Die Liebe des Ulanen. Erste Lieferung - Karl May - kostenlos E-Book

Die Liebe des Ulanen. Erste Lieferung E-Book

Karl May

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Beschreibung

Die sogenannten "Münchmeyer"-Romane, fünf Fortsetzungsromane, die der Schriftsteller Karl May zwischen 1882 und 1888 für den Dresdner Verlag H. G. Münchmeyer verfasste, gelten allgemein als Tiefpunkt von Mays Schaffen. Dennoch handelt es sich um hochinteressante Zeitdokumente. - "Die Liebe des Ulanen. Ein Original-Roman aus der Zeit des deutsch-französischen Krieges" wurde zwischen September 1883 bis Oktober 1885 in 107 Lieferungen und 1.724 Seiten in der Zeitschrift "Deutscher Wanderer" veröffentlicht. Bei der vorliegenden Bearbeitung handelt es sich um eine freie Nacherzählung. Sie überträgt den Text in aktuelles Deutsch und moderne Rechtschreibung, behält aber den ursprünglichen Aufbau in Lieferungen und, wo immer möglich, die von May gewählte inhaltliche Struktur bei. - Der Original-Text ist nachzulesen auf den Webseiten der Karl-May-Gesellschaft oder beim Projekt Gutenberg.

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Seitenzahl: 68

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Inhaltsverzeichnis

Erste Lieferung

Impressum

Die Liebe des Ulanen

ein Fortsetzungsroman aus der Zeit

des deutsch-französischen Krieges

frei nach

Karl May

in neue Rechtschreibung übertragen, überarbeitet, erweitert,

modernisiert

Nacherzählt von

Patricia J. Winter

Erste Lieferung

Kapitel I. Zwei Gegner

Der Moseldampfer hatte um halb sieben Uhr morgens in Koblenz abgelegt. Sein heutiges Ziel war Traben-Trarbach, wo die Fahrgäste, ihrem jeweiligen Stand und ihrer Börse angemessen, bequem an Land übernachten konnten, um am nächsten Tag nach Trier weiter zu reisen. Soeben hatte man Zell verlassen, und nun arbeitete sich der Dampfer von Neuem auf den Wellen des herrlichen Stroms aufwärts.

Die meisten Passagiere, die in Zell zugestiegen waren, gehörten der zweiten Klasse an, mit der namentlichen Ausnahme einer Gesellschaft junger Herren, die sich in einer selbstbewussten, nonchalanten Weise nach dem ersten Platz begaben, wie sie den Angehörigen einer bevorzugten Lebensstellung eigen zu sein pflegt. Sie mochten sich die Wartezeit am Ufer mit einigen Flaschen Wein vertrieben haben und befanden sich in entsprechend ausgelassener Stimmung. Mit größter Selbstverständlichkeit belegten sie die besten Plätze unter dem Sonnendach auf dem Aussichtsdeck; auf dem Weg dorthin unterzogen sie alle Anwesenden einer ungenierten Musterung und kommentierten ihre Eindrücke lautstark, ohne sich darum zu bekümmern, ob sie ihren Mitreisenden in irgend einer Weise lästig wurden. Zwar führten sie ihr Gespräch in französischer Sprache, doch in jener Gegend und unter weitgereisten Menschen war mit Sicherheit anzunehmen, dass auch die meisten Fahrgäste, die nicht derGrande Nationangehörten, ihre Bemerkungen verstanden. Kurz und gut, sie benahmen sich so lärmend, so rücksichtslos laut, dass sich rundum böse Blicke auf sie richteten. Sie kehrten sich nicht daran, ja, womöglich stachelte es ihren Übermut sogar noch an.

Leute aus gewöhnlichen Kreisen hätte man für dieses Verhalten ungezogen genannt. Hier jedoch – und das wussten die jungen Herren gut - würde man schweigen. Auch wenn die Herren zivile Kleidung trugen, so waren sie anhand ihres Haarschnitts und ihrer Haltung unschwer als Offiziere auf Urlaub zu erkennen, die Söhne kleiner Adelsfamilien vermutlich, die sich im Heer Napoleons des Dritten ihre ersten Sporen verdienten. Und welcher Zivilist wollte, ob in Deutschland oder Frankreich, einen Angehörigen des Militärs zur Ordnung rufen in jener Zeit, die den Wert eines Mannes einzig nach der Menge der Tressen an seiner Uniform bemaß?

Einer der Herren zog ein großes Monokel aus der Westentasche, presste es sich vors Auge und musterte eine Weile die Landschaft, die an ihm vorüber glitt. Schließlich deutete er mit seinem Spazierstock auf das Ufer und sagte so laut, dass man es auf dem gesamten Deck hören konnte:

»Lieber Vicomte, ist es nicht eine Schande? Ein so schöner Fluss und ein so reizendes Land, und unserem geliebten Frankreich wird es noch immer vorenthalten? Es wird Zeit, dass wir marschieren, um uns zurück zu holen, was uns gehört: die gesamte linke Seite des Rheins.« Er warf einen erwartungsvollen Blick nach dem anderen Fahrgästen, sah sich aber enttäuscht. Niemand war dumm oder verwegen genug, auf die Provokation einzugehen. »Ah«, setzte er angewidert hinzu. »Ich hasse die Deutschen!«

»Und doch bereist du ihre Länder, bester Colonel!«, spöttelte der Angeredete.

Der Colonel zuckte die Achseln. »Man weiß ja, weshalb man sie bereist. Was man besitzen will, unterzieht man doch erst einer Prüfung. Oder kaufst du etwa gern die Katze im Sack?«

Er lachte bei diesen Worten, zog aber gleichzeitig die Braue in die Höhe und schlug einen Ton an, als wolle er andeuten, dass er nicht völlig im Scherz gesprochen habe. Er war nicht sonderlich groß, aber mit den breiten Schultern und den markanten Zügen unter dem dunklen Haar tatsächlich ein ausgesprochen schöner Mann, den nicht einmal das lächerliche Monokel entstellen konnte. Als er an Bord ging, war ihm unter sittsam gesenkten Lidern hervor manch weiblicher Blick nachgeflogen. Dass er obendrein bei seiner Jugend bereits den Rang eines Colonel bekleidete, ließ auf drei Dinge schließen: hohe Geburt, einflussreiche Freunde und außergewöhnliche Talente und Leistungen.

»Donnerwetter, still!«, sagte sein Nachbar halblaut. »Oder die wackeren Teutonen hier halten dich noch für einen geheimen Emissär!«

»Mögen sie immerhin! Was schadet es? Diese Herren Spießbürger sind sehr ungefährlich. Schau sie dir an.« Er machte eine Geste, die das ganze Schiff und die Ufer mit einschloss. »Rotbackig, rundbäuchig, brav und bieder. Ein Kampf mit ihren tapferen Heerscharen sollte ein Vergnügen werden. Im Falle eines Krieges würden wir einen sehr unterhaltsamen Spaziergang nach Berlin machen.«

»Darüber gibt es gar keinen Zweifel, zumindest bis zu dem Punkt, dass es ein Spaziergang wäre. Ob er aber Unterhaltung bieten würde, das ist fraglich. Ich finde, die Deutschen, egal aus welcher Gegend, sind ein höchst langweiliges Volk. Roh und grob, ohne Manieren, wie mit dem Beil aus einem Block gehackt statt fein mit dem Schnitzmesser gefertigt.«

»Ich wünschte, ich könnte dir widersprechen, mein lieber Vicomte. Aber was ist zu erwarten? Noch vor hundert, ach, vor siebzig Jahren lebten sie kaum besser als im Mittelalter. Wer hat sie denn aus diesen finsteren Tagen heraus geholt, hat ihnen – endlich! - den Geist der Aufklärung gebracht und ihnen einheitliche Gesetze, einheitliche Maße, eine erste Ahnung von modernem Denken gegeben? Wer anders als unser großer Kaiser, dem sie es auf die schmählichste Weise dankten!« Er hatte sich in Zorn geredet und mühte sich nun merklich, sich zu bremsen. »Nein, hört mir auf mit den deutschen Völkerschaften. Sie sind ein undankbarer Haufen von Barbaren, und es ist dringend notwendig, sie Manieren zu lehren.«

»Wenn es nur das wäre! Aber ihre Rückständigkeit sitzt so tief, dass hundert Jahre nicht ausreichen werden, den Unterschied zu uns zu beseitigen. Bedenke, während bei uns Heinrich IV, Kardinal Richelieu und Ludwig XIII das Land zu Blüte und Größe führten, waren die Deutschen damit beschäftigt, sich in Grausamkeiten zu überbieten und gegenseitig zu zerfleischen. Was soll sich daraus schon entwickelt haben? Ja, ich sage, man sieht ihnen ihre Grobschlächtigkeit schon an der Nasenspitze an. Nimm nur einmal diesen Dampfer und die Leute darauf! Die Kleidung, die Schuhe, die geflickten Rucksäcke! Und siehst du etwa unter den weiblichen Passagieren hier ein einziges Gesicht, das es wert wäre, geküsst zu werden?« Seine Kameraden lachten laut, als er ratlos den Blick über das Deck schweifen ließ. Schließlich stand er auf. »Ich werde einmal nach der Kajüte gehen, um zu sehen, ob es dort etwas Besseres gibt.«

Er schlenderte zwischen den Passagieren hindurch und stieg schließlich gemächlich die enge Treppe hinab unter Deck. Dort saßen in diesem Moment, eng nebeneinander auf einer Ottomane und vertieft in halblautes Geplauder, zwei junge Damen. Und wer die beiden sah, der musste sich sagen, dass der Vicomte den richtigen Ort für seine Suche gewählt hatte und hier wohl fündig werden würde, sobald er die Stufen ganz herabgeklettert wäre.

Eines der Mädchen war blond, das andere brünett. Erstere war von mittlerer Größe, schlank und zierlich. Mit ihrem milden Lächeln und den großen himmelblauen Augen unter langen Wimpern schien sie ganz der Inbegriff von weiblicher Sanftmut und Hingabe. Sie war sicher keine imposante Schönheit, niemand, bei dessen Eintritt in den Tanzsaal die Herren den Mund offen stehen ließen und ihr Gesprächsthema vergaßen, aber in ihrer Anmut und Lieblichkeit musste sie doch auf den Betrachter einigen Eindruck machen.

Allerdings verblasste dieser Eindruck sofort neben dem, den ihre dunkelhaarige Gefährtin hinterließ. Hochgewachsen, mit deutlich weiblicheren Formen und selbstbewussterem Auftreten, schien sie zur Herrin geboren. Im Schnitt ihres Gesichts vereinten sich unterschiedliche Einflüsse zu einer eigentümlichen und einzigartigen Perfektion: ihre Haut war alabasterweiß, die Augen blitzten dunkel und besaßen jene mandelähnliche Form, wie sie nur der Orient seinen Töchtern verleihen kann. Volle, seidige Wimpern malten Schatten auf die Wangen. Und so klein und graziös gebogen das Näschen der jungen Dame auch sein mochte, sah man den feinen Nasenflügeln doch an, dass sie sich, den entsprechenden Anlass vorausgesetzt, höchst energisch aufzublähen vermochten. Die Lippen, überraschend dunkel und schön geschwungen, waren gerade schmal genug, um sich nicht dem Verdacht übertriebener Sinnlichkeit auszusetzen. Wenn sie sich zu einem Lächeln öffneten, offenbarten sie perlenweiße Zähnchen, an denen sicher selbst der erfahrenste Dentist keinen Makel hätte entdecken können. Dieser Mund, ja, das ganze Gesicht stand eigentlich im Widerspruch mit sich selbst. Doch gerade der Kontrast war es, der es bezaubernd machte. Um die eigenartig graziöse Schwingung der Lippen lagerten sich Trotz und Sanftmut, Stolz und Milde, Selbstbewusstsein und Hingebung, Kühnheit und weibliche Vorsicht, eine Vielfalt an Sehnsüchten und Möglichkeiten. Es musste der Zukunft überlassen bleiben, was davon die Oberhand erlangen und dem Gesicht sein vollendetes Gepräge verleihen würde.

Die beiden Mädchen waren in eifriges Gespräch vertieft. Sie führten es, obwohl sie sich ganz allein befanden, nur mit halblauter Stimme, ein sicheres Anzeichen dafür, dass sie sich außerordentlich wichtige jungfräuliche Geheimnisse mitzuteilen hatten.

»Aber, liebe Marion«, sagte die Blonde, »davon habe ich bisher ja gar nichts gewusst! Ich denke, wir haben niemals ein Geheimnis voreinander gehabt, und nun erfahre ich zu meinem Erstaunen, dass du mir gerade das Allerwichtigste, was es für ein Mädchen gibt, hartnäckig verschwiegen hast!«

Die Brauen der Brünetten zogen sich leicht zusammen, und der Mund spitzte sich.