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England, 1393. John of Lancaster wohnt mit seiner Mutter, der Gräfin Mary, und seinen drei Brüdern Harry, Thomas und Humfrey auf Schloss Kenilworth. Als Heinrich IV., der Vater der Brüder, zum König gekrönt wird, muss der junge John seine Tapferkeit an der Front beweisen und wird Zeuge von Morden und Verschwörungen. Aber im Laufe dieser kämpferischen Zeit lernt er die Liebe seines Lebens kennen ...
"Lord John" ist der letzte Roman von Georgette Heyer, in dem sie einen umfassenden Einblick in das mittelalterliche Leben bietet und ihren Leserinnen sowohl die Intrigen am Hofe als auch das Leben der einfachen Leute näherbringt. Ursprünglich als erster Teil einer Trilogie geplant, verstarb die Autorin, ohne das Werk vollenden zu können.
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Seitenzahl: 637
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Zitat
Vorwort
Erster Teil Richard der Schlechtberatene (1393 – 1399)
M. de Guyenne
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Beau Chevalier
1
2
3
4
Abschied
1
2
3
4
Das Fest des Herodes
1
2
3
4
5
6
Ein zweiter Absalom
1
2
3
4
5
6
7
Sa, sa cy avaunt!
1
2
3
4
Zweiter Teil Die Zeit der Unruhe (1399 – 1403)
Dem kein Mensch widerstand
1
2
3
König Richards Günstlinge
1
2
3
4
5
6
Nach Wind kommt Regen
1
2
3
4
5
6
Die roten Rigs
1
2
3
4
Die Hexenkönigin
1
2
3
4
5
6
Dritter Teil Der Statthalter (1403 – 1405)
Der Statthalter
1
2
3
Green Wood
1
2
3
4
Der Fuchs des Nordens
1
2
3
Düstere Tage
1
2
3
4
5
6
Shipton Moor
1
2
3
4
Scropes Fluch
1
2
3
4
5
Vierter Teil Vortrefflicher Fürst (1406 – 1413)
Rückblick
1
2
3
4
5
6
Gastmahl in Westminster
1
2
3
Zwietracht
1
2
3
Der fröhliche Junggeselle
1
2
3
4
5
Geschichtliche Hinweise
Über die Autorin
Impressum
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England, 1393. John of Lancaster wohnt mit seiner Mutter, der Gräfin Mary, und seinen drei Brüdern Harry, Thomas und Humfrey auf Schloss Kenilworth. Als Heinrich IV., der Vater der Brüder, zum König gekrönt wird, muss der junge John seine Tapferkeit an der Front beweisen und wird Zeuge von Morden und Verschwörungen. Aber im Laufe dieser kämpferischen Zeit lernt er die Liebe seines Lebens kennen ...
Georgette Heyer
Lord John
Aus dem Englischen von Erika Kaiser
»A vous entiere«
Wahlspruch des Herzogs von Bedford
Der Ruf meiner Frau, Georgette Heyer, beruht hauptsächlich auf ihren historischen Romanen, vor allem jenen aus der Regency-Zeit. Diese Epoche war aber nicht ihr Lieblingszeitalter: Sie gab der «Zeit der Gewappneten», wie sie sie nannte, dem Mittelalter, eindeutig den Vorzug und begeisterte sich vor allem für jenen Abschnitt der englischen Geschichte, in dem das Haus Lancaster auf dem Höhepunkt seines Einflusses stand, das heißt für die Zeit von etwa 1393 bis 1435.
Vor etlichen Jahren plante sie, eine Trilogie über diese Periode zu schreiben, und wollte John, den Herzog von Bedford, den jüngeren Bruder Heinrichs V. – dem Heinrich auch am meisten vertraute –, zur Hauptperson ihres Werkes machen. Grund dafür war nicht nur, dass seine Lebenszeit die gesamte Periode umspannte, sondern auch, dass er ein großer Mann, wenn auch eine heute nicht allzu bekannte Persönlichkeit war. Mit seinem Tod begann der Abstieg des Hauses Lancaster.
Die Forschungen, die sie im Zusammenhang mit diesem Plan unternahm, waren umfassend und äußerst genau. Sie studierte jeden Aspekt dieser Periode – die Geschichte, die Kriege, die sozialen Bedingungen, Gewohnheiten und Gebräuche, Kleidung, Rüstungen und Waffen, Heraldik, Falknerei, die Jagd zu Pferde ... Sie zeichnete Stammbäume aller adligen Familien Englands und trug jeweils die Familienwappen ein, denn sie glaubte fest, dass der Schlüssel zu den Ereignissen in den verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den handelnden Personen zu finden sei. Sie legte Karteikarten an für jeden einzelnen Tag der vierzig Jahre, die sie schildern wollte, und trug auf ihnen alle wichtigen Ereignisse ein. Sie lernte das mittelalterliche Englisch fast so mühelos lesen wie die Sprache unserer Tage und erwarb sich einen gewaltigen Wortschatz. Einen Sommer lang fuhren wir kreuz und quer durch das Land an der schottisch-englischen Grenze, um das Gebiet kennenzulernen, und besuchten fünfundsiebzig Schlösser und dreiundzwanzig Abteien beziehungsweise ihre Ruinen. Die Aufzeichnungen meiner Frau füllten mehrere Bände.
So wie sie die Trilogie plante, rechnete sie mit etwa fünf Jahren konzentriertester Arbeit. Diese Zeit war ihr nicht vergönnt. Die gewaltige Last britischer Steuern und gleichzeitig auch der Ruf ihrer Leser nach einem neuen Buch zwangen sie, diese Arbeit zu unterbrechen und einen weiteren Regency-Roman zu schreiben. Nach dieser Unterbrechung fiel es ihr schwer, sich wieder in den Geist ihres Hauptwerkes zurückzuversetzen, und sie musste viel Arbeit darin investieren, ihre einmal erworbenen Kenntnisse wieder aufzufrischen. Als sie sich noch ein zweites Mal vor der gleichen Notwendigkeit sah, legte sie ihr Manuskript beiseite, weil sie zu der Überzeugung kam, sie würde mindestens zwei weitere Male ihre Arbeit unterbrechen müssen, bevor sie ihr Werk würde abschließen können. So kam es, dass ein großer historischer Roman unvollendet blieb.
Sie hatte allerdings fast ein Drittel des Gesamtkonzepts bereits ausgeführt, und dieses liegt nun in dem gegenwärtigen Band vor. Das Buch spielt im Zeitabschnitt von 1393 bis 1413 – das entspricht fast aufs Jahr genau der Zeit von Shakespeares Richard II. und den beiden Teilen von Heinrich IV. Die ersten drei Teile des vorliegenden Buches wurden von ihr selbst fertiggestellt, der vierte – unvollendete – ist aus ihrem ersten Konzept entstanden, was eine redaktionelle Bearbeitung notwendig machte.
Der Historiker A. J. Froude sagte einmal, es sei uns nicht möglich, den Geist des Mittelalters zu erfassen. Das mag wohl stimmen. Doch es könnte sein, dass Georgette Heyer in dem vorliegenden Buch dem Ziel, zwischen dem Mittelalter und dem Heute eine Brücke zu schlagen, näher gekommen ist als irgendjemand sonst.
G. R. Rougier
Richard II., König von England, 1377 – 1399 (Vetter Richard). Sohn von Edward, dem Schwarzen Prinzen (gest. 1376), des ältesten Sohns König Eduards III., und Joan, der schönen Jungfrau von Kent
Anna von Böhmen, seine erste Gemahlin
Isabella von Frankreich, seine zweite Gemahlin
John von Gaunt, Herzog von Lancaster, Herzog von Aquitanien (Bel sire, M. d'Espagne, M. de Guyenne), Onkel des Königs, dritter Sohn von König Eduard III.
Konstanze von Kastilien (die spanische Großmutter), seine zweite Gemahlin
Katherine Swynford, seine Mätresse, später seine dritte Gemahlin
Henry von Bolingbroke, Graf Derby, später Herzog von Hereford, später König Heinrich IV., sein ältester Sohn
Mary Bohun, Henry Bolingbrokes erste Gemahlin
Henry (Harry), deren ältester Sohn
Thomas, ihr zweiter Sohn
John, ihr dritter Sohn
Humfrey, ihr vierter Sohn
Blanche, ihre älteste Tochter
Philippa, ihre jüngere Tochter
Joanna von der Bretagne, Henry Bolingbrokes zweite Gemahlin
Edmund von Langley, Herzog von York, Onkel des Königs, vierter Sohn von König Eduard III.
Edward, Graf Rutland, später Herzog von Aumâle, später Herzog von York, sein ältester Sohn
Richard von Coningsburgh, sein jüngerer Sohn
Constance, seine Tochter, Gemahlin des Thomas Despenser
Thomas von Woodstock, Herzog von Gloucester, ein Onkel des Königs, fünfter Sohn von König Eduard III.
Eleanor Bohun, seine Gemahlin
Humphrey, sein Sohn
Roger Mortimer, Graf March, Enkel von Lionel, Herzog von Clarence, dem zweiten Sohn König Eduards III.
Edmund, später Graf March, sein ältester Sohn
Roger, sein jüngerer Sohn
Sir Edmund, sein Bruder, heiratet später die Tochter Owen Glendowers in Wales
John Beaufort, später Graf Somerset, später Marquis von Dorset, ältester Sohn John von Gaunts und Katherine Swynfords
Margaret Holland, seine Gemahlin
Henry, später Bischof von Lincoln, später Bischof von Winchester
Thomas, sein Bruder
Joan, seine Schwester, später Gemahlin von Ralph Neville, Graf Westmoreland
John Holland, Graf Huntingdon, später Herzog von Exeter, Sohn der Mutter des Königs, Joan von Kent, aus ihrer dritten Ehe
Bess, seine Gemahlin, Tochter des John von Gaunt
Thomas, Graf Kent, später Herzog von Surrey, sein Neffe
Margaret, Schwester von Thomas, später Gemahlin John Beauforts
Edmund, Thomas' Sohn
Richard Fitzalan, Graf Arundel
Thomas Fitzalan, später Graf Arundel, sein Sohn
Thomas (Erzbischof Arundel), Erzbischof von York, später Erzbischof von Canterbury, sein Bruder
Joan, verwitwete Gräfin Hereford, seine Schwester, Mutter der Mary und Eleanor Bohun, Schwiegermutter Henry von Bolingbrokes
Thomas Beauchamp, Graf Warwick
Richard, später Graf Warwick, sein Sohn
Ralph Neville von Raby, später Graf Westmoreland
Joan Beaufort, seine zweite Gemahlin
Sir John Neville, sein ältester Sohn aus erster Ehe
Thomas, Lord Furnivall, sein Bruder
Henry Percy, Graf Northumberland (der Fuchs)
Henry (Heißsporn), sein Sohn
Thomas, Graf Worcester, sein Bruder
Thomas Mowbray, Graf Nottingham, später Herzog von Norfolk
Thomas, später Graf Nottingham, sein ältester Sohn
John, sein jüngerer Sohn
Gräfin Norfolk, eine entfernte Base Henry von Bolingbrokes, Großmutter des Thomas Mowbray
Sir Hugh Waterton, Erzieher der Kinder Henry von Bolingbrokes
Sir Robert Waterton, sein Vetter, Konnetabel von Schloss Pontefract
Thomas Swynford, Sohn Katherine Swynfords aus ihrer ersten Ehe
Sir Robert Umfraville, ein Freund Ralph Nevilles
Gilbert, sein Neffe
John Talbot, ein Freund Harrys
John Oldcastle, später Lord Cobham, ein Freund Harrys
Henry Scrope von Masham, ein Freund Harrys
Richard (Erzbischof Scrope), Erzbischof von York, sein Onkel
Reginald Grey von Ruthin, ein Freund Henry von Bolingbrokes
Master Chaucer, ein Dichter
Messire de Froissart, Kanonikus von Chimay
Karl VI., König von Frankreich
Isabeau, seine Gemahlin
Louis, Herzog von Orléans, sein Bruder
Charles, später Herzog von Orléans, sein Sohn
Philipp, Herzog von Burgund, Onkel des Königs
Johann der Unerschrockene, später Herzog von Burgund, Sohn Philipps von Burgund
Jean von Montfort, Herzog der Bretagne
Joanna, seine dritte Gemahlin
Robert III., König von Schottland
James, später Jakob I. von Schottland, sein Sohn
Robert, Herzog von Albany, sein Bruder, Regent nach Roberts Tod im Jahre 1406
Owen Glendower (Fürst von Wales), Anführer der Waliser
Man hatte die Kinder mit Kate Puncherdown zum Spielen in den Kräutergarten geschickt. Kate, der man die Aufsicht über den jüngsten der vier hochgeborenen Rangen übertragen hatte, war froh, an diesem schönen Junitag der Arbeit im Haus zu entkommen, doch konnte sie es sich nicht verkneifen, Agnes Rokster mitzuteilen, dass es nicht zu ihren Pflichten gehöre, auf Lord John achtzugeben.
Agnes sagte: «Mein junger Herr ist es sicher nicht, der in der Kinderstube Unfug treibt! Tu mir den Gefallen und nimm ihn mit!»
«Du nimmst ihn mit, weil man es dir befohlen hat!», sagte Johanna Waring.
«Nun gut, um dir einen Gefallen zu tun, Agnes ...!», erklärte Kate.
Johanna nahm ihr das übel und rächte sich auf unüberlegte Weise. «An deiner Stelle», sagte sie mit unheilschwangerer Stimme, «ließe ich Lord Humfrey keinen Augenblick vom Gängelband, denn der arme Kleine sieht ja so schlecht, dass ich jeden Augenblick fürchte, er läuft gegen eine Mauer und bricht sich die Nase!»
Das war eine untragbare Herausforderung. Lord Humfreys linkes Auge war nicht ganz in Ordnung, aber zu behaupten, dass er schiele, war bewusste Bosheit. Lord Humfrey – er war noch keine zwei Jahre alt – war ein besonders vielversprechendes Kind: intelligent, gut gewachsen und – wie Kate mit einem Hintergedanken sagte – so munter, dass sich seine Mutter noch keinen einzigen Augenblick um ihn hatte sorgen müssen.
Johannas hochrote Wangen hätten Kate warnen müssen, dass jedes weitere Wort überflüssig war, doch fuhr sie fort: «Wie schade, dass Lord Harry so kränklich ist, er, der Älteste!»
Es war ein Glück, dass die Kinderzimmer weit weg von den Gemächern der Gräfin Derby lagen, denn das Geschrei und Gezänk hätten ihr sicher missfallen. Die Amme von Lady Blanche hingegen, die das Kind gerade wickelte, und Johanna Donnesmere, unter deren Obhut Lord Thomas stand, lauschten dem Streit mit unverhohlener Freude, denn beide wussten sich in unantastbarer Stellung. Niemand konnte etwas an dem schönen Kind auf Isobel Staines Schoß aussetzen; genauso wenig konnte man leugnen, dass von all den jungen Lancasters Lord Thomas der kräftigste und hübscheste war. Von dem Tag an, an dem er sich ans Licht der Welt gekämpft hatte (ganz anders als Lord Harry, den man hatte schlagen müssen, damit er den ersten Atemzug tat), war er keinen Tag lang krank gewesen. Noch nie hatte seine Kinderfrau eine bange Nacht an seinem Bett verbracht, weil ein zu nachgiebiger Großvater ihren Schützling mit Marzipan vollgestopft hatte. Während sich Lord Harry unaufhörlich erbrach, schlief Lord Thomas, der mehr als ein Jahr jünger war, fest an seiner Seite; ein Übermaß an Süßigkeiten störte ihn genauso wenig wie ein Sturz von seinem Pony. Das Schlimmste, was man von Lord Thomas behaupten konnte, war, dass es in seiner Gegenwart in der Kinderstube selten friedlich zuging; und auch die eifersüchtigste Kinderfrau konnte nicht umhin, zuzugeben, dass ein heißes Temperament und der Wille, sich um jeden Preis durchzusetzen, Eigenschaften waren, die man kaum anders als mit Stolz betrachten konnte.
Als nun alles gesagt war, was man über einen siebenjährigen Jungen und ein Kind, das eben erst ohne Gängelband laufen gelernt hatte, Schlechtes sagen konnte, endete der Streit, und Kate führte die Kinder über die Wendeltreppe in den Garten, wobei sie Humfrey auf dem Arm hinuntertrug und John an der Hand führte.
Der Innenhof lag im prallen Sonnenschein und schien nach der Kühle des Schlosses heiß wie ein Backofen. Er war ringsum von Gebäuden umschlossen, so dass nicht einmal der leiseste Lufthauch die Bänder an Kates Haube zu bewegen vermochte. Die meisten dieser Gebäude waren neu, auch jene an der Südseite des Hofes, die der Familie als Aufenthaltsort dienten. Weder die Kapelle, die im Osten gegen den Vorhof zu lag, noch der Große Festsaal, der fast die gesamte Westseite einnahm, waren fertiggestellt. Maurer und Steinmetzen waren unaufhörlich am Werk, und die ganze, neunzig Fuß lange Front des Festsaales war noch von einem Gerüst verborgen. Hinter diesem Gerüst schimmerten die Mauern rötlich hervor, aber auch alle übrigen Gebäude schienen von einem rosigen Schein überzogen. Der alte Festsaal hatte viel mehr Ähnlichkeit mit dem in der Nordostecke des Hofes aufragenden Bergfried gezeigt und war vor vielen hundert Jahren gebaut worden, als sich das Licht auch in Königspaläste nur durch schmale Fenster stehlen konnte. Der neue Saal war ganz anders beschaffen und besaß einen Erker und vier reich verzierte Spitzbogenfenster. Seit die Familie von Peterborough nach Kenilworth gezogen war, klagten die Damen der Gräfin darüber, dass sie das Klopfen der Maurer bis in ihre Träume verfolgte, und die Kinderfrauen standen ihnen in nichts nach. Sie prophezeiten, dass Lady Blanche nicht mehr werde schlafen können und dass sich die jungen Herren den Hals brechen würden, wenn sie auf dem Gerüst herumkletterten und den Halt verlören. Aber Lady Blanche schlummerte friedlich, selbst beim schlimmsten Hämmern; und obwohl die jungen Lords – wie vorausgesagt – auf allen Gerüsten herumkletterten und die armen Handwerker durch ihre beharrlichen Fragen zum Wahnsinn trieben, hatte man noch keinen von ihnen tot aus dem Hof getragen.
Die Jungen liebten Kenilworth: so sehr, dass sie es zeit ihres Lebens als Ort der Glückseligkeit in Erinnerung behielten, rosig schimmernd, in Sonne gebadet.
Um den Kräutergarten zu erreichen, der außerhalb der inneren Umfassungsmauer lag, musste die kleine Gruppe am Fuß der Prunkstiege vorbei, die zum Tor des Großen Festsaales hinaufführte, durch den Küchenhof und eine kleine Pforte gehen. Es bedurfte einiger Zeit, um diesen Weg zurückzulegen, da sich Kate im Küchenhof von einem Geharnischten in den weiß-blauen Farben der Familie aufhalten ließ, aber schließlich erreichten sie den Garten, und Lord Humfrey wurde zu Boden gesetzt. Zu jung, um sich für die Eskapaden seiner Brüder zu interessieren, watschelte er zu einem eigenen Erkundungsgang davon und war bald glücklich beim Schwanenturm beschäftigt, einem Ausguck, der in eine Ecke des Vorwerks eingebaut war. John achtete nicht auf seinen Bruder, sondern beschäftigte sich mit einem Spielzeug, das er tief vergraben in einer Truhe in der Kinderstube gefunden hatte.
Es war ein faszinierendes Spielzeug, ursprünglich Teil eines Paares, das Thomas von Vetter Richard, dem König, zum Geschenk erhalten hatte; zwei Marionetten in Rüstung, jede in der einen Hand ein Schwert, in der anderen ein Schild. Die Gliedmaßen waren beweglich und mit Schnüren versehen, und wusste man sie geschickt zu bedienen, dann konnten die beiden Puppen miteinander wie echte Ritter kämpfen. Nur Gott und der Teufel wussten, was Vetter Richard für sie bezahlt hatte, bemerkte Bel sire, ihr Großvater, beim Anblick der Puppen. Närrische Verschwendung, so hatte er die Marionetten genannt, aber vielleicht nur, weil sie ein Geschenk an Thomas und nicht an Harry oder an John, seinen Namensvetter und Lieblingsenkel, waren. Nur eine der Puppen hatte Thomas' raue Behandlung überlebt und dazu schon längst den Reiz des Neuen verloren, war in die Truhe geworfen und dort vergessen worden, bis John sie wiedergefunden hatte.
Für die Finger eines Vierjährigen schien es eine schwierige Aufgabe, die Marionette richtig zu führen, aber Ungeduld war ein Fehler, den John nicht kannte. Er hatte es sich zur Aufgabe gesetzt, das Spiel mit der Puppe zu beherrschen, und als Kate sah, wie sehr er darin vertieft war, folgte sie dem Winken des Geharnischten und verließ den Hof. Die Kinder waren ganz sicher: Keines war alt genug, um die Mauern zu erklettern und in den Sumpf zu fallen, der am Fuß des Schlosshügels lag; und sollte es sich John in den Kopf setzen, das Gerüst am Großen Festsaal zu erforschen, dann musste er auf dem Weg dahin durch den Küchenhof und an ihr vorbei.
Absichten dieser Art lagen John jedoch fern; er war ganz in die Marionette vertieft und hätte noch lange mit den eigenwilligen Bewegungen der Gliedmaßen gekämpft, wäre er nicht unterbrochen worden. Thomas, aus dem Unterricht entlassen, kam über den Rasen gerannt, blieb dicht vor seinem Bruder stehen, starrte ihn einen Augenblick lang an und rief dann: «Die gehört mir!»
Johns Gesicht wurde störrisch. Er hielt die Marionette fest gegen seine Brust gedrückt, sagte aber kein Wort.
«Gib sie mir!», befahl Thomas und streckte die Hand aus.
«Nein!», sagte John.
Das erschien Thomas ungeheuerlich. «Du – du Geier – du Teufelsbraten!», schrie er. Sein Vokabular stammte aus dem Wortschatz der wackeren Handwerker, die am Festsaal arbeiteten. «Gib sie mir sofort!»
Schmähungen ließen John völlig ungerührt: Aber als Thomas nach der Marionette griff, legte er sie rasch hinter sich ins Gras. Ganz anders als Thomas, der die Marionette im Streit zerrissen hätte, war er entschlossen, sie in der unvermeidlichen Auseinandersetzung nicht zu Schaden kommen zu lassen. Im nächsten Augenblick waren die beiden jungen Lords in – wie es schien – einen Kampf auf Leben und Tod verstrickt. Thomas war ein Jahr älter als John, aber John war kräftiger gebaut und durchaus imstande, sich einige Minuten lang zu behaupten. Am Ende würde Thomas zwar gewinnen, aber John war es einmal gelungen, Thomas zu Fall zu bringen, und obwohl er damals viel zu erstaunt gewesen war, um aus diesem Triumph Vorteile zu ziehen, so hoffte er doch, dass ihm dies eines Tages wieder gelingen und er dann in passender Weise weitermachen würde.
Keinem der beiden Kämpfer war es diesmal vergönnt, den anderen zu Fall zu bringen; sie wurden plötzlich auseinandergerissen. Harry, ihr ältester Bruder, stand zwischen ihnen. «Wieder Raufhändel?», fragte Harry, ganz wie Johanna Waring. «Was ist der Grund?»
Thomas, von Eifersucht auf Harry beherrscht, rief: «Das geht dich nichts an», und versuchte, John wieder zu fassen.
Harry hielt ihn zurück. Er war sehr schlank, aber überraschend stark. «Halt!», befahl er. «Ich habe gefragt, was der Grund ist!»
Thomas mochte Harrys Anspruch auf Autorität zwar übelnehmen, aber er war klug genug, ihn nicht zornig zu machen. Er sagte: «Er hat meine Marionette gestohlen.»
Harry blickte John an. «Das ist nicht wahr!», erklärte John, feuerrot im Gesicht ob dieser heimtückischen Beschuldigung.
«Welche Marionette? Wem gehört sie?», wollte Harry wissen.
«Mir!», rief Thomas.
«John?», sagte Harry und blickte ihn unverwandt an.
Harry hatte strahlende haselnussbraune Augen. War er freundlich, dann waren sie sanft wie die einer Taube, aber wenn ihn etwas ärgerte, änderte sich ihr Ausdruck plötzlich, und dann sahen seine Augen aus wie die der Löwen, die auf Bel sires Schild gemalt waren. Das geringste Schuldgefühl machte es einem ganz unmöglich, diesen Augen standzuhalten. John versuchte es nicht einmal. Er begann, mit einer Zehe ein Loch in den Rasen zu bohren, und blickte zu Boden. «Ja», sagte er, «ja ...»
Der Stoß, den ihm Harry gab, brachte ihn fast zu Fall. «Gib sie Thomas!», befahl Harry.
John hob die Puppe auf und hielt sie blicklos vor sich hin, denn seine Augen füllten sich mit Tränen. Als er diese Tränen endlich weggeblinzelt hatte, war Harry schon fort, und Thomas starrte erstaunt auf das kleine Tor – die Marionette lag unbeachtet zu seinen Füßen.
John äugte nach ihm, aber kaum aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen. Thomas vergaß seine Wut so rasch, wie sie ihn überfiel. Er drehte sich zu John und rief: «Er hat zu mir gehalten!»
John schluckte seine letzten Tränen hinunter: «Das war nicht anders zu erwarten.»
«Nein, das hätte ich mir nie gedacht. Warum?»
«Er wusste doch, dass es deine Marionette ist», sagte John und gestand damit heldenhaft die Wahrheit ein.
«Aber dich mag er am liebsten», sagte Thomas.
Das ließ John die Marionette völlig vergessen. John liebte niemanden so sehr wie Harry, aber es war ihm nie der Gedanke gekommen, dass ein Bruder, der sich von ihm im Alter durch eine so endlose Zeit wie drei Jahre unterschied, ihn Thomas vorziehen könnte. Er sagte: «Nein, w-wirklich?»
«Gar kein Zweifel. Ich war sicher, dass er dir die Marionette gibt.»
«Nein», sagte John, «sie gehört doch dir.»
«Also, wenn ich jemanden am liebsten habe, halte ich zu ihm», erklärte Thomas.
«Harry aber nicht!»
«Sollte er aber.»
«Nicht, wenn es unrecht ist. Harry tut das nicht.»
«Ach was, unrecht!», sagte Thomas. Der Diskussion müde, fügte er leise hinzu: «Da, du kannst die Marionette haben, ich will sie nicht.»
Aber als sie die Puppe suchten, war sie verschwunden, denn Humfrey hatte zu spielen aufgehört, um seinen Brüdern beim Kampf zuzusehen, und die Marionette in der Zwischenzeit weggetragen. Als sie endlich darauf kamen, dass nur er sie haben konnte, war er des Spielzeugs, das ihm viel zu kompliziert war, schon überdrüssig geworden und hatte es in einem Beet Levkojen liegenlassen. Als ihm Thomas befahl, er solle ihm zeigen, wo er die Plassenuppe fallengelassen habe, begann sein Mund zu zittern, und er sagte mit weinerlicher Stimme: «Kate» – eines der wenigen Wörter, die er kannte.
«Wahrscheinlich versteht er uns nicht», bemerkte John.
«Doch», sagte Thomas und schüttelte ihn. «Zeig es mir, Humfrey!»
Ob Humfrey nun verstand, was Thomas wollte, oder nicht, war nicht gewiss. Aber das eine verstand er: dass Thomas auf ihn böse war. Er brach in verzweifeltes Gebrüll aus. Seine Schreie brachten Kate Puncherdown auf den Plan, die mit verrutschter Haube und hochgeschürztem Rock daherrannte. Sie riss Humfrey an sich, nannte ihn ihr Schätzchen, ihre Zimtstange, ihre Honigwabe, und schalt Thomas, dass er ihm wehgetan habe. «Was für ein kleiner Schweinskopf er doch ist», sagte Thomas. «Ich habe ihm doch gar nicht wehgetan.»
Kate wischte Humfreys tränenüberströmte Wangen mit der Hand ab. Er hörte auf zu weinen und kicherte. «Thomas!», stieß er hervor.
Thomas wusste, dass Humfrey aus List und nicht aus Angst geschrien hatte, aber er nahm es ihm nicht übel. Niemand konnte lange auf Humfrey böse sein. «Also gut! Er soll uns zeigen, wo er die Marionette hingetan hat, Kate!»
Nach einiger Überredung zeigte Humfrey auf die Levkojen, aber bevor seine Brüder das Spielzeug noch gefunden hatten, sagte Kate plötzlich: «Horcht doch!»
Sie blieben mit hocherhobenen Köpfen stehen.
«Im Vorhof! Es ist jemand gekommen!», sagte Kate.
Wenn Lord Derby nicht zugegen war, verlief das Leben auf seinen Schlössern so ruhig, dass selbst der Besuch eines so alltäglichen Menschen wie eines Predigers, der Ablässe verkaufte, eines Wanderhändlers, der allerlei Verlockendes für die Mädchen brachte, oder eines Kaufmannes, der einen Pack Waren aus London mitführte, ein bedeutendes Ereignis war. Die Kinder rannten, so rasch sie ihre Beine trugen, auf die kleine Pforte zu. Thomas war der Erste und raste in den Küchenhof. Kate, welche Humfrey wieder auf dem Arm trug und dadurch behindert war, bildete die Nachhut. Ihre Ohren hatten sie nicht getäuscht: Es war irgendwer nach Kenilworth gekommen, und zwar eine bedeutendere Persönlichkeit als ein Wanderhändler oder Prediger. Das Schloss, das noch vor kurzem gemächlich im Sonnenschein gedöst hatte, schwirrte jetzt vor aufgeregter Erwartung. Kate erblickte Thomas, und während sie Humfrey zur Seite rückte, damit er auf ihrer Hüfte sitzen konnte, rief sie ihm zu: «Wer ist es denn, junger Herr?»
«Ein Herold!», schrie Thomas zurück.
«Wessen Herold?», keuchte John.
Thomas war sich dessen nicht sicher. Es war ein wichtiger Teil der Ausbildung jedes jungen Edelmannes, das Schild, die Farben und das Wappen einer vornehmen Familie auf den ersten Blick zu erkennen, doch war dies keine leichte Aufgabe, und schließlich war er noch nicht einmal sechs Jahre alt. Er sagte: «Nun, ich sah ihn ja nur einen Augenblick. Sie haben ihn zu Mutter geführt.»
«Vielleicht hat er einen Brief des Herrn gebracht», verkündete Kate mit der resignierenden Stimme eines Menschen, der an Enttäuschungen gewöhnt ist.
Diese Vermutung taten die jungen Herren als ihrer unwert ab. Für eine derartige Aufgabe würde man zwar auch einen Herold heranziehen, aber es war viel eher wahrscheinlich, dass dieser die Ankunft eines edlen Gastes verkündete. Ein schwindelnder Gedanke packte John, vielleicht weil er durch Thomas' Marionette an Vetter Richard erinnert worden war. «Glaubt ihr, es ist der König?»
Einen Augenblick lang blieb Thomas wie erstarrt stehen. Es war ganz ausgeschlossen, dass aufgeweckte Kinder, die in einem großen Haushalt lebten, nicht aus dem Klatsch des Gesindes wussten, dass Vetter Richard keineswegs von jedermann geschätzt wurde, aber für sie war er eine herrliche Person, die freizügig Gaben verteilte und kleine Vettern auf eine Art und Weise verwöhnte, die ihnen genauso lieb wie ihren Lehrern verhasst war. Man sagte, dass er zu hochfliegende Ideen über seine Stellung hatte, aber wann immer die Kinder in seiner Gesellschaft gewesen waren, hatten sie sich schuldbewusst daran erinnern müssen, dass man zu ihm «Sire» und «Wie es Eurer Majestät gefällt» sagte, ganz wie man es sie gelehrt hatte. Sogar Harry vergaß die Vetter Richard gebührende Ehrerbietung, wenn ihn dieser «mein kleiner Dummkopf» nannte oder mit ihm spielte und vorgab, vor ihm zu zittern, denn – so sagte er – er wäre sicher jener Henry, von dem man schon so lange prophezeite, er werde so groß werden, dass die ganze Welt vom Schein seines Ruhmes erhellt würde. Es war sonderbar, dass ein Mensch, der so voll fröhlicher Späße steckte, so viele Feinde hatte.
Die Kinder hegten die Vermutung, dass selbst Vater von Vetter Richard nicht allzu sehr begeistert war, obwohl er immer voll Ehrerbietung von ihm sprach. Und doch hatte es eine Zeit gegeben, in der Vater zu Feld gezogen war, nicht gerade gegen Vetter Richard selbst, aber gegen den Grafen von Oxford, der des Königs bester Freund war. Er und der Graf von Nottingham hatten sich mit den anderen Lords der Anklage verbündet, mit Gloucester, dem Onkel des Königs, und den Grafen Warwick und Arundel, und eine Armee vor die Tore Londons geführt, wo sie eingelassen worden und bis in den königlichen Palast, den Tower, vorgedrungen waren. Der alte Wilkin, der seit undenklichen Zeiten in den Diensten der Familie stand, sagte, dass ihr Anführer, Großonkel Thomas von Gloucester, den König «besänftigt» hatte, indem er ihm die Armee zeigte, die auf dem Tower Hill zusammengezogen worden war. Die jungen Herren wussten nur zu gut, was solche Spitzfindigkeiten bedeuteten, und keiner von ihnen wollte diese unangenehme Geschichte weiter hören. Es war zwar herrlich, wenn man ihnen erzählte, wie Vater den Grafen von Oxford bei Radcot Bridge vernichtend geschlagen hatte, aber wenn sie dann hörten, dass Großonkel Gloucester dem König gedroht hatte, ihn abzusetzen, gefiel ihnen die Geschichte gar nicht mehr. Keiner von ihnen mochte Gloucester, der ein hochmütiger Mensch war und dem Alter nach Vater viel näher stand als Großvater, dessen Bruder er war und der sich im Allgemeinen mit beiden nicht vertrug. Ein Jahr lang hatte er das Land regiert, aber er war so zügellos gewesen, dass sich die gemäßigteren Männer im Land von ihm abwandten und es kaum jemandem leidtat, als Vetter Richard die Regierungsgewalt wieder übernahm.
Das war einer der Streiche Vetter Richards gewesen, und die Kinder wurden es nie müde, diese Geschichte zu hören. Sie konnten sich Vetter Richard so gut vorstellen, wie er mit seinen Juwelen spielte, vielleicht sogar den Saphir, den er hie und da um den Hals trug, hin und her baumeln ließ und plötzlich seine Ratgeber sprachlos machte, indem er sie fragte, wie alt er sei. Wenn sie dann erwiderten, er sei zweiundzwanzig, dankte er ihnen und sagte, dass er nun seiner Meinung nach alt genug wäre, um selbst zu regieren. Dann nahm er Lord Arundel das Großsiegel fort und gab es dem Bischof von Winchester, und keiner wagte, ihm zu widersprechen.
Das alles war im Jahr von Johns Geburt geschehen, und seither hatte keiner mehr versucht, Vetter Richard die Regierungsgewalt zu entreißen. Das Volk murrte zwar viel unter seiner Herrschaft, doch hatte er keinen der Favoriten zurückgeholt, die er auf Geheiß der Lords der Anklage hatte verbannen müssen, und so war die Hauptursache ihres Grolls gegen ihn verschwunden. Er hatte jetzt neue Favoriten: verachtenswerte Stutzer, wenn man Bel sire Glauben schenkte, aber eine Quelle der Unterhaltung für die jungen Lords. Einige von ihnen trugen Schnabelschuhe, die so lang waren, dass man ihre Spitzen mit Silberketten an den Strumpfbändern befestigen musste; andere wieder kleideten sich in kurze Wämser, deren lange Ärmel am Boden schleiften; wieder andere bevorzugten Kapuzen, die Hahnenkämmen oder Hasenohren glichen; andere hohe, mit Pfauenfedern geschmückte Hüte; und keiner von ihnen wäre auch nur im Traum auf die Idee gekommen, sich einen Mantel mit einem weniger kostbaren Material als Taft füttern zu lassen.
«Hoffentlich ist es wirklich Vetter Richard!», rief Thomas.
«Doch nicht, wenn der Herr nicht zu Hause ist!», sagte Kate.
«Großmutter?», schlug John mit nicht gerade freudiger Miene vor.
Thomas verzog das Gesicht. Großmutter – eine Schwester Lord Arundels und eine Bohun durch ihre Heirat – war eine wirklich große Dame, die noch dazu viel Wert auf gute Manieren und Bildung legte. Wenn sie in Kenilworth zu Besuch war, schlichen die Kinder auf Zehenspitzen umher; und wenn sie sich vergaßen und in eine ihrer üblichen Zänkereien ausbrachen, so genügte der Anblick ihrer hochgewachsenen Gestalt in der Witwenkleidung, dass sie auseinanderfuhren, die zerzausten Gewänder glattstrichen und so auszusehen versuchten, als hätten sie sich nie gezankt.
«Nein, nein», sagte Kate. «Es ist doch erst einen Monat her, dass Lady Hereford von hier abgereist ist.»
Die Stimmung der Kinder hob sich. Großmutter verbrachte viel Zeit bei Mutter, ihrer jüngeren Tochter, wenn Vater fort war, aber sie würde kaum so bald wieder nach Kenilworth zurückkehren, vor allem, da sie doch nach Pleshy hatte reisen wollen, um ihre ältere Tochter, die Gemahlin von Großonkel Gloucester, zu besuchen.
In diesem Augenblick kam Harry dahergeschlendert. Als ihm seine Brüder zuriefen, dass jemand angekommen wäre, sagte er: «Ich weiß. Wer ist es denn?»
«Ein Herold», erwiderte Thomas. «Oder zumindest ein Bote!» Harry sah ihn ein wenig spöttisch an; da wurde er rot und fügte hinzu: «Ich sah ihn doch nur einen Augenblick lang.»
Harry grinste. Kate erblickte den Haushofmeister und lief auf ihn zu, um ihn aufzuhalten. «Es ist doch nicht von Lady Hereford, guter Master Greene? Ist es eine Botschaft von unserem Herrn?»
«Um Himmels willen, Frau, stiehl mir meine Zeit nicht mit Fragen!», antwortete er gereizt. «Wie denn, Lady Hereford! Es ist M. de Guyenne, der mit einer großen Gesellschaft kommt, und zwar schon morgen!»
Seine Worte tönten über den Hof bis zu den Kindern herüber. Harry jubelte auf und warf seine Kappe in die Luft. Thomas begann herumzutanzen. «Bel sire!», kreischten die jungen Herren.
Selbst ein Besuch Vetter Richards wäre ihnen nicht als ein solch wichtiges Ereignis erschienen. Vetter Richard war zwar der König, aber er konnte sein Königreich nicht ohne die Unterstützung Bel sires regieren. Er hatte einmal gedacht, er könne es, und war froh gewesen, als Bel sire gegen Spanien gesegelt war, um dort zu kämpfen, denn er war auf Bel sire eifersüchtig und verdächtigte ihn bei jeder nur möglichen Gelegenheit der Verschwörung, um an die Macht zu gelangen, obwohl der Grund seines Misstrauens unklar war. Vielleicht war es deshalb, weil seine Favoriten immer und ewig Gift in seine Seele träufelten; und vielleicht auch, weil er in der Tiefe seines Herzens wusste, dass er von Bel sire nichts zu befürchten hatte; denn obwohl er mehrere Male in einen seiner Wutanfälle verfallen war, bloß weil irgendein Unheilstifter angedeutet hatte, dass Großvater Verrat plane, so hatten diese Anfälle doch nie lange gedauert; und als er sich von den Lords der Anklage bedrängt sah, hatte er keine Minute gezögert, Bel sire aus Spanien zurückzurufen. Seither hatte Bel sire immer in seiner Gunst gestanden; der König trug sogar Bel sires Insignienkette und hatte ihn auf Lebenszeit zum Herzog von Aquitanien gemacht.
Es gab viele, die glaubten, dass es diese Auszeichnungen waren, welche den Grund zur Feindschaft zwischen Bel sire und Lord Arundel bildeten, aber der alte Wilkin wusste es besser. «Nein, nein», sagte er. «M. d'Espagne konnte dem Grafen den Tod seines Freundes, Sir Simon Burleigh, nicht vergeben: Das war's, wodurch der Streit begann. Ja, ja, ich kann euch Dinge erzählen! Denn als die Lords gegen den Grafen von Oxford und die anderen Prahlhanse um den König zu Feld zogen, da war es ohne Zweifel Lord Arundel, der mit allen anderen auch Sir Simons Kopf verlangte.»
Viele unter den Dienern Bel sires nannten ihn immer noch M. d'Espagne, so dass die jungen Herren recht gut wussten, wen Wilkin meinte, und ihn nur verbesserten und «M. de Guyenne» sagten; dies störte ihn jedoch nicht, denn er war zu alt, um mit diesen neumodischen Titeln zurechtzukommen. Er war vor langen, langen Zeiten Großvater zuerst nach Spanien gefolgt, zusammen mit Großonkel Edward, dem Schwarzen Prinzen – Vetter Richards Vater –, der schon vor so langer Zeit gestorben war, dass er den jungen Lords nicht wirklicher erschien als Herr Theseus von Athen. Es war sinnlos, Wilkin daran zu erinnern, dass Bel sire seinen Anspruch auf Spanien zugunsten seiner Tochter, ihrer Tante Katherina, aufgegeben hatte, als er sie mit dem Sohn des Königs von Kastilien verheiratet hatte, denn das Einzige, was Wilkin von der Königin von Kastilien zu berichten wusste, war, dass er sich an sie erinnerte, als sie noch ein spuckender Säugling gewesen war.
«Ja, es war Lord Arundel, der Sir Simons Kopf wollte, glaubt mir nur», sagte Wilkin. «Lord Derby, euer edler Vater, hätte ihn geschont, und die gute Königin lag drei Stunden auf den Knien und bat, man möge ihn nicht enthaupten. Doch Lord Arundel sagte zu ihr: ‹Ma mie, achte lieber auf dich und deinen Gemahl, das wäre klüger!› Ja, er ist ein hochmütiger Mann.»
Die jungen Lords nickten. Sie wussten, Lord Arundel war in jüngster Zeit so hochmütig geworden, dass er es sogar gewagt hatte, die Schwester des Grafen von March ohne Erlaubnis zu heiraten. Für diese Anmaßung hatte er eine hohe Strafe zahlen müssen, und sein Betragen hatte niemanden mehr entrüstet als Bel sire. Um die Dinge noch schlimmer zu machen, hatte sich die neue Gräfin Arundel unhöflich gegenüber Dame Katherine Swynford, der Mätresse Bel sires, betragen, und das war ein Affront, den Bel sire kaum vergessen würde. Die Gräfin war zwar von königlichem Geblüt, aber das waren andere Damen auch, wie Mutter zu Harry gesagt hatte, als er sich vorsichtig nach diesen Dingen erkundigte, vor allem die Tanten Philippa und Elisabeth, deren Gouvernante Dame Katherine gewesen war; diese hatten es nie an nötigem Respekt ihr gegenüber mangeln lassen.
Zur Krönung des Ganzen hatte es vor ein oder zwei Monaten in Cheshire einen Aufstand gegeben, und Vetter Richard hatte Bel sire ausgesandt, diesen niederzuwerfen; Bel sire machte kein Hehl aus seiner Überzeugung, Lord Arundel habe hinter diesem Aufstand gesteckt.
«Die Fitzalans sollten sich vorsehen!», sagte Wilkin. «M. d'Espagne wird sie gewiss noch Mores lehren.»
Die jungen Lords glaubten, dass es schlecht um Arundel bestellt sein müsse, wenn Wilkin recht hatte, denn einen Mächtigeren als Bel sire konnten sie sich einfach nicht vorstellen. Die Kette seiner Schlösser erstreckte sich durch das ganze Land, vom weit entfernten Kidwelly in der Waliser Mark bis hinauf nach Dunstanburgh, so weit im Norden, dass es fast schon in Schottland lag. Selbst Bel sire konnte die Namen nicht alle aufzählen, und die Kinder, die von seinen Gefolgsleuten, welche die Schlösser besser als er selbst kannten, unterrichtet waren, konnten nie mehr als ein bloßes Dutzend im Kopf behalten. Da gab es Grosmont; Kenilworth, das sie als ihr Eigentum betrachteten; Hertford, den Lieblingssitz Bel sires; Leicester; Bolingbroke, wo Vater geboren worden war; Tutbury; High Peak; Chester; Halton; Liverpool; Clitheroe; Pontefract; Knaresborough; alle diese und viele mehr waren von den Männern in den Farben der Lancaster besetzt; nicht zu reden von den vielen Gutshöfen, Gerechtsamen und Pfründen, die über ganz England verstreut waren.
Bevor er seinen Anspruch auf den spanischen Thron aufgegeben hatte, nannten ihn die Leute M. d'Espagne; jetzt, wo er Herzog von Aquitanien war, nannten sie ihn M. de Guyenne, aber wenn sein Herold feierlich seine Kommen ankündigte, dann nannte er ihn John, von Gottes Gnaden, Herzog von Lancaster, Herzog von Aquitanien, Graf von Lincoln und Leicester, Baron von Hinckley, Lord von Beaufort und Nogent, von Bergerac und Roche-sur-Tonne, Großhofmeister von England und Konnetabel von Chester.
Und manche gaben ihm vertraulich den Namen seiner Geburtsstadt Gent und nannten ihn, nach ihrer englischen Version, John von Gaunt.
Als Einzige in dem ganzen großen Haushalt blieb Mutter bei der Nachricht von Bel sires Kommen ungerührt: Alle anderen, vom Haushofmeister bis zum unbedeutendsten Küchenjungen, gerieten in einen Zustand derartiger Aufregung, dass man hätte vermuten können, der Besuch wäre so unwillkommen, wie er unerwartet war. Das stimmte natürlich nicht. Der Haushofmeister mochte über den Zustand des Festsaales die Hände ringen; der erste Koch dem Küchenmeister bedeuten, kein Sterblicher könne in einem einzigen Tag die passenden Köstlichkeiten für den Herrschaftstisch ersinnen und herstellen; der Mundschenk bei seinem Leben schwören, dass es sein Verderben wäre, würde der Herzog nach einem Becher Muskateller verlangen; und der Zeremonienmeister fragen, wo er denn die Damen unterbringen solle, die den Herzog, was nur allzu wahrscheinlich war, wieder begleiten würden; aber keiner, der diese Personen wirklich kannte, zweifelte daran, dass sie die Aussicht auf ein paar Tage voll von Plänemachen und Plackerei begeisterte.
Das Einzige, was der Gräfin Sorge bereitete, war das Benehmen ihrer Söhne. Sie versammelte die drei ältesten um sich und erinnerte sie an die Dinge, die sie tun und die sie nicht tun durften. Zwar war M. de Guyenne ein stolzer Herr, doch seinen Enkeln zeigte er eine andere Seite, und man konnte sicher sein, dass er sie dazu ermuntern würde, sich allerlei Freiheiten gegen ihn herauszunehmen. Aber wie viele andere allzu nachgiebige Großeltern würde er dann die Eltern für das unverschämte Benehmen, das er selbst herausgefordert hatte, verantwortlich machen. Daher erinnerte die Gräfin ihre Söhne, dass sie nur sprechen dürften, wenn sie angesprochen würden, still stehen müssten und nicht hierhin und dahin blicken sollten, sich vor dem Großvater verbeugen und nicht vergessen sollten, ihn Bel sire zu nennen. M. de Guyenne gehörte der Generation an, die am ungebräuchlich werdenden normannischen Französisch festhielt, und das würde ihm sicher Freude bereiten.
«Und bei Tisch», fuhr die Gräfin fort, «passt ja darauf auf, dass ihr die Knochen in den Knochenteller legt und auch den Mund abwischt, bevor ihr trinkt! Lasst eure Löffel nicht in der Schüssel liegen, taucht das Fleisch nicht ins Salz und lümmelt nicht!»
«Dürfen wir auch im Festsaal essen, Madam?», fragte Thomas hoffnungsvoll.
«Ja, du und Harry», antwortete die Gräfin.
John schnürte es die Kehle zu. Er sagte nichts und starrte mit ausdruckslosem Gesicht vor sich hin.
«Und John, Madam?», sagte Harry.
Der Kloß in Johns Kehle wuchs zu unangenehmer Größe an. Es gab in diesem Augenblick nichts, was John nicht für Harry getan hätte, aber er sah ihn nicht an; stattdessen wandte er sich seiner Mutter zu.
Sie zögerte und überlegte dann, dass ihre Hofdame Mary Hervey mit Thomas und John an einem Tisch sitzen und die beiden im Zaum halten könnte. Sie nickte. «Ja, wenn er sich gut benimmt.»
«Das verspreche ich», sagte John.
«Und Harry darf nicht vom Schweinskopf essen und auch nicht vom Braten», fuhr die Gräfin fort und dachte an den Unglückstag, an dem man einen Boten eilenden Fußes nach London gesandt hatte, um Master John Malvern, einen Arzt, an Harrys Krankenbett zu rufen.
Harry errötete und sagte rasch: «Nein, Madam, gewiss nicht!»
«Aber ich darf alles essen, denn ich werde nie krank!», prahlte Thomas.
«Madam, Madam, Doucet zerzaust Ihre Wolle!», unterbrach John.
Die drei Knaben sprangen zu dem kleinen Spaniel hin, der zu Füßen der Gräfin spielte. Er rannte davon, den Wollknäuel zwischen den Zähnen, und die Kinder jagten hinterdrein. Der Papagei in seinem Käfig begann zu kreischen, und in der folgenden Verwirrung vergaß man Harrys empfindlichen Magen. Er sagte nichts weiter zu John, aber später am selben Tag, als sie erfuhren, dass Bel sires Reiter bereits im Schloss angekommen waren – mit zwei Hundeführern, die für die Windhunde verantwortlich waren, einem Bluthundeführer, etlichen Pferdeknechten und Hundepflegern –, erlaubte er John, ihn und Thomas zu diesen interessanten Hofbeamten zu begleiten. Sie waren beim Parkaufseher untergebracht, nahe dem Wildgehege, aber schließlich gab es mehr Wege aus dem Schloss als den durch das große Tor am Ende des Dammes. An der Südseite des äußeren Hofes befand sich eine kleine Seitenpforte, die auf den Abhang über dem Sumpf hinausführte: Und es verstand sich von selbst, dass die Lords Harry und Thomas genau wussten, wo man den Schlüssel zu dieser Pforte fand.
Als man in der Kinderstube bemerkte, dass die jungen Herren fehlten, herrschte allgemeine Bestürzung. Die Kinderfrauen rannten im ganzen Schloss wie aufgescheuchte Hennen umher. Es war für den Seelenfrieden der Gräfin sicher besser, dass ihr niemand von dem Verschwinden ihrer Söhne zu berichten wagte. Es war dann Johanna Waring, die den guten Einfall hatte, zum Lehrer der jungen Herren zu laufen. Pater Joseph war ein Mann von fröhlichem Gemüt, mit viel gesundem Menschenverstand, und es kam ihm keinen Augenblick der Gedanke, dass die jungen Lords ertrunken oder von Räubern entführt worden seien. Er befahl den Kinderfrauen, den Mund zu halten, und ging selbst hinaus, um die Ausreißer zurückzubringen. Sie waren natürlich im Hundezwinger, unter allen Hunden, und ihre Kleider waren bis zur Unkenntlichkeit beschmutzt. Pater Joseph saß zwar ein Lächeln in den Augenwinkeln, aber er wies mit drohender Gebärde auf das Schloss hin. Die Lords wanderten demütig den steilen Hang zur kleinen Pforte empor, hinter ihnen Pater Joseph, dessen langes Gewand die Brennnesseln am Wegrand knickte. Er verabreichte allen eine ordentliche Tracht Prügel, und einige Stunden lang lebten sie in der schrecklichen Angst, er könne ihre Schandtaten der Gräfin berichten. Es schien sehr wahrscheinlich, dass keiner von ihnen im Festsaal werde essen dürfen, solange Bel sire in Kenilworth weilte. Nur Harry war der festen Überzeugung, dass Pater Joseph kein Klatschmaul war, und er hatte recht: Der Pater schwieg. Als am nächsten Tag gemeldet wurde, dass Bel sires Gefolge vor den Toren harre, stand die Gräfin im Innenhof zu seinem Empfang bereit, umgeben von ihren drei ältesten Söhnen, die sich auf rührende Art um sie scharten. Sie trugen alle ihr bestes Gewand aus scharlachroter Seide mit dem Silbergürtel, an dem Vaters Vergissmeinnicht-Wappen in Gold prangte; sie rochen nach Rosenwasser, mit dem man sie vorher abgeschrubbt hatte, und sahen fromm wie Heilige aus.
Es war M. de Guyenne gar nicht in den Sinn gekommen, dass seine Schwiegertochter vielleicht gern gewusst hätte, wie viele Personen von welchem Rang er mit sich zu Besuch auf ihr abgeschiedenes Schloss bringen würde, und so waren die jungen Lords nicht die einzigen Mitglieder des Haushalts, welche den Zug, der in den Hof sprengte, mit Spannung und Neugier betrachteten. Da kam eine von Pferden getragene Sänfte: Das konnte nur bedeuten, dass die Herzogin mit ihrem Gemahl gekommen war, aber nach Ansicht der Damen der Gräfin saß eher Dame Katherine, die Mätresse des Herzogs, darin. Die Herzogin – sie war nicht die Großmutter der Kinder, sondern die zweite Frau des Herzogs, eine kastilische Prinzessin – begleitete ihren Gemahl nur sehr selten auf seinen Ausflügen. Sie verbrachte die meiste Zeit in Leicester und war sehr fromm: ganz anders als ihre jüngere Schwester, die mit dem Herzog von York vermählt war und von der man eine Reihe munterer Geschichten zu erzählen wusste. Es überraschte keinen, dass M. de Guyenne seiner Gemahlin nicht treu geblieben war, denn er liebte witzige, hübsche Frauen, und die Herzogin, die arme Seele, war so langweilig, wie sie hässlich war. Seine erste Frau, die Erbin von Lancaster, war eine der schönsten Frauen am Hof gewesen: Man sagte, dass Lord Harry ihr ähnlich sah.
Neben M. de Guyenne ritt in einem der seltsamen Damensättel, die König Richards gute böhmische Königin in England eingeführt hatte, eine wunderschöne Frau, bei deren Anblick sich die Laune der Gräfin zusehends verschlechterte. Es lag ihr fern, schlecht über die Schwester des eigenen Gemahls zu sprechen, aber man kam einfach nicht über den Gedanken hinweg, dass Bess, wäre sie nicht M. de Guyennes Tochter gewesen, sich vor sieben Jahren in einem Kloster hätte verbergen müssen, anstatt den Stiefbruder des Königs zu heiraten und in einem hermelingefütterten Mantel durchs Land zu reiten und eine Haube von so unmöglicher Größe zu tragen, dass ihre Kapuze sie nicht bedecken konnte, sondern lose über den Rücken herabhing. Sie war dem Grafen Pembroke versprochen gewesen und hatte ihn mit Sir John Holland, dem Stiefbruder des Königs, betrogen. Von ihm war sie schwanger geworden, und M. de Guyenne hatte seine Abreise nach Spanien verschieben müssen, um die Dinge ins Lot zu bringen. Er war so geschickt vorgegangen, dass zwar jeder wusste, sie habe sich vom Grafen Pembroke getrennt, nur wenige jedoch den wahren Grund dieser traurigen Geschichte kannten. Das Kind war gestorben: Und die Hochzeit mit Sir John wurde mit so großem Prunk gefeiert, dass man hätte meinen können, es ginge um einen in allen Ehren abgehandelten Kontrakt und nicht um die in aller Eile eingegangene Verbindung, die es in Wirklichkeit war. König Richard hatte seinen Stiefbruder zum Grafen von Huntingdon gemacht, und so schien sich das Wort zu bewahrheiten, dass das Böse immer siegt.
Ohne Zweifel war der Graf von Huntingdon ein böser Mensch. Abgesehen davon, dass er ein Ehebrecher war, stand mindestens noch ein Mord auf seinem Konto, wahrscheinlich sogar zwei; und niemand zweifelte daran, dass der verzweifelte Versuch seiner Mutter, der verwitweten Prinzessin von Wales, König Richard dazu zu bewegen, ihm den Tod des jungen Stafford zu vergeben, sie schließlich das Leben gekostet hatte. Um die Sache noch ärger zu machen, behauptete er, mit Lady Derby verwandt zu sein, da einer seiner älteren Brüder eine ihrer Tanten aus dem Haus Fitzalan geheiratet hatte. Dieser Herr, der Graf von Kent, wurde allgemein als ebenso unangenehmer Patron wie Huntingdon angesehen, obwohl er, soweit bekannt, wenigstens kein Mörder war. Eine schlechte Familie von Emporkömmlingen, diese Hollands: Die Gräfin hoffte nur, dass Bess ihren Gemahl nicht nach Kenilworth mitgebracht hatte.
Sie wäre sehr erstaunt gewesen, hätte sie gewusst, dass ihre Söhne den Zug genauso forschend wie sie nach einem Anzeichen von Huntingdon absuchten; und es hätte sie schockiert, hätte sie gewusst, dass ihn die Jungen als Ungeheuer betrachteten, das man mit einer angenehmen Mischung von Schrecken und Freude sah. Sie wussten so wie sie, dass er sein Schwert Sir Hugh Stafford ins Herz gestoßen hatte und davongeritten war, als sein Name noch im Todesschrei durch die Nacht zitterte, denn das hatten sie alles von Wilkin erfahren.
«Ja, ja», sagte der alte Wilkin, «das war's, was die Prinzessin von Wales umgebracht hat, tot wie ein Stein ist sie umgefallen, denn sie war sehr dick, müsst ihr wissen, und das ganze Herumgerenne, damit sie Sir John vorm Köpfen retten konnte, das hat sie umgebracht, die arme Seele! Ich erinnere mich ja noch daran, wie man sie die schöne Jungfrau von Kent genannt hat, so lieblich war sie, und mit zwei Händen konnte man sie um die Mitte fassen! Aber das ist eben der Lauf der Welt! Für ihr Totenkleid haben sie drei Ellen Tuch gebraucht! Ja, ja, Gott hab sie selig! Jetzt liegt sie im Grab, und aus lauter Gram hat König Richard Sir John das Leben geschenkt – und das ist schade, denn, glaubt mir, der wird noch viel mehr Unheil anstiften.»
Die jungen Lords waren sich nicht ganz einig, ob sie froh oder traurig sein sollten, dass der Graf Tante Bess nicht nach Kenilworth begleitet hatte. Die Ankunft ihrer Tante ließ sie kalt, und sie reckten sich die Hälse aus, um zu sehen, wer noch mit Bel sire gekommen war. Unmittelbar hinter ihm ritt ein dicklicher junger Mann, der den Eindruck schläfriger Gutmütigkeit machte: Vetter Edward von Rutland, der ältere Sohn Großonkel Yorks. Brachte man ihn einmal zum Sprechen, dann wusste er aufregende Jagdgeschichten zu erzählen, denn er war ein großer Jäger und wusste schon jetzt mehr von Hirschen, Hunden und Pferden als viele, die doppelt so alt wie er waren. Neben ihm ritt Onkel John Beaufort, der von einem Geheimnis umgeben war, das die jungen Lords noch nicht enträtselt hatten. Es gab drei Onkel Beaufort und auch Tante Joan Beaufort, welche vor kurzem Lord Ferrers von Wem geheiratet hatte, aber warum sie Beaufort und nicht Lancaster hießen, war ein Problem, das noch keiner den jungen Lords zu ihrer Zufriedenheit erklärt hatte. Johanna Waring sagte, das käme daher, weil sie in Beaufort geboren worden waren, und dass neugierige Kinder ohne Essen zu Bett gehen müssten; Agnes Rokster sagte, es wäre deshalb, weil Dame Katherine ihre Mutter wäre, aber diese Antwort war genauso unbefriedigend wie die Johannas, denn der Sohn Dame Katherines war Thomas Swynford, wie jeder wusste. Er gehörte zum Gefolge von Bel sire, war aber sicher nicht sein Sohn, im Gegensatz zu den Beauforts.
Von den drei Beauforts mochten die Kinder Henry am liebsten. Obwohl er kein Ritter war, sondern ein Oblate, war es in seiner Gesellschaft lustiger als in der Sir Johns. Sir John war ein enttäuschender Onkel. Er sah sehr gut aus und war auf Turnieren ein so guter Kämpfer, dass er schon im Alter von fünfzehn Jahren der einzig ernstzunehmende Gegner von Vater und Sir Harry Percy bei den großen Turnieren in St. Ingelvert gewesen war. Er war auch schon auf einem Kreuzzug im Land der Heiden gewesen und hatte bei der Eroberung von Tunis mitgekämpft, aber er war schweigsam und konnte nie dazu überredet werden, seine Abenteuer zu erzählen. In seiner Gegenwart wurden die Kinder scheu; sie fürchteten sich vor seinem ernsten Lächeln mehr als vor den derben Späßen seines jüngsten Bruders Thomas.
M. de Guyenne stieg vom Pferd, hob seine Schwiegertochter aus ihrem tiefen Knicks und umarmte sie. Er war der Gräfin zugetan: Sie war hübsch und gesittet, hatte ihrem Gemahl vier Söhne geboren und war zusammen mit ihrer Schwester Gloucester die Erbin der Besitzungen des großen Hauses Bohun. Es bedeutete immerhin etwas, die Tochter des Grafen Hereford geheiratet zu haben. Henry Bolingbroke war zwar ein Vetter des Königs im ersten Grad, aber er dünkte sich nicht zu vornehm, den Schwan der Bohuns seinen Wappenzeichen hinzuzufügen. Ja, er lehrte seine Kinder sogar, auf diesen Schwan genauso stolz zu sein wie auf seine eigene Antilope oder die einzelne Pfauenfeder des Hauses Lancaster.
«Ah, so sehe ich dich also froh und zufrieden vor mir, ma mie!», sagte der Herzog, der Mutter ein wenig von sich weghielt und forschend betrachtete. «Du wirst deinen Gemahl nun nicht mehr lange entbehren müssen, glaube mir.» Er lachte, als er sah, wie sie errötete, und setzte hinzu: «Ja, ich habe Briefe von meinem Sohn erhalten, ich werde sie dir sogleich zeigen.»
«Er ist in Venedig», verriet Lady Huntingdon, die ihr Vetter Rutland vom Zelter gehoben hatte. Sie bot ihrer Schwägerin die Wange zum Kuss und sagte: «Hoffentlich vergisst er nicht, dort Goldborten zu kaufen, aber wahrscheinlich ist das vergebliche Hoffnung; die Männer denken ja nie an etwas! Edward, warum hilfst du Dame Katherine nicht aus der stickigen Sänfte, sondern hältst hier Maulaffen feil? Habe ich eine Sommersprosse auf der Nase, dass du mich so anstarrst?»
Rutland versicherte ihr, dies sei wirklich nicht der Fall, und ging, um ihren Anordnungen zu folgen. Die Tatsache, dass er hoch in der Gunst des Königs stand, hatte ihn dazu verführt, alle modischen Extravaganzen mitzumachen, aber niemand konnte behaupten, dass sein zu kurzes Wams mit den hochgepolsterten Schultern und den langen Ärmeln, die bis zu den Knöcheln herunterhingen, seiner stämmigen Figur schmeichelten. Bess Holland kicherte und tauschte einen spöttischen Blick mit Lady Derby.
M. de Guyenne hatte sich seinen Enkeln zugewandt. Die drei Jungen verbeugten sich so tief, dass sie mit der Nase fast die Knie berührten, und Kate Puncherdown, welche Humfrey auf dem Arm hielt, versank in einen tiefen Knicks. «Ihr seid ja gewachsen, meine Herren!», sagte M. de Guyenne, der dies sichtlich als eine lobenswerte Eigenschaft wertete. «Was habt ihr denn gelernt, seit ich euch das letzte Mal gesehen habe? Seid ihr schon richtige Gelehrte? Spielt Harry ein neues Lied auf seiner Laute?»
Harry war wie seine Mutter musikalisch. Er sagte: «Nicht auf der Laute, auf der Harfe, Sir!»
«Und ich kann mein Pony reiten, Bel sire!», rief Thomas, der alle Gebote seiner Mutter vergaß.
«Thomas, nicht so vorlaut!», sagte Mutter.
Aber Bel sire war gut gelaunt und lachte nur und sagte, dass er alle ihre Künste sehen müsse, bevor er wieder fortritte. Danach ging die edle Gesellschaft in den Großen Saal; die Damen der Gräfin baten die Damen im Gefolge von Dame Katherine und Lady Huntingdon, ihnen in die Frauengemächer zu folgen; der Haushofmeister und der Schaffer kümmerten sich um die Herren des herzoglichen Gefolges; die Pferde wurden in den Stalltrakt geführt, Truhen und Kisten in verschiedene Teile des Schlosses getragen: In dem Augenblick aber, in dem die Kinderfrauen die Kinder aus dem allgemeinen Gedränge fortholen wollten, erblickten diese einen älteren, dicklichen Mann in einfachem Gewand, der sie mit einem Lächeln beobachtete. Sie ließen sich nicht zurückhalten, rissen sich los und stürzten schreiend über den Hof: «Master Chaucer! Master Chaucer!»
Nur Vater wäre ihnen noch lieber gewesen, aber nicht einmal er konnte solche Geschichten erzählen und sie schon gar nicht in richtigen Büchern veröffentlichen. Bel sire, der diese Bücher besaß, hatte ihnen versprochen, dass sie sie eines Tages lesen dürften, ein Versprechen, welches sie mit mehr Höflichkeit als Begeisterung aufnahmen. Keiner von ihnen brannte darauf, sich mit Geschriebenem zu plagen, wenn sie die Geschichten von Master Chaucers eigenen Lippen hören konnten. Manchmal erzählte er so, wie es die Kinderfrauen auch taten, nur besser; und manchmal schwangen sich seine Worte, mit ausdrucksvoller Stimme vorgetragen, zur Dichtung auf, zu Versen, welche den jungen Lords in den Ohren klangen, auch wenn sie sie nicht immer verstanden.
Master Chaucer gehörte nicht zum Haushalt Bel sires, aber dieser war sein Gönner, und irgendwann einmal war seine Frau im Gefolge der spanischen Großmutter gewesen. Seine Frau hatte er offenbar nicht sehr gern gehabt, aber er verstand sich gut mit Dame Katherine, die ihre Schwester war. Seine Börse war immer leer, und doch hatte er zu seiner Zeit mehrere gute Ämter innegehabt. Bel sire, der ihm eine der Pfründen gewährt hatte, welche er dann in Notzeiten verkaufte, behauptete, dass er verschwenderisch wäre, aber er sagte das nachsichtig, denn Master Chaucer hatte Großvaters erste Frau für ganz unvergleichlich gehalten und ein langes Gedicht über ihren Tod und über Großvaters Trauer geschrieben. Es gab darin einige gute Stellen über die Jagd, aber ein viel zu langer Teil befasste sich ausschließlich mit der Klage eines Mannes in Schwarz – augenscheinlich Bel sire –, der den Tod von Großmutter Blanche von Lancaster beweinte. Es klang so gar nicht nach Bel sire, und die Kinder mochten es nicht. Master Chaucer verstand ihre Gefühle sehr gut, und er zwang ihnen das Gedicht auch niemals auf, nur wenn Bel sire es ihm befahl: Dann gehorchte er natürlich, aber mit einem solchen Augenzwinkern, dass die jungen Herren ihm vergaben.
Die Kinderfrauen sahen, dass sie keine Aussicht hatten, ihre Schützlinge Master Chaucer ohne Zank zu entreißen, und obwohl sie wussten, dass der Dichter bloß ein Schreiberling und – wenn die Berichte stimmten – auch einmal in eine Betrugsaffäre verwickelt gewesen war, hatten sie doch keine Bedenken, ihm die Kinder eine Stunde lang anzuvertrauen. Diese schleppten ihn davon, um ihm alle Wunder des Festsaals zu zeigen, und dort fand sie auch Bel sire, der gekommen war, um die Arbeit der Steinmetze zu begutachten. «Ah, wie ich sehe, habt ihr einen Freund gefunden! Nun, Master Chaucer? Seht Ihr etwas von meiner Gemahlin in diesem Burschen?»
Er ließ die Hand auf Harrys Kopf fallen, und Master Chaucer schlug seine Kapuze zurück und sagte: «Oh doch, Monseigneur.» Und fügte mit weicher Stimme hinzu: «Welch ruhige Miene, edle Haltung und Betragen!»
«Nun ja, wir werden ja sehen», sagte Bel sire. «Was habt Ihr doch geschrieben! ‹Gesund, frisch und rosenwangig.›»
Die jungen Lords fanden sich mit der traurigen Tatsache ab. Bel sire war drauf und dran, die Zeilen zu zitieren, die Großmutters goldenes Haar beschrieben. Dann und wann würde er stocken und Master Chaucer zu Hilfe rufen; und dann konnten sie von Glück reden, wenn sie dem gesamten Gedicht entkamen.
M. de Guyenne speiste im Großen Saal, wo ihm nur seine Verwandten und die wichtigsten Mitglieder seines Haushalts Gesellschaft leisteten. Als die Bratäpfel, das Marzipan und der Käse auf den Tisch kamen, zogen sich die Damen zurück. Bess, die während des ganzen Mahls mit Rutland Blicke getauscht hatte, wurde seiner müde, zog sich in ihr Schlafzimmer zurück und bedauerte die Laune, die sie veranlasst hatte, ihren Vater auf seiner Reise zu begleiten.
Dame Katherine blieb allein mit ihrer Gastgeberin im Frauengemach zurück, wo sie Zuckerwerk aus einer Silberschale naschten. Sie wusste der Gräfin gute Ratschläge über die Heilung von Kinderkrankheiten zu geben, denn bevor sie der Herzog zu seiner Mätresse gemacht hatte, war ihr die Erziehung seiner Töchter aus erster Ehe anvertraut gewesen; aber ihre Intuition sagte ihr, dass die Gräfin nicht von ihren Kindern sprechen wollte, und es erstaunte sie nicht, als Mary von Derby ihre Damen entließ. Sie sagte: «Jetzt sind wir ganz unter uns. Ihr werdet froh sein, Madame, wenn Euer Gemahl wieder zu Hause ist.»
«Ja», sagte Mary. Sie stockte und fuhr dann fast unhörbar fort: «Oh ja! Wenn ich nur nicht solche Angst hätte!»
Das überraschte Dame Katherine wirklich, denn obwohl Lord Derbys Werben kurz gewesen war, hatte sie angenommen, Mary habe sich Hals über Kopf in ihn verliebt. «Angst?», wiederholte sie.
«Vor dem König!», sagte Mary und blickte sie fest an.
«Aber, aber», sagte Dame Katherine. «Der König ist Eurem Gemahl wohlgesinnt!»
«Nein», sagte Mary. «Er liebt ihn nicht.»
«Nun ja», sagte Dame Katherine. «Wahrscheinlich ist er eifersüchtig auf ihn, denn sie sind ja gleich alt, und Euer Gemahl wird so sehr verehrt, dass es kein Wunder ist, wenn der König von Neid erfüllt wird.»
«Der König wird meinem Herrn Radcot Bridge nie vergeben», sagte Mary.
«Ach nein, das ist ja Unsinn! Man sagt, der König habe Oxfords Namen nie wieder in den Mund genommen, seit dieser zu ihm stürzte und behauptete, man habe ihn verraten und seine Armee wäre zerstreut. Du lieber Himmel, was für ein elender Mensch war doch dieser Oxford, das hat man dann gesehen. Nein, nein, ich bin sicher, der König verschwendet nicht einen Gedanken an ihn.»
«Aber mein Herr hat sich den Lords der Anklage angeschlossen, und das vergisst der König nicht. Die Lords Arundel und Gloucester und Warwick sind in Ungnade, und manchmal, Madam, kann ich nicht anders als daran denken – und mich fürchten.»