Das Böse sieht alles - Karlheinz Huber - E-Book

Das Böse sieht alles E-Book

Karlheinz Huber

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Beschreibung

Was haben eine Virologin, ein psychisch Kranker, ein Pfarrer und ein Programmierer gemeinsam? Finden Sie es in diesem nervenzerreißenden Horrorthriller heraus, gewürzt mit einer Prise Fiction.

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Seitenzahl: 199

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Das geflügelte Auge, wird üblicherweise als Späher eingesetzt. Der Austausch mit seinem Beschwörer findet ausschließlich über Gedankenbilder statt.

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

PROLOG

ERSTER TEIL

ENTSCHEIDUNG

RACHE

STIMMEN

GABE

MITLEID

FRAGEN

KOPFSCHMERZEN

GABE

EINKAUF

AUFTRAG

DEAL

EMELY

UNFALL

LIEBE

IDEAL

TREFFEN

FLUCHT

ERKANNT

ABGRUND

ERWARTUNG

ZWEITER TEIL

ERINNERUNG

HOCHMUT

IMPULS

GEWISSHEIT

ANTWORT

PANIK

VERGELTUNG

DRITTER TEIL

FAKE

INITIATIVE

VERBINDUNG

WEISUNG

BEGEGNUNG

HOFFNUNG

EXITUS

EPILOG

VORWORT

Nach den beliebten Horror-Kurzgeschichten Teil 1 bis 3 habe ich mich dazu entschlossen, einen eigenständigen Roman im Genre Horror zu verfassen und zu veröffentlichen. Die Entwicklung - oder der Verfall - der Protagonisten steht im Vordergrund, gepaart mit jeder Menge blutiger Sauerei und einer Prise Science-Fiction.

Obwohl? - Womöglich ist alles schon längst Realität!

Personen und Handlungen des Romans entsprangen ausschließlich meiner lebhaften Fantasie. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

PROLOG

Mike rannte durch die spärlich beleuchtete Kopfsteinpflasterstraße. Umzudrehen traute er sich nicht, er spürte seinen Verfolger. Verzweifelt sah er sich nach Hilfe um - vergeblich, er war alleine. Zu beiden Seiten der Straße ragte eine uralte Mauer in die Höhe, deren Ende sich in der Dunkelheit verlor. Immer weiter trieb ihn die Flucht, bis das Unvermeidliche passierte: er stolperte. Geistesgegenwärtig drehte er sich im Fallen auf den Rücken und zog den Kopf ein. Mit den Schulterblättern schlug er auf dem steinharten Pflaster auf.

Sein Verfolger, das fliegende Auge, landete auf einer dahingeschiedenen Straßenlaterne und glotzte auf ihn herab.

„Scheiß-Vieh!“, schrie er, ballte die Faust und hob seinen Arm, bis der einsetzende Schmerz in seinem Kopf explodierte und die Schwärze über ihn kam.

„Mike, ich warte“, flüsterte jemand.

Benommen kroch er auf allen vieren zur Steinmauer und lehnte sich dagegen.

Erleichtert atmete er auf, die Kälte tat gut. Langsam kehrte etwas Klarheit in seinen Schädel zurück. Sein Verfolger fiel ihm ein. Ruckartig bewegte er den Kopf nach oben. Das fliegende Auge war verschwunden.

Erleichtert atmete er aus und checkte seinen Körper.

„Nichts gebrochen“, flüsterte er.

Stöhnend erhob er sich, fiel zurück und schaffte es beim dritten Anlauf.

„Mike, hierher.“

Seine Nackenhaare stellten sich. Niemand war zu sehen, nur sein keuchender Atem, und der wiederholte Ruf seines Namens war zu hören. Langsam setzte er sich in Bewegung, die Hand an der Steinmauer. Zum Geräusch seiner Schritte gesellte sich Flügelschlagen… und seine Ahnung wurde Realität. Zu seiner Linken durchbrach ein rostiges Eisentor die Mauer, auf deren höchster Spitze der Gotongie saß.

„Was willst du von mir?“, schrie Mike und wartete vergeblich auf eine Antwort. Tief durchatmend lief er zum Tor, umklammerte den Griff, ignorierte das Quietschen und öffnete es.

„Mike, hier.“

Der Vollmond erhellte nur spärlich die Umgebung.

„Grabsteine - ein Friedhof, was tue ich hier?“, flüsterte er und sah sich um.

„Das weißt du nicht?“, lachte jemand zu seiner Linken. Mikes Kopf fuhr herum und er sah einen Mann auf einer Bank sitzen, der ihn freundlich anlächelte. Je näher er der Person kam, desto mehr Details offenbarten sich ihm. Er trug einen weißen Kittel, und ein Stethoskop hing um seinen Hals. Aus seiner Brusttasche ragte ein Skalpell, ein blutiges Skalpell. Im Mondlicht erkannte er Blutflecken in allen Größen auf dem Arztkittel.

Einen Aufschrei unterdrückend, sah er sich die Gestalt genauer an. Die harten Gesichtszüge, das verschmitzte Lächeln und der außergewöhnliche Haarschnitt kamen ihm bekannt vor.

„Wer sind Sie?“

„Das ist nicht die Frage, die dich quält.“

„Wer bin ich?“, stöhnte Mike und folgte dem ausgestreckten Arm des vermeintlichen Arztes mit seinem Blick.

„Dort findest du die Antwort.“

„Aber…“, erwiderte Mike und drehte sich zurück, doch der Weißkittel war verschwunden.

Er hielt den Atem an, alles in ihm sträubte sich, weiterzugehen. Der Schrei einer Nachteule ließ ihn erzittern. Tief luftholend sah er sich um. Durch die Äste der Bäume spendete der Vollmond nur spärliches Licht. Bodennebel pulsierte über den Grabsteinen. Sämtliche Haare sträubten sich beim Flügelschlag seines zum Beobachter mutierten Verfolgers.

Widerwillig drehte er den Kopf zum unliebsamen Geräusch und erstarrte.

„Was…? Aber…?“, stotterte er und schaute fassungslos auf den immer weiter anwachsenden Schwarm fliegender Augen. Die Äste der Bäume ächzten und knackten unter der Last der Gotongies, aber sie hielten. Mikes Puls wetteiferte mit seinem Blutdruck. Der Weg zurück zum Tor war versperrt, ihm blieb keine Wahl. Langsam setzte er einen Fuß vor den nächsten. Uralte Gräber säumten seinen Weg, und das Knistern des Kieses begleitete ihn bis zum Ende des Weges. Vor einem frisch aufgehäuften Grab, in dem die Schaufeln der Totengräber steckten, blieb er stehen. Der Nebel zog sich etwas zurück und legte das armselige Holzkreuz am Kopfende des Grabes frei.

„Mike“, las er den Namen laut vor.

Kleine Erdklumpen verselbstständigten sich und kullerten vom Hügel. Immer mehr Erde bewegte sich, bis eine blutverschmierte Hand ins Freie ragte. Mike, zur Bewegungslosigkeit verdammt, stieß einen lautlosen Schrei aus. Eine zweite Hand grub sich aus dem Erdhaufen, gefolgt von zwei halbverwesten Armen. Immer weiter befreite sich die Gestalt aus dem Erdhügel, bis sich eine fürchterlich entstellte Leiche erhob. Hunderte Käfer und Würmer fielen zu Boden. Die Gestalt streckte sich und drehte den Kopf zu Mike, der sie fasziniert anstarrte. Die leeren Augenhöhlen wurden von dicken schwarzen Käfern gefüllt. Maden schlängelten sich in der Mundhöhle, die sich immer weiter öffnete.

„Willst du leben?“, krochen die Worte aus dem zungenlosen Mund der Leiche. Mike lief langsam auf den Toten zu und flüsterte: „Ja, ich will.“ Weinend umarmte er die Leiche.

„Jetzt hast du deine Seele an den Teufel verkauft“, lachte eine Stimme aus dem Hintergrund, Beifall klatschend.

Mike hob den Kopf und sah dem Weißkittel direkt ins Gesicht. Zwei Hörner wuchsen aus seiner Stirn, untermalt von höhnischem Gelächter.

Schreiend wachte Mike auf.

„Ein Traum, nur ein Traum!“, schrie er.

Unter Aufbietung aller Kräfte schlug er sich ins Gesicht, bis ihn ein Hustenanfall stoppte. Nach Luft japsend und schweißgebadet lag er in seinem Bett und starrte zur Decke.

„Scheiß-Unfall“, fluchte er und schlug auf die Matratze. Langsam beruhigte sich sein Kreislauf und er fand zur Normalität zurück. „Habe ich wirklich meine Seele an den Teufel verkauft?“, flüsterte er.

ERSTER TEIL

ENTSCHEIDUNG

Will ich das?, überlegte Niobe.

Erinnerungen schoben sich in den Vordergrund ihrer Gedanken. Ihre Karriere begann als Green-Hat-Hacker. Sie hatte Talent und schaffte es viel zu schnell, sich einen vorderen Platz unter den Gleichgesinnten zu sichern. Angebote gab es genug, aber sie wollte ihren eigenen Weg finden. Das Problem war das definierte Ziel, das es bisher in ihrem Leben nie gab. Als Anonymous anfragte, geriet sie ins Wanken. Spätestens an dieser Stelle wurde ihr bewusst, dass sie jetzt endgültig am Scheideweg ihrer Zukunft stand. Schwarz oder weiß, das war die Frage, die es zu beantworten galt. Entscheidungen zu finden war aber nicht unbedingt eine ihrer Stärken.

Natürlich verdiente man als Black-Hat-Hacker erheblich mehr Kohle als bei den Guten. Es lief auf eine Gewissensfrage hinaus, vor der sie sich immer wieder drückte.

„Damit ist es vorbei, Süße. Du wirst dich jetzt und hier entscheiden“, motivierte sie sich und starrte auf die beiden vorbereiteten Zettel auf ihrem Schreibtisch.

Den Ausdrucken der Pro- und Kontra-Liste, der Matrix, dem Baum, des Mindmaps, dem Perspektivwechsel und dem ADM-System widmete sie keinen Blick mehr. Sie alle lieferten nicht das konkrete Ergebnis, das sie sich wünschte.

„Dann doch der Würfel“, seufzte sie, holte aus und öffnete ihre Hand. Der Entscheidungswürfel, auf dem nur die Farbe weiß und schwarz vorhanden war, ebenso wie auf den beiden Zetteln in der anderen Hand, rollte und verharrte auf der Kante.

„Das gibt es doch nicht“, fluchte Niobe und schlug mit der Faust auf den Tisch, was das Spielgerät veranlasste, zu Boden zu fallen und unter der Anrichte zu verschwinden.

Wütend griff sie nach dem schwarzen Zettel und las ihre handgeschriebenen Notizen:

„Dunkle Seite. Hacken für Rüstungsfirmen nach neuesten Waffentechnologien. Äußerst lukrativ, gefährlich, Anerkennung in der Branche, Knast/Verbannung.“

Tief durchatmend knüllte sie ihn zusammen und flüsterte: „Dann die weiße, die gute Seite.“

RACHE

Melanies Hände zitterten, als sie sich das zweite Paar Handschuhe überzog.

Ruhig bleiben, motivierte sie sich und holte tief Luft. Nach der Atemübung drehte sie den Verschluss der leeren Dropper-Flasche ab, legte ihn auf die Ablage der Spüle und griff in ihre Handtasche, die daneben auf der Anrichte stand. Ihre Hand verschwand in der Tasche und beförderte einen Asthmainhalator hervor.

„Jetzt kommt es auf dich an, Mädchen. Also, bleib cool“, flüsterte sie, schraubte den Inhalator auf, zog ein kleines Glasfläschchen vorsichtig heraus, stellte es in die Spüle und zog ihre Hände zurück.

Nicht auszudenken, was passiert, wenn der Inhalt im Abfluss verschwindet, fiel ihr siedend heiß ein.

„Langsam, Melanie“, maßregelte sie sich und drückte den Verschluss nach unten.

„Zu fest, du Närrin“, schimpfte sie und sah mit Entsetzen, wie das Gefäß gefährlich wankte – es fiel aber nicht.

„Puh, Glück gehabt“, flüsterte sie und erlaubte sich, wieder normal zu atmen.

„Konzentration“, sagte sie und griff zum filigranen Schraubverschluss. Nach drei Umdrehungen hob sie den Deckel ab und legte ihn in die Spüle. Mit einer Hand hielt sie den Flakon fest, mit der anderen griff sie zum Verschluss der Dropper-Flasche und drehte ihn behutsam auf das Glasfläschchen.

„Teil eins geschafft“, seufzte sie und versuchte, etwas zu entspannen.

Du tust das Richtige, meldete sich ihre innere Stimme.

Bist du sicher?, erwiderte sie.

Das Schwein betrügt dich schon mehr als ein Jahr.

Ich weiß, und er hat einflussreiche Freunde, die ihn bei einer offenen Konfrontation decken, antwortete sie und betrachtete skeptisch das verschlossene Gefäß.

Melanie, wir haben das schon so oft besprochen.

Trotzdem ist das, was ich hier tue, unrecht!

Willst du weiter die Gedemütigte sein oder dich auf deine Forschung konzentrieren? So kurz vor dem Durchbruch.

Stimmt, das wird ein Riesending.

Und du wirst die Lorbeeren mit ihm teilen müssen.

Nein, das werde ich nicht zulassen.

Brave Melanie.

Eine Motivationswelle überflutete sie. Ohne über ihre Selbstgespräche nachzudenken, die sie seit dem Unfall führte, griff sie zur Schale mit dem vorbereiteten Gurkensalat.

„Einen Tropfen für jeden Stoß in ihren Schoß“, lächelte sie und tröpfelte die Flasche leer. Zufrieden griff sie zum bereitgelegten Plastikbeutel und beförderte die Utensilien hinein, verschloss ihn und schnappte sich den nächsten, in dem die Handschuhe landeten. Ein dritter schwarzer Beutel komplettierte die einer anerkannten Virologin gerechten Prozedur. Verstohlen blickte sie zur Uhr.

Genug Zeit, dachte sie erleichtert und lief mit dem Beutel in den Keller. Vor der rot lackierten Tür blieb sie stehen.

„Rot, wie unsere Liebe“, hatte Ben damals gesagt, als sie das geheime Labor gemeinsam einrichteten. Die rote Farbe der Tür war seine Idee, der angeschaffte, Kubikmeter-große

Hochtemperaturbrennofen ihre. Seufzend öffnete sie die Tür, trat ein, lief zum Ofen und legte den Beutel hinein.

Drei Minuten später, zurück in der Küche, schaltete sie die Fritteuse ein und nahm zwei Steaks aus dem Kühlschrank. Ihr Blick fiel auf die Glasschale mit dem penetrierten Gurkensalat.

„Scheiße, ich habe vergessen, das Teufelszeug auf den Tisch zu stellen“, fluchte sie. Hektisch sah sie sich um und hatte plötzlich eine Idee.

Zufrieden warf sie die Pommes ins heiße Fett, stellte die Pfanne auf den Herd und würzte die Steaks.

„Einmal Rumpsteak raw“, grinste sie und fuhr nach einer kurzen Pause fort: „Oh ja, es wird blutig.“

Die Eingangstür öffnete sich. Die Gänsehaut abschüttelnd, versuchte sie so entspannt wie möglich zu wirken.

„Hi!“, rief ihr Gatte aus dem Flur und verschwand im Badezimmer.

Er wird das Parfüm benutzen, damit ich nichts von der Schlampe aus dem Fitness-Studio rieche, wie immer, wusste sie und schaltete den Herd ein. Etwas zu fest setzte sie die Pfanne auf.

„Zuviel Brat-Öl, Schatz“, sagte eine Stimme hinter ihr. Erschrocken zuckte sie zusammen und hoffte, dass er es nicht bemerkte.

„Ich habe einen Mordshunger“, sagte Ben, der im Türrahmen der Küche stand. Melanie räusperte sich und antwortete: „Pommes und Steak.“

„Alles okay?“, fragte er.

Ist es so offensichtlich?, überlegte sie und rang sich zu einer einstudierten Antwort durch:

„Nein, nur etwas Kopfschmerzen.“

„Ich kann dir einen Termin bei Karl, unserem Neurologen am Krankenhaus besorgen, wenn du willst. Der ist wirklich gut“, sagte Ben, ohne einen Funken Mitgefühl in seiner Stimme.

Sie rang sich zu einem Nicken mit aufgesetztem Lächeln durch und legte vorsichtig die Steaks in die heiße Pfanne. Ihre Aufregung stieg. Mit einer Hand beförderte sie die Pommes in eine Schüssel und drehte die Steaks einmal um.

„Du weißt, zweimal zwei Minuten“, meinte er oberlehrerhaft, wie immer.

Arschloch, dachte sie und sagte: „Nimm doch schon den Gurkensalat mit ins Esszimmer.“

„Salat, extra für mich? Dankeschön, womit habe ich das verdient?“, erwiderte Ben, schnappte sich die Schale und trug sie ins Esszimmer. Erleichtert, dass ihr Plan scheinbar aufzugehen schien, setzte sich endlich die Wissenschaftlerin in ihr gegen das schlechte Gewissen durch. Sie legte den Fokus auf seine Reaktion und überlegte, ob er anders als ihre Versuchstiere reagieren würde. Jetzt wurde ihr klar, dass es definitiv kein Zurück mehr gab. Wieder lief ein Schauer über ihren Rücken. Tief durchatmend legte sie die Steaks auf die vorbereiteten schneeweißen Porzellanteller. Fasziniert starrte sie auf die kleine Blutlache und setzte ein diabolisches Grinsen auf.

Ja, er hat es verdient, kicherte sie in Gedanken, balancierte die Teller durch die Küche und stellte sie auf den Tisch.

„Pommes sind unterwegs, fang doch schon mal mit dem Salat an“, lächelte sie und verschwand in der Küche. Dreimal tief durchatmend, schnappte sie nach der Schüssel, verfehlte sie und stieß sich die Hand an der Arbeitsplatte.

„Scheiße!“, fluchte sie.

„Ist was?“, vernahm sie seine schmatzende Antwort.

„Alles okay“, erwiderte sie und hatte plötzlich Angst, die Küche zu verlassen.

„Wo bleiben die Pommes?“, rief Ben und verbarg seine Ungeduld nicht. Das reichte, um ihre Lähmung zu überwinden.

Mit der gefüllten Schüssel in der Hand, betrat sie das Esszimmer und blickte auf die leere Glasschale vor ihm.

„War lecker“, schmatzte er und steckte ein Stück Fleisch in den Mund. Blut klebte zwischen seinen Zähnen.

Hat es schon angefangen?, fragte sie sich, schaute beiläufig in seinen Schritt und hielt mit Mühe ihr Grinsen zurück. Die Erektion in seiner Jogginghose war nicht zu übersehen.

„Mir ist so komisch“, krächzte Ben, fuhr sich über den Kopf und schaute entsetzt auf das Haarbüschel in seiner Hand. Ein Zittern durchlief seinen Körper, und er verdrehte die Augen. Fasziniert setzte sie sich gegenüber und saugte jede Reaktion in sich auf.

„Melanie!“, stöhnte Ben und würgte.

„Das kommt davon“, kicherte sie und vergrößerte vorsichtshalber den Abstand zu ihm. Der Würgereiz übermannte ihn und er kotzte über den Tisch, gleichzeitig weiteten sich seine Pupillen.

„Sag hallo zu Mystic. Als Basis dient ein amöbenähnlicher Rhizopode namens Naegleria Fowleri, dazu ein Mix aus fleischfressenden Bakterien und weiteren geheimen Zutaten. Das ist Mystic. Der Spitzname ist Hirnfresser, aber dabei wird es nicht bleiben, geliebter Ex-Ehemann“, lamentierte sie genüsslich.

Ben hörte ihre Ansprache nicht mehr, er starrte mit einem dümmlichen Gesichtsausdruck auf seinen Daumen. Langsam steckte er ihn in den Mund und lutschte daran.

„Wie bei den Affen“, flüsterte Melanie und wartete geduldig auf die nächste Stufe. Sie musste nicht lange warten. Schmatzende Geräusche erklangen, als Ben auf dem Daumen mit seinen Zähnen herum knabberte. Aus seiner Kehle drang ein Stöhnen und sie wusste, dass er gerade ejakulierte. Auch das war vergleichbar mit ihren Primaten im Labor. Blut lief aus seinem Mundwinkel und tropfte auf seinen weißen Sweater. Mit einem Knurren riss er seinen Daumen zwischen den Zähnen aus dem Mund und glotzte dümmlich auf den blanken Knochen. Kichernd und grunzend kaute er auf den Überresten seines Daumens herum.

„Faszinierend“, sagte sie und schaute weiter gebannt zu. Ben schluckte das Stück Fleisch herunter, rülpste und musterte das Steakmesser in seiner rechten Hand.

Melanie rückte ihren Stuhl zurück. Bereit, notfalls zu flüchten, doch ihre Sorge war unberechtigt.

Ben kicherte, holte aus und stach sich das Messer bis zum Schaft in den Bauch. Glucksend drehte er die Klinge mehrmals im Kreis und riss sie dann nach links. Eine Blutfontäne spritzte über den Tisch. Reaktionsschnell wich Melanie dem Strahl aus und zog sich an den Türrahmen zurück. Mit offenem Mund sah sie, wie Ben das Messer aus seinem Bauch zog und es zu Boden warf. Melanie stöhnte, schlug die Hände vors Gesicht und schaute zwischen ihren Fingern zu, wie Ben eine Darmschlinge nach der anderen aus der Wunde zog und dabei kicherte wie ein kleines Kind.

„Lecker“, gluckste er, biss den Darm durch, steckte beide Enden in den Mund und saugte den Inhalt schmatzend aus, unterbrochen von Rülpsern. Melanie fragte sich, wie lange er das durchhalten würde und starrte auf seinen Magen, der zur Hälfte aus der pulsierenden, blutspuckenden Wunde hing. Ihren Würgereiz unterdrückend, schaute sie weiter zu.

Ben grunzte, entleerte Darm und Blase gleichzeitig und verdrehte die Augen. Hart schlug sein Kopf auf der Tischkante auf. Ein letztes Zucken, dann wurde es still.

Melanie nahm die Hände vom Gesicht, schluchzte und unterdrückte die Tränen.

„Was habe ich getan?“, jammerte sie. Zitternd hielt sie sich am Türrahmen fest, den Kopf zur Seite gedreht, den Brechreiz krampfhaft unterdrückend. Das platzende Geräusch der Augen holte sie in die Wirklichkeit zurück. Die nächste Phase des Killervirus‘, die Fressbakterien, traten in Aktion. Beim Verzehren des Fleisches fand gleichzeitig die Vermehrung statt. Bens Augen, sein Mund, die Ohren und Haare verschwanden immer schneller. In Zeitlupe rutschte sein Kopf zur Tischkante.

„Wahnsinn“, stöhnte Melanie, als die Leiche in sich zusammensackte und den blanken Schädel mit sich zu Boden riss. Die Bakterien verschlangen die schleimige Blutspur auf dem Weg zum Festessen.

Für Melanie war das alles nichts Neues. Dreiundachtzig Primaten waren Mystic schon zum Opfer gefallen, aber dieses Mal war es ein Mensch – einer, den sie kannte.

Immer schneller fraßen die Bakterien Bens Fleisch von den Knochen. Melanie wankte zu einem Stuhl und setzte sich. In etwa einer Stunde würde nur noch ein Skelett übrigbleiben, dann trat die letzte Stufe in Aktion. Die Bakterien fraßen sich selbst.

Die perfekte Waffe. Kein Wunder, dass das Militär so scharf auf Mystic ist, überlegte sie.

Unbarmherzig sich selbst gegenüber, hielt sie dem ekelerregenden Anblick bis zum bitteren Ende stand.

Tief durchatmend lief sie ins Schlafzimmer auf die Terrassentür zu. Vor der mobilen Kontaminationskammer blieb sie stehen. Durch die offene Tür wagte sie einen letzten Blick auf die Reste ihres Ehemanns.

Ihre Befriedigung hielt sich in Grenzen. Nach zwölf Stunden würde von Mystic nichts mehr übrig sein, dann wartete eine schweißtreibende Arbeit auf sie. Der Tisch, die Stühle und der Teppich mussten zerkleinert und im Keller mit den chemisch vorbehandelten Knochen im Ofen verbrannt werden.

„Morgen“, flüsterte sie, zog sich aus und betrat nackt die Schleusenkammer. Der Wasserstrahl prickelte erfrischend auf ihrer Haut. Genau jetzt in diesem Moment fühlte sich ihr Vorhaben richtig an. Tief einatmend betrat sie die Terrasse und schlüpfte in den bereitgelegten Jogginganzug. Eine lauwarme Sommernacht empfing sie, genau wie die bereitgestellte Weinflasche, eine von den guten Roten. Zufrieden zog sie den Korken heraus und warf ihn in den Garten.

„Den brauche ich nicht mehr“, sagte sie, füllte das Kristallglas bis zum Rand und hielt es gegen den Vollmond.

„Das war’s, du Arschloch. Morgen melde ich dich als vermisst“, sagte sie und leerte die blutrote Flüssigkeit in einem Zug.

„Schmeckt schal. Garantiert kommt der Geschmack zurück, wenn ich die Schlampe erledigt habe“, sagte sie, stellte das geleerte Glas auf den Tisch und nahm einen Schluck direkt aus der Flasche. Mit geschlossenen Augen lauschte sie den Naturgeräuschen, rote Tropfen liefen aus ihrem Mundwinkel und fielen zu Boden.

Sie träumte von ihrem Arbeitsplatz am Institut und von Ruhm und Ehre als die beste Virologin Deutschlands, oder besser - weltweit.

STIMMEN

„Norman, wann wurde die Diagnose Schizophrenie erstellt?“, fragte der Psychiater.

„Keine Ahnung“, kam die knappe Antwort.

„Norman, ich will Ihnen nur helfen. Dafür müssen Sie mitarbeiten.“

„Ich weiß es wirklich nicht mehr nach all den Psychiatern, Psychologen und Klinikaufenthalten.“

„Gut, dann fahren wir fort. Wie viele Persönlichkeiten sind Sie in der Lage auseinanderzuhalten?“

„Das ist schwierig, sie vermischen sich. Mal ist es der Assi, mal der Taffe, der Überlegte und dann wieder der ungeduldige Brutale. Aber das ist nicht mein akutes Problem.“

„Eins nach dem anderen, Norman. Beschreiben Sie mir die Persönlichkeiten.“

„Arschloch, ich habe gesagt, das ist nicht das primäre Problem!“, schrie Norman und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

„Immer ruhig bleiben. Also gut, erzählen Sie“, antwortete der Arzt mit dem Finger am Notschalter.

„Ich kann die Gedanken anderer Menschen hören, das ist das Problem“, lächelte Norman wie ein braver Schuljunge.

Der Psychiater entspannte sich, zog die Hand zurück und motivierte ihn weiterzureden.

„Ich habe mit Ihrem Vorgänger schon darüber gesprochen, warum glaubt mir denn keiner?“, jammerte er und schlug die Hände vors Gesicht.

„Erzählen Sie, wie es begann.“

„Nach einem Klinikaufenthalt und einer neu zusammengestellten Medikation fing es mit extremen Kopfschmerzen an. Ich erklärte dem Genesungsbegleiter, dass etwas in meinem Kopf nicht stimmt. Er schob es auf die Tabletten und wiegelte ab. Nachdem er den Mund schloss, hörte ich, was er dachte.“

„Und, was dachte er?“, unterbrach ihn der Psychiater.

„So ein Idiot, warum habe ich nur diesen bekloppten Beruf erlernt.“

„Kann es sein, dass Sie sich aufgrund seines Gesichtsausdrucks die Gedanken zusammenreimten?“

„Das dachte ich zunächst auch. Mein innerer Schlauberger riet mir zu einem Experiment.“

„Interessant.“

„Schreiben Sie das auf?“

„Natürlich, Norman. Wir dokumentieren alles. Verraten Sie mir mehr von Ihrem Experiment.“

„Ich besuchte ein Theater. Als sich der Vorhang öffnete, sprachen nur die Schauspieler, in meinem Gehirn dagegen tobten sich die Zuschauer aus.“

„Verstanden Sie die Worte?“

„Würden Sie etwas verstehen, wenn mehr als zweihundert Personen gleichzeitig reden?“

„Also brummte Ihr Schädel?“

„Brummen, Summen, Grummeln, Surren – Egal, wie Sie es benennen, es treibt mich in den Wahnsinn.“

„Kann ich verstehen. Und wie ist es jetzt gerade - hören Sie, was ich denke?“

„Wir befinden uns in einem Hochhaus, ohne die Medikamente wäre ich bereits auf der Flucht.“

Norman sah die Erleichterung im Gesicht des Mannes und fing an, ihn zu hassen. Er verachtete das ganze System, in dem er gefangen war. Ohne Arzt keine Medikamente und null Kohle vom Amt. Langsam wurde er ungeduldig und wippte mit den Beinen.

„Und wie ging es weiter?“

„Ich bin zu einem Friedhof gefahren und fand Ruhe und Stille, bis ich in eine Beerdigung geriet. Keiner sagte etwas, aber alle lamentierten und schimpften über den geizigen Toten, der vor ihnen im Sarg lag.“

„Sie verstanden ihre Gedanken?“

„Wenn es nur wenige sind, bilde ich mir aus den Wortfetzen einen Satz.“

„Faszinierend.“

„Meine Wohnung in der Stadt gab ich auf und zog in eine kleine Hütte am Waldrand. Dort hält man es besser aus.“

„Dann ist es eine Quälerei für Sie, hierher zu kommen?“

„Vier Stunden Fahrt - ich hasse es, es kotzt mich an, ich scheiß drauf“, schrie er und spritzte auf.

„Ruhig Norman, ich entlasse Sie für heute. Beim nächsten Mal reden wir über den Vorfall mit Ihrer Mutter. Noch einen Rat für den Nachhauseweg: Konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche, auf das Hier und Jetzt, dann werden die Gedanken anderer keinen Platz in Ihrem Kopf finden und irgendwann verschwinden.“

Norman erhob sich, verließ wortlos das Zimmer und schaffte es, die Tür nicht zuzuknallen wie beim letzten Mal.

Seine Muskeln zuckten, die Wirkung der Tabletten ließ nach. Eilig nahm er zwei Stufen auf einmal und erreichte außer Atem die Tiefgarage. Am Kassenautomaten ignorierte er das Wechselgeld und rannte zu seinem blauen Kleinwagen, der direkt neben der Ausfahrt parkte, schlüpfte in die dünnen Lederhandschuhe und fuhr los.

„So ein Arschloch. Ich soll mich auf das Wesentliche konzentrieren, dann werden die Stimmen verstummen. Und immer schön die bunten Pillen nehmen“, äffte Norman den Psychiater nach.

„Fahr schneller, du Idiot“, schrie er und schlug mit der flachen Hand auf die Hupe. Den Kopf voller Stimmengewirr, gab er Gas. Nichts wie raus aus der Stadt, er sehnte sich nach Ruhe und benötigte sie sofort. Die Nachmittagssonne verschwand schon hinter den Bergen und machte Platz für die einsetzende Dämmerung.