...und wieder 13 Horror Geschichten - Karlheinz Huber - E-Book

...und wieder 13 Horror Geschichten E-Book

Karlheinz Huber

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Beschreibung

Was ist besser als 13 Horror Geschichten? Genau und wieder 13 Horror Geschichten Teil 2 Inhalt Hat jeder sein persönliches Karma , auch Maria? Nelson schreibt einen Bestseller, doch was dann passiert, ist unvorstellbar! Die Vergangenheit schläft niemals, auch nicht auf Guadeloupe. Ist eine Gruppe Jugendlicher dem Bann des Mystischen Waldes Hoia Baciu in Rumänien gewachsen? Praktizieren die ehemaligen Menschenfresser des Stammes Korowai den Kult Khakhua immer noch? Was hat die Meteor mit Jans grausamen Alpträumen zu tun? Ist das Sokushinbutsu wirklich das Höchste, was ein Mensch erreichen kann? Welches Geheimnis birgt das Areal 820? Was hat eine Domina mit Asche zu tun? Was treibt Marko mitten in der Nacht auf dem Friedhof Highgate Cemetery in London? Die Pariser Unterwelt beherbergt nicht nur die Metro! Stefans erste Nachtschicht in der Pathologie. Ist das virtual reality-Spiel Sieben wirklich nur ein Spiel oder knallharte Realität? 13 neue Horror Geschichten, Gänsehaut garantiert.

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Für meinen kleinen Bruder Thomas

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Karma

Bestseller

Guadeloupe

Hoia Baciu

Khakhua

Meteor

Sokushinbutsu

Areal 820

Asche

Highgate Cemetery

Metro

Nachtschicht

Sieben

Nachword

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Vorwort

Nachdem mir einige Stammleser offerierten, dass ihnen die ersten 13 Geschichten gut gefallen hätten, wurde ich quasi genötigt, eine Fortsetzung zu schreiben. Der Wunsch des Lesers ist des Autors Befehl, oder so ähnlich.

Auch dieses Mal fiel es mir sehr schwer, bei den Geschichten nicht zu tief zu gehen. Es juckte in den Schreiberfingern, doch ich hielt mich zurück. Trotzdem bin ich der Meinung, dass einige Storys ein ganzes Buch verdient hätten. Schauen wir mal, was die Zukunft bringen wird.

Ich hoffe, für jeden Geschmack ist etwas dabei, und sollte sich jemand wiedererkennen, dann ist das unbeabsichtigt und somit reiner Zufall.

Genug der Vorrede, und wie immer:

„Feedback, der Applaus des Autors, ist ausdrücklich erwünscht.“

Viel Spaß beim Lesen wünscht

der freundliche Herr Huber.

Karma

Wie jeden Morgen ballte Maria ihre Hände zusammen, zählte bis drei und öffnete ihre Augen.

„Warum ist es stockfinster?“, stöhnte sie.

Nachdem sie den Vorgang dreimal wiederholt hatte, fuhr ihre Hand zur Stirn und fühlte einen Schweißfilm.

‚Hört das denn nie auf mit diesen Wechseljahren‘, dachte sie und hob die andere Hand in die Höhe.

‚Was war das?‘, schoss es ihr in den Kopf, als sie auf einen Widerstand stieß.

Sie spreizte ihre Finger und ertastete ihre Umgebung.

‚Da schon wieder‘. Ihr Puls stieg und ihre Bewegungen wurden hektischer. Nach wenigen Sekunden wurde ihr schlagartig bewusst, dass sie völlig von Holzplanken umgeben war.

„Ein Sarg, bin ich etwa in einem Sarg?“, schrie sie, und ihr wurde endgültig klar, dass sie definitiv nicht in ihrem Bett lag.

„Ich schlafe noch und träume. Ja, genau so wird es sein. Maria, alles wird gut, du musst nur aufwachen“, flüsterte sie und versuchte verzweifelt, die aufkommende Panik zu unterdrücken.

„Alptraum“, wisperte sie ständig vor sich hin, faltete ihre Hände auf der Brust und verharrte. Durch kontrolliertes Atmen beruhigte sich ihr Puls langsam wieder und sie schloss erleichtert die Augen.

_ _ _

Maria öffnete ihre Augen. Verwirrt sah sie sich um. Sie saß in ihrer Zentrale, wie sie das Schwesternzimmer immer nannte. Nachdem sie sich ihrer Umgebung bewusst war, zog es sie zu dem Monitor auf dem Schreibtisch vor ihr. Er zeigte eine alte Frau schlafend in ihrem Krankenbett. Maria erkannte sie sofort und stöhnte.

‚Ja, Schwester Maria! Genau, ich bin es, die alte Hexe, wie du mich immer nanntest‘, sagte eine Stimme in ihrem Kopf. Gebannt starrte sie auf den Monitor und sah, wie sich die Tür öffnete und eine Person das Krankenzimmer betrat. Als sie sich selbst erkannte, unterdrückte sie nur mit Mühe einen Aufschrei.

‚Schau genau hin, wie du lächelst. Du freust dich schon auf das, was du gleich mit mir tun wirst‘, flüsterte die fremde Stimme in ihrem Kopf.

Maria wusste genau, was gleich passieren würde! Doch das alles war schon mehr als zwei Jahre her.

Verwirrt glotzte sie auf den Bildschirm und sah zu, wie sie in ihrer Krankenschwestertracht ein Kissen in der Hand hielt und es lächelnd auf das Gesicht der alten schlafenden Frau legte. Mit beiden Händen drückte sie zu. Als ihr Opfer sich wehrte, erhöhte sie den Druck, bis das Zappeln aufhörte. Zufrieden schaute sie auf die Geräte und nickte. Der durchdringende Dauerton der erloschenen Herztätigkeit erfüllte den Raum. Sie trat etwas vom Krankenbett zurück und begutachtete ihr Werk. Das Kissen legte sie zärtlich unter den Kopf der Toten, dann drehte sie sich um und verließ das Krankenzimmer.

Fassungslos schaute Maria auf den Bildschirm - der augenblicklich erlosch!

_ _ _

Maria schlug die Augen auf, doch die Schwärze blieb. Panik erfasste sie und ihre Hände setzten sich automatisch in Bewegung, um die Umgebung abzutasten. Schnell wurde ihr bewusst, dass sie sich immer noch in einer Holzkiste befand.

Ihre Synapsen sprangen wie wild in ihrem Gehirn hin und her. Schlagartig wurde ihr klar, was als Nächstes passieren würde.

‚Ich werde ersticken‘, bildete sich das Ergebnis der wilden Schaltungen in ihrem Kopf. Mit aller Kraft arbeitete sie gegen die aufkommende Panikattacke und versuchte sie so klein wie möglich zu halten. Zu rationalem Denken war sie nicht in der Lage, doch der menschliche Instinkt setzte seine Arbeit mit der detaillierten Erforschung der Umgebung fort. Alle Körperteile beteiligten sich, und schneller als gewollt kamen ihre Sinne zum selben Resultat:

„Ich befinde mich in einer Holzkiste, in einem Sarg. Liege ich unter der Erde?“, flüsterte sie.

Ihre Hände und Füße schlugen gegen ihr Gefängnis, dann roch sie etwas. Verwirrt verstärkte sie ihre Sinne. Plötzlich spürte sie einen winzigen Luftzug über ihrem Gesicht. Das kleine Licht der Hoffnung erhellte sich. Ihre Hände untersuchten den Bereich nochmals genauer.

„Da, was ist das? – Ein Rohr?“, hauchte sie.

Sie steckte drei Finger in das Rohr und zog sie blitzartig aus ihrer Lebensversicherung zurück. Ihre Gehirnwindungen traten wieder in Aktion und überschlugen sich dabei. Plötzlich zitterte Maria am ganzen Körper - und ihre Blase erleichterte sich.

„Irgendjemand hat mich lebendig begraben und hält mich trotzdem am Leben – warum?“, raunte sie.

Der beißende Harngeruch trieb ihr Tränen in die Augen und sie schloss sie.

_ _ _

Maria öffnete ihre Augen und schaute sich verwirrt um. Sie stand auf dem Flur im Krankenhaus - ihrem Krankenhaus! Sie setzte sich in Bewegung auf eine Tür zu, öffnete sie und betrat ein Krankenzimmer. Ein alter Mann sah sie freundlich grinsend an und sagte: „Hallo, Schwester Maria.“

Maria wusste genau, was gleich passieren würde. Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals. Hilflos sah sie, wie sich ihr Körper in Bewegung setzte. Sie versuchte es zu verhindern, doch ihre Muskeln gehorchten nicht. Sie war gefangen in ihrem eigenen Körper und fühlte sich machtlos, wie ein Zuschauer, der durch ihre Augen die Szene beobachtete.

„Hallo, hier Ihre neuen Tabletten“, hörte sie sich sagen und reichte dem Mann eine Tablettenbox. Mit einem Schluck Wasser spülte er die beiden Kapseln hinunter und lehnte sich seufzend zurück. Maria drehte sich um und setzte sich auf den Stuhl am Fußende des Krankenbettes.

„Sonderbetreuung heute, das ist aber lieb von Ihnen“, krächzte der Alte und ein lüsternes Grinsen huschte über sein Gesicht. Maria, gefangen in ihrem eigenen Kopf, starrte auf die Szene. Der Versuch, die Augen zu schließen, misslang und so schaute sie zu, wie der Alte sich auf einmal an die Brust fasste.

Maria spürte, wie eine Woge der Glückseligkeit ihren Körper überspülte.

Ein lautes Stöhnen entrang sich der Kehle des Mannes, der verzweifelt versuchte, sich aufzurichten. Nach Luft japsend, färbte sich sein Kopf feuerrot, bis er mit einem lauten Seufzer auf den Lippen nach hinten auf sein Kopfkissen kippte und die Augen für immer schloß.

Maria wartete zwei Minuten, dann stand sie auf, lief um das Bett und hob die Decke an.

„Schau an, jetzt hat der alte Lustmolch einen Ständer bekommen! Mal sehen, ob noch Flüssigkeit herauskommt“, sagte sie und umfasste das steife Glied. Immer schneller arbeitete ihre Hand, bis der Samenerguss sich seinen Weg aus der Eichel bahnte. Angewidert zog sie ihre Hand zurück, lief zum Waschbecken, um sich zu reinigen. Nach einer gründlichen Desinfektion trat sie wieder ans Krankenbett und schaute auf den toten alten Mann herab.

„So, du Wichser! Jetzt fasst du keiner Schwester mehr an den Arsch“, flüsterte sie und trat zur Tür. Unvermittelt wurde es stockdunkel.

_ _ _

Maria schlug die Augen auf. Finstere kalte Schwärze umgab sie. Nach einem kurzen Check war ihr klar, dass sie noch immer in der Kiste lag.

‚Oder in einem weiteren Traum?‘, dachte sie hoffnungsvoll. Als ihr der Harnstoffgeruch entgegenschlug, verschwand der kleine Schimmer, der sich Hoffnung nennt. Ein neues unbändiges Gefühl breitete sich in ihr aus – Durst! Schlagartig kam die Panik zurück und ihr Körper bebte.

‚Ersticken oder verdursten‘, waren die einzigen Worte, die ihre Gedanken ausspuckten.

Irgendwann hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren, und das Zittern hörte auf. Völlig entkräftet, zu keiner Aktion fähig, schloss sie die Augen.

_ _ _

Maria öffnete ihre Augen und sah nichts, aber ihre Ohren vernahmen ein Wispern im Hintergrund. Das Murmeln ging in ein Flüstern über, das immer lauter wurde. Langsam formten sich deutliche Worte. Zwei ältere Frauen führten eine Unterredung. Marias Ohren nahmen jedes Wort bewusst wahr - und dann erkannte sie die Stimmen!

„Diese Schwester Maria ist ja fürchterlich. Heute Morgen hat sie mich wieder grundlos angepflaumt. Die Hexe ist immer so mies gelaunt.“

„Das ist gar nichts. Bei Rita hat sie die Tabletten vertauscht. Sie hat es gerade noch gemerkt.“

„Irgendwann einmal wird sie uns alle umbringen, dieses Miststück. Sei wachsam!“

„Euch werde ich zeigen, was es heißt, sich mit mir anzulegen“, sagte jemand mit ihrer Stimme.

Ein Schauer lief über Marias Rücken. Dann hörte sie die Stimmen wieder.

„Wieso wurden wir zusammengelegt?“

„Keine Ahnung. Ah, da kommt ja Schwester Maria. Hallo Schwester, warum liegen wir hier zusammen?“

„Maria, so sagen Sie doch etwas! Maria, warum schauen Sie mich so grinsend an?“

„Drück auf den Knopf, da stimmt was nicht! Die ist verrückt geworden.“

„Der Knopf funktioniert nicht! Halt, was tun Sie da? Sie können mich doch nicht… Nein, halt! … Hilfe, Hilfe.“

„Sie bringen sie ja um. Warum haben Sie sie aus dem Bett geworfen? Und was soll das mit dem Schlauch? Nein, halt, warten Sie! Sie bringen sie doch damit um! Hören Sie auf, sie bekommt ja keine Luft mehr! Nein, nein! Hilfe, tun Sie das nicht. Hilfe, so helft uns doch! Warum hört uns keiner? Hilfe.“

„Nein, was wollen Sie jetzt von mir? Reicht es nicht, dass Sie sie umgebracht haben! Soll jetzt ich drankommen? Was ist in der Spritze? Nein, halt, ich will nicht sterben! Nein, Hilfe! So helft mir doch, nein!“

Stille!

„So ein Pech. Eine fällt aus dem Bett und stranguliert sich an den eigenen Schläuchen, während die andere ein Blutgerinnsel hatte.

Ja, Mädels, ihr hättet euch besser nicht mit mir angelegt!

So, jetzt kommt Rita dran, die Schlampe. Ach nein, die ist ja heute Morgen eines natürlichen Todes gestorben“, erklang Marias eiskalte Stimme.

_ _ _

„Ich werde sterben und meine Sünden suchen mich dabei heim“, flüsterte Maria und ließ diesmal ihre Augen geschlossen.

‚Bringt ja eh nix, wenn es stockfinster ist‘, dachte sie und seufzte.

Der Durst kam zurück und sie leckte über ihre spröden trockenen Lippen. Sie atmete tief durch und überlegte, was als Nächstes kommen würde.

„Ich wache einfach auf. Los Maria, wach auf, du blöde Kuh! Das alles ist nur ein Scheißtraum“, krächzte sie und stellte das Reden ein, nachdem ihre Stimmbänder fürchterlich schmerzten.

‚Blut‘, dachte sie - und führte ihre Hand zum Mund. Sie grub ihre Zähne so fest in ihren Daumenballen, bis endlich Blut floss. Gierig saugte sie die Flüssigkeit aus der Wunde, bis ihre Lippen aufplatzen. Dankbar sog sie auch dort jeden Tropfen ein, bis selbst das Schlucken schmerzte.

Erschöpft und völlig dehydriert lag sie bewegungslos in ihrem Gefängnis. Nur ihre Gedanken kreisten immer wieder zu der Frage: warum? Unverhofft vernahmen ihre Ohren ein Geräusch und sie schlug hoffnungsvoll die Augen auf.

Was war das? Ein diffuses Licht umgab sie, und sie sah das Rohr direkt über ihrem Mund zum ersten Mal. Dann hörte sie Stimmen! Stimmen, die ihr bekannt vorkamen. Doch sie war zu erschöpft, um sie zu erkennen. Sie sammelte ihre letzten Kraftreserven und schlug gegen ihr Gefängnis. Ihre Hände und Füße, die Knie und ihr Kopf schlugen immer wieder gegen das Holz, das sie umgab.

„Ihr müsst mir helfen“, rief sie, so laut sie nur konnte. Doch ihre Ohren hörten ihre eigene Stimme nicht. Dann wurde das Rohr, ihre Luftzufuhr, ihre Lebensversicherung, nach oben gezogen. Erde fiel ihr ins Gesicht, und schlagartig wurde ihr bewusst, dass das das Ende war!

Alle Überlebensinstinkte setzten ein - und mit allerletzter Kraft kratzte sie mit ihren Fingernägeln am Deckel, immer und immer wieder. Blut lief ihr an den Händen hinab, abgebrochene Nägel fielen ihr ins Gesicht. Doch das alles nahm sie nicht mehr wahr.

‚Überleben‘, war ihr einziger Gedanke!

_ _ _

„So, jetzt hat sie genug gelitten.“

„Finde ich nicht. Ich hätte länger gewartet. Je qualvoller sie stirbt, desto besser“

„Es ist zu gefährlich. Die Sonne geht bald auf, und man könnte das Rohr finden.“

„Hoffentlich leidet sie noch.“

„Wir sind nicht besser als sie.“

„Nein, du Idiot! Hast du die Kameraaufzeichnungen nicht gesehen? Hast du schon vergessen, wie viele Menschen sie umgebracht hat -und vor allem, wie grausam? Nein, sie hat genau diesen langsamen qualvollen Tod verdient.“

„Ja, aber lebendig begraben?“

„Willst du wieder in der Zeitung stehen, wegen deiner miesen Krankenhausführung?“

„Das sagst ausgerechnet du zu mir? Wegen dir Pfuscher standen wir genauso oft in der Zeitung.“

„Lass es gut sein. Los, wir ziehen zusammen das Luftrohr raus.“

„So, geschafft! Jetzt lass uns den Krankenhausgarten verlassen.“

„Scheiße, jetzt muss ich jeden Tag auf die Stelle schauen, wenn ich aus dem Fenster blicke.“

„Nimm dir doch ein anderes Büro! Du bist doch der Chef der Klinik, schon vergessen?“

_ _ _

Maria öffnete ihre Augen. Finsternis umgab sie. Das Rohr war verschwunden, die Öffnung mit Erde verschlossen. Jeder Muskel ihres Körpers schmerzte. Doch es war ihr egal, sie ergab sich ihrem Schicksal.

‚Das ist meine Strafe, ich muss für meine Taten büßen. Scheiß Karma‘, dachte sie und schloss die Augen.

Dieses Mal für immer!

Ende

Bestseller

Nelson schob die Tastatur von sich und atmete erleichtert auf. Mit zittrigen Fingern griff er nach dem Glas auf dem Schreibtisch und führte es zum Mund. Als er registrierte, dass das Glas nur mit Luft gefüllt war, warf er es kurzerhand an die Wand, wo es in tausend einzelne Teile zerbarst. Hysterisch lachend beklatschte er die Aktion, bis das Lachen in ein ungesundes Husten überging. Dann war schlagartig alles vorbei, er schüttelte sich und stand schwerfällig auf. Das Knirschen der Glassplitter unter seinen Hausschuhen erinnerte ihn daran, dass er Durst hatte. Mit schlurfenden Schritten lief er in die Küche. Überrascht sah er sich das vorhandene Chaos an und flüsterte: „War ich das?“

Kopfschüttelnd griff er sich ein neues Glas, schenkte sich zweifingerbreit Scotch ein und trank es in einem Zug leer. Nach einem lauten Rülpser stellte er das Behältnis in die Spüle und räumte auf. Eine Stunde verging mit intensivem Putzen, bis er mit sich und der Welt zufrieden zu seinem Schreibtisch zurückkehrte.

Er öffnete das Mailprogramm und schrieb:

„Hallo Pet, hier ist der nächste Teil der Mister X-Reihe. Blutig wie immer. Das Honorar bitte auf das übliche Konto und keine Nachfragen.

In vier Wochen gibt es einen weiteren Teil.

Das war’s.

LG Nelson Henderson.“

Seine Hand zitterte leicht, als er die Textdatei anhängte, die er erst vor einer Stunde beendet hatte. Dann drückte er auf den „senden“-Button und lehnte sich zurück. Automatisch glitt seine Hand in die oberste Schublade - und wenig später sog er kräftig an seinem Joint. Zufrieden begab er sich in sein Traumland, zur Inspiration für einen weiteren Teil der Mister X-Reihe.

_ _ _

Vier Wochen später lief Paul mit einem komischen Ziehen im Bauch ins Präsidium. Als er an seinem Schreibtisch Platz nahm, verstärkte sich das Ziehen. Er war sich sicher, dass etwas Ungeplantes passieren würde. Es dauerte nicht lange, bis sich sein Gefühl bestätigte.

„Paul, zum Chief, sofort!“, rief jemand. Er stand auf und lief mit hängenden Schultern zum Büro seines Chefs. Quietschend öffnete er die Tür und trat ein. Überrascht hob er die Augenbrauen, als er eine ihm unbekannte Frau sah.

„Hallo Paul, das ist Grace. Sie wurde uns aufgrund ihrer Erfahrung mit Serienkillern zugewiesen. Sie wird dich bei deinem neuen Fall unterstützen“, sagte Chief O’Hara und zeigte dabei auf Grace.

„Ist in Ordnung“, grummelte er und drehte sich wieder um.

„Guten Morgen, Kommissar. Oder darf ich Paul zu Ihnen sagen?“, fragte Grace.

Paul blieb stehen, drehte sich um und sah eine ausgestreckte Hand, die vor einem kräftigen Frauenkörper schwebte. Paul ergriff die Hand und war überrascht, mit welcher Kraft Grace zugriff. Er musste einen Schmerzensschrei unterdrücken und sah im Augenwinkel, dass sein Chef grinste.

„Hallo Grace, herzlich willkommen“, erwiderte Paul.

Auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz wurde er von einem Kollegen angesprochen.

„Hi Griesgram, schon die Zeitung gelesen?“

Paul gab keine Antwort, lief weiter und ließ sich schwerfällig auf seinen Stuhl fallen. Mit einer Hand zeigte er auf einen weiteren Stuhl und Grace nahm darauf Platz.

„Wer war das denn eben?“, fragte Grace und bereute die Frage sofort, als sie Pauls Gesichtsausdruck sah.

„Mein Ex-Partner“, antwortete er.

Grace, die jetzt sowieso ins Fettnäpfchen getreten war, bohrte nach.

„Kein guter Freund – oder?“

„Grace, ich fresse alle meine Partner auf, nur er durfte bisher überleben.“

„Okay - ich habe verstanden, widmen wir uns dem Fall.“

„Sie haben Erfahrung in was, Grace?“

„Ich habe mitgeholfen, mehrere Serienkiller zu überführen.“

„Okay, das könnte hilfreich sein.“

„Paul, du hast wirklich noch nicht die Zeitung gelesen – oder?“

„Natürlich, was glaubst du, warum ich so mies gelaunt bin?“

„Okay, der vierte Mord war es?“

„Der Vierte mit derselben Handschrift.“

Grace griff in ihre Handtasche und kramte darin herum.

„Ah, da ist es ja“, sagte sie und warf ihm einen Roman auf den Schreibtisch.

„Mister X, Teil 4“, las Paul laut vor.

Grace antwortete: „Der Mord ist genau so passiert und du darfst raten, wie die anderen drei Teile mit den Morden zusammenhängen.“

„Weiß die Presse schon davon?“

„Nein, nur wir beide bisher.“

„Wie kamst du zu dem Heft? Oder ist der Schriftsteller so berühmt?“

„Gestern am Kiosk in der U-Bahn sah ich das Heft durch puren Zufall“, unterbrach ihn Grace.

„Zufall?“

„Intuition, gepaart mit Erfahrung und Glück.“

Paul hatte keine Lust zu lesen, steckte das Heft ein und stand auf.

„Lass uns zum Tatort gehen“, sagte er.

Grace folgte ihm wortlos.

Es war mehr als anstrengend, mit den Absätzen über den Schotter im U-Bahntunnel zu laufen, doch Grace schlug sich tapfer. Zum ersten Mal seit langem huschte ein Lächeln über Pauls Gesicht, als er hinter Grace herlief und den Balanceakt verfolgte.

‚Endlich‘, dachte Grace, als sie die Lichter vor sich sah. Wenig später standen sie am Tatort und warteten, bis die Spurensuche ihnen die Freigabe erteilte.

„Keine Aussage, ich schick dir den Bericht so schnell wie möglich, Paul“, sagte ein Mann im weißen Anzug. Paul nickte ihm zu.

Paul betrat als Erster den ausgedienten U-Bahnwaggon. Grace folgte ihm und zog angewidert ihre Nase hoch. Dankbar nahm sie die Eukalyptussalbe entgegen, die ihr Paul reichte.

Sie rieb sich die Salbe fingerdick unter die Nase, atmete tief durch und war erleichtert, dem üblen Geruch entkommen zu sein. Gemeinsam standen sie vor dem Opfer.

Kopfüber hing der Mann, mit Kabelbindern an den Haltestangen befestigt. Auf dem Boden glänzte die noch feuchte Blutlache, die aus der aufgeschlitzten Halsschlagader ausgelaufen war.

Auf der Brust des Toten starrte sie die Markierung des Serientäters - wenn es denn einer war - an. Die Markierung in Kreuzform, die Größe, die Tiefe der Schnitte und die Stelle waren bei allen Opfern gleich. Die Schnittlinien kreuzten sich immer genau am Bauchnabel.

„Die Präzision ist schon beeindruckend“, sagte Grace.

Paul antwortete: „Der Straftäter weiß, was er tut.“

„Lass uns den Rücken ansehen“, sagte Grace.

Paul schaute sie fragend an.

„In dem Roman ist die Rede von dreizehn Einstichen“, fuhr Grace fort und balancierte über die Blutlache hinweg. Mit dem Zeigefinger begann sie zu zählen und zeigte ihm den Daumen hoch zur Bestätigung ihrer Annahme. Paul nickte und schaute sich den Kleiderhaufen an, der neben dem Opfer lag. Eindeutig hauste der Obdachlose in diesem ausgedienten Wagen.

‚Kein Raubmord‘, dachte Paul und gab Grace das Zeichen zum Gehen. Die Wirkung der Salbe ließ langsam nach und mit schnellen Schritten verließen sie den U-Bahnwagen. Schweigend liefen sie durch den Tunnel auf die ausgediente Station zu. In einer Ecke standen mehrere Obdachlose herum. Paul steuerte direkt auf sie zu.

„Hallo Leute, hat einer von euch etwas bemerkt oder gesehen?“

Als er keine Antwort bekam, kramte er seine Geldbörse aus der Hosentasche, warf sie Grace zu und sagte: „Belegte Brötchen und ein Sixpack Bier.“

Grace schaute ihn fassungslos an.

Er grinste und sagte: „Bitte, liebe Kollegin.“

Grace schüttelte den Kopf und verschwand, um wenig später mit Sandwiches und zwei Sixpacks wieder zu erscheinen. Paul setzte sich zu den Landstreichern, öffnete sich selbst ein Bier und nahm ein Sandwich. Es dauerte nicht lange, bis alle ihre Verblüffung überwunden hatten und ebenfalls zugriffen.

Paul plauderte mehr als eine Stunde mit ihnen, während sich seine neue Kollegin im Hintergrund hielt.

„Na, was rausbekommen?“, fragte sie, als sie gemeinsam zur Treppe in Richtung Ausgang liefen.

„Nichts, was uns weiterbringen würde. Aber die Sandwiches waren sehr gut. Danke fürs Holen“, antwortete Paul.

Paul legte das Heft aus der Hand und starrte in Graces blaue Augen, die erwartungsvoll auf ihn starrten.

„Scheiße, wir sollten dem Schriftsteller einen Besuch abstatten“, sagte er.

Grace nickte, schnappte sich ihre Tasche und die Autoschlüssel.

Beim Hinausgehen sagte sie: „Ich hab die Adresse über den Verlag schon recherchiert, er wohnt gar nicht weit weg von hier.“

Paul klingelte an dem schmucken, freistehenden Einfamilienhaus in einer gehobenen Wohngegend. Er hätte nicht gedacht, dass man mit solchen Schundheften so viel Geld verdienen konnte. Es dauerte, bis die Tür einen Spalt geöffnet wurde. Eine Rauchwolke schlug ihnen entgegen, in der ein Mann mittleren Alters zu schweben schien.

‚Brauner Afghan‘, dachte Paul, als er den Rauch des Joints zwangsläufig inhalierte.

Grace hustete und trat einen Schritt zurück.

„Polizei, wir würden Ihnen gerne ein paar Fragen stellen, Herr Henderson“, sagte er so freundlich wie möglich.

Er verachtete den Mann sofort und tat sich schwer, es zu verbergen. Graces Gesichtsausdruck zeigte ihm, dass sie seine Gefühle teilte. Doch sie mussten ihren Job erledigen.

Nelson Henderson begann zu kichern und lallte: „Oh, ich Böser! Jetzt kommt die Polizei, um mich zu holen.“ Dann drehte er sich um und lief durch den Flur in sein Wohnzimmer. Kopfschüttelnd folgten sie ihm.

Fassungslos schaute sich Grace um, derweil lief Paul ungeniert zum Fenster und riss es auf.

„Was ist das denn für eine rote Flüssigkeit?“, fragte Grace.

Henderson antwortete: „Schweineblut.“

„Bitte, was?“

„Blut von Schweinen, das brauche ich zur Inspiration.“

„Genau wie den Joint?“, fragte Paul, und der Schriftsteller nickte grinsend.

„Haben Sie schon mal daran gedacht, dass Ihre Romane jemanden anstiften könnte, genau so etwas zu tun?“, fragte Grace vorsichtig.

Mit großen Augen starrte der Schriftsteller sie an und erwiderte:

„So krank kann doch keiner sein – oder?“

Während Grace das Gespräch mit dem Schriftsteller übernahm, schaute sich Paul im Zimmer um. Langsam lief er zu einer Wand, die mit Zetteln übersät war.

In Gedanken las Paul:

‚Der Serienmörder William Suff verfeinerte sein Chili mit der Muttermilch eines seiner Opfer. In seinem Heimatort gewann er damit den ersten Preis für das beste Chili‘.

‚Im Mittelalter wurden kleine Nagetiere in den Hintern eines vermeintlichen Opfers gesteckt. Die eingesperrten Nager bissen und krallten sich aus der Enge des Darmes und das Folteropfer starb an inneren Blutungen‘.

‚Sollte ein Mensch, welcher in einem Sarg beerdigt wurde, aufwachen, so hat er fünf bis sechs Stunden bis zum Erstickungstod‘.

Angewidert drehte sich Paul um und schüttelte die düsteren Gedanken ab. Sein Blick fixierte Nelson, der breit grinsend auf seinem Sofa saß und alle Fragen ohne zu zögern beantwortete. Sein Instinkt schrie ihn an, das ist kein Mörder! Doch sein Gehirn und sein gesunder Menschenverstand gingen mit ihrer Meinung Hand in Hand, die lautete - der Typ ist irre!

Paul seufzte und gab Grace zu verstehen, dass es für heute genug sei.

„Ist das der Computer dort hinten, auf dem Sie schreiben?“, fragte Grace.

Nelson antwortete: „Soll ich Ihnen meinen nächsten Teil zeigen? Er ist fast fertig!“

Hastig sprang er zu seinem Laptop und gab das Passwort ein.

„Nein danke, Herr Henderson“, antwortete Paul und lief in den Flur. An der Tür verabschiedeten sie sich und liefen wortlos zum Wagen.

Paul schnallte sich an und wartete, bis Grace es ihm gleichtat.

„Was denkst du?“

„Paul, ich weiß es nicht. Irgendwie traue ich ihm es zu und irgendwie nicht.“

„Mir geht es genauso.“

„Beschatten und eine Hausdurchsuchung wären angebracht.“

„Stimmt, lass uns zurückfahren. Ich kümmere mich um die Formulare und du machst dich schlau, was der Typ schon alles geschrieben hat.“

Am nächsten Morgen machten sie sich gemeinsam auf den Weg. Grace saß auf dem Beifahrersitz und las das Beschattungsprotokoll der vergangenen Nacht. Plötzlich stöhnte sie, und Paul sah sie fragend an.

„Du wirst das jetzt vermutlich nicht glauben, was der Typ heute um Mitternacht angestellt hat.“

„Okay, sag es mir“, antwortete Paul und fuhr in die Zielstraße ein. Vor dem Haus des Schriftstellers blieb er stehen und lauschte Graces Worten:

„Er verließ das Haus kurz vor Mitternacht, lief in ein weißes Laken gehüllt zum Friedhof. Aus der Tasche nahm er einen Beutel mit einer roten Flüssigkeit und spritzte sie, während er sich im Kreis drehte, durch die Gegend. Dabei rief er immer wieder: „Vampire kommt herbei, ich habe Futter für euch.“ Das Ganze hat er bis 1 Uhr durchgezogen und sich dann auf den Boden gelegt, um zu schlafen. Mitten auf dem blutverspritzten Friedhofsweg. Um 4 Uhr wurde er wach und lief mit hängendem Kopf nach Hause.“

Als Grace keine Antwort von Paul bekam, schaute sie auf und folgte seinem ausgestreckten Finger.

Jetzt starrten beide zur Eingangstür, an der mit roter Farbe das Symbol des Teufels prangte - dreimal die 6!

„Oh Mann, ist der Bursche krank“, stöhnte Grace und stieg aus. Beide klopften an die Tür, doch Henderson öffnete nicht.

„Stand in dem Bericht nicht, dass er seit 4 Uhr zu Hause ist?“

„Ja.“

„Warum ist er dann nicht da?“

„Keine Ahnung, ich rufe die Feuerwehr“.

„Und vorsichtshalber einen Krankenwagen“, ergänzte Paul.

Wenig später öffnete die Feuerwehr die Tür und Paul trat ein. In der Wohnung war es dunkel, da die Rollläden noch nicht geöffnet waren. Er zog seine Pistole und betrat vorsichtig den Flur, dicht gefolgt von Grace.

Plötzlich erklang ein gleichmäßiges Kleppern und sie gingen instinktiv in Deckung. Dabei sah Paul den dünnen Draht, den er berührt hatte. Mit dem Finger zeigte er Grace den Draht und sie verstand. Beide gingen in die vorschriftsmäßige Position, Paul atmete einmal durch, dann stürzte er in die Küche, aus der das Geräusch kam, während Grace ihm Deckung gab.

Als sich Paul abgerollt hatte, starrte er auf einen Spielzeugaffen, der kräftig seine beiden Schellen zusammenklatschte. Zum Durchatmen kam er nicht, denn auf einmal öffneten sich alle Rollläden gleichzeitig! Sie mussten ihre Augen vor der plötzlichen Helligkeit schützen. Paul fluchte. Grace befand sich schon an der Tür zum Wohnzimmer - diesmal gab ihr Paul Deckung - doch nichts passierte. Schnell war ihnen klar, dass der Schriftsteller nicht mehr im Haus war. Die Zettel an der Wand sowie der Laptop waren verschwunden.

„Dem Beschattungsteam werde ich ganz schön einschenken“, fluchte Paul und steckte seine Pistole zurück in das Halfter.

Nachdem sie die Feuerwehr und den Krankenwagen wieder weggeschickt hatten, durchsuchten sie mit weiteren Kollegen gründlich das Haus. Sie fanden genug Material, um den Schriftsteller vor Gericht zu bringen. Doch nichts, was die Morde anging, wurde gefunden.

Enttäuscht machten sie sich auf den Weg zum Präsidium. Als der Haftbefehl rausging, machte sich Paul auf den Heimweg. Nach einer Dusche und einer Mikrowellenpizza warf er sich erschöpft auf sein Bett und schlief unruhig ein.

_ _ _

Eine dunkle Gestalt schlich durch die Gassen des Rotlichtviertels. Bei einer Blondine blieb die Erscheinung stehen und die Verhandlung begann. Man wurde schnell handelseinig. Hätte die Prostituierte gewusst, dass sie dieses Geld niemals sehen würde… Doch das Schicksal kann man nicht aufhalten. Die Hure schloss die Tür ihres Zimmers und würde sie niemals wieder öffnen. Ihr vermeintlicher Freier trat hinter sie und drückte ihr die Luft ab. Die Hure kämpfte verzweifelt um ihr Leben, aber ihr Gast war stärker und drückte mit beiden Händen gnadenlos zu. Erst als sie ihre Augen verdrehte und das Zappeln aufhörte, ließ er sie los. Kichernd warf er sie auf das Bett und zog mit einer Hand ein Messer aus dem Umhang.

Mit der anderen Hand zog er ein Romanheft heraus und legte es neben sein ohnmächtiges Opfer.

Mister X, Band 5: „Die Hure“ von Nelson Henderson, stand in großen roten Buchstaben auf dem Cover. Der Täter begann zu lesen, dann nickte er zufrieden und setzte einen sauberen Schnitt an der Kehle. Kichernd schaute er zu, wie das Blut herausquoll und das Laken dunkelrot färbte. Nachdem er sich lange genug am Anblick ergötzt hatte, zog er sich zurück und setzte mit zwei schnellen Schnitten das Symbol „X“ in den Bauch des toten Opfers. Wie bei den anderen Morden, trafen sich die zwei Linien genau am Bauchnabel.

Zufrieden starrte der Mörder auf sein Werk. Dann nahm er das Heft zur Hand und las weiter. Kichernd steckte er das Heft ein und wandte sich wieder seinem Opfer zu. Mit zwei schnellen Schnitten entfernte er die Brüste und drapierte sie links und rechts neben dem Kopf des Opfers. Mit einem letzten Blick zurück huschte der Mörder aus dem Fenster über die Feuerleiter unerkannt ins Nachtleben. Mit schnellen Schritten lief er Richtung Hauptstraße und warf zuerst das Messer auf die Rückbank eines Cabrios. Hundert Meter weiter, in einer Seitengasse, zog er die hautfarbenen Gummihandschuhe aus und warf sie auf einen Gullydeckel.

Vorsichtig tröpfelte er eine Flüssigkeit auf die Handschuhe, die sich sofort komplett auflösten. Kichernd lief der Mörder weiter in die noch junge Nacht, vollgepumpt mit Adrenalin.

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Erschrocken richtete sich Paul in seinem Bett auf und schüttelte kurz den Kopf. Hellwach griff er zu seinem Handy, das hartnäckig einen nervigen Ton von sich gab.

„Ja?“, sagte er in das Telefon und lauschte.

„Scheiße“, flüsterte er und legte das Handy wieder auf den Nachttisch. Nach einer kurzen Dusche betrat er das Büro und steuerte auf seinen Schreibtisch zu. Grace wartete schon auf ihn, und gemeinsam betraten sie das Büro von Chief O’Hara.

Der Chief war nicht alleine, zwei weitere Männer saßen auf den einzigen Stühlen. Paul stellte sich bequem neben die verschlossene Tür und betrachtete die Männer. Einen von ihnen kannte er, es war der für sie zuständige Staatsanwalt, doch der andere war ihm völlig unbekannt. Aber er hatte so eine Vermutung, und nachdem ihm der Mann vorgestellt wurde, bestätigte sich sein Verdacht. Direkt vor Grace saß der Verleger der Romanreihe, der sich weigerte, die Erfolgsserie „Mister X“ einzustellen.

Chief O’Hara versuchte dem Mann klar zu machen, was gerade passierte. Und Paul dachte, warum auch immer, an die Presse.

Unerwartet öffnete sich die Tür und O’Haras Sekretärin betrat den Raum. Völlig außer Atem drückte sie dem Chef ein DIN A4-Blatt in die Hand und verschwand wieder. Als sich O’Hara gefangen hatte, las er den Dreizeiler zum wiederholten Male und rollte mit den Augen.

„Also, Mister „ich will nicht“. Jetzt ist es amtlich. Die Presse hat Wind von der Sache bekommen.“

„Jetzt wird es eine amtliche Verfügung geben“, ergänzte der Staatsanwalt, und der Verleger sackte in sich zusammen. Nichts von seiner arroganten Selbstsicherheit war mehr zu sehen.

„Ich kann das nicht glauben“, flüsterte er immer wieder und schüttelte leicht den Kopf.

Grace legte ihm die Hände auf die Schulter und er blickte dankbar zu ihr auf.

Keine dreißig Minuten später befanden sich Paul und Grace am Tatort.

„Genau wie im Heft“, sagte Paul.

Grace nickte und antwortete: „Wieder keine Fingerabdrücke und keine Tatwaffe.“

„Stimmt nicht“, antwortete eine Stimme aus dem Hintergrund.

„Der Fahrer eines Cabrios fand dieses Messer auf dem Rücksitz seines Autos. Da es blutverschmiert ist, ging er sofort zur Polizei. Der Typ hat natürlich Dreck am Stecken, doch seine Fingerabdrücke befanden sich nicht am Tatort. Auch sonst kein einziger Fingerabdruck.“

„Verdammt“, fluchte Paul.

Doch der Mann schaute ihn grinsend an und erwiderte: „Ausreden lassen, Herr Kommissar. Das Blut ist natürlich vom Opfer, also definitiv die Tatwaffe.“

Diesmal unterbrach ihn Paul nicht, und er fuhr fort:

„Aber wir haben gerade eben zwei Haare gefunden. Eines vom Opfer und ein weiteres Unbekanntes.“

„Vielleicht das vom Täter“, platzte Grace heraus und schlug sich selbst auf den Mund.

Lachend antwortete der Polizist: „Könnte aber auch ein Haar des vorhergehenden Freiers sein.“

Gerade als Paul den Mund öffnete, sagte der Mann: „Ja Chef, ist schon in der Gendatenbank. Der Abgleich läuft schon seit einer Stunde.“

„Noch nichts gefunden?“, fragte Grace und der Polizist schüttelte den Kopf.

„Danke“, sagte Paul.

Den ganzen Nachmittag verbrachten sie im Präsidium. Der Abgleich mit der DNA des Schriftstellers brachte keinen Erfolg, und schnell war die anfängliche Euphorie wieder verflogen.

„Doch ein Freier“, sagte Grace und blickte von ihrem Computer zu Paul.

Der antwortete: „wahrscheinlich“, und stand auf. „Gute Nacht, Grace“, verabschiedete er sich und sah im Augenwinkel auf Graces Bildschirm. Interessiert beugte er sich hinunter und fragte: „Was machst du da?“

„Das ist das Zimmer des Schriftstellers. Ich schaue mir die Fotos der Spurensicherung nochmals an, vielleicht haben wir ja etwas übersehen“, antwortete sie.

„Viel Spaß dabei, ich hab genug für heute“, erwiderte er und machte sich auf den Heimweg.

Vor einem Kiosk blieb er stehen und schaute sich die Schlagzeilen an. Überall stand in großen Buchstaben: „Mister X hat wieder zugeschlagen.“

‚Wohin hat sich der Schriftsteller nur verkrochen?‘, dachte Paul, während er in das gekaufte Sandwich biss. Zu Hause angekommen, genehmigte er sich einen doppelten Ramazotti und fläzte sich auf seine Couch. Mit einer Hand schnappte er nach einem Buch, das auf dem Tisch lag: „13 Horrorgeschichten“ von Karlheinz Huber.

„Naja, eigentlich habe ich genug Horror“, sagte er und begann trotzdem zu lesen. Nach einer Stunde ließ er sich nach dem Toilettengang auf seinem Bett nieder.

Plötzlich hatte er eine Idee und griff zum Telefon. Eine verschlafene Stimme meldete sich und Paul erklärte, was er wollte. Mit den Worten: „Du bist mir noch einen Gefallen schuldig“, beendete er den Anruf. Zufrieden mit sich, versuchte er zu schlafen. Doch eine weitere unruhige Nacht folgte der letzten.

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Eine Gestalt in einem schwarzen Mantel huschte in das Kaufhaus, das in wenigen Minuten schließen würde. Hastig lief die Person die Rolltreppe nach oben, schnappte mit schnellen Handgriffen mehrere Kleidungsstücke und verschwand in einer Umkleidekabine. Es dauerte nicht lange, bis die Beleuchtung gedimmt wurde. Die Gestalt verbarg sich in freudiger Erwartung hinter dem Kleiderhaufen, mit gezücktem Messer in der Hand.

„Ich glaube, so langsam macht mir der Job keinen Spaß mehr“, sagte der Kaufhausdetektiv und durchsuchte das Kaufhaus nach verirrten Kunden. Mürrisch betrat er das Obergeschoss und lief durch die Gänge, bis er vor den Umkleidekabinen stand.

„Na, ihr bösen Verbrecher! Wo habt ihr euch versteckt?“, rief er und zog dabei hastig jeden Vorhang der Kabinen auf. An der letzten fluchte er, als er den Kleiderhaufen sah.