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»Frag doch mal Callum. Der kann dir bestimmt helfen.« - Mein genialer Plan: Den Highlander meiner rosarot karierten Täume beeindrucken. Die Realität: Ich stehe unten ohne auf einer Wiese und singe »Scotland the Brave«, während mein Feinrippschlüpfer an einem Fahnenmast hängt und sich verzweifelt gegen den schottischen Wind zur Wehr setzt. Was hat das mit den Highland Games, dem Ehemann der Queen, Rosamunde Pilcher und einem Taxifahrer zu tun? Und wie konnte das alles überhaupt passieren? Nun ja. Ich habe Callum MacTavish gefragt ... Enthält folgende Dinge: popcornfressende Highlandschafe, Handicaps, brennende Willies, grantige Taxifahrer, den Prinzgemahl der Queen, Rosamunde Pilcher, fliegende Augen, Pannensex, regenbogenfarbene Kilts, Nessie, Haggis auf Beinen, geizige Schotten, Eddie the Eagle, eine Menge Anti-Helden, Uraltwitze und einen winzigen Cameo-Auftritt von se one änd only Dschörmäns. Ach ja, und Schmuddelkram. Kann unter Umständen Diabetes und Bauchmuskelkater auslösen. Kein Reiseführer!
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Gay Romance
© Urheberrecht 2018 Jona Dreyer
Impressum:
Tschök & Tschök GbR
Alexander-Lincke-Straße 2c
08412 Werdau
Text: Jona Dreyer
Coverdesign: Jona Dreyer
Coverbild: depositphotos.com
Lektorat/Korrektorat: Kelly Krause, Kristina Arnold, Doris Lösel, Shan O’Neall, Johanna Temme und Sandra Schmitt
Kurzbeschreibung:
»Frag doch mal Callum. Der kann dir bestimmt helfen.«
Mein genialer Plan: Den Highlander meiner rosarot karierten Träume beeindrucken.
Die Realität: Ich stehe unten ohne auf einer Wiese und singe »Scotland the Brave«, während mein Feinrippschlüpfer an einem Fahnenmast hängt und sich verzweifelt gegen den schottischen Wind zur Wehr setzt.
Was hat das mit den Highland Games, dem Ehemann der Queen, Rosamunde Pilcher und einem Taxifahrer zu tun? Und wie konnte das alles überhaupt passieren?
Nun ja. Ich habe Callum MacTavish gefragt ...
Über die Autorin
»Fantasie ist wie ein Buffet. Man muss sich nicht entscheiden – man kann von allem nehmen, was einem schmeckt.«
Getreu diesem Motto ist Jona Dreyer in vielen Bereichen von Drama über Fantasy bis Humor zu Hause. Alle ihre Geschichten haben jedoch eine Gemeinsamkeit: Die Hauptfiguren sind schwul, bi, pan oder trans. Das macht sie zu einer der vielseitigsten Autorinnen des queeren Genres.
Ah, Schottland! Schon wieder! Dieser Roman (es ist kein Reiseführer) enthält folgende Dinge: popcornfressende Highlandschafe, Handicaps, brennende Willies, grantige Taxifahrer, den Prinzgemahl der Queen (ihr wisst schon, Prinz Peinlich), Rosamunde Pilcher, fliegende Augen, Pannensex, regenbogenfarbene Kilts, Nessie, Haggis auf Beinen, geizige Schotten, Eddie the Eagle, eine Menge Anti-Helden, Uraltwitze und einen winzigen Cameo-Auftritt von se one änd only Dschörmäns. Ach ja, und Schmuddelkram.
Kann Diabetes auslösen. Muss aber nicht.
Frag doch mal Callum. Der kann dir bestimmt weiterhelfen.
Vielleicht sollte ich nicht immer auf das hören, was andere mir raten. Hätte ich an diesem Abend einfach meinen Rucksack gepackt und wäre nach Hause gegangen, dann stünde ich jetzt nicht hier. So ... entblößt.
Ich stehe auf einer grünen, schottischen Wiese. Die Sonne scheint. Nicht so richtig, aber ein bisschen. Meine Hand liegt auf meiner Brust, dort, wo mein Herz schlägt, und ich singe aus voller Kehle Scotland the Brave, obwohl ich den Titelsong von Outlander irgendwie motivierender fände. Eine steife Brise schaukelt meine Eier. Ja, ich bin unten ohne. Mein Schlüpfer hängt nämlich an einem Fahnenmast und flattert im Wind wie eine Flagge. Immerhin eine Flagge ohne Streifen.
So ganz sicher bin ich mir nicht, ob das der absolute Tiefpunkt meines Lebens ist oder vielleicht der Beginn einer großen Karriere. Na ja, sagen wir, einer mittelgroßen Karriere. Einer lokalen. Hier im Ort. Egal.
Warum stehe ich also hier und singe und friere mir die Eier ab, während sich meine Unterhose verzweifelt an eine Fahnenstange klammert, um nicht auf Nimmerwiedersehen in die Weiten der Highlands geweht zu werden?
Ganz einfach.
Ich habe Callum gefragt ...
Es ist ein ganz normaler Tag in einem ganz normalen, schottischen Pub. Unsere Tische sind abgenutzt, die selbstverständlich karierten Vorhänge ein bisschen muffig und wir servieren Haggis, Neeps and Tatties, weil die Touristen das so wollen. Und von denen wimmelt es in Lochnalyne. Ach ja, und Ale. Wir haben viel Ale.
Der Abend ist bereits vorangeschritten und der Laden voll. Viel zu tun für mich. Ich arbeite hier nämlich. Eigentlich sogar ganz gern, wenn nur manche Gäste nicht so furchtbar anstrengend wären. Zum Beispiel die Niederländer da drüben, die die ganze Zeit die Vorhänge befingern, als würden sie sie mitnehmen wollen. Ich schwitze hier Blut und Wasser, denn die Dinger sind so alt, dass ich fürchte, dass sie einfach zu einer Staubwolke zerfallen, wenn man an ihnen zieht. Die hingen hier schon, als man im Pub noch rauchen durfte. Manchmal stelle ich mir vor, wie das Nikotin den Stoff in kleine Brösel verwandelt hat, die irgendwann einfach von der Gardinenstange rieseln. Aber bevor das nicht passiert, wird es wohl keine neuen geben. Denn mein Chef ist fast so geizig wie mein Grandad.
Während ich immer noch mit der Vorstellung beschäftigt bin, wie sich der niederländische Mann die Bröselgardine wie einen Kilt um die Plauze wickelt, tritt ein Gast an die Theke.
»Ein Auld Reekie Stew, bitte.«
»Die Toiletten sind da drüben«, antwortet mein Kollege und zeigt in Richtung Klotür.
»Hä?« Der Gast kratzt sich am Kopf. »Ich muss nicht aufs Klo. Ich wollte bestellen.«
»Ja, Sie dürfen sich stellen, wir haben Urinale.«
Räuspernd mische ich mich ein. »Er will eine Bestellung aufgeben, Jamie.«
»Seine Stellung aufgeben?« Bestürzt blickt mein Kollege mich an.
»Be-stell-ung«, wiederhole ich und forme das Wort übertrieben mit meinen Lippen.
»Achso!« Jamie klatscht sich gegen die Stirn und wendet sich wieder an den verdatterten Gast. »Was darf’s denn sein?«, brüllt er ihn an. Er brüllt freundlich, aber er brüllt. Das macht er immer.
»Ein Auld Reekie Stew«, wiederholt der Mann tapfer.
»Ich? Wieso ich?«
»Er sagt Stew«, erkläre ich Jamie, »nicht Du.«
»Ich glaub, ich nehm’ einfach ein Sandwich«, murmelt der Gast.
»Nein, nein«, erkläre ich eilig und dränge Jamie beiseite. »Ich übernehme das mal eben. Also, einen Auld Reekie Stew möchten Sie, und was darf es zu trinken sein?«
»Ein Scotch Ale, bitte. Pint.«
Ich gebe Jamie ein Handzeichen, das Bier auszuschenken. Das kapiert er immer. Wortlos. Zum Glück. Der irritierte Gast schlurft mit seinem Ale zurück zu seinem Tisch. Und ich habe gelogen.
Wir sind gar kein ganz gewöhnliches Pub. Hier ist alles so wie in anderen Pubs auch, mit einem kleinen Unterschied: Mein Chef stellt in einem nimmerendenden Anflug des Samariterwahnsinns nur gehandicapte Leute ein. Das ist cool. Keine Frage. Aber ein schwerhöriger Kellner hinter der Theke eines lauten, vollbesetzten Pubs ist, sagen wir, ein wenig unpraktisch. Jamie behauptet zwar, er könne Lippen lesen, aber das ist eine glatte Lüge.
Nicht, dass ich sehr viel nützlicher wäre. Der Teppich im Pub ist Zeuge, wie oft ich schon mit einem vollbeladenen Essenstablett über irgendeine Schwelle gestolpert bin. Ich sehe nämlich nur mono. Ich habe nur ein Auge, das andere habe ich verloren. Wenn mich jemand fragt, wie das passiert ist, dann antworte ich meistens: Ist mir unterwegs rausgefallen und ich hab’s erst zu Hause bemerkt. Das stimmt natürlich nicht, aber ich habe überhaupt keine Lust, jedem die ganze Geschichte zu erzählen. Seit ich eine wirklich hübsche Prothese habe, die sich sogar ein bisschen mitbewegt, fragen zum Glück nicht mehr so viele. Aber in der Schule hatte ich liebreizende Spitznamen wie Zyklop oder Holzauge. Dort muss ich aber Gott sei Dank schon einige Jahre nicht mehr hin.
Die Tür geht auf und ein neuer Pulk an Gästen drängt sich in den ohnehin schon viel zu vollen Raum, aber leider ist noch ein Tisch frei, also kann ich sie nicht postwendend wieder hinausschmeißen. Manchmal stelle ich mir vor, wie ich hereinkommende Gäste mit einem Besen attackiere und sie wieder vor die Tür scheuche. Das steht auf jeden Fall ganz oben auf meiner Bucket-List. Als ich allerdings bemerke, wer unter diesen neuen Gästen ist, verschwinden meine Besengedanken ganz schnell in die Abstellkammer, dafür möchte etwas anderes unbedingt einen Stiel bekommen. Er ist es. Beim verflixten Highlander: Er-ist-es!
Willie Burns.
Ich sinke hinter der Theke darnieder und Jamie packt mich beim Ärmel, als er merkt, dass ich wirklich gerade einen Abflug in Richtung Teppich mache.
»Was ist los?«, brüllt er in mein Ohr.
Ich gebe ihm mit einer Geste zu verstehen, die Klappe zu halten, und lehne mich geiernd über die Theke. Beobachte, wie dieses stramme Mannsbild von einem Schotten mit seinen Begleitern an dem freien Tisch Platz nimmt und sich im Pub umsieht. Ach, diese strammen Waden unter seinem Kilt. Diese muskelbepackten Arme. Das strohblonde Haar. Hrrr. Willie Burns. Der Champion der letzten lokalen Highland Games und eine kleine Berühmtheit. Nicht nur, weil er Baumstämme mühelos bis auf die Orkney-Inseln werfen kann, sondern weil er in meiner kleinen Welt der mutigste Mensch auf Erden ist. Er ist nämlich out. Ich meine, ich bin auch out. Aber Willie Burns ist so out, dass er die letzten Highland Games demonstrativ in einem knallpinken Shirt und einem Kilt in Regenbogenfarben absolviert hat. Was für ein Statement! Das Publikum hat ihn geliebt. Die lokale Presse auch. Und ich erst ...
Er ist also wieder hier. Ich hatte ihn nach dem Ende der letzten Highland Games nicht wiedergesehen, aber das ganze vergangene Jahr jeden Tag von ihm fantasiert. Nicht, dass ein Kerl wie er sich für mich interessieren würde, aber man kann ja mal träumen.
»Das Essen für Tisch vier ist fertig!«, schreit mich Jamie von der Seite an, dass es mir die Frisur verweht.
Ich erwache aus meiner Trance und mache mich an die Arbeit. Es wäre schön, wenn ich heute Abend mal nicht mit dem Tablett auf die Fresse fliegen würde. Peinlichkeiten sind in der Gegenwart meines persönlichen Superhelden zu vermeiden. Nachdem ich den Gästen an Tisch vier unfallfrei ihr Essen serviert habe, schlendere ich betont lässig hinüber zu Willie und seinen Kumpels. Und übersehe dabei beinahe eine Welle im Teppich, von der ich eigentlich genau weiß, dass sie dort ist. Puh. Also. Was mache ich jetzt? Was sage ich jetzt? Einfach so: Hallo, wie geht’s?
»Jemand zu Hause?«
Äh? Erschrocken schüttle ich den Kopf. Scheiße. Ich habe vermutlich gerade dagestanden und grenzdebil gestarrt.
»Hast du ein Problem oder was?« Willie verschränkt seine beeindruckenden Arme.
Ja, ich habe ein Problem. Mein Name ist Ian Ramsay und ich bin in dich verknallt.
»B-Bestellung«, stammle ich. »Wollt ihr schon bestellen? Ha-habt ihr schon was gefunden?«
»Erst mal eine Runde Bier für alle, die du uns bitte an den Tisch bringst, und dann das, was die Tageskarte so hergibt.«
»Fisch mit Buttersoße«, murmle ich abwesend und starre ehrfürchtig auf das kleine Grübchen in seiner Wange, das er sogar hat, wenn er nicht lacht. Und das tut er gerade nicht. Im Gegenteil. Er runzelt die Stirn.
»Okay. Is’ noch irgendwas?«
»Wieso?«, frage ich erschrocken.
»Weil du so glotzt.«
»Entschuldigung«, erkläre ich eilig. »Aber d-du bist doch der Highland-Games-Champion vom letzten Jahr, nicht wahr?«
»Bin ich. Willst du ’n Autogramm?«
»O ja, bitte!«, kreische ich viel zu hoch und viel zu laut, sodass ein Moment Stille im Pub eintritt und gefühlt alle Blicke auf mich gerichtet sind. Die Niederländer hören sogar auf, die Vorhänge zu befummeln.
Willie grinst. Wie kann er es nur wagen, so gut auszusehen? »Wohin willst du das Autogramm denn haben?«
Wohin du willst! Auf meine Stirn! Auf meine Arschbacken! In meinen ...
»Vielleicht auf einen Bierdeckel oder so«, murmle ich schüchtern.
»Na dann streng dich mal an und bewirte uns ordentlich, dann kriegst du vielleicht eins.« Seine Kumpels lachen, er boxt mir spielerisch an den Arm und ich fühle mich wie der karierte Bröselvorhang.
Im Rückwärtsgang entferne ich mich vom Tisch, stoße dabei gegen den Stuhl eines Gastes und ergreife geradezu panisch die Flucht. Das Personalklo ist meine Rettung. Ich brauche eine Minute, um runterzukommen. Atmen, Ian. Atmen. Meinte er das zweideutig mit dem Autogramm? Oder doch nur den Bierdeckel? Aber selbst, wenn: Auch da klebt seine DNA dran. Nicht auszuhalten. Aber wenn ich ihn ordentlich bewirten will, dann sollte ich so langsam mal wieder das Klo verlassen, ihm sein Ale ausschenken und die Essensbestellung an die Küche weitergeben.
Einen kurzen Blick in den Spiegel gönne ich mir noch. Muss ja sehen, ob die Frisur sitzt. Das tut sie übrigens nie. Auch sonst bin ich nicht mit außergewöhnlicher Schönheit gesegnet. Eher dünn, rote Haare, haselnussbraune Augen und ein Gesicht voller Sommersprossen. Dazu die Prothese. Und meine Haare sind heute auch noch ein bisschen fettig, weil ich sie nicht waschen konnte. Mistikack. Grandad dreht nur alle zwei Tage das Warmwasser auf und heute war natürlich kein zweiter Tag. Warum muss ich gerade heute Willie Burns begegnen? Hätte ich das gewusst, wäre ich irgendwoanders duschen gegangen.
Als ich das Klo verlasse, sehen Willie und seine Freunde schon ziemlich ungeduldig aus. Beeilung, Ian! Die sind hungrig und durstig. Eilig gebe ich die Bestellung an die Küche weiter – Murray, unser Koch, hat übrigens Tourette – und mache mich daran, das Ale auszuschenken. Eins, zwei, drei, vier ... fünf Stück.
»Schaffst du das?«, wiehert mich Jamie an.
»Was denn?«
»Tablett mit fünf Ale!«
»Ja, Mann.« Ich runzle die Stirn. Ich hab’ das schon mal geschafft, ohne irgendetwas umzuwerfen. Irgendwann muss es mir ja ein zweites Mal gelingen.
Hochkonzentriert balanciere ich das Tablett durch den Gastraum, laufe Slalom zwischen Tischen und Stühlen und komme unversehrt an meinem Ziel an. Normalerweise holen sich die Gäste ihre Getränke an der Theke, aber für meinen Schwarm mache ich gern eine Ausnahme. Mit stolzgeschwellter Brust stelle ich jedem sein Ale vor die Nase und will mich fast schon verbeugen.
»Ist hier ein Magnet im Boden, dass du immer so lange stehenbleibst?«, fährt mich einer von Willies Kumpels an.
Erschrocken weiche ich zurück. »Entschuldigung. Ich dachte, vielleicht habt ihr noch Wünsche oder so.«
»Haben wir nicht.«
Mann, sind die alle unfreundlich. Aber ich muss mich auch nicht wundern, wenn ich wie ein Depp hier herumstehe. Mit eingezogenem Kopf schleiche ich zurück zum Tresen und gehe weiter meiner Arbeit nach. Ordentlich bewirten lautet die Devise. Dann gibt es ein Autogramm. Ich brauche dieses Autogramm in meinem Leben!
Aufgeregt poliere ich Biergläser, bis Murray aus der Küche »Essen für Tisch sieben, Scheiße, verreck dran, verreck dran!« ruft. Wenn er so flucht, dann ist er sehr gestresst. An ruhigeren Tagen schlägt er meist nur mit dem Kochlöffel um sich.
Ich nehme den ersten Teller an mich und gehe damit zu Willies Tisch hinüber, um meinem Champion als Erstes sein Essen zu kredenzen. Der Kellnergott scheint mir heute gnädig, denn ich passiere die Teppichwelle ohne ein großes Unglück. Steuere unbeirrt auf Willie zu, der seinen blonden Schopf wendet und mir lächelnd entgegenblickt. Scheiße. Ich bekomme eine spontane Armlähmung und der Teller segelt mir aus den erschlafften Händen. Selbstverständlich landet das Fischfilet in Buttersoße direkt auf Willies Shirt. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, diesen Prachtkörper mit Butter einzureiben, aber mein Superheld scheint weniger begeistert. Verärgert verzieht er die Miene und versetzt mir einen Stoß, der mich nach hinten taumeln und abermals gegen den Stuhl eines anderen Gastes stoßen lässt, der dem Geräusch nach zu urteilen mit dem Gesicht in seiner Shepherd’s Pie landet.
Katastrophenalarm.
»Sag mal, du Depp!«, braust Willie auf und klaubt sich wütend das Kabeljaufilet von der Brust. »Wie kann man nur so dämlich sein? Das Shirt war neu! Und teuer!«
»I-ich komme für die Rechnung auf«, stammle ich und möchte am liebsten im Boden versinken. »Es ist so, ich bin auf einem Auge blind, und manchmal–«
»Dann such dir einen Job, wo du nichts sehen musst!«, unterbricht er mich unwirsch. »Meine Fresse.«
Ich schlucke heftig. »Ich bringe ein Tuch. Das Essen geht natürlich aufs Haus. Und ich bringe noch eine Runde Bier, auch aufs Haus. Okay?«
»Ja, ja. Jetzt hau ab und bring das in Ordnung!«
Mein Kopf brennt vor Scham, während ich zum Tresen zurückgehe, ein Tuch hole und es Willie bringe. Seine Kumpels machen auf einmal den Eindruck einer russischen Schlägerbande, die mich gleich vor die Tür zerren und windelweich prügeln will. Das verlangt nach einer Bestechung mit Ale. Viel Ale.
Es bleibt nicht bei der Gratisrunde. Sie bestellen noch einige mehr. Nach Runde vier habe ich aufgehört, zu zählen. Immerhin scheint mir Willie mit jedem Ale etwas weniger böse wegen des kleinen Unfalls zu sein. Irgendwann lächelt er sogar wieder.
»In einer halben Stunde schließt das Pub«, kündige ich an. »Letzte Bestellmöglichkeit.«
»Dann bring uns noch eine Runde, Kleiner!«, verlangt Willie.
»Bekomme ich dann mein Autogramm?«, frage ich schüchtern.
»Nö. Du hast mich vollgekleckert.«
Unvermittelt packt er mich bei den Hüften und reißt mich auf seinen Schoß. Ich bekomme einen kleinen Herzinfarkt und habe schweinische Gedanken, die ein bisschen in die Richtung »Benutz mich ohne Gummi« gehen.
»Wenn du mich beeindrucken willst«, erklärt Willie und rubbelt mich an seiner Brust, dass ich schon wieder das Bröselgardinen-Syndrom bekomme, »dann mach bei den Highland Games mit und besieg mich. Dann geb’ ich dir ein Autogramm und du kannst dir sogar den Stift aussuchen.«
Ich kann mir den Stift aussuchen. Ich kann mir den Stift aussuchen!
Er schiebt mich von seinem Schoß und ich klatsche auf den Boden wie ein frischer Kuhfladen.
Welchen Stift meint er? Den Hosenstift? Will er mich damit markieren, wenn ich ...? Beim verflixten Highlander!
»Rufst du uns ein Taxi, wenn du aufgestanden bist? Wir wollen nach Inverness.«
»Mach ich!« Ich rapple mich auf und torkle wie eine neugeborene Giraffe zurück zur Theke. Zücke das Telefon und wähle die Nummer des Taxidienstes.
Mit einem grantigen »Wer stört?«, geht der ewig schlechtgelaunte Callum MacTavish ans Telefon.
Ich rolle mit den Augen. »Ian hier, vom White Boar. Ich hätte einen Schnapsdrosseltransport nach Inverness für sechs Personen.«
»Nach Inverness?«, knurrt es aus dem Hörer. »Es ist ein Uhr nachts, habt ihr sie eigentlich noch alle?«
»Entschuldigung, dass wir dir eine Gelegenheit bieten wollen, Geld zu verdienen«, gebe ich säuerlich zurück. Ich bin ja wirklich nicht die Idealbesetzung für meinen Job, aber bei Callum denke ich jedes Mal wieder: Augen auf bei der Berufswahl.
»Aye, ist ja gut«, brummt er. »Ich hole den Bus raus. Bin in einer Viertelstunde da.«
Tatsächlich steht er exakt fünfzehn Minuten später auf der Türschwelle. Seiner Frisur und seinen Augenringen nach zu urteilen, habe ich ihn geweckt, und seine heitere Laune ist ansteckend wie immer. »He, Pünktchen!«, ruft er zu mir herüber. »Wo sind die Schnapsdrosseln?«
Ich hasse es, wenn er mich Pünktchen nennt. Er tut das wegen meiner Sommersprossen und weiß genau, dass ich es nicht leiden kann.
»Unsere werten Gäste sind da drüben«, erkläre ich und senke die Stimme. »Das da ist Willie Burns, der Champion der Highland Games vom letzten Jahr.«
»Und wenn’s der Dalai Lama wäre«, versetzt Callum, schnaubt genervt und geht hinüber an den Tisch. »MacTavish Taxi. Trinkt euer Ale aus. Ich bringe euch jetzt nach Inverness.«
»Ian, ist dein Gehirn eingeschlafen?« Ewan, mein Chef, steht vor mir und stemmt die Hände in die fleischigen Hüften. Schlagartig erwache ich aus meinen Tagträumen.
»Wenn du weiter an diesem einen Glas herumpolierst, ist es irgendwann einfach verschwunden«, bemerkt er kopfschüttelnd.
»Ach.« Ich stelle das Glas ab und lege das karierte Geschirrtuch beiseite. Es ist Nachmittag und die letzten Mittagsgäste haben das Pub verlassen. Meine Schicht ist gleich zu Ende. »Wir brauchen übrigens neue Gardinen.«
»Wie kommst du denn jetzt auf Gardinen?« Misstrauisch runzelt er die Stirn. »Ist irgendwas mit dir los? Ich werde seit gestern das Gefühl nicht los, dass irgendein Draht in deinem Karottenköpfchen den Kontakt verloren hat.«
»Ach ...« Ich winke ab. »Ich denke nur über etwas nach.«
»Und worüber, dass du dadurch gleich vergisst, wie man richtig arbeitet?«
»Über die Highland Games.«
»Die sind erst in zwei Monaten.«
»Ich weiß«, gebe ich zurück, »aber ich überlege, ob ich vielleicht antrete.«
»Okay.« Ewan hebt die Hände. »Okay, irgendwas stimmt definitiv nicht in deinem Oberstübchen. Bist du mit dem Fahrrad gestürzt? Hat der alte Ramsay dir wieder überlagerte Dosensuppe zu essen gegeben?«
»Nein!«, erwidere ich gekränkt. »Ich denke ernsthaft darüber nach, dieses Jahr vielleicht mal mitzumachen.«
»Und in welcher Disziplin? Es gibt kein Um-die-Wette-Hinfallen, weißt du?«
»Denkst du, ich bin gerne so ein Volltrottel?« Ich verschränke die Arme und schlucke an etwas Bitterem. »Aber vielleicht würde ich dann sogar mal lernen, mich sicherer zu bewegen.«
»Ach, Junge.« Mein Chef verschränkt die Arme und lehnt sich gegen die Theke. »Gib es zu, das hat doch mit diesem Willie Burns zu tun, den du so anschmachtest.«
Ertappt senke ich den Blick. »Sagen wir mal, er hat mich ermutigt.«
»Also wenn du das wirklich ernstmeinst, dann werde ich dich natürlich unterstützen und anfeuern. Ich frage mich allerdings trotzdem, in welcher Disziplin du antreten willst. Baumstammweitwurf würde ich jetzt schon mal kategorisch ausschließen.«
»Ich weiß nicht, worin ich vielleicht gut sein könnte«, gestehe ich. »Oder wie ich es herausfinden soll. Hast du eine Idee?«
»Hm.« Ewan streicht sich nachdenklich über das Doppelkinn. »Frag doch mal Callum. Der kann dir bestimmt weiterhelfen.«
»Callum? Warum denn ausgerechnet der? Ich bin froh, wenn ich ihm nicht begegnen muss. Er hat immer so eine fürchterliche Laune.«
»Schon, aber er ist doch dieHighland Games-Legende von Lochnalyne schlechthin.«
»Callum?«, wiederhole ich und meine eigene Stimme hört sich so an, wie wenn ein Fingernagel über eine Tafel kratzt.
»Ja, weißt du das nicht? Wobei, zu den Zeiten warst du noch ein Kind. Callum MacTavish ist derjenige, der bei den Lochnalyne Highland Games die meisten Pokale in den meisten Kategorien gewonnen hat. Er war fast überall unschlagbar.«
»Wow, das ... ich hatte keine Ahnung.«
»Na ja, ist auch eine Weile her, nicht wahr? Damals warst du vielleicht acht oder so.«
Acht. Himmel. Jetzt bin ich dreiundzwanzig. »Du siehst mich erstaunt.«
»Ja, ja. Callum war damals quasi unser Willie Burns, nur mehrere Jahre in Folge. Und ohne rosa Kilt und das ganze Brimborium. Versteh mich nicht falsch ...«
»Schon gut.« Ich winke ab. Die Leute im Ort sind liberal, ich kann mich nicht beschweren. Dass ich auf Jungs stehe, ist kein Geheimnis. Dass ich keinen abbekomme, allerdings auch nicht. »Ich glaube kaum, dass Callum mir helfen würde.«
Ewan zuckt mit den Schultern. »Kannst ihn ja mal fragen. Mehr als nein sagen kann er nicht. Vielleicht hebt das sogar mal seine Laune, weil er an die guten, alten Zeiten denkt.« Er klingt so, als fände er es selbst total lächerlich, was er da gerade von sich gibt.
»Du meinst also, ich soll einfach mal zu ihm hingehen und fragen, ob er mich trainiert oder sowas?«
»Ja«, erwidert Ewan. »Was soll schon passieren?«
Anstatt nach Feierabend mit dem Bus nach Hause zu fahren, mache ich mich zu Fuß auf den Weg zum Haus von Callum MacTavish. Eigentlich könnte ich mir das auch ersparen, denn ich weiß genau, dass sein Interesse daran, mir zu helfen, ungefähr bei Null liegen wird, eventuell sogar im Minusbereich. Aber Ewan hat recht: Man kann ja mal fragen. Und wenn er wirklich der Rekordhalter der Lochnalyne Highland Games ist, dann hat er vielleicht zumindest den einen oder anderen wertvollen Tipp für mich.
Es ist ein schöner Abend. Im Dorf ist es vergleichsweise ruhig, weil die meisten Leute in ihren Gärten sitzen, anstatt auf der Straße unterwegs zu sein. Mir begegnen ein paar Touristen in Spazierlaune und einige Autos an der Hauptstraße, aber ansonsten ist nicht viel los. Heute hat es nicht geregnet, am Himmel tummeln sich nur ein paar Wattewolken und es wird noch lange hell sein, weil Sommer ist. Das mag ich. Hebt irgendwie die Laune, zumindest bei mir. Vielleicht sogar bei dem, den ich gleich belästige.
MacTavish Taxi steht auf einem großen Schild an seinem Gartenzaun. Darunter etwas kleiner day & night. Vielleicht sollte er night durchstreichen, wenn es ihn jedes Mal so auf die Palme bringt, wenn er nach Mitternacht jemanden außerhalb der Ortschaft fahren soll. Bis vor zwei Jahren gab es in diesem graubraunen Haus sogar noch eine Pension, die von Callums Mutter betrieben wurde, aber die rüstige Dame ist mittlerweile in eine Seniorenresidenz gezogen und er wohnt da drin allein, so weit ich weiß.
Als ich das Gartentor öffne und in Richtung Haustür schleiche, komme ich mir wie ein Verbrecher vor, obwohl nichts Verbotenes daran ist, an einer Tür zu klingeln. Sehr höflich ist es allerdings auch wieder nicht, jemanden um diese Uhrzeit mit so einem Quatsch zu belästigen. Vielleicht sollte ich doch einfach nach Hause gehen? Da ist so eine kleine Hoffnung in mir, dass Callum vielleicht gar nicht zu Hause ist, sondern irgendjemanden irgendwohin kutschieren muss.
An der Tür des kleinen Hauses mit dem gepflegten Garten suche ich vergeblich nach einer Klingel. Wo gibt’s denn sowas? Wie kann jemand keine Klingel haben? Was macht denn dann der Postbote? Ich finde, das verdient einen Sonderbeitrag in Rätsel der Menschheit. Was soll ich tun? Rufen? Klopfen? Rauchzeichen? Ich entscheide mich fürs Klopfen. Aber keiner macht auf. Dann ist er wohl wirklich nicht da. Nun, das ist wahrscheinlich auch besser so. Ich gehe lieber doch – Moment, flimmert da ein Fernseher?
Ich komme mir wie ein Spanner vor, als ich einen Blick durch das zweite Fenster neben der Tür werfe. Tatsächlich. Da flackert ein Fernseher hinter den Vorhängen und jemand sitzt auf der Couch. Dürfte Callum sein. Soll ich ans Fenster klopfen? Nein, dann merkt er ja, dass ich ihn beobachtet habe. Aber ich könnte ihn anrufen. Ha! Ich tippe seine Nummer, die ich von unzähligen Anrufen vom Pub aus kenne, in mein Handy und lasse es klingeln.
Momente später geht er ran. »MacTavish Taxi?« Er klingt genervt wie immer.
»Hi, hier ist Ian. Ich–«
»Schnapsdrosseltransport?«
»Nein.« Ich grinse. Das ist seit Jahren unser Codewort dafür, wenn er betrunkene Gäste nach Hause bringen soll. »Kannst du mal bitte an die Tür kommen?«
Aufgelegt! Heißt das, dass er jetzt an die Tür kommt? Oder dass er mich ignoriert? Etwas tut sich da drin. Ich höre Hundegebell.
O Gott, er will seinen Hund auf mich hetzen!
Ich weiche ein paar Schritte zurück. Callums Stimme ist von drinnen zu vernehmen, das Hundegebell verstummt und die Tür wird geöffnet.
»Brauchst du ein Taxi?« Misstrauisch lugt sein bärtiges Gesicht hinter dem Türspalt hervor. Aus dem Hintergrund erklingt schnulzige Geigenmusik.
»Nein«, gebe ich zu.
»Dann verzieh dich.«
»Warte!«, rufe ich, als er mir die Tür vor der Nase zuschlagen will. »Du bist doch der Rekordhalter der Lochnalyne Highland Games, oder?«
»Aye, und jetzt verschwinde.«
Schon wieder will er die Tür zuschlagen und ich klemme geistesgegenwärtig meinen Fuß dazwischen. Aua! Ich kann nicht anders, als leise in mich hineinzuwinseln. »Jetzt warte doch«, bitte ich noch einmal.
»Du hast besser einen sehr triftigen Grund, mich beim Abendessen zu stören«, kommt ungehalten zurück.
»Tut mir leid.« Die Geigenmusik steigert sich zu einem ohrenbetäubenden Crescendo und klingt dann leise aus. »Warum hast du so eine Musik laufen zum Abendessen?«
»Geht dich nichts an.«
»Hast du ein Date da drin oder so?«
»Welchen Teil von geht dich nichts an verstehst du nicht? Jetzt nimm endlich deinen Fuß von meiner Türschwelle, oder ich befehle meinem Hund, dich zu beißen.«
»Du bist bissiger als jeder Hund!«, gebe ich ungehalten zurück. »Ich wollte dich doch nur was fragen. Und zwar möchte ich dieses Jahr gern an den Highland Games teilnehmen und–«
Schallendes Gelächter unterbricht meine Rede. Na schönen Dank auch. Der Nächste, der es urkomisch findet, dass ich mich mal irgendwo beweisen möchte.
»Okay«, erwidert Callum noch immer lachend, »okay. Wo ist die versteckte Kamera?«
»Hier ist keine«, versetze ich beleidigt. »Und das war auch kein Witz. Auch wenn’s erstaunlich ist, dich zur Abwechslung mal lachen zu hören.«
Langsam beruhigt er sich. »Welcher Teufel hat dich denn da geritten, Pünktchen?«
»Ich will mich eben auch mal beweisen«, erwidere ich schmollend und starre auf meinen schmutzigen Turnschuh, der immer noch in der Tür klemmt.
»Aber warum denn ausgerechnet bei den Highland Games? Du machst dich doch zum Gespött!«
»Vielleicht aber auch nicht. Wenn du mir hilfst.«
»Wenn ich – du tickst doch nicht ganz richtig!« Er tippt sich an die Stirn. »Hast du was gesoffen? Wie soll ich dir denn bitteschön helfen, und vor allem: Warum?«
»Du könntest mich trainieren«, murmle ich. »Oder mir zumindest ein paar Tipps geben.«
»Na schön, ich gebe dir einen Tipp: Ich zähle von drei abwärts und bei null bist du besser verschwunden. Ich habe neunundneunzig Probleme und nervige kleine Jungs sind keines davon.«
»Callum, bitte!«, flehe ich. »Ich weiß nicht, wen ich sonst fragen soll!«
»Warum ist dir das denn so wichtig?«, fragt er verständnislos. »Du hast doch die ganzen Jahre nie Ambitionen gehabt, an den Highland Games teilzunehmen.«
»Ja, aber dieses Jahr ist es anders.« Ich räuspere mich verlegen. »Ich wurde sozusagen zur Teilnahme motiviert.«
»Von wem? Ich gehe jede Wette ein, dass derjenige dich nicht leiden kann.«
»Ich glaube, er hat noch keine Meinung von mir.« Außer der, dass ich ein Volltrottel bin, der nicht kellnern kann. »Aber ich wünsche mir, dass er eine gute Meinung von mir bekommt. Dass er ... dass er mich mag.«
Callum runzelt die Stirn und in seinen hellblauen Augen blitzt Erkenntnis auf. »Der Champion vom letzten Jahr mit dem bescheuerten Namen, nicht wahr?«
»Bescheuerter Name?« Was zur Hölle meint er?
»Willie Burns. Lass dir das mal auf der Zunge vergehen: Ein Schwuler namens Willie Burns.«
»Ich kapiere nicht, worauf du hinaus willst. Und überhaupt, hast du was gegen Schwule?« Würde mich kein Stück wundern.
Er schnaubt verächtlich. »Nein, habe ich nicht. Aber ich helfe dir mal eben von deiner langen Leitung herunter. Sag mal: My willie burns.«
»My willie burns«, wiederhole ich. »Mein Willi brennt. O Callum!« Ich verschränke meine Arme und versuche möglichst empört auszusehen. »Man sollte nicht über Namen lachen.«
Er rollt mit den Augen und stupst mit dem Türblatt an meinen Schuh. »Fuß raus jetzt und tschüss.«
»Willst du mir wirklich nicht helfen?«, frage ich noch ein letztes Mal voller Resignation. »Er hat gesagt, dass er sich vielleicht für mich interessiert, wenn ich mitmache.«
Callum stößt einen langen Atemzug aus und etwas in seiner ewig grantigen Miene wird weich. »Du solltest keinem Kerl hinterherlaufen, der sich nur unter bestimmten Umständen für dich interessiert, Pünktchen. So viel musst du dir selbst schon wert sein.«
»Schön«, erwidere ich bitter. »Im Normalfall interessiert sich für mich gar keiner. Die Highland Games wären vielleicht mal eine Möglichkeit gewesen, ein bisschen mehr Selbstwertgefühl aufzubauen.«
Callum schluckt und sieht mich lange an. »Komm rein«, bittet er schließlich zu meiner grenzenlosen Überraschung. »Und fass ja nichts an.«
Mitleid ist die dümmste Erfindung seit dem Faustkeil. Wobei der Faustkeil mich ganz bestimmt nicht dazu veranlasst hätte, kleine Jungs mit lächerlichen Plänen in mein Haus zu lassen.
»Soll ich meine Schuhe ausziehen?«, fragt Ian schüchtern.
»Aye. Ich habe erst gewischt.«
Neugierig kommt mein Hund aus dem Wohnzimmer getapst und beäugt unseren Besucher, obwohl ich ihm befohlen habe, in seinem Körbchen zu bleiben. Er tut allerdings selten das, was ich ihm sage, es sei denn, ihm winkt ein Leckerli. Elende Pelzwurst.
»Na hallo, wer bist denn du?« Ian geht in die Hocke und lässt sich ausgiebig beschnüffeln. Als seine Finger allerdings zu Würstchen erklärt werden, schreite ich ein.
»Haggis, bei Fuß!« Der kleine Klops hört natürlich nicht auf mich, sondern schleckt weiter an Ians Fingern herum. »Haggis!«
Mein ungebetener Gast schaut mit einem belustigten Grinsen auf. »Dein Hund heißt allen Ernstes Haggis?«
»Sieh ihn dir doch an. Wenn der nicht wie ein Haggis auf Beinen aussieht, dann weiß ich auch nicht.«
»Was ist das für eine Rasse?«
»Schottische Haggisdogge.«
Er verschränkt die Arme und blinzelt mich an.
Ich rolle mit den Augen. »Haggis ist eine Französische Bulldogge, und jetzt komm endlich mit.«
»Wenn Haggis ein Franzose ist, spricht sich sein Name dann nicht ’Agiss?«, fragt mich Ian, während er mir ins Wohnzimmer folgt. Ich möchte ihm am liebsten eine scheuern.
»Ich geb’ dir gleich ’Agiss«, murmle ich vor mich hin. »Also, kommen wir mal zum eigentlichen Thema. Die Highland Games sind schon ein bisschen anders als Schulsport. Es gibt neun Disziplinen und über fünfundvierzig Sportarten. Bist du vielleicht musikalisch? Dann tritt beim Solo Piping an und lass mich in Ruhe. Ich habe Pokale in Disziplinen gewonnen, in denen du ganz bestimmt nie was gewinnst. Hammerweitwurf zum Beispiel. Oder – hörst du mir überhaupt zu?«
Anstatt mir aufmerksam zu lauschen, starrt der Bengel wie gebannt auf den Fernsehbildschirm. »Guckst du etwa Rosamunde Pilcher?«, will er wissen.
Eilig schnappe ich mir die Fernbedienung, die mir wie ein schlüpfriger Fisch aus der Hand flutscht. Ich muss einen Hechtsprung machen, um sie wieder einzufangen und den Ausschaltknopf zu drücken. »Das lief da zufällig!«, rechtfertige ich mich eilig. »Ich war gerade beim Durchzappen.« Es gibt dunkle Geheimnisse, die nicht jeder wissen muss.
»Du stehst wohl auf Schnulzen«, folgert Ian und hält die leere DVD-Hülle von Stolz und Vorurteil in die Höhe, die er sich vom Wohnzimmertisch gegriffen hat.