Die Reise zum Mars - John Wyndham - E-Book

Die Reise zum Mars E-Book

John Wyndham

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Beschreibung

Drei … Zwei … Eins … Liftoff!

Im Jahre 1981 ist es soweit: Zusammen mit vier Gefährten startet der britische Raketenbauer, Multimillionär und Abenteurer Dale Curtance von Salisbury aus ins All. Das Ziel des Raumschiffes Gloria Mundi ist der Mars. Schon der Flug erweist sich als gefährliches Abenteuer für die Männer, zumal bald nach dem Verlassen der Erdatmosphäre festgestellt wird, dass sich eine junge Frau, die einen ganz bestimmten Plan verfolgt, als blinder Passagier an Bord eingeschlichen hat. Doch die Risiken des interplanetaren Reisens sind nichts im Vergleich zu den Gefahren, die der rote Planet für Curtance und seine Crew bereit hält …

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JOHN WYNDHAM

DIE REISE ZUM MARS

Roman

Das Buch

Im Jahre 1981 ist es soweit: Zusammen mit vier Gefährten startet der britische Raketenbauer, Multimillionär und Abenteurer Dale Curtance von Salisbury aus ins All. Das Ziel des Raumschiffes Gloria Mundi ist der Mars. Schon der Flug erweist sich als gefährliches Abenteuer für die Männer, zumal bald nach dem Verlassen der Erdatmosphäre festgestellt wird, dass sich eine junge Frau, die einen ganz bestimmten Plan verfolgt, als blinder Passagier an Bord eingeschlichen hat. Doch die Risiken des interplanetaren Reisens sind nichts im Vergleich zu den Gefahren, die der rote Planet für Curtance und seine Crew bereit hält …

Der Autor

John Wyndham Parkes Lucas Beynon Harris wurde am 10. Juli 1903 in der Nähe von Birmingham, England, geboren und besucht im Laufe seiner Schulzeit verschiedene Internate. Nach seinem Abschluss arbeitete er unter anderem als Landwirt, Grafiker und Werbefachmann, bevor er sich ab 1931 dem Schreiben widmete. Er ist einer der wichtigsten Science-Fiction-Autoren Englands und benutzte eine Reihe von Pseudonymen, darunter auch Lucas Parkes und John Beynon. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er als Verschlüsselungsexperte für das Royal Corps of Signals und nahm an der Landung in der Normandie teil. Nach dem Krieg wandte er sich, inspiriert und angespornt vom Erfolg seines Bruders Vivian Beynon Harris, erneut dem Schreiben zu. 1951 landete er mit Die Triffids einen Bestseller, dem sechs weitere Romane folgten. Zahlreiche seiner Werke wurden verfilmt, darunter auch Die Triffids und Das Dorf der Verdammten

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Titel der Originalausgabe

STOWAWAY TO MARS

Aus dem Englischen von Angelika Deutsch

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1935 by Executors of John Beynon Harris

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Das Illustrat

Satz: Thomas Menne

Kapitel 1

Jake Reilly, der Nachtwächter, machte seine gewohnte Runde und dachte an keinerlei Gefahr. Als er den Labor-Trakt verließ und die Hauptmontagehalle betrat, gähnte er. Einen Augenblick lang blieb er im Eingang stehen und betrachtete das Gebilde, das im Mittelpunkt der Halle aufragte. Ob sie wohl jemals damit fertig werden, fragte er sich. Ist schon ein ganz schönes Stück Arbeit, so ein Ding zu bauen … Was Jake von dem Ding sehen konnte, sah heute nicht viel anders aus als vor ein paar Monaten.

Allerdings gab es für Jake nicht sehr viel zu sehen. Das turmähnliche Gebilde war fast völlig von Gerüsten umstellt. Nur hier und da drang der trübe Schein der Nachtbeleuchtung durch das Gestänge, wo es dann von einer glänzenden Metallfläche zurückgeworfen wurde.

»Wahrscheinlich arbeiten sie jetzt wohl meistens innen«, sagte sich Jake.

Er knipste seine Stablampe an und ließ neugierig den Strahl umherwandern. Der Hauptteil des Gebäudes hatte einen kreisförmigen Grundriss. Entlang der Lattenwand standen in Abständen Elektro-Bohrmaschinen und andere Werkzeuge. Um die gegenüberliegende Wand in Augenschein nehmen zu können, musste er die Konstruktionsanlage umrunden. Er ließ sein Licht aufwärts gleiten und die Galerie entlangschweifen, die dort oben die Rundwand entlangführte. Auf der Galerie waren alle Türen verschlossen.

Jake Reilly richtete den Lichtstrahl noch höher, über den trüben, schattenhaften Bereich der Nachtbeleuchtung hinaus in das ferne Dachgewölbe. Ein Gewirr von schweren Tragbalken wurde sichtbar, die gewaltige Rollkloben stützten. Von dort oben hingen Drahtseile und Ketten in gekurvten Linien zu einer Reihe von Ankerpunkten in der Rundwand herab, wo sie fest vertäut waren. Jake richtete seine Lampe schräger und ließ den Lichtkegel die Drahtseile herablaufen.

»Wie ein Gaskessel«, brummte Jake vor sich hin, und nicht zum ersten Mal. »Einen Haufen Geld muss das alles gekostet haben, aber ob es jemals funktioniert, muss ich doch stark bezweifeln …«

Ein plötzliches Geräusch ließ ihn aufhorchen. Irgendwo war, ganz schwach, Metall auf Metall gestoßen. Jake nahm die Lampe in die linke Hand. In seiner Rechten hielt er nun eine großkalibrige, schwarze, schussbereite Pistole. Jake schwenkte die Stablampe herum. Der Lichtkegel drang in den schwächer beleuchteten Teil der Halle hinein.

»Ist da jemand?«, rief Jake. »Kommen Sie raus!«

Es kam keine Antwort. Seine Stimme hallte von den runden Metallwänden wider und verlor sich dann in der Stille.

»Also, es ist besser, wenn Sie jetzt ganz schnell herauskommen! Ich habe eine Pistole!«, rief er in die Dunkelheit hinein.

Er bewegte sich rückwärts auf die Tür zu, wo der Alarmknopf war. Hier drinnen eigenhändig zu versuchen, den Mann zu stellen, hatte keinen Zweck. Das würde höchstens zu einer stundenlangen Jagd rund um die Gerüste führen.

»Kommen Sie lieber heraus, wenn Sie nicht eine Kugel verpasst bekommen wollen!«, rief Jake noch einmal.

Wieder keine Antwort. Jake stand nun in Reichweite des Signalknopfes. Er zögerte. Vielleicht war es doch nur eine Ratte. Aber, dachte er dann, lieber auf Nummer Sicher gehen. Er hängte sich die Lampe über den kleinen Finger der Hand, in der er die Pistole hielt und langte mit der freien Hand, ohne sich umzudrehen, nach dem Schalter.

Irgendwo in der Dunkelheit machte es »plopp«. Jake zitterte. Die Pistole und die Lampe fielen polternd zu Boden, und Jake brach über ihnen zusammen.

Hinter den Gerüsten kam eine dunkle Gestalt zum Vorschein und rannte über die Plattform. Die Gestalt beugte sich einen Augenblick lang über den zusammengesackten Wachmann, vergewisserte sich, dass er tot war und schleppte ihn dann zur Seite. Hinter der Lattenwand, wo er nicht auffallen konnte, ließ die Gestalt ihn dann liegen.

Einen Augenblick später tauchte die Gestalt wieder aus dem Schatten hervor und stieß mit einem gezielten Fußtritt die Lampe fort. Dann hob sie die Pistole auf und steckte sie sich in die Tasche. Einige Sekunden lang stand die Gestalt still – bis sie überzeugt war, dass niemand einen Alarmruf gehört hatte. Dann hob die Gestalt den Arm und zielte sicher auf die nächstgelegene Nachtlampe. Viermal ertönte das gedämpfte »plopp«. Es klang, als ob ein Knüppel in ein Sofakissen geschlagen würde. Und jedes Mal folgte darauf das Geräusch eines in Stücke splitternden Scheinwerfers. Danach war es völlig finster. Nun war nur noch ein hartes Klicken zu hören – ein neues Magazin wurde in eine Pistole geschoben. Dann, mit sorgfältig abgeschirmten Lichtblitzen, näherte sich der Eindringling vorsichtig dem Montage-Gerüst in der Hallenmitte.

Plötzlich öffnete sich eine Tür auf der Galerie. Licht fächerte die Dunkelheit auf.

»Hallo!«, rief eine Stimme. »Was ist denn hier mit der Beleuchtung los? Wo ist Reilly, der Idiot? Reilly, zum Teufel, wo steckst du?«

Die Gestalt unten auf der Plattform zögerte nur einen Augenblick, dann richtete sie die Pistole auf die Silhouette in der Tür. Wieder das gedämpfte »plopp«. Oben verschwand der Mann und die Tür fiel zu. Der Mann mit der Pistole brummte vor sich hin und bahnte sich weiter seinen Weg zum Gerüst.

Er hatte es kaum erreicht, als überall Scheinwerfer aufflammten und die ganze Halle in grelles Licht tauchten. Von der plötzlichen Helligkeit geblendet, blickte der Mann wild um sich. Aber er war noch immer allein in der Halle. Wieder hob er die Pistole und richtete sie auf einen der gleißenden Scheinwerfer. »Plopp!« Da verlöschte der erste. Und dann der zweite …

Weiter kam er nicht. Der Donner einer Explosion, der dröhnend von den Metallwänden widerhallte, ließ ihn sein Ziel verfehlen. Flink drehte er sich um. Ein zweiter Donner erschütterte die Halle. Die Wucht einer schwerkalibrigen Kugel warf den Mann herum und schleuderte ihn krachend, mit dem Kopf voran, gegen den Fuß eines Gerüstes.

»Ich hab' ihn!«, rief eine Stimme.

Die Tür auf der Galerie öffnete sich wieder.

»Hast Schwein gehabt, dass er dich nicht erwischt hat«, sagte eine zweite Stimme.

»War ein schlechter Schusswinkel für ihn«, sagte die erste Stimme gelassen. »Er hat nur das Geländer getroffen.«

Ein Gemurmel von Männerstimmen wurde hörbar und kam rasch näher. Im Parterre, auf der gegenüberliegenden Seite, wurde eine Tür aufgestoßen. Eine Gruppe von Männern mit zerzaustem Haar und verschlafenen Augen wurde sichtbar. Offenbar waren die Männer vom Geräusch der Schüsse aus dem Schlaf gerissen worden und hatten sich gerade so viel Zeit genommen, sich Mäntel über die Schlafanzüge zu werfen und nach ihren Waffen zu greifen. Von der Galerie rief ein Mann zu ihnen herunter: »Alles in Ordnung! Wir haben ihn! Da drüben liegt er!«

Die Neuankömmlinge überquerten die Plattform. Die beiden Männer auf der Galerie gingen auf die Treppe zu. Als sie unten angekommen waren, stand bereits eine kleine Gruppe rund um den Leichnam des Eindringlings. Ein Mann kniete neben ihm.

»Er ist tot«, sagte er.

»Wie ist das möglich, Doktor? Ich hab' ihn doch nicht …«

»Nein. Sie haben ihn an der Schulter erwischt. Aber er ist mit dem Kopf gegen den Pfosten geschlagen.«

»Verdammt! Ich hätte ihn gern noch ausgequetscht. Irgendwelche Anhaltspunkte, wer er ist?« Er blickte die Männer der Reihe nach an. »Wo zum Teufel steckt eigentlich Reilly? Einer muss losgehen und ihn suchen.«

Ein Mann löste sich aus der Gruppe und machte sich auf die Suche. In der Nähe der Tür blieb er plötzlich stehen. Sein Blick war auf einen Fuß gefallen, der hinter einem Verschlag hervorragte. Er ging näher heran und rief dann die anderen.

»Hier liegt Reilly. Ich fürchte, es hat ihn erwischt.«

Der Arzt, der neben dem Leichnam des Eindringlings kniete, sprang auf und lief herüber. Ein Blick auf den Wachmann genügte ihm.

»Armer alter Jake! Er ist mitten ins Herz getroffen worden!«

Der Arzt drehte sich nach dem hochgewachsenen Mann um, der auf der Galerie gestanden hatte: »Was machen wir nun mit den beiden, Mr. Curtance?«

Dale Curtance zog die Stirn in Falten und zögerte einen Augenblick. »Am besten lassen Sie die beiden in mein Büro hinaufbringen«, sagte er dann.

Der Arzt wartete, bis Reillys Leiche hinausgetragen worden war. Dann schloss er die Tür und sah Dale an. »Was ist denn eigentlich passiert?«, fragte er.

Dale zuckte die Schultern. »Ich weiß auch nicht mehr als Sie. Ich habe mit Fuller noch spät gearbeitet. Wir haben nichts gehört. Das heißt – ich habe nichts gehört. Haben Sie etwas gehört, Fuller?«

Der Sekretär schüttelte den Kopf.

Dale fuhr fort: »Als wir auf die Galerie kamen, waren alle Lichter aus. Dann feuerte jemand mit einem Schalldämpfer auf mich. Wir sind natürlich sofort zurück und haben alle Scheinwerfer angemacht. Dann schoss ich auf ihn.«

»Und Sie kennen ihn nicht?«

»Ich hab' den Mann noch nie gesehen – soweit ich mich erinnern kann. Kennt einer von euch den Kerl?«

Die beiden Männer schüttelten die Köpfe.

Der Arzt kniete sich wieder neben die Leiche des Fremden und setzte die Untersuchung fort.

»Er hat nichts bei sich«, sagte der Arzt nach einer Weile. »Sollte mich nicht wundern, wenn sich herausstellt, dass es ein Ausländer ist. Der Anzug stammt jedenfalls nicht aus England.«

Dann machte er eine bedeutungsvolle Pause.

»Sie werden sicher einsehen, dass ich nun die Polizei rufen muss.«

Dale runzelte die Stirn. »Können wir nicht … ich meine …«

»Nein. Wir können nicht. Hier wissen ohnehin alle Männer Bescheid. Es wird sich ziemlich schnell herumsprechen. Und dann sieht es nicht sehr gut aus für uns. Ich fürchte, Sie müssen die Sache jetzt durchstehen.«

Dales Stirn lag immer noch in Falten. »Das ist natürlich das Ende unserer Geheimhaltung. Die Zeitungen werden die Geschichte groß aufmachen. Die Reporter werden über uns herfallen und in allen Ecken herumschnüffeln und unsere Leute zu bestechen versuchen. Ich wollte die Sache noch ein paar Monate geheim halten. Jetzt kommt alles raus!«

Fuller, der Sekretär wandte ein: »Macht das jetzt wirklich noch so viel aus? Wir sind doch mit der Konstruktion schon ziemlich weit. In der Zeit, die jetzt noch verbleibt, hat niemand mehr die Möglichkeit, ein Konkurrenz-Objekt zu bauen. Wenn Sie mich fragen – wir können dabei nicht viel verlieren. Außer natürlich unseren Betriebsfrieden.«

»Das stimmt«, nickte Dale. »Jetzt ist es für alle anderen zu spät, noch etwas auf die Beine zu stellen. Aber von nun an werden wir bei jeder Gelegenheit belästigt und behindert. Und wenn die Katze erst einmal aus dem Sack ist, kann von unabsichtlicher Behinderung nicht mehr die Rede sein.«

Der Arzt, der sich eben eine Pfeife anzünden wollte, hielt inne. Er blickte Dale nachdenklich an: »Mir fällt gerade ein – die Katze muss schon längst aus dem Sack sein. Was meinen Sie wohl, wonach der Kerl gesucht hat?« Er nickte zu dem schwarz gekleideten Leichnam hin. »Sie können sich darauf verlassen, dass das kein Zufallseinbrecher war. Er hatte einen Schalldämpfer auf seiner Pistole und am ganzen Leib keinen Hinweis zur Identifizierung. Und er kannte sich hier aus. Nein, mein Lieber, da sitzt Ihnen schon jemand im Nacken. Und wer immer es ist – er hat einen Spion in Marsch gesetzt, um Einzelheiten auszuspähen. Oder um zu sabotieren.«

»Aber es ist zu spät. In so kurzer Zeit kann niemand mehr bauen. Wir werden unsere Arbeit so planen, dass wir Ende September fertig sind.«

»Außer«, sagte der Arzt sanft, »die anderen sind schon bei der Arbeit. Das soll's ja schon mal gegeben haben, dass zwei Seiten gleichzeitig das gleiche Geheimnis hatten. Das Seltsame an euch Tatmenschen ist für mich immer, dass ihr ständig vergesst, dass es noch andere Tatmenschen gibt. So – und nun ist es wohl an der Zeit, dass wir die Polizei rufen …«

Kapitel 2

Niemand konnte Dale Curtance einen Mann ohne Furcht nennen. Nicht nur, weil ein Mann ohne Furcht auch ein Mann ohne Fantasie ist. Sondern auch, weil die alten Ängste nur langsam sterben und die Welt die Ursachen aller Ängste so vervielfacht hat, dass niemand mehr ohne Furcht leben kann. Wer diesen Mann namens Dale betrachtete – mit seinen breiten Schultern, einsachtzig groß, mit seinen langen Armen, sommersprossenbedeckten Händen, mit seinen blauen Augen, kalt und hart wie Eisen – der mochte wohl meinen, die lange Reihe seiner nordischen Ahnen vor sich zu sehen, bis hinauf zu seinen weniger komplizierten Vorfahren: Harte Kämpfer, die sich geschworen hatten, auf dieser Welt nichts zu fürchten und nur wenig in der nächsten. Doch von Dale, dem Nachfahren der Wikinger in einer Welt, in der nicht immer die Starken gewinnen und nicht immer die Schnellsten die Ersten sind, könnte wahrheitsgemäß gesagt werden, dass er weniger fürchtete und mehr wagte als seine Zeitgenossen.

Nur: Dale hätte eigentlich nicht verheiratet sein dürfen. Und auf gar keinen Fall hätte er mit einer Frau wie Mary verheiratet sein dürfen. Im tiefsten Winkel ihres Herzens wusste Mary das wohl auch selbst schon längst.

Dale hätte sich eines dieser jungen Dinger anlachen sollen, die immer so sehr von ihm begeistert waren, die immer so sehr für ihn geschwärmt hatten. Eins von diesen süßen, kleinen Goldköpfchen hätte er sich ins Haus nehmen sollen, das seine höchste Befriedigung in dem Gedanken findet, die Auserwählte eines Helden zu sein, dem Millionen applaudieren.

Mary war nie eine Schwärmerin gewesen. Das entsprach nicht ihrem Naturell. Freilich war auch sie zuerst dem Glanz seines Erfolges gegenüber nicht unempfindlich gewesen. Doch es war wohl eher die Ruhe gewesen, die sie ausstrahlte – im Gegensatz zu den trügerischen Vergnügungen, die andere Frauen ihm geboten hatten – die ihn bei ihrer ersten Begegnung fasziniert hatte.

Dale hingegen mochte damals wohl in einer Stimmung gewesen sein, in der ihn öffentlicher Triumph und private Eroberungen langweilten – jedenfalls verliebte er sich blindlings in Mary.

Mary, freilich, verliebte sich nicht in ihn – sie liebte ihn auf eine Weise, die er wohl nie verstehen konnte und auch nie verstanden hatte.

All das ging Mary an diesem Morgen durch den Kopf, als sie in ihrem Bett saß und die Morgenzeitung über dem unberührten Frühstück ausbreitete.

Einer schnellen Werbung war damals eine schnelle Hochzeit gefolgt. Ein einziges kleines Wort – ihr Ja-Wort – hatte Mary aus ihrem ruhigen Leben gerissen und in den irren Wirbel des Prominentenlebens gefegt. Ihre Verlobungszeit hatte eigentlich nur aus einer endlosen Kette von Belästigungen durch Reporter bestanden, die Interviews von ihr verlangten, die sie aufforderten, biographische Artikel zu schreiben – Fotografen baten immer wieder um Bilder, Werbeagenturen baten sie, für ihre Produkte Reklame zu machen. Die Presse hatte die Hochzeit rücksichtslos hochgespielt – ja, sie hatte Mary die Hochzeit völlig aus der Hand genommen und zu einer öffentlichen Veranstaltung gemacht.

Dale hatte es anders empfunden. Dale war sozusagen schon auf der Titelseite einer Zeitung geboren worden – mit einem silbernen Löffel im Mund und einem silbernen Megaphon in der Hand, mit dem er seine Ankunft auf dieser Welt bekannt gegeben hatte. Er war der erste und – wie sich herausstellen sollte – einzige Sohn des großen David Curtance gewesen, der landauf, landab, trotz seiner Antipathie gegen Schlagworte, nur als der »Henry Ford der Lüfte« berühmt war.

Ja, Dale war von Geburt an eine Schlagzeile gewesen. Mit Riesenlettern auf ihren Titelseiten hatten die Zeitungen die Nachricht von seiner Geburt verbreitet: David Curtance, der Mann, der den »Curtocopter« erfunden hatte, den »Schlitten der Luft«, der Mann, der die größte Massenproduktion von Luftfahrzeugen in der Welt betrieb, dieser Mann hatte nun einen Sohn gezeugt – Dale. Kein Wunder also, dass Dale sich auch heute nicht im Geringsten vom Publicity-Rummel gestört fühlte.

Aber nun das hier – das war doch zuviel!

An diesem 10. März 1981 lauteten die Schlagzeilen:

ZWEI TOTE IM CURTANCE-WERK!

Und gleich darunter:

BLUTIGES DRAMA IN DER MONTAGEHALLE

DES KÖNIGS DER LÜFTE!

Doch die allertiefste Bestürzung befiel Mary, als sie den letzten Absatz las:

»Der Vorfall hat nun zu der Entdeckung geführt, dass in den Curtance-Werken seit geraumer Zeit Experimente durchgeführt werden, die bisher geheim gehalten wurden. Wie aus zuverlässiger Quelle verlautet, befindet sich die Entwicklung eines neuartigen Flugkörpers bereits in einem fortgeschrittenen Stadium. Einzelheiten waren jedoch bis jetzt nicht zu ermitteln. Die Frage, die sich jetzt die Welt stellt, lautet: Was hat Dale Curtance nun schon wieder vor? Dale Curtance hält zwar seine Entwicklungspläne unter strengstem Stillschweigen, dennoch kann kein Zweifel bestehen, dass hier ein neuer Flugkörper mit der unverhohlenen Absicht gebaut wird, jeden bestehenden Geschwindigkeitsrekord zu überbieten. Die Redaktion nimmt diese Gelegenheit wahr, um dem großen Erfinder und Piloten zu versichern, dass ihn bei allen seinen Plänen die gespanntesten Erwartungen dieser Zeitung und ihrer Leser begleiten. Curty, der mehr als jeder andere Mann dazu beigetragen hat, England zur Spitzennation der Luftfahrt zu machen, wird bei seiner Rückkehr von seinem neuen Wagnis feststellen, dass ihm niemand mehr seinen Platz in der Ruhmeshalle Englands streitig machen kann. In diesem Sinne: Viel Glück, Curty!«

Mary drückte auf den Klingelknopf neben ihrem Bett. Als das Dienstmädchen erschien, sagte Mary: »Doris, richten Sie meinem Mann aus, dass ich ihn sofort zu sprechen wünsche.«

Das Mädchen zögerte: »Mister Curtance ist im Augenblick sehr beschäftigt, gnädige Frau. Die Herren von der Zeitung …«

Mary richtete sich im Bett auf und blickte aus dem Fenster. Unten auf dem Rasen standen mehrere Curtocopter und eine Reihe anderer, kleiner Flugzeuge. Sie wunderte sich, dass sie die Ankunft der Maschinen nicht bemerkt hatte.

»Sind die Reporter schon lange hier?«

»Einige sind schon in der Nacht gekommen, glaube ich, und die anderen heute morgen sehr früh. Sie haben die ganze Zeit auf Mister Curtance gewartet. Er ist gerade erst zu ihnen hinuntergegangen.«

»Ach so. Nun, dann sollte man ihn vielleicht im Augenblick nicht stören …«

Das Mädchen ging, und Mary sank entspannt in die Kissen zurück. Sie starrte die Wand an, ohne wirklich etwas zu sehen. Ihre Gedanken wanderten zurück …

Vor zehn Jahren, als Dale eben vierundzwanzig war, hatte er mit seinem ersten Non-Stopp-Flug rund um den Äquator für eine Weltsensation gesorgt. Hunderttausende von Menschen vergötterten den waghalsigen Abenteurer. Doch das war nur der Anfang einer fantastischen Reihe von Erfolgen gewesen. Von da an jagte Dale Curtance von Triumph zu Triumph. Er sammelte Auszeichnungen wie andere Leute Briefmarken. Seitdem hatte er selbst seinen Äquator-Rekord dreimal unterboten und er hielt ihn immer noch, und dazu viele andere Rekorde. Mit Glück, aber vor allem durch harte Arbeit und zähe Ausdauer, wuchs er in der öffentlichen Meinung zu einem legendären Supermann von überragendem Format heran: Dale Curtance war aus dem Stoff gemacht, aus dem in der alten Welt Halbgötter gezeugt worden waren …

Das Knirschen von Kies unter eiligen Füßen unterbrach Marys Gedanken. Männerstimmen riefen sich unverständliche Satzfetzen zu. Mary hörte das dumpfe Rattern von gestarteten Motoren, dann das Surren der Curtocopter-Rotoren und anderer Flugmaschinen, die sich über den Rasen erhoben und davonflogen.

Die Tür öffnete sich, und Dale trat ein. Er beugte sich über Mary und küsste sie. Er setzte sich auf den Bettrand, nahm ihre Hand und entschuldigte sich, weil er erst so spät zu ihr kam.

Mary lehnte sich zurück. Sie hörte kaum ein Wort von dem, was er sagte. Sie betrachtete sein Gesicht. Er sah so jung aus, so kraftvoll, so energiegeladen. Die zehn Jahre Altersunterschied zwischen ihr und ihm schienen zu verblassen. Kein Zweifel – sie, zehn Jahre jünger, war in Wirklichkeit die Ältere. Es war unmöglich, ihn anders zu sehen als einen jungen Abenteurer. Wie man einen stechenden Schmerz wahrnimmt, so spürte sie jetzt die Eifersucht; er hatte seit langem nicht mehr so glücklich ausgesehen wie in dieser Stunde.

»Dale, du hast mir doch versprochen, dass du die Raketenrennen aufgeben willst …«

Er senkte seinen Blick und spielte verlegen mit ihrer Hand.

»Es ist eigentlich kein richtiges Raketenrennen«, fing er an.

Sie schüttelte den Kopf.

»Aber du hast es mir doch versprochen …«

Er stand auf und ging zum Fenster. Er hatte beide Hände tief in die Hosentaschen gesteckt.

»Ich muss einfach weitermachen. Ich habe nicht gewusst, was ich tat, als ich dir dieses Versprechen gab. Damals habe ich geglaubt, ich könnte mich daran gewöhnen, alles aufzugeben. Aber ich bin nicht der Mann, der nur für andere Leute Pläne macht, für andere Leute Maschinen baut. Ich kann es nicht, ich bin noch zu jung. In den letzten zwei Jahren habe ich einige der besten Raketen-Treibsätze der Welt gebaut – und dann musste ich wie ein alter Mann von achtzig Jahren daneben sitzen und mit ansehen, wie junge Spunde damit ein Rennen nach dem anderen verloren, eine Maschine nach der anderen zu Bruch flogen. Glaubst du im Ernst, es macht einem Mann nichts aus, wenn er tatenlos zusehen muss, wie die eigenen Maschinen, die man zur Welt gebracht hat wie ein Baby, von anderen misshandelt werden, während man selbst ganz genau weiß, was sie leisten könnten, was man aus ihnen herausholen könnte!«

Mary lag ganz still da. Sie verstand das alles nicht. Sie wollte es nicht verstehen. Es war egoistisch – und dumm. Eine kaputte Maschine mit einem Kind zu vergleichen …

»Und was wirst du nun mit deiner neuen Rakete machen?«, fragte sie bange.

»Damit«, sagte er kurz, »hole ich mir den Keuntz-Preis.«

Mary richtete sich hastig auf. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen.

»Oh, Dale – nein …!«

Kapitel 3

Die Abendzeitungen vom Dienstag machten ziemlich viel Wirbel um Dales Ankündigung. Die Schlagzeilen, die von der Fleet Street aus verbreitet wurden, waren nicht zu übersehen.

CURTANCE WAGT DEN TODESFLUG

verkündete der »Morgen-Exzess«.

CURTY WILL SICH DEN KEUNTZ-PREIS HOLEN

meldete die »Tägliche Buntschau«.

»Durchblick« und »Monitor« druckten Hymnen auf den Mut der Engländer und versäumten nicht, in diesem Zusammenhang auf Admiral Nelson, General Gordon und Malcolm Campbell hinzuweisen. Der »Durchblick« verriet sogar, dass Dale früher einmal an Treibjagden teilgenommen habe.