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»Deine Kunden kommen ja wegen dir und nicht wegen deiner furztrockenen Kuchen.« So weit, so gut. Leider sieht es trotzdem so aus, als müsste ich mir meinen Traummann selbst backen. Bisher hat sich nämlich noch keiner in meine Konditorei verirrt, um meine genialen Kreationen wie Olivenkuchen und gesalzene Bananenmuffins zu probieren. Stattdessen vergäre ich hier mit einer grantigen Texanerin, einer bärtigen Lady und einem Verehrer mit gebohnerter Glatze langsam zu Sauerteig. Aber dann geht eines sonnigen Morgens die Tür auf und ein feuchter Traum mit dem Charme eines sexy Versicherungsvertreters stolpert in den Laden. Soll ich ihn fragen, ob er mal von meinen Quarkbällchen naschen möchte? Unbedingt. Doch noch während ich darüber nachdenke, will mir plötzlich jemand ganz anderes an den Kuchen …
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Gay Romance
© Urheberrecht 2018 Jona Dreyer
Impressum:
Tschök & Tschök GbR
Alexander-Lincke-Straße 2c
08412 Werdau
Text: Jona Dreyer
Coverdesign: Jona Dreyer
Coverbild: depositphotos.com
Lektorat/Korrektorat: Shan O’Neall, Johanna Temme & Sandra Schmitt
Kurzbeschreibung:
»Deine Kunden kommen ja wegen dir und nicht wegen deiner furztrockenen Kuchen.«
So weit, so gut. Leider sieht es trotzdem so aus, als müsste ich mir meinen Traummann selbst backen. Bisher hat sich nämlich noch keiner in meine Konditorei verirrt, um meine genialen Kreationen wie Olivenkuchen und gesalzene Bananenmuffins zu probieren. Stattdessen vergäre ich hier mit einer grantigen Texanerin, einer bärtigen Lady und einem Verehrer mit gebohnerter Glatze langsam zu Sauerteig.
Aber dann geht eines sonnigen Morgens die Tür auf und ein feuchter Traum mit dem Charme eines sexy Versicherungsvertreters stolpert in den Laden.
Soll ich ihn fragen, ob er mal von meinen Quarkbällchen naschen möchte?
Unbedingt. Doch noch während ich darüber nachdenke, will mir plötzlich jemand ganz anderes an den Kuchen …
Über die Autorin
»Fantasie ist wie ein Buffet. Man muss sich nicht entscheiden – man kann von allem nehmen, was einem schmeckt.«
Getreu diesem Motto ist Jona Dreyer in vielen Bereichen von Drama über Fantasy bis Humor zu Hause. Alle ihre Geschichten haben jedoch eine Gemeinsamkeit: Die Hauptfiguren sind schwul, bi, pan oder trans. Das macht sie zu einer der vielseitigsten Autorinnen des queeren Genres.
Damit ihr’s gleich wisst: Das hier ist seichte, zuckrige, witzige Unterhaltung zum Wohlfühlen mit einem absolut vorhersehbaren Ende – der Sinn und Unsinn einer Romance besteht Gerüchten zufolge genau darin, dass die beiden Liebenden am Ende, oder vielleicht auch schon in der Mitte, zueinanderfinden. Tiefentechnisch auch für Nichtschwimmer geeignet.
Wer auf der Suche nach tiefgründigen Geschichten mit psychologisch ausgefeilten Charakteren und einer wendungsreichen Plotline aus meiner Feder ist, sollte sich unbedingt bei meinen Dramen (zum Beispiel die »Absinth mit dem Teufel«-Duologie oder »Golden Boy«) oder meinen Fantasy-Werken (Die »Inselreich-Saga«) umsehen.
Warnung: Diese Geschichte enthält furchtbar kitschige Bäckermetaphern, viel Zucker (logisch!), skurrile Mitarbeiterinnen, sonnengegerbte Schmierlappen, zu kurze Miniröcke, Keramikgebisse, abenteuerliche Kuchenkreationen, Hengste in Strickpullundern und natürlich auf kommunikativen Missverständnissen basierende Minidramen. Mein ständiges Augenzwinkern müsst ihr euch beim Lesen dazu denken.
Viel Spaß!
Fairchild’s Fine Bakery. Wie immer erfüllt mich das Ladenschild mit Stolz, als ich an diesem sonnigen Morgen mein Geschäft betrete. Und wie immer ist schon jemand vor mir da.
»Die erste Runde ist schon im Ofen, Krümel!«, ruft Blanche, eine meiner Mitarbeiterinnen, aus der Backstube. Blanche ist an die sechzig und droht mir beinahe jeden Tag damit, morgen zu kündigen und nach Florida zu ziehen, aber ich weiß inzwischen, dass das nichts als leere Drohungen sind.
»Wir hatten uns doch kürzlich erst ziemlich intensiv darüber unterhalten, dass du mich nicht Krümel nennen sollst«, schimpfe ich beim Betreten der Backstube.
Sie dreht sich zu mir um und schaut wie ein nasser Gremlin. »Und ich habe dir ziemlich intensiv gesagt, dass mir das egal ist. Du musst nachher die Diva losschicken, um Äpfel zu kaufen. Die sind aus.«
»Die Diva möchte auch lieber Lizzy genannt werden«, ermahne ich Blanche und binde mir meine Schürze um die Hüften.
»Dumm nur, dass sie eher wie ein Lance aussieht«, versetzt sie und klopft sich ihre mehlstaubigen Hände ab.
Ich rolle mit den Augen und sage nichts. Mit Blanche darüber zu diskutieren, ist zwecklos. Als ich Lizzy eingestellt habe, hieß sie tatsächlich noch Lance. Jetzt ist sie eben eine große Frau mit Minirock, Bassbariton und Bartschatten und seitdem viel freudlicher zu den Kunden. Also, meistens. Ein großer Gewinn also! Und Blanche meint das nicht böse, aber sie hat eben die Empathie eines vertrockneten Ficus. »Lizzy kommt heute erst nach dem Mittag. Sie hat einen Termin bei ihrem Therapeuten. Ich werde selbst gehen müssen.«
Sie winkt ab mit ihrer knorrigen Hand. »Lass nur. Ich geh’ schon. Du musst ja deine Kunden bezaubern. Die kommen wegen dir und nicht wegen deiner furztrockenen Kuchen.«
Diese Aussage entlockt mir ein leises Knurren. Diesen Blödsinn – dass meine Kuchen angeblich trocken sind – hat letztes Jahr einer dieser selbstherrlichen Blogger in die Welt gesetzt und eine Woche später meinen härtesten Konkurrenten über den grünen Klee gelobt. Mein Kundenandrang ging danach ein wenig zurück, was mich massiv geärgert hat. Aber ich konnte den Kerl, der sich hinter einem anonymen Comicbildchen versteckt, leider nicht verklagen, denn ansonsten war seine Bewertung recht freundlich und nicht nur negativ. Was soll’s. Gehört eben zum Geschäft dazu.
Zusammen bereiten wir die Backwaren vor, die wir heute verkaufen wollen, und richten sie hübsch in der Kuchentheke an. Pies mit verschiedenen Füllungen, Cremetörtchen, Zimtschnecken, Käsekuchen, und nachher möchte ich auch noch ein paar Pralinen gießen. Das Backen ist meine Leidenschaft, seit meine Hände in Ofenhandschuhe passen. Den süßen Duft von Kuchen finde ich tröstlich und beruhigend und das Verzieren von Torten unheimlich entspannend. Vor sieben Jahren habe ich mir dann meinen Traum erfüllt und meine eigene Konditorei eröffnet. Und wann immer ich mich hier umsehe, flattert ein verliebtes Gefühl durch meinen Magen. Die Wände leuchten in meiner Lieblingsfarbe Apricot und es gibt gemütliche Tische, an denen die Leute sitzen und meinen Kuchen essen können, wenn sie ihn nicht mit nach Hause nehmen wollen.
Es ist ein ganz normaler Tag. Am Vormittag öffnet mein Geschäft und Kunden gehen ein und aus, bekannte und unbekannte Gesichter. Eines der bekannten Gesichter ist Vince, und bei seinem Anblick muss ich zugeben, dass Blanche doch ein bisschen recht hat. Vince ist einer von denen, die meinetwegen kommen. Fairchild’s Fine Bakery ist als schwulenfreundlich bekannt und zieht entsprechende Kunden an. Leider war mein Traumprinz noch nicht darunter. Vince ist jedenfalls deutlich über fünfzig und ein ziemlicher Schmierlappen mit blankgebohnerter Glatze, Lederjacke und stets einem anzüglichen Spruch auf den Lippen. Ich habe schon erwogen, ihm ein Hausverbot auszusprechen, aber dann fürchte ich wiederum um den schwulenfreundlichen Ruf meines Kuchengeschäfts. Also lasse ich ihn weiter bei mir kaufen und herumsitzen, und ab und zu liest ihm Blanche die Leviten.
»Hallo, du süßer Muffin«, begrüßt er mich und bleckt seine unnatürlich weiß überkronten Zähne, die im harten Kontrast zu seiner ledrig gebräunten Haut stehen.
Ich habe mir irgendwann angewöhnt, nicht auf diese Ansprache zu reagieren, und schaue ihn daher nur abwartend an.
»Was hast du mir denn heute Süßes zu bieten, abgesehen von dir selbst?«
»Siehe Auslage«, gebe ich einsilbig zurück.
Vince’ Grinsen wird nicht einen Deut schmaler. Egal, was ich mache, er scheint der festen Überzeugung zu sein, mich eines Tages wie ein wildgewordener Eber besteigen zu dürfen. Aber daraus wird nichts.
»Dann gib mir doch etwas von der Schokotorte«, verlangt er, »und dazu einen Latte Macchiato. Zum hier Essen.«
»Lizzy, machst du ihm einen Kaffee?«, bitte ich liebenswürdig, weil ich weiß, dass Vince Lizzy nicht ausstehen kann.
»Ich lebe, um zu dienen«, gibt sie pathetisch aus ihren etwa zwei Meter zehn Höhe zurück und lässt die Maschine jaulen und gurgeln.
Ich richte derweil das Schokotortenstück auf einem Teller an und reiche diesen an Vince. Das heißt, ich stelle ihn auf die Theke und ziehe meine Hände eilig zurück. Das mache ich immer so, seit Vince ein paar Mal versucht hat, dabei meine Finger zu erwischen und sie mit unerwünschten Zärtlichkeiten zu attackieren.
»Das ist aber kein schöner Macchiato«, beschwert er sich bei Lizzy. »Viel zu wenig Milchschaum.«
»Babe.« Lizzy lehnt sich nach vorn über die Theke und ihre ausgestopften Brüste quellen über ihre Armbeuge. »Wenn du einen Schickimicki-Kaffee willst, dann geh zum Italiener zwei Straßen weiter oder von mir aus auch zu Starbucks. Aber komm nicht zu Lizzy.«
»Zu dir komme ich ja auch gar nicht«, erwidert Vince und hebt die Nase, bevor er sich wieder mir zuwendet und wie gewohnt schmierig grinst.
»Sieben Dollar und achtzig Cent bitte«, erkläre ich ungerührt.
Vince zahlt auf den Cent genau und begibt sich mit seinem Tablett an einen kleinen Tisch in der Ecke, von dem er mich gut beobachten kann. Ich hasse das. Aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt.
»Harry? Ist Meister Proper wieder da?«, ruft Blanche von hinten aus der Backstube.
Ich feixe in mich hinein, weil ich den Spitznamen immer wieder passend finde. »Ja, ist er.«
Sie kommt zur Theke hervor und wischt einmal grundlos mit dem Lappen über die Kasse. »Spuck ihm doch mal in den Kaffee.«
»Bist du verrückt?«, zische ich unterdrückt und scheuche sie zurück in die Backstube. »Ich habe einen Ruf zu verlieren. Hast du schon Äpfel geholt?«
»Nein, aber ich wollte mich gerade auf den Weg machen. Kann ich dich alleine lassen, wenn dein Verehrer da ist? Nicht, dass der dir noch am Schokotörtchen nascht.«
Ich heule auf. Nicht nur wegen dieses Bildes, sondern auch wegen der Vorstellung. »Lizzy ist hier und passt auf mich auf.«
»Ja, wenn sie nicht gerade selber Gäste beobachtet, denen sie in Gedanken eine Keule über den Kopf zieht und sie in die nächste Höhle schleift. Ich beeil’ mich.«
Kopfschüttelnd sehe ich ihrer kleinen Gestalt hinterher, die mit dem Korb aus der Tür wackelt und dabei mit jemandem zusammenstößt. Der Mann im weißen Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln und hellgrauer Strickweste scheint sich überschwänglich zu entschuldigen, während Blanche abwinkt und ihn hinein in die Bäckerei scheucht.
Okay, ich bin dann mal sterben.
Er lächelt. Er kommt auf mich zu. Er kommt näher. Er hat dunkelbraune Haare und graue Augen. Trägt eine dünnrandige Brille. Und er lächelt. Und er kommt näher. Und er–
»Guten Tag.« Das Lächeln wird breiter. Mein Herzschlag wird schneller. »Ich war vor längerer Zeit schon einmal hier und dachte, ich schaue mal wieder vorbei.«
Erst, nachdem er mich ungefähr fünf Sekunden abwartend angesehen hat, bemerke ich, dass ich anscheinend kurz ins Wachkoma gefallen bin. Ich kann mich gar nicht an ihn erinnern. »Schön.« Wow, was für eine tolle Antwort.
Er räuspert sich verlegen und kratzt sich mit seiner wunderschönen, feingliedrigen Hand, um deren Gelenk locker eine Uhr liegt, im Genick. »Was können Sie denn empfehlen? Gibt es ein Tagesangebot?«
»Also ... ich habe ... Kuchen. Viel Kuchen.«
Er lacht. Dunkel, tief, kehlig. Ich möchte auf der Stelle Sex mit dieser Stimme. »Was Sie nicht sagen.«
Jetzt bin ich es, der sich räuspert, während ich versuche, meine Fassung zurückzuerlangen. »Meine Kuchen werden jeden Tag frisch gebacken. Besonders kann ich heute die Blaubeer-Pie und die Schokotorte empfehlen.«
»Riecht alles köstlich und sieht noch besser aus. Blaubeere oder Schoko, beides gefährlich, wenn man helle Sachen trägt, aber ich bin mutig und nehme ein Stück Blaubeerkuchen.«
»Zum ... zum hier Essen?«, stammle ich und angle blind nach meinem Tortenheber.
»Leider nicht«, gibt er bedauernd zurück, »ich muss gleich wieder los.«
Ich nicke. Wenn hier in diesem Laden etwas furztrocken ist, dann ist es mein Mund. Für Kunden, die ihren Kuchen mitnehmen wollen, anstatt ihn hier zu essen, habe ich kleine Transportboxen, die wie Geschenkkartons aussehen. Ich habe das einmal auf einer Reise nach Frankreich entdeckt und es hat mir gefallen. Sorgfältig lege ich das Stück Kuchen in die Box und mache noch eine schöne Schleife mit apricotfarbenem Band darum, bevor ich ihm das Paket auf die Theke stelle. Ich lasse noch einen Moment meine Hände darauf ruhen, in der Hoffnung, dass er einen ähnlichen Annäherungsversuch macht wie Vince, nur dass er in dem Fall äußerst erwünscht wäre. Aber nichts passiert.
»Was schulde ich Ihnen?«
»Achso, äh ... drei Dollar und achtzig Cent.«
Er gibt mir vier. Und ich muss mich zusammenreißen, um nicht nach seinen Fingern zu fassen, als ich das Geld entgegennehme. In mir steckt offensichtlich ein Vince. Das ist furchtbar!
»Also.« Er nickt mir zu. »Vielen Dank. Es ist wirklich schön hier. Ich komme sicher mal wieder.«
Ja, bitte! Und zwar bald!
»Ich würde mich freuen.«
Er nickt mir noch einmal zu, lächelt dabei und macht sich auf den Weg hinaus. Der nächste Kunde wartet schon. Als ich meinen Blick endlich von dem Mann im weißen Hemd lösen kann und auf die Theke richte, fällt mir etwas auf. Scheiße! Ich habe ihm den falschen Kuchen eingepackt!
»Moment kurz«, bitte ich den wartenden Kunden, stürze um die Theke herum und zur Ladentür hinaus. »Warten Sie!«
Der hübsche Mann bleibt stehen und dreht sich um. In seinem Blick steht Überraschung und er fasst sich mit einer kurzen, unbewusst wirkenden Geste an den Hemdkragen. »Ja?«
Keuchend hole ich ihn ein. »Ich habe Ihnen versehentlich den falschen Kuchen eingepackt. Kirsche anstatt Blaubeer. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte.«
Er winkt ab und lächelt wieder. Er hat wirklich schöne Zähne, nicht solche Keramikhauer wie Vince. »Ist nicht schlimm, ich mag auch Kirschkuchen.«
»Haben Sie noch zwei Minuten?«
»Eigentlich nicht, aber weil Sie’s sind.«
Ich schlucke heftig. »Ich – ich bin gleich wieder hier.«
Im Schweinsgalopp renne ich zurück in die Bäckerei, packe hastig ein Stück Blaubeerkuchen – diesmal wirklich Blaubeerkuchen! – ein und haste wieder hinaus. Der hübsche Mann, dessen Namen ich zu gerne in Erfahrung bringen würde, wartet auf mich.
»Das geht auf’s Haus«, verkünde ich, als ich atemlos zu ihm aufschließe. »Ich würde mich freuen, wenn Sie trotz Panne mal wieder vorbeischauen.«
»Das werde ich«, verspricht er und hebt die Hand zum Gruß. »Ganz bestimmt.«
Wow. Ist das gerade wirklich passiert? Hat mich der süße Kuchenbäcker persönlich verfolgt, um mir das richtige Stück Kuchen mitzugeben? Mich hätte auch eine Kirsch-Pie nicht gestört. Jetzt habe ich beides. Und ich werde an den Bäcker denken, wenn ich sie esse.
Als ob ich eine Wahl hätte.
Kann man sich auf den ersten Blick in jemanden verknallen? Oder anders gefragt: Kann ich das? Die Antwort lautet offensichtlich ja. Ich mag Kuchen. Ich mag Männer. Und jetzt war da dieser Kuchenbäcker. Diese strubbeligen, braunen Haare, die ebenso braunen Augen, das kleine Bäuchlein. Grundgütiger!
Ich gehe nicht nach Hause, ich torkele. Und drehe mich immer wieder um, in der Hoffnung, dass er mir nochmal hinterherläuft, weil es wieder der falsche Kuchen war. Natürlich ist er nicht da. Aber als er vorhin »Warten Sie!« zu mir gerufen hat, hatte ich für einen irrwitzigen Moment die Fantasie, dass er mich noch nach meinem Namen und meiner Nummer fragen will. Wollte er nicht. Wenn ich ein Tier wäre, dann wäre ich am ehesten ein Maulwurf oder ein Teichmolch. Und ich kenne nicht einmal seinen Namen – es sei denn, er war der Inhaber persönlich. Dann heißt er Harry. Das würde zu ihm passen. Ich werde ihn also gedanklich Harry nennen, bis ich es besser weiß – oder sich meine Vermutung bestätigt.
Mit ziemlichem Herzklopfen komme ich bei mir zu Hause an. Und nun? Kuchen. Ich habe Kuchen und ich sollte ihn essen. Welchen zuerst? Blaubeere oder Kirsche? Beide gleichzeitig, immer abwechselnd von jedem einen Bissen. Ich nehme die liebevoll gepackten Kuchenkartons zur Hand und öffne sie. Hebe die beiden Kuchenstücke heraus und lege sie auf meinen Teller. Ob Harry Fairchild seine Kuchen wirklich selbst backt? Unwillkürlich muss ich mir vorstellen, wie seine schönen Hände den Teig bearbeiten. Wie er die Zutaten in seine schlanken Finger nimmt und sie kundig zu einem köstlichen Gebäck verarbeitet. Verdammt, es ist köstlich. Eigentlich habe ich mir diesen Kuchen nur geholt, um zu sehen, ob sich die Qualität der Backwaren seit meiner Bewertung auf meinem Food-Blog im letzten Jahr verbessert hat. Aber ob ich das jetzt noch kann? Wie soll ich irgendetwas neutral und sinnvoll beurteilen, wenn ich die ganze Zeit den Bäcker anschmachte, der damals gar nicht anwesend war? Denn der wäre mir aufgefallen.
Himmel, was ist nur mit mir los? Ich erkenne mich selbst kaum wieder. Vielleicht hilft ein Schwall kaltes Wasser. Oder am besten gleich eine Eisdusche. Der Blick in den Spiegel bringt die übliche Ernüchterung. Dunkle Haare, Brille, gähn. Ich sehe aus wie ein Versicherungsvertreter. Vielleicht sollte ich doch einmal etwas an meinem Aussehen ändern.
Nein!
Das Leben ist eine Brise im Schilf. Ich bin eine Lotusblüte auf dem Wasser, ommm, und so weiter. Wenn, dann muss der Kuchenbäcker mich so mögen, wie ich bin. Alles andere ist sinnlos. Wer den Lambada in meiner Hose erleben will, muss auch den Rest wollen. Aber um herauszufinden, ob auch nur ansatzweise so etwas wie Interesse bei Harry vorhanden ist, muss ich so bald wie möglich wieder in die Bäckerei. Dumm nur, dass ich morgen zu einem Blogger-Event nach Atlanta fliege und dadurch in den nächsten Tagen keine Gelegenheit haben werde, mir noch einmal Kuchen zu holen. Aber danach ... danach! Dann gehe ich wieder hin. Frage ihn vielleicht sogar nach einem Date. Oder schaue erst einmal, ob er mir dann immer noch gefällt. Ein seltsames Gefühl, sich zu wünschen, schon wieder von einer Reise zurückgekehrt zu sein, die man noch nicht einmal angetreten hat. Ich glaube, ich brauche mehr Kirschkuchen.
»Mach die Gosch zu, es zieht.« Erschrocken klappe ich meinen Mund zu und blinzle Blanche an.