Die Melodie des Glücks - Barbara Noack - E-Book
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Die Melodie des Glücks E-Book

Barbara Noack

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Beschreibung

Was sich neckt, das liebt sich: Der gefühlvolle Roman »Die Melodie des Glücks« von Bestseller-Autorin Barbara Noack jetzt als eBook bei dotbooks. Kaum ist die junge Eve Witwe geworden, steht sie vor einer schier unlösbaren Aufgabe: Von nun an soll sie den maroden Verlag ihres Mannes leiten. Doch wo keine Autoren – da keine Bücher. Eve setzt alles daran, den angeschlagenen Betrieb auf Vordermann zu bringen und stößt dabei auf den Debütautor Raoul Tambour. Er stellt das genaue Gegenteil zur vernünftigen Eve dar: Er ist unzuverlässig und arrogant – doch dabei ungemein charmant … Eve verliebt sich Hals über Kopf – aber kann man ein Scheusal wie Raoul wirklich lieben? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der bewegende Roman »Die Melodie des Glücks« – ehemals unter dem Titel »Geliebtes Scheusal« erfolgreich – von Bestseller-Autorin Barbara Noack. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 291

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Über dieses Buch:

Kaum ist die junge Eve Witwe geworden, steht sie vor einer schier unlösbaren Aufgabe: Von nun an soll sie den maroden Verlag ihres Mannes leiten. Doch wo keine Autoren – da keine Bücher. Eve setzt alles daran, den angeschlagenen Betrieb auf Vordermann zu bringen und stößt dabei auf den Debütautor Raoul Tambour. Er stellt das genaue Gegenteil zur vernünftigen Eve dar: Er ist unzuverlässig und arrogant – doch dabei ungemein charmant … Eve verliebt sich Hals über Kopf – aber kann man ein Scheusal wie Raoul wirklich lieben?

Über die Autorin:

Barbara Noack, geboren 1924, hat mit ihren fröhlichen und humorvollen Bestsellern deutsche Unterhaltungsgeschichte geschrieben. In einer Zeit, in der die Männer meist die Alleinverdiener waren, beschritt sie bereits ihren eigenen Weg als berufstätige und alleinerziehende Mutter. Diese Erfahrungen wie auch die Erlebnisse mit ihrem Sohn und dessen Freunden inspirierten sie zu vieler ihrer Geschichten. Ihr erster Roman »Die Zürcher Verlobung« wurde zweimal verfilmt und besitzt noch heute Kultstatus. Auch die TV-Serien »Der Bastian« und »Drei sind einer zu viel«, deren Drehbücher die Autorin verfasste, brachen in Deutschland alle Rekorde und verhalfen Horst Janson und Jutta Speidel zu großer Popularität.

Barbara Noack veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Romane »Die Zürcher Verlobung«, »Der Bastian«, »Danziger Liebesgeschichte«, »Drei sind einer zuviel«, »Brombeerzeit«, »Das Leuchten heller Sommernächte«, »So muss es wohl im Paradies gewesen sein«, »Jennys Geschichte«, »Der Duft von Sommer und Oliven«, »Der Zwillingsbruder«, »Das kommt davon, wenn man verreist«, »Auf einmal sind sie keine Kinder mehr«, »Was halten Sie vom Mondschein?«, »Valentine heißt man nicht«, »Der Traum eines Sommers« und »Eine Handvoll Glück« sowie »Ein Stück vom Leben«, die auch im Doppelband »Schwestern der Hoffnung« erhältlich sind. Auch bei dotbooks erschienen ihre Erzählbände »Flöhe hüten ist leichter«, »Eines Knaben Phantasie hat meistens schwarze Knie« und »Ferien sind schöner« sowie der Sammelband »Valentine heißt man nicht & Der Duft von Sommer und Oliven«.

***

Aktualisierte eBook-Neuausgabe Januar 2019

Dieses Buch erschien bereits 1989 bei Ullstein und 2016 bei dotbooks unter dem Titel »Geliebtes Scheusal«.

Copyright © der Originalausgabe 1989 Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/elxeneize

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-778-9

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Barbara Noack

Die Melodie des Glücks

Roman

dotbooks.

Für J.E. –

Nachfolgend

Eve Chrysanth

genannt

Prolog

Ich bin gerade im Garten. Ich bin dabei, deinen Kopf zu scheuern, nun schon zum zweiten Male in diesem Monat. Die dummen, dummen Möwen wissen ja nicht, was sie tun und vor allem, wen sie bekleckern.

Immerhin verdanke ich ihrer Unbildung ein Erlebnis, das selbst durch etliche Wiederholungen nichts von seinem Reiz eingebüßt hat: ich meine das Schrubben eines illustren Mannes von der Bronzestirn bis zum Sockelanfang.

Es gab eine Zeit, da beendete ich diesen Scheuerakt mit einem kleinlichen Gefühlsausbruch, das heißt, ich schlug einmal kurz zu. Heute verzichte ich darauf. Erstens tut es sehr weh in der Hand, und zweitens sind die Zeiten, da ich dein Konterfei von Herzen gern verdrosch, vorbei.

Heute werde ich dir nach der gründlichen Säuberung eine alte Pudelmütze über den Kopf stülpen, ich habe sie schon anprobiert. Na, reizend, mein Schätzchen. Richtig solide siehst du darunter aus. Die Mütze wird nicht nur die Möwen irritieren.

Dabei fällt mir ein, ich könnte meine Erinnerungen also beginnen lassen, ich meine, ich könnte damit beginnen, daß ich im Garten stehe, bis zur Hüfte umrankt von abgeblühten Polyantharosen, und deinen Bronzekopf scheuere. Das wäre doch einmal etwas anderes, oder meinst du nicht?

Ich habe dir noch gar nicht erzählt, daß eine Zeitschrift an mich herangetreten ist und um einen »möglichst menschlich gefärbten« Bericht über dich aus meiner Feder gebeten hat. Deine Geschichte wäre doch so abenteuerlich, meint man, und ich als deine Frau würde dich schließlich am besten kennen, denkt man, und nun frage ich dich: Soll ich? Was meinst du? Soll ich einmal richtig »menschlich gefärbt« auspacken?

Das Schreiben von Memoiren ist ja so schick. Vor allem Witwen bekannter Männer verbrechen sie gern, einige von ihnen mit der eitlen Geschwätzigkeit alternder Frauen, denen endlich keiner mehr den Mund verbieten kann. Ohne Gefühl dafür, daß sie ihren Mann posthum der Lächerlichkeit preisgeben, veröffentlichen sie seine einstigen Liebesbriefe, die nur für sie selbst bestimmt waren und selten literarischen Wert besitzen. Sie verraten der staunenden Öffentlichkeit, daß der verehrte Meister sie »Püppele«, »Nymphlein« oder »kleine Zauberfee« zu nennen beliebte, daß er gerne an ihrer Schulter weinte, wenn verzagt, und entmeistern ihn vollends durch die Mitteilung, daß er ohne ihre, der Memoirenschreiberin, Inspiration gar nicht in der Lage gewesen wäre, seine unsterblichen Werke zu verfassen. Ohne Püppele kein Literaturpreis.

Ihre Männer sind tot, sie können nicht mehr widersprechen.

Du lebst, und wie – und selbst, wenn nicht, so würde ich dennoch vom Memoirengeplaudere Abstand nehmen müssen, denn – hast du mir jemals Liebesbriefe geschrieben? Es existierte nur irgendwo noch ein an mich gerichteter Zettel: »Warte nicht auf mich. Es wird spät werden.« Es wurde ziemlich spät. Wenn ich mich recht erinnere, dauerte es drei Monate, bis du wiederkamst.

Du nanntest mich anfangs gerne »meine Süße«. Das war weder einfallsreich noch besonders geschmackvoll. Du sagtest zu allen Frauen »meine Süße«, sobald du aufhörtest, »gnädige Frau« zu sagen, was meistens ziemlich rasch eintrat.

Du weintest weder an meiner Schulter noch überhaupt. Du warst weder verzagt noch im Krankheitsfall auf meine Hilfe angewiesen. Du wirst erst gar nicht krank. Dein Rheuma kurierst du mit Gewehröl.

Und das Traurigste: es gibt nicht einmal eine Kurzgeschichte, zu der ich dich inspiriert hätte.

Fazit: Das Erzeugen von Memoiren bereitet nur dann Befriedigung, wenn man selbst rühmlich in ihnen davonkommt.

Das täte ich nicht, es sei denn, ich würde schamlos lügen. Das Lügen aber, das habe ich von jeher dir überlassen. Du bist darin ein Meister, wie in allen anderen Dingen.

Wie sagtest du einmal von dir selbst? »Ich bin halt ein Naturtalent.« Und was für eins!

Ich denke, es ist auch in deinem Sinne, wenn ich der Zeitschrift mein Bedauern darüber ausspreche, daß es mir leider, leider zeitlich unmöglich ist, einen menschlich gefärbten Bericht über meinen Mann zu verfassen.

Aber einmal – selbstverständlich erst dann, wenn du mich zu deiner Witwe gemacht hast – werde ich einem bedürftigen jungen Schriftsteller, der sich auf das Dichten von Räuberpistolen versteht, die Geschichte deines Aufstiegs schenken.

Mach dir bitte keine Sorge ob dieser Drohung, denn so, wie du gebaut bist, wirst du mich ganz gewiß überleben.

1. Kapitel

Bis zu ihrer Verheiratung hatte Eve Treuhoff als Übersetzerin und zweite Lektorin in einem Hamburger Verlag gearbeitet. Ihren Mann, Claus Chrysanth, lernte sie im Hause des Verlegers kennen.

Er war ein kultivierter, auffallend hübscher Mensch, der viel von Antiquitäten, der Malerei des 19. Jahrhunderts, von Golf und Bridge verstand. Er wäre gerne Innenarchitekt geworden oder noch lieber berufsloser Ästhet. Zudem litt er an einem Ödipuskomplex, den Eve erst nach ihrer Eheschließung in seinem vollen Ausmaß zu spüren bekam.

Claus war der schwache, feinsinnige Sohn eines großen Vaters und als solcher absolut kein Einzelfall. »Der Alte« – Karl Wilhelm Chrysanth – hatte den im Jahre 1891 gegründeten Verlag zu einem der größten und angesehensten im deutschsprachigen Gebiet ausgebaut, nicht zuletzt dank der Fähigkeit, seine deutschnationale Denkungsart den wechselnden Regimen merkantil anzupassen, ohne dabei in den Verruf eines Mantelhängers zu geraten. Er war in erster Linie Persönlichkeit und erst in zweiter ein Charakter.

Im überladenen Salon seiner Witwe hingen die fotografisch festgehaltenen Beweise dafür: Händeschütteleien mit Kaisers, Ebert, Stresemann, Hindenburg – es hatte noch einen Handschlag und herzliches Anlachen mit Adolf Hitler gegeben, aber dieses Foto existierte nicht mehr. Damals, 1945, war man so radikal im Vernichten von Indizien gewesen.

Nachdem sich der alte Herr an oberer Stelle von diesem letzten Shakehand hatte säubern lassen – ehemalige emigrierte Autoren sagten gut für ihn aus-, fing er mit seinen alten Mitarbeitern wieder von vorne an. Sein Unternehmergeist war noch vorhanden, aber leider nicht mehr sein Gespür für das, was die Leute lesen wollten.

Es war die krampfhafte Wiedergeburt eines großen, alten, angesehenen Namens, die kostspielige Freizeitgestaltung eines Greises, der nicht abtreten wollte.

Mit vierundachtzig Jahren starb er in der Hoffnung, daß sein einziger Sohn Claus das väterliche Streben fortsetzen und den Verlag wieder zu dem machen würde, was er einmal gewesen war.

»Der Name Chrysanth darf niemals aus dem deutschen Verlagswesen gelöscht werden. Denke immer daran, mein Sohn.«

Claus dachte höchst ungern daran, aber er dachte. Schließlich saß ihm der Respekt vor dem Alten auch noch nach dessen Tode in den Knochen. Er führte das Unternehmen wie eine unerfreuliche Pflichtaufgabe weiter.

Jede geschäftliche Angelegenheit war ihm körperlich zuwider. Er überließ sie gern anderen, am liebsten seiner Frau.

Eve gebar ihm – nicht ohne ernstliche Komplikationen – zwei Kinder, zuerst eine Tochter namens Beatrice, genannt Bibi, und drei Jahre später den Knaben Christoph. Die Kinder brachten störende Unruhe in sein kultiviertes, gedämpftes Dasein, aber er ertrug sie klaglos, mit einem leicht nervösen Zucken seiner hellen Augenbraue. Nachfolger mußten schließlich sein.

Der Name Chrysanth durfte nicht aussterben.

Eines Tages suchte eine Steuerprüfung den Verlag heim. Es gab absolut nichts zu befürchten. Alle Defizits waren korrekt verbucht.

Dennoch erinnerte sich Claus ebenso dunkel wie rechtzeitig daran, daß der Kinderarzt seiner Mutter vor dreißig Jahren mit an die Nase erhobenem Zeigefinger verkündet hatte: »Cläuschens Mandeln sind nicht die besten. Sie bilden einen Infektionsherd in seinem anfälligen Körper. Eines Tages müssen sie heraus.« Claus Chrysanth begab sich ins Krankenhaus und überließ seinen Angestellten und seiner Frau den Umgang mit den lästigsten Beamten dieses Zeitalters. Mit noch nicht achtunddreißig Jahren wurde er endlich den Infektionsherd in seinem anfälligen Körper los. Leider starb er in der Nacht darauf an akuter Herzschwäche. Seine Frau Eve wußte bei der Beerdigung nicht, ob ihre Tränen unter dem schwarzen Schleier ausschließlich seinem unverhofften Ableben oder dem Berg von Verpflichtungen galten, mit dem er sie zurückgelassen hatte und dem sie nicht gewachsen zu sein glaubte.

Nach ihrer Verheiratung hatte Eve Chrysanth keinen beruflichen Ehrgeiz mehr verspürt. Sie war vollkommen zufrieden in ihrer häuslichen Atmosphäre und galt allgemein als Idealfall einer Frau und Mutter. Und außerdem war sie eine Dame. Kein Mann kam auf die Idee, mit ihr zu flirten. Aber jeder Mann hielt sie seiner Frau als lobendes Beispiel vor. Diese Ausnahmestellung trug ihr keine intimen Freundinnen ein, sie vermißte solche auch nicht.

Eve lebte für ihre Kinder, ihren Mann, mit schönen, kultivierten Dingen und den Büchern anderer Verlage.

Um ihre »süße, kleine Welt« züchtete sie abschützende Rosenranken wie viele Menschen mit uneingestandener Lebensangst.

Dann starb ihr Schwiegervater, und manches wurde anders.

Claus Chrysanth übernahm den Verlag und ließ Eve anfangs gesprächsweise, später aktiv und sich selbst entlastend an seinen unerfreulichen Verlegerpflichten teilhaben.

Dann starb auch er, und alles wurde anders.

Eves süße, kleine Welt hörte endgültig auf zu existieren – es gab keine Rosenranken mehr und keine friedvolle Idylle, es gab nur noch Ärger. Sie war mit achtundzwanzig Jahren Witwe. Ihre Kinder gerieten in die staatlich geprüften Hände einer anspruchsvollen, mißgelaunten Erzieherin, denn sie selbst war, da sich niemand fand, der bereit war, die undankbare Aufgabe eines Verlegers im Angestelltenverhältnis beim Chrysanth-Verlag zu übernehmen, auf diesen Posten verdonnert worden. Jener Beschluß erschien ihr wie eine Krönung all der Unsinnigkeiten, die die Familie in geschäftlicher Hinsicht nach dem Kriege unternommen hatte. Aber mit dem ererbten Pflichtbewußtsein, das stärker war als alle Überlegungen der Vernunft und des gesunden Menschenverstandes, nahm sie ihr Kreuz auf sich und war bemüht, zu retten, was noch zu retten war. Sie gehörte nun einmal zu jenen Frauen, die im Grunde ihres Herzens zaghaft sind, aber niemals versagen und das Beste aus dem zu machen versuchen, was man ihnen aufhalst. Diese Veranlagung war ihr persönliches Pech.

Der ehemalige Cheflektor mit vierzigjährigem Verlagsjubiläum, Herr Docht, war ihr als beratender Beistand zugeteilt worden. Diese Tätigkeit ließ ihm genügend Zeit, sich mit seinem Steckenpferd, der altnorwegischen und isländischen Skaldendichtung, und mit der Pflege seines Philodendrons, welcher sich vom Fensterbrett des Lektorats aus mit etlichen Armen – durch eingeschlagene Nägel und Bastfäden hilfreich unterstützt – über die bräunlich nachgedunkelte Tapetenwand schlängelte, zu befassen. Er zehrte von der großen Vergangenheit des Chrysanth-Verlages und wehrte sich mit greisenhafter Bockigkeit gegen jede Neuerung, die Eve vorschlug.

Sie hatte ihm bisher immer wieder nachgegeben, aus Achtung vor seiner langjährigen Verlagserfahrung und aus eigener fachlicher Unsicherheit.

Und dann war da noch Richard Kühlkamp, der Mann ihrer Schwägerin Ellen, geborene Chrysanth. Ebenso tüchtig und ehrgeizig im Beruf wie persönlichkeitslos im Privatleben. Zu Hause regierten der Eigensinn seiner Schwiegermutter Johanna und die Unzufriedenheit seiner Frau.

Richard oder Ricky Kühlkamp, wie er aus eleganten Gründen gerne genannt wurde, leitete die Chrysanthsche Druckerei, ein florierendes Unternehmen, aus dessen Gewinnen der Verlag künstlich am Leben gehalten wurde. In Rickys Augen war er ein Parasit, der das Blut aus der Druckerei zog. Eves krampfhafte Wiederbelebungsversuche beobachtete er mit Besorgnis. Er gab ihr – selbstverständlich nur unter vier Augen – den dringenden Rat, ihre Energie nicht länger für eine aussichtslose Sache zu opfern, sondern vielmehr alles zu tun, was zu ihrem gewaltsamen Ende beitragen würde.

»Warum sagst du das mir?« fragte Eve. »Warum sagst du das nicht unserer gemeinsamen Schwiegermutter?«

Darauf zuckte er ebenso verärgert wie hoffnungsunfreudig die Achseln. »Wer beißt schon gerne auf Granit!?«

Der alte Chrysanth hatte seine Frau Johanna im Falle, daß sie ihren einzigen Sohn überlebte, zur Alleinerbin eingesetzt und ihr noch auf dem Totenbett das Versprechen abgenommen, für das Weiterbestehen des Verlages Sorge zu tragen. Da Johanna Chrysanth genügend Privatvermögen besaß, um nicht wie ihre Tochter und Schwiegerkinder auf die Gewinne aus der Druckerei angewiesen zu sein, fiel es ihr nicht schwer, dieses Versprechen einzuhalten.

Und außerdem war sie Vernunfthandlungen gegenüber weniger aufgeschlossen als dem Vergnügen, ihre angeheirateten Erben zu ärgern.

Richard Kühlkamp dachte des öfteren am Tage: »Zu schade, daß geschäftlicher Unverstand und ausgeprägter Hang zur Bösartigkeit nicht ausreichen, um die Alte entmündigen zu lassen.«

Aber abends schickte er ihr Rosen, denn schließlich würde auch Johanna Chrysanth eines Tages ihr Testament machen.

Eve Chrysanth unternahm etliche Versuche, um neue, begabte Autoren anzulocken, aber es kam keiner, der bereit war, seine Werke einem Verlag anzuvertrauen, der außer einer großen Vergangenheit nichts mehr zu bieten hatte.

Und dann lag da eines Tages ein Manuskript auf ihrem Schreibtisch. Titel: Brennende Stiere. Autor: Raoul M. Tambour. Was für ein schöner, protziger Name, bestimmt von einem erfunden, der sich über die Durchschnittlichkeit seines amtlich registrierten Namens – Hans Schmidt, Karl Schulze, Fritz Neumann – gewurmt hatte.

Eve blätterte anfangs lustlos in dem Manuskript – wer sandte dem Chrysanth-Verlag schon etwas Brauchbares ein – und dazu noch unaufgefordert?

Schließlich las sie die beigefügte Inhaltsangabe und Beurteilung des Lektors Docht. Las folgendes:

»Karl Freund, Liftboy im Edenhotel, Berlin, wird von zugereister spanischer Touristin verführt. (Ungewöhnliches, vollblütiges Weib, viel älter als K. – nichts für unsere Leser.) Sie nimmt ihn mit auf ihr Gut in der Nähe der Sierra Morena, wo sie Kampfstiere züchtet. Luiza (so heißt sie) bietet ihm hier ein Jahr der rauhen, großen, herrlichen Abenteuer. Zum ersten Male in seinem Leben empfindet er Liebe und Bewunderung für einen Menschen. Dennoch verläßt er sie, als der Bürgerkrieg ausbricht, weil seine politische Überzeugung nicht mit seinen privaten Gefühlen vereinbar ist. Als Arbeiterkind sympathisiert Karl mit der Volksfrontregierung Azana und schließt sich der Internationalen Brigade an, während Luiza – Großgrundbesitzerin und Nationalistin – die Gegenrevolution General Francos unterstützt.

Karl nimmt an der Verteidigung Madrids teil. Im Frühjahr 1938 erfährt er durch Zufall, daß Luiza von Guerrilleros erschlagen und das Gut niedergebrannt worden ist. Diese Nachricht erschüttert ihn zutiefst. Er fühlt sich indirekt schuldig an Luizas gewaltsamem Tod und kann ihn doch nicht sühnen, denn das bedeutete einen Anschlag gegen seine eigenen Waffenbrüder. (Unter Sühne versteht er ausschließlich Rache!) Er verläßt seine Stellung und schlägt sich unter dramatischen Umständen zu den Trümmern seiner glücklichsten Zeit durch. Er findet keine Erinnerung mehr, nur tödliche Verlassenheit. Zum ersten Male im Leben hat er Furcht. Aus dieser Furcht erwächst geradezu panische Lebensgier. Von jetzt an wird es nichts mehr geben, wofür er bereit wäre, das kurze Erdendasein vorzeitig aufs Spiel zu setzen.

Auf der Flucht zur rettenden Grenze nimmt er sich des einzigen Überlebenden eines ausgehobenen Partisanennestes an, eines etwa einjährigen Kindes, das er Manolo nennt.

Manuskript endet vorzeitig auf Seite 402. Schluß fehlt.

Recht ungewöhnlicher, vollblütiger Stil, nicht ohne Spannung und Dramatik. Karls Reaktion auf Luizas Tod bleibt unbefriedigend, da ichbezogen. Man vermißt die politische Läuterung. Statt innerer Einkehr oder der verständlichen Suche nach dem eigenen Heldentod ein geradezu abschreckend egoistischer Lebenswille: Überleben – Leben – Erleben – egal wie. Diese Einstellung mag kurzfristig das menschliche Verständnis des Lesers erregen, wenn er bedenkt, daß sie in einer Zeit geboren wurde, in der der Tod stündlich eintreten konnte. Aber akzeptabel ist sie nicht. Vor allem nicht in unserem Verlag, der das Schicksal christlicher Märtyrer (ich erinnere nur an die Romane von R. A. Bürhelm ›Colosseum‹, ›Sebastian‹, ›Sonne in Katakomben‹ und die Heldenbiographien von Überhardsen und Lugorf herausgebracht hat.

Trotz zweifellos vorhandener schriftstellerischer Qualitäten plädiere ich für die Ablehnung des Manuskriptes ›Brennende Stiere‹, da nicht auf unserer Linie liegend. Docht.«

Wenn es etwas gab, was Eve Chrysanth auf die »Brennenden Stiere« neugierig machte, so war es vor allem Herrn Dochts abfällige Kritik. Sie nahm an dem unheroischen Überlebenswillen eines Neunzehnjährigen, der auf zweihundert Seiten bewiesen hatte, daß er kein Feigling war, weniger Anstoß als ihr Lektor und beratender Beistand. Sie hatte vor allem mit der Art und Weise zu tun, in der dieser Raoul Tambour seinen Roman geschrieben hatte. Sie war gleichermaßen schockiert und fasziniert. Das war alles so leuchtend und maßlos, so absichtslos tragisch und dann wieder nicht frei von triefender Kerlssentimentalität und muskelstarkem Mannestum. Es gehörte der Mut völliger literarischer Unbefangenheit, aber auch ein starkes Erzählertalent dazu, so zu schreiben.

Zwei Tage lang ging ich mit den »Brennenden Stieren« schwanger, gezwickt von Zweifeln, beschwingt vor Begeisterung. Letztere siegte. Nun erhob mich ein außerordentliches Gefühl über Teppiche und Gebohnertes, einen halben Meter über mich selbst hinaus. Später formulierte ich es nüchterner: »Ich muß wohl den Boden unter den Füßen verloren haben.«

Auf jeden Fall: ich hatte Raoul Tambour entdeckt, ein farbenprächtiges, starkes Naturtalent, von dem man noch viel erwarten konnte. Ich, Eve Chrysanth, erlebte die Sternstunde in meinem bisher so unerfreulichen Verlegerdasein.

Tambours »Brennende Stiere« würden die Wiedergeburt des Chrysanth-Verlages einleiten. Ich träumte von Genesung durch hohe Auflagen, von füßeküssender Dankbarkeit seitens der Familie Chrysanth.

Ich träumte …

Mitten aus diesem phantastischen Hochgefühl heraus und ohne noch einmal mit Herrn Docht Rücksprache gehalten zu haben, diktierte ich meiner Sekretärin einen Brief, in dem ich Raoul Tambour um eine Unterredung ersuchte.

Ich gebe zu, daß ich auf ihn sehr gespannt war.

Ich erwartete – ja, ich weiß nicht mehr, was ich erwartet habe. Auf jeden Fall nicht den, der mir zwei Tage später gegenüberstand.

2. Kapitel

Eve würde nie den Tag vergessen – einen Donnerstag um elf Uhr dreißig –, an dem er ihr zum ersten Male im getäfelten, traditionsreich-trübsinnigen Besuchszimmer des Chrysanth-Verlages gegenüberstand. Breitbeinig, selbstbewußt, die Daumen im Gürtel eines unangenehm knirschenden, khakifarbenen Ledermantels verhakt.

Und sie würde niemals ihre erste Reaktion bei seinem Anblick vergessen: Nein. Ganz unmöglich.

»Sie haben mir wegen des Manuskriptes geschrieben, das ich Ihnen zuschickte. Sie hätten mir wohl kaum geschrieben, wenn es Ihnen nicht gefallen hätte, es ist auch gut. – Setzen wir uns, oder bleiben wir stehen? Mir persönlich ist es egal.«

»Bitte«, sagte Eve Chrysanth und wies ihm einen Sessel zu.

Raoul Tambour war kein Beau. Ehe er sich die vorspringende Nase aus der von der Natur beabsichtigten Richtung prügeln ließ, mochte er ganz gut ausgesehen haben. Sein Mund war stark und rücksichtslos, das dichte schwarze Haar hatte die fatale Neigung, im Nacken Locken zu schlagen. Außerdem trug er Schnurrbart, keinen von der geschniegelten Sorte, eher von partisanenhafter Struppigkeit und auf alle Fälle mißtrauenerregend. Seine hellen Augen besaßen die lauernde Unergründlichkeit einer Raubkatze.

»Ehe wir zum Thema kommen, möchte ich Ihnen gleich eins sagen, Frau Chrysanth. Ich bin kein armes Luder, das vom Schreiben leben muß.« Tambour knöpfte seinen Ledermantel auf und ließ sich knirschend nieder. »Ich habe immer gutes Geld verdient, von meinem fünfzehnten Lebensjahr an. Zur Zeit habe ich mehrere Jobs.«

»Aha«, sagte Eve und hatte das wenig behagliche Gefühl, von einer D-Zug-Lokomotive überrollt zu werden.

Tambour war dabei weder laut noch lebhaft, er war nur von einer Zielstrebigkeit und Direktheit, die Eve Chrysanth gleichermaßen entwaffneten und amüsierten.

Sie saß auf der Kante ihres Stuhles und gab sich Mühe, so wenig verdattert wie möglich auszusehen.

»Die »Brennenden Stiere‹ sind Ihr erster Roman, Herr Tambour?«

»Meine eigene Geschichte«, sagte er. »Ich bin der Karl, die Hauptperson.« Er zog ein zerknülltes Päckchen aus der Hosentasche, entnahm ihm eine verbogene Zigarette, und dabei sah Eve Chrysanth den Ring an seinem kleinen Finger.

Ein Rubin von Zweikaratgröße, um den sich eine goldene Schlange mit einem bösartig schielenden Smaragdauge ringelte. Sie dachte: Wie ist es nur möglich, daß ein Mann, der ein so hartes, kraftvolles Buch geschrieben hat, so einen abscheulichen Ring tragen kann!?

»Wie sind Sie ausgerechnet auf unseren Verlag gekommen, Herr Tambour?« fragte sie sinnend.

Er musterte sie blitzschnell und abschätzend, er glaubte so etwas wie mißtrauisches Staunen aus ihrer Frage herausgehört zu haben. Bei aller Kraftprotzigkeit war er doch empfindlich und feinfühlend genug, um ihre innere Abwehr zu spüren.

»Darauf antworte ich Ihnen später«, sagte er. »Mich interessiert jetzt erst mal, was Sie zahlen. Können Sie überhaupt zahlen?«

Eves Rücken versteifte sich. »Noch habe ich nicht davon gesprochen, daß ich mit Ihnen einen Vertrag machen werde.«

»Ach«, staunte er – ein aggressives Staunen. »Ja, warum haben Sie mich dann herbestellt? Können Sie es sich leisten, so ein Manuskript wie die »Brennenden Stiere‹ abzulehnen? Können Sie das?« Und da sie nicht sofort antwortete, fragte er ungeduldig: »Ja oder nein?«

»Entschuldigen Sie«, lächelte Eve Chrysanth mit Mühe, »ich bin ein wenig verwirrt. Der Umgang mit unbekannten Autoren, die wie auflagestarke Dichterfürsten auftreten, ist mir noch zu neu.«

Seine Augen verengten sich zu bösen Schlitzen, aber er schluckte kommentarlos ihre Bemerkung.

»Hören Sie zu«, sagte er. »Ich bin über die Situation des Chrysanth-Verlags gut orientiert. Jeder vernünftige Kaufmann hätte den Laden längst zugemacht. Ist doch ein reines Zuschußunternehmen, oder? Kommt mir vor wie ein kranker, lebensmüder Greis, den man künstlich zum Weiterleben zwingt, nur weil er in seiner Jugend mal so berühmt war. Die paar Neuauflagen früherer Erfolge, na schön. Finden vielleicht noch ihre Leser. Aber das Wenige, was Sie sich nach dem Kriege von Ihren Autoren haben zusammendichten lassen …! Was Sie brauchen, um wieder ins Rennen zu kommen, das sind junge, kraftvolle Schreiber, nicht solche blutarmen, gegenwartsfremden Ofen-Dichter. Sie brauchen knallharte Bestseller wie die ›Brennenden Stiere‹ zum Beispiel.«

Eve Chrysanth holte tief Atem.

»Was haben Sie jetzt schon wieder gedacht?« fragte er mißtrauisch. Und gab sich sofort die Antwort: »Sie halten mich für größenwahnsinnig, wie? Bin ich gar nicht. Ich weiß nur, was gut ist und was heutzutage ankommt, auch dann, wenn es zufällig von mir selbst stammt.«

Raoul Tambour sah Eve Chrysanth herausfordernd an. Eve Chrysanth sah seufzend auf ihre langen braunen Hände, die gefaltet in ihrem Schoß lagen.

Sie dachte: Ich möchte ihn so gerne hinauswerfen.

Er dachte: Wenn sie nicht so scharf auf die »Brennenden Stiere« wäre, hätte sie mir schon längst gezeigt, wie man die Tür von außen schließt.

Tambour zog seine Brieftasche aus dem Innern des Jacketts und blätterte ihren Inhalt auf den Tisch – Ausweise, Benzinquittungen, Reinigungsabschnitte und endlich zwei gefaltete Briefe, die er über die blankgebohnerte Tischplatte hinweg auf Frau Chrysanth zuschliddern ließ.

»Da, lesen Sie mal.«

Es waren Antwortschreiben renommierter Verlage, bei denen die »Brennenden Stiere« bereits Vorgelegen hatten. Alle beide äußerten sich sehr wohlwollend, einer wollte erst den fehlenden Manuskriptschluß abwarten, der andere sprach von Vertrag.

Eve Chrysanth las die Briefe ausführlich durch und dachte dabei: Wie kann soviel Prahlerei auch noch schriftlich belegbar sein?

»Sehr schön«, sagte sie und schickte sie auf dem gleichen Wege über den Tisch zurück. »Mit den Verlagen können wir natürlich nicht konkurrieren.«

»Weiß ich«, sagte er und steckte sie wieder ein.

»Dann verstehe ich nicht, weshalb Sie noch zu uns gekommen sind. Ich verstehe das wirklich nicht.«

Er schaute rasch und abschätzend über sie hin.

Nordisch blonde, hochbeinige, ein wenig strenge Schönheit. Gute Figur. Dunkelblauer Kaschmirpullover, Schottenrock, flache, schmale Schuhe. Perlen in den Ohrläppchen, lange, geknotete Perlenkette. Ein ästhetischer Anblick, etwas zum Betrachten, aber nichts zum Berühren.

»Ich habe Ihnen Vorschläge zu machen«, sagte Tambour und erhob sich. »Ich habe bestimmte Gründe, warum ich bei einem kleinen Verlag mit einem guten Namen herauskommen will. Es muß nicht unbedingt der Chrysanth-Verlag sein. Purer Zufall, daß ich auf Sie gekommen bin. Aber darüber sprechen wir das nächste Mal. Ich muß jetzt weg. Um elf Uhr wartet ein Kunde auf mich.« Er zog den Mantelgürtel eng. »Bis wann brauchen Sie den Schluß?«

»Spätestens Ende Juni.«

»Abgemacht. Es werden ungefähr noch hundert Seiten werden.«

»Herr Tambour …«

Er sah auf seine Uhr. »Ja?« Und hatte es sehr eilig.

Eve wollte sagen: Ich traue Ihnen nicht. Am liebsten ließe ich die ganze Geschichte fallen. Ich bin auch an Ihren mysteriösen Vorschlägen nicht interessiert. Es genügt mir, in einem anormalen Verlag arbeiten zu müssen. Ich möchte mich nicht auch noch mit wildgewordenen Autoren herumärgern.

»Wir können Ihnen höchstens fünf Prozent vom Ladenpreis bezahlen«, warnte sie. »Und keinen Vorschuß.«

»Sehe ich so aus, als ob ich einen nötig hätte?« fragte er dagegen. »Wann soll das Buch herauskommen?«

»Im Herbst, falls wir überhaupt …«

»Wir werden schon einig«, unterbrach er sie. »Irgendwie werden wir schon einig werden. Schicken Sie mir einen Vertragsentwurf zu.«

Eve brachte ihn zur Tür, sein Händedruck tat weh. Sie ging ins Sekretariat hinüber.

Herr Docht war zufällig anwesend. »Na?« fragte er.

Eve hockte sich auf die Schreibtischkante. »Er ist unmöglich«, sagte sie bedrückt, »einfach unmöglich.«

Herr Docht strahlte. »Habe ich Sie nicht gleich gewarnt!?«

Fräulein Kügler, die Sekretärin, hängte sich aus dem Fenster, aber sie konnte Tambour leider nicht sehen, als er das Gebäude verließ.

»Nach dem Motorengeräusch zu urteilen, fährt er einen schweren Wagen«, sagte sie.

»Vielleicht ist der Topf seines Auspuffs kaputt«, sagte Eve dagegen. »Das dröhnt auch ganz schön.«

Sie ging in ihr Zimmer hinüber, setzte sich an ihren Schreibtisch, und während sie – die flachen Hände um die Nase gelegt – auf Fräulein Kügler wartete, um ihr den Vertrag zu diktieren, dachte sie über Tambour nach. Das Mißtrauen, das sie dabei benutzte, fand überall Raum, die Logik nirgends.

Aber das Buch ist gut, dachte sie, ich will das Buch haben. Und wenn er erst den Vertrag unterschrieben und die restlichen hundert Seiten geliefert hat, was kann mir dann noch mit ihm passieren!?

3. Kapitel

Raoul Tambour schickte weder den Vertrag unterschrieben zurück, noch ließ er verlauten, weshalb er es nicht tat. Jede schriftliche Anfrage blieb unbeantwortet. Auch wartete man im Chrysanth-Verlag vergebens auf die restlichen hundert Seiten. Eves Nervosität stieg von Tag zu Tag. Der unerfreuliche Auftritt des Kraftmeiers Tambour war über der Güte seines Manuskriptes, das sie noch einmal gelesen hatte, verblaßt. Sie setzte alle Zukunftshoffnungen auf diesen Stoff.

»Meine liebe Frau Chrysanth, worauf warten Sie eigentlich noch?« staunte Herr Docht. »Der Mensch hat längst mit einem anderen Verlag abgeschlossen.«

Eve beschloß zu handeln. An einem heißen Junimorgen versah sie das ältliche Fräulein Kügler – übrigens die einzige Person im Verlag, die ihr von Herzen wohlgesinnt war – mit Fahrgeld und dem Auftrag, Raoul Tambour in seiner Wohnung aufzusuchen.

»Und wenn Sie das Gefühl haben, er läßt sich verleugnen, dann geben Sie nicht auf. Klingeln Sie Sturm. Klagen wegen Hausfriedensbruchs gehen auf Spesenkonto.«

Fräulein Kügler war vom großen Erfolg der »Brennenden Stiere« ebenso überzeugt wie Eve selbst.

»… schon wegen der Stelle, Frau Chrysanth, wo er das halbverhungerte Wurm von den Partisanen rettet und mitnimmt, und eigentlich stört es ihn furchtbar auf der Flucht und verrät ihn zweimal, und kleine Babys kann er sowieso nicht leiden. Er wäre es bestimmt in einem Kloster losgeworden, aber nein, er schleppt es weiter mit sich. Und sehen Sie, Frau Chrysanth, das ist das menschliche Anständige an ihm, und deshalb läßt er uns auch nicht mit den letzten hundert Seiten sitzen.«

Im Endeffekt fand jeder Mensch in jedem Roman genau das, was ihn interessierte. Die Kritiker klopften seinen Stil ab und untersuchten ihn nach Aussage und Anliegen, die Heimlichen blätterten so lange, bis sie an die Liebesszenen gerieten, die Gründlichen prüften an Hand von Lexika, ob der Autor sich auch nirgends geirrt hatte, und ältliche Fräulein wie die Kügler erwärmten ihr einsames Herz an der Rettung eines Partisanenbabys.

Um neun Uhr dreißig an einem leuchtend blauen Junitag zog sie ebenso neugierig wie tatendurstig aus.

Kurz vor Büroschluß kehrte sie verschwitzt, bis zur Weinerlichkeit verstört in den Verlag zurück und stülpte ihre Kunstlederhandtasche in einen, sich selbst in einen anderen Sessel vor Eves Schreibtisch.

»Also wenn ich Ihnen erzähle, was ich alles durchgemacht habe …!«

»War es so schlimm?«

»Auf jeden Fall werden Sie glauben, die Kügler spinnt.«

Eve steckte den Tauchsieder in den Wassertopf.

»Kaffee?«

»Das wäre aber nett. – Also, man ist ja allerlei gewohnt, wenn man sein Leben lang mit Autoren zu tun hatte. Die sind ja ’ne Plage für sich …«

»Haben Sie Tambour gesprochen?« fragte Eve, die Fräulein Kügler ebenso schätzte, wie sie ihre Weitschweifigkeit fürchtete.

»Ich erzähle lieber der Reihe nach. Zuerst fuhr ich zu seiner Wohnung. Das ist aber keine Wohnung, wo er wohnt. Das ist ein alter Kahn, Frau Chrysanth. Und wo der liegt! Noch weiter draußen geht’s gar nicht. Siebzehn Minuten zu Fuß von der Omnibushaltestelle, und das bei der Hitze und mit meinem Bein, Sie wissen doch.«

»Ja, ich weiß«, sagte Eve. »Haben Sie es heute nicht gewickelt?«

»Eben nicht. Aber das war noch nicht das Schlimmste. Ich balanciere also –endlich angekommen – über den wackligen Landungssteg und rufe ›Hallo‹ – und was glauben Sie wohl, wer mir öffnet! ?«

»Wie soll ich das wissen«, sagte Eve ungeduldig.

In Fräulein Küglers Augen trat prickelndes Entsetzen. »Sie war so ordinär, so – überall ordinär, wenn Sie vielleicht wissen, was ich damit meine. Und rothaarig dazu.«

»Tambours Geliebte wahrscheinlich«, konstatierte Eve.

»Sehen Sie, das habe ich auch gleich gedacht!«

»Na und?«

»Ich fragte sie, ob Herr Tambour in diesem Kahn wohnt, und sie sagte: ›Ja, aber er ist schon seit zwei Wochen nicht mehr hiergewesen. Ich weiß auch nicht, wo er steckt. Und wie er sich das denkt. Ich habe keinen Floh mehr in der Tasche‹, sagte sie, ›aber Schulden beim Kaufmann und in der Kneipe. Von etwas muß der Mensch doch leben.‹ Na, da gab ich ihr fünf Mark aus meiner Tasche, aber ich ließ mir eine Quittung darüber ausstellen, es muß ja alles seine Ordnung haben. Wissen Sie, Frau Chrysanth – das Wasser kocht! –, also, ich dachte mir, ein klingender Händedruck macht die Person leutseliger. Und so war es denn auch. Sie riet mir, zu Schybs & Co. zu fahren, das ist eine Immobilienfirma. Der Schybs ist tot, und der Co. ist Herr Tambour. Dort wüßten sie bestimmt, wo er sich gerade aufhält. Wenn sie selber dort anriefe oder aufkreuzte – ihre Worte! –, dann hieße es immer, er wäre gerade verreist. Aber das sei natürlich gelogen. Die Person wollte noch wissen, weshalb ich ihn sprechen möchte. Ich sagte, wegen eines Romans, den er geschrieben hat. Das war ihr sehr interessant. Und dann fragte ich sie, ob er vielleicht, ehe er vor zwei Wochen auszog, mal so abends etwas Längeres getippt hätte, aber sie sagte, nein, dazu käme in ihrer Gegenwart so schnell kein Mann.« Fräulein Kügler errötete.

»Ist der Kaffee so richtig?« fragte Eve.

»Ja, wunderbar. Vielen Dank.«

»Sie fuhren also zu Schybs & Co.«

Fräulein Kügler rührte in ihrer Tasse. »Zweimal Autobus und dann noch sieben Stationen mit der Elektrischen. Und so ein schlechter Anschluß, einmal habe ich zwölf Minuten warten müssen. – Das Büro macht übrigens einen sehr anständigen Eindruck. Auch die Sekretärinnen, Frau Chrysanth. Sehr seriös.«

»Nirgendwo ordinär?« fragte Eve.

»Und alles neu renoviert. Als ich sagte, woher ich komme, boten sie mir einen Stuhl an und waren auch sonst sehr zuvorkommend. Herr Tambour ist natürlich nicht verreist. Er war auch in den letzten beiden Wochen nicht außerhalb, das hatten sie nur auftragsgemäß lügen müssen, wenn die besagte Person erschien.«

»Haben Sie ihn gesprochen?« drängte Eve zur Sache.

»Konnte ich ja nicht, wo er doch gerade in der Luft war, au!« Fräulein Kügler hatte sich die Unterlippe an der heißen Kaffeetasse verbrannt.

»Luft? Wieso?«

»Die Verbindung zum Flugplatz war nicht schlecht. Nur zweimal Umsteigen, und die Busse kamen sofort. Herr Tambour war übrigens wirklich in der Luft, wie mir die Herren auf dem Privatflughafen versicherten. Es ist nämlich so–«, für Fräulein Kügler war bereits alles ganz verständlich, was Eve noch geistige Schwierigkeiten bereitete, »er ist auch Sport- und Kunstflieger. Von Zeit zu Zeit muß er immer wieder mal durch den Himmel turnen, sonst verliert er seinen Flugschein. Das war gerade heute. Oh, Frau Chrysanth, Ihr Schwiegervater hatte es besser mit seinen Autoren als Sie. Der war bloß in Sorge, sie könnten sich zu Tode saufen. Aber wie lange braucht eine Leberzirrhose, bis sie zum Grabe führt, und wie schnell und gründlich tritt ein fliegender Dichter aus dem Leben. – Soll ich weitererzählen?«

»Bitte«, sagte Eve.

»Ich fuhr also noch mal zu Schybs & Co. Dort hatte man Mitleid mit meinen umsonstenen Rundreisen bei der Hitze. Die Sekretärinnen glaubten nicht, daß Herr Tambour heute noch einmal ins Büro käme. Aber er riefe bestimmt noch einmal an, und dann würden sie ihm von meinem Besuch erzählen. Und dann sagten sie noch, wenn es sehr dringend wäre, dann sollte ich doch zum Zirkus ›Toniello‹ fahren, der gerade hier gastiert. Dort wäre er heute abend bestimmt zu erreichen.« Fräulein Kügler trank ihren Kaffee aus. »Ich sagte, daß ich leider heute nicht könnte, meine Schwester hat doch Geburtstag. Ich sagte, daß vielleicht meine Chefin hinkäme, wenn sie Zeit hat. Man möchte das Herrn Tambour ausrichten. Es ist Ihnen doch recht so – oder?«

»Was macht er denn beim Zirkus?« fragte Eve erschöpft.