen, sich wie eine Dame zu benehmen. Soweit sie wußte, erzählte er später niemandem von dem Vorfall. Ihr Vater und ihr Großvater, die beide mit den Problemen Aquitaniens und mit ihrer Auseinandersetzung mit König Ludwig von Frankreich beschäftigt waren, schienen ganz vergessen zu haben, daß es sie auch noch gab.

Ihr fiel nichts ein, wodurch sie ihre Umgebung auf sich hätte aufmerksam machen können.

Eines Tages brach ihr Vater zu einer Reise nach Bordeaux auf.

»Bitte nimm mich mit«, bat sie ihn.

»Was soll ich denn dort mit dir? Ich muß Lehensleute aufsuchen, Gelder eintreiben, Streitfälle schlichten ...« Er schüttelte den Kopf.

Zu ihrer Überraschung begann Eleonore, das Kloster Fontevrault zu vermissen: die Unterrichtsstunden, die schöne Umgebung, die Schwestern, die wie eine Schar schwarzer Stare über den Boden schwebten. Sogar die ruhige, bestimmende Gegenwart der Mutter Oberin fehlte ihr, was sie noch mehr erstaunte. Ihr einziger Trost war der Unterricht, den sie von Meister André erhielt, dem jungen Kaplan.

Ungefähr einen Monat nachdem sie aus Fontevrault heimgekehrt war, kam die sauertöpfische Tante Agnes, eine der fünf Schwestern ihres Vaters, aus Maillezais angereist, das zehn Wegstunden entfernt lag.

»Sieh dich doch nur an, Eleonore«, sagte sie, kaum daß sie die Kammer betreten hatte, in der Eleonore und ihre Schwester schliefen. »Wann hast du zum letzten Mal ein sauberes Gewand getragen? Ich habe gute Lust, dich und Petronilla wieder zu mir nach Hause zurückzunehmen. Der Hof deines Großvaters ist nicht der richtige Aufenthaltsort für unbehütete Mädchen.« Sie rümpfte die Nase. »Hier hast du nur diese verkommene alte Großmutter, an die du dich halten kannst.«

Eleonore und Petronilla wechselten ängstliche Blicke. Jedermann wußte, daß Agnes Dangereuse haßte. Sie hatte es ihr nie verziehen, daß sie ihre Mutter, Philippa von Toulouse, von der Seite des Herzogs verdrängt hatte. Philippa, durch die amourösen Eskapaden ihres Ehemannes schwer gekränkt, hatte sich mit gebrochenem Herzen in das Kloster Fontevrault zurückgezogen, wo sie schließlich auch starb – weniger an Kummer als an Haß und Verbitterung, wie böse Zungen behaupteten. Tante Agnes hatte dann alles getan, Eleonores Mutter das Leben schwerzumachen, indem sie sie ständig daran erinnerte, daß nicht nur die Kirche – sowohl der Herzog als auch Dangereuse waren exkommuniziert worden –, sondern sogar die eher leichtlebigen aquitanischen Adeligen das skandalöse Verhalten ihres Herzogs mißbilligten. Daß Herzog Wilhelm das ehebrecherische Verhältnis mit seiner Mätresse aber offen und unbekümmert fortgesetzt hatte, hielt die Glut von Tante Agnes’ Empörung stets am Glimmen.

Einen Tag nachdem Eleonores Vater wieder aus Bordeaux zurückgekehrt war, erschien eine große Zahl von Gästen am Hof. Einige kamen sogar aus der Champagne oder aus Anjou. Als Eleonore sich auf ihren Platz am hohen Tisch setzte, war ihr Großvater gerade mitten in einer Geschichte.

»... nun, meine Freunde, ich habe zwar ein sehr bewegtes Leben hinter mir, habe an einem Kreuzzug teilgenommen und etwas gesehen von der Welt, habe viele Kämpfe ausgefochten, wenngleich ich dabei meistens unterlag, und habe mich unzählige Male mit den aufmüpfigen Adeligen dieses Herzogtums herumgeschlagen, aber ich muß sagen, die glücklichsten Augenblicke in meinem Leben waren jene, in denen ich entweder hinter Frauen her war, Frauen verführt habe oder Lieder über Frauen geschrieben habe. Wie ihr wißt, habe ich, um der Kirche zu Gefallen zu sein, dies alles aufgegeben und versucht, mich eines gesitteteren Lebenswandels zu befleißigen. Mein einziger Trost besteht in der Hoffnung, daß der Himmel der Christen am Ende auch nicht viel anders aussehen wird als jener der Moslems – nämlich bevölkert mit vielen wunderschönen Huris.«

Im Saal erhob sich lautes Gelächter.

Dann berichtete Eleonores Vater von der prekären Lage in Bordeaux, sprach davon, daß seine Vasallen in Angoulême ihm den Gehorsam verweigerten, und erzählte von den Schwierigkeiten, die es ihm bereite, alle Abgaben einzutreiben, die dem Herzogtum zustanden.

An diesem Tag war der große Saal besonders festlich hergerichtet worden. Die Damen trugen farbenprächtige Gewänder mit langen Schleppen, goldener Schmuck glänzte auf ihren Dekolletés. Spielleute hantierten mit silbernen Bällen, Akrobaten vollführten Purzelbäume, und Sänger trugen Herzog Wilhelms Kanzone über die edle Herrin vor, die ehrbaren Rittern ihre Gunst erwies.

Eleonore aber fühlte sich elend. Um sich attraktiver zu präsentieren, hatte sie erneut in einem Zuber mit heißem Wasser gebadet, ein einigermaßen sauberes gelbes Kleid angezogen und ein goldfarbenes Seidenband in ihre Haare geflochten.

Ihr Großvater streckte eine Hand hoch. Die Sänger verstummten, und auch die anderen Künstler zogen sich zurück.

Herzog Wilhelm begann seine Laute anzuschlagen. Ein Troubadour aus dem maurischen Spanien, der zu Besuch gekommen war, tanzte in die Mitte des Saals und begleitete den Herzog, indem er seine Kastagnetten im Takt der Musik schlug. Die Luft war blau vor Rauch und erfüllt von dem Duft gebratenen Wildfleisches. Unter den Tischen rauften sich Hunde um die Knochen, Diener eilten im Saal umher, füllten die Becher mit Wein nach und trugen die dampfenden Speisen auf.

Überwältigt von einem plötzlichen Drang, den sie sich später nie mehr erklären konnte, sprang Eleonore auf die hölzerne Bank und stieg auf den breiten, mit einem weißen Tuch bedeckten Tisch. Dann begann sie, mit den Füßen im Takt der Musik zu stampfen. Für einen kurzen Augenblick trat Stille ein. Sie sah, daß alle Gesichter sich ihr zuwandten, bemerkte, wie die Leute sie amüsiert oder ungläubig anstarrten. Ihr Herz raste, und einen Augenblick lang dachte sie daran, wieder herunterzusteigen und sich auf ihren sicheren Platz zurückzuziehen. Aber dann fing sie den erstaunten Blick ihres Großvaters auf, dessen Hand kurz innehielt, bevor er weiterspielte, und sie sah, wie ihr Vater sie mit seinen blauen Augen verblüfft anstarrte. Die beiden Männer sahen aus, als hätten sie sie noch nie in ihrem Leben gesehen.

Langsam hob Eleonore den Saum ihres Kleides, zog es höher und höher ihre gelbbestrumpften Beine hinauf, bis zuerst ihre Knie, dann auch ihre dünnen Oberschenkel zum Vorschein kamen. Sie wirbelte herum, dehnte und streckte sich und begann über und zwischen den silbernen Salzständern, den Gedecken mit Wildfleisch, gebratenem Geflügel und gebackenem Fisch und den silbernen Schalen mit Birnen, Nüssen und Süßigkeiten zu tanzen.

»Holla! Holla! Das ist meine Enkelin!« Ihr Großvater feuerte sie an. Ein Ausdruck freudigen Entzückens huschte über sein Gesicht, und für einen kurzen Moment erblickte Eleonore in ihm wieder den alten Schelm. »Seht Euch Nell an, meine Freunde, die gai saber fließt in ihren Adern! Sie ist eine echte Tochter Aquitaniens!« Er sprang auf und begann schneller zu spielen; die Kastagnetten schlossen sich an.

»Das ist abstoßend!« schimpfte Tante Agnes. »Sie stellt sich zur Schau wie eine Dirne.«

Eleonore, die ein bisher nicht gekanntes Gefühl von Macht verspürte, achtete nicht auf sie. Jetzt endlich stand einmal sie, und nur sie, im Mittelpunkt.

Als die Musik endete, blickte ihr Vater sie an. »Wunderbar, einfach wunderbar! So kenne ich dich gar nicht, meine Tochter! Wie alt bist du jetzt?«

»Acht.«

»Wie die Zeit vergeht! Ich habe dich vernachlässigt, Nell. Ich muß mir wieder mehr Zeit für dich nehmen.«

»Dangereuse hat mich gerade daran erinnert, daß Nell deine Erbin ist, solange du nicht wieder heiratest und einen Sohn hast. Vergiß das nicht, Wilhelm«, sagte Eleonores Großvater. »Vielleicht wäre es gut, wenn sie schon anfängt zu lernen, was es heißt, Aquitanien zu regieren.«

»O ja, ich möchte die Erbin sein, Vater. Bitte, bitte, heirate nicht noch einmal.« Sie setzte sich auf seinen Schoß, schlang die Arme um ihn und drückte ihr Gesicht an seinen Hals.

Wieder erhob sich ein Sturm des Gelächters. Herzog Wilhelm ergriff eine von Eleonores Händen und küßte die Fingerspitzen. »Das ist ja eine richtige kleine Verführerin, wie? Wer kann ihr denn widerstehen? Übrigens, da wir gerade von Verführerinnen reden, fällt mir etwas ein. Habe ich euch schon von den zwei scharfen Schwestern erzählt, denen ich einmal begegnet bin ...« Und schon wieder war er mitten in einer seiner Geschichten.

Für den Rest des Abends blieb Eleonore auf dem Schoß ihres Vaters sitzen, kuschelte sich in seine warmen Arme und war überglücklich. Es stimmte, was ihre Großmutter gesagt hatte: Wenn man bekommen wollte, was man sich wünschte, dann mußte man die Dinge selbst in die Hand nehmen.

Von diesem Zeitpunkt an veränderte sich Eleonores Leben. Tante Agnes verließ Poitiers ohne sie, nicht aber, ohne ihr noch ein schlimmes Schicksal vorausgesagt zu haben. Eleonore kehrte wieder nach Fontevrault zurück, aber jedesmal, wenn sie nach Hause kam, stand sie im Mittelpunkt des Interesses, wurde von ihrem Vater umhegt und gepflegt, und ihr Großvater brachte ihr das Lautespielen und einige seiner Lieder bei.

Ein Jahr später starb ihre Großmutter. Herzog Wilhelm folgte ihr sechs Monate später. Daraufhin wurde Eleonores Vater als Wilhelm X. neuer Herzog von Aquitanien. Er hatte zwar ein paar halbherzige Versuche unternommen, eine neue Frau zu finden, aber es hatte sich nichts ergeben – bis jetzt jedenfalls. Die Leute schüttelten den Kopf und meinten, es sei wohl Gottes Wille.

Als sie zehn Jahre alt wurde, nahm der neue Herzog Eleonore mit auf eine Rundreise durch das Herzogtum. »Alle Vasallen Aquitaniens schulden nun mir Treue, ebenso wie ich dem verdammten König von Frankreich Treue schulde«, sagte er zu Eleonore. »Ich möchte, daß du mit eigenen Augen siehst, was das alles bedeutet.«

Eleonore saß auf dem Pferd ihres Vaters, der den langen Troß von Schreibern, Sekretären, Stallburschen, Köchen, Troubadouren und Rittern anführte. Nachdem sie die Wälder von Poitou durchquert hatten, besuchten sie die Waffenschmiede von Blaye, dann die Abtei von Saintes, wohin sich die inzwischen verwitwete Tante Agnes als Nonne zurückgezogen hatte.

Agnes hatte ihre Griesgrämigkeit noch nicht verloren. »Dieses Mädchen sollte besser zu Hause bleiben und sich mit Stricken und Handarbeit beschäftigen, anstatt im Herzogtum umherzureisen. Das wirst du eines Tages noch bereuen, Bruder.«

Glücklicherweise hörte Eleonores Vater nicht auf seine nörgelige Schwester, und sie setzten die Reise fort. Eleonore sah, wie ihr Vater in den Dörfern die Abgaben in Form von Schweinen, Hühnern und Säcken mit Mehl einsammelte.

Bei der Traubenernte in Cognac half Eleonore den Dörflern dabei, die Weintrauben zu zerstampfen, während ihr Vater das Verladen von Fässern mit der Ernte des vergangenen Jahres überwachte.

»Kommt nächstes Jahr wieder, kleine Herzogin!« riefen die Leute ihr nach, als sie ging, und zogen ihre Mützen. »Ihr seid eine von uns.«

»Kleine Herzogin«, wiederholte sie gerührt für sich.

Als nächstes besuchten sie das Limousin, wo Eleonore die widerspenstigen Barone zu Gesicht bekam, von denen sie schon so viel gehört hatte, und miterlebte, wie ihr Vater ihnen neue Treuegelöbnisse abnahm und zwischen zwei niederen Adeligen einen Streit um Wasserrechte schlichtete. Als sie vor diesen selbstherrlichen Edelleuten einige der Minnelieder sang, die ihr Großvater ihr beigebracht hatte, erntete sie großen Beifall.

»Du hast dieselbe Begabung wie der Troubadour«, sagte ihr Vater, als sie südwestwärts weiterritten, in Richtung der Hauptstadt Bordeaux. »Du weißt, wie du deine Untertanen für dich einnehmen kannst.«

Eleonore wußte nicht recht, was mit dieser Begabung gemeint war, aber sie erkannte, daß die Unbeherrschtheit und die Schroffheit, die ihr Vater manchmal an den Tag legte, ihm nicht gerade die Sympathien seiner Vasallen eintrug.

Im September kehrten sie nach Poitou zurück. Dort machten sie zuerst in dem Fischerdorf Talmont halt, das auf einer felsigen Landspitze hoch über dem Meer lag. Ihr Großvater hatte hier Falken gehalten. Sie hörte, wie ihr Vater sich mit den Fischern über Boote und Netze unterhielt und darüber, welche Fangmenge sie in dieser Saison erwarteten.

»Du siehst, wie unterschiedlich die einzelnen Teile unseres Herzogtums sind«, sagte ihr Vater. »Und du kennst noch nicht einmal die Hälfte von Aquitanien. Zwischen Poitou und den Pyrenäen sind die Menschen sehr verschieden.«

Er nahm sie an der Hand und führte sie zu den Klippen. Es war sehr heiß, am Himmel zeigte sich keine Wolke. Kein Windhauch bewegte die Luft. Der Herzog wendete den Blick von den Wellen ab, die sich an dem roten Stein brachen, und zeigte zu den Bergen in der Ferne, die mit dem silbernen Horizont verschmolzen.

»Die Herzöge von Aquitanien herrschen hier schon seit undenklichen Zeiten, Nell. Und wir werden weiter hier herrschen, solange es uns gelingt, uns gegen begehrliche Oberherren wie den König von Frankreich zu behaupten und unsere aufmüpfigen Vasallen in Schach zu halten. Dieses Land liegt uns im Blut, wir können uns davon nicht befreien.«

Herzog Wilhelm bückte sich und hob einen rostfarbenen Stein auf. Er glänzte wie ein Edelstein in der Sonne.

»Auf diesen Klippen, auf denen wir jetzt stehen, haben die Römer eine Siedlung gegründet, die Goten haben Waffen aus dem Gestein geschlagen, und die Araber haben ihre Zuchthengste hierher geführt.« Er drückte ihr den Stein feierlich in die Hand. »Dies ist das reichste Lehen im ganzen Abendland, ein heiliges Gut, das von Generation zu Generation weitervererbt wird. Ich beabsichtige, mich wieder zu verheiraten, um einen Sohn zu bekommen. Aber sollte aufgrund irgendeiner Wendung des Schicksals dieses kostbare Juwel dir anvertraut werden, dann befolge meine Worte und hüte dieses Erbe gut.«

Ein männlicher Erbe. Eleonore hatte gehofft, durch ihre Liebe zu ihrem Vater würde es ihr gelingen, diese dunkle, drohende Wolke zu verscheuchen.

Es durfte nicht und es konnte nicht so weit kommen.

Die Heilige Muttergottes – und vielleicht auch andere Heilige – würden ihre Gebete nicht unerhört lassen.

Seit jenem Augenblick, als sie sich entschlossen hatte, auf dem Tisch zu tanzen, und das Gefühl der Macht wie eine Woge in ihr aufgebrandet war, wußte Eleonore in ihrem Innersten, daß ihr Schicksal und das von Aquitanien untrennbar und für allezeit miteinander verbunden waren. Sie mußte Aquitanien beschützen, lieben und sogar dafür sterben, ob sie wollte oder nicht.

Erster Teil

Aquitanien ist ein Land des Überflusses, in jeglicher Hinsicht.

Ralph von Diceto

Die Bewohner Poitous sind sehr lebensfreudig und gute Soldaten, sie sind tapfer, geschickt bei der Jagd und kleiden sich elegant. Sie haben eine stattliche Erscheinung, sind einfallsreich, aufgeschlossen und gastfreundlich.

Aus einem Pilgerführer des 12. Jahrhunderts

Mit der Süße des Frühlings

belauben sich die Wälder, und die Vögel

singen, ein jeder in seiner Art

nach der Versart des neuen Gesangs:

da ist es ganz recht, wenn man sich mit dem versorgt,

wozu man am meisten Lust hat.

Wilhelm IX., Herzog von Aquitanien

und VII. Graf von Poitou,

der erste Troubadour,

Mit der Süße des Frühlings

Kapitel 1

Bordeaux, im Juni 1137

Eleonore wurde aus dem Schlaf geschreckt durch das Geräusch von Pferdehufen, die über das Pflaster des Hofes klapperten. Wenn mitten in der Nacht Reiter in Bordeaux eintrafen, lange nachdem die Tore der Stadt geschlossen worden waren, dann bedeutete das nichts Gutes: vielleicht irgendwo in Aquitanien ein Aufstand, ein plötzlicher Todesfall – immerhin war ihr Vater noch nicht von seiner Pilgerfahrt zum Grab des heiligen Jakob nach Santiago de Compostela in Spanien zurückgekehrt!

Eleonore schlüpfte nackt aus dem Bett, das sie mit ihrer jüngeren Schwester Petronilla teilte, lief zu dem kleinen Fenster des Turmzimmers und stieß es auf. Der Geruch von Geißblatt und Jasmin stieg ihr in die Nase. Bleiches Mondlicht ergoß sich über die Mauern des Palastes l’Ombrière, beleuchtete den gedrungenen Turm, in dem Eleonore wohnte, und die Reiter unten im Hof.

Zwei dunkel gekleidete Gestalten stiegen ab und wurden sofort von Knappen und Palastwachen umringt.

»Weckt Herzogin Eleonore und den Erzbischof!« rief eine Stimme, die Eleonore als diejenige von Conon, dem Stallmeister ihres Vaters, erkannte.

Darauf donnerten Stiefel über den Hof.

»Wo ist Herzog Wilhelm?« Die Stimme eines Wächters brachte eine Frage zum Ausdruck, die auch Eleonore sich stellte.

Die Antwort ging in dem Lärm unter, den die Reiter, die Knappen und die Wachen machten, als sie den Hof verließen. Eleonores Herz begann zu klopfen. Ja, wo war ihr Vater? Sie wartete noch einen Augenblick, um zu sehen, ob vielleicht noch weitere Reiter kamen. Doch der Hof blieb leer und wirkte nun ziemlich gespenstisch unter den schwarzen Wolken, die sich vor den Mond geschoben hatten.

Eleonore wendete sich vom Fenster ab und erstarrte. Ihr Atem stockte. Herzogin Eleonore? Hatte Conon das wirklich gesagt? Heilige Muttergottes – sie hielt sich eine Hand vor den Mund, um nicht aufzuschreien. Nein. Das hatte sie sich eingebildet. Sie war ja noch gar nicht richtig wach.

Aber irgend etwas war im Gange. Im Geiste hörte sie die sanfte Stimme ihrer toten Mutter, die sie immer vor unziemlicher Neugierde gewarnt hatte. »Aber diese Angelegenheit, was immer es auch ist, geht mich etwas an«, flüsterte Eleonore. »Ich weiß es. Bitte versteh das.«

Behutsam und darauf bedacht, ihre schlafende Schwester nicht zu wecken, lief sie über den syrischen Teppich, den ihr Großvater von seinem Kreuzzug ins Heilige Land mitgebracht hatte, griff sich den ersten Gegenstand, den sie sah – einen elfenbeinfarbenen Kittel, der auf dem Boden lag –, und zerrte ihn sich eilig über den Kopf. Sie versuchte, die stechenden Schmerzen in ihrer Brust zu ignorieren, ergriff einen silbernen Kerzenleuchter und schlüpfte an den schlafenden Zofen vorbei aus der Kammer.

Ihre nackten Füße machten kein Geräusch auf dem Steinboden, als sie den Gang entlanglief, die Wendeltreppe hinuntereilte und erst vor den offenen Türen des großen Saals stehenblieb. Dort entzündeten gerade gähnende Pagen die Fackeln in den eisernen Wandhalterungen. Das Feuer warf flackernde Schatten auf die hölzernen Tische und Bänke und verlieh den Jagdszenen, die auf den Wandteppichen dargestellt waren, ein unheimliches Funkeln.

Das Licht der Fackeln beleuchtete den rundlichen, mit einer Tonsur versehenen Kopf des Erzbischofs von Bordeaux, der in ein Gespräch mit den beiden Stallmeistern Conon und Roland vertieft war.

Klopfenden Herzens blies Eleonore die Kerzen aus und betrat den Saal.

»Wo ist mein Vater?« fragte sie mit zitternder Stimme.

Der Erzbischof wechselte schnell einen Blick mit den Stallmeistern. »Mein armes Kind, ich wollte dich schon wecken – gütiger Himmel, du bist ja gar nicht richtig angezogen! Geh zurück in deine Kammer und kleide dich, wie es sich gehört!«

Eleonore überging diese Bemerkung und raffte sich dazu auf, die Frage zu wiederholen: »Bitte, wo ist er?«

»Ich bringe schlechte Nachrichten, Herrin.« Conon blickte sie mit gebeugtem Kopf an. »Herzog Wilhelm – Gott lasse ihn ruhen in Frieden – ist an einem Fieber gestorben.«

An einem Fieber gestorben. An einem Fieber gestorben. Diese Worte hämmerten in Eleonores Kopf, sie verstand zunächst nicht, was sie bedeuteten. Unmöglich, daß dieser wuchtige, bärenstarke, lebenslustige Mann plötzlich wie eine Kerzenflamme ausgelöscht worden sein sollte. Am liebsten wäre sie wieder zurück zu ihrem Bett gelaufen, um sich unter der Decke zu verstecken und so zu tun, als habe sie Conons erschütternde Worte nie gehört. Aber sie blieb wie angewurzelt stehen, sie verspürte den Zwang, alles bis ins letzte, quälende Detail zu erfahren.

»Wo?« fragte sie flüsternd.

»In Santiago in Spanien. Wir haben ihn dort vor zehn Tagen begraben und sind dann so schnell wie möglich nach Aquitanien zurückgeritten. Auf dem Sterbebett bat der Herzog uns noch, die Nachricht vorerst geheimzuhalten.«

Eleonore traten Tränen in die Augen. »Warum geheimhalten?« Ihre Stimme war kaum zu hören.

»Warum?« fragte Conon zurück, offensichtlich überrascht, und wechselte einen Blick mit dem Erzbischof. »Wegen Euch, Mademoiselle, wegen Euch.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Sobald sich die Nachricht von seinem Tod im Ausland herumgesprochen hat, mein Kind«, sagte der Erzbischof, »werden alle besitzgierigen Fürsten Europas wie die Geier über dieses Herzogtum herfallen. Und die begehrlichen Vasallen innerhalb Aquitaniens werden nach Bordeaux ausschwärmen wie die Bienen nach dem Nektar.«

Eleonore blickte vom Erzbischof zu Conon und zu Roland.

»Sie versteht es nicht, Euer Gnaden«, sagte Roland. »Es ist der Schock.«

Der Erzbischof schnalzte mit den Fingern. »Bring deiner Herrin einen Kelch Wein«, sagte er, als eine Magd erschien.

»Ich weiß, dies ist eine fürchterliche Tragödie, Eleonore, aber du mußt dich zusammennehmen. Du bist jetzt eine gute Partie. Viele werden dich heiraten wollen, auch mit Gewalt möglicherweise, wenn sie dich auf anderem Wege nicht bekommen können. Wer dich besitzt, der besitzt auch Aquitanien. Du und das Herzogtum, ihr seid ab jetzt untrennbar miteinander verbunden.«

Die Worte des Kirchenmannes durchschnitten ihre Qual. Verblüfft trat sie einen Schritt zurück. Als die Magd ihr den Kelch Wein reichte, konnte sie ihn kaum halten und leerte ihn in einem Zug.

»Nun, mein Kind, wir werden entscheiden, was wir tun, wenn du angezogen bist.«

»Was – was hat mein Vater sonst noch gesagt, Conon?«

Conon zog eine versiegelte Pergamentrolle aus seinem Kettenhemd. »Herzog Wilhelm hat uns aufgetragen, diese Botschaft unverzüglich König Ludwig von Frankreich zu überbringen.«

Für einen kurzen Augenblick begannen der Saal und die Menschen darin sich zu drehen. Eine Botschaft für den ärgsten Feind ihres Vaters? War die Welt verrückt geworden?

Als die Wände und die Holzbalken an der Decke wieder zur Ruhe gekommen waren, sah Eleonore, daß sogar der Erzbischof verblüfft dreinblickte.

»Kennt Ihr diese Botschaft?«

»Nur allzu gut, Euer Gnaden«, antworte Conon voller Bitterkeit. »›Eleonore wird ab jetzt eure Herzogin sein‹, sagte der Herzog, als er in den letzten Atemzügen lag. ›Sie ist kaum fünfzehn Jahre alt, und ich mache mir große Sorgen um sie. Ich muß sie und das Herzogtum jemandes Obhut anvertrauen, bis sie heiratet. Ludwig von Frankreich ist der oberste Lehnsherr von Aquitanien, er wird für sie einen passenden Mann finden.‹ Das waren die Worte des Herzogs. Und das steht in diesem Pergament.«

Conon stopfte die Rolle wieder zurück in sein Kettenhemd.

»Benedicamus dominum!« Der Erzbischof schüttelte ungläubig den Kopf und bekreuzigte sich. »Das begreife ich nicht. Ich nehme an, der arme Herzog glaubte, dies sei der einzige Weg, Aquitanien vor den Geiern zu retten. Eine verzweifelte Lage erfordert verzweifelte Maßnahmen.« Er bekreuzigte sich abermals. »Aber vielleicht war der Herzog in der Stunde seines Todes doch mit Weisheit gesegnet. Vielleicht urteilen wir falsch über ihn. Aber Frankreich? Kommt, Leute, ihr braucht jetzt einen Kelch Wein und etwas zu essen, sonst werdet ihr den Ritt nach Paris nicht überstehen.«

Er schnalzte mit den Fingern und befahl der Magd, für die Stallmeister Wein und kaltes Fleisch zu bringen.

Dann zeigte er mit einem Finger auf Eleonore. »Geh nun und tue, um was ich dich gebeten habe.«

Seit dem Tod ihres Bruders und ihrer Mutter vor sieben Jahren hatte Eleonore gewußt, daß sie nach dem Ableben ihres Vaters Herzogin von Aquitanien und Gräfin von Poitou werden würde – falls er sich nicht wieder verheiraten würde, was er nicht getan hatte. Aber sie hatte nie gedacht, daß dieser Tag so bald schon kommen würde. Sie war doch noch so jung, so unerfahren. Der Gedanke daran, daß die Bürde, die ihr Vater getragen hatte, nun auf ihren Schultern lasten würde, machte ihr Angst.

Als ihre Mutter gestorben war, hatte Eleonore immer noch ihren Vater gehabt, ihren Großvater und ihre Großmutter, um ihr Leid und ihren Kummer mit ihnen zu teilen. Jetzt aber hatte sie niemanden mehr außer ihrer kleinen Schwester, die von Eleonore immer erwartete, daß sie sich um sie kümmerte und sie tröstete.

Einen Augenblick lang nahm es ihr den Atem. Wie sollte sie diesen zweiten Verlust ertragen? Sie fühlte sich so allein, so klein, so unvorbereitet darauf, diese schwere Aufgabe zu übernehmen.

»... was für einen Ehemann der König für sie finden wird, das frage ich mich«, sagte der Erzbischof gerade. »Es ist solch ein großes Risiko.«

Ehemann? Dieses Wort und seine Bedeutung verscheuchten Eleonores Verzweiflung. Ein Fremder in ihrem Bett? In ihrem Herzogtum? Es konnte doch nicht sein, daß ihr Vater, solange er noch bei klarem Verstand gewesen war, ihr Schicksal in die Hand eines derart gehaßten und verachteten Mannes wie des Königs von Frankreich gelegt hatte. Ihre Familie hatte diesem Oberherrn niemals mehr Vertrauen entgegengebracht als der Kirche. Nein. Trotz aller Warnungen vor den Geiern, die über ihr geliebtes Aquitanien herfallen würden, sie wollte und sie brauchte keinen Ehemann. Dieser Gedanke war so schrecklich, daß Eleonore spürte, wie sie zu zittern begann.

»Das muß ein Irrtum sein, Conon«, sagte sie. »Wie Seine Gnaden schon gesagt hat, war mein Vater am Ende wahrscheinlich ziemlich verzweifelt und hat sich so große Sorgen um mich gemacht, daß er nicht mehr wußte, was er tat. Ich bitte Euch, überbringt diese Botschaft nicht dem König von Frankreich.«