Valentine heißt man nicht & Der Duft von Sommer und Oliven - Barbara Noack - E-Book
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Valentine heißt man nicht & Der Duft von Sommer und Oliven E-Book

Barbara Noack

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Beschreibung

Valentine heißt man nicht Selbst die größte Unordnung kann ihrer guten Laune nichts anhaben! Valentine wohnt mit Ehemann Philip in einer Villa in Berlin-Grunewald – zusammen mit vielen Hunden, Katzen und der schrulligen Haushälterin Anna. Diese verbummelt die Autoschlüssel, verbraucht den ganzen Kaffee, ohne neuen zu kaufen, kurz: Anna muss öfter unterstützt werden, als dass sie selbst eine Hilfe ist. Valentine behält bei all dem Trubel trotzdem die Nerven. Doch nun ist sie schwanger … Und aus der starken Valentine wird ein richtiges Nervenbündel, sie kann sich schließlich nicht um alles kümmern! Zum Glück kommt Valentines guter Freund, der Tierarzt Hans, gerne zu Besuch – und kümmert sich nicht nur um die vierbeinigen Hausbewohner … Der Duft von Sommer und Oliven Ein unvergesslicher Urlaub! Model Jou reist nach Italien, um guten Wein und laue Sommernächte zu genießen. Mit dabei: dreißig muntere Urlauber – und Robert, der attraktive Reiseleiter. Das sieht Jous Freund Hans gar nicht gerne und reist aus Eifersucht hinterher. Kreuz und quer geht es durch Italien auf eine Reise voller Missverständnisse und Verwirrungen. Als Jou sich gerade die Frage stellt, ob sie Robert tatsächlich interessant findet, steht plötzlich Hans vor der Tür – und das Chaos ist perfekt …

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Über »Valentine heißt man nicht«:

Selbst die größte Unordnung kann ihrer guten Laune nichts anhaben! Valentine wohnt mit Ehemann Philip in einer Villa in Berlin-Grunewald – zusammen mit vielen Hunden, Katzen und der schrulligen Haushälterin Anna. Diese verbummelt die Autoschlüssel, verbraucht den ganzen Kaffee, ohne neuen zu kaufen, kurz: Anna muss öfter unterstützt werden, als dass sie selbst eine Hilfe ist. Valentine behält bei all dem Trubel trotzdem die Nerven. Doch nun ist sie schwanger … Und aus der starken Valentine wird ein richtiges Nervenbündel, sie kann sich schließlich nicht um alles kümmern! Zum Glück kommt Valentines guter Freund, der Tierarzt Hans, gerne zu Besuch – und kümmert sich nicht nur um die vierbeinigen Hausbewohner …

Über »Der Duft von Sommer und Oliven«:

Ein unvergesslicher Urlaub! Model Jou reist nach Italien, um guten Wein und laue Sommernächte zu genießen. Mit dabei: dreißig muntere Urlauber – und Robert, der attraktive Reiseleiter. Das sieht Jous Freund Hans gar nicht gerne und reist aus Eifersucht hinterher. Kreuz und quer geht es durch Italien auf eine Reise voller Missverständnisse und Verwirrungen. Als Jou sich gerade die Frage stellt, ob sie Robert tatsächlich interessant findet, steht plötzlich Hans vor der Tür – und das Chaos ist perfekt …

Über die Autorin:

Barbara Noack, geboren 1924, hat mit ihren fröhlichen und humorvollen Bestsellern deutsche Unterhaltungsgeschichte geschrieben. In einer Zeit, in der die Männer meist die Alleinverdiener waren, beschritt sie bereits ihren eigenen Weg als berufstätige und alleinerziehende Mutter. Diese Erfahrungen wie auch die Erlebnisse mit ihrem Sohn und dessen Freunden inspirierten sie zu vieler ihrer Geschichten. Ihr erster Roman »Die Zürcher Verlobung« wurde zweimal verfilmt und besitzt noch heute Kultstatus. Auch die TV-Serien »Der Bastian« und »Drei sind einer zu viel«, deren Drehbücher die Autorin verfasste, brachen in Deutschland alle Rekorde und verhalfen Horst Janson und Jutta Speidel zu großer Popularität.

Barbara Noack veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Romane »Die Zürcher Verlobung«, »Der Bastian«, »Danziger Liebesgeschichte«, »Drei sind einer zuviel«, »Brombeerzeit«, »Das Leuchten heller Sommernächte«, »Die Melodie des Glücks«, »So muss es wohl im Paradies gewesen sein«, »Jennys Geschichte«, »Der Duft von Sommer und Oliven«, »Der Zwillingsbruder«, »Das kommt davon, wenn man verreist«, »Auf einmal sind sie keine Kinder mehr«, »Was halten Sie vom Mondschein?«, »Valentine heißt man nicht«, »Der Traum eines Sommers« und »Eine Handvoll Glück« sowie »Ein Stück vom Leben«, die auch im Doppelband »Schwestern der Hoffnung« erhältlich sind. Auch bei dotbooks erschienen ihre Erzählbände »Flöhe hüten ist leichter«, »Eines Knaben Phantasie hat meistens schwarze Knie« und »Ferien sind schöner«.

***

Sammelband-Originalausgabe Juli 2017

Copyright © der Sammelbandausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe »Valentine heißt man nicht« 1965 by Lothar Blanvalet Verlag, Berlin

»Der Duft von Sommer und Oliven« erschien bereits 1957 unter dem Titel »Italienreise - Liebe inbegriffen« bei Blanvalet.

Copyright © der Originalausgabe »Der Duft von Sommer und Oliven« 1957 by Lothar Blanvalet Verlag, Berlin

Copyright © der Neuausgaben 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/WDG Photo, Melinda Fawyer und Mike Milton

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mh)

ISBN 978-3-96148-112-5

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

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Barbara Noack

Valentine heißt man nicht & Der Duft von Sommer und Oliven

Zwei Romane in einem eBook

dotbooks.

Valentine heißt man nicht

So etwas wie eine Einleitung

Ich weiß schon, was Sie jetzt denken. Einleitungen sind meistens langweilig.

Meine Einleitung wird Sie dazu noch herrlich verwirren, weil so viele Namen in ihr Vorkommen. Die Namen meiner zahlreichen Familie. Zuerst will ich aber unsere Kampfstätte vorstellen: Ruine Marschall, Stendhalstraße 7-9, Berlin-Grunewald.

Sie ist verspieltes Marzipanrokoko und sieht so aus, als ob man sie schon einmal hochgehoben, wieder fallen gelassen und die übriggebliebenen Teile zusammengekittet hätte. (Aber daran ist nicht unser turbulentes Familienleben, sondern der Krieg schuld.)

Französische Fenster öffnen sich auf eine Terrasse mit dicklichen Steinputten, die Blumenkörbchen schwenken und Blockflöte blasen, unbekümmert um die Tatsache, daß ihre Köpfe seit Jahren im Gras liegen. Die ganze Ruine wirkt wie ein Form gewordenes, im zwanzigsten Jahrhundert komponiertes Schäferliedchen – ein bißchen Sanssouci und ein bißchen kitschig.

Es ist gerade Mittag und die Luft erfüllt von trägem Spatzenschilpen, Blätterseufzen und wütendem Tellerklappern aus unserem geöffneten Küchenfenster. Dort mißhandelt Anna Krieger den Abwasch, und wenn ich nachher Scherben im Mülleimer finde, sagt sie bestimmt, es sind die Hunde gewesen. Die Spaniels haben bei uns an allem schuld. Sie zerschlagen nicht nur das Geschirr, sie verbrauchen den ganzen Kaffee, verbummeln Philips Autoschlüssel und…

Hören Sie? Eben rief der Pirol. Er ruft seinen Namen »Krischan Füerhoak«, was Kristian Feuerhaken heißt, aber Philip meint, man muß schon aus der Uckermark stammen, um ihn zu verstehen. (Das soll natürlich eine Spitze gegen meine bäuerliche Herkunft sein. Macht nichts.)

Der plattdeutsche Pirol und zahlreiche Spatzen wohnen zusammen mit einer Amsel in den hohen Bäumen unseres Gartens, der dringend eines Friseurs bedarf. Durch seine Struppigkeit zieht sich vom pompösen Schmiedeeisenportal bis zur Ruine herauf ein breiter Scheitel – die »Auffahrt«.

(Es ist zwar alles verwildert und ramponiert bei uns, aber die vornehmen Bezeichnungen von früher, wie »Auffahrt« für den breiten, verunkrauteten Kiesweg und »Gewächshaus« für ein paar Ziegelsteine mit besplittertem Gestänge darüber, haben wir beibehalten.)

Vor kurzem erwartete Philip einen sehr feinen Herrn aus Hamburg. Diesen Besuch nahm er zum Anlaß, sein Besitztum mit Feldwebelblicken zu durchstreifen, und nach dieser Musterung zeigte er sich sehr mißgestimmt und nannte unsere liebe Ruine einen Saustall. Er beschloß ihren Ausbau

zum Herbst und ließ sich vom Gärtner einen Kostenvoranschlag für die Instandsetzung des Gartens machen. Nachdem er diesen gelesen hatte, entdeckte er die Reize seiner verwilderten Umgebung und bezeichnete sie fortan als »urwüchsig«, denn urwüchsige Reize kann man logisch vertreten, aber verwilderte –?

Gerade trottet die schöne, sanfte Anette über den Kiesweg und die wenigen Stufen zur Terrasse hinauf, schnuppert kurz an den überhängenden Füßen unseres schlafenden Hausvorstandes und streckt sich nach mehreren Umdrehungen im Schatten seiner Liegekarre aus.

Wenn ich Philip so betrachte – voilà un homme, möchte ich dann sagen. Voilà – ein erstaunlicher Mann, zumindest der Statur nach, wenngleich seine überhängenden Füße und ein wenig infantile Schlafmiene sein Äußeres auch beeinträchtigen. Philip ist kein adonischer Held – nichts mit Prädikaten wie markig, sehnig, strahlend jung. Er ist eher ein Gebäude – etwa Barockstil. Sein Brustumfang liegt schon jenseits jeder üblichen literarischen Brustumfangsschilderung eines Helden, sofern es sich bei diesem nicht um einen Preisringer handelt.

Es muß anstrengend sein und sicher eine Menge Mut und Kraft kosten, um die Hoffnungen nicht zu enttäuschen, die vor allem Frauen (Sie ahnen nicht, wie viele!) in seine Figur setzen. Dabei ist Phil auch ganz gern einmal feige. Wer ist das nicht außer den Leuten, die Denksprüche über den ununterbrochenen Mannesmut verfassen.

Wegen seines zufriedenen Grinsens und seiner beruhigenden Alltagsintelligenz, die nicht zu hohe Anforderungen an die seiner Mitmenschen stellt, ist er allgemein beliebt. Er hat viele Freunde, auch unter jenen Leuten, die man kennen muß, um »Wer« zu sein. Er ist sozusagen ein Mann mit guten Beziehungen und der noch besseren Einsicht, daß man mit den besten Beziehungen genauso gut verhungern kann wie ohne.

Übrigens ist Philip Modefotograf, ein immer bekannterer sogar, und im Augenblick hat er den Schlaf sehr nötig. Denn hinter ihm liegen die anstrengendsten Wochen eines Halbjahres: das Fotografieren der Herbst- und Winterkollektionen der Haute Couture und der Textilfirmen. Das hieß: sechsunddreißig Stunden Arbeit pro Tag.

Zuviel Kaffee und Zigaretten.

Ärger mit der Konkurrenz und den Moderedakteurinnen und seinem steifbeinigen Fotomodell Valentine (das bin ich).

Zu hoher Blutdruck.

Hetztouren nach Westdeutschland.

Als Ruhepol dazwischen ein kriegsinvalides Zuhause, in dem stündlich etwas Überraschendes geschieht:

Der Hund Dickie erstickt um ein Haar im Misthaufen.

Hausdrache Anna Krieger erhält eine Beleidigungsklage von Bäcker Przstulla. (Wir müssen unsere Semmeln jetzt drei Straßen weiter einkaufen.)

Spaniel Boogie buddelt sich in den angrenzenden Garten durch und pinkelt die Tomaten des Nachbarn an. Im Wiederholungsfälle soll Boogie erschossen werden, drohte der Nachbar.

Die Tigerkatze Emma hat sich in der vergangenen Mondscheinsaison mit dem schwarzen Mulle von Bäcker Przstulla eingelassen und verwechselt unser elegantes französisches Bett mit dem Kreißsaal. Anna Krieger ersäuft die Brut bis auf ein rotgestreiftes Kätzchen, das keine Ähnlichkeit mit dem schwarzen Romeo Przstullas hat.

Sie meinen vielleicht, das seien keine Gründe zur Aufregung? Für uns sind es welche, denn wir nehmen unsere kleine, unordentliche, engbevölkerte Welt sehr ernst.

Neulich war der Reporter einer Berliner Abendzeitung hier. Er schrieb einen Artikel über uns, in dem er die Ruine als »Arche Marschall« bezeichnete, in der alles zu finden sei, was nicht aussterben dürfe: liebenswerte Menschen und Tiere.

Das war sehr schmeichelhaft für uns, hätte aber gewiß anders geklungen, wenn Philip ihm nicht einen Kognak angeboten und versprochen hätte, seine Flanellhose reinigen zu lassen, an der Boogie seine Teerpfoten abgewischt hatte.

Anna Krieger hat sich den Artikel ausgeschnitten und trägt ihn ständig bei sich, um ihn all denen zu zeigen, die behaupten, sie wäre von einem liebenswerten Menschen so weit entfernt wie ein Rabenaas von einem Rotkehlchen.

***

Philip schläft noch immer. Eben hat er sehr höflich und halblaut im Traum »Wie bitte?« gefragt und sich dann auf die Seite gerollt. Ich gehe auf Zehenspitzen ins Haus.

Im Kaminzimmer blinzelt mich Boogie schläfrig durch das Gitter des zwar schäbigen, aber doch formschönen Windsorsessels an. Auf dem Schreibtisch liegt die Katze Emma und duftet nach Bückling. Und im Schlafzimmer treffe ich Eliza Doolittle und ihre Schwester Demoiselle. An den beiden ist noch alles weich und rund mit drei blanken Schuhknöpfen da, wo einmal Augen und Schnauze sitzen werden.

Eliza hat sich auf meiner frisch gebügelten Wäsche zusammengerollt, und Sellchen pustet friedlich in dem geöffneten Koffer, der auf dem Fußboden steht.

Und da fällt mir ein, daß ich Ihnen noch schnell die Geschichte unserer drei Jüngsten erzählen muß, die Geschichte von Eliza Doolittle, Demoiselle und ihrem verfressenen Bruder Dickie.

Philips treuester Kumpan und ständiger Reisebegleiter war der rote Spaniel Butler. Ein feiner, kluger, tapferer, schöner, unbestechlicher Hund. Seit seinem Tode sogar der klügste, feinste, schönste, tapferste Hund, den es jemals gegeben hat (fragen Sie Philip!).

Ehe Butler in diesem Frühjahr unter den Rädern eines Autos endete, betätigte er sich noch einmal als Bräutigam. Er hat seine Babys nicht mehr erlebt, und wir wollten sie anfangs auch nicht sehen. Philip wollte überhaupt keinen Hund mehr sehen – auch seine Anette und meinen Boogie nicht, dabei konnten die beiden doch nichts dafür, daß er sie nicht so liebte wie seinen Butler!

Und dann kam unsere Hochzeit, der bedeutende Tag, an dem ich Frau Marschall wurde. Und mit der Hochzeit auch die Frage: Was schenke ich Philip? Es sollte etwas ganz Besonderes sein. Etwas Beziehungsreiches. Gewiß, er wollte keinen Hund mehr, aber so ein winzigkleiner, hilfloser Butlerableger –?!

Er sollte nach der Trauung in die Ruine gebracht werden. Heimlich natürlich. In einem königsblauen Hutkarton mit weißen Sternchen.

Es war eine sinnige Idee. Aber leider hatte ich sie nicht allein. Philip beschloß ebenfalls, mir eins von Butlers Kindern zu schenken, und meine Schwiegermutter Elisabeth Marschall, die wir Lieschen nennen, beschloß – eben. Im Allgemeinen gelingt es uns nicht, ein Geschenk bis zu seinem Bestimmungstage geheimzuhalten. Diesmal gelang es. Leider.

So kam es, daß in dem Augenblick, als wir, von der Trauung kommend, von links in die Stendhal-Straße einbogen, von rechts ein klappriger Tempowagen heranratterte und statt einer gleich drei Hutschachteln vor Nr. 7 ablud. Darin hockten unsere verängstigten Hochzeitsüberraschungen. Sie waren ganz benommen von der Schuckelei im Auto und heilfroh, als ich sie aus ihrer königsblauen Geschenkverpackung schälte.

Keinem von uns hatte der Schreck die Stimme belassen, nur Hans Fichte, unser ehrenamtlicher Tierarzt, Trauzeuge und Philips bester Freund seit der Schulzeit. Hänschen seufzte: »Au fein, jetzt habe ich noch drei Patienten mehr, die ich umsonst behandeln darf.«

Philip beschloß, am nächsten Sonntag eine Verkaufsannonce unter der Rubrik »Tiermarkt« in die Zeitung zu setzen, denn alle drei Butlerkinder wollten wir auf keinen Fall behalten. Nur wußten wir nicht, welches wir abgeben sollten. Von meinem Geschenk Dickie wollte Phil sich aus Zartgefühl nicht trennen. Lieschen hätte ihm nie verziehen, wenn er ihr Präsent – Demoiselle – verkauft hätte. Ich wiederum bestand darauf, Eliza Doolittle, die Phil für mich ausgesucht hatte, zu behalten.

Somit wandelten die drei – »aber vorläufig, Tine!« sagte Philip ausdrücklich – in den Zwinger zu Boogie und Anette.

Das war vor einem Monat. Seitdem beißt und quietscht sich die Hundejugend durch die Ruine, ziept Boogie, stiehlt Anettes Fressen, und einzig dem Hahn Gustav, der mit seinen fünfzehn Hennen den Hof beherrscht, gelang es bisher, den Babys Respekt einzuhacken.

Jetzt kennen Sie alle Bewohner der Ruine – abgesehen von den Spinnen, Mäusen, Mücken, Ameisen und vor allem den Igeln, die meine vierbeinige Sonntagsschule laufend mit Flöhen versorgen.

Ach ja, etwas habe ich noch vergessen: mich selbst. Ich heiße Valentine, und das verzeihe ich meinen Eltern nie. Valentine heißt man ganz einfach nicht, und wenn, dann nur ab sechzig. Der Name riecht nach Baldrian, Naphthalin und Bärentraubenblättertee – aber wehre sich einer gegen den Geschmack seiner Eltern, wenn er gerade einen Tag alt ist und noch bedeutend größere Sorgen hat als einen Namen! Außerdem hätte mir mein Protest wenig genützt. Ich hatte nie viel zu sagen in meinem bisherigen Leben. Auch in der Ruine nicht. Zu sagen haben mein Mann Philip Marschall und Drache Anna Krieger.

Vor ein paar Tagen machte ich den schüchternen Versuch, das Kaminzimmer umzuräumen, doch Anna schob die Möbel mit so endgültiger Energie an ihren alten Platz zurück, daß ich vorerst keine neue Änderung wage.

Und all die schönen Vergrößerungen (auf Hochglanzpapier!) von unseren Hochzeitsbildern sammelte Philip mit entsetzter Miene von Kaminsims und Schreibtisch ein – mit dem Vermerk: »Die

darfst du meinetwegen aufstellen, wenn Vertikos wieder in Mode sind, Tine Schmidt aus Klein-Toppel.«

Valentine Schmidt aus Klein-Toppel, so hieß ich vor meiner Heirat mit dem feinen Haus Marschall, und so werde ich von Zeit zu Zeit genannt, wenn ich etwas Eigenmächtiges unternehme, das dem kultivierten Geschmack meines Mannes widerspricht.

Nebenbei gesagt, war Klein-Toppel ein achtbares, kleines Gut, und wenn wir es behalten hätten, wäre ich eine Partie mit Kühen, 4 Pferden, Landbesitz und kompletter Aussteuer gewesen.

Sehen Sie, jetzt sind Sie ganz verwirrt von all den Namen, die Ihnen noch gar nichts sagen, und darum wiederhole ich schnell noch mal: Philip Marschall ist mein Mann und Held, Valentine Marschall, geb. Schmidt, das bin ich, Anna Krieger ist unser unentbehrlicher Hausdrachen, Anette, Boogie, Dickie, Eliza Doolittle und Demoiselle sind unsere Spaniels, Hans Fichte ist unser Onkel Doktor med. vet. und herzhafter Freund, Gustav unser Hahn, Emma unsere Katze mit dem losen Lebenswandel und Krischan Füerhoak unser Sommergast.

… und jetzt muß ich die Koffer packen. Denn morgen fahren Philip und ich an die See. Es ist unsere erste gemeinsame Reise, auf der ausschließlich fürs Familienalbum fotografiert wird und nicht für Modefirmen. Sie glauben gar nicht, wie sehr ich mich darauf freue.

1. richtiges Kapitel

Seit einer halben Stunde geht Philip die stille Seitenstraße an der Eilenriede auf und ab und auf und …

Seine ein wenig abfallende Schulterlinie ist zwar modisch, drückt aber vor allem Verlassenheit aus, und im Augenblick trägt sein Gesicht einen »Schadet-mir-gar-nichts-Ausdruck«. Man hat ihn mit der fetten Hündin Antje auf die Straße geschickt, denn oben stört er.

Oben, das heißt im vierten Stock des trübe verputzten Mietshauses, vor dem unser bis zum Bauch verstaubter Wagen parkt, residiert seine Mutter Elisabeth. Lieschen Marschall ist eine zierliche, kapriziöse Dame, der man jede Extravaganz zugetraut hätte, nur nicht den barocken, schwerknochigen Philip als Sohn.

Sie sieht aus wie ein Porträt von Latour – weißes Haar, lebhafte, nußbraune Augen, viel Pastelltöne im Gesicht und dazu ein lavendelfarbenes Kleid mit rosa Wickensträußchen. Aber noch jugendlicher darf sie jetzt nicht mehr werden, hat Philip gesagt.

Unsere hannoversche Bleibe ist die erste und unbedachte Station auf der Reise an die Nordsee. Heute mittag sind wir angekommen, und Lieschen versprach uns hoch und heilig, daß wir ganz »entre nous« sein würden.

Zuerst waren wir es auch wirklich.

Ich sagte ihr viele aufregende Komplimente, die sie gern schluckte, und nach dem Essen wollte ich gleich abwaschen. Sonst bin ich weniger eifrig, aber fast neue Schwiegertöchter kehren eben besser.

Und dann klingelte es zum erstenmal. Eine Frau Schnetzer kam zufällig, aber wirklich nur rein zufällig vorbei, und wenn sie gewußt hätte, daß die liebe Elisabeth so lieben Besuch hat, wäre sie natürlich nicht gekommen.

Philip bedachte sie mit einem mißmutigen Gesicht, worauf ihm Lieschen so mahnend in die Wade trat, daß ich, die neben ihm stand, von dem Stoß noch was zu spüren bekam.

Frau Schnetzer sagte zu mir: »Ich hoffe, mein liebes Kind, daß Sie dafür sorgen werden, daß meine liebe Elisabeth jetzt öfter nach Berlin eingeladen wird. Schließlich gehört das Haus, in dem Sie wohnen, ja noch zur Hälfte ihr.«

(Ich wollte nicht fragen, welche Hälfte der Ruine sie meinte, die angeschlagene oder die total kaputt gebombte.)

Lieschen legte den Arm um mich: »Das wird Valentine schon tun«, und dabei lächelte sie (laut Philip) so »verdammt harmlos«.

Im ganzen kamen acht beste Freundinnen von ihr »rein zufällig« vorbei. Elisabeth hatte sie heimlich eingeladen, damit sie mich kennenlernen sollten, und ich fand’s ganz nett, den Mittelpunkt der Gesellschaft – sozusagen die preisgekrönte Gans – zu bilden.

Bloß mein Philip… Er saß im Schatten der Nichtbeachtung und kaute an seinem Ärger. Und mußte sich die Ratschläge anhören, die man mir über die Behandlung eines Ehemannes mit Mucken und einer reizenden, liebenswerten Schwiegermutter erteilte.

»Wir sprechen aus Erfahrung, liebe Frau Valentine, aus bittersüßer Erfahrung!«

Ab und zu sah ich Philip auf den Herrn blicken, der elegant und schwermütig aus dem breiten Silberrahmen auf Lieschens Barockkommode lächelte.

Der Herr soll einmal gesagt haben: »Eine Frau ist ein Geschöpf, wert der männlichen Rippe, aus der sie erschaffen wurde. Wenn man aber bedenkt, daß die Freundinnen dieser Frau ihre Abstammung auf die gleiche Rippe zurückführen…« Der Herr sprach aus Erfahrung, aus bittersüßer Erfahrung. Er war Philips Vater.

Als Lieschen und ich zum drittenmal Kaffee trichterten und neuen Kuchen aufschnitten, spürte uns Philip in der Küche auf.

»Du hast sie alle eingeladen, Elisabeth!« grollte er. »Du hast fest versprochen, wir würden ganz entre nous sein. Jetzt sind wir entre demi de Hannover.«

»Demi?« Lieschen legte erschrocken die Hände an die Ohren. »Wenn schon, dann sag lieber ›halb Hannover‹ obgleich es reichlich übertrieben ist. Aber demi! Das klingt unfein.«

Darauf warf Philip seine überlegene Ruhe ab und sagte eine ganze Menge zwischen den Zähnen, wovon nur der schreckliche Ausdruck »Alte Tunten« in Lieschens Ohr haften blieb. Dieser veranlaßte sie, Philip mit ihrer verfutterten Hündin Antje (einer Schwester von Anette) auf die Straße zu schicken, um mögliches Unheil zu verhüten.

Er tat mir so leid, und Lieschen tat mir auch leid. Es lag ihr alles daran, daß ihre Freundinnen nach diesem Besuch »Nein, was hat die liebe Elisabeth für reizende Kinder!« rufen sollten, und darum rannte ich nicht gleich dem schmollenden Philip hinterher, sondern spielte noch eine halbe Stunde – wenn auch etwas abgelenkt – die reizende Schwiegertochter.

Und dabei muß ich immerzu an meinen Mann denken, der groß, kräftig, angenehm zu betrachten, aber unerfreulich zu analysieren – zumindest sein augenblicklicher Gemütszustand – über das graue Pflaster trabt.

Sicher fühlt er sich verraten und verkauft. Sicher sehnt er sich nach seinem leichtfertig aufgegebenen Junggesellenleben zurück, zu dem der unermüdliche Hans Fichte gehörte, Anna Krieger und vor allem Butler, sein wundervoller Hund. Elisabeths Vorwürfe und Beanstandungen mußten vor dieser starken Festung der Freiheit kapitulieren.

»Entschuldigen Sie mich, bitte«, sage ich endlich und laufe an Lieschens fragenden Augen vorbei zur Wohnungstür, vier Treppen tief aus dem kühlen Hausflur in die warme, ein wenig dumpfe Abendluft.

Und ich finde, was ich befürchtet habe: einen ruhelos auf und ab tigernden Philip mit dem Schadet-mir-gar-nichts-warum-hab-ich-mich-einfangen-lassen-Ausdruck im Gesicht. Zwei Schritte hinter ihm trottet die fette Antje.

»Phil!« Ich bin atemlos vom Laufen und kann zuerst nicht mehr sagen, nur versuchen, seine Bittermiene fortzustreicheln. Er will noch nicht gleich versöhnt sein, das spüre ich an seiner zurückhaltenden Steifheit. Aber dann ist da endlich eine unentschlossene Hand an meinem Ellbogen.

»Tinchen?«

»Ich bin denen oben entwischt!«

»So.«

»Und ich verspreche dir, daß ich mir niemals Freundinnen zulegen werde, die gute Ratschläge geben, sondern nur Freunde, die nicht hetzen.«

Wir gehen langsam auf das Haus zu, in dem Lieschen wohnt.

»Weißt du, Tin«, sagt Philip. »Es ist nicht unbedingt nötig, daß du dir Freunde zulegst.«

***

Zu beiden Seiten der Straße wechseln Felder mit Wiesen, rotbunte Kühe mit schwarzweißen. Ein Fohlen schmiegt seinen Kopf zwischen die hölzerne Koppelumzäunung.

Und dann ein Dorf. Es heißt »Esso« oder »Leibnizkeks« wie das vorige, seinen amtlichen Namen verrät es auf keinem Schild.

Zwischen dem dunkelgrünen Laub der Hortensienbüsche in den kleinen Vorgärten taucht ein flachsblonder Jungenkopf auf, und gleich muß ich an das zukünftige Kinderzimmer in der Ruine denken. Es wird im ersten Stock liegen, Südseite nach vom hinaus. An die Fenster kommen blaue Leinenvorhänge mit breiten, bunten Bauernborten. Die Möbel streiche ich kornblumenblau und …

»Tine Marschall«, sagt Philip, »deine Miene ist von hundert Gedanken ganz zerzaust. Du hast doch nicht etwa die Ruine mit auf die Reise genommen?«

»Bloß das zukünftige Kinderzimmer. Was hältst du davon, wenn ich seine Möbel blau streiche?«

»Blau ist immer gut, aber ich meine, du solltest dir lieber die Landschaft angucken, statt noch nicht vorhandene Rinderzimmer für einen noch nicht vorhandenen Sohn einzurichten.«

»Ja«, sage ich folgsam.

Es wird schwierig mit den vielen Tieren, wenn Philip II. eines Tages ankommt. Ich werde mich dann weniger um sie kümmern können. Es ist überhaupt nicht ganz leicht mit unserer Sonntagsschule. Ich bitte Sie: fünf Hunde, eine Katze, sechzehn Stück Federvieh, das sind zweiundzwanzig immer hungrige Mägen. Und dann die Arbeit in der Ruine. Anna kann das gar nicht allein schaffen!

»Vorigen Sommer war die Nordsee bis Kapstadt zugefroren«, sagt Philip.

»Ach – «

»Bei Ebbe schmolz das Eis, und bei Flut fror es wieder zu kleinen Buckeln über den Wellen, das sah sehr komisch aus.«

»So.« Ich sehe Philip mißtrauisch von der Seite an. »Hast du da eben nicht was ziemlich Blödes gesagt?«

»Ich sagte, wenn du noch einmal, nur ein einziges Mal, an Kinderzimmermöbelfarben oder an unseren Viehbestand denkst, steige ich aus und fahre mit dem Zug weiter. Das soll eine ernste Drohung sein.«

Ich berücksichtigte sie nicht.

»Ich hätte jetzt nicht fortfahren dürfen, Phil. Ich denke immerzu daran, wie falsch es war, gerade jetzt fortzufahren, wo die Babys noch so klein und dumm sind. Und Anna kann mit ihren Gichtknochen nicht alles schaffen. Ich habe ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen.«

»Valentin!« sagt er mahnend, aber ich bin gerade so schön im Jammern drin.

»Du mußt mich verstehen, Phil. Mir ist wie einem Gärtner zumute, der seinen frisch gepflanzten Garten verläßt, ohne zu wissen, ob er auch pünktlich gegossen wird.«

Ich fliege gegen die Windschutzscheibe, so schroff bremst er den Wagen, greift hinter sich in den Fond, zieht seinen Mantel an einem Ärmel und einen international verklebten Koffer hervor und steigt aus.

»Wo willst du hin?«

»Allein weiterfahren, damit du zurück kannst, deine Pflänzchen begießen!« Er ist ernsthaft böse.

»Du bist verrückt, Philip Marschall«, sagte ich.

Er hat seinen Mantel über die Schulter geschlagen, den Koffergriff eine Spur zu forsch umspannt und geht über den Damm in eine Seitenstraße hinein.

Zu dumm, daß wir uns gerade in Itzehoe streiten mußten.

Auf der weiten Landstraße hätte er gewiß nicht soviel Konsequenz aufgebracht.

»Phiiilippppp!«

Jetzt ist eine undurchsichtige Mauerecke zwischen uns, und ich rutsche seufzend ans Steuer durch. Ich begreife vollkommen, daß Phil ausgestiegen ist – schließlich war er das seiner männlichen Konsequenz schuldig, nachdem er mir zuvor damit gedroht hatte. Aber mußte er gleich so weit gehen? Spätestens nach zwanzig Schritten hätte ihm einfallen können, daß er seine Handschuhe im Wagen vergaß, selbst wenn er sie in seiner Manteltasche weiß.

Ob wir nun böse sind?

Ob unsere Ferienreise bereits in Itzehoe ihr dramatisches Ende gefunden hat?

Nein, eigentlich nur meine übertriebene Sorge um die Ruine und das Interesse an Kinderzimmereinrichtungen.

Auf einmal habe ich große Sehnsucht nach Sonne, Wind, schöner nasser Nordsee und vor allem danach, endlich einmal ganz allein mit Phil zu sein.

***

Husum – die graue Stadt am Meer, vom Zauber des Sommers vergessen.

In anderen Städten atmen die Häuser im goldenen Abendlicht. Sie dehnen sich gemütlich und blinken mit ihren Glasaugen. In Husum prallen alle poetischen Vergleiche an den verschlossenen Hausfronten ab. Hier möchte ich nicht sein, wenn ich Liebeskummer habe. Hier nähme ich alles furchtbar ernst.

Im Hotel erfahre ich, wann der Personenzug aus Itzehoe ankommt, und fahre Philips Wagen – ohne ein Huhn oder ein Kind zu überfahren – zum Bahnhof.

Vor vierzehn Tagen habe ich meinen Führerschein mit mehr Glück als Können gemacht, und Phil behauptet, ich krampfe mich noch ums Steuer wie um einen Rettungsring. Das ist natürlich übertrieben.

Auf keinen Fall werde ich ihm erzählen, daß ich auf der Herfahrt vor einer heckenumwachsenen Kurve ausgestiegen und vorgegangen bin, um zu prüfen, ob von der anderen Seite auch keine Gefahr anraste. Es kam aber nur ein beladener Heuwagen, den ich fast kaum rammte.

Der Zug schnauft in den Bahnhof ein und hält mit quietschendem Ruck. Neben mir schießt eine stinkende Dampfwolke aus der Lokomotive und wikkelt mich sekundenlang ein.

Ich laufe an den Abteilen entlang, stolpere über Koffer und über Kinder, die »Liebe Oma! Liebe Oma!« rufen, bringe eine ganze Familie mit einem Anrempler ins Wanken … Aber nirgends mein Philip.

Wenn er nun mit einem anderen Zug gefahren ist, zum Beispiel nach Hamburg zurück und von da nach Hannover zu Lieschen, und petzt, was er für eine mißratene Frau geheiratet hat!

Mir ist so schlecht plötzlich. Ich möchte meinen Philip, bitte. Ich möchte mit ihm in der Sonne liegen. Die Ruine ist mir Wurst.

Selbst, wenn ich sämtliche belebten Großstadtstraßen und Kreuzungen vermeide, bringe ich seinen Wagen niemals unverbufft nach Hause.

Phil! Ich möchte vor Verlassenheit heulen – wie Boogie, wenn man ihn angebunden am Gemüseladen vergißt. Und Geld hab ich auch keins, bloß sieben Mark zwanzig. Wenn ich gewußt hätte, daß er nicht kommt, hätte ich niemals einen Kaffee und zwei Stück Torte vorhin gekauft!

»Hallo, Tinchen!« sagt er plötzlich hinter mir.

Ich schieße herum und lese aus seinem satten Grinsen, daß er sich schon eine Weile an meiner wachsenden Ruhelosigkeit delektiert haben muß.

»Hallo, Pfllipf!«

»Auch mal in Husum?«

»Tschä. Muß doch die Stadt zu dem Gedicht kennenlernen, wo ich so gerne mag. Aber hauptsächlich bin ich gekommen, um dir zu sagen, daß ich nun doch beschlossen habe, die Stühlchen fürs Kinderzimmer nicht alle blau, sondern in einer anderen Farbe zu streichen.«

Er küßt mich auf die Nase, und ich bin erstaunt, wie schnell doch der Mensch aus tiefer heulbereiter Ratlosigkeit zu seiner alten »Frohnatur« zurückfinden kann.

Wir gehen zur Sperre. Es dauert eine Weile, bis Philip seine Fahrkarte in der vierten Tasche gefunden hat.

»Übrigens, morgen ist Markt in Husum«, sage ich.

»Na und?« Er guckt mich verständnislos an.

»Ich dachte, es würde dich freuen, zu wissen, daß morgen Markt in …«

»Oh, Tine Toppeischmidt«, stöhnt er in meine Rede, »wer hat dich bloß erfunden!«

Vor dem Bahnhof wartet unser Wagen. »Hei levet noch!« sage ich stolz zu Phil, der seinen Koffer hineinhebt, und: »Was werden sich meine Kleider freuen, daß sie jetzt wieder Auto fahren dürfen.«

»Wieso?«

»Die sind nämlich in dem Koffer, den du mithattest.«

»Im Zug saß mir eine junge Friesin gegenüber«, erzählt Philip, als wir nach dem Abendessen zum Hafen hinuntergehen. »Rötlichblond, hochgewachsen und von jener nordischen Klassik, die wir im Geschichtsunterricht, Abteilung Rassenforschung, als Idealtypus hassen lernten.«

»Ja?«

»Sie hat den Geschichtsunterricht und den Kult, der mit ihrem Aussehen getrieben wurde, stolz, friesischblond und ziemlich ahnungslos überlebt.« Und dann sagt er endlich, was ich so gern hören möchte. »Im Grunde war mir die Frau ganz schnuppe. Wichtig war nur, ob du in Husum auf dem Bahnhof auf mich warten würdest. Habe mir Vorwürfe gemacht. Du fährst doch so schußlig Auto.«

»Och, laß man«, sage ich, »es ging ganz gut.«

Wir stehen eine schweigende Weile am Hafen. Die Ewer werden zu starren Silhouetten vor dem bleichen Himmel. Auf dem Mastbaum eines Segelbootes sind Möwen in Reih und Glied schlafen gegangen. Irgendwo dahinten ist das Meer. Es ist nah, aber man kann es nicht sehen, nur riechen.

Morgen früh fahren wir von hier aus auf die Hallig.

»Phil –«

»Hmhm?«

»Ich weiß ein Gedicht über diese Stadt, von Storm. Darf ich’s aufsagen?«

Er nickt, und weil ich ein bißchen verlegen bin, spreche ich es ganz leise:

»Am grauen Strand, am grauen Meer und seitab liegt die Stadt.

Der Nebel drückt die Dächer schwer, und durch die Stille braust das Meer eintönig um die Stadt.

Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai kein Vogel ohn’ Unterlaß; die Wandergans mit hartem Schrei nur fliegt in Herbstesnacht vorbei, am Strande weht das Gras.«

»Schön«, sagt Phil und schiebt seine Hand unter meinen Arm.

Es hat noch eine Strophe, aber ich glaube, Philip hat jetzt genug Gedicht gehört, und darum behalte ich es für mich.

Wir gehen langsam zum Hotel zurück.

»Weißt du, Tin«, sagt er nach einer Weile, »man kann nicht mit jedem auf eine Hallig fahren. Als ich damals mit Hänschen Fichte auf Hooge war, äußerte er was ganz Vernünftiges. Er sagte: In Italien sitzt man am liebsten Arm um Schulter, am Rhein Arm in Arm, aber auf einer Hallig muß man sich an der Hand halten können. Eigentlich schade, Phips, daß du keine Frau bist, sagte er.«

***

Das einzige, was ich von den nordfriesischen Halligen aus der Geographiestunde noch weiß: Sie sind winzige rosa Flecken im hellblau getuschten Wattenmeer der Nordsee und liegen oben links auf der Deutschlandkarte, kurz vor dem schwarzen Querstrich, hinter dem in Hellgrün Dänemark beginnt.

Auf so einem rosa Flecken liegen wir jetzt. Der Himmel darüber ist endlos weit und hoch und bedeutend. Man hört nichts als das klagende Schreien der Möwen, eifrige Bienen über dem Klee und das rauschende Ausatmen der Brandung.

Der starke Wind jagt mächtige Wolkentiere vor sich her.

Aus dem flachen Stückchen grünen Marschlandes, das bei Sturmflut vom Meer verschluckt wird, heben sich auf Erdbuckeln ängstlich aneinandergedrängte Gehöfte, die Warften.

Kein Auto, keine Leuchtreklamen, kein Kino, keine mißtrauischen Gitter vor den Fenstern.

Unser Publikum klackst, blökt, kreischt, und man muß hier geboren sein oder, wie Hänschen ganz richtig sagte, sich an der Hand halten können, um die »lausige Weltvergessenheit einer Hallig« als das zu bezeichnen, was sie in Wirklichkeit ist: endlose, tiefe, beruhigende Einsamkeit.

Und wenn meine Schwiegermutter Lieschen noch einmal abfällig behauptet, die Halligen lägen am Popo der Welt, dann werde ich ihr sagen, daß es dort zwar landschaftlich karg, aber wunderschön ist.

Philip räkelt sich neben mir im Klee. Gerade hat er festgestellt, daß das vor uns grasende Schaf im Profil seiner seligen Tante Rosenbaum ähnelt, und überlegt, ob die Tante Rosenbaum, als Schaf verwandelt …

Und jetzt lenkt ein Vogel mit weiten Schwingen unser Interesse von der möglichen Tante ab. Ich weise mit dem Zeh auf ihn.

»Was ist das für einer?«

»Ein Kormoran«, sagt Philip, aber genau weiß er es auch nicht.

»Schöner Name. Wenn ich einmal adelig werde, möchte ich so einen Wappenring haben, und wenn ich mit dem am Finger Lieschen und ihren Freundinnen Kaffee einschenke …«

Ich nehme mein Bein (es ist eigentlich sehr hübsch, lang und rötlichbraun wie ein Büchsenwürstchen) aus der duftenden Sonnenstille und lasse es über Philips warmen Rücken fallen. »Du hältst mich doch nicht etwa für albern?«

»Ih – wie könnte ich denn«, murmelt er faul.

»Küß mich.«

»Geht nicht, die Tante Rosenbaum guckt her.«

Ich springe auf und scheuche das Schaf. Es trabt schwankend und X-beinig meerwärts, bleibt stehen, wendet den wolligen Kopf und blökt eindeutig.

»Bitte, wie Sie meinen.«

Als ich zu Philip zurückgehe, spüre ich seinen zufrieden musternden Blick zwischen halbgeschlossenen Lidern.

Mein Schatten fällt über seinen langen, kräftigen Körper. Er streckt die Hand aus …

»Komm her, Valentin.«

… und hält ausnahmsweise einmal still, als ich mit dem Leberflecken auf seiner Schulter spiele.

»Weißt du, Phil, es ist ganz dumm, aber manchmal wache ich nachts davon auf, daß ich geträumt habe, wir hätten nicht uns, sondern aus Versehen jemand anders geheiratet. Und dann kann ich vor Schreck nicht mehr einschlafen.«

Seine Finger kämmen mein Haar gegen den Strich, aber so sanft, daß es nicht einmal ziept. (Ich erwähne das besonders, denn im allgemeinen geht er weniger schmerzlos mit ihm um.)

»Erzähl mal, Tinchen. Wie ist denn der Mann, den du nachts aus Versehen heiratest?«

»Du sollst mich nicht immer hochnehmen, Pfilipf, und nie mehr Tinchen zu mir sagen. Ich bin doch kein Kind.«

»Nein? Nein.«

»Ich bin eine sehr nette, hübsche, junge Frau, bitte. Habe ich eigentlich Sex-Appeal?«

Er richtet den Kopf ein wenig hoch und betrachtet mich der Länge nach, dann fällt er in den Klee zurück und sagt grinsend: »Hast du nicht. Aber ein bißchen vom gewissen Etwas.«

»Ist doch dasselbe.«

»Denkst du! Das gewisse Etwas ist nicht so laut und greifbar und viel feiner. Es ist älter als der Sex-Appeal und wird noch immer seine Gültigkeit haben, wenn man diesen längst totfotografiert und -geredet hat.«

»Aber das gewisse Etwas hängen sich Soldaten nicht in den Spind, bloß den Sex«, gebe ich zu bedenken.

Der ganze Philip schuckelt vor Lachen. »Möchtest du denn unbedingt im Spind hängen? Na, also. – Gehn wir schwimmen, Tinchen Toppeischmidt.«

Unter unseren Füßen knirschen angeschwemmte Muscheln. Ab und zu bücke ich mich nach besonders schönen Exemplaren und sammle sie in die Tasche meiner Badejacke.

»Was willst du mit dem Zeug?«

»Aufheben, bis es zerdrückt ist, die Reste in eine Schachtel sammeln, obenauf Hallig Hooge schreiben und das Ganze vor lauter Sentimentalität irgendwo im Wäscheschrank deponieren – am besten zwischen deinen Hemden, Pfilipf. Wenn es mir ganz, so ganz besonders schön hier gefällt, nehme ich noch etwas Seegras zur Erinnerung mit.«

»Und vielleicht einen Klacks Möwe?«

»Höchstens den von einem Kormoran, Liebster.«

Er wirft seinen Bademantel ab, pumpt die Brust voll Mut und schlittert den glitschigen Steindamm hinab ins Meer.

»Kalt?«

»Nö, gar nicht. Bloß – im ersten Augenblick.« Er taucht mit eindrucksvollen Wellenschlägen. »Es ist herrlich, Tin! Komm nur!«

Alle, die ihre Scheu vor der nassen, salzigen Kälte überwunden haben, finden sie herrlich – das heißt, sie finden ihren eigenen Mut herrlich.

Ich sehe Strandkrabben auf der grünumspülten Inselbefestigung. Wenn mein Schatten auf sie fällt, huschen sie in die Steinspalten, aber das besagt noch lange nicht, daß sie nicht gerade in dem Moment, da ich meine wehrlosen Zehen auf die glitschigen Steine setze, wieder hervorkommen und ein bißchen zukneifen…

Im Westen hat die untergehende Sonne den Himmel näher gebracht. In ihrem Orangenlicht wirkt die Hallig lieblicher, sanfter und vielleicht noch einsamer. Langsam und silhouettenhaft zerschneidet ein Radler die Insel von der Backenwarft zur kleinen Kirche. Ich bin auf einmal sehr froh. Frieden, Philip, Sonne, Philip, Meer, Phil, Sorglosigkeit, Phil und immer wieder Phil. So ganz wie jetzt habe ich ihn noch nie besessen.

Es kann nicht anhalten, und es wird vielleicht nie wiederkommen. Ich werde noch ein paar Andenken mehr mitnehmen, zum Beispiel echten, vierblättrigen Halligklee.

Phil, der gerade mit Anlauf die Insel nimmt, findet, daß es aussieht, als ob ich die Wiese lause. Er läßt sich über mich fallen, und ich wehre kreischend die perlende Nässe seines Körpers ab.

»Zimperliese«, sagt er verächtlich und: »Du bist eine Attrappe, Tine Toppeischmidt. Siehst aus wie eine moderne Diana, und dabei bist du wasserscheu !«

»Diana ist noch immer die Schutzgöttin der Jagd, und Jäger waschen sich aus Prinzip nicht gern, also!«

»Du siehst mutig aus«, fährt er unbeirrt, seine Beine rubbelnd, fort, »und dabei nimmst du vor jeder niedlichen Strandkrabbe Reißaus.«

Und jetzt erst bemerke ich sein enttäuschtes Gesicht. O weh, da habe ich doch eine Gelegenheit verpaßt, geliebt zu werden! Aber warum hat er auch so anstrengende Ideale.

Ich springe auf, scheuche alle Angstvorstellungen an Tiere mit krabbeligen Beinen oder scheußlichen Saugnäpfen hinter mich …

»Wo willst du hin?« ruft Philip verwundert.

»Ich will« – jetzt stippt die eiskalte Nordsee an meinen Magen – »ich will – dir – imponieren!«

***

Um uns ist nichts mehr als graue, lebhafte See, und darüber sind tiefhängende Wolken mit dunklen Regenfransen. Neben mir auf dem Bug des Motorbootes flattert der Seehundjäger, schraubt sich die bewegte Unendlichkeit näher in den Feldstecher und tippt mir auf die Schulter.

»Da.«

Zu beiden Seiten des Priels sind flache Sandbänke aus dem Meer getaucht mit länglichen, schwarzen Flecken darauf, die wie gestrandete Boote aussehen. Seehunde.

Ich stolpere in die Kajüte hinunter, in der Philip gerade das Gewehr lädt und mit weltmännisch gezügeltem Jagdfieber unsere Milchschokolade ißt.

»Opfer in Sicht!« schreie ich. »Mindestens dreißig Stück!«

»Lot av, min Deem, lot av«, sagt er väterlich und platt.

»Aber zehn sind’s bestimmt.«

Das Tuckern des Motors verstummt, das Boot macht mehrere stürmische Verbeugungen, und ich spüre erbleichend, wie sich mein Magen sekundenlang an sich selbst festhält.

Philip lehnt an der Kajütenwand und tut so, als ob ihm das Schlingern gar nichts ausmacht.

»Ist dir nicht ganz extra, Tinchen?« fragt er freundlich. (Immer diese männliche Überlegenheit!)

»Paß bloß auf, daß mein Anteil an der Schokolade in deinem Magen nicht in Stimmung kommt«, gebe ich giftig zurück und fliege – von höherer Macht geschleudert – an ihm vorbei in eine harte, teerduftende Ecke, und wenn Philip jetzt »Siehste!« sagt, dann …

Aber er verkneift es sich.

Wir streifen Schuhe und Strümpfe ab, krempeln die Hosen bis über die Knie und erscheinen gerade in dem Augenblick an Deck, in dem die Seehunde – es sind übrigens nur sechs – laut planschend ins Wasser gleiten und seitlich aus der Szene schwimmen.

Gebückt schleichen wir die verlassene Sandbank an, voran der Seehundjäger mit einer langen Hakenstange, hinter ihm Philip, das Gewehr geschultert, und dann ich.

Aus meinen aufgerollten Hosen trieft die Nordsee.

Dort, wo die glatten, schweren Leiber der Seehunde längliche Spuren und auch anderes im Sande hinterlassen haben, legen wir uns bäuchlings auf die Lauer.

Eine Regenbö drischt über unsere Rücken.

Die Männer lassen sich kommentarlos aufweichen, und ich zügle mein Zähnegeklapper eingedenk der Drohungen, die mir früher als einzigem Mädchen bei männlichen Unternehmungen zuteil wurden: »Wenn de heulst, darfste nie wieder mit.«

In schußsicherer Entfernung treiben zwei blanke, kugelrunde Glatzen auf dem Meer.

Der Friese hat die Arme unter die Brust geschoben, die weißen Waden in der Luft gefaltet und schuckelt und robbt so seehündisch, daß ich, wenn ich ein Seehund wäre, ihm familiär mit der Flosse auf die Schulter klatschen würde.

Die eine Glatze fällt auch wirklich auf seinen Lockbetrug herein und gleitet, in kurzen Wellen auf und abschwingend, sehr, sehr langsam näher.

»Ich habe mal im Varieté einen Seehund gesehen, der jonglierte einen Ball auf der Nase. Niedlich war das.«

Ich hätte das wohl nicht sagen dürfen. Der Friese streift mich mit einem mitleidigen Blick, und Philip drückt die Backe mit bösem Nachdruck auf den Gewehrkolben.

Und plötzlich bin ich auch böse. Dieses blanke, runde Gesicht mit den sanftglotzenden Augen und dem Beamtenschnurrbart, das mich an den Hilfskassierer bei der Pasewalker Stadtsparkasse erinnert – (ich glaube, Neumann hieß er) –, soll sterben, damit sich mein Philip wie ein Pfundskerl vorkommt.

Anette, Boogie, Eliza sind ebenso Hund wie die Robbe Herr Neumann, nur mit dem Unterschied, daß sie statt Flößchen, Pfötchen geben. Wenn irgend jemand es wagen sollte, auf sie zu schießen –! Philip würde Mus aus ihm machen.

Herr Neumann gleitet immer näher.

»Schießen!« zischelt der Friese.

»Gott, ist der süß!« ruft es laut aus mir.

Ein Schuß peitscht ins Wasser. In der gleichen Minute ist der Seehund untergetaucht, und Philip schaut mich anklagend an.

»Dein dämliches Geschrei ist schuld.«

»Ja«, sage ich folgsam und nicht, daß er einen achtel Meter zu kurz gezielt hat.

Die Sonne hat sich zwischen die Wolkenbänke gedrängt und wärmt unsere klammen Glieder. Philip stochert in einer toten Qualle, die wie ein plattgedrückte Petroleumlampe aussieht, und rühmt sich vergangener Schüsse, um die Verfehlung von eben auszumerzen.

Ein Austernfischer läßt sich auf der Südspitze der Sandplatte, die von der steigenden Flut mehr und mehr eingespült wird, nieder.

Kleine Wellen schlängeln sich spielerisch an unsere aufgestützten Arme heran, und ganz plötzlich taucht ein schnauzbärtiger Herr Neumann vor uns aus der Nordsee.

Der Friese beginnt wieder mit dem Animierwedeln, und Philips Finger krümmt sich um den Abzug.

Liebes Seehundkind, türme! Sonst erschießt dich der Kerl an meiner Seite, dein Blut färbt das Wasser bläulichrot, der Friese zieht dich mit seinem langen Haken an Land, schneidet dich auf, und in ein paar Tagen fährst du als Balg, in Salz gepökelt und um dich selbst gerollt, mit uns nach Berlin, um Einholetasche oder sonst was zu werden, das es ebensogut in Stoff, Leder oder Stroh gibt.

Wir lägen günstig, sie bekämen von hier nicht unseren Wind, hat der Seehundjäger gerade in feinem Hochdeutsch gesagt.

Immer mehr Köpfe tauchen aus dem Meer. Drei – sechs – da schon wieder einer. Sie schwimmen gemächlich durcheinander – nach uns spähend.

Und jetzt packt mich auch das Jagdfieber. Ich habe mindestens 38,5.

Aber, aber das Gewissen! Wenn die Viecher doch richtig bissig wären. Wenn man doch auf sie wütend sein könnte. Wenn diese Jagd mit mehr als der einen Gefahr, von der Flut verschluckt zu werden, verbunden wäre!

Warum haben sie so sanfte Augen!

Philip ist starr vor Anspannung. Das erste Opfer schwimmt nah heran und – taucht aus der Schußrichtung.

Wir robben langsam vor der steigenden Flut auf die Mitte der Sandbank zurück. Die Seehunde folgen uns neugierig.

Aber dann passiert das Peinliche.

Dann wird mir plötzlich kreuzübel.

Und ein Wesen, das zwar robben, aber auch aufspringen, rennen und ins Meer kotzen kann, das erkennt selbst das dümmste Seehundbaby nicht als seinesgleichen an.

Als ich mich wieder aufrichte, ist weit und breit kein einziger Herr Neumann mehr zu sehen. Weder Philip noch der Friese hält es für nötig, sich nach dem Stand meiner Gesundheit zu erkundigen.

Der eine hat seinen Haken aufgenommen, der andere das Gewehr geschultert. »Weiber« denken sie jetzt verächtlich, und ich lasse den Kopf hängen.

Ich wollte ihre jagdlichen Unternehmungen diesmal bestimmt nicht stören. Was kann ich dafür, daß mir plötzlich so schlecht wurde!

Mitten in der Nacht werde ich wach. Das Zimmer ist hell vom Mondlicht. Durch das geöffnete Fenster zieht betäubender Kleeduft. Und ich habe einen wilden Appetit auf Ananas. Ausgerechnet auf Ananas.

Im Bett an der gegenüberliegenden Wand schläft Philip lautlos und kellertief. Ich wage nicht, ihn zu wecken.

Er ist noch immer nicht ganz ausgesöhnt mit mir – wegen der nicht geschossenen Seehunde. Und außerdem könnte er mir jetzt auch keine Ananas besorgen.

Ich setze mich im Bett auf. Es ist hellgrün gestrichen und billigste Serienfabrikation – genau wie Schrank und Waschtisch.

Als nach der Jahrhundertwende Bauernmöbel in Mode kamen, reisten die Antiquitätenhändler in die Dörfer und auch auf die Halligen. Für ein Spottgeld holten sie die schönen, steifen, handgeschnitzten Friesenmöbel aus den gekachelten Peseln und lieferten dafür diese Schleiflacktraurigkeiten.

Philip sagt, das sei eine Schande, und er sagt, es sei auch eine Schande gewesen, daß sein eigener Vater zu jener Zeit nicht ebenfalls auf die Halligen fuhr und Bauernmöbel kaufte.

Uuuuh, wenn man auf etwas so einen verzehrenden Appetit hat! Schrecklich ist das.

Das gegenüberliegende Bett knarrt, als Philip sich von der Wand zur Zimmerseite rollt.

»Kannst du nicht schlafen, Valentin?«

»Nein!«

»Was für einen anderen Mann hast du denn im Traum heiraten müssen?« erkundigt er sich gähnend.

»Keinen. Ich kann nicht schlafen, weil ich Ananas essen möchte.«

»Tine!« sagt er bloß.

»Aber wenn ich doch …«

Er starrt mich nicht besonders klug an. »Warum?«

Ich stehe auf und steige aus dem Fenster in die Nacht.

»Weiß nicht, Phil. Wenn der Uckermärker in die Großstadt heiratet, wird er eben exzentrisch.«

Ein Kätzchen huscht an mir vorbei den Warfthügel hinab und läßt sich durch das zärtliche Miezmiez nicht zurücklocken.

Vor mir breitet sich die schlafende Hallig aus. Die schmalen Rinnsale, die sie in lauter kleine Wiesenscheibchen zerschneiden, glitzern silbrig. Bewegungslos und schwarz heben sich die unförmigen Leiber der Kühe ab. Und die Stille – diese stemenglitzernde, endlose, duftende Stille!

»Tin!«

Phil steht im Pyjama hinter mir und faßt mich an den Schultern.

»Manche Frauen haben einen ausgefallenen Appetit, wenn sie ein Kind erwarten. Lieschen sagt, sie wollte in der Zeit immer Rollmops essen.«

»So?«

»Und heute vormittag auf der Jagd wurde dir ohne Grund schlecht!«

»Du bist ein kluger Mann«, sage ich.

Philip schwingt sich ins Zimmer zurück und kommt gleich darauf mit meinem Morgenrock und Pantoffeln zurück.

Ich lasse mich ohne Widerspruch anziehen. Zuerst den linken Schuh, dann den rechten. Als seine Hände den Mantel an meinem Hals schließen, sieht er mich mit einem Lächeln an.

»Sagst du jetzt nie mehr Tinchen zu mir?«

»Nie mehr.«

Er nimmt mich auf den Arm, setzt mich aufs Fensterbrett, die Füße halligwärts, und sich daneben.

Es ist eine Weile still zwischen uns.

Die Brandung rauscht, und auf der nächsten Warft bellt ein Hund.

Um mich ist Philips schützende Wärme. Er küßt mich zart auf den Nacken und ein bißchen intensiver auf jene Halsgrube, in der alle Zärtlichkeitsnerven zusammenlaufen…

… und dabei hat doch meine Mutter Auguste einmal gesagt, daß eine werdende Mutter aufhört, sich als Geliebte zu fühlen!?

***

Philip fliegt von Hamburg nach Paris, um die Herbst- und Winterkollektionen zu fotografieren.

»Uns« – meinen zukünftigen Sohn und mich setzt er in die Berliner Maschine.

»Am liebsten möchte ich euch eingeschrieben schicken«, sagt er beim Abschied, an meinem Jakkenaufschlag zupfend. Und dann sagt er noch: »Schreib Lieschen nichts von unseren Zuwachsaussichten. Sonst kommt sie postwendend nach Berlin, bleibt bis zur Taufe und macht dich mit guten Ratschlägen aus bittersüßer Kinderkriege-Erfahrung ganz konfus. Schließlich hat sie vor vierzig Jahren auch mal einen Sohn geboren.«

Die Zahl Vierzig jagt einen spürbaren Schauer durch seinen Körper. Sooo alt ist er schon und fühlt sich dabei taufrisch!

Und jetzt ist es Zeit zum Abschied. Zu einem wehmütigen. Ich nehme Abschied von meinem Geliebten. Der Mann, der aus Paris nach Berlin zurückkommen wird, ist vor allem Modefotograf und mit Auto und Gedanken ständig unterwegs.

»Ich dank dir, Phil, es war wunderschön.«

»Ja«, sagt er, »sehr. Wir fahren wieder einmal hin.«

Aber an dieses »wieder einmal« glauben wir beide nicht so recht.

Und dann sitze ich im Flugzeug.

Philip II., jetzt fliegen wir beide zum erstenmal!

Schade, daß du noch gar nichts davon hast. In drei, vier Jahren macht es dir bestimmt mehr Spaß. In drei, vier Jahren fahren wir alles, was es gibt – Auto, Kinderwagen, Bus, Schubkarre, Fahrstuhl im Warenhaus und Straßenbahn.

Was hast du denn!? Bekommt dir das Fliegen etwa nicht? Phipschen, nimm dich zusammen – wir können doch hier nicht, vor allen Leuten! Was sollen die denn von uns denken! Hilfe – eine Tüte!

Unser Nebenmann ist abgerückt.

Die Stewardeß bemüht sich rührend um mich.

Ich flüstere ihr zu: »Im allgemeinen macht mir das Fliegen gar nichts, aber wissen Sie – ich erwarte einen Jungen.«

Und danach ist sie noch netter zu mir. Ich glaube, ich habe sie in die Ruine eingeladen, aber genau weiß ich es nicht.

Bei der Landung in Berlin geht’s mir wieder gut. Ich winke ein Taxi heran, obgleich Philip mindestens siebenmal am Tag sagt, daß wir wegen des kostspieligen Ausbaus der Ruine »verdammt sparen« müßten.

Gerade hebt der Chauffeur meinen Koffer neben sich auf den Vordersitz, da schießt ein Motorrad um das Rasenstück vor dem Flugplatz und bremst scharf. Ich sehe ein rundes, rosiges Gesicht unter zerwehten, dünnen blonden Haaren und eine Hand, die aus der Brusttasche einen zerdrückten Wickenstrauß zieht: Dr. med. vet. Hans Fichte.

Und ich habe gar nicht gedacht, daß man sich über seinen zerzausten Anblick so sehr freuen kann.

»Tine!« Der Wickenstrauß wedelt durch die Luft.

»Kaum höre ich von Anna, wann du ankommst, flugs schwinge ich mich auf meine Fortbewegung und – schön siehst du aus. Berlin gefiel mir gar nicht ohne euch, vielen Dank für die Postkarten, habe sie zwanzigmal gelesen und euch beneidet.«

Ich kenne niemanden, der so viele verschiedene Dinge in so kurzer Zeit hervorschnurren kann wie Hänschen.

Er fährt hinter dem Taxi her und winkt, wenn ich mich umsehe. An den Straßenkreuzungen, an denen wir halten müssen, schiebt er seine Maschine neben mein Fenster. Und freut sich von einem Ohr zum anderen.

»Wie geht es Ruth?« frage ich ihn an der ersten Kreuzung.