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Der junge Philip ist unsterblich in die wunderschöne Cleone verliebt, die mit ihren exquisiten Reizen den Herren des englischen Landadels gehörig den Kopf verdreht. Und obwohl die junge Dame dem gutaussehenden Philip durchaus zugetan ist, möchte sie keinen ungehobelten Bauernlümmel ehelichen! Um seine gesellschaftlichen Umgangsformen aufzupolieren und so die Gunst seiner Herzensdame zu gewinnen, stürzt Philip sich in die beste aller Liebesschulen: das mondäne Leben in Paris. Doch seine Verwandlung in einen Gentleman könnte ihn alles kosten, auch Cleones Liebe ...
In ihrem frühen Roman "Die Liebesschule" (im Original: "Powder and Patch") entführt Georgette Heyer ihre Leserinnen in das Zeitalter des Rokoko.
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Seitenzahl: 241
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Erstes Kapitel
Das Haus der Jettans
Zweites Kapitel
In dem Mistress Cleone Charteris vorgestellt wird
Drittes Kapitel
Mr. Bancroft bringt Verwirrung nach Little Fittledean
Viertes Kapitel
Die Verwirrung erreicht ihren Höhepunkt
Fünftes Kapitel
In dem Philip entdeckt, dass sein Onkel mehr Mitgefühl aufbringt als sein Vater
Sechstes Kapitel
Die Verwandlung beginnt
Siebentes Kapitel
Mr. Bancroft kommt nach Paris und ist verärgert
Achtes Kapitel
In dem Philip ein Rondeau gebiert
Neuntes Kapitel
Mr. Bancroft ist wütend
Zehntes Kapitel
In dem ein Brief vorgelesen wird
Elftes Kapitel
Philip verblüfft seinen Onkel
Zwölftes Kapitel
Philip spielt ein gefährliches Spiel
Dreizehntes Kapitel
Sir Maurice kommt nach London
Vierzehntes Kapitel
Das seltsame Benehmen der Mistress Cleone
Fünfzehntes Kapitel
Lady Malmerstoke über Ehemänner
Sechzehntes Kapitel
Mistress Cleone entdeckt, dass Zahlen nicht zu trauen ist
Siebzehntes Kapitel
Mistress Cleone ist mit ihrer Weisheit am Ende
Achtzehntes Kapitel
Philip nimmt sich der Lage an
Neunzehntes Kapitel
Philip macht seinem Kinn alle Ehre
Über die Autorin
Impressum
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Der junge Philip ist unsterblich in die wunderschöne Cleone verliebt, die mit ihren exquisiten Reizen den Herren des englischen Landadels gehörig den Kopf verdreht. Und obwohl die junge Dame dem gutaussehenden Philip durchaus zugetan ist, möchte sie keinen ungehobelten Bauernlümmel ehelichen! Um seine gesellschaftlichen Umgangsformen aufzupolieren und so die Gunst seiner Herzensdame zu gewinnen, stürzt Philip sich in die beste aller Liebesschulen: das mondäne Leben in Paris. Doch seine Verwandlung in einen Gentleman könnte ihn alles kosten, auch Cleones Liebe ...
Georgette Heyer, geboren am 16. August 1902, schrieb mit siebzehn Jahren ihren ersten Roman, der zwei Jahre später veröffentlicht wurde. Seit dieser Zeit hat sie eine lange Reihe charmant unterhaltender Bücher verfasst, die weit über die Grenzen Englands hinaus Widerhall fanden. Sie starb am 5. Juli 1974 in London.
Georgette Heyer
Die Liebesschule
Aus dem Englischen von Emi Ehm
Wenn man in Sussex irgendwo zwischen Midhurst und Brighthelmstone ein wenig landeinwärts die Downs durchforschen würde, träfe man auf Little Fittledean, ein Dorf, das sich in bescheidener Zurückgezogenheit zwischen zwei Hügelwellen eingenistet hat. Rund um dieses Dorf hatten drei Landjunker ihre Sitze erbaut. Der eine wählte zu diesem Zweck einen Abhang der Downs eine halbe Meile nördlich. Das war Mr. Winton, ein langweiliger Mensch, unbeweibt, aber mit zwei Kindern, James und Jennifer. Der zweite hatte sein Haus westlich des Dorfes errichtet, unweit der London Road und Great Fittledean. Sein Name war Sir Thomas Jettan. Er hatte den Platz sorgfältig gewählt, an einem Waldrand, und hatte Gärten in holländischem Stil angelegt. Das war schon im letzten Jahrhundert gewesen, unter König Karl II., und was damals als blendend weißer Bau splitternackt und dreist vor der Waldkulisse stand, war nun, etliche siebzig Jahre später, ein schönes, von Kletterpflanzen überwuchertes, dank dem Lauf der Jahre freundlich gewordenes Haus. Jener Jettan, der es erbaut hatte, war von grenzenlosem Stolz auf den Besitz erfüllt. Es verging kein Tag, an dem er nicht auf den Gründen umherstolzierte und den kahlen Bau von hundert verschiedenen Standorten aus betrachtete. Das Haus war zum Alterssitz der Jettans bestimmt; sie sollten ihm die gleiche Sorgfalt angedeihen lassen wie ihren Kindern. Es sollte nie verkauft werden; es sollte zahllose Jahrhunderte lang vom Vater auf den Sohn und vom Sohn auf den Enkel kommen. Es durfte auch nicht von einer Tochter geerbt werden, und stammte sie aus noch so direkter Linie, denn der alte Tom bestimmte, dass der Name Jettan mit dem Haus auf immerdar verknüpft bleiben sollte.
Der alte Tom setzte diese Ideen der ganzen Nachbarschaft auseinander. Er zeigte das Haus allen seinen Freunden und Bekannten und erzählte ihnen die Geschichte der einstigen Missetaten seines Eigentümers und dessen gegenwärtiger Tugendhaftigkeit – einer Tugendhaftigkeit, die, wie er ihnen versicherte, einzig einem so prächtigen Besitz zuzuschreiben war. Er wollte das flatterhafte Dasein nicht mehr führen, das alle seine Ahnen vor ihm geführt hatten. Dieses Haus war sein Hort und sein einziges Interesse; er würde seine beiden Söhne zur Ehrfurcht vor dem Haus erziehen, und vielleicht konnte mit der Überlieferung, dass jeder Jettan im Grunde ein wüster Bursche war, endlich gebrochen werden.
Die Nachbarn lachten verstohlen über den kindischen alten Tom. Sie nannten das Haus, das bisher noch keinen Namen trug, in gutmütigem Spott «Tom's Pride» – «Toms Stolz».
Tom Jettan dachte noch angestrengt über eine passende Bezeichnung für sein Heim nach, als ihm der Spitzname aus der Nachbarschaft zu Ohren kam. Trotz seiner Eitelkeit fehlte es ihm nicht an Humor, und als das sobriquet in sein Gehirn eingesickert war, kicherte er und schlug sich anerkennend aufs Knie. Kaum einen Monat später entdeckten die Nachbarn entsetzt eine vergoldete Rolle mit der Inschrift «Jettan's Pride», kunstvoll in das schmiedeeiserne Eingangstor des weißen Hauses eingefügt. Sie waren nicht wenig verlegen, dass ihr heimlicher Witz entdeckt und auf diese Weise ausgenutzt worden war, und wenn sie Tom ihre Aufwartung machten, taten sie es mit einer Miene beschämter Nervosität. Tom stellte jedoch bald klar, dass er ihnen, keineswegs beleidigt, dankbar war, dass sie einen passenden Namen für sein Heim gefunden hatten.
Seine hoffnungsvolle Prophezeiung hinsichtlich des Bruchs mit der Überlieferung erfüllte sich bei keinem seiner beiden Söhne. Der ältere, Maurice, trachtete sich nach Möglichkeit auszutoben, ehe er seinen Wohnsitz im Pride aufschlug; der zweite, Thomas, hörte nie auf, sich auszutoben, und bekundete keinerlei Liebe zu dem Haus. Als der alte Tom starb, hinterließ er ein Testament, das Maurice klarmachte, dass der Besitz, sollte sich der Ältere bis zu seinem fünfzigsten Geburtstag noch nicht endgültig im Pride niedergelassen haben, auf seinen Bruder und dessen Erben übergehen würde.
Thomas gab Maurice den Rat, zu heiraten und etliche Kinder zu zeugen.
«Denn ich denke nicht daran, mein Junge, der alte Herr muss den Verstand verloren haben, wenn er von einem Jettan erwartete, in diesem Loch zu leben! Ich sage dir offen, Maurice, ich will das Haus nicht haben. Du bist der Ältere, und du musst die – die Pflichten übernehmen!» Daraufhin fing er zu kichern an, denn er war ein unverbesserlicher Taugenichts.
«Ganz gewiss werde ich hier leben», antwortete Maurice. «Drei Monate hier und neun Monate nicht hier. Was soll mich davon abhalten?»
«Gestattet es das Testament?», fragte Tom zweifelnd.
«Es verbietet es nicht. Und ich werde mir eine Frau zulegen.»
Darüber brach Tom in Gelächter aus, beherrschte sich jedoch schnell, als er den missbilligenden Blick des Bruders bemerkte.
«Gott helfe uns, und dabei ist der alte Herr erst drei Tage tot! Nicht dass ich irgendeine Unehrerbietigkeit damit beabsichtigt hätte – du weißt ja. Meiner Seel, der Alte wäre der Erste, der mit mir lachen würde, weiß Gott!» Er unterdrückte ein neuerliches Lachen und zuckte die Achseln. «Oder zumindest hätte er es getan, bevor er wegen dieser verteufelten Riesenscheune von Haus tugendhaft wurde. Du wirst nie das Geld haben, das Haus zu erhalten, Maurry, geschweige denn eine Frau», fügte er heiter hinzu.
Maurice wirbelte stirnrunzelnd sein Lorgnon herum.
«Vater hat sogar mehr hinterlassen, als ich erwartete», sagte er.
«O ja! Aber das wird nach einer Woche Kartenspiel weg sein! Barmherziger Gott, Maurry, hoffst du, damit haushalten zu können?»
«Nein, ich hoffe mit einer Frau Haus zu halten. Das übrige überlasse ich ihr.»
Tom erhob sich schwerfällig. Er starrte seinen Bruder mit großen Augen an.
«Verdammich, ich glaube, dieses Haus verändert dich genauso wie den alten Herrn! Maurry, Maurry, halt doch den Nacken steif!»
Maurice lächelte.
«Es wäre mehr vonnöten als das Pride, um mich zu bessern, Tom. Ich glaube nur, der Besitz ist zu gut, um verkauft oder verschleudert zu werden.»
«Wenn ich meine Hand auf zweitausend Guineen legen könnte», sagte Tom, «könnte von mir aus jeder das Pride haben!»
Maurice blickte rasch auf.
«Aber, Tom, alles, was ich bekommen habe, gehört doch auch dir, das weißt du doch! Nimm dir, was du brauchst – zweitausend oder zwanzigtausend.»
«Verdammt nett von dir, Maurry, aber noch habe ich nicht die Absicht, bei dir zu schmarotzen. Nein, fang nicht mit mir zu streiten an, denn mein Kopf ist im Großen und Ganzen nicht stark genug. Erzähl mir mehr über diese deine Zukünftige. Wer soll's denn werden?»
«Ich habe mich noch nicht entschieden», erwiderte Maurice. Er gähnte leicht. «Die Auswahl ist so groß.»
«Ja – du bist verflucht attraktiv, auf mein Wort, wirklich! Was würdest du zu Lucy Farmer sagen?»
Maurice erschauerte.
«Verschone mich mit der! Ich hatte an Marianne Tempest gedacht.»
«Was, die Tochter des alten Castlehill? Die würde dich in einem Monat umbringen, Bürschchen!»
«Aber ihre Mitgift ... ist nicht ohne.»
«Stimmt. Aber bedenke bloß, Maurry! Bedenke doch! Eine Keifzange schon mit zwanzig!»
«Was hältst du von Jane Butterfield?»
Thomas zupfte unentschlossen an seiner Lippe. «Ich will das Mädchen nicht herabsetzen, Maurice, aber du lieber Gott! Könntest du mit ihr leben?»
«Ich habe es noch nicht versucht», antwortete Maurice.
«Nein, und die Ehe ist etwas so verdammt Endgültiges! Ihr könnt ja nicht einen Monat oder so miteinander leben, bevor ihr euch endgültig entscheidet. Ich zweifle, ob das Mädchen dem zustimmen würde.»
«Und wenn es so wäre, dann würde ich sie nicht heiraten», bemerkte Maurice. «Ein Jammer. Nein, ich glaube nicht, dass ich mit Jane leben könnte.» Thomas setzte sich wieder hin.
«Leider ist es so, Maurry, dass wir Jettans aus Liebe heiraten müssen. Kein einziger von uns, der je ohne Liebe geheiratet hätte, Geld hin oder her.»
«Es ist so unmodern», wandte Maurice ein. «Man heiratet aus Vernunft. Man kann fünfzig verschiedene Lieben haben.»
«Was! Alle gleichzeitig? Ich glaube, das fändest du doch etwas unbequem – oh, zum Teufel! Drei allein genügen, um einen verrückt zu machen, verdammich, wenn das nicht wahr ist!»
Maurices dünne Lippen zuckten verständnisvoll. «Himmel, nein! Fünfzig Lieben über ein ganzes Leben ausgedehnt, aber nicht an eine einzige gebunden. Reine Seligkeit, Tom, du Schurke!»
Thomas drohte ihm weise mit dem Finger, und sein rundes, gut gelauntes Gesicht wurde plötzlich ganz feierlich.
«Und keine einzige unter ihnen die echte Liebe, Maurry. Denn wenn sie es wäre, meiner Treu, dann gehörte sie nicht zu den fünfzig. Hör auf meinen Rat, Bürschchen, und warte. Verdammt, wir werden doch die Familienchronik nicht verfälschen! ‹Eine wüste Jugend›, ist der Spruch der Jettans, ‹eine Liebesheirat und ein gesetztes Alter.› Ich weiß nicht, ob das mit dem gesetzten Alter stimmt. Vielleicht können nur diejenigen, die aus Liebe heiraten, tugendhaft werden. Jedenfalls wirst du die zweite Maxime nicht brechen, Maurry.»
«Oh, wirklich nicht?», lächelte Maurice. «Was soll mich daran hindern?»
Thomas hatte sich wieder erhoben. Jetzt hängte er sich in den Bruder ein.
«Wenn es aufs Verhindern ankommt, alter Philister, dann bin ich dabei. Ich verursache einen Aufruhr in der Kirche und entführe die Braut. Gott, wäre das lustig! Die Braut des Bruders entführen, direkt vor seiner strengen Nase. Hol's der Teufel, Maurry, genau das ist deine Nase! Es ist mir noch nie aufgefallen – streng, mordsgrimmig – also jetzt reiß dich zusammen, Tom, mein Junge, sonst lachst du gleich wieder, und dabei ist der alte Herr noch nicht unterm Rasen!»
Maurice wartete, bis sich die Heiterkeit seines Bruders gelegt hatte.
«Nun, Tom, dein Rat in Ehren, nicht ohne Liebe zu heiraten! Aber ich muss eine Ehe eingehen, denn du wirst es ganz gewiss nicht tun, und Erben brauchen wir. Jetzt möchte ich gern wissen, was wir anfangen sollen?»
«Warten, Bürschchen, warten! Noch bist du nicht so alt, dass du es dir nicht leisten könntest, noch eine Weile abzuwarten.»
«Ich bin fünfunddreißig, Tom.»
«Dann hast du noch fünfzehn Jahre Zeit, bevor du dich endgültig festlegen musst. Lass dir raten und warte!»
Es endete damit, dass Maurice wirklich wartete. Vier Jahre lang durchstreifte er Europa und amüsierte sich in der üblichen Weise der noblen Herren seiner Zeit, aber 1729 schrieb er seinem Bruder in London einen langen Brief aus Paris, erklärte, dass er verliebt und die Dame ein Engel an Güte, Süße, Liebenswürdigkeit und Zärtlichkeit sei. Er sagte noch viel mehr in dieser Tonart, was Tom abwechselnd gähnend und kichernd alles lesen musste. Die Dame war eine gewisse Maria Marchant. Sie brachte eine hübsche Mitgift und ein mildes Gemüt mit. Also schrieb Tom sofort an Maurice, gratulierte ihm und gab der Verbindung seinen Segen. Er sprach den Wunsch aus, sein lieber alter Maurry möge das Reisen aufgeben und heimkommen zu seinem ihn liebenden Bruder Tom.
In einer Nachschrift fügte er hinzu, er habe in Newmarket fünfhundert Guineen verloren, nur um gleich am nächsten Tag fünfzehnhundert beim Würfeln zu gewinnen, und hätte es nicht sein verflixtes Pech bei einer kleinen Wette mit Harry Besham gegeben, dann wäre er heute der sorgloseste der Sterblichen und nicht ein gehetztes Geschöpf, das sich Stunde um Stunde voll Schrecken vor den Gerichtsvollziehern verbarg.
Danach erfolgte kein weiterer Briefwechsel mehr. Keiner der Brüder hatte das Gefühl, dass es noch etwas zu sagen gäbe, und sie gehörten nicht zu den Leuten, die ihre Zeit darauf verschwendeten, einander zu schreiben, wenn kein triftiger Grund vorlag. Thomas dachte kaum mehr an die Heirat von Maurice. Er nahm an, die Hochzeit würde in England stattfinden, bevor noch viele Monate ins Land kämen; vermutlich würde es Maurice für angebracht halten, sofort zurückzukehren, wie Tom ja vorgeschlagen hatte. Bis dahin gab es nichts zu tun. Tom legte den Brief seines Bruders beiseite und beschäftigte sich weiter in seiner üblichen Art.
Er lebte in der Half Moon Street. Sein Haus wurde von seiner Köchin, der Ehefrau seines Kammerdieners und Lakaien Moggat, regiert. Sie regierte auch den unglücklichen Moggat. Moggat revanchierte sich damit, dass er seinerseits seinen heiteren Herrn beherrschte, soweit er es nur vermochte, so dass man sagen konnte, dass Mrs. Moggat in Wirklichkeit alle miteinander regierte. Da Tom sich dieser Tatsache in keiner Weise bewusst war, kümmerte sie ihn nicht die Spur.
Einen Monat, nachdem er den Brief seines Bruders beantwortet hatte, wurde er, eben als er seine Schokolade schlürfte, von der Neuigkeit aufgescheucht, dass ihn ein Herr zu sprechen wünsche. Tom saß in seinem Schlafzimmer, seine rundliche Figur in einen seidenen Umhang von erstaunlicher Farbenpracht gehüllt. Er hatte seine Nachtmütze noch nicht abgelegt, und seine Perücke lag auf dem Toilettentisch.
Der dürre, lange Moggat glitt zur Tür herein, die er scheinbar kaum geöffnet hatte, und hüstelte diskret hinter dem Rücken seines Herrn.
Tom war eben dabei, seine Schokolade zu schlürfen und da er Moggats schleichende Annäherung nicht gehört hatte, erschreckte ihn das heftige Räuspern dieses Würdigen so sehr, dass er sich verschluckte.
Zärtlich besorgt klopfte ihm Moggat den Rücken, bis sich das Husten und Spucken gelegt hatte. Tom fuhr in seinem Stuhl herum, um den Diener anzusehen.
«Verflucht und zugenäht, Moggat! Was denkt Er sich eigentlich? Ins Zimmer hereinzukriechen und mich anzuhusten, gerade wenn ich trinke! Jawohl! Gerade während ich trinke! Der Teufel hole ihn, höre er mich? Der Teufel soll ihn holen!»
Moggat lauschte in kummervollem Schweigen. Als Tom aus Atemnot schwieg, verneigte er sich und fuhr fort, als hätte es keinerlei Unterbrechung gegeben.
«Unten ist ein Herr, Sir, der Sie zu sprechen wünscht.»
«Ein Herr? Weißt du nicht, dass Herren um diese Stunde keine Besuche machen, du hirnloses Kamel? Bring mir noch Schokolade!»
«Ja, Sir, ein Herr.»
«Ich sage dir, kein Herr würde einen anderen Herrn um diese Stunde stören! Schluss jetzt, Moggat!»
«Und obwohl ich dem Herrn sagte, Sir, dass mein Herr noch im Morgenrock sei und daher keine Besucher empfangen könne, sagte er, dass das für ihn unwichtig sei, und er sei Ihnen verbunden, wenn Sie ihn sofort heraufbitten wollten, Sir, aber ich habe –»
«Verdammt sei seine Unverschämtheit», knurrte Tom. «Wie heißt er?»
«Als ich den Herrn fragte, Sir, welchen Namen ich Ihnen melden solle, gab er mir zu verstehen, dass das gleichgültig sei.»
«Der Teufel hole ihn! Schmeiß ihn hinaus, Moggat! Bestimmt ist das einer von diesen verfluchten Gerichtsvollziehern. Du Narr, was hast du dir dabei gedacht, ihn überhaupt einzulassen?»
Der Kammerdiener seufzte in geduldiger Resignation.
«Wenn Sie mir gestatten, es zu sagen, Sir, dieser Herr ist kein Gerichtsvollzieher.»
«Na, wer ist es denn?»
«Bedaure, Sir, ich weiß es nicht.»
«Du bist ein Narr! Wie sieht dieser Kerl aus?»
«Der Herr» – Moggat betonte das Wort ganz leicht – «ist groß, Sir, und – hm – schlank. Er ist etwas dunkel, was Augen und Brauen betrifft, und er ist, wenn ich so sagen darf, äußerst modisch gekleidet, mit einem Dreispitz und sehr weiten Jackenschößen, flohfarben, mit Tressen, französische Mode, mit –»
Tom riss sich die Nachtmütze vom Kopf und warf sie nach Moggat.
«Du Tropf! Glaubst du, ich will eine Aufzählung seiner Kleider hören? Schmeiß ihn hinaus, diesen dunklen Schurken! Schmeiß ihn hinaus!»
Moggat hob die Nachtmütze auf und glättete sie traurig.
«Der Herr will Sie anscheinend unbedingt sehen, Sir.»
«O ja! Mich zu mahnen versuchen, der Schuft! Und ob ich das nicht weiß! Toben und –»
«Nein, Sir», sagte Moggat energisch. «Ich könnte wirklich nicht sagen, dass der Herr tobt. Ja, Sir, wenn ich das bemerken darf, so halte ich ihn für einen besonders ruhigen, kühlen Herrn. Spricht sehr leise, Sir – oh, sehr leise!»
«Schaff ihn fort!», brüllte Tom. «Ich sage dir, ich will zu dieser Tageszeit nicht belästigt werden! Sag dem Kerl, er soll zu einer menschenmöglichen Stunde wiederkommen – nicht bei Sonnenaufgang! Jetzt versuch ja nicht, mit mir zu streiten, Moggat! Ich sage dir, und wenn es mein Bruder persönlich wäre, würde ich ihn nicht empfangen!»
Moggat verneigte sich wieder.
«Ich werde den Herrn davon unterrichten, Sir.»
Als sich die Tür hinter Moggat geschlossen hatte, lehnte sich Thomas in seinen Sessel zurück und nahm einen seiner Briefe vor. Keine fünf Minuten später knarrte die Tür wieder. Tom drehte sich um und sah, dass Moggat neben ihm stand.
«Eh? Was willst du?»
«Bitte sehr, Sir, der Herr sagt, er sei nämlich Ihr Bruder», meldete Moggat sanft.
Tom zuckte zusammen, als hätte man ihn angeschossen.
«Was? Mein Bruder? Was meinst du damit? Mein Bruder?»
«Sir Maurice, Sir.»
Tom sprang auf, schnappte seine Perücke und stülpte sie sich völlig schief auf den Kopf.
«Donner und Doria! Maurry! Da, irrsinniger Holzkopf! Wie wagst du es, meinen Bruder unten stehen zu lassen? Wie wagst du es, frage ich?» Er wickelte sich noch fester in seinen Morgenmantel und stürzte Hals über Kopf aus dem Zimmer und die Treppe hinunter, wo Maurice ihn erwartete.
Sir Maurice stand in der Bibliothek am Fenster und trommelte mit den Fingern auf das Fensterbrett. Bei dem stürmischen Eintritt seines Bruders drehte er sich um und verbeugte sich.
«Ein hübsches Willkommen bereitest du mir, Tom! ‹Sag ihm, er soll zu einer menschenmöglichen Zeit wiederkommen – ich würde ihn nicht empfangen, und wenn es mein Bruder persönlich wäre›, wahrhaftig!»
Thomas hüpfte durch das Zimmer und packte beide langen dünnen Hände des Bruders mit seinen molligen, kurzfingrigen.
«Mein lieber Maurry! Mein lieber alter Junge! Ich hatte keine Ahnung, dass du es bist! Mein Lümmel von einem Lakai – aber halt! Wann bist du in England angekommen?»
«Vor einer Woche. Ich bin im Pride abgestiegen.»
«Vor einer Woche? Was, zum Kuckuck, soll das heißen, erst jetzt zu mir zu kommen, du Schurke?» Während er sprach, drückte Tom Maurice in einen Sessel und setzte sich ihm freudestrahlend gegenüber.
Maurice lehnte sich zurück und kreuzte die Beine. Ein leises Lächeln zuckte um seinen Mund, aber seine Augen sahen feierlich drein, als er antwortete:
«Ich musste zuerst dafür sorgen, dass sich meine Frau in ihrem neuen Heim installiert.»
Einen Augenblick starrte ihn Tom an.
«Frau? Donner und Doria, du verschwendest wirklich keine Zeit! Wo und wann hast du die Dame geheiratet?»
«Vor drei Wochen, in Paris. Jetzt bin ich heimgekommen, um den letzten Teil des Sprichworts der Jettans zu erfüllen.»
«Gottes Barmherzigkeit!», würgte Tom hervor. «Doch kein gesetztes Alter, Bürschchen? Doch nicht du?»
«So ähnlich», sagte Maurice und nickte. «Warte nur, bis du meine Frau kennengelernt hast!»
«Ja, darauf warte ich», sagte Tom. «Was wird also jetzt geschehen? Der biedere Landjunker und ein halbes Dutzend Kinder?»
Die grauen Augen zwinkerten.
«Tom, ich wäre dir dankbar, wenn du nicht so derb wärst.»
«Derb? Derb?! Himmel, Maurice, was ist über dich gekommen?»
«Ich bin ein Ehemann», erwiderte Maurice. «Als solcher habe ich ... äh ... gelernt, meine Zunge zu hüten. Meine Frau –»
«Maurry, könntest du nicht die Dame bei ihrem Namen nennen?», bat Tom. «Glaube mir, ich kann diese beiden Wörter nicht allzu oft ertragen, so stolz ihr auf sie sein mögt.»
Maurice errötete leicht und lächelte.
«Also dann Maria. Sie ist eine sehr ... süße, zarte Dame.»
«Himmel, ich hatte insgeheim entschieden, dass du ein strammes Mädel mit einem kecken Lächeln heiraten würdest!»
«Ich? Guter Gott, nein! Meine Fr... Maria ist sanft und nachgiebig und –»
«Ja, ja, Maurry, ich weiß!», unterbrach ihn Thomas hastig. «Ich muss selbst sehen, also sei so lieb und verdirb mir nicht die Überraschung. Hast du eigentlich schon gefrühstückt? Nein? Dann komm mit mir. Wo ist dieser Schurke Moggat? Moggat! Moggat! Ah, da bist du ja! Sorg sofort für ein Frühstück, Mensch! Und bring noch etwas Schokolade in mein Zimmer hinauf.» Er wickelte sich wieder in den voluminösen Morgenmantel, packte seinen Bruder am Arm und führte ihn zur Treppe.
So also brachte Maurice Jettan seine junge Frau heim. Es war eine sanfte Dame von liebenswürdiger Veranlagung: Sie vergötterte ihren schönen Mann und schenkte ihm zu angemessener Zeit einen Sohn, Philip. Als man Tom den Säugling zeigte, stellte er fest, dass das ein echter Jettan mit allen Familienmerkmalen war. Der Vater gestand, er sehe weder mit sich noch mit sonst jemandem eine Ähnlichkeit, war jedoch trotzdem über die Bemerkungen seines Bruders erfreut. Tom kicherte ausgiebig und prophezeite, dass der junge Philip sich in mehr als einer Hinsicht als ein echter Jettan erweisen würde. Er machte Andeutungen über einen Jüngling, der seinen Vater an Glanz noch übertreffen würde, und Maurice lächelte und schaute stolz auf das rote verschrumpelte Gesichtchen nieder.
«Und», schloss Tom, «er wird einen Papa haben, der ihn in allen Modeangelegenheiten besser beraten kann als irgendein anderer ... Ja, Maurice, du wirst ihm die mondäne Welt zeigen! Du musst dich vorsehen, hier nicht zu verbauern. Du darfst dich nicht aus der Gesellschaft zurückziehen.»
Maurice lächelte noch immer auf seinen Sprössling nieder.
«Nein. Ich darf mich nicht zurückziehen, Tom. Der Kleine wird mich später brauchen.»
Fünf Jahre lang nahm er weiterhin seinen Platz in der Londoner Gesellschaft ein, fand jedoch, dass sein Verlangen nach Aufregung und fröhlichem Leben immer geringer wurde. Marias Tod gab diesem Verlangen den Todesstoß. Maurice brachte sein Söhnchen nach «Jettan's Pride», so wie er sich vom ersten Schock des schmerzlichen Verlustes erholt hatte, und kam nur noch selten nach London, es sei denn, um seinen Bruder oder seinen Schneider zu besuchen. Dann schien ihn die Ruhelosigkeit wieder zu erfassen, und er verbrachte mehr Zeit bei Tom. Nach und nach trat er von neuem in die Welt ein, die er verlassen hatte, widmete sich ihr jedoch nie mehr so sehr wie einst. «Jettan's Pride» schien ihn zu rufen, und der kleine Philip hielt sein Herz mit beiden Händen fest. Später verbrachte er seine Zeit zwischen London und «Jettan's Pride». Wenn er unruhig wurde, packte er seine Reisetaschen und flitzte entweder nach London oder nach Paris; wenn die Ruhelosigkeit vorbei war, kam er ins Pride zurück, um dort zwei, drei friedliche Monate zu verbringen.
Als Philip achtzehn war, nahm er ihn nach London mit. Philip langweilte sich gründlich. Sir Maurice schloss daraus, dass er noch zu jung war, um in die Gesellschaft eingeführt zu werden, sandte ihn aufs Land zurück und meinte, der Junge würde in zwei, drei Jahren nur allzu sehr darauf aus sein, es zu verlassen.
Die Jahre glitten vorbei, doch Philip zeigte nicht den Wunsch, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Er weigerte sich, die Kavalierstour zu machen, es lag ihm nichts an Kleidung oder mondänem Gehaben; er verachtete das Leben an den Höfen; er zog es vor, auf dem Land zu bleiben, und usurpierte weitgehend die Stellung seines Vaters als Landedelmann. Er war jetzt etwa dreiundzwanzig Jahre alt, groß und schön, aber wie sein Vater zu seinem Onkel bemerkte, «ein ungeschliffener Tollpatsch».
Ich sprach vorhin von drei Herren, die sich ihre Sitze rund um Little Fittledean errichtet hatten. Von dem einen sagte ich nur wenig, von dem zweiten sprach ich ausführlich und ein ganzes Kapitel lang. Nun ziemt mir, den dritten Herrn zu erwähnen, der seinen Baugrund am Rand des Dorfes, ungefähr zwei Meilen östlich von «Jettan's Pride», gewählt hatte. Um seinen Besitz zu erreichen, musste man die Hauptstraße entlanggehen, bis die Häuser immer spärlicher wurden und das Kopfsteinpflaster schließlich ganz aufhörte. Dann bog die Straße in einen Feldweg ein, der von Bäumen und Gras gesäumt war. Einige Schritte weiter, und das moosbedeckte Dach von Sharley House lugte hinter einer hohen Stechpalmhecke hervor, die den Besitz vor den Blicken Vorübergehender abschirmte.
Dort lebte Mr. Charteris, und vor ihm sein Vater und Großvater. Mr. Charteris war der glückliche Besitzer einer Frau und einer Tochter. Diese Tochter ist es, die mir vor allem am Herzen liegt.
Sie hieß Cleone, und sie war sehr lieblich. Sie hatte dichte goldblonde Locken, kornblumenblaue Augen und ein Paar roter Lippen, die gleich faszinierend schmollten oder lächelten. Sie war eben achtzehn geworden, und die Freude und Verzweiflung aller junger Männer der Umgebung. Insbesondere war sie die Verzweiflung Mr. Philip Jettans.
Philip war bis über die Ohren in Cleone verliebt, und zwar seit dem Zeitpunkt, da sie aus dem Kloster zurückgekehrt war, wo sie etwas Bildung genossen hatte. Vor Cleones Abreise nach diesem Kloster hatten Philip, James und Jennifer Winton und sie miteinander gespielt und miteinander gestritten, seit sie gehen konnten. Dann ging Cleone fort, um etwas Schliff zu erlangen, und die beiden Jungen dachten kaum mehr an sie, bis sie zurückkehrte. Dann allerdings dachten sie an nichts anderes mehr. Die herumtollende Spielgefährtin war auf immer verschwunden, aber an ihre Stelle war eine Erscheinung getreten. Philip und James begannen einander scheel anzusehen.
Entzückt über den neuen Stand der Dinge, beherrschte sie Cleone geradezu königlich und spielte einen jungen Mann gegen den anderen aus. Es dauerte jedoch nicht lange, bis sie entdeckte, dass sie viel mehr an Mr. Jettan dachte, als schicklich war. Er begann durch ihre Träume zu geistern, und wenn er auf Besuch kam, flatterte ihr Herz ein bisschen und verriet eine Tendenz, ihr in die Kehle hinaufzurutschen.
Cleone war streng mit ihrem Herzen, denn es gab viel an Mr. Jettan, das nicht ihre Billigung fand. Wie herrisch und schön er auch sein mochte – und Philip war beides –, in vieler Hinsicht war er grässlich ungehobelt. Vor ihrer Heimkehr nach Sharley House hatte Cleone einige Monate bei ihrer Tante in London verlebt. Einige Herren hatten Cleone sehr elegant den Hof gemacht und ihr ungezählte Komplimente über ihr goldenes Köpfchen gemacht. Es war ihr keinen Deut an einem von ihnen gelegen, aber die anmutige Ehrerbietung war sehr erfreulich gewesen. Philips Rede war direkt und zweckbestimmt, und er machte nie gedrechselte Komplimente. Auch seine Kleidung ließ viel zu wünschen übrig. Cleone hatte ein Auge für Farbe und Stil; sie hatte es gern, wenn sich ihre Kavaliere à la mode trugen. Sir Matthew Trelawney zum Beispiel hatte die wunderbarsten, mit Schmetterlingen bestickten Strümpfe bevorzugt. Frederick King trug so ausgezeichnet sitzende Jacken, dass es hieß, er brauche drei Diener, um ihm hineinzuhelfen. Philips Jacke war für Bequemlichkeit gemacht; die Strümpfe Matthew Trelawneys hätte er verachtet. Er weigerte sich sogar, eine Perücke zu kaufen, und trug sein eigenes braunes Haar aus dem Gesicht gebürstet und mit einem schwarzen Band locker im Nacken gebunden. Kein Puder, keine Locken, unpolierte Nägel und ein ungeschminktes Gesicht – nicht einmal das kleinste Schönheitspflästerchen –, es genügte, dachte Cleone, um einen zum Weinen zu bringen. Sie weinte aber nicht, denn erstens hätte sie davon rote Augen bekommen, und zweitens hätte es sehr wenig genützt. Philip musste gebessert werden, da sie – nun, da sie ihn nicht gerade verabscheute.