Die Quinns: Ronan - Kate Hoffmann - E-Book

Die Quinns: Ronan E-Book

Kate Hoffmann

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Beschreibung

Auf der malerischen Kleinstadt Sibleyville, in die Ronan von seinem Großvater geschickt wird, lastet ein Fluch: Niemand soll jemals innerhalb der Stadtgrenzen Liebe finden! Können Ronan und die schöne Austernfischerin Charlotte mit ihrer heißen Affäre den Bann brechen?

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Seitenzahl: 193

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IMPRESSUM

Die Quinns: Ronan erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2012 by Peggy A. Hoffmann Originaltitel: „The Mighty Quinns: Ronan“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY SEXYBand 89 - 2013 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Andrea Cieslak

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733758561

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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PROLOG

Im Wandschrank war es dunkel und still. Ronan Quinn umklammerte die Taschenlampe, die mit ihren alten Batterien nur für einen schwachen Lichtstrahl sorgte. Er schloss die Augen und versuchte, die furchterregenden Bilder zu vergessen.

Die Träume hatten erst vor ein paar Monaten angefangen, gleich nach der Party zu seinem achten Geburtstag – der ersten Familienfeier seit dem Verschwinden seiner Eltern im Jahr zuvor.

Natürlich war es nicht dasselbe gewesen. Niemand konnte so tolle Geburtstagspartys veranstalten wie seine Mutter. Sie konnte einen gewöhnlichen Tag in das wunderbarste Ereignis im Leben eines Menschen verwandeln. Zu seinem siebten Geburtstag war sie mit ihm und seiner Pfadfindergruppe ins Aquarium gegangen. Sie hatten die seltsamsten Dinge bestaunt, Spiele gespielt und Cupcakes gegessen, die mit ihren langen Tentakeln aus Lakritz wie Tintenfische aussahen. Es hatte sogar eine Piñata, eine Figur aus Pappmaschee, in Form eines Fischs gegeben, gefüllt mit Weingummi und Wunderkugeln und all seinen Lieblingssüßigkeiten.

Nach der Party, als er ganz erschöpft von der ganzen Aufregung gewesen war, hatte er sein Geschenk bekommen: ein schönes Aquarium, das auf einem Gestell direkt neben seinem Bett stand. Er erinnerte sich, dass er die ganze Nacht wach geblieben war, nur um zu beobachten, wie die Fische im bläulichen Licht hin und her schwammen.

Das Aquarium war jetzt leer, alle Fische waren tot, das Wasser abgelassen. Es gehörte zu den Dingen, die in Vergessenheit geraten waren, nachdem seine Welt aus den Fugen geraten war. Nie war Zeit gewesen, neue Fische zu kaufen. Niemand wollte sich die Mühe machen, das Aquarium sauber zu halten.

Dieses Jahr hatten sein Großvater und seine älteren Brüder eine Party auf dem Segelboot der Familie geplant und zehn von Ronans Klassenkameraden eingeladen. Doch Ronan hatte sich geweigert, das Boot zu betreten.

Furcht war in ihm aufgestiegen, als er auf das dunkle Wasser starrte, das gegen den Rumpf schlug. Ihm hatte sich der Magen umgedreht, und seine Hände waren eiskalt geworden. Er war davon überzeugt gewesen, dass die See ihn verschlingen und nicht wieder hergeben würde.

Dermot war mit ihm an Land geblieben, während der Rest der Geburtstagsgesellschaft ablegte. Und auch wenn sein älterer Bruder sich bemüht hatte, ihn zu beruhigen, dass es in Ordnung wäre – Ronan hatte die Blicke seiner Freunde gesehen. Er war ohnehin schon als anders gebrandmarkt, seit seine Eltern verschollen waren. Von nun an würde er völlig allein sein, Gegenstand von Getuschel und Mitleid.

Ronan schaute auf das Buch, das er an seine Brust gepresst hatte. Das große Bilderbuch mit Meeresfischen war ein Geschenk seiner Mutter. Eines Morgens hatte es neben seinem Frühstück gelegen. Es war nicht sein Geburtstag oder Weihnachten oder irgendein Feiertag gewesen. Sie hatte einfach beschlossen, dass er dieses Buch haben sollte.

Er richtete den Strahl der Taschenlampe auf die bunten Abbildungen. Aber als er die Seite umblätterte und das Kapitel mit den Haien anfing, schlug er das Buch zu, zog die Beine an und umklammerte seine Knie.

Haie tauchten immer in seinen Albträumen auf. Haie, die im dunklen Wasser kreisten. Er versuchte nicht daran zu denken, was seinen Eltern passiert sein könnte, doch in seinen Albträumen kam es immer wieder hoch.

Er hatte Fragen gestellt, die sein Großvater und seine Brüder sich weigerten zu beantworten. Wie lange können sie im Wasser überleben? Wie weit können sie schwimmen? Wenn sie im Rettungsboot sitzen, werden sie dann nicht an Land getrieben? Aber es gab nie Erklärungen. Ihm wurde nur gesagt, dass er die Tatsache akzeptieren sollte, dass seine Mutter und sein Vater nicht mehr da waren.

Doch er wollte es nicht akzeptieren. Es gab immer noch die Chance, dass sie gefunden wurden. Vielleicht auf einer Insel. Oder vielleicht trieb ihr Boot auf dem Meer, die Segel zerrissen oder verloren. Warum wollte niemand diese Möglichkeiten sehen?

„Ronan?“

Er hielt den Atem an und starrte auf die Schatten. Ein paar Sekunden später schwang die Tür auf. Sein ältester Bruder Cameron stand vor ihm.

„Was machst du da?“

„Nichts“, antwortete Ronan.

„Du hast ein Buch. Hast du gelesen?“

Er schüttelte den Kopf.

„Na komm“, sagte Cameron. „Du musst wieder ins Bett.“

„Ich kann nicht. Ich werde wieder schlecht träumen.“

Cameron hockte sich hin und tätschelte Ronans Knie. „Du hast Albträume?“

Ronan nickte. „Ganz schlimme. Mit Haien. Und Mom und Dad schwimmen und versuchen wegzukommen. Aber das Wasser ist dunkel, und sie können nichts sehen.“ Cameron streckte die Arme aus, und Ronan schmiegte sich an ihn. „Ich will nicht schlafen gehen.“

„Was hältst du davon, wenn du heute mit in meinem Bett schläfst?“, schlug Cameron vor.

„Okay.“ Eine Welle der Erleichterung durchflutete ihn. Cameron würde ihn vor den bösen Träumen beschützen können. Sein großer Bruder konnte alles.

„Möchtest du dein Buch mitnehmen?“, fragte Cameron. „Du magst es sehr, nicht wahr?“

„Mom hat es mir geschenkt.“

„Du magst Fische? Vielleicht können wir mal zusammen angeln gehen.“

Ronan runzelte die Stirn. Er wollte niemals wieder in die Nähe des Meers. „So mag ich Fische nicht“, sagte er. „Ich will nicht ans schwarze Wasser. Es könnte mich verschlucken und runterziehen.“

„Davor brauchst du keine Angst zu haben“, meinte Cameron.

In dem Punkt war Ronan anderer Meinung. Er würde niemals wieder ans Meer gehen. „Ich mag meine Zierfische“, äußerte er vorsichtig.

„Du hast keine mehr“, entgegnete Cameron.

„Ich weiß. Aber ich mochte sie. Sie haben mir beim Einschlafen geholfen.“

„Nun, wir könnten Grandpa fragen, ob wir dir neue Fische besorgen dürfen. Würdest du dich dann besser fühlen?“

Ronan würde sich dann besser fühlen, wenn seine Mutter da wäre, um ihn zuzudecken, und sein Vater, um ihm einen Gutenachtkuss zu geben.

Vielleicht kamen seine älteren Brüder ohne das aus. Cameron war zwölf, und die Zwillinge, Kieran und Dermot, waren neun, fast zehn. Vielleicht waren Umarmungen und Küsse nicht mehr wichtig, wenn man älter wurde. Aber es war doch kein Babykram, sich Umarmungen und Küsse zu wünschen, oder?

Ronan griff nach der Hand seines Bruders und hielt sie fest, während sie über den Flur gingen. Er musste in Zukunft tapferer sein. Das erwartete man von großen Jungs. Es war Zeit, erwachsen zu werden.

1. KAPITEL

Die Sonne ging auf, als der Bus die Grenze von New Hampshire nach Maine passierte. Nach vier Tagen auf der Straße, quer durchs Land reisend und in Gesellschaft völlig fremder Leute, war Ronan kurz vor seinem Ziel.

Der Sonnenaufgang war ein wichtiges Ereignis für ihn geworden, etwas, auf das er sich freute, da es sonst kaum etwas gab, woran man das Verstreichen der Zeit festmachen konnte. Doch hier, an der Atlantikküste, sah er einen ganz anderen Sonnenaufgang als unterwegs: ein glühendes Farbenspiel über dem blauen Meer.

Wie in Seattle dominierte das Meer die Landschaft, und Ronan spürte eine gewisse Vertrautheit in dieser fremden, neuen Gegend. Die Orte entlang der Strecke waren geprägt von weißen Schindelhäusern und roten Backsteinkirchen, hohen Laubbäumen und sauberen Marktplätzen sowie Häfen mit schaukelnden Segelbooten.“

„Danke, Grandpa“, murmelte er vor sich hin. Er konnte sich nicht vorstellen, dass seine Brüder an ihren Zielen – New Mexico, Kentucky und Wisconsin – auch nur annähernd so schöne Natur vorfanden, wie er hier.

Die Busfahrt selbst war gar nicht mal so unangenehm gewesen. Als Kind hatte er sich viel allein beschäftigt, unterwegs mit dem Fahrrad oder Skateboard. Später war er wandern und klettern gegangen, hatte sich Skifahren und Snowboarden beigebracht, aber immer allein. Trost findend, in der Stille auf dem Gipfel eines Berges oder inmitten eines üppigen Waldes.

Seine Vorliebe für die Einsamkeit hatte ihn ein wenig zum schwarzen Schaf unter seinen Brüdern gemacht, die sich unglaublich nahestanden. Ronan hatte nie den richtigen Platz für sich gefunden. Sein ältester Bruder, Cameron, war der Verantwortungsvolle, betraut mit der Aufgabe, den Rest ihrer Familie zusammenzuhalten. Dermot war der Charmeur und Kieran der Ruhige. Ronan war der Außenseiter.

Es war nicht gerade von Vorteil, dass Ronan der einzige der vier Jungs war, der eine unüberwindbare Angst vor Wasser hatte. Schwierig in einer Familie, in der sich alles um Boote und ums Segeln drehte. Cameron, Dermot und Kieran verbrachten ihre Freizeit auf dem Meer, während Ronan sich zwangsläufig allein an Land hatte beschäftigen müssen.

Ronan wusste, dass seine Angst vor Wasser mit dem zu tun hatte, was seinen Eltern zugestoßen war. Er konnte sich kaum an Einzelheiten aus der düsteren Zeit entsinnen. Doch bis zu diesem Tag erinnerte er sich an die Albträume von endlos tiefem, kaltem Wasser und hohen Wellen, unaufhörlich tobenden Stürmen und übermächtigem Verlustgefühl.

Die Mutter, die ihn getröstet hatte, der Vater, den er bewundert hatte – sie waren auf einmal fort, und niemand hatte ihm jemals richtig erklärt, wie das hatte passieren können. Er war derjenige gewesen, der sich am längsten an die Hoffnung geklammert hatte, dass seine Eltern eines Tages wieder zur Tür hereinkamen und das Leben wieder normal wurde.

Ronan störte es nicht, dass er als der sonderliche kleine Bruder galt. Es war sein Platz in der Geschwisterhierarchie, auf dem er sich ausruhen konnte, während seine Brüder sich durch gegenseitige Konkurrenz anspornten. Es machte ihm nichts aus, dass er nur schwer Kontakte knüpfte. Oder dass er mit sechsundzwanzig weder eine feste Freundin hatte, noch im familieneigenen Jachtbaubetrieb einen Job gefunden hatte, der ihn dauerhaft ausfüllte.

Er wollte nicht planen oder langfristige Bindungen eingehen. Niemand konnte wissen, was die Zukunft brachte, deshalb dachte er nicht darüber nach. Er lebte einfach in den Tag hinein.

Aber letzte Woche hatte sein Großvater sie alle aufgefordert, ein anderes Leben auszuprobieren, die Verpflichtungen, die sie als Kinder übernommen hatten, zu vergessen und ihre Träume zu leben. Zu Ronans Überraschung verblasste die Vergangenheit immer mehr, je weiter er sich von Seattle entfernte.

Der einzige Traum, den er je gehabt hatte, war eher eine Fantasie, in der seine Eltern auf magische Weise wieder in seinem Leben auftauchten. Vielleicht wurde es tatsächlich Zeit, einen Plan für die eigene Zukunft zu machen, sich auf ein Ziel zu konzentrieren und auf dessen Verwirklichung hinzuarbeiten. Ohne seine Familie im Hintergrund war er nicht mehr das schwarze Schaf. Er war nur Ronan Quinn, ein unbeschriebenes Blatt, bereit für einen Neuanfang.

Als der Busfahrer „Sibleyville“ rief, sprang Ronan auf. Sechs Wochen lang würde er nun nach dem Willen seines Großvaters ein anderes Leben führen, genau wie seine Brüder. Das bedeutete, dass er sich von diesem Moment an um einen Job und eine Unterkunft kümmern musste.

Der Bus hielt vor einem Drugstore. Ronan schwang sich seinen Seesack über die Schulter und ging nach vorn. „Danke“, sagte er zum Fahrer und stieg aus.

Wenn man die Definition von „idyllisch“ im Wörterbuch bebildern müsste, dann hiermit, dachte Ronan. Ein Neonschild mit der Aufschrift „Rexall Drug“ baumelte über dem Laden, und in blitzblank geputzten Schaufenstern links und rechts vom Eingang war ein bunt zusammengewürfeltes Warensortiment ausgestellt. Der Bus fuhr weiter. Ronan drehte sich um und schaute ihm nach, bis er nicht mehr zu sehen war.

Er atmete tief ein. Salzige Seeluft. Es riecht anders als zu Hause, fand er. Vertraut, und doch anders. Das Kleinstadtleben würde eine große Umstellung für ihn sein. Er genoss all die Annehmlichkeiten, die eine Großstadt zu bieten hatte. Aber es hieß, dass Menschen an Orten wie diesem freundlicher als anderswo waren. In seiner Situation wäre das nur von Vorteil für ihn.

Er betrat das Geschäft und entdeckte einen Lunchtresen. Da er immer noch etwas Bargeld hatte, beschloss er, sich eine Erfrischung zu gönnen, während er sich in der neuen Umgebung orientierte.

Ein älterer Mann trat hinter die Theke. „Was darf’s sein?“

„Eine Eisschokolade“, antwortete Ronan.

„Mit Vanille- oder Schokoeis?“

Der Mann sprach mit einem so starken Neuengländer Akzent, dass Ronan ihn kaum verstand. „Vanille.“

Er nahm die Speisekarte und studierte die Preise. Es gab Eisbecher und Sandwiches zum Lunch, doch zum Frühstücken und Abendessen würde er sich ein richtiges Lokal suchen müssen. „Ich brauche eine Unterkunft“, sagte er. „Etwas Preiswertes. Können Sie mir etwas empfehlen?“

„Nun, wir haben zwar immer noch Hochsaison, aber es gibt zwei Pensionen in der Stadt, bei denen Sie es probieren können. Mrs Morey hat ein Haus in der Second Street, und Miss Harrington vermietet einige Räume in ihrem Haus in der Whitney Street. Sie sind allerdings ziemlich wählerisch, was ihre Gäste betrifft.“

„Wissen Sie, wie viel sie fürs Zimmer verlangen?“

Der Mann dachte lange über die Frage nach, während er die Bestellung zubereitete. „Kann ich nicht sagen.“

„Ich suche außerdem einen Job“, fuhr Ronan fort.

„In der Touristeninformation hängt eine Tafel mit Stellenangeboten“, erwiderte der Mann. „Irgendjemand braucht immer jemanden. Dort hilft man Ihnen auch, ein Zimmer zu finden. Fragen Sie Maxine. Sie sitzt hinter dem Tresen.“

Er servierte Ronan die Eisschokolade, garniert mit Sahnehäubchen und einer Kirsche. „Das macht drei Dollar fünfundneunzig.“

Ronan nahm einen Fünfer aus seiner Brieftasche und legte ihn auf die Theke. „Behalten Sie das Wechselgeld.“

Er ließ sich Zeit mit dem Eisbecher und beobachtete währenddessen die Kunden, die kamen und gingen. Alle wirkten tatsächlich sehr freundlich. Vielleicht lag es daran, dass hier jeder jeden kannte. Jedenfalls grüßten sich die meisten nicht nur, sondern blieben kurz stehen, um ein paar Worte miteinander zu wechseln.

Als Ronan ausgetrunken hatte, schulterte er seinen Seesack und machte sich auf den Weg zur Touristeninformation, die sich in einem umgebauten Bahnhof befand. Er trat an die Tafel mit den Stellenangeboten und überflog die Anzeigen. Es gab Jobs in Restaurants und Motels, einen Job in der Bücherei und einen im Jachthafen.

Das Angebot einer Austernfarm interessierte ihn am meisten. Er schaute sich kurz um, dann zog er die Karte aus der Tafel und steckte sie ein. Er liebte Austern, und Farmarbeit bedeutete, dass er seine Zeit im Freien verbringen würde. Eine bessere Kombination konnte er sich nicht vorstellen.

Er trat an den Tresen und lächelte die ältere Frau dahinter an. „Sind Sie Maxine?“

Sie nickte. „Ja, das bin ich. Was kann ich für Sie tun?“

„Ich suche ein Zimmer. Ich werde sechs Wochen in der Stadt bleiben. Aber es muss billig sein. Ich habe nicht viel Geld.“

„Es gibt zwei Pensionen in der Stadt“, erwiderte sie. „Und Josiah Crawford vermietet einige seiner Motelzimmer auf monatlicher Basis. Lassen Sie es mich zuerst bei Mrs Morey probieren.“

Sie wählte eine Nummer auf dem Telefon. „Hallo, Elvira. Hier ist Maxine. Ich habe hier einen jungen Mann, der ein Zimmer sucht. Haben Sie etwas frei?“ Sie hielt inne. „Großartig. Wie viel?“ Sie kritzelte etwas auf ihren Block und schaute zu Ronan hoch. „Wie ist Ihr Name?“

„Ronan Quinn.“

Ihre Augen wurden für einen Moment groß, dann räusperte sich. „Ja, Elvira, Sie haben richtig gehört. Nun, ich bin sicher, das wird er verstehen. Wenn Sie es vergessen haben, dann haben Sie es vergessen.“

Maxine legte auf und lächelte entschuldigend. „Mrs Morey hat leider doch kein Zimmer frei. Eine Gruppe hat bei ihr reserviert.“

„Können Sie es bei der anderen Pension versuchen?“, fragte er.

„Ich … ich glaube nicht, dass Tillie etwas frei hat. Ich habe sie heute Morgen in der Kirche gesehen, und sie … sie hätte es erwähnt. Vielleicht probieren Sie es in Newcastle auf der anderen Seite des Flusses?“

Ronan hatte den Eindruck, dass man ihm hier was vorspielte. Warum wollten diese Menschen ihm plötzlich kein Zimmer vermieten? „Vielleicht könnten Sie es noch im Motel probieren?“

Etwas unwillig wählte sie erneut. „Hallo, Josiah. Hier ist Maxine. Ich habe hier einen jungen Mann namens Ronan Quinn, und er sucht … Ja, genau. Er sucht ein Zimmer. Oh, das ist schade. Na gut. Ihnen auch, Josiah.“

Sie legte auf und zuckte mit den Schultern. „Er hat auch nichts mehr frei. Newcastle ist wirklich die beste Möglichkeit. Es liegt gleich hinter der Brücke.“

„Ich muss hier in Sibleyville bleiben.“ Ronan hob seinen Seesack auf. „Egal, ich finde schon einen Platz.“

Maxine lächelte gezwungen. „Darf ich Ihnen einen Rat geben? Sagen Sie nicht, wie Sie heißen. Geben Sie einen falschen Namen an. Aber verraten Sie ja niemandem, dass Sie den Tipp von mir haben. Jetzt gehen Sie schon.“

Leise fluchend ging Ronan nach draußen. Was zum Teufel war hier los? Hatte man in dieser Stadt etwas gegen Iren? Oder wirkte er als allein reisender Mann etwa verdächtig? Nach allem, was er gesehen hatte, lebte die Stadt recht gut vom Tourismus, deshalb erschien es ihm merkwürdig, dass man ihn überall abwies. Wenn er anfangs geglaubt hatte, Sibleyville wäre ein gastfreundlicher Ort, so hatte er sich leider getäuscht.

Er schaute auf die Karte in seiner Hand.

Mistry Bay Austernfarm. Kontakt: Charlie Sibley.

Würde ein potentieller Arbeitgeber auch so abweisend reagieren? Vor allem, wenn es jemand war, der nach eben dieser Stadt benannt war? Bis Ronan Gewissheit hatte, würde er seinen Namen für sich behalten.

„Ein anderes Leben zu führen wird vielleicht schwieriger, als ich dachte“, murmelte er.

„Du musst den Spachtel stärker aufdrücken“, meinte Charlotte Sibley, während sie über den rauen Rumpf der leichten Segeljolle strich. „Die alte Farbe muss komplett ab. Wenn du sie einfach nur übermalst, hält der neue Anstrich nicht.“

Garrett, ihr vierzehnjähriger Bruder, schaute von der Aufgabe hoch, die sie ihm zugeteilt hatte, und verdrehte die Augen. „Ich weiß, was ich tue.“

„Sicher. Du machst es bloß nicht besonders gut. Du hast Dad damit genervt, dass du die Boote allein bearbeiten willst, aber du bist nicht bereit, dich dafür anzustrengen.“ Sie strich ihm über den Kopf und zerzauste sein Haar. „Komm, Prinzessin, mehr Einsatz. Wir brauchen die Jolle noch in dieser Saison.“

„Du bist nicht mein Boss, Charlie. Dad ist es.“

„Falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte, Einstein, Dad ist wegen seines Rückens außer Gefecht gesetzt. Der Arzt hat gesagt, dass er sich mindestens einen oder zwei Monate schonen muss. Deshalb hat Dad mich zum Boss ernannt.“

Garrett murrte leise vor sich hin und arbeitete weiter. Charlie lächelte. Ihr Aufstieg von der Hilfskraft zur Chefin der Mistry Bay Austernfarm war ziemlich plötzlich gekommen. Sie kannte das Geschäft in- und auswendig, da sie jahrelang im Familienbetrieb tätig gewesen war. In den sechs Jahren ihrer Abwesenheit hatte sie die Abläufe nicht vergessen. Doch die Verantwortung zu tragen bedeutete auch, die Mitglieder des Sibley-Clans an die Kandare zu nehmen, die lieber herumspielten, anstatt hart zu arbeiten.

Es klopfte an der Tür des Bootshauses, und Charlie ging zum Eingang. Sie erwartete den Besuch eines aufstrebenden Kochs aus Boston. Joel Bellingham hatte sich mit einem gut besuchten Restaurant bereits einen Namen gemacht und wollte demnächst ein zweites eröffnen – ein Fischrestaurant, in dem vielleicht auch Austern aus der Mistry Bay angeboten würden.

Sie öffnete die Tür, aber ihre Begrüßung blieb ihr im Halse stecken. Vor ihr stand ein ungemein attraktiver Mann, nicht viel älter als sie selbst. Er musterte sie mit hellblauen Augen, während sie nach Atem rang. Sie schluckte schwer und räusperte sich. „Hallo! Kommen Sie herein. Ich hoffe, Sie hatten keine Schwierigkeiten, uns zu finden.“ Sie hatte vormittags mit Bellingham telefoniert und ihn älter geschätzt. Der Mann vor ihr konnte höchstens dreißig sein.

„Über der Tür ist ein Schild“, erwiderte er.

Sie standen einen unbehaglichen Moment einfach nur da, ehe Charlie aus ihrer Starre erwachte. „Wie war Ihre Reise?“, fragte sie. „Der Verkehr auf dem Highway kann am Wochenende höllisch sein.“

„Es war okay.“

Offensichtlich war er kein Mann vieler Worte. Charlie verspürte einen Anflug von Enttäuschung. Er schien nicht daran interessiert, mit ihr zu plaudern. Dabei lag ihr der Umgang mit Kunden. Aber dieser Mann, so gut er auch aussah, schien nicht viel Charme zu besitzen. „Kommen Sie. Ich führe Sie herum.“

Das Gebäude direkt am Wasser diente vielfältigen Zwecken. Charlie zeigte die Halle, in der sie Ausrüstung und Boote reparierten. In der anderen Hälfte des Erdgeschosses befand sich die Versandabteilung, in der die Austern gereinigt, sortiert und verpackt wurden, um sie anschließend an die gesamte Ostküste und darüber hinaus zu verschicken. Während Charlie ihren üblichen Text aufsagte, wurde ihr bewusst, dass sie sich selbst nicht einmal zuhörte. Ihr Gast stand neben ihr und nickte höflich.

Im ersten Stock lagen die Büroräume und ein kleines Apartment, in das sie sich manchmal zurückzog, wenn sie Abstand von dem verrückten Chaos in ihrem Elternhaus brauchte. Außerdem gab es einen gut ausgestatteten Verkostungsraum, in dem sie oft Besucher empfingen, die Interesse hatten, Austern der Mistry Bay in ihr Sortiment aufzunehmen. Vom Fenster aus hatte man Blick aufs Wasser – die perfekte Kulisse für das Anpreisen ihrer Austern.

„Unser Familienunternehmen besteht seit fast zwanzig Jahren“, erklärte sie, während sie die Treppe hochgingen. „Unsere Austern sind die besten der ganzen Ostkünste. Aber ich bin natürlich ein wenig voreingenommen.“ Sie holte tief Luft. „Lassen Sie uns doch einfach ein paar probieren.“

Als er neben ihr in den Verkostungsraum trat, registrierte sie heimlich, wie groß und gut gebaut er war. Er trug Cargoshorts und ein T-Shirt, das über seiner muskulösen Brust spannte. Seit einigen Tagen schien er sich nicht mehr rasiert zu haben, was seinem Gesicht einen leicht gefährlichen Ausdruck verlieh. Er war der Typ Mann, dessen Sexappeal mit einer gewissen Lässigkeit gepaart war, so als ob ihm seine Wirkung auf Frauen gleichgültig wäre.

Seit sie sich vor über einem Jahr in New York von Danny getrennt hatte, hatte Charlie sich zu keinem Mann mehr hingezogen gefühlt. In Wahrheit hatte sie Männer derzeit völlig abgeschrieben. Aber sie war nicht abgeneigt, hin und wieder ein wenig zu träumen, und dafür lieferte Joel Bellingham jede Menge Stoff.

Sie deutete auf einen Hocker am Granittresen und holte eine Schüssel frisch geernteter Austern aus dem Kühlschrank. Dabei fühlte sie, wie ihr Gast sie beobachtete. Sie scheute sich fast aufzublicken, aus Angst, er könnte ihre Gedanken lesen.

Mit einem Tuch in der Hand fasste sie eine Auster an, stach mit einem Austernmesser hinein und klappte die Schale auf. Nachdem sie das Fleisch sorgfältig herausgelöst hatte, legte sie es auf einen Teller. Die Flüssigkeit ließ sie in der Schale. „Zitrone?“, fragte sie.

„Nein“, sagte er. „Ich mag sie pur.“

„Darf ich Ihnen ein passendes Getränk anbieten? Wir haben Champagner, Muscadet und eisgekühlten Wodka. Alle drei heben den Geschmack der Austern hervor. Natürlich nicht alle auf einmal. Jedes für sich.“

„Es ist elf Uhr morgens.“

„Richtig.“

Er musterte sie abwägend. „Champagner wäre gut. Wenn Sie mittrinken.“