Die Liebe des Ulanen. Lieferung 7 - Karl May - E-Book

Die Liebe des Ulanen. Lieferung 7 E-Book

Karl May

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Beschreibung

Die sogenannten "Münchmeyer"-Romane, fünf Fortsetzungsromane, die der Schriftsteller Karl May zwischen 1882 und 1888 für den Dresdner Verlag H. G. Münchmeyer verfasste, gelten allgemein als Tiefpunkt von Mays Schaffen. Dennoch handelt es sich um hochinteressante Zeitdokumente. - "Die Liebe des Ulanen. Ein Original-Roman aus der Zeit des deutsch-französischen Krieges" wurde zwischen September 1883 bis Oktober 1885 in 107 Lieferungen und 1.724 Seiten in der Zeitschrift "Deutscher Wanderer" veröffentlicht. Bei der vorliegenden Bearbeitung handelt es sich um eine freie Nacherzählung. Sie überträgt den Text in aktuelles Deutsch und moderne Rechtschreibung, behält aber den ursprünglichen Aufbau in wöchentlichen Lieferungen und, wo immer möglich, die von May gewählte inhaltliche Struktur bei. - Der Original-Text ist nachzulesen auf den Webseiten der Karl-May-Gesellschaft oder beim Projekt Gutenberg.

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Seitenzahl: 64

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Inhaltsverzeichnis

Die Liebe des Ulanen. Lieferung 7

Impressum

Die Liebe des Ulanen. Lieferung 7

Müller las die geschriebenen Zeilen noch einmal durch, suchte nach einem Kuvert, das groß genug war, und brachte Brief und Manuskript darin unter. Er erhob sich und streckte die völlig verspannten Gliedmaßen. Die Riemen, mit denen sein falscher Buckel befestigt war, schnitten ihn dabei in die Schultern. Denn natürlich hatte er, ehe er Licht machen und sich zum Schreiben hinsetzen konnte, erst den falschen Bart abnehmen, die Kleidung wechseln, den Buckel anlegen und seine übliche Rolle als Doktor Müller wieder einnehmen müssen. Zudem hatte er sorgfältig darauf geachtet, der Glastafel unter der Zimmerdecke, jenem heimlichen Guckloch in den Raum, tunlichst den Rücken zuzudrehen und das, was er schrieb, so zu halten, dass es hoffentlich von dort aus nicht zu erkennen war. Wer konnte schon sagen, ob der alte Capitaine nicht bereits wieder umging und ihn heimlich beobachtete?

Müller wusste, dass er bald eine Möglichkeit finden musste, dieser Bedrohung ein Ende zu setzen. Ansonsten war es unvermeidlich, dass sein Geheimnis irgendwann entdeckt würde.

Er hatte es nun freilich doch nicht über sich gebracht, der Schwester gegenüber in seinem Brief den Namen »Richemonte« zu erwähnen. Emma würde genug zu tun haben, sich mit dem französischen Spion auseinander zu setzen.

Als er sich dann schlafen legte, war die Nacht bereits vorüber, und der Morgen brach an. Daher legte er sich gar nicht mehr zu Bett, sondern nur in seinen Kleidern ein wenig auf der Pritsche nieder. Er war müde genug, um dennoch einzuschlummern, mochte aber kaum ein Stündchen geruht haben, als ihn der Schall von Pferdehufschlägen weckte. Er erhob sich und trat ans Fenster. Es war ein Wagen angespannt worden, und soeben stieg der Maler ein, vermutlich, um sich zum Bahnhof von Thionville bringen zu lassen. Sein hübsches Gesicht zeigte, als er in den Wagen kletterte, einen so unternehmenden, hoffnungsvollen Ausdruck, dass Müller fast ein wenig Mitleid mit dem feindlichen Spion empfand. Lemarch alias Haller gedachte mit großen Erfolgen heimzukehren, und hoffte sich auszuzeichnen nicht anders, als Müller selbst es tat; und doch hatte ihm Müller alle Erfolge und Verdienste bereits unmöglich gemacht. Die Freude und der Elan, mit denen der sympathische junge Mann aufbrach, würden schon bald zu nichts zerrinnen, und obwohl Müller derjenige war, der eben dies verursacht hatte, empfand er bei dem Gedanken ein leises Bedauern.

Wie sehr hätte es Müllers Aufgabe doch erleichtert, wären alle seine französischen Gegner so gewesen wie der alte Capitaine!

Er nahm wieder auf dem Sofa Platz und schlief tatsächlich zum zweiten Mal ein. Als er wieder erwachte, war die Ursache ein ohrenbetäubendes Getöse aus dem Schlosshof, das sich bei genauerem Hinhören als durchdringend kreischende Musik entpuppte. Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und warf einen Blick auf seine Uhr; es war wahrhaftig bereits neun. Es sah ganz so aus, als müssten drei Stunden Schlaf heute genügen, aber dieser Ansicht waren Müllers bisherige Vorgesetzte in der Armee schon des öfteren gewesen. Er erhob sich also. Sein zweiter Blick fiel durch das Fenster hinaus in den Schlosshof, wo sich eine überaus interessante Versammlung zum Morgenappell eingefunden hatte: Sechs in Phantasie-Uniformen gekleidete Musikanten bemühten sich, mit zwei Klarinetten, einem Horn, einer Oboe, einer Posaune und einer Trommel eine Art von Marschmusik zu Stande zu bringen. Dazu hielten in der Nähe auf Pferden vier theatralisch aufgeputzte Personen, drei Männer und ein Frauenzimmer. Als der Marsch beendet war, erhob der Trommler seine Stimme und verkündete, dass heute Nachmittag um zwei Uhr Thionville nebst Umgegend das ungeahnte Glück haben werde, eine weltberühmte Künstlertruppe anstaunen zu dürfen, die derzeit hier gastiere.

Die Leistungen dieser Truppe wurden unter möglichst pompöser Titulatur aufgezählt. In dieser abgelegenen Gegend mochte sich nur höchst selten einmal eine solche Gesellschaft sehen lassen, denn fast sämtliche Schlossbediensteten liefen zusammen, und in den Augen vor allem der Dienstmädchen glänzte es merklich sehnsüchtig. Aber in den oberen Stockwerken traten selbst die Herrschaften ans Fenster, um die Künstlervagabunden in Augenschein zu nehmen.

Ganz in der Nähe der wunderlich aufgeputzten Reiter stand Alexandre. Er hatte sichtlich seine Freude an den Leuten und fragte, als der Tambour geendet hatte:

»Was kostet das Billett?«

»Nummerierte vordere Reihe fünf Francs, hintere Reihe vier Francs, erster Platz drei Francs, zweiter zwei, dritter einen Franc und Stehplatz außerhalb der Barriere einen halben Franc«, schnarrte der Mann die Preise herunter. »Wollen Sie einige Billetts erwerben, gnädiger Herr? Wenn Sie jetzt abonnieren, erhalten Sie die besten Plätze von Nummer eins an!«

Er hatte mit geübtem Auge erkannt, dass es sich beim Fragesteller jedenfalls um den Sohn der Herrschaft handelte; und so einem Lieblingssöhnchen vermochten die Eltern selten zu widerstehen.

»Fünf Billetts vordere Reihe!«, befahl Alexandre.

Entweder bemerkte er das Fenster nicht, das sich im oberen Stockwerk eilig geöffnet hatte, oder er wollte nicht darauf achten. Während die Baronin sich noch hinaus beugte und ihm heftig winkte, zog er bereits seine Börse, die trotz seiner Jugend stets wohl gefüllt war, und bezahlte die fünfundzwanzig Francs. Die Künstler zogen befriedigt ab.

Müller trat vom Fenster zurück, wusch sich kurz die Müdigkeit aus dem Gesicht und harrte dann der Dinge, die da sicher gleich kommen würden. Und wirklich klopfte es nach kurzer Zeit an Müllers Tür und Alexandre trat ein. Seine Gesicht war gerötet, teils vor Freude, teils wohl vom raschen Lauf die steile Stiege herauf.

»Haben Sie sie gesehen, Monsieur Müller?«, fragte er.

»Wen? Die Künstler? Die habe ich allerdings gesehen. Und vor allem erlauscht. Sie waren ja kaum zu überhören.« Müller musste lächeln, als er die vor Freude blitzenden Augen des Knaben sah. »Mir scheint, die Truppe hat Eindruck auf Sie gemacht, junger Herr?«

»Das hat sie. Ich habe gleich fünf Billetts genommen. Hier ist eins. Sie fahren natürlich mit, Monsieur.«

»Ich? Wer fährt denn noch mit?«

»Zunächst Mama –«

»Nicht möglich!«, entfuhr es Müller.

»Warum nicht möglich? Sie zürnte mir, das ist wahr. Aber was ich will, das will Mama schließlich doch immer auch«, erklärte Alexandre stolz.

»So sind noch zwei Billetts übrig.«

»Die sind bereits verschenkt. Marion und Mademoiselle Nanon fahren mit.«

»Die beiden jungen Damen?«, fragte Müller erstaunt. »Sind sie denn einverstanden damit?«

»Zu Beginn waren sie es nicht. Marion hatte Bedenken und meinte, es schicke sich nicht so recht für uns, diese Art von Schaustellungen zu besuchen.«

»Damit hat sie wohl recht«, lächelte Müller. Und erinnerte sich gleichzeitig, wie der alte Diener Florian ihn einst heimlich in die Kleider des Küchenjungen gesteckt und zu einer solchen Veranstaltung mitgenommen hatte, in ein Zelt voller schwatzender und lachender Menschen, die billiges Zuckerzeug aßen und denen die Freude über das ungewohnte Vergnügen aus den Augen leuchtete, als Spaßmacher in der Manege übereinander purzelten und eine Kunstreiterin im glitzernden Herrenfrack ihr Pferd vor der applaudierenden Menge niederknien ließ. Dieser Nachmittag gehörte zu den liebsten Kindheitserinnerungen des Richard von Königsau. Allzu viele solcher schönen Erinnerungen sollten später für ihn nicht mehr hinzu kommen.

»Das mag sein«, gab Alexandre zu, »aber man kann doch gewiss auch ein vornehmer Herr sein und trotzdem eine Zirkusvorstellung besuchen?«

»Nun, ich nehme es an. Wenn es nicht zur Gewohnheit wird.«

»Das sagte Marion am Ende auch. Als Dank für die beiden Bouquets vom Heidengrab gab sie mir ihre Zusage. Ist das nicht sehr lieb von ihr? Mademoiselle Nanon war somit gezwungen, sich ohne allen Widerspruch anzuschließen. Aber sie lachte, als Marion das sagte, und so nehme ich an, dass es ihr auch nicht wirklich zuwider ist.«

»Und wenn nun ich widerspreche?«, lächelte Müller.

»O, Sie widersprechen nicht«, behauptete Alexandre. »Das sehe ich Ihrem Gesicht ja sofort an. Nicht wahr, ich habe richtig geraten?«

»Ja, ich will Ihnen die Freude nicht verderben, Monsieur Alexandre.«

»Ich danke Ihnen! Und wissen Sie, was Mama Ihnen sagen lässt? - Sie sollen mit ihr und mir in einem Wagen Platz nehmen; im anderen fahren Marion und Nanon. Ist das nicht allerliebst von der Mama? Aber ich muss fort, denn bei einer solchen Veranlassung sind tausend Vorbereitungen zu treffen.«

Er eilte fort. Müller war der Einfall des Knaben gar nicht unlieb. Bei der Künstlertruppe konnte es sich ja nur um die jenes Abu Hassan handeln, der Müller in der vorigen Nacht in Dienst genommen hatte, um das Grab der verstorbenen ersten Baronin zu öffnen. Vielleicht ließ sich im Zuge dieser Vorführung ja Genaueres über seinen Auftraggeber in Erfahrung bringen.