Griff nach den Sternen - John Wyndham - E-Book

Griff nach den Sternen E-Book

John Wyndham

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Beschreibung

Chronik der Weltraumpioniere

Seit Menschengedenken locken uns die Sterne und das unendliche All – und wir konnten diesem Ruf nicht widerstehen. Also brachen die Menschen ins All auf und erweiterten Schritt für Schritt ihr Universum: Erst mit einer Raumstation im Erdorbit, dann Kolonien auf dem Mond und dem Mars. Die jüngste Verlockung am Nachthimmel ist die Venus, und die Raumfahrer, die dorthin fliegen werden, können auf eine lange, ereignisreiche Geschichte zurückblicken …

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JOHN WYNDHAM

GRIFF NACH DEN STERNEN

Roman

Das Buch

Seit Menschengedenken locken uns die Sterne und das unendliche All – und wir konnten diesem Ruf nicht widerstehen. Also brachen die Menschen ins All auf und erweiterten Schritt für Schritt ihr Universum: Erst mit einer Raumstation im Erdorbit, dann Kolonien auf dem Mond und dem Mars. Die jüngste Verlockung am Nachthimmel ist die Venus, und die Raumfahrer, die dorthin fliegen werden, können auf eine lange, ereignisreiche Geschichte zurückblicken …

Der Autor

John Wyndham Parkes Lucas Beynon Harris wurde am 10. Juli 1903 in der Nähe von Birmingham, England, geboren und besucht im Laufe seiner Schulzeit verschiedene Internate. Nach seinem Abschluss arbeitete er unter anderem als Landwirt, Grafiker und Werbefachmann, bevor er sich ab 1931 dem Schreiben widmete. Er ist einer der wichtigsten Science-Fiction-Autoren Englands und benutzte eine Reihe von Pseudonymen, darunter auch Lucas Parkes und John Beynon. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er als Verschlüsselungsexperte für das Royal Corps of Signals und nahm an der Landung in der Normandie teil. Nach dem Krieg wandte er sich, inspiriert und angespornt vom Erfolg seines Bruders Vivian Beynon Harris, erneut dem Schreiben zu. 1951 landete er mit Die Triffids einen Bestseller, dem sechs weitere Romane folgten. Zahlreiche seiner Werke wurden verfilmt, darunter auch Die Triffids und Das Dorf der Verdammten

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Titel der Originalausgabe

THE OUTWARD URGE

Aus dem Englischen von Walter Brumm

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1959 by John Wyndham

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Das Illustrat

Satz: Thomas Menne

1

1994 – Die Raumstation

Das entscheidende letzte Gespräch hinterließ in Ticker Troon eine Mischung aus Staunen, Erleichterung, Respekt – und das dringende Bedürfnis nach einer Erfrischung.

Wie erwartet, hatte es sehr förmlich angefangen. Vom Ordonnanzoffizier angemeldet, war er forsch hineinmarschiert und hatte vor dem breiten Schreibtisch Haltung angenommen. Der alte Knabe dahinter hatte sich als wesentlich älter erwiesen, als Ticker zu sehen vorbereitet war, aber dafür hatte seine Erscheinung etwas Authentisches. Der Mann war hager, mit einem angenehmen, leicht verwitterten aristokratischen Gesicht und sorgfältig gekämmtem weißem Haar. An seiner linken Brustseite prangten mehrere Reihen Ordensbänder.

Er hatte seinen Blick von einem Bündel Papieren genommen und seinen Besucher sorgfältig gemustert. Schon in diesem Augenblick hatte sich in Ticker der erste Verdacht zu regen begonnen, dass das Gespräch sich über die bloße Routine hinausentwickeln würde, denn der alte Knabe – oder, um ihn genauer zu identifizieren: Luftmarschall Sir Godfrey Wilde – wendete nicht jene beliebte Methode an, den Kandidaten scharf und mit dem Anschein unterdrückter Unzufriedenheit ins Auge zu fassen, wie Ticker sie bei vorangegangenen Gesprächen auf unterer Ebene erlebt hatte. Er betrachtete Ticker wirklich als Person, und überdies nicht ohne eine gewisse Neugier. Schließlich hatte er zwei- oder dreimal mehr zu sich selbst genickt und nachdenklich gesagt:

»Troon. Leutnant George Montgomery Troon. In bestimmten Kreisen, wie ich vermute, als Ticker Troon bekannt?«

Ticker hatte erschrocken reagiert. »Äh – jawohl, Sir.«

Der alte Knabe hatte ein wenig gelächelt. »Junge Leute sind selten originell.« Er hatte Ticker weiterhin betrachtet, mit einer Genauigkeit, die über das gewohnte Maß hinausging und Unbehagen verursachte. Ticker war verlegen geworden und hatte gegen die Versuchung gekämpft, unruhig von einem Fuß auf den anderen zu treten. Dann war der alte Knabe sich der Unbehaglichkeit der Situation bewusst geworden. Sein Gesicht hatte sich zu einem freundlichen und beruhigenden Lächeln entspannt.

»Verzeihen Sie mir, mein Junge. Ich fühlte mich eben um fünfzig Jahre zurückversetzt.«

Darauf hatte er sich auf die Papiere auf seinem Schreibtisch konzentriert. Ticker war nicht entgangen, dass es sich um seine Personalakten handelte, die über sein ganzes, nicht übermäßig ereignisreiches Leben Aufschluss gaben: Troon, George Montgomery, vierundzwanzig Jahre alt, ledig, englische Staatskirche. Abstammung … Ausbildung … militärische Laufbahn … ärztliche Untersuchung … Bericht des Vorgesetzten … Bericht des Sicherheitsdienstes, ohne Zweifel … wahrscheinlich Unterlagen über sein Privatleben, seine Freunde und sonstigen Umgang, und so weiter … insgesamt ein hübsches Bündel.

Der alte Knabe musste offenbar genauso gedacht haben, denn er hatte das ganze Paket mit einem Anflug von Ungeduld beiseitegeschoben, seinem Besucher ein silbernes Zigarettenetui entgegengehalten und auf einen bereitstehenden Sessel gedeutet.

»Setzen Sie sich, mein Junge.«

»Danke, Sir«, hatte Ticker gesagt. Und er hatte die angebotene Zigarette angenommen und sein Bestes getan, einen gelösten, selbstsicheren Eindruck zu erwecken.

»Und nun sagen Sie mir einmal«, war der alte Knabe fortgefahren, »was Sie dazu veranlasst hat, sich um die Versetzung von der Luftwaffe zum Raumfahrtkommando zu bewerben?«

Das war eine erwartete Standardfrage gewesen, für die es eine Standardantwort gab, aber Ticker hatte gemerkt, dass diese Frage nicht im üblichen Ton gestellt worden war, und er hatte sich demzufolge gegen die Standardantwort entschieden. Er hatte etwas unsicher und angestrengt die Stirn gerunzelt.

»Es ist nicht leicht zu erklären, Sir. Um die Wahrheit zu sagen, ich bin nicht einmal sicher, dass ich einen bestimmten Grund angeben kann. Es … nun, es ist nicht so, dass ich es unbedingt tun musste. Aber ich habe so eine Art Drang nach vorwärts und nach draußen. Es ist eine Art Gefühl, dass es einfach unausweichlich ist … eine Sache, für die ich früher oder später fällig bin. Mein natürlich nächster Schritt sozusagen …«

»Nächster Schritt?«, hatte der Luftmarschall wiederholt. »Also nicht Ihre letzte, krönende Ambition? Der nächste Schritt wohin?«

»Ich weiß es wirklich nicht, Sir. Weiter hinaus, denke ich. Es ist ein Gefühl, das ich nicht erklären kann … keine plötzliche Idee, Sir. Es scheint in meinem Unterbewusstsein schon immer vorhanden gewesen zu sein. Ich fürchte, das alles klingt ein wenig vage …« Er war in hilfloser Unzulänglichkeit verstummt.

Aber der alte Knabe hatte es anscheinend nicht unzulänglich gefunden. Er hatte einige Male langsam genickt und sich in seinem Sessel zurückgelehnt.

»Etwas Ähnliches habe ich schon einmal gehört – von Ihrem Großvater.«

»Meinem – meinem Großvater, Sir?« Ticker hatte den alten Mann angestarrt.

»Ja. Dem anderen George Montgomery Troon. Großvater!« Er hatte bekümmert seinen Kopf geschüttelt. »Es scheint immer eine Bezeichnung für alte Männer wie mich zu sein. Aber George – er hatte nie Gelegenheit, alt zu werden. Er war ungefähr so alt wie Sie, als ihn sein Schicksal ereilte.«

»Ja, Sir. Kannten Sie ihn gut?«

»Das darf ich wohl sagen. Wir dienten in derselben Staffel. Sie sehen ihm erstaunlich ähnlich. Gewiss, ich war auf Ihren Besuch vorbereitet; nichtsdestoweniger erschrak ich fast ein wenig, als Sie hereinkamen.« An dieser Stelle hatte der Luftmarschall eine längere Pause eingelegt, bevor er fortgefahren war: »Er hatte auch dieses Gefühl. Er flog, weil er dadurch so weit in den Raum hinauskam, wie es uns damals möglich war. Ich entsinne mich noch jetzt, wie er über den Mond und die Sterne zu sprechen pflegte – als wäre es eine ausgemachte Sache, dass wir eines Tages dort hinauskommen würden. Und er war traurig, weil er wusste, dass es ihm selbst nie beschieden sein würde. In jenen Tagen hielten wir diese Dinge für Comicstrip-Geschichten, aber er lächelte nur über unsere Gegenargumente und Witze, als hätte er es schon damals besser gewusst. Es würde ihn freuen, wenn er wüsste, dass sein Enkel ›dort hinaus‹ möchte.«

»Danke, Sir. Es ist gut, das zu wissen«, hatte Ticker geantwortet. Und dann, weil er fühlte, dass der Ball ihm zugespielt worden war, hatte er hinzugefügt: »Er wurde über Deutschland abgeschossen, nicht wahr?«

»Berlin. Im August 1944«, hatte der Luftmarschall erwidert. »Seine Maschine zerplatzte in der Luft. Als wir zurückgekehrt waren, besuchte ich seine Frau, Ihre Großmutter. Sie war ein feines Mädchen, und sie nahm es sehr schwer. Sie ging damals fort, und ich verlor die Verbindung zu ihr. Lebt sie noch?«

»Ja, und es geht ihr gut, Sir. Sie hat, glaube ich, im Jahre 1949 zum zweiten Mal geheiratet.«

»Das freut mich. Das arme Mädchen. Sie hatten erst einen Monat vor seinem Tode geheiratet, müssen Sie wissen.«

»Nur einen Monat, Sir? Ich wusste nicht, dass es nur eine so kurze Zeit gedauert hatte.«

»So war es. Man kann also sagen, dass Ihr Vater und auch Sie Ihrer beider Leben einer recht kurzen Zeitspanne verdanken. Sie hatten etwas früher geheiratet, als ursprünglich vorgesehen war. Vielleicht hatte George eine Vorahnung. Wir alle hatten Vorahnungen, obwohl manche von uns davonkamen.«

Darauf war eine neue Pause eingetreten, die so lange gedauert hatte, bis es dem Luftmarschall endlich gelungen war, sich aus seinen Erinnerungen zu lösen. »Sie haben hier angegeben, dass Sie ledig sind.«

»Jawohl, Sir.« Ticker war sich unvermittelt der Heiratslizenz in seiner Tasche bewusst geworden, und beinahe hätte er an sich heruntergeblickt, um nachzusehen, ob sie etwa herausragte.

»Das gehört bekanntlich zu den Bedingungen, die wir an Bewerber stellen müssen«, hatte der alte Mann weitergebohrt. »Sie sind also tatsächlich unverheiratet?«

»Jawohl, Sir«, hatte Ticker wiederholt, nicht ohne das unbehagliche Gefühl, seine Tasche wäre transparent geworden.

»Und Sie haben keinen Bruder?«

»Nein, Sir.«

Der Luftmarschall hatte nachdenklich bemerkt: »Übrigens widerspricht der Sinn dieser Vorschrift meinen eigenen Erfahrungen. Im Krieg habe ich nie feststellen können, dass der verheiratete Offizier unverlässlicher ist als der alleinstehende; es ist eher umgekehrt, möchte man sagen. Die Vermutung liegt nahe, dass der Frage der Witwenpensionen und Erziehungsbeihilfen ein zu großes Gewicht beigemessen wird. Würden Sie es für ein gutes Prinzip halten, dass unsere fähigsten jungen Männer durch solche Bestimmungen nicht selten an der Fortpflanzung gehindert werden, während die weniger fähigen die Freiheit behalten, sich wie Kaninchen zu vermehren?«

»Äh – nein, Sir«, hatte Ticker verdutzt geantwortet.

»Gut«, hatte der alte Knabe gemeint. »Ich freue mich, das zu hören.« Er hatte Ticker dabei unverwandt angesehen, bis dieser nahe daran gewesen war, die Existenz der Heiratslizenz zu beichten. Glücklicherweise war die Klugheit dann doch stärker geblieben. Als der alte Knabe das Gespräch wieder aufgenommen hatte, war dies geschehen, um in konventionellere Bahnen zurückzufinden.

»Sie verstehen, dass diese Arbeit unbedingte Geheimhaltung erfordert?«, hatte er geforscht.

Ticker hatte sich erleichtert gefühlt.

»Fragen der Sicherheit sind schon öfter hervorgehoben worden, Sir.«

»Aber Sie wissen nicht, warum?«

»Man hat mir keine Einzelheiten anvertraut, Sir.«

»Nun, als ein intelligenter junger Mann müssen Sie doch irgendwelche Vorstellungen entwickelt haben.«

»Nach dem, was ich über experimentelle Versuche mit Trägerraketen gehört und gelesen habe, Sir, möchte ich glauben, dass die Zeit nicht mehr fern ist, wo wir mit dem Bau einer Art Weltraumstation beginnen werden – in Form eines bemannten Satelliten. Könnte es so etwas sein?«

»Das könnte es sehr wohl, mein Junge – obwohl Ihre Schlüsse glücklicherweise schon von den Ereignissen überholt worden sind. Die Raumstation existiert bereits – in Teilen. Und einige dieser Teile sind schon dort oben. Ihre Arbeit wird darin bestehen, bei der Montage mitzuhelfen.«

Tickers Augen waren vor Enthusiasmus groß und glänzend geworden.

»Das ist ja wunderbar, Sir! Ich hatte keine Ahnung … ich dachte, wir seien in diesen Dingen eher zurückgeblieben. Bei der Montage der ersten Raumstation mitzuhelfen …!«

»Ich habe nicht gesagt, dass es die erste ist«, hatte ihn der alte Mann zurechtgewiesen. »Es besteht die Möglichkeit, dass es noch andere gibt.«

Ticker war erschrocken gewesen, und der Luftmarschall hatte nüchtern hinzugefügt: »Man darf nichts für selbstverständlich halten. Schließlich wissen wir, dass die Amerikaner und auch ein paar andere hart daran arbeiten. Und unsere Reserven sind mit ihren nicht zu vergleichen.«

Ticker hatte den Mann verständnislos angestarrt. »Ich dachte, wir arbeiten mit den Amerikanern zusammen, Sir.«

»So sollte es jedenfalls sein. Wir arbeiten auch nicht gegen sie, aber leider behaupten sie, dass gewisse Löcher in unserem Sicherheitssystem existieren, und weigern sich daher, bestimmte Forschungsergebnisse an uns weiterzugeben. Es mag dahingestellt bleiben, ob es sich dabei um einen bloßen Vorwand handelt oder nicht. Das Resultat jedenfalls ist, dass jeder seinen eigenen Weg geht. Das bringt natürlich eine große Verschwendung von Zeit und Energie mit sich, weil bei vieler Arbeit doppelt geleistet werden muss. Auf der anderen Seite hat diese Situation den Vorteil, dass wir in der Raumfahrt auf eigenen Füßen stehen werden – wenn wir diesen Ausdruck gebrauchen wollen – statt als arme Verwandte mitgenommen zu werden. Diese Tatsache könnte sich eines Tages als segensreich für unser Land erweisen.«

»Das glaube ich auch, Sir. Und die anderen …?«

»Oh, die arbeiten natürlich auch daran. Man wusste schon vor vierzig Jahren, dass sie auf diesem Gebiet in Führung sind, als sie damals den ersten unbemannten Satelliten starteten. Wie weit sie aber jetzt sind, ist eine Frage, über die wir sehr gern mehr Informationen hätten als uns zugänglich sind. Nun, was Sie angeht: Zunächst werden Sie ein umfangreiches Ausbildungsprogramm absolvieren müssen. Anpassungstraining …«

Tickers Gedanken waren viel zu chaotisch gewesen, als dass er den folgenden Einzelheiten die nötige Aufmerksamkeit hätte schenken können. Er hatte sich bereits aus dem sonnigen Büro in die von Millionen Lichtpunkten durchsetzte Schwärze des Raums versetzt gefühlt. Plötzlich war ihm aufgefallen, dass der Luftmarschall zu sprechen aufgehört und ihn angesehen hatte, als erwartete er die Antwort auf eine Frage. Ticker hatte sich zusammengerissen.

»Es tut mir furchtbar leid, Sir. Ich bin nicht ganz gefolgt …«

»Ich sehe, dass ich mit weiteren Worten meine Zeit verschwenden würde«, hatte der alte Mann gesagt, aber ohne Groll. Er hatte sogar gelächelt. »Ich habe das schon öfter erlebt. Ich glaube, Sie werden es schaffen. Und vielleicht können Sie mir eines Tages einmal erklären, warum die Troons beim bloßen Gedanken an den Weltraum in eine Art hypnotische Trance verfallen.« Er hatte sich erhoben, und Ticker war hastig aufgesprungen. »Denken Sie an die Sicherheitsvorschriften – diese Dinge sind streng geheim. Es ist etwas, wovon nicht einmal Ihre Frau eine Ahnung haben darf – vorausgesetzt, Sie befänden sich in der glücklichen Lage, eine zu haben.«

»Das werde ich beherzigen, Sir.«

»Dann – auf Wiedersehen, Mr. Troon. Und viel Glück.«

Ticker hatte ihm mit etwas unsicherer Stimme gedankt.

Anschließend genehmigte er sich im erstbesten Stehausschank einen doppelten Whisky, zog die Heiratslizenz aus seiner Tasche und betrachtete sie von neuem. Er wünschte jetzt, dass er den Ausführungen des alten Knaben mit größerer Aufmerksamkeit gefolgt wäre. Soweit er sich erinnerte, ging es um einen zwölfwöchigen Vorbereitungskurs, der unter anderem dem Studium der Pläne und eines Modells der Raumstation dienen sollte. Und dann war auch von Urlaub die Rede gewesen. Konnte das sein? Schließlich waren sie dort oben schon an der Arbeit. Erschrocken dachte er, dass die Raumstation vielleicht schon nahezu fertig sein würde, bis er den Vorbereitungskurs absolviert hätte. Doch dann setzte sich sein gesunder Menschenverstand durch. Man konnte die Teile einer Raumstation nicht einfach hinaufschießen und sie dort von selbst zusammenkommen lassen. Jedes Teil musste mühsam und mit großer Zielgenauigkeit hinaufgebracht und dort zu dem zusammengebaut werden, was ganz sicher die teuerste Konstruktion war, die je gebaut wurde. Es war kaum auszudenken, wie viele Fahrten nötig waren, bis sie dort oben genug Material hatten, um mit der Montage zu beginnen. Dieser Aspekt des Problems ließ ihn sofort zum anderen Extrem umschwenken – ja, wahrscheinlich würde es Jahre und Jahre dauern, bevor man die Raumstation vollständig zusammengesetzt und betriebsbereit haben würde.

Er versuchte sich zu vergegenwärtigen, was der alte Knabe über die Arbeit dort draußen gesagt hatte: vier Wochen Dienst, vier Wochen Freizeit. So war es angeblich bisher geplant, mit der Einschränkung, dass spätere Erfahrungen vielleicht eine andere Regelung als zweckmäßiger nahelegen könnten. Immerhin zeugte die Absicht von Großzügigkeit …

Er wandte seine Aufmerksamkeit der Heiratslizenz in seiner Hand zu. Es gab keinen Zweifel darüber, dass ein solches Dokument nach dem offiziellen Standpunkt nicht existieren sollte. Wenn andererseits ein Luftmarschall klarmachte, was er über dieses Verbot dachte … Mit einem so einflussreichen Mann auf seiner Seite, wenn auch nur inoffiziell …

Wozu die Sache aufschieben? Schließlich hatte er den Job bekommen …

Er faltete das Papier sorgfältig zusammen und steckte es wieder ein. Dann schritt er entschlossen zur nächsten Telefonzelle.

Ticker stand in der Mannschaftsmesse der Hulk, blickte aus dem Fenster und kaute missmutig an seinem Frühstück. Die Hulk, wie dieser erste Teil der neuen Raumstation im allgemeinen und sogar im offiziellen Sprachgebrauch wegen seiner Ähnlichkeit mit einem entmasteten alten Schiff genannt wurde, war der einzige bewohnbare Ort inmitten einiger tausend Kilometer leeren Raums. Sie war gleichzeitig Arbeitsbüro, Nachrichtenzentrale und Unterkunft für die diensttuende Mannschaft. Die der Sonne abgewandte Seite wies eine lange Reihe großer Fenster auf, die den Blick auf den Montagebereich freigaben. Die wenigen Ausstiegsluken auf der Sonnenseite ließen kein Licht ein. Auf den der Sonne zugekehrten Teil der Außenhaut war ein Ring parabolischer Reflektoren montiert, keiner größer als fünfzig Zentimeter im Durchmesser, und alle präzise eingewinkelt. Solange die Sonne voll in das Zentrum des Rings schien, blieben die Reflektoren inaktiv. Veränderte sich der Einfallswinkel der Sonnenstrahlen um einige Grade, was durch die Umlaufbewegung der Raumstation ständig geschah, vereinigten sie sich im Brennpunkt eines oder zweier Reflektoren und erzeugten dort intensive Hitze. Daraufhin korrigierte eine kleine, fast unsichtbare Dampfexplosion die eingetretene Abweichung durch ihren Rückstoß und drückte die Hulk langsam auf ihre Position zurück, bis das Spiel sich kurze Zeit später wiederholte. Nur die kurzen »Nächte« im Erdschatten unterbrachen den Vorgang, der dafür sorgte, dass der Blick aus der sonnenabgewandten Fensterseite immer dasselbe Bild zeigte: den Montagebereich der Raumstation.

Ticker zerbrach eine Semmel, die noch warm vom Ofen war, welcher durch einen größeren Parabolspiegel auf der Sonnenseite betrieben wurde, ließ den größeren Teil in der Luft hängen, während er den kleineren mit Butter bestrich. Er kaute geistesabwesend und nahm einen Strahl heißen Kaffees zu sich. Dann ließ er die aus weichem Plastikmaterial bestehende Kaffeeflasche fahren und holte den Rest der Semmel heran, bevor er weiter fortschweben konnte. Er tat das alles, ohne darüber nachzudenken. Diese Erscheinungen des schwerelosen Zustands hatten bald aufgehört, etwas Neues zu sein und waren zu einem natürlichen Teil der veränderten Lebensbedingungen geworden. Man gewöhnte sich so rasch daran, irgendwelche Gegenstände bequem in der Luft hängenzulassen, dass die Umstellung auf irdische Verhältnisse nicht leicht fiel, wenn man zu Hause auf Urlaub war.

Ticker verzehrte seine Semmel und fuhr fort, missmutig aus dem Fenster zu blicken. Wie enthusiastisch man auch über das Projekt als Ganzes sein mochte, die letzten Diensttage vor einem neuen Urlaub erzeugten unausweichlich ein Gefühl von Überdruss und Ungeduld. So war es schon vor den fünf vorangegangenen Urlaubsmonaten gewesen, und so war es – durch besondere Umstände verstärkt – auch diesmal.

Draußen spannte sich der ungeheure Bogen der Erdoberfläche; man musste ganz nah ans Fenster treten, um den ganzen Erdball ins Gesichtsfeld zu bekommen. Ticker konnte nicht erkennen, welcher Kontinent ihm in diesem Augenblick gegenüberlag. Ausgedehnte Wolkenfelder bedeckten weite Flächen und reflektierten das Sonnenlicht so stark, dass er die Augen zusammenkneifen musste. Die Erde erschien ihm in diesem Moment wie das Segment einer gewaltigen Perle, die zu einem Drittel beleuchtet war und in völlige Schwärze eingebettet lag. Der Vordergrund zeigte das gewohnte Durcheinander der Baustelle.

Das Rahmenwerk der Raumstation war bereits fertig zusammengeschweißt – ein radförmiger Käfig aus Gitterträgern, mit einem Durchmesser von vierzig Metern und einer Dicke von acht Metern. Das Metall glitzerte im nackten Sonnenlicht, dass die Augen schmerzten, wenn man länger hinsah. Einige Tafeln der Außenhaut waren schon angebracht, und kleine, aufgedunsen wirkende Gestalten in Raumanzügen manövrierten weitere Metallplatten in ihre Positionen innerhalb des Rahmenwerks. Der unordentliche, fast chaotische Eindruck der ganzen Szenerie wurde durch ein dichtes Gewebe aus Leinen und Tauen noch verstärkt. Sicherheitsleinen und Vertäuungen liefen in alle Richtungen. Ein Dutzend oder mehr verbanden die Hulk mit der Montagestation, und es gab keinen einzigen Gegenstand, der nicht an einem anderen mit einer Leine befestigt gewesen wäre. Keine dieser Leinen war straff gespannt; wenn sich einmal eine spannte, blieb dieser Zustand höchstens für eine oder zwei Sekunden bestehen. Die meisten bewegten sich ständig in Schlingen und Kurven – wie träge Schlangen. Andere hingen wie erstarrt und ohne sichtbare Bewegung. Von Zeit zu Zeit richteten sich die Montagearbeiter auf und holten Leinen ein, an denen gerade benötigte Gegenstände im Raum hingen. Es kam auch vor, dass Kisten oder Materialteile von selbst herantrieben und sanft gegen die Gitterträger stießen. Kamen solche Teile einem der Männer in die Quere, gab er ihnen einfach einen leichten Stoß, und sie trieben wieder fort, während die Halteleinen sich langsam hinter ihnen hinausschlängelten.

Ein großer Zylinder, Teil der Sauerstoff-Regenerationsanlage, schwamm langsam von der Hulk zur Montagestelle hinüber. Der Mann, welcher dieses Monstrum bewegte, hatte sich daran festgehakt und dirigierte sich selbst und seine Fracht durch gelegentliche, sorgfältig gezielte Feuerstöße aus einer dickläufigen, mit einem Treibsatz geladenen Pistole. Der unförmige Raumanzug des Mannes war mit der Hulk lediglich durch eine dünne Sicherheitsleine verbunden, die ihm in trägen Windungen folgte. Man hatte keinen Augenblick den Eindruck, dass dies alles sich abspielte, während die Raumstation mit einer Geschwindigkeit von einigen tausend Kilometern pro Stunde um die Erde kreiste. Man wurde sich dieser Tatsache ebenso wenig bewusst wie der Geschwindigkeit, mit der die Erde sich um die Sonne bewegt.

Ticker bewunderte die Geschicklichkeit, mit der dieser Mann seine Pistole gebrauchte. Es sah einfach aus, aber jeder, der es einmal probiert hatte, wusste, dass es noch viel einfacher war, sich selbst und die Fracht durch falsche Dosierung des Rückstoßeffekts in schwindelerregende, torkelnde Kreiselbewegungen zu versetzen. Dies geschah jetzt nicht mehr so häufig, weil man die ungeschickteren Männer mittlerweile aussortiert hatte. Ticker grunzte beifällig und fuhr fort, zu essen und seinen Gedanken nachzuhängen.

Vier Tage noch, dann würde er wieder nach Haus kommen! Und wie oft würde sich dieses Wechselspiel von Dienst und Urlaub noch wiederholen, bis die Station fertig war? Die in bequemen Büros unten auf der Erde errechneten Terminpläne hatten sofort Schiffbruch erlitten. Die vielfach unvorhergesehenen Schwierigkeiten der ersten Bauphasen hatten zu erheblichen Verzögerungen geführt. Neue Techniken und Hilfsmittel mussten entwickelt werden, um Problemen beizukommen, die man selbst bei sorgfältigster Planung übersehen hatte. Und schließlich hatte es noch eine schwere Panne gegeben, als eine Versorgungsrakete mit Gitterträgern nicht eingetroffen war; wahrscheinlich umkreiste sie jetzt als selbständiger Satellit die Erde.

Auch das Arbeiten im Zustand der Schwerelosigkeit hatte sich als schwieriger erwiesen, als man angenommen hatte. Zwar traf es zu, dass man große und massive Objekte schon durch leichte Berührung bewegen konnte, was die Verwendung mechanischer Hilfsmittel überflüssig machte; aber andererseits musste man stets mit dem ebenso wirksamen Gegendruck rechnen. Ständig suchte man Verankerung und Halt, bevor man sich auf Kraft oder Geschicklichkeit verließ. Die lebenslange Gewohnheit, sich auf sein Körpergewicht zu verlassen, war kaum weniger stark als ein Instinkt. Das Gehirn rechnete immer wieder mit diesem Gewicht, wie es auch an den Begriffen »oben« und »unten« festhielt, bis man es unzählige Male zur Ordnung gerufen hatte.

Ticker wandte sich vom Fenster ab und nahm einen letzten Strahl Kaffee. Er sah auf die Uhr. Bis zum Schichtwechsel blieb noch eine halbe Stunde; zwanzig Minuten noch, dann musste er seinen Raumanzug anlegen und prüfen. Er zündete sich eine Zigarette an, und weil es sonst nichts zu tun gab, blickte er von neuem aus dem Fenster. Die Zigarette war zur Hälfte aufgeraucht, als es im Lautsprecher kratzte und eine Stimme sich meldete.

»Mr. Troon bitte zur Radiostation. Radiobotschaft für Mr. Troon, bitte.«

Ticker starrte wie gebannt auf die Lautsprecheröffnung, dann drückte er die Zigarette aus. Seine magnetischen Metallsohlen kratzten und klapperten über den geriffelten Stahlboden der Mannschaftsmesse. Er lief durch den Korridor, fand an der Türklinke der Radiokabine einen Halt und öffnete. Der Radioingenieur blickte kurz auf und erkannte ihn. Dann reichte er ihm ein gefaltetes Papier herüber. Ticker nahm es an sich und merkte, dass seine Hände zitterten. Die Botschaft war kurz. Sie lautete einfach:

»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Laura und Michael.«

Er starrte einige Sekunden auf die Schrift. Dann ließ er das Papier sinken und wischte sich die Stirn. Der Radioingenieur sah ihn nachdenklich an.

»Seltsame Dinge geschehen im Weltraum«, bemerkte er. »Muss gerade sechs Monate her sein, seit du zuletzt Geburtstag hattest. Trotzdem alles Gute.«

»Äh – ja – danke«, sagte Ticker unsicher und zog sich rasch aus der Radiokabine zurück. Draußen blieb er stehen und las die kurze Nachricht noch einmal.

Michael, so hatten sie beschlossen, sollte der Name sein, wenn es ein Junge würde; Anna, wenn es ein Mädchen geworden wäre. Aber es war mindestens zwei Wochen zu früh. – Nun, das machte nichts, außer dass er gehofft hatte, dabei zu sein. Das wichtigste war der »herzliche Glückwunsch«, denn er bedeutete, dass Mutter und Kind wohlauf waren.

Nach kurzem Zögern betrat er die Radiokabine zum zweiten Mal. Eine Klingel kündigte lärmend den Schichtwechsel an, während er seine Antwort kritzelte. Einige Sekunden später raste er durch den Gang zur Kleiderausgabe.