Die Pop Art Tradition - Die antwort auf die Massenkultur - Eric Shanes - E-Book

Die Pop Art Tradition - Die antwort auf die Massenkultur E-Book

Eric Shanes

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Beschreibung

Dieses Buch bietet eine völlig neue Sicht auf die in den 1950er Jahren aufgekommene so genannte “Pop Art”. Der zentrale Ansatz dieses Buches weitet die schon immer die Verhältnisse eher verdunkelnde als erhellende Bezeichnung des Terminus “Pop Art” aus und befasst sich mit der die Massenkultur thematisierenden Kunst. Die zentrale These dieses Buches lautet, dass diese Massenkultur-Kunst eine neue und noch heute blühende modernistische Tradition begründet hat. Es zeichnet diese Tradition über die mehr als 40 Jahre ihres Bestehens nach und ordnet sie in ihren größeren historischen Kontext ein. Die vorliegende Studie stellt selbstverständlich die wichtigsten Vertreter der Pop-/Massenkultur-Kunst bis in die Gegenwart vor. Sie diskutiert bei dieser Gelegenheit auch eine Reihe von Künstlern, die bislang noch nicht mit der so genannten “Pop Art” in Verbindung gebracht worden sind, die sich aber stark für die Massenkultur interessiert haben und insofern in den hier umrissenen Kontext gehören. In diesem Buch werden mehr als 150 Schlüsselwerke der Pop-/Massenkultur-Kunst in Farbe abgebildet und erläutert. Dies beinhaltet häufig genaue Analysen von Bildern, deren Bedeutung bislang noch nicht vollständig offen gelegt wurde. Auf diese Weise liegt dieses Buch qualitativ auf einer Ebene mit Eric Shanes' bisherigen populären und mit Preisen ausgezeichneten Schriften.

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Seitenzahl: 315

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Autor: Eric Shanes

Übersetzung: Dr. Martin Goch

Layout:

Baseline Co Ltd

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© Ed Paschke, Nervosa, 1980

© Ed Paschke, Electalady, 1984

© Ed Paschke, Matinee, 1987

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Skoglund, Germs are everywhere © 1984

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Weltweit alle Rechte vorbehalten. Soweit nicht anders vermerkt, gehört das Copyright der Arbeiten den jeweiligen Fotografen. Trotz intensiver Nachforschungen war es aber nicht in jedem Fall möglich, die Eigentumsrechte festzustellen. Gegebenenfalls bitten wir um Benachrichtigung.

ISBN: 978-1-78310-644-8

Eric Shanes

Die

POPART

TRADITION

DIE ANTWORT AUF DIE MASSENKULTUR

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

POP-/MASSENKULTUR-KUNST

Die Wegbereiter der Pop-/Massenkultur-Kunst

Die Anfänge der Pop-/Massenkultur-Kunst in England

Der Beginn der Pop-/Massenkultur-Kunst in Amerika

Der Durchbruch der Pop-/Massenkultur-Kunst

Die schöpferische Entwicklung der bedeutendsten Künstler

Jasper Johns

Robert Rauschenberg

Claes Oldenburg

Roy Lichtenstein

Andy Warhol

James Rosenquist

Jim Dine

George Segal

Ed Kienholz

Weitere amerikanische Pop-/Massenkultur-Künstler

Zeitgleich in Europa…

David Hockney

Allen Jones und die anderen

Fotorealismus und Massenkultur

Duane Hanson, Sandy Skoglund und Ed Paschke

Keith Haring, Jeff Koons und Mark Kostabi

Arman

Martial Raysse, Mimmo Rotella, Erró und andere

Haim Steinbach, Ashley Bickerton und andere

Britische Bildhauer und die Massenkultur

Eine notwendige Namensänderung

Welche kulturelle Rolle spielt die Pop-/Massenkultur-Kunst?

GEMÄLDE-KOMMENTAR

AUSGEWÄHLTE BIBLIOGRAPHIE

VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN

Andy Warhol, Campbell’s Soup (Turkey Noodle) [Campbell’s- Suppe (Turkey Noodle)], 1962. Tintensiebdruck auf Leinwand, 51 x 40,6 cm. Sammlung Sonnabend.

VORWORT

Seit den späten 1950er Jahren hat sich in der westlichen Kunst eine neue Richtung entwickelt. Obwohl sie in ihrer von etwa 1958 bis 1970 dauernden Anfangsphase rasch das Etikett “Pop Art” erhielt, ist dieser Begriff schon immer als eine wenig erhellende Bezeichnung angesehen worden. Der Terminus der Massenkultur-Kunst ist wesentlich zweckdienlicher, da der britische Kunstkritiker Lawrence Alloway, der den Begriff “Pop” im Jahr 1958 prägte, nicht eine bereits bestehende Kunstrichtung meinte, schon gar nicht eine – damals noch in ihren Kinderschuhen steckende – rebellische, an der Jugend orientierte “Pop”-Kultur, an die man heute (allerdings schon immer weniger) bei diesem Wort denkt. Alloway beschäftigte sich vielmehr mit jener rasch steigenden Anzahl von Menschen in der gesamten westlichen Welt, deren schiere Menge und gemeinsame Wertvorstellungen neue Formen des kulturellen Ausdrucks ins Leben riefen und denen der wachsende Wohlstand, die zunehmende Freizeit und erschwingliche neue Technologien den Konsum der Massenkultur ermöglichten. Wie wir sehen werden, hat sich die so genannte Pop Art im Kern stets mit den Produkten und Auswirkungen der Massenkultur befasst. Deshalb ist es zutreffender, von der Massenkultur-Kunst zu sprechen. Das Präfix “Pop” wird allerdings auch in diesem Buch benutzt, um Verwechslungen zu vermeiden, zumal die komplexe Massenkultur auch Künstler inspiriert hat, die wir niemals mit der Pop Art in Verbindung bringen würden. Daher ist es durchaus wichtig, die Tradition, zu der sowohl diese Künstler als auch die Vertreter der Pop Art der 1960er Jahre beigetragen haben, als Massenkultur-Kunst zu charakterisieren, da anderenfalls die Gemeinsamkeiten dieser zeitlich und räumlich voneinander getrennten künstlerischen Traditionen aus dem Blick geraten würden. Dieses Buch verfolgt deshalb vier Ziele: vertraute Definitionen des Begriffs Pop Art zu erweitern; die Tradition der Pop-/Massenkultur-Kunst und ihre Ursachen zu ergründen; die wichtigsten Vertreter vorzustellen und eine repräsentative Auswahl von Werken dieser Künstler im Detail zu analysieren.

Edgar Degas, Au Café (Im Café), ca. 1876. Öl auf Leinwand, 92 x 68 cm. Musée d’Orsay, Paris.

POP-/MASSENKULTUR-KUNST

Das Entstehen der populären Massenkultur war historisch ebenso unvermeidlich wie die künstlerische Reaktion auf sie. Wir leben immer noch in der modernen technologischen und demokratischen Epoche, die mit der Industriellen Revolution in England und den Revolutionen in Amerika und Frankreich gegen Ende des 18. Jahrhunderts einsetzte. Im Verlauf der Industrialisierung und Demokratisierung profitierten immer mehr Menschen von dem Fortschritt der politischen Partizipation und der wirtschaftlich auskömmlichen Arbeit; dem mit dem allgemeinen Anstieg der Lebensqualität verbundenen zunehmenden Individualismus und der Gesundheit sowie der Fähigkeit, lesen und schreiben zu können und schließlich der sozialen und räumlichen Mobilität. Gleichzeitig ist jedoch ein hoher Preis zu zahlen: häufig in tiefem Zynismus und Eigeninteresse begründete politische Manipulationen; wirtschaftliche Ausbeutung; die Globalisierung und gleichzeitige Verdrängung nationaler, regionaler oder lokaler Identität; eine für weite Kreise sinnlose und unbefriedigende Arbeit; zunehmende Verstädterung und Industrialisierung ländlicher Gebiete mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die Landschaft; Umweltverschmutzung und der weitgehende Verlust spiritueller Gewissheit. Gewissermaßen als Kompensation hierfür gab es eine Explosion der Irrationalität, des Aberglaubens und des religiösen Fanatismus, kultureller Randerscheinungen, eines überzogenen Nationalismus, einer quasipolitischen Romantik und primitiver oder industrialisierter Massenmorde; Materialismus, Konsumorientierung und die Verehrung von Medienhelden. All diese Entwicklungen haben notwendigerweise auch die Institutionen, industriellen Prozesse und Produkte dieser Epoche betroffen. Allerdings konzentrierten sich Künstler erst gegen Ende der 1950er Jahre im Rahmen der Entstehung der Pop-/Massenkultur-Kunst erstmals ausschließlich auf diese kulturellen Tendenzen, Prozesse und Produkte ihrer Zeit.

Als Lawrence Alloway 1958 von “Pop” schrieb, gehörte er im Institut für zeitgenössische Kunst in London zu einem Kreis, der die Unabhängige Gruppe genannt wurde. Dessen Mitglieder waren Künstler, Designer, Architekten und Kritiker, die erkannt hatten, dass das um die Mitte des 20. Jahrhunderts festgestellte enorme Anwachsen der populären Massenkultur und seiner charakteristischen Kommunikationsformen diskutiert werden musste und es nicht länger ausreichte, diese Erscheinung snobistisch dem Abfallhaufen des Geschmacks des einfachen Volkes zuzuweisen. Erst die moderne technische Welt ermöglicht es überhaupt, die wachsende Zahl der Konsumenten industriell gefertigter Produkte wirkungsvoll anzusprechen. Der Zeitungsdruck, das Radio, die Kamera, das Zelluloid und der Filmprojektor, das Fernsehgerät und andere Technologien der Massenkommunikation bis hin zu jenen unserer Zeit, die ihre Vorgänger geradezu primitiv wirken lassen (und sie mit wachsender Geschwindigkeit ersetzen), haben jeweils neue Ausdrucksformen hervorgebracht, die allesamt einen fruchtbaren Boden für Künstler und Designer darstellen. Die populäre Massenkultur verfügt ferner über Energie und eine ausgeprägte Kraft. Ihre Kommunikationsmittel wie das Kino oder Fernsehen, die Reklame, Plakate und Zeitschriftenillustrationen verfügen über eine Unmittelbarkeit der Kommunikation, die jene von Werken größerer intellektueller Komplexität überragt. Man muss für das Verständnis der Dramen Shakespeares, der Sinfonien Beethovens und der Gemälde Rembrandts etwas mehr leisten als für den gewöhnlichen Hollywoodfilm, einen Popsong oder ein Plakat. Angesichts dieser Tatsache kam die Aufforderung der Unabhängigen Gruppe an Künstler und Designer, sich der Kraft, Energie und Unmittelbarkeit der Massenkultur zu bedienen, in den durch die Überwindung der Kriegszeit und den zunehmenden Wohlstand in der westlichen Welt gekennzeichneten 1950er Jahren gerade zur rechten Zeit. Die Relevanz dieses Gedankens wurde dadurch bestätigt, dass zahlreiche andere kreative Menschen an vielen Orten der westlichen Welt unabhängig von der Londoner Gruppe zu ganz ähnlichen Schlussfolgerungen gelangten.

Aufgrund dieser Erscheinung war die Pop-/Massenkultur-Kunst eigentlich niemals eine homogene Bewegung. Zwar tauschten sich in Großbritannien einige diese Überzeugungen teilende Künstler während der frühen Phase aus. In den USA jedoch hatten nur wenige der Vertreter engen Kontakt miteinander. Deshalb ist es angebracht, die Pop-/Massenkultur-Kunst als eine kulturelle Dynamik und nicht als eine Bewegung zu beschreiben. In jedem Fall hatten historische Faktoren bis zu den 1950er Jahren den Boden für diese Erscheinung bereitet, die zu diesem Zeitpunkt bereits über gewisse Vorläufer verfügte.

Edward Hopper, People in the Sun (Menschen in der Sonne), 1960. Öl auf Leinwand, 102,6 x 153,4 cm. Smithsonian American Art Museum, Washington, D.C.

Grant Wood, Daughters of Revolution (Töchter der Revolution), 1932. Öl auf Holzfaserplatte, 58,8 x 101,6 cm. Cincinnati Art Museum.

Die Wegbereiter der Pop-/Massenkultur-Kunst

Selbstverständlich hatten sich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts schon viele Künstler mit der Menschheit als Masse beschäftigt. Zu den eindrucksvollsten Beispielen gehörten die Maler Francisco de Goya, J.M.W. Turner und David Wilkie, die häufig normale Menschen bei der Arbeit und bei ihren Vergnügungen dargestellt hatten. Die beiden letztgenannten Künstler hatten sich auch ganz bewusst einfachen Motiven gewidmet, indem sie normale Menschen in ihren Wohnungen, in Gastwirtschaften und auf Jahrmärkten gemalt hatten. Auf diese Weise hatten sie eine Tradition wieder belebt, die bis auf Maler aus dem 16. und 17. Jahrhundert, wie Pieter Bruegel den Älteren, Adrian van Ostade und David Teniers den Jüngeren, zurückreichte. Später, im 19. Jahrhundert, ließen sich auch Gustave Courbet, Edouard Manet und Edgar Degas sowie andere vom Leben der einfachen Menschen inspirieren. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist Degas’ ausgezeichnete Studie der Entfremdung In einem Café aus der Zeit um 1876. Das Bild zeigt einen scheinbar hartherzigen Mann und eine brutalisierte Frau, die mental voneinander isoliert und räumlich von uns getrennt sind. Degas war ein wichtiger Einfluss für zwei bedeutsame Maler, die sich direkt mit der populären Kultur befassten: der Engländer Walter Sickert und der Amerikaner Edward Hopper.

Sickert folgte Degas, dem Maler von Massenvergnügungen wie Zirkus und Cafékonzerten, dadurch ganz offen, dass er Szenen aus dem Varieté und von Vergnügungspiers darstellte. Später entwickelte er zahlreiche Gemälde auf der Basis von Zeitungsphotos, indem er die Körnigkeit des Zeitungsdrucks ebenso wie die dargestellten Gegenstände nachahmte. Hopper war ebenfalls stark von Degas beeinflusst (vor allem von In einem Café, das er in Form einer Buchreproduktion aus dem Jahr 1924 kannte), was sich in seiner Darstellung der Einsamkeit des urbanen Menschen und der Entfremdung zeigt, jenen negativen Erscheinungen der Massengesellschaft und -kultur. Gegen Ende seines Lebens stellte er in People in the Sun(Menschen in der Sonne) sogar den hedonistischen Sonnenkult dar, der im Leben des modernen Menschen eine so große Rolle spielt.

In People in the Sun stehen Hoppers Sonnenbadende für einen kulturellen Trend. Ähnliche, jedoch wesentlich satirischere Darstellungen finden sich früher schon bei Grant Wood, der 1930 sein wohl berühmtestes Bild, American Gothic (gegenüber), schuf. Hier steht ein scheinbar typischer Farmer aus dem Mittleren Westen in Baumwollkleidung neben seiner in selbst geschneiderten Kleidern gekleideten Frau. Hinter ihnen sieht man ihre einfache Behausung mit ihrem von der Gotik inspirierten Fenster. Das Ehepaar verkörpert die gottesfürchtigen, puritanischen Werte der Mitte der USA. Woods Daughters of Revolution (Töchter der Revolution, oben) aus dem Jahr 1932 zeigt drei zweifellos zu der neokonservativen Organisation Töchter der amerikanischen Revolution gehörende Frauen vor einer verehrten Ikone ihres Nationalismus, Emanuel Leutzes Bild Washington Crossing the Delaware(Washington überquert den Delaware) aus dem Jahr 1851.

Grant Wood, American Gothic (Amerikanische Gotik), 1930. Öl auf Holz, 73,6 x 60,5 cm. Art Institute of Chicago, Illinois.

Pablo Picasso, Guitar, sheet-music and glass (Gitarre, Notenblätter und Glas), 1912. Geklebtes Papier, Gouache und Kohle auf Papier, 48 x 36,5 cm. Marion Koogler McNay Art Institute, San Antonio, Texas.

Wie frühere Maler “gewöhnlicher” Menschen wie Degas, Hopper und Wilkie zeigte auch Wood das normale Leben, wie es gelebt wird, nicht in seiner indirekten Widerspiegelung durch das Prisma der Medien der Massenkommunikation. Die ersten Künstler, die sich mit den Assoziationen dieser Medien und der populären Massenkultur, die sie bedienen, beschäftigten, waren ohne Zweifel Georges Braque und Pablo Picasso. Braque begann 1911 in seinen Bildern mit der Nachahmung von mit Schablonen geschriebenen Buchstaben. Dies führt zwangsläufig zu Assoziationen mit der Massenkultur, da mit Hilfe von Schablonen geschriebene Buchstaben sehr an das “gewöhnliche Leben” erinnern. Man findet sie schließlich vor allem auf Verpackungskisten und Ähnlichem, wenn es auf schnelle Identifikation ohne jegliche ästhetische Verfeinerung ankommt. Dadurch, dass er in den Jahren 1912 und 1913 Zeitschriften und die Noten populärer Lieder in seine Bilder klebte, erfand Picasso nicht nur praktisch die Collage als neue Kunstform, sondern öffnete auch die Grenze zwischen der Kunst und den Massenmedien.

Picassos neues künstlerisches Vehikel, dem man etwa in Gitarre, Notenblätter und Glas (gegenüber) begegnet, regte zahlreiche andere Künstler wie George Grosz, Raoul Hausmann und Kurt Schwitters an, Photographien, wissenschaftliche Diagramme, Landkarten und Ähnliches in ihre Bilder aufzunehmen. Einige dieser Werke, etwa Schwitters Collage aus dem Jahr 1947, sollten sogar Bilder aus Comics enthalten. Ein weiterer deutscher Künstler, John Heartfield, erfand eine neue Kunstform, die Photocollage, die viele ihrer Materialien aus Zeitungen bezog. Man sah folglich in ihr fast zwangsläufig den Menschen als Mitglied der Masse.

Heartfield begann von den frühen 1920er Jahren an, sein neues künstlerisches Territorium zu erschließen. Zu dieser Zeit hatte ein aus Frankreich stammender und seit 1915 in den USA lebender Maler, Marcel Duchamp, bereits eine Reihe seiner Ready-mades (wörtlich: Konfektionsware), d.h. industriell gefertigte Massenprodukte integrierende Skulpturen, erschaffen. Derartige Kunstwerke schufen nicht nur neue Formen, sondern verwiesen stets auch auf die Industriegesellschaft. Das berühmteste dieser Ready-mades war vielleicht Brunnen von 1917, bei dem es sich schlicht um ein Keramikurinal aus einem Sanitärladen handelte. Duchamp wollte dieses Stück 1917 in einer großen Ausstellung in New York, bei deren Organisation er selbst eine zentrale Rolle gespielt hatte, ausstellen. Ein wesentliches Motiv dieser Ausstellung bestand im demokratischen Zugang (alle, in die Tausende gehenden, eingereichten Werke wurden automatisch auch gezeigt), und dies in einer Zeit, in der die Demokratie wegen des bevorstehenden Eintritts der USA in den Ersten Weltkrieg in den Medien stark diskutiert wurde. Duchamps witzig betiteltes Urinal stellte letzten Endes eine gültige Aussage über eine gemeinsame menschliche Aktivität dar, da jeder Mensch von Zeit zu Zeit ein Urinal benötigt. Tatsächlich Demokratie.

Duchamp zufolge bestand ein wesentlicher Grund für die Ausstellung eines solchen Objekts darin, es in den Rang eines Kunstwerks zu erheben, damit wir gezwungen werden, die inhärente Schönheit eines industriell gefertigten Objekts zu erkennen, das normalerweise keine ästhetische Reaktion hervorruft. Dies war ein sehr geschickter Schachzug, denn obwohl Brunnen in den frühen 1920er Jahren zerstört wurde, weil Duchamp vermutlich keinen Wert auf das Objekt legte, sorgte das Kunstwerk dafür, dass man über ihn sprach, was für Künstler in der Massenkultur zunehmend wichtig wurde. (Später, in den 1950er Jahren, stritt Duchamp ab, dass er mit seinem objet trouvé beabsichtigt hatte, die Aufmerksamkeit auf dessen Schönheit zu lenken, während er gleichzeitig mehrere Nachbildungen des Objekts anfertigte, um sie an Museen, die eine so berühmte Attacke auf die Kunst besitzen wollten, zu verkaufen). Letzten Endes riss Duchamps Brunnen, ebenso wie seine weiteren Ready-mades, die Grenze zwischen dem Kunstwerk als handwerklich gefertigtem Objekt und dem Kunstwerk als Industrieprodukt nieder.

Auf diese Weise wurde auch das Konzept des Künstlers demokratisiert, denn so wie ein Urinal Brunnen werden konnte – “...es ist dadurch, dass ich es zu einem solchen erkläre, ein Kunstwerk” – konnte von nun an jeder Mensch ein Künstler werden (und zahlreiche Menschen sind diesem Beispiel tatsächlich gefolgt). Die extrem eng mit der modernen, technologischen und von der Massenkultur geprägten Epoche verbundene Demokratisierung begann mit Duchamps Ready-mades und besonders mit Brunnen fast unvermeidlich, auf das Feld der bildenden Künste überzugreifen.

Kurt Schwitters, For Käte (Für Kate), 1947. Papiercollage, 10,5 x 13 cm. Pasadena Art Museum, Pasadena, Kalifornien.

Marcel Duchamp, Fontaine (Brunnen), 1917. Photographie von Alfred Stieglitz aus The Blind Man, Mai 1917. Sammlung Louise und Walter Arensberg. Philadelphia Museum of Art, Pennsylvania.

Abgesehen von den ästhetischen Überlegungen, der sinnlichen Freude und der moralischen Entrüstung, die Duchamps Werk 1917 hervorrief (und in Form seiner Nachbildungen in Museen noch hervorruft), verwies seine ursprüngliche Entstehung eindeutig auf die Massenproduktion im Allgemeinen. Dieser Verweischarakter der Objekte sollte, wie wir sehen werden, zu einem zentralen Merkmal der Pop-/Massenkultur-Kunst werden. Brunnen war diesbezüglich jedoch nicht der einzige Vorläufer. Von der Mitte des zweiten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts an und als direkte Folge von Picassos kubistischen Experimenten bildeten Künstler häufig Objekte aus der Massenkultur ab, und zwar nicht um ihre Geschicklichkeit zu demonstrieren, sondern um auf die Vertrautheit der dargestellten Objekte als nationale oder kulturelle Zeichen aufmerksam zu machen.

Was nationale Ikonen anbetrifft, so setzte der amerikanische Maler Marsden Hartley in den Jahren 1914 bis 1915 (also während des Ersten Weltkriegs) in mehreren seiner Gemälde Flaggen ein. In dem Ölgemälde Portrait of a German Officer (Porträt eines deutschen Offiziers) tat er dies, um auf den militärischen Charakter der dargestellten Person hinzuweisen. Kulturelle Zeichen werden besonders offensichtlich in frühen Gemälden des Amerikaners Stuart Davis verwendet, in dessen Bildern aus der Zeit um 1924 Lucky Strike-Zigarettenpäckchen, die Sportseite des Evening Journal oder die Mundspülung Odol zu sehen sind. Wie Picasso mit seiner Aufnahme von Zigarettenpäckchen und Weinetiketten in seine Werke weist auch Davis hiermit auf die Wegwerfmentalität der Konsumgesellschaft hin. In den frühen 1950er Jahren wandte Davis sich dadurch erneut Bildern aus der Massenkultur zu, indem er stilistisch an den späten Matisse erinnernde abstrakte und sehr farbenfrohe Muster mit Supermarktzeichen, Slogans und Phrasen aus der Werbung sowie Aufforderungen zum Konsum aus der Werbung kombinierte (gegenüber). Davis befand sich hiermit an der Spitze einer Welle von Künstlern, die auf die Massenkultur reagierten.

Der Surrealist Salvador Dalí war ein weiterer Maler, der sich immer stärker der Massenkultur bewusst wurde. Der deutsche Einmarsch in Frankreich hatte ihn 1940 gezwungen, in die USA zu fliehen und die acht Jahre, die er dort verbrachte und der amerikanischen Massenkultur ausgesetzt war, beeinflussten ihn sehr stark. Er lernte Hollywood-Filme kennen, entwarf sogar eine Filmsequenz für Alfred Hitchcock und entwickelte einen Cartoon für Walt Disney (obwohl dieser erst 2003 vollendet und gezeigt wurde, mehr als 30 Jahre nach Dalís Tod). Dalí war besonders an Cartoons interessiert, da er sie als eine Artikulation der Psychologie der Massen ansah. Dalís Jahre in Amerika machten ihn zweifellos populistischer, sie vermittelten ihm die Fähigkeit der Medien zur Kommunikation mit den Massen und die Macht des Geldes. Nach 1948 reiste er in den meisten Jahren immer wieder nach Amerika und freundete sich in den 1960er Jahren nicht nur mit Andy Warhol an, sondern machte sogar Probeaufnahmen für ihn. Wenig später schuf er ein sehr geistreiches Bild, das sich genau an der Grenze zwischen Surrealismus und Pop-/Massenkultur-Kunst befindet. Es handelt sich um die Verschmelzung zweier Gesichter, von denen eines bereits eine wichtige Rolle in Warhols Werk spielte, während das andere es sehr bald tun sollte.

Stuart Davis, Premiere, 1957. Öl auf Leinwand, 147 x 127 cm. Los Angeles County Museum of Art, Kalifornia.

Stuart Davis, Lucky Strike, 1924. Öl auf Pappkarton, 45,7 x 60,9 cm. Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Smithsonian, American Art Museum, Washington, D.C.

Salvador Dalí,Mao/Marilyn, Coverentwurf, Ausgabe Dezember 1971-Januar 1972 der französischen Ausgabe vom Vogue Magazin. Verlag Condé Nast, Paris. Foto: Philippe Halsman.

Die Anfänge der Pop-/Massenkultur-Kunst in England

In den späten 1940er Jahren bereitete ein anderer stark vom Surrealismus beeinflusster Künstler weiter den Weg für die Pop-/Massenkultur-Kunst. Dies war der britische Bildhauer Eduardo Paolozzi, der später ein zentrales Mitglied der Unabhängigen Gruppe werden sollte. Paolozzi schuf 1949 einen sehr einfalls- und geistreichen Satz von Collagen, in denen er die Titelseiten beliebter Zeitschriften, Anzeigen, Pin-ups und Ähnliches kombinierte. Er war stark an der Banalität von Bildern interessiert, obwohl er 1971 betonte: “Es ist für mich einfacher, mich mit [der Tradition des Surrealismus] zu identifizieren, als mich mit einem von anderen erfundenen Terminus wie “Pop” beschreiben zu lassen, der sofort bedeutet, dass man sich in eine Coca-Cola Kiste stürzt. Ich denke gern, dass mein Werk eine Ausdehnung des radikalen Surrealismus ist.” Der Surrealismus war eine Erkundung des Unterbewusstseins und Paolozzis Unterbewusstsein absorbierte in den späten 1940er Jahren zweifellos die Bilder der Alltagskultur. Später, Mitte der 1950er Jahre, schuf er einfallsreiche Collagen, die schematische Darstellungen von Maschinen enthielten und ebenfalls zukunftsweisend sein sollten.

Paolozzi war nicht der einzige in dieser Hinsicht zukunftsweisende Künstler in Großbritannien. Der Maler Richard Hamilton schuf 1956 eine Collage mit dem ironischen Titel Just what is it that makes today’s homes so different, so appealing?(Was macht eigentlich unser Zuhause heute so anders, so anziehend?), die bereits viele der bald von anderen Künstlern verwendeten Bilder und Objekte kombinierte. Hierzu zählen unzählige Haushaltsgegenstände, wie etwa ein Fernsehgerät, auf dessen Bildschirm ein stereotyp “perfektes” Bild zu sehen ist, banale Pin-ups, ein ebenso banales Young Romance-Comics, das offenbar im Maßstab zu seiner Umgebung vergrößert worden ist und eingerahmt neben einem traditionellen Porträt an der Wand hängt, ein Markenlogo auf einem Lampenschirm und das Bild eines Superstars, in diesem Falle der in der Ferne zu sehende Al Jolson. Ein von der Charles Atlas-Figur getragener Gegenstand weist das Wort “POP” auf.

Es ist sehr hilfreich, dass Hamilton 1957 die Eigenschaften auflistete, die eine neue “Pop Art” besitzen musste, um ein Massenpublikum anzusprechen:

Man könnte dies für eine gute Definition der Pop Art halten, muss jedoch Vorsicht walten lassen. Zum einen stammt diese Liste aus einem privaten Brief, der erst ans Licht der Öffentlichkeit gelangte, nachdem die Pop-/Massenkultur-Kunst in großem Maßstab existierte, weshalb der Brief keinesfalls als Manifest missverstanden werden sollte. Darüber hinaus beschrieb Hamilton die Bedürfnisse der Masse nach so genannter Pop Art und nicht die der Künstler dieser Richtung, die keineswegs mit jenen übereinstimmen mussten. Drittens und vor allem aber sollten die Themen der Pop Art schon rasch die Grenzen von Hamiltons Parametern sprengen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Andy Warhols Kunst war ohne jeden Zweifel populär, sie wurde in großen Stückzahlen produziert, sprach die Jugend an, war geistreich, sexy, effekthascherisch, glamourös und am Big Business orientiert, aber Warhol befasste sich auch mit der Heldenverehrung, religiöser Manipulation, der dem modernen Materialismus inhärenten Banalität, der Lebensmüdigkeit, dem Nihilismus und dem Tod – allesamt Themen, die sich in Hamiltons Liste nicht finden. Soll dies etwa bedeuten, dass Warhol nicht zur Pop-/Massenkultur-Kunst gezählt werden soll oder zeigt dies eher, dass Hamiltons Auflistung der Elemente der Pop Art unvollständig und ungenau ist? Zweifellos trifft Letzteres zu. Außerdem sollte sich der Großteil der Kunst als alles andere als vergänglich, schnell vergessen, billig oder industriell gefertigt erweisen.

Marsden Hartley, Portrait of a German Officer (Porträt eines deutschen Offiziers), 1914. Öl auf Leinwand, 173,3 x 105 cm. The Metropolitan Museum of Art, New York.

Sir Eduardo Paolozzi, Automobile Head (Automobilkopf), 1954/62. Siebdruck auf Papier, 61,6 x 41,3 cm. Tate, London.

Richard Hamilton, Hers is a Lush Situation (Sie befindet sich in einer feudalen Situation), 1958. Öl , Zellstoff, Metallblättchen und Collage auf Holz, 84 x 122 cm. Colin St John Wilson, London.

Hamilton schuf nach seiner Collage aus dem Jahr 1956 Gemälde wie Hommage à Chrysler Corp(Hommage an die Chrysler Corporation), von 1957, in dem er Autoteile abstrahierte, Hers is a Lush Situation (Sie befindet sich in einer feudalen Situation, gegenüber), von 1958, in dem Teile eines 1957er Cadillacs mit dem Photo der Glasfassade eines Gebäudes kombiniert werden und schließlich $he ($ie) von 1959/60, in dem er Teile eines weiblichen Körpers, einen Kühlschrank, einen Toilettensitz und einen Toaster zusammenbrachte. Hamilton war jedoch nie daran interessiert, lange Reihen von Werken zu produzieren, die sich mit einem spezifischen Gebiet der Massenkultur auseinander setzen. Dies dürfte einer der Gründe sein, warum er niemals die Wirkung von Künstlern wie Lichtenstein und Warhol erzielte, die dies später taten. Hamilton zog es stattdessen eher vor, wie ein ästhetischer Entdecker nach dem Vorbild des von ihm verehrten Marcel Duchamps zu agieren, dessen beschädigtes Das große Glas er in den frühen 1960er Jahren nachbildete. Aus diesem Grund wird Hamiltons Beitrag als ästhetischer Pionier vor allem in Amerika nicht ausreichend gewürdigt.

Ein weiterer britischer Maler zapfte ebenfalls von der Mitte der 1950er Jahre an den Mainstream der populären Massenkultur an, allerdings in einer sehr nostalgischen Weise. Es handelte sich um Sir Peter Blake (Children reading Comics (Kinder lesen Comics),1954; Couples (Paare),1959; Got a Girl (Ich habe ein Mädchen),1960-61; Cover für das Beatles-Album Sgt Pepper’s Lonely Hearts Club Band,1967; On the Balcony (Auf dem Balkon),1955/57; Tattooed Lady (Tätowierte Dame),1958; Self-Portrait with Badges (Selbstporträt mit Stickern),1961; Love Wall (Wand der Liebe),1961; The Meeting, oder Have a Nice Day Mr Hockney (Das Tref fen, oder Einen guten Tag, Mr. Hockney),1981/83). Blake sollte später sagen: “Ich begann aufgrund meines Interesses an der englischen Volkskunst, ein Pop-Künstler zu werden. …Vor allem mein Interesse an der visuellen Kunst des Festplatzes und auch der Bemalung von Barkassen… Nun möchte ich etwas aus dieser alten beliebten Kunst wieder einfangen und zum Leben erwecken.” Ein weiterer Stimulus kam von seinem alten Kunstlehrer, der nicht nur an der Bemalung von Barkassen, sondern auch an Tätowierungen, Patchworkdecken und gemalten oder handgeschriebenen Schildern sehr interessiert gewesen war. Normalerweise hatte man all dies nicht der Kunst zugerechnet, weil der Großteil dieser Arbeiten naiver Natur war und ohne Anleitung entstand (worin aber gerade die visuelle Kraft und kommunikative Unmittelbarkeit begründet ist). Schon früh in seinem Leben entwickelte Blake ein ungewöhnliches Interesse am Sammeln von Postkarten, Kuriositäten, Schnickschnack, alten Fahrscheinen, Flugblättern, Blechreklamen, “primitiven” Bildern, Kunst von Kindern und Comics, die allesamt Eingang in seine Bildwelt fanden. Die letztgenannten Attraktionen sind besonders deutlich in seinem Bild Children reading Comics (Comics lesende Kinder, oben) von 1954 zu sehen. Vor dem Hintergrund dieser Einflüsse und der Arbeiten amerikanischer Maler und Illustratoren wie Ben Shahn, Saul Steinberg, Bernard Perlin und Honoré Sharrer (dessen Bilder er 1956 in London in der Tate Gallery sah) schuf Blake auch Bilder von Zirkusleuten, Ringern etc. Diese Phase seines Werks erreichte 1957 mit dem Bild On the Balcony(Auf dem Balkon) ihren Höhepunkt, auf dem zwei simulierte Photos von Mitgliedern der Königlichen Familie auf dem Balkon des Buckingham Palace von fünf Kindern, anderen Bildern (darunter eines von Manet) von Menschen auf Balkonen und einer Menge kleiner Bilder aus der Kunst und dem Alltagsleben (aus dem Massenmedium Life) umgeben sind. Im Jahr 1959, als Blake sein Bild Couples(Paare) schuf, konnte sein Interesse an populären, kurzlebigen Druckerzeugnissen schon das Thema von Kunst sein, indem die Aufmerksamkeit des Betrachters auf ihre kulturelle Allgegenwart und die schmale Grenzlinie zwischen Gefühl und Sentimentalität gelenkt wurde.

In den späten 1950er Jahren waren Paolozzi, Hamilton und Blake in den USA noch unbekannt, weshalb sie keinen Beitrag zum Aufkommen der Pop-/Massenkultur-Kunst leisten konnten. Was war also für die kreative Dynamik auf der Westseite des Atlantiks verantwortlich?

Sir Peter Blake, Children reading Comics (Kinder lesen Comics), 1954. Öl auf Hartfaserplatte, 36,9 x 47 cm. Tullie House Museum and Art Gallery, Carlisle, Cumbria, UK.

Sir Peter Blake, Couples (Paare), 1959. Collage auf Anschlagbrett, 89 x 59,7 cm. Sammlung des Künstlers.

Der Beginn der Pop-/Massenkultur-Kunst in Amerika

Eine wichtige künstlerische Bewegung trug entscheidend zum Aufkommen der Pop-/Massenkultur-Kunst in Amerika bei, allerdings eher, indem sie eine Gegenreaktion provozierte. Dies war die vorherrschende avantgardistische Richtung der damaligen Zeit, der Abstrakte Expressionismus (für den auch die Begriffe Action Painting und New York School gebraucht wurden). Diese Tradition hatte ihre Wurzeln in der Mitte der 1940er Jahre und blühte vor allem in den 1950er Jahren, als sich das Zentrum der Kunst von Paris nach New York verlagerte. Amerikanische Künstler und Emigranten, zu denen Franz Kline, Clyfford Still, Adolph Gottlieb, Arshile Gorky, Hans Hofmann, Willem de Kooning, Barnett Newman Jackson Pollock, Mark Rothko, Robert Motherwell und Helen Frankenthaler gehörten, prägten dadurch eine völlig neue Ästhetik, dass sie der Malerei neue expressive, malerische, farbliche, formelle und psychologische Dimensionen erschlossen. Ihre Kunst war überwiegend nicht-gegenständlich, obwohl ihre Arbeiten sich metaphorisch durchaus mit der Wirklichkeit auseinander setzten (wie etwa die Bilder Motherwells, die indirekt den Spanischen Bürgerkrieg thematisierten, und die Leinwände Pollocks, die nach seiner eigenen Aussage eine Antwort auf das Zeitalter des Radios, des Automobils und der Atombombe sein sollten). Mehreren Mitgliedern der New York School, vor allem Pollock, gelang es fast, den zwar vom Surrealismus implizierten, von den Mitgliedern dieser früheren Bewegung jedoch nicht eingehend verfolgten psychologischen Automatismus zu verwirklichen, während die meisten Vertreter des Abstrakten Expressionismus die gestischen Implikationen der früheren Phasen des Expressionismus verfolgten. Was aber all diese Künstler verband, war das gemeinsame Anliegen einer Kunst, die durch das Unterbewusstsein hindurch den Kern der Spiritualität, des Gefühls, der Ernsthaftigkeit, der intellektuellen Komplexität und authentischen Erfahrung erreichen sollte.

Es ist wohl keine Überraschung, dass derart noble Ziele in der nächsten Künstlergeneration zu einer Gegenreaktion führten. Diese empfand das vom Abstrakten Expressionismus erkundete Terrain als erschöpft. Diese jüngeren Künstler waren zweifellos kreativ engagiert, aber sie wandten sich gegen Ende der 1950er Jahre langsam von der Spiritualität, Emotionalität, Ernsthaftigkeit, Intellektualität und Authentizität ab, die ihre unmittelbaren Vorgänger so geschätzt hatten. Wo sollte man derart noble Qualitäten auch in einer an der Jugend orientierten, emotional ängstlichen, zunehmend zynischen, areligiösen und hedonistischen Gesellschaft finden, die von den scheinheiligen Posen der Werbeleute und der materialistischen Leere des Massenkonsums geprägt war? Wenn der Künstler seiner Zeit einen Spiegel vorhalten soll, dann sollte er auch die folgenden Phänomene thematisieren: das Erscheinen von Bill Haley und Elvis Presley, von Disneyland und McDonalds um das Jahr 1955 herum; die in den 1950er Jahren eine große Dynamik entfaltende automobile und aeronautische Revolution; die Entwicklung eines neuen Typus des Teenagers um 1960 herum (die von den zurückkehrenden Soldaten etwa 15 Jahre zuvor gezeugten so genannten baby boomers); den exakten Moment, in dem das Fernsehen dem Kino als das primäre Medium der visuellen Kommunikation den Rang ablief und die sexuelle Revolution, die 1960/61 mit der Entwicklung der Anty-Baby-Pille einsetzte. Die Künstler verwarfen folglich die Konzepte des Abstrakten Expressionismus und nahmen stattdessen eine “coole”, emotional distanzierte Haltung gegenüber der Welt ein. Sie orientierten sich an der Jugend und dem Hedonismus und praktizierten eine geistreiche Respektlosigkeit, die das gesamte Spektrum von Religion bis hin zur Kunst betraf und bis zu einem ausgeprägten Zynismus gegenüber der von ihnen geerbten Welt reichen konnte. Diese Einstellung erlaubte ihnen eine ironische Kommentierung der falschen Versprechungen der Werbung und der Leere des Massenkonsums, die von ihren Fetischen oder Ikonen wie der Coca-Cola Flasche, dem Hamburger, den Comics, den Popidolen und Hollywoodstars verkörpert wurden.

Die Ablehnung der Werte des Abstrakten Expressionismus und der Ziele der ernsthaften Kunst insgesamt ist schon vor der Mitte der 1950er Jahre wahrnehmbar, etwa in Robert Rauschenbergs Ausradierung einer Zeichnung von Willem de Kooning aus dem Jahr 1953. (Diese sehr symbolische neo-dadaistische oder antikünstlerische Geste besteht aus einem völlig leeren Blatt Papier, das sich heute in einem Rahmen im San FranciscoMuseum of Modern Art befindet. Ursprünglich hat es wohl auch Rauschenbergs Verachtung des derartigen Objekten verliehenen finanziellen Wertes angezeigt, heute ist es jedoch ein Vermögen wert). In demselben Jahr schuf Rauschenberg ebenfalls völlig weiße Bilder, deren gesamte visuelle Dynamik vom Schatten des Betrachters herrührt. Derartige Vorgehensweisen brachten die Überzeugung von Duchamp und anderen, dass erst der Betrachter den kommunikativen Wert eines gegebenen Kunstwerks komplettiert, zu ihrem logischen Ende. Diese Auffassung ist zweifellos nicht zu verneinen, aber auch nicht besonders profund.

Es war nicht weniger bedeutsam, dass Larry Rivers 1953 mit dem Abstrakten Expressionismus brach, indem er eine der verehrten Darstellungen der amerikanischen Geschichte, nämlich Emanuel Leutzes Bild von George WashingtonsÜberquerung des Delaware, die wir bereits im Hintergrund von Grant Woods Daughters of Revolution(Töchter der Revolution) sahen, überarbeitete. Rivers unterzog diesen Gegenstand der vollständigen abstrakt-expressionistischen Behandlung in Form schwerer gestischer Pinselstriche und artikulierte mit diesen absichtlich unordentlichen Mitteln sein Ziel, zu vermitteln, wie unbehaglich sich George Washington und seine Begleiter bei ihrer winterlichen Flussüberquerung gefühlt haben müssen, was in den absurd heroischen Posen von Leutzes Figuren überhaupt nicht zum Ausdruck kommt. Auf diese Weise griff Rivers die Orthodoxie des Abstrakten Expressionismus an, indem er mit ihren Mitteln ein historisches Bild malte, und in der Form der Überarbeitung von Leutzes Gemälde gleichzeitig auch die Werte des konservativen Amerika, das zur damaligen Zeit schwer an der Paranoia des Kalten Krieges litt.

Jasper Johns, ein Freund und Nachbar Rauschenbergs in Manhattan, kreierte 1954 eine Parallele zu Rivers’Bild, indem er mit einer Reihe von Gemälden und Zeichnungen der amerikanischen Flagge begann (oben). Im Verlauf der folgenden vier Jahre unterzog er das vertrauteste und zentralste aller Embleme der amerikanischen Kultur einer dem Abstrakten Expressionismus nicht unähnlichen gestischen malerischen Behandlung (siehe hinsichtlich eines kleinen Widerspruchs in seiner technischen Herangehensweise unter den Kommentar). Bei diesem Prozess verschmolz er, wie Rivers es schon 1953 getan hatte, eine Ikone mit großem Symbolwert mit einer bewussten Darstellung des malerischen Aktes. Allerdings zerstört die offensichtliche Aufladung der Oberfläche der Gemälde und Zeichnungen mit Energie die Flagge keineswegs, während dies bei Rivers’ Darstellung von George Washington und seinen Gefährten durchaus der Fall gewesen war. Der Grund für diese Erscheinung besteht in Johns’ Absicht, die rein formalen und farblichen Merkmale des Symbols zu unterstreichen. In den meisten seiner Werke verfolgte er dieses Ziel, indem er die Flagge innerhalb der Gesamtkomposition isolierte, während er dieses Emblem in einer Reihe der Bilder (wie der Darstellung der Flagge in Weiß) kaum sichtbar abbildete. In anderen Flaggenbildern veränderte er die Farben, wodurch er unsere Auffassung von der Realität unterminierte. Einige der Bilder (etwa das allererste der Flaggenbilder) sind auf mehreren Schichten von Zeitungsdruck aufgetragen, und wo dieser noch sichtbar ist, werden notwendigerweise Assoziationen an die Massenmedien erzeugt. Johns betonte stets die Flachheit der Flagge, indem er jeglichen Anschein von räumlichem Zurückweichen vermied – meist handelt es sich um eine Frontalansicht von Formen vor einem flachen Hintergrund. Das Ergebnis all dieser Faktoren besteht darin, dass die Flagge fast körperlos erscheint und ihres ikonenartigen, nationalen Zwecks beraubt wird. Diese Trennung sollte besonders große Wirkung auf Andy Warhol haben, als er diese Bilder von Johns in dessen erster Einzelausstellung in der Leo Castelli Gallery in New York im Januar 1958 sah, wie in Bildern Warhols aus den 1960er Jahren klar zu sehen ist.

Nur wenige Monate nach dieser Ausstellung stellte Leo Castelli Robert Rauschenbergs erste Combine Paintings aus, die ihren Namen der Kombination flacher, bemalter Oberflächen mit dreidimensionalen Objekten verdankten. Die gestische Qualität der Pinselführung des Abstrakten Expressionismus, die niemals wirklich vollständig verschwinden sollte, ist in diesen Werken noch deutlich zu sehen. Sie verleiht Rauschenbergs Bildern einerseits eine enorme Energie und artikulierte andererseits notwendigerweise die Dynamik der zeitgenössischen Welt. Rauschenberg klebte manchmal auch Zeitungsphotos und Comics in seine Combines und erzeugte auf diese Weise Assoziationen mit den Massenmedien, während er in anderen Arbeiten ein herausragendes Zeichen der Alltagskultur, die Coca-Cola Flasche, aufreihte und so auf die Massenproduktion und den Massenkonsum Bezug nahm. Rauschenberg integrierte in wieder andere Combines direkt Coca-Cola Logos und thematisierte auf diese Weise die Funktion der Zeichen selbst.

In den Jahren von 1958 bis 1961 fanden in New York und Los Angeles die ersten Ausstellungen weiterer Künstler statt, die schon bald eine wichtige Rolle in der Pop-/Massenkultur-Kunst spielen sollten, u.a. Jim Dine, Richard Smith, Ed Kienholz, Marisol, Claes Oldenburg, Allan D’Arcangelo und Tom Wesselmann, auf die weiter unten eingegangen werden wird. Im Jahr 1959 kam eine Gruppe aufstrebender Maler der Pop-/Massenkultur-Kunst als Postgraduierte des Royal College of Art in London zusammen. Zu ihr zählten u.a. Allen Jones, David Hockney und Peter Phillips, die ebenfalls noch vorgestellt werden.

Jasper Johns, The Flag (Die Fahne), 1955. Öl und Collage auf Leinwand, 107 x 153,8 cm. The Museum of Modern Art, New York.

Claes Oldenburg, The Store (Der Laden), 1962. Photo der Installation, Green Gallery, New York.

Der Durchbruch der Pop-/Massenkultur-Kunst

International gesehen betrat die Pop-/Massenkultur-Kunst die Bühne endgültig in den Jahren 1961/62. Die Londoner Ausstellung Junge Zeitgenossen