Die oberste Direktive - Karlheinz Huber - E-Book

Die oberste Direktive E-Book

Karlheinz Huber

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Beschreibung

Das Streben nach Perfektion verbindet alle intelligenten Lebewesen. Auf dem Weg dahin müssen Herausforderungen gemeistert, sowie Überraschungen und Fehlschläge verdaut werden. Begleiten Sie die Protagonisten, die in 13 Geschichten nicht unterschiedlicher sein könnten, auf ihrem ganz persönlichen Weg durch die Weite der Galaxie. Phantasievoll, gespickt mit Humor, stellt sich am Schluss des Buches die Frage: Was wäre, wenn auch nur eine der Geschichten real wäre? PS: Leser der Galaxy-Ruler-Reihe werden auf ihre Kosten kommen.

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Vorwort

Die besondere Herausforderung beim Schreiben von Kurzgeschichten fasziniert mich immer wieder aufs Neue: Wenig Entwicklungspotenzial der Protagonisten, schnell auf den Punkt kommen und dabei den Spannungsbogen aufbauen, trotzdem verständlich bleiben - und ein unerwartetes Ende.

Genau das ist das Verführerische an dieser Erzählweise.

Ich hoffe, Ihnen gefällt, was Sie gleich lesen.

Viel Spaß!

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Der Berechtigte

Die Reformer

Das Paradies

Der Krieger

Perfektion

Der Gejagte

Friede und Freiheit

Der Zeitpfeil

Se Ami

Die Reise

Der Erste seiner Art

Der Novize

Nachwort

Der Berechtigte

„Und wieder ist ein Berechtigter aus unseren Reihen bereit, durch das Portal zu treten. Wird er zurückkommen? Oder wird es ihm wie den meisten seiner Vorgänger ergehen und wir werden ihn nie mehr wiedersehen? Wer weiß das schon? Ich jedenfalls nicht. Seht nur, wie er in die Menge winkt und dabei strahlt. In seinem Inneren sieht es definitiv ganz anders aus. Seine Gefühlswelt wird schwanken zwischen bloßer Angst und glorreicher Hoffnung.

Bleiben Sie dran, zum Showdown sind wir wieder zurück.“

Pauk stand in der hintersten Reihe des Übertragungsplatzes.

‚Gut, dass es nicht regnet‘, dachte er und schaute widerwillig auf das riesige Anzeigegerät. Die Liste der Zurückgekehrten flimmerte über die Leinwand.

Jeder hier auf dem Platz kannte sie auswendig. Alle Artefakte, die die Glücklichen mitbrachten, waren von unschätzbarem Wert. Ohne sie wäre die Technik auf dem Planeten lange nicht so weit entwickelt.

Das Rätsel des Portals blieb aber weiterhin unbeantwortet, trotz all der Hightech, die sie mittlerweile besaßen.

„He Pauk, bist du nicht bald an der Reihe?“, riss ihn die Stimme eines Kollegen aus seinen Gedanken.

Mühsam brachte er ein Lächeln zustande. Er mochte den Typ überhaupt nicht, aber Schwäche zu zeigen gehörte sich nicht in der Gesellschaft. ‚Gute Miene zum bösen Spiel‘, wie er es immer nannte. Natürlich nur in seinem Kopf.

„Meine Berechtigung werde ich wohl auf die nächste Generation übergeben. So alt kann ich gar nicht werden“, lachte er.

Jeder mit ein wenig Feingefühl, hörte den bösartigen Neid in den Schwingungen seiner übertragenen Worte. Mit dem typischen Abklatschgruß verabschiedete er sich und reihte sich in die Schlange der Zuckerwasserausgabe ein.

Pauk war wieder alleine, starrte mechanisch auf das Anzeigegerät und wurde von tausend Gedanken überflutet. Seine Gehirnhälften kamen sich dabei gegenseitig in die Quere. Ein Offenbarungserlebnis materialisierte sich, und auf einmal waren sich die Teile einig.

„Du wirst bald auf diesem Gerät für jeden sichtbar sein, denn du wirst durch das Portal schreiten. Doch wirst du zurückkehren? Oder, wo auch immer, elendig verrecken?“

Ein Schauer lief über seinen Körper. Alle Haare stellten sich aufrecht, und ein unangenehmes Kribbeln breitete sich in seinen Verdauungsorganen aus.

„Nicht jetzt“, fluchte er leise und hielt die Ausscheidungsöffnung krampfhaft geschlossen.

„Es ist soweit. Tragen wir unseren Helden durch das Portal und wünschen ihm Glück. Möge er zurückkehren und uns bessere Techniken mitbringen. Wie immer hat er das letzte Wort.“

Der Reporter reichte dem Berechtigten das Mikrofon.

„Ich freue mich, die Ehre zu haben und unser Volk mit etwas Neuem zu bereichern.

Möge das Glück auf meiner Seite sein“, stotterte er und taumelte vor das Portal. Pauk und alle Anwesenden hielten den Atem an. Die Uhr zählte rückwärts. Schweißperlen tropften von den Haaren des Berechtigten.

‚Werde ich auch schwitzen?‘, fragte sich Pauk, den Blick stur auf die Anzeige gerichtet.

Das Dabeisein war Pflicht, wegschauen strengstens verboten und wurde mit Kameras, die auf dem Platz verteilt waren, genau überprüft.

Seine Gedanken schweiften ab.

‚Warum ich?‘, dachte er.

Dann überflutete ihn die Geschichte des Portals: Eine Kinderhorte fand beim Spielen durch Zufall das Portal. Auf den ersten Blick ein einfacher Metallbogen, der - mit bunten glitzernden Ornamenten geschmückt - in einer dunklen Höhle stand. Eigentlich nichts Spektakuläres, außer, dass die Metalllegierung gänzlich unbekannt war. Wenn sich das Portal damals nicht zufällig in diesem Moment eingeschaltet hätte und eines der Kinder durch das Flimmern gerannt wäre, ja dann stände es wohl immer noch unentdeckt in der Höhle. Verwundert berichteten die Kinder, dass ihr Spielkamerad nicht wie üblich auf der anderen Seite wieder herauskam, sondern verschwand, genau wie das Flimmern. Die Techniker versuchten, das Portal in ein Labor zu schaffen.

Aber was sie auch probierten: es war zwecklos! So entschied der erste Herrscher, die Labore vor Ort zu bringen. Das Gebiet wurde abgeriegelt und ein Monument erschaffen. Es dauerte, bis sie die Methode des Portals verstanden.

Nur nach 77 Zeiteinheiten öffnete es sich für wenige Sekunden. Doch alles, was hindurch geschickt wurde, verschwand. Einer der Techniker meldete sich freiwillig, um als erstes Lebewesen durch das Portal zu schreiten. Mutig trat er durch das Flimmern und verschwand – für immer!

Das Projekt stand vor dem Scheitern, es gab keine Freiwilligen mehr. Der oberste Herrscher präsentierte die Lösung: Verurteilten Mördern wurde die Möglichkeit zur Rehabilitation angeboten. Alle 77 Zeiteinheiten trat ein Gefängnisinsasse mit gemischten Gefühlen durch das Portal. Keiner kam zurück, bis zum Tag der Wende. Noch heute wird dieser Tag als Feiertag geehrt.

Unglaublicherweise kam eine Person durch das Flimmern zurück! Seinen Bericht über eine andere Welt glaubte zunächst niemand. Bis er Beweise vorlegte.

Gänzlich unbekannte Geräte wurden in den Laboren untersucht, ihre Technologie entschlüsselt und in die vorhandene integriert. Alle waren hellauf begeistert.

Der Rückkehrer wurde mit einem Leben in Luxus belohnt, bis an sein Lebensende.

Jetzt gab es in der Bevölkerung kein Halten mehr, und die Anzahl der Freiwilligen explodierte. Das Bewerbungssystem wurde ins Leben gerufen.

Die Verlockung, schlagartig reich zu werden und in der Hierarchie steil nach oben zu klettern, war riesig und hielt bis heute an. Die Erfolgsquote von nicht einmal fünf Prozent nahmen alle in Kauf.

Immer wieder kam einer der Berechtigten zurück und brachte außergewöhnliche Technologie mit. Jeder hoffte, der nächste Rückkehrer zu werden. Was hatte man schon zu verlieren, außer seinem armseligen Leben?

Pauks Ururur-Erzeuger bewarb sich und erhielt einen Termin. Die Berechtigung wurde über die Generationen weitergegeben bis zu ihm. Er erinnerte sich, wie stolz er sie von seinem Erzeuger entgegennahm. Hätte er damals geahnt, auf was er sich einlässt, dann… ja, was dann?

Eine Ablehnung wäre niemals in Frage gekommen.

Und nun war er der Nächste!

Seine Konzentration wurde schwächer. Das viele Nachdenken ermüdete seine Gehirne, die ununterbrochen auf Hochtouren arbeiteten. Wenn er nach der Zeremonie wieder in seinem Loch war, würde er die Entspannungsübung, die er vom Heiler verordnet bekam, ausführen.

Eine Sirene holte ihn zurück ins hier und jetzt.

„Es ist soweit: Anwesende, seid bereit für den Gruß, der dem Berechtigten zusteht“, rief der Reporter.

Das Flimmern setzte ein. Gleichzeitig breitete sich ein Heulen auf dem Platz aus.

Am liebsten hätte sich Pauk die Gehöröffnungen zugehalten, aber auch das war verpönt. Geduldig heulte er mit und sah zu, wie der Berechtigte durch das Portal schritt. Kaum verschwand der letzte Zipfel seines Körpers, erlosch das Flimmern und er war verschwunden. Schlagartig verstummte das Heulen!

Pauk atmete erleichtert auf, entspannte sich und blieb noch eine Zeitlang stehen. Es machte sich nicht gut, wenn man fluchtartig den Platz verließ.

Er hasste viele der Vorgaben, aber er hielt sich geflissentlich daran. Das System hatte die Macht.

Eigentlich müsste er sich freuen, ein Berechtigter zu sein. Nach einer erfolgreichen Rückkehr würde er oben in der Metropole leben. Ohne Regeln und Arbeit, wenn es stimmte, was geflüstert wurde. Besser als hier unten am Fuße des Gebirges im Dreck.

„Falls ich zurückkomme“, flüsterte er.

„Weitergehen, bitte gehen Sie weiter“, rief der Platzwart monoton.

Pauk trottete in der entstandenen Schlange, bis er zu seiner Höhle abbog. Erschlagen, mit hämmernden Kopfschmerzen, begab er sich in die Schlafposition.

Die Entspannungsübung des Heilers hatte er vergessen.

Er träumte von einer erfolgreichen Rückkehr. Wie er mit dem Heber nach oben in die Metropole gehievt wurde. Alle jubelten ihm zu. Er hatte es geschafft!

Sein Name stand auf der Liste der ewig Glücklichen.

Ein Schlag gegen das Bein riss ihn aus seinen Träumen.

„He, was ist los? Aufstehen, die Arbeit ruft“, rief seine Kollegin Paja.

„Ich komme ja schon“, stöhnte er und streckte seine Glieder.

Er mochte Paja. Sie war mehr als nur eine Kollegin, sie war seine beste Freundin. Eigentlich war sie der einzige Freund, den er hatte.

Wehmütig dachte er an ihre missglückte Vereinigung.

Schnell stellte sich heraus, dass er kein guter Erzeuger war. Diesen hämischen, verachtungswürdigen Blick des Heilers würde er niemals vergessen.

Paja paarte sich mit jemand anderem. Sie hielt trotzdem die Freundschaft zu ihm aufrecht, was unüblich war. Ihre ersten achtzig Kinder waren in einem Hort untergebracht, damit sie sich wieder der Arbeit widmen konnte.

„Dieses verdammte System!“, fluchte er.

„Was hast du gesagt?“

„Nichts Paja, lass uns losgehen“, antwortete er und tunkte seinen Rüssel kurz in die Schale mit dem Zuckerwasser.

Stumm liefen sie nebeneinander zu ihrem Arbeitsverteiler.

„Nicht schon wieder dahin“, zischte Paja, nachdem sie ihre Instruktionen auf dem Arbeitspapier las.

Pauk ignorierte ihr Fluchen und trottete, in Gedanken vertieft, hinter ihr her.

Nach einem anstrengenden Marsch erreichten sie den Nordoststrang des Netzes. Erschöpft ruhten sie sich einen Moment aus, bevor sie mit der Arbeit loslegten.

„Es ist schon seltsam, dass ausgerechnet an diesem Teil des Netzes immer wieder Schäden auftreten“, sagte Pauk.

„Stimmt, hier waren wir in letzter Zeit öfter.“

„Vielleicht ist die Beuteanzahl im Netz einfach zu hoch.“

„Oder die Viecher haben zugenommen.“

„Die Metropoler werden jedenfalls immer fetter“, lachte Paja.

„Nicht so laut“, flüsterte Pauk.

„Angsthase! Hier hört und sieht uns keiner“, grinste Paja.

„Lass uns anfangen“, antwortete Pauk pflichtbewusst.

Schnell war die Schwachstelle gefunden. Schicht um Schicht trugen sie auf das beschädigte Seil auf, bis Pauk mit dem Ergebnis zufrieden war.

„Das genügt“, rief er.

„Ich überprüfe nochmal die Zugfestigkeit“, antwortete Paja und setzte das Messgerät an.

„Die Dehnung ist im Toleranzbereich.“

„Das war‘s. Mal sehen, wie lange es diesmal hält“, erwiderte Pauk und begab sich in eine bequemere Position.

Paja stellte sich vor ihn und schaute ihn fragend an.

„Was?“

„Warum ist dir das nicht alles egal? In 76 Zeiteinheiten bist du nicht mehr unter uns.“

„Bis dahin kann noch viel passieren.“

„Immer pflichtbewusst, bis zum Schluss.“

„Ich habe Angst, dass ich nicht zurückkomme“, flüsterte Pauk.

„Verstehe ich. Aber wenn du es schaffst, was durchaus möglich ist, dann gehörst du zu denen da oben. Beim Verspeisen der Viecher aus dem Netz denkst du an mich“, lachte Paja.

„Wenn, wenn, wenn. Ich mag das Wort nicht. Wer weiß, ob sie uns überhaupt die Wahrheit sagen.“

„Wie meinst du das?“, fragte Paja.

„Hast du denn schon jemals einen der Glücklichen gesehen? Wahrhaftig und nicht nur auf der Mattscheibe?“

„Nein, natürlich nicht. Sie werden nach der Rückkehr sofort über den Heber hochgebracht. Das weißt du doch.“

„Vielleicht! Vielleicht kommt ja auch gar keiner zurück.“

„Pauk, was soll das? Stellst du etwa das System infrage?“

„Ich meine ja nur. Denk doch mal daran, dass die Präsentation der neuen Erfindungen nie mit dem Zeitpunkt der Rückkehr übereinstimmt.“

„Woher willst du das wissen?“

„Man hört so einiges.“

„Pauk, der Verschwörer. Das ist ja eine ganz neue Seite, die ich da heute an dir entdecke“, antwortete Paja.

„Jetzt im Ernst. Stell dir einmal vor, das System würde zusammenbrechen. Keine Bewerbungen mehr.

Jedem würde sofort bewusst, dass er hier unten im Dreck auf Gedeih und Verderb bis ans Ende seiner Tage schuften muss und null Chancen auf Hoffnung hat. Was denkst du, wie lange die das mitmachen?“

„Pauk, du machst mir Angst.“

„Ich traue dem System schon lange nicht mehr.“

„Weißt du, was ich glaube? Du hast Angst vor dem, was dich erwartet.“

„Ist gut möglich“, antwortete er kleinlaut.

„Du hast die Chance, herauszufinden, ob alles seine Richtigkeit hat.“

„Was nützt mir das, wenn ich nicht zurückkomme?“, erwiderte Pauk und schaute zu Boden.

Nach einer längeren Pause fuhr er fort: „Warum bringt das Portal die Berechtigten nicht immer an denselben Ort?“

„Du weißt schon, dass keiner den Mechanismus des Portals versteht?“

„Ja, aber warum ist das so?“

„Pauk, das weiß niemand. Es kann dich überall hinbringen. Auf einen entfernten Planeten, in einen Ozean aus Zuckerwasser“.

…„oder ins Nichts“, ergänzte er.

Paja schüttelte sich kurz und sagte: „Lass es gut sein.

Du bist ein Berechtigter und wirst uns Ruhm und Ehre bringen. Ende der Diskussion.“

„Und wenn ich der Erste bin, der den Durchgang verweigert?“, murmelte er und wartete gespannt auf ihre Reaktion.

Überraschenderweise kam keine. Sie drehte sich um und begab sich auf den Heimweg. Schweigend liefen sie hintereinander zurück. Mit einem kurzen Gruß verabschiedeten sie sich.

Diesmal träumte er nicht von Glanz und Gloria.

Außerirdische warteten auf der anderen Seite des Portals auf ihn. Lachend wurde er in ein Feuer geworfen.

Schreiend wachte er auf. Zitternd schnappte er mit seinen Greifern die Schale Zuckerwasser und tunkte seinen Rüssel hinein. An ein Weiterschlafen war nicht mehr zu denken. Irgendwann fiel er doch noch in einen unruhigen Schlaf.

Nach der Dunkelwende wartete er vergeblich auf Paja. Überrascht lief er alleine zum Arbeitsverteiler und nahm seinen Platz ein.

„Was ist, Paja?“, fragte er, nachdem sie endlich neben ihm stand.

Sie antwortete nicht, und wenig später wurde ihm ein neuer Kollege zugeteilt. Er sah Paja nie wieder!

Gehorsam arbeitete er weiter. Seine Gedanken teilte er mit keinem anderen mehr!

Zehn Zeiteinheiten vor der Portalöffnung holten sie ihn ab. Ohne Worte kroch er aus seiner Höhle und folgte den beiden Portalbeamten. Niemand verabschiedete sich von ihm.

Die ersten Lichtstrahlen berührten den Boden, als sie um die Ecke auf den Hauptweg traten. Die wenigen, die schon unterwegs waren, nahmen keine Notiz von der Dreiergruppe.

Da, auf einmal sah er sie! Oben auf einem Seitenweg stand Paja und schaute auf ihn herab. Sollte er ihr zuwinken? Die Emotionen überfluteten ihn und seine linke vordere Gehirnhälfte fokussierte seinen Blick.

Enttäuscht registrierte er, dass es nicht Paja war, die dort stand. Ein Gefühl der Leere macht sich in ihm breit. Emotionslos lief er hinter den Portalbeamten her. Von weitem sah er das Portal-Monument. Angst erfüllte seinen Körper, Angst vor dem Ungewissen.

Seinen Kopf senkend, versuchte er, seine Gedanken von der Furcht zu befreien. Erschrocken stieß er an das Hinterteil des Beamten, der vor ihm zum Stehen kam.

„Entschuldigung“, flüsterte er und sah erst jetzt den Eingang des riesigen Gebäudes direkt vor sich.

„Der Berechtigte bittet um Einlass“, rief der Beamte.

Das Tor wurde geöffnet und sie setzten sich wieder in Bewegung.

Die schlechten Gefühle unterdrückend, überkam ihn die Neugierde, und er schaute sich interessiert um.

Hier war alles anders. Keine Höhlen, kein schmutziger Boden und überall glitzerte es.

‚So wird es in der Metropole aussehen‘, überlegte er und lief automatisch etwas langsamer. Auf dem glattpolierten Felsenboden rutschte er das ein oder andere Mal aus und hatte Mühe, sein Gleichgewicht zu regulieren. Nach gefühlten einhundert Türen gaben ihm die Beamten zu verstehen hier zu warten.

Sie verschwanden und er war alleine. Immer noch überwältigt von den neuen Eindrücken, stand er da und lauschte der lieblichen Musik. Unwiderstehliche Gerüche umspielten seinen Rüssel, der zum Takt der Klänge hin und her schwang.

Fast schon verärgert, zuckte er zusammen, als sich eine Tür laut quietschend öffnete.

Ein Portal-Ordinarius betrat den Raum. Automatisch beugte Pauk sein Vorderteil.

„Na, na. Jetzt, wo du bald durch das Portal schreitest, darfst du deine Ehrfurcht ablegen“, sagte der Ordinarius mit einer rauen, freundlichen Stimme.

Pauk räusperte sich, zu mehr war er nicht imstande.

„Dann wollen wir zuerst die Förmlichkeiten hinter uns bringen. Zeige mir bitte das Berechtigungsdokument.“

Pauk fummelte umständlich mit seinen Greifern in der Umhängetasche, die er bei sich trug, herum.

„Immer langsam, wir haben genug Zeit“, lächelte der Ordinarius.

„Entschuldigung, hier ist die Berechtigung“, stotterte Pauk und überreichte ihm das Dokument.

Konzentriert studierte der Ordinarius das Blatt.

„So, so, die vierte Generation schon“, sagte er.

Pauk wusste nicht, was er antworten sollte und schwieg.

„Der Nachweis ist erbracht, jetzt werden wir deine Identität überprüfen.“

Verwundert starrte Pauk den Ordinarius an, sagte aber immer noch nichts.

Pauk wurde aufgefordert, durch die geöffnete Tür zu schreiten.

Er drehte seinen Körper und schritt zur Tür. Grelles Licht fiel auf ihn, und automatisch fuhren seine Augenlider nach unten.

„Stecke bitte deinen Rüssel in die Öffnung vor dir“, sagte die Stimme hinter ihm.

Pauk gehorchte und wartete gespannt, dass etwas passierte. Ein röhrenförmiges Teil drückte sich vorsichtig, aber bestimmt, in seinen Rüssel.

‚Ist das kalt‘, dachte er, und schon entfernte es sich wieder.

„Du darfst wieder herauskommen.“

Pauk gehorchte und arbeitete sich rückwärts aus der Kammer.

„Stell dich da drüben hin, bis das Ergebnis kommt“, sagte der Ordinarius zu ihm.

‚Was ist, wenn ich nicht der bin, der auf der Berechtigung steht?‘, schoss es ihm durch den Kopf.

Seine Beine zitterten leicht.

„Mach dir keine Sorgen. Bisher gab es noch nie ein Problem“, lächelte der Ordinarius, als hätte er seine Gedanken gelesen.

„Die Identität des Berechtigten ist bestätigt“, erklang eine Stimme aus der Decke.

Erleichtert atmete Pauk auf.

„Folge mir, Berechtigter 6688050“, teilte ihm der Ordinarius mit.

Vor einer Tür blieben sie stehen.

„Dies ist jetzt dein Reich“, grinste der Ordinarius und winkte ihn herein.

Nach einer kurzen Einweisung war er alleine.

Fassungslos lief er zu der Schale mit Zuckerwasser.

Vorsichtig steckte er seinen Rüssel in die verlockend duftende Flüssigkeit und saugte. Es schmeckte unglaublich, noch nie hatte er so etwas Köstliches zu sich genommen. Und, wie vorhergesagt, wurde das Gefäß automatisch aufgefüllt. Er konnte sein Glück kaum fassen.

Die Zeiteinheiten vergingen, und Pauk fühlte sich mehr als wohl. Ihm wurde jeder Wunsch erfüllt.

Sein schlechtes Gewissen plagte ihn. Wie konnte er nur das System und das Portal infrage stellen? Alles verlief genauso, wie er es gelernt hatte. Seine Zuversicht und sein Mut wuchsen. Eine nie für möglich gehaltene Vorfreude wuchs in ihm. Auf gar keinen Fall würde er zurückgehen, die Metropole war sein Ziel. Er würde es schaffen, dessen war er sich mit jedem Tag sicherer.

„Berechtigter 6688050, deine Zeit ist gekommen“, riss ihn die Stimme des Portal-Ordinarius aus seinen Träumen. Sein Rüssel saugte den letzten Tropfen des lieblichen Getränkes aus.

„Ich bin bereit“, sagte er lauter als beabsichtigt.

Das spöttische Grinsen seines Gegenübers ignorierend, schritt er zielstrebig durch die Tür. Der Gang endete an einer weiteren Tür, die von zwei Portalbeamten bewacht wurde.

„Ich bin der Berechtigte, gewährt mir Einlass“, rief er.

Mit einem breiten Lächeln wichen sie zur Seite. Die Tür öffnete sich und zum ersten Mal sah er das Portal!

Das Erste, was ihm einfiel, war die Tatsache, dass es genau so aussah, wie auf dem Anzeigegerät. Stolz schritt er darauf zu. Vorsichtig umrundete er den Metallbogen und schaute den Ordinarius fragend an.

„Bitte komm zu mir, 6688050. Es folgt die Einweisung.“

Pauk gehorchte, obwohl ihn seine innere Unruhe zwang, beinahe durch das Portal zu springen, um mit Ruhm und Ehre zurückzukommen.

„Berechtigter, deine Aufgabe besteht darin, auf der anderen Seite in einer fremden Welt nach Artefakten zu suchen. Du wirst sie einsammeln und zurückbringen. Dieser Umhang hier ist mit allerlei Nützlichem ausgestattet. Dein Überleben von 77 Zeiteinheiten ist damit gesichert. Die Beamten werden ihn dir umbinden.“

Verdammt, darüber hatte er gar nicht nachgedacht.

Das Portal öffnete sich ja nur alle 77 Einheiten.

Ein Schauer lief über seinen Rücken. Das Anlegen und Verschließen des Gurtes beruhigte ihn wieder etwas. Doch das Gewicht drückte auf seinen Körper, und auf einmal fühlte er die Last, die auf ihm lag.

„Berechtigter, du wirst es schaffen. Glaube an dich.

So, wie wir hier alle an dich glauben“, drang die Stimme an seine Gehöröffnungen.

Die Selbstsicherheit kehrte zurück, langsam zwar, aber sie baute sich wieder auf.

„Überlege dir deine letzten Worte, denn bald ist es soweit“, sagte der Ordinarius.

Pauk überlegte. Was sollte er sagen? Auf einer Seite war er bereit, seinen Jubel herauszuschreien, auf der anderen flüsterte ihm die Skepsis das Gegenteil zu.

Die Tür öffnete sich und der Reporter trat ein.

Die Anwesenden begrüßten ihn und halfen, seine Ausrüstung aufzubauen.

Ein Beamter bat ihn, auf einer Bodenmarkierung Aufstellung zu nehmen.

Millionen Gedanken schossen durch Pauks vier Gehirne, doch die Freude auf die bevorstehende Aufgabe überbot alle.

„Na 6688050, bist du aufgeregt?“, fragte der Reporter.

Ehe Pauk antworten konnte, fuhr er unbeirrt fort:

„Das sind alle Berechtigten. Geh einfach positiv an die Sache heran. Du schaffst das schon. Denke immer daran: das Volk steht hinter dir.“

Pauk nickte und die Selbstsicherheit erlang die Oberhand.

Drei tiefe Atemzüge später rief jemand:

„Aufnahme läuft.“

„Hallo, da sind wir wieder. So schnell sind 77 Zeiteinheiten vorüber. Der nächste Berechtigte steht bereit. In der vierten Generation hat er es geschafft.

Denkt an eure Nachkommen und bewerbt euch. Jeder hat die Chance, hier oben zu stehen. Statistisch ist dieser Berechtigte in der Lage, zurückzukehren. Wir wünschen ihm jedenfalls viel Glück. Bleibt dran, denn gleich startet die Show.“

„Kamera aus.“

Pauks Puls raste. Euphorie breitete sich in ihm aus. Er wusste, dass jetzt alle zusahen. Er dachte an Paja. Ob sie auch auf dem Platz stehen würde? Sie musste, ob sie wollte oder nicht, das System schrieb es ihr vor.

Zufrieden grinste er.

Was würde sie jetzt denken, wenn sie seine Zuversicht sah? Im Nachhinein ärgerte er sich über jedes gesprochene Wort ihres letzten Gespräches. Zu spät für Reue oder irgendwelche andere unnötigen Gedanken. Es war soweit, er würde der Nächste sein, der auf der Liste der Glücklichen stand. Dessen war er sich sicher.

„Es geht los. Du sagst deine letzten Worte, und wenn das Flimmern einsetzt, läufst du durch das Portal. Viel Glück“, flüsterte der Reporter.

„Hallo, da sind wir wieder. Gleich ist es soweit. Hier, wie immer, die letzten Worte des Berechtigten“.

Das Mikrofon drehte sich in seine Richtung.

Was sollte er nur sagen? So viel schwirrte durch seinen Kopf.

Das aufmunternde Lächeln des Reporters zwang ihn, sich zu konzentrieren: „Es ist mir eine Ehre. Möge das Glück auf meiner Seite sein“.

Automatisch hatte er sich für die klassische Variante entschieden.

Das Flimmern setzte ein. Er fühlte das Heulen des ganzen Volkes hinter sich. Auf dieser Euphorie-Wolke ließ er sich auf das Portal zutreiben.

Ohne Angst schritt er mit geschlossenen Augen hindurch. Ein leichtes Kribbeln durchlief seinen Körper. Was würde ihn erwarten? Die Spannung stieg ins Unermessliche!

Wie befohlen, hielt er die Augen noch zu und schritt langsam, aber zielstrebig weiter. Alle seine Sinne arbeiteten auf Hochtouren und sein Inneres schrie ihn an, die Augen endlich zu öffnen, doch er blieb standhaft. Unerwartet prallte sein Körper gegen ein Hindernis. Blitzartig riss er die Augen auf.

Wo war er?

Er stand in einem Flur, der direkt vor ihm mit einer Mauer, gegen die er gerade stieß, endete. Verwirrt und unschlüssig schaute er sich um.

Was war passiert?

Hatte das Portal nicht funktioniert?

War er vielleicht nicht würdig?

Immer mehr Fragen beherrschten seine Gedanken und hinderten ihn, zu handeln.

Eine bekannte Stimme befreite ihn letztlich aus der Gedankenfülle.

„Komm heraus, Pauk“.

Dem Wahnsinn nahe, setzte er sich rückwärts in Bewegung.

‚Kein Flimmern beim Durchschreiten‘, registrierte der winzige, noch normal funktionierende Teil seines Gehirns.

Zögerlich drehte er sich um und starrte in lachende Gesichter.

„Wie alle! Ihr seid so leichtgläubig“, lachte der Reporter.

Pauks Welt brach in sich zusammen. Letztlich hatte er doch Recht mit dem, was er in der Vergangenheit dachte: Ein Schwindel, das Portal war nichts als eine Erfindung! Schlagartig fiel ihm die Liste der Glücklichen ein.

„Jetzt denkt er an die Glücklichen – stimmt‘s?“, brüllte der Ordinarius vor Lachen.

„Aber…“, stotterte Pauk.

Wut stieg in ihm auf. Doch bevor sie ausbrach, wurden Waffen auf ihn gerichtet.

Der Ordinarius verstummte und stellte sich ihm gegenüber: „Nein, nicht alles ist ein Schwindel, mein guter Pauk.“

„Aber die Glücklichen, die Artefakte…?“

„Oh, die Glücklichen - die gibt es. Ob sie jetzt glücklich sind, weiß ich allerdings nicht.“

„Aber…?“

„Natürlich leben sie nicht in der Metropole. Es würde zu voll dort oben.“

„Dann sind sie alle tot?“

„Das weiß ich nicht.“

Schwindel überkam ihn, und er hielt sich mit viel Mühe auf den Beinen.

„Jetzt ist der Kleine ganz verwirrt. Mach ihn nicht kaputt“, grinste der Reporter.

„Du hast bestimmt Verständnis, dass wir dich nicht wieder zurückschicken“, fuhr der Ordinarius fort.

„Werdet ihr mich töten so wie die Glücklichen?“, schnaubte Pauk.

„Nein, nicht wirklich. Du hast immer noch eine Chance, genau wie alle deine Vorgänger.“

„Warum?“, fragte Pauk, ohne auf das Gesagte einzugehen.

„Na, na. Die Antwort weißt du bestimmt. Bist ja kein dummer Arbeiter.“

„Nur, um das Volk zu belustigen und ihm vorzugaukeln, dass ein besseres Leben möglich ist?“

„Siehst du. Bist von ganz alleine drauf gekommen.“

„Das Portal ist nur ein Schwindel?“