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Die sogenannten "Münchmeyer"-Romane, fünf Fortsetzungsromane, die der Schriftsteller Karl May zwischen 1882 und 1888 für den Dresdner Verlag H. G. Münchmeyer verfasste, gelten allgemein als Tiefpunkt von Mays Schaffen. Dennoch handelt es sich um hochinteressante Zeitdokumente. - "Die Liebe des Ulanen. Ein Original-Roman aus der Zeit des deutsch-französischen Krieges" wurde zwischen September 1883 bis Oktober 1885 in 107 Lieferungen und 1.724 Seiten in der Zeitschrift "Deutscher Wanderer" veröffentlicht. Bei der vorliegenden Bearbeitung handelt es sich um eine freie Nacherzählung. Sie überträgt den Text in aktuelles Deutsch und moderne Rechtschreibung, behält aber den ursprünglichen Aufbau in Lieferungen und, wo immer möglich, die von May gewählte inhaltliche Struktur bei. - Der Original-Text ist nachzulesen auf den Webseiten der Karl-May-Gesellschaft oder beim Projekt Gutenberg.
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Seitenzahl: 72
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Wie lange Müllers Kampf gegen die Fluten dauerte, hätte dieser später selbst nicht zu sagen vermocht. In der Erinnerung eines zu verzweifelter Anstrengung getriebenen Mannes dehnen Minuten sich zu Stunden aus. Endlich erschienen am Rand seines Blickfelds die Umrisse sturmgepeitschter alter Weiden, von Wind und Regen zu absonderlichen Schreckgespenstern verzerrt. Aber es bedurfte noch einer weiteren Aufbietung aller letzten Kräfte, ehe es Müller gelang, sich an den überhängenden Ästen fest zu klammern und empor zu ziehen, ohne dass der Fluss ihm seine Bürde im letzten Augenblick noch entriss.
Auf der Böschung, in sicherer Höhe über dem Wasser, legte er Marions ohnmächtige Gestalt endlich aufs Gras nieder und sank daneben in die Knie, um Atem zu schöpfen. Sie lag bleich und regungslos. Das nasse Gewand legte sich eng an ihre Glieder, und war sie tot, so war sie zweifellos der schönste Leichnam von ganz Frankreich. Müller beugte sich über sie, barg ihren Kopf in seinem Arm und horchte zwischen Regen, Sturm und dem Tosen des Stroms auf einen Atemzug des schönen Mädchens. Schließlich konnte er nicht anders, er küsste sie, wieder und wieder, halb hoffend, halb verzweifelt, bis er fühlte, dass Wangen und Lippen sich erwärmten und ihr Bewusstsein zurückkehrte.
Sie schlug langsam die Augen auf; ihr Blick ließ freilich nicht erkennen, ob er aufnahm, was das Auge ihm zeigte. Die Lippen öffneten sich zur Andeutung eines Lächelns.
»Richard!« Sie schloss die Lider und sank wieder in tiefe Ohnmacht.
Er prallte zurück; hatten Sturm und Regen ihm einen Streich gespielt? Nein, er hatte den Namen, seinen Namen, deutlich vernommen. Er schüttelte den Kopf. Sie hatte das Wort französisch ausgesprochen, sie konnte unmöglich ihn gemeint haben. Dennoch hatte sie damit unwissentlich ein Geheimnis preisgegeben: sie liebte bereits; sie liebte einen Glücklichen, der sich mit einem gewissen preußischen Rittmeister den Vornamen teilte. Handelte es sich um Colonel Rallion? Nein, Müller besann sich, dass in den Unterlagen, die der General ihm überlassen hatte, für den Colonel der Vorname »Louis« verzeichnet gewesen war. Der Umstand, dass der französische Rivale wenigstens nicht glücklicher bei der Baronesse sein würde als er, tröstete Müller ein wenig über die Entdeckung hinweg, dass deren Herz nicht mehr frei war.
Aber hier waren nicht Ort noch Zeit, an derartige Dinge zu denken. Es galt, die Baronesse unter ein schützendes Dach zu bringen.
Es lagen gepflegte Felder gleich oberhalb des Ufers, ein sicheres Zeichen, dass menschliche Wohnungen nicht weit entfernt sein konnten. Er erkundete die Umgegend ein Stück weit flussabwärts und fand einen scheinbar oft begangenen Pfad. Rasch holte er die Baronesse und trug sie auf den Armen den Weg entlang, der schließlich in einen breiteren Fahrweg mündete. Unterwegs begann die Baronesse sich zu bewegen, ohne noch vollends zu erwachen.
Müller mochte wohl zehn Minuten lang gegangen sein, und die Arme begannen, ihm schwer zu werden, als der Weg auf das Tor eines Bauernhofs zu führte, das nach der Art größerer Gutshöfe ganz von einer Mauer umgeben war. In dem breiten Tor, dessen Flügel für die Heuwagen geöffnet werden konnten, befand sich ein kleineres Pförtchen, durch das er eintrat. Die Bewohner des Guts hatten nach den wegen des Unwetters verängstigten Tieren geschaut und bemerkten ihn und seine Last sofort.
Die Nachricht von dem Schiffsunglück, die Müller brachte, erregte größte Bestürzung. Die Männer brachen sofort zum Fluss auf, um zu sehen, ob noch zu helfen und zu retten sei. Den Frauen übergab Müller die Baronesse, um sie schleunigst zu entkleiden und in ein Bett zu legen. Sobald er sie gut versorgt wusste, kehrte auch er nach der Unglücksstätte zurück, besonders, um nach seinem Burschen zu suchen. Zwar wusste er, dass Fritz ein exzellenter Schwimmer war, aber die Gewalt des Sturms konnte auch dem besten zum Verhängnis werden. Müller machte sich allmählich Sorgen, weil er unterwegs keine Spur seines Dieners hatte entdecken können.
Der Höhepunkt des Sturms schien vorüber, der Regen hatte etwas nachgelassen, und man konnte wieder in größerer Entfernung etwas sehen. Der Bauer und seine Knechte standen auf der Böschung nahe der Stelle, an der Müller an Land gegangen war, und starrten fassungslos auf den Schornstein des Schiffs, der schief aus den Fluten ragte. Weder im Fluss noch am Ufer war ein Mensch zu sehen, die Mosel grollte noch immer und hielt ihre Beute schäumend umfangen. Ob sich ans jenseitige Ufer jemand hatte flüchten können, war ungewiss; es verbarg sich noch immer hinter dichten Regenschleiern.
Hier gab es nichts zu retten. Die Männer teilten sich auf, um das Ufer abzusuchen. Müller ging mit stromabwärts, da er annahm, dass die Chancen, Überlebende zu finden, dort größer seien. Richtig fanden sie nach einiger Zeit eine Stelle, an der Schilf und Ufergras niedergedrückt waren, als sei hier jemand aus dem Fluss gestiegen.
»Hoffentlich war er das!«, entfuhr es Müller. Ihm wurde selbst erst da bewusst, wie sehr ihm daran lag, den ehemaligen Baderlehrling wohlbehalten aufzufinden.
»Sie suchen jemanden, Monsieur?«, erkundigte sich der Bauer.
»Einen Mann, der mit der zweiten jungen Dame, der Freundin der Baronesse, ans Ufer zu schwimmen versuchte.«
»Vielleicht hat der Mann unsere Wächterhütte gefunden. Kommen Sie, sie liegt gleich dort hinter jenem Erlengebüsch.«
Die Hütte war ausgesprochen primitiv aus ausgeackerten Feldsteinen aufgerichtet, hatte eine Türöffnung ohne Tür und eine Fensternische, die mit Stroh verstopft war. Als sie sich näherten, trat ein Mann heraus. Es war wirklich Fritz, der Diener, in völlig durchweichten Kleidern und mit vor Nässe dunklem Haar. Müller atmete auf. Fritz mochte es ähnlich gehen, aber er riss sich zusammen und begrüßte seinen Herrn zwar mit Freude, aber doch wie einen völlig Fremden.
»Ist die Dame ebenfalls gerettet?«, fragte Müller.
Fritz deutete nach der Türöffnung. »Da drin, gebettet auf Stroh wie das Christuskind selbst. Aber noch immer ohne Bewusstsein.«
»Das ist böse«, sagte der Bauer. »Hat sie vielleicht zu viel Wasser schlucken müssen?«
»Nicht halb so viel wie ich«, spottete der Bursche. »Übrigens ist jemand bei ihr, der es versteht, zu beurteilen, ob sie nur halb ertrunken ist oder schon ganz.«
»Ah!«, machte Müller. »Etwa Doktor Bertrand? Hat er sich ebenfalls retten können?«
»Allerdings. Er stand bereits am Ufer, als ich mit der Dame ankam. Wir fanden dann miteinander diesen Palast, in dem wir uns bis jetzt ganz wohl befunden haben.«
Als Müller den Kopf über die Schwelle streckte, kniete der Arzt bei der Dame. Er erhob sich sofort und sagte:
»Herr Doktor Müller! Ich muss Sie um Verzeihung bitten, dass ich so ohne allen Abschied vom Schiff ging. Aber ich sah die Damen unter bester Aufsicht und hätte ohnehin kaum tun können, was Ihnen und meinem Kräutersammler gelungen ist. Da ich Sie hier stehen sehe, gehe ich davon aus, dass Sie die Baronesse ans Ufer bringen konnten?«
»Ich war so glücklich. Und dieser zweiten Dame geht es ebenfalls gut?«
»Den Umständen entsprechend. Sie ist wohl nur in Folge des Schrecks ohnmächtig. Wenn wir sie nur so bald wie möglich aus den nassen Kleidern und in ein warmes Bett bringen, so steht nichts zu fürchten.«
»Es ist ein Meierhof in der Nähe. Wenn Sie gestatten, werde ich die Dame hinbringen. Die Baronesse ist bereits dort.«
Er hob das Mädchen auf die Arme und trug sie zurück zum Gutshof. Fritz und Doktor Bertrand begleiteten ihn, und während Müller und der Bursche nun endlich selbst ein wenig verschnaufen und vor allen Dingen ihre durchweichten Kleider wechseln konnten und die Frauen des Hauses sich Nanons annahmen, begab der Arzt sich sofort zur Baronesse.
Marion war eben wieder zu sich gekommen und sehr erstaunt, dass eine männliche Person es wagte, ins Zimmer und an das Bett zu kommen, in dem sie lag. Bertrand deutete ihre Miene richtig und entschuldigte sich sofort:
»Bitte verzeihen Sie mein Eindringen, gnädiges Fräulein. Ich bin Arzt und hielt es für meine Pflicht, Ihnen meine Aufwartung zu machen, da sich derzeit keine andere medizinische Hilfe in der Nähe befindet.«
Diese Worte versöhnten sie sofort. Zum ersten Mal sah sie sich in der kleinen Stube um, in die man sie gesteckt hatte, musterte die rauen Wände, die winzigen Fenster und das schwere Federbett.
»Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, Monsieur. Wo befinde ich mich?«
»Auf einem Meierhof in der Nähe der Unglücksstelle. Sie erinnern sich an den Sturm?« Er ergriff ihr Handgelenk, um ihren Puls zu messen.
»An alles. Wo ist der Mann, der mich hierher gebracht hat? Ist mein – mein Retter am Leben?«
»Er befindet sich wohl und ist unverletzt.«
»Kennen Sie ihn? Wer ist er?«
»Ich sprach nur kurz mit ihm. Er ist ein Doktor der Philosophie namens Müller.«
»Ein Deutscher?«
»Glauben Sie, dass dieser Umstand geeignet ist, den Wert seiner Tat zu mindern?«
»Nicht im geringsten. Mir liegt viel daran, ihm zu danken. Ich bin Französin, aber keineswegs Deutschenhasserin aus Passion.«
»Das wird Herr de Sainte-Marie nur sehr ungern hören!«, lächelte Bertrand.
»Wie?« Marion blickte erfreut auf. »Sie kennen meinen Vater?«
»Ich habe die Ehre, ihn sogar sehr genau zu kennen. Während der Zeit Ihrer Abwesenheit habe ich mich in Thionville etabliert und bin so glücklich gewesen, der Hausarzt Ihres Herrn Vaters und Großvaters zu werden.«
»Ich verstehe. Und wie erkannten Sie mich?«
»Ich war Passagier desselben Schiffes, auf dem wir alle in Todesgefahr gerieten, und hörte da Ihren Namen nennen. Wie Sie an meinem Anzug sehen, habe auch ich mich durch Schwimmen gerettet. - Wie befinden Sie sich, mein gnädiges Fräulein?«
»Ich fühle mich matt, hoffe aber, ohne ferneren Schaden davongekommen zu sein. Wie geht es meinem Retter?«