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Die Aufgabe: Sechs Wochen soll Cameron mit 100 Dollar in Vulture Creek, New Mexico überstehen, und schon bei seinem ersten Drink in der Gluthitze fällt ihm eine Frau auf. Wer ist diese exotische Schönheit, die die sengende Sonne über der Wüste kühl erscheinen lässt?
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Seitenzahl: 199
IMPRESSUM
Die Quinns: Cameron erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2012 by Peggy A. Hoffmann Originaltitel: „The Mighty Quinns: Cameron“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY SEXYBand 88 - 2013 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Andrea Cieslak
Umschlagsmotive: Harlequin Books, GettyImages_NycyaNestling
Veröffentlicht im ePub Format in 10/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733758554
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Nasskalter Wind zerrte an der Kleidung der ums Grab versammelten Trauernden. Cameron Quinn starrte in den schiefergrauen Himmel, bevor er die Augen schloss, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Er konnte sich nicht erinnern, wann zum letzten Mal die Sonne geschienen hatte. Es war ein Jahr voller dunkler, bedrückender Tage gewesen, verbunden durch Nächte mit quälenden Träumen.
Er umklammerte den Griff des Regenschirms. Neben ihm standen seine jüngeren Brüder, die Zwillinge Dermot und Kieran. Sie drängten sich dicht zusammen, eher um einander Trost zu spenden, als um sich vor dem Regen zu schützen. Ronan, sein jüngster Bruder, stand vor ihm, die Hände tief in die Manteltaschen gesteckt, die Schultern verkrampft.
Nach einem Jahr der Suche und des Wartens und Grübelns war es endlich vorbei. Camerons Eltern, Jamie und Suzanne Quinn, waren für tot erklärt worden. Sie hätten vor etwas mehr als einem Jahr in Vanuatu im Südpazifik ankommen sollen, wohin sie eine Segeljacht für einen vermögenden Käufer überführen sollten.
Der Trip war ursprünglich als Sommerurlaub für die ganze Familie gedacht gewesen, doch nachdem der Auftraggeber auf eine frühere Lieferung gedrängt hatte und Cameron und seine Brüder noch keine Ferien hatten, mussten sie zu Hause bleiben. Die Reise hätte ungefähr einen Monat dauern sollen.
Cameron und seine jüngeren Brüder hatten die Tage auf dem Kalender in der Küche ihres Großvaters abgestrichen. Ihre Eltern meldeten sich allabendlich übers Satellitentelefon, bis sie es einen Abend nicht taten und den nächsten auch nicht. Nach einer Woche merkten die Jungs am Verhalten ihres Großvaters, wie groß dessen Sorge war. Noch galten Suzanne und Jamie nicht offiziell als vermisst. Aber nicht lange, und es war so weit.
„Warum vergraben wir eine … eine Kiste?“, fragte Kieran.
„Sarg“, murmelte Cameron. „Man nennt es Sarg.“
Dermot atmete rasselnd ein. „Was ist, wenn sie nach Hause kommen? Graben wir das Ding dann wieder aus und holen die Sachen, die wir reingelegt haben, wieder heraus?“
Cameron schaute zu seinem Bruder hinab und schüttelte den Kopf. „Sie werden nicht mehr nach Hause kommen.“ Auch wenn er etwas anderes glauben wollte, war ihm die Realität bewusst.
Eine Woche nach dem geplanten Ankunftsdatum hatte die Suche nach seinen Eltern begonnen. Zwei Wochen später gab es immer noch keine Nachricht, keine Spur, keine Erklärung. Nach einem Monat kroch die harte Wahrheit in das Leben der Jungen. Ihre Eltern waren auf See verschollen. Vielleicht trieben sie auf einem Floß oder waren Piraten in die Hände gefallen oder auf einer tropischen Insel von der Außenwelt abgeschnitten. Niemand konnte es mit Sicherheit sagen, nicht einmal Camerons Großvater. Und der hatte sonst immer Antworten auf alle Fragen, die seine vier Enkelsöhne stellten.
Es war die Ungewissheit, die Cameron am meisten zusetzte. Diese winzige Flamme der Hoffnung, die nicht verblassen wollte. Ein Jahr lang hatte er wie seine Brüder geglaubt, dass sich dies alles als ein böser Traum erweisen würde. Doch während er zuschaute, wie der Sarg in das dunkle Loch in der Erde hinabgelassen wurde, flackerte die Flamme der Hoffnung ein letztes Mal auf und erlosch.
„Ich habe Angst“, gestand Ronan und drehte sich zu Cameron um. In seinen Augen schimmerten Tränen.
Cameron legte ihm seinen freien Arm um die Schultern. „Die musst du nicht haben. Wir werden es schaffen. Ich verspreche es.“
Dermot wischte sich eine Träne von der Wange. „Ich will Mom und Dad zurück. Ich weiß, dass sie zurückkommen. Ich weiß es.“
„Ich auch“, sagte Kieran. „Sie kommen zurück.“
„Vielleicht“, erwiderte Cameron. Er wollte es mehr als alles andere glauben. Vielleicht sollte er noch nicht aufgeben. Es gab immer noch eine Chance, nicht wahr? Fürs Erste würde er seinen kleinen Brüdern die Hoffnung lassen. Die Erinnerungen an ihre Eltern würden verblassen und mit der Zeit würden sie die Wahrheit akzeptieren.
Es war nun Camerons Aufgabe, die Familie zusammenzuhalten, seinen jüngeren Brüdern Mutter und Vater zu ersetzen. Er war sich nicht sicher, ob er der Aufgabe gewachsen war, aber er würde sein Bestes tun. Das schuldete er seinen Eltern.
Der Bus hielt vor einem schäbigen Café. Eine flackernde Neonreklame für Bier war die einzige Farbe, die Cameron in den letzten zweihundert Meilen gesehen hatte. „Hausgemachte Speisen“, las Cameron auf einem Schild. Wenigstens ein Punkt, der für Vulture Creek in New Mexico sprach. Nach allem, was er bisher mitbekommen hatte, war der Ort kaum mehr als eine staubige Kreuzung irgendwo an der Strecke nach Albuquerque.
Er nahm seine lederne Reisetasche aus dem Fach über dem Sitz und stieg aus. Keiner der anderen Fahrgäste hatte dieses Ziel gewählt, und nach allem, was er durchs Fenster sah, konnten sie sich glücklich schätzen.
Er war aus Seattle angereist, wo es fast jeden Tag regnete und Grün, nicht Braun, die vorherrschende Farbe war. Hier kam er sich wie ein Alien vor, der in einer kargen, fast leblosen Welt gelandet war. Er schirmte die Augen mit der Hand ab und blinzelte in den türkisblauen Himmel. Der Anblick war das Einzige, das ihm bestätigte, dass er sich immer noch auf dem Planeten Erde befand.
Schließlich fuhr der Bus weiter, eine Wolke aus Staub und Abgasen hinter sich lassend. Diese Einöde würde für die nächsten sechs Wochen Camerons Zuhause sein.
Warum hatte sein Großvater Vulture Creek ausgesucht? Die Aufgabe klang einfach – theoretisch. Der alte Mann hatte seine vier Enkelsöhne auf eine Art Sinnsuche in fremde Landesteile geschickt. Sie sollten herausfinden, wer sie wirklich waren und wo sie hingehörten. Dermot steckte irgendwo in Wisconsin, Kieran in Tennessee, Ronan in Maine, und Cameron, der Älteste, war mitten ins Niemandsland verbannt worden.
Sechs Wochen lang sollten sie ein neues Leben ausprobieren, fern vom Familienunternehmen und ihrer vertrauten Umgebung. Cameron verstand die Motive seines Großvaters. Er und seine Brüder hatten schon kurz nach dem Verschwinden ihrer Eltern angefangen, bei Quinn Yachtworks mitzuarbeiten. Sie hatten alle mit angepackt, um den Betrieb zum Erfolg zu führen. Ihnen war kaum eine andere Wahl geblieben; sie hatten es getan, um ihren Großvater dafür zu entschädigen, dass er sie aufgenommen hatte, und um die Trauer zu lindern, die wie eine dunkle Wolke über der Familie hing.
Aber nun war es an der Zeit, über die Zukunft des erfolgreichen Unternehmens zu entscheiden. Es gab einen Interessenten, der die Firma zu einem attraktiven Preis kaufen wollte, und Martin Quinn musste eine Entscheidung treffen – das Geschäft seinen Enkeln überlassen oder es verkaufen und sich in einen Ruhestand voller Luxus zurückzuziehen.
Cameron hatte nie darüber nachgedacht, ob er seinen Lebensunterhalt auch auf andere Weise verdienen könnte. Er hatte sich verpflichtet gefühlt, im Familienbetrieb mitzuarbeiten, und ihm gefiel seine Stellung als Kopf des Design-Teams. Die Arbeit kam seinen künstlerischen Neigungen entgegen, war gut bezahlt und sie wurde nie langweilig.
Sie entsprach seinem Wesen. Ihm gefiel die Jagd als einsamer Wolf nach dem perfekten Design. Er hatte die Kontrolle. Er traf die Entscheidungen. Es war ein ruhiges Leben, ein kontrolliertes Leben und eines, an das er sich sehr gewöhnt hatte. Es passierte niemals etwas Unerwartetes.
Deshalb hielt er diese „Ferien“ für eine nutzlose Übung. Er wusste bereits, wo er hingehörte und was er tun wollte. Er wusste es seit dem Moment, in dem er Familienoberhaupt geworden war, seit dem Tag, an dem seine Eltern offiziell für tot erklärt worden waren. Es war seine Aufgabe gewesen, auf seine jüngeren Brüder zu achten und dafür zu sorgen, dass das Zusammenleben mit ihrem Großvater funktionierte.
Zugegeben, er hatte sich einmal etwas anderes gewünscht. Als Kind hatte er Paläontologe werden wollen, so wie der Held in „Jurassic Park“. Er hatte von exotischen Schauplätzen und schwierigen Ausgrabungen geträumt, von Entdeckungen, die die Geschichte auf den Kopf stellen würden. Doch er hatte diese Träume zum Wohle seiner Familie aufgegeben.
Nach dem Plan seines Großvaters sollten Cameron und seine Brüder nach sechs Wochen nach Hause zurückkehren. Falls sie sich dann wieder in der Firma engagieren wollten, konnten sie es tun. Falls sie irgendwo anders ein neues Leben beginnen wollten, wäre das auch gut. Und falls sie sich alle für ein anderes Leben entscheiden sollten, dann würden sie den Gewinn aus dem Verkauf teilen und sich damit eine neue Existenz aufbauen.
Cameron ging über die Straße zum Lokal. Er würde erst einmal etwas Anständiges essen, danach die Stadt erkunden und sich schließlich eine Busfahrkarte zur nächsten zivilisierten Stadt kaufen. Vulture Creek schien weder Arbeitsmöglichkeiten noch Zerstreuungen zu bieten. Mit Sicherheit erwartete sein Großvater nicht von ihm, dass er hier volle sechs Wochen blieb. Cameron hatte vor, die Zeit an einem angenehmeren Ort abzusitzen.
Als er die Hand schon auf der Türklinke hatte, fuhr langsam ein Pick-up vorbei. Unter seinem zerbeulten Cowboyhut warf ihm der Fahrer einen misstrauischen Blick zu. Cameron nickte grüßend, erhielt aber keine Reaktion. „Gastfreundliche Gegend“, murmelte er.
Beim Eintreten ins Lokal läutete eine Glocke über der Tür. An der Decke drehten sich behäbig einige Ventilatoren, ohne irgendeine Erfrischung zu bringen. Eine kleine Gästeschar war an Tischen in der Nähe des Fensters versammelt. Die Leute saßen vor den Resten ihres Frühstücks, unterhielten sich angeregt und lachten.
Cameron setzte sich an den leeren Tresen. Im hinteren Teil des Raums sah er eine Frau in einer Nische neben der Tür zur Küche sitzen und in ihr Handy sprechen.
Er entspannte sich, griff sich eine Speisekarte und studierte die Preise. Er hatte noch sechs Dollar in bar und eine Tasche voll Kleingeld. Doch sein Großvater hatte jedem von ihnen eine Firmenkreditkarte mitgegeben. Damit würde er seinen Lunch bezahlen und sich anschließend ein Hotelzimmer mit Dusche und einem weichen Bett nehmen.
Eine Frau mittleren Alters kam mit einer Kaffeekanne durch die Schwingtür. Sie schlenderte zum Tresen und stellte Cameron eine Tasse hin. Ihre blaue Bluse war mit ihrem Namen bestickt: Millie.
„Kaffee?“
Cameron schüttelte den Kopf. Es war ihm zu heiß für Kaffee. „Eiswasser“, sagte er. „Das größte Glas, das Sie haben.“
„Zum Frühstück bieten wir heute Denver-Omelett, Blaubeerwaffeln und Steak und Eier an“, zählte sie auf, während sie ihn aufmerksam musterte. „Zum Lunch haben wir Enchiladas mit Schweinefleisch und Hackbraten auf der Karte. Außerdem gibt es Hühnersuppe und Grashopper Pie, heute Morgen frisch gebacken. Was darf’s sein?“
Cameron schaute auf die Uhr über dem Tresen. Obwohl es erst elf war, war ihm nicht mehr nach Frühstück zumute. „Ich nehme den Hackbraten“, antwortete er. „Mit Bratkartoffeln. Haben Sie Bier vom Fass?“
„Nur Flaschen.“
„Geben Sie mir eine von Ihrem besten. Nehmen Sie Kreditkarten an?“
„MasterCard und Visa“, erwiderte sie.
Sie holte ihm ein Bier und goss es in ein Glas in Form eines Cowboy-Stiefels. Cameron nahm einen großen Schluck. Dabei beobachtete er die Frau, die er in der Nische bemerkt hatte. Als sie sich leicht umwandte, stockte ihm der Atem und er verschluckte sich an seinem Bier.
Ihr Gesicht war vorher von einem abgewetzten Cowboyhut aus Stroh verdeckt worden, aber nun hatte sie das Kinn gehoben und zeigte ihr wundervolles Profil. Cameron ertappte sich dabei, wie er auf ihren Mund starrte, während sie sprach. Sie war jünger, als er anfangs gedacht hatte, Mitte zwanzig. Außerdem hatte sie etwas Ungewohntes an sich, etwas leicht Exotisches. Er fragte sich, ob ihr Körper ebenso verführerisch war wie ihre vollen Lippen.
Als sie das Gespräch beendete, wandte er den Blick von ihr ab und beobachtete sie verstohlen im Spiegel hinter der Theke. Gespannt wartete er darauf, dass sie aufstand. Doch als er dann ihren humpelnden Gang bemerkte, schaute er auf sein Bier. Seine Reaktion auf ihre Behinderung irritierte ihn.
Denn obwohl es ihm für sie leidtat, konnte etwas so Unbedeutendes wie ein Hinken nicht das Bild der Perfektion beeinträchtigen, das ihr schönes Gesicht und ihr schlanker Körper boten. Zu seiner Überraschung setzte sie sich ein paar Plätze von ihm entfernt auf einen Barhocker und legte ihren Cowboyhut auf die Theke.
„Millie, ich nehme mir einen Kaffee“, rief sie Richtung Küchentür und strich sich eine Strähne von ihrem rabenschwarzen Haar hinters Ohr. Sie ging hinter den Tresen, holte sich eine Tasse und schenkte sich aus der Kanne ein.
Mein Gott, ist sie schön, dachte Cameron. Dies war der letzte Fleck auf Erden, wo er damit gerechnet hätte, eine interessante Frau zu finden. Und diese Frau reizte ihn mehr als jede andere, die er in den vergangenen fünf Jahren gesehen hatte. Sie trug ein schlabberiges Chambray-Hemd, ausgeblichene Jeans und staubige Cowboystiefel. Nicht gerade der typische Stil der Frauen, die er sonst begehrenswert fand.
Sie nippte an ihrem Kaffee und schaute geradeaus. Cameron nutzte die Gelegenheit, ihr Gesicht genauer zu betrachten. Hohe Wangenknochen und dunkle Augen deuteten auf eine indigene Abstammung hin, aber es war noch etwas anderes da, etwas, das ihre klaren Züge ein wenig weicher wirken ließ.
„Gilt es da, wo Sie herkommen, als höflich, Leute anzustarren?“ Langsam drehte sie sich zu ihm um und musterte ihn kühl.
„Sorry“, murmelte er. „Ich war nur die letzten fünf Tage in einem Bus eingepfercht, ohne dass es etwas Interessantes zu sehen gegeben hätte.“ Er lachte leise. „An diesem Ort so etwas wie Sie zu finden, damit hätte ich nie gerechnet.“
„Und wie genau bin ich?“
„Interessant.“ Er trank einen Schluck Bier. „Entschuldigung. Ich werde Sie nicht mehr anstarren.“
Sie wandte sich ab, als hätte sie das Kompliment verlegen gemacht. „Sie haben zu lange im Bus gesessen.“
„Stimmt.“
Eine Weile schauten sie beide schweigend geradeaus.
„Was machen Sie in Vulture Creek?“, fragte sie.
„Das ist eine lange Geschichte.“
„Wo kommen Sie her?“
„Aus Seattle“, antwortete er. „Washington State.“
„Ich weiß, wo Seattle liegt“, entgegnete sie lächelnd.
„Natürlich.“ Für jemanden, der nicht wahrgenommen werden wollte, strengte sie sich sehr an, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Cameron war nie gut in Smalltalk gewesen, aber dieses eine Mal könnte sich ein Versuch lohnen. „Leben Sie hier in der Gegend?“
„In der Nähe“, erwiderte sie mit leichtem Misstrauen.
„Das ist recht vage“, meinte er. „Wo in der Nähe? In New Mexico? Im Südwesten?“
„Albuquerque“, sagte sie.
„Und was machen Sie in Vulture Creek?“
Sie lächelte. „Das ist eine lange Geschichte.“
Cameron lachte leise. „Nun, das war es dann wohl. Ich habe jemanden gefunden, der noch schlechter im Smalltalk ist als ich. Vielleicht sollten wir ganz aufhören zu reden, bevor wir uns gegenseitig zu Tode langweilen.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Ist mir recht. Sie sind derjenige, der das Gespräch angefangen hat.“
„In Wahrheit waren Sie die Erste, die gesprochen hat. Ich habe nur geschaut.“
„Nun, ich bin fertig mit Reden. Ab jetzt.“
Ein paar Minuten später kam Millie mit Camerons Lunch. Sie stellte den Teller vor ihn und deutete auf sein leeres Glas. „Noch ein Bier?“
„Gern“, sagte er und fing an zu essen.
Millie wandte sich an die Frau, die neben ihm saß. „Was kann ich für dich tun, Sofie? Frühstück oder Lunch?“
„Der Hackbraten ist gut“, meinte Cameron zwischen zwei Bissen. Sofie. War das die Kurzform von Sofia? Der Name passt zu ihr, dachte er. Sofia, die dunkle exotische Schönheit mit den vollen Lippen und den funkelnden Augen.
„Ich nehme ein gebratenes Käsesandwich und die Suppe“, sagte sie.
„Darf es für Sie noch etwas sein?“, fragte Millie ihn.
„Ein Job. Haben Sie zufällig einen Tipp für mich? Ich brauche Arbeit. Und eine Unterkunft.“
Sie nickte zu der Gruppe, die am Fenster saß. „Sie können mit dem Professor da drüben reden. Er leitet eine Dinosaurierausgrabung in der Wüste. Die suchen immer Helfer.“
Cameron fiel die Kinnlade herunter. „Wirklich? Eine Ausgrabung?“ Ungläubig schüttelte er den Kopf. War das der Grund, weshalb sein Großvater ihn nach Vulture Creek geschickt hatte? Wusste er von der Ausgrabung?
„Die zahlen nichts“, warf Sofie ein. „Außer für die Mahlzeiten. Sie suchen Freiwillige auf ehrenamtlicher Basis.“
„Suchst du nicht auch jemanden, Sofie?“, fragte Millie.
„Nein.“
„Natürlich. Du hast es gestern erwähnt. Ich erinnere mich genau, wie du gesagt hast, dass du nicht genug Augen und Ohren hast, um alles im Auge zu behalten, was nötig wäre. Das waren deine Worte.“
„Was arbeiten Sie?“, erkundigte sich Cameron.
„Sie ist Privatdetektivin“, erklärte Millie. „Einer großen Sache auf der Spur.“ Sie ging in die Küche und Sofie und Cameron verfielen wieder in unbehagliches Schweigen.
Er seufzte leise. Obwohl der Gedanke an die Dinosaurierausgrabung verlockend war, musste er Geld verdienen. Und wenn Sofie, die Privatdetektivin, einen Job zu vergeben hatte, dann sollte er der Möglichkeit nachgehen. Wie viele andere Möglichkeiten würde ein Kaff wie Vulture Creek sonst noch bieten?
„Also, haben Sie nun einen Job für mich oder nicht?“
Millie kam zurück und servierte Sofie ihre Suppe. „Vielleicht solltest du dich genauer mit ihm unterhalten. Der junge Mann sieht clever aus.“ Sie zwinkerte Cameron zu. „Vorsicht. Falls Sie irgendwelche Geheimnisse haben, wird sie einen Weg finden, sie aus Ihnen herauszuholen.“
Cameron unterdrückte ein Lächeln. Das klang nach jeder Menge Spaß. Wenngleich er kein großer Redner war, genoss er das Geplänkel mit Sofie. Hinter der kühlen, ruhigen Fassade vermutete er eine temperamentvolle, leidenschaftliche Frau. Er war gespannt darauf, einen Blick auf diese verborgene Seite zu erhaschen.
„Warum sind Sie hier?“, fragte sie ihn.
Er wischte sich die Hände mit der Serviette ab. „Ich bin hier, weil mein Großvater mich hierhergeschickt hat. Ich soll die nächsten sechs Wochen nutzen, um mir darüber klar zu werden, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen möchte.“
„Warum ist das nötig?“
„Meinem Großvater gehört unser Familienbetrieb. Ich arbeite dort mit. Demnächst muss er eine Entscheidung über die Zukunft der Firma fällen. Da möchte er, dass wir alle uns sicher sind, wo wir stehen.“
„Alle?“
„Ich und meine drei Brüder. Wir arbeiten zusammen.“
„Was machen Sie? Als Job, meine ich“, fragte sie.
„Ich entwerfe Segeljachten.“
Sie lachte und nickte Millie zu. „Nun, da gibt es hier in der Wüste natürlich eine Menge zu tun“, meinte sie ironisch. „Ich glaube wirklich nicht, dass ich …“
„Sofie“, unterbrach Cameron sie.
Vorsichtig musterte sie ihn. „Ja?“
„Ich bin nicht der Dümmste. Ich bin mir sicher, alles erledigen zu können, was Sie für mich haben. Warum versuchen Sie es nicht? Wenn es nicht klappt, feuern Sie mich.“
„Wie ist Ihr Name?“, fragte sie.
Er streckte die Hand aus. „Cameron Quinn. Die meisten Leute nennen mich Cam.“
Widerstrebend ergriff sie seine Hand. „Sofia Reyes. Die meisten Leute nennen mich Sofie.“
Die Berührung, ihre Haut, ließ eine warme Woge durch seine Adern fahren. Er musste sich geradezu zwingen, ihre Hand loszulassen. „Jetzt, nachdem wir uns miteinander bekannt gemacht haben, müssen Sie mir erlauben, Sie zum Lunch einzuladen. Dabei können Sie mir von den Vorzügen von Vulture Creek erzählen.“
„Das wäre ein wirklich kurzer Lunch. Eher ein Snack.“
„Mach schon“, drängte Millie. „Lass dich einladen.“
Cameron verspürte leichte Genugtuung, als Sofie zustimmend nickte. Obwohl er beim Aussteigen aus dem Bus nicht viel Hoffnung gehabt hatte, in Vulture Creek etwas Interessantes zu finden, wurden die Aussichten mit jeder Minute besser.
Sofie Reyes. Sogar ihr Name war sexy.
Sofie seufzte leise, als sie den ersten Bissen von Millies Bananencreme-Kuchen nahm. Sie hing schon seit Wochen in Vulture Creek rum und ein Stück von Millies hausgemachtem Kuchen war für sie ein tägliches Ritual geworden.
„Kuchen ist beinahe das perfekte Essen“, sinnierte sie. „Man kann ihn zum Frühstück, zum Lunch oder Dinner servieren. Und als Snack ist er auch gut geeignet.“
„Da haben Sie recht“, stimmte Cameron zu, während er sich über den Apple Pie hermachte, den er als Nachtisch bestellt hatte.
Die Unterhaltung zwischen ihnen war angenehm, was Sofie wunderte. Für gewöhnlich fühlte sie sich unwohl in der Gegenwart von fremden, charmanten Männern. Das lag in ihrer Natur als Privatdetektivin: Sie vermutete immer eine versteckte Absicht, ein niederes Motiv. Bei ihr war jeder irgendwie schuldig.
Ein Mann wie Cameron Quinn müsste alle ihre Alarmglocken zum Schrillen bringen. Er hatte bestenfalls nebulöse Gründe, in Vulture Creek zu sein, und seiner Kleidung nach zu urteilen, passte er eher in einen europäischen Sportwagen als in einen staubigen Greyhound-Bus. Und trotzdem fühlte sie sich zu ihm hingezogen.
Tatsache war, dass sie bei ihrem aktuellen Fall Hilfe brauchte. Es war fast unmöglich, allen Spuren nachzugehen, zumal sie als Frau in einer kleinen Stadt wie Vulture Creek besonders auffiel. Aus welchem Grund auch immer, die Leute bemerkten sie und erinnerten sich an sie.
Je eher sie den Fall abschloss, desto besser, und wenn Cameron Quinn dabei helfen konnte, warum sollte sie ablehnen? Sie jagte seit fast sechs Monaten untreue Ehemänner und zahlungsunwillige Väter und es ging ihr allmählich auf die Nerven. Sobald ihr Körper es wieder zuließ, würde sie zur Polizei in Albuquerque zurückkehren und den Job machen, für den sie eigentlich bestimmt war.
Sofie atmete tief ein. Zwei Jahre waren seit dem Unfall vergangen, zwei Jahre, in denen die Genesung im Schneckentempo voranzugehen schien. Auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte: Ihre Lage war ernst.
Vielleicht würde sie es nicht schaffen. Vielleicht würde sie die Tauglichkeitsprüfung nicht bestehen. Sie behielt vielleicht auf Dauer eine Hüfte zurück, die bei Kälte schmerzte, und ein Hinken, das bei ihren Mitmenschen entweder Mitleid oder Neugier weckte. Sie mochte attraktiv sein, aber sie blieb immer noch behindert.
Die meisten Männer sahen nicht über ihre Einschränkung hinaus. Verdammt, sie kam die meiste Zeit ja selbst nicht damit klar. Doch hier zu sitzen und sich mit Cameron zu unterhalten, ließ sie den Makel beinahe vergessen. Er hatte eine Art, sie anzuschauen, als wäre sie die faszinierendste Frau, der er je begegnet war. So bewundert hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Nicht seit dem „Vorfall“.
Sofie stammte aus einer Polizistenfamilie. Ihr Vater arbeitete bei der Polizei in Albuquerque und auch ihre fünf Brüder jagten Straftäter. Deshalb lag es nahe, dass es Sofie, das Nesthäkchen, auch dorthin zog.
Nach dem College hatte sie im Albuquerque Police Department angefangen. Ein Traumjob. Sie hatte sich hochgearbeitet und war mit sechsundzwanzig als verdeckte Ermittlerin fürs Rauschgiftdezernat tätig gewesen. Ihr Team hatte gerade eine heiße Spur in einer großen Sache verfolgt, als sie zwischen die Fronten zweier rivalisierender Drogenbanden geriet.
Sofie wusste um die Gefahren, aber sie standen so kurz vorm Durchbruch. Sie hörte weder auf ihren Instinkt noch auf ihre Vorgesetzten. Sie glaubte, dass sie mit allem fertig werden würde, was ihr in die Quere kam. Doch ein halb irrer Fahrer in einem rasenden Auto hatte ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es hatte einen schweren Unfall gegeben, nach dem sie drei Monate auf der Intensivstation gelegen hatte.
„Möchten Sie noch mehr?“
Sofie blinzelte und schaute von ihrem leeren Teller hoch. „Wie bitte?“
„Kuchen“, sagte Cameron. „So, wie Sie geguckt haben, hatte ich schon Angst, dass Sie den Teller mit aufessen würden.“ Suchend sah er sich nach Millie um. „Können wir noch ein Stück von dem Bananencreme-Kuchen bekommen?“
„Nein danke.“ Sofie schüttelte den Kopf. „Ich habe genug.“
„Ich nicht“, entgegnete er. „Ein Stück Bananencreme-Kuchen für mich, bitte.“