Die Liebe des Ulanen. Lieferung 3 - Karl May - E-Book

Die Liebe des Ulanen. Lieferung 3 E-Book

Karl May

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Beschreibung

Die sogenannten "Münchmeyer"-Romane, fünf Fortsetzungsromane, die der Schriftsteller Karl May zwischen 1882 und 1888 für den Dresdner Verlag H. G. Münchmeyer verfasste, gelten allgemein als Tiefpunkt von Mays Schaffen. Dennoch handelt es sich um hochinteressante Zeitdokumente. - "Die Liebe des Ulanen. Ein Original-Roman aus der Zeit des deutsch-französischen Krieges" wurde zwischen September 1883 bis Oktober 1885 in 107 Lieferungen und 1.724 Seiten in der Zeitschrift "Deutscher Wanderer" veröffentlicht. Bei der vorliegenden Bearbeitung handelt es sich um eine freie Nacherzählung. Sie überträgt den Text in aktuelles Deutsch und moderne Rechtschreibung, behält aber den ursprünglichen Aufbau in wöchentlichen Lieferungen und, wo immer möglich, die von May gewählte inhaltliche Struktur bei. - Der Original-Text ist nachzulesen auf den Webseiten der Karl-May-Gesellschaft oder beim Projekt Gutenberg.

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Seitenzahl: 68

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Die Liebe des Ulanen. Lieferung 3

Dieses Augenmaß sagte Müller, dass die Mauer des Turms wenigstens zwei Ellen dick sein müsse. Und als er behutsam von innen dagegen klopfte, hörte er aus dem hohlen Ton, dass sie in Wahrheit nicht viel über einen Fuß stark sein könne.

Es gab also tatsächlich eine Hohlwand, eine doppelte Mauer, in der sich ein Gang verbarg. Aber wozu? Welche Geheimnisse besaß dieses Schloss, dass solche Einrichtungen zum Lauschen und Beobachten unterhalten und offenbar auch genutzt wurden? Und wo vor allen Dingen war das Loch, durch das man ins Zimmer sehen konnte? Er musterte die ganze Wandfläche, er blickte sogar hinter den Spiegel; er bemerkte nichts. Die Öffnung musste gut versteckt liegen, im Grunde kamen dafür nur die Umgebung des Ofenrohrs oder die gemalte Deckenleiste in Frage.

Er suchte mit den Augen nach der Stelle, an der er das eigenartige Knirschen gehört zu haben glaubte, wählte denjenigen der beiden wackligen Stühle, der so aussah, als könne er sein Gewicht leichter tragen, stieg hinauf und klopfte vorsichtig unterhalb der Decke die Leiste ab. Richtig, an einer Stelle gab die Kante einen ganz anderen Ton. Sie fühlte sich auch glatter an; sie bestand aus Glas. Er hegte jetzt die feste Überzeugung, dass er beobachtet worden sei. Aber von wem? Die Dienerschaft hätte es nur auf Anweisung der Herrschaft getan. Die Baronin? Höchst unwahrscheinlich. Der junge Alexandre wäre vielleicht umtriebig genug gewesen, lag aber zu Bett. Dann etwa der geheimnisvolle Baron? Wenn die Wirtin recht hatte mit ihren Andeutungen und der Herr des Schlosses tatsächlich nicht ganz richtig im Kopf war, so hätte ein solches Verhalten recht gut zu ihm gepasst.

Die wahrscheinlichste Option, so musste Müller sich freilich sagen, war die des alten Capitaines. Und der Gedanke ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.

Das Glück aus dem Haus des Monsieur d'Arrondville, das sein Großvater auf ihn herab beschworen hatte, war ihm ein weiteres Mal treu geblieben. Wie ungeheuer wichtig, dass er diese Entdeckung bereits heute, bereits in der ersten Stunde gemacht hatte! Hätte er sich nur ein einziges Mal in Gegenwart des Lauschers entkleidet und seinen künstlichen Buckel abgelegt, wäre Müllers Geheimnis sofort verraten gewesen! Nun hatte er doppelten Grund, vorsichtig zu sein. Und die bloße Existenz dieser geheimen Gänge war Müller bereits Hinweis genug, dass er sich bei seiner Suche am richtigen Ort befand. Hier gingen ganz zweifellos Dinge vor sich, die der Aufklärung bedurften. Was sonst als streng geheime Machenschaften sollte der Grund dafür sein, dass selbst ein harmloser Schulmeister bespitzelt wurde, praktisch seitdem er die Schwelle des Schlosses überquert hatte?

Zunächst musste Müller Gewissheit erlangen darüber, wer der Lauscher war. Sodann galt es, den oder die Zugänge zu den Geheimwegen zu finden und festzustellen, ob sie sich für Müllers eigene Zwecke nutzen ließen. Sodann ... Seine Gedanken wurden unterbrochen. Ein Diener erschien und meldete, Monsieur Müller werde vom Herrn Capitaine und dem gnädigen jungen Herrn unten im Hof erwartet. Vom Capitaine? Falls der alte Mann tatsächlich der heimliche Beobachter gewesen sein sollte, war er erstaunlich rasch wieder in den Hof gelangt. Doch ein Diener, der von der Herrschaft ins Vertrauen gezogen worden war? - Leise seufzend folgte Müller dem Ruf.

Man hatte Turngeräte in den Hof geschafft, einen Bock und eine Reckstange gab es, und der Haushofmeister stand neben dem Capitaine und seinem Enkel und ließ die Herrschaften soeben einige Waffen inspizieren. Alexandre schien sich von seinem Schreck bereits wieder erholt zu haben und wirkte zwar noch blass, aber mitnichten krank. Er kam seinem Erzieher entgegen und sagte:

»Monsieur Müller, ich wollte schlafen, aber es geht nicht. Großpapa sagte, dass Sie die Probe machen sollen, und da muss ich dabei sein.«

Der Capitaine nickte Müller kurz zu und deutete nachlässig mit der Hand auf den Bock.

»Sie sehen dort die Turnapparate. Zeigen Sie uns, was Sie leisten.«

»Sehr wohl, gnädiger Herr!«

Müller überlegte, ob er die Jacke ablegen solle, wagte es aber nicht. Er war nicht sicher, wie fest der Buckel bei den Turnübungen sitzen und ob nicht womöglich die Befestigung durchs Hemd scheinen würde. Der Capitaine schien außerordentlich scharf und misstrauisch zu beobachten. Also tat er seinen Sprung über den Bock in voller Bekleidung, und trat auch im Frack ans Reck, das ihm immer das liebste Turngerät gewesen war. Er wollte nicht übertreiben, denn einem simplen Schulmeister war die körperliche Konstitution eines preußischen Rittmeisters kaum zuzutrauen, konnte sich aber nicht zurückhalten, wenigstens einen seiner Schwünge nur einarmig vorzuführen.

»Genügt dies, Herr Capitaine?« fragte er.

»Großpapa, das war sehr gut, nicht wahr?«, fragte Alexandre. »So hat das noch keiner gebracht!«

»Sehr wahr!«, nickte der Alte. Seine Augen funkelten, seine Miene war unbewegt. »Monsieur Müller, ich bin überrascht, wie wenig Ihre Verwachsung Sie zu behindern scheint.«

»Sie beeinträchtigt mich in der Tat nicht im geringsten, Herr Capitaine.«

»Erstaunlich. Ihre Reit- und Schießkünste sind entsprechend?«

»Ich bitte, mich auch hier auf die Probe zu stellen.«

»Ein andermal vielleicht. Sie haben mich in Bezug auf das Turnen nicht belogen; ich will Ihnen also glauben. Kürzen wir die Sache ab, ehe sie mich zu langweilen beginnt. Das Fechten! Sie wissen, dass mir nichts so sehr am Herzen liegt wie dieser Punkt. Alexandre soll die bestmögliche Ausbildung am Degen erhalten.« Er deutete auf den Majordomus. »Mein Hausmeister hier weiß, wie er mir versichert, einen Degen zu führen. Er war Premier sergeant bei den Chasseurs d'Afrique. Sie müssen wissen, dass ich bisher nur gediente Militärs bei mir angestellt habe. Sie wären die erste Ausnahme von dieser Regel. Wollen Sie es wagen, einen Gang mit ihm zu versuchen?«

»Wenn Sie befehlen, so gehorche ich, Herr Capitaine«, antwortete Müller.

»So lassen Sie sehen, was Sie können, Messieurs.« Er trat einen Schritt zurück, wie um den Kampfplatz frei zu geben.

Die Vorgänge im Schlosshof hatten inzwischen einiges Publikum angelockt. Mägde lugten neugierig aus Fenstern und hinter Türen hervor, Diener auf Botengängen verlangsamten ihren Schritt, und an einer Brüstung hielt die Baronin in höchsteigener Person und verbarg ihre undamenhafte Begeisterung hinter dem aufgeregten Zittern ihres Fächers. Alle Diener waren Franzosen, die Männer obendrein, wie Müller nun wusste, alle ehemalige Soldaten; es war klar, dass sie sich darauf freuten, mitzuerleben, wie der Deutsche vom Hausmeister Prügel beziehen würde. Am begierigsten auf diesen Kampf aber war zweifellos der alte Capitaine selbst, für den, unabhängig vom Ausgang, ein wenig Blutvergießen vor dem Abendessen vielleicht tatsächlich eine Form von Unterhaltung darstellte.

Der Hausmeister hatte zwei gerade, schwere Chasseursdegen in Händen. Er reichte einen an Müller weiter und sagte mit bissigem Lächeln:

»Monsieur Müller, bitte bestimmen Sie, wo ich Sie treffen soll!«

Müller prüfte den Degen und zog die Brauen in die Höhe. »Scharfe Waffen, Herr Intendant? Keine Haube, keine Bandagen? Wir befinden uns doch nicht im Feld oder auf einem Ehrengang?«

»Zwischen einem Franzosen und einem Deutschen«, erklärte der Hausmeister verächtlich, »zwischen denen das Blut so vieler Kriege steht, ist jeder Gang ein Duell der Ehre.« Aus den Reihen der Dienerschaft kam zustimmendes Gemurmel bei diesen Worten. »Aber wenn Sie natürlich Furcht haben ...«

»Allerdings habe ich Furcht.«

»Feigling!«

»Sie missverstehen mich. Ich hätte Furcht, Sie zu verletzen. Sie haben mir erklärt, dass Sie mein Vorgesetzter sind. Darf ich einen Vorgesetzten verwunden?«

»Warum nicht, wenn Sie es fertig bringen! Also sagen Sie mir getrost, wo ich Sie treffen soll! Sie erwerben dadurch das Recht, mich an der gleichen Stelle zu verletzen.«

»Ich möchte dennoch unterlassen, eine solche Bestimmung zu treffen, und die Entscheidung Ihnen überlassen. Ich bin hier fremd und muss vermeiden, mir Vorwürfe machen zu lassen.«

»Wie Sie wollen.« Der Intendant ließ den Blick boshaft an Müllers buckliger Gestalt entlang gleiten. »Sie sind allerdings dumm, diese Gelegenheit, auf eine harmlose Verletzung zu dringen, nicht zu nutzen. Ich bestimme also zur Trefferfläche … unsere Gesichter! Die Degen zum Stoß zu nutzen, ist da freilich verboten. Sie sollen ja Gelegenheit haben, den Kampfplatz noch lebend zu verlassen. Aber eine hübsche Schramme auf Ihr dummes deutsches Gesicht will ich Ihnen mit Vergnügen zeichnen.«

»Ganz wie Sie wollen, Herr Intendant«, sagte Müller langsam. »Ich muss Sie jedoch warnen, dass man bei einem Hieb quer über das Gesicht sehr leicht Nase oder Auge verlieren kann. Wobei es in Ihrem Fall obendrein auch noch jammerschade um die seidene Weste wäre.«

»Ah, den Spott will ich Ihnen austreiben, Monsieur! Herr Capitaine, billigen Sie unsere Vereinbarung?«

Über das sonst steinerne Gesicht des Alten zuckte es wild und kampfeslustig.

»Ich gestatte sie unter der Bedingung, dass keinerlei Folgen auf mich fallen. Sie stehen beide in meinen Diensten; die Bedingungen dieses Kampfes sind jedoch Ihr Privatvergnügen. Sollte einer von Ihnen danach dienstunfähig sein, so hat er keinen Sou Entschädigung von mir zu verlangen.«

»Gut! Beginnen wir also!«