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Major von Göbern sucht nach einem desertierten Offizier, der unter falscher Identität der blinden Auguste nachstellt. Als Handwerker verkleidet wohnt der Major bei Auguste und ihrer Mutter. Der Vater ist verschollen. Plötzlich wird Auguste entführt… "Die Rose von Ernstthal" ist eine Kurzgeschichte. Sie wurde bereits in "Aus dunklem Tann" (Band 43 der Gesammelten Werke) veröffentlicht.
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Seitenzahl: 96
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ERZGEBIRGISCHEDORFGESCHICHTE
AusKARL MAYSGESAMMELTE WERKEBAND 43„AUS DUNKLEM TANN“
© Karl-May-VerlageISBN 978-3-7802-1336-5
KARL-MAY-VERLAGBAMBERG • RADEBEUL
Zwischen den Ausläufern des sächsischen Erzgebirges, da, wo die Zwickauer und Würschnitzer Kohlenbecken sich bis in die Nähe von Chemnitz ziehen, liegen an deren nördlichem Rand die beiden Schwesterstädte Hohenstein und Ernstthal, die ihres Gewerbefleißes wegen weithin bekannt sind. Besonders ist es Ernstthal, dessen Weberei schon vor langen Zeiten sich eines weit reichenden Rufs erfreute und für seine Waren nicht bloß in Deutschland und den angrenzenden Ländern, sondern auch über die See hinaus ein bedeutendes Absatzgebiet fand.
Aber der Webstuhl vermag auch der Hand des fleißigsten Arbeiters keine Reichtümer zu bieten, und so schmiegt sich das arme Städtchen klein und bescheiden an die Talsenkung, die das Auge des Wanderers nicht durch landschaftliche Schönheiten zu fesseln vermag und keinen anderen Raum beansprucht als den, der friedliche Tummelplatz eines rührigen und genügsamen Völkchens zu sein.
Bei diesem angestrengten Ringen mit den nackten Sorgen des Alltagsdaseins mag wohl dessen Nüchternheit mehr hervortreten; doch weht uns nicht, wie man behauptet hat, der Hauch der Poesie nur aus Romanen und solchen Ereignissen entgegen, die sich im Salon oder auf von der Natur bevorzugtem Boden entwickeln, gerade in den Pausen des großen Kampfes, den wir Arbeit nennen, wenn der Mensch sich den Schweiß von der erhitzten Stirne streicht und Hammer und Spaten beiseite legt, lässt sich jener beseligende Odem kühler und würziger empfinden, und der dichtende Gott kehrt ein selbst in die ärmlichste Hütte.
Mag also der Leser getrost die Gassen Ernstthals betreten, oder an der Hand unserer Erzählung den Fuß nach einer halbverschütteten Höhle oder einem einsamen und schlichten Waldhäuschen lenken; sind auch keine welterschütternden Begebenheiten zu berichten, so wird ihn doch die wohltuende Erfahrung anmuten, dass der Hauch des Himmels die Blütenblätter der Poesie auch in die entlegenen Winkel trägt, wo die gewaltige Flut der Geschichte nur fern vorüberrauscht.
1
Es war ein goldener, sonniger Julimorgen. Längst schon hatte die Feuchtigkeit des nächtlichen Taus den Weg zum Äther gefunden; die Wärme des Tages wallte um die braunen Stängel der noch blütelosen Erika, und erquickender Duft flutete durch die Zweige des stillen, geheimnisvollen Waldes.
Die Vögel, ermüdet durch den ersten Teil ihres täglichen Konzertprogramms, saßen sinnend unter dem grünen Blätterdach, durch dessen unzählige Öffnungen sich das Licht in zauberischen Tönen brach. Der Bach murmelte sein ewiges, einschläferndes Schlummerlied, und Meister Specht, der Zimmermann, saß ruhig im Astloch und verdaute die Larven, der er sich zum Gabelfrühstück mit listigem Pochen aus den Rindenritzen hervorgelockt hatte. Drüben zwischen den Wurzeln eines Pulverholzstrauches reckten vier junge flaumige Rotkehlchen die gelben Schnäbel in die Höhe und hielten mit der geschäftigen Frau Mama lebhaftes Zwiegespräch über Speise- und Wirtschaftsangelegenheiten; der Papa saß auf dem obersten Zweig und gab sein Vaterglück durch kurze, melodische Weisen kund.
Zu diesen gefühlvollen ‚Sangesperlen‘ passten nun freilich die zweifelhaften Töne nicht, die diesseits des Baches aus einer Vertiefung hervordrangen, die in der Umgegend von Ernstthal unter dem Namen ‚Eisenhöhle‘ bekannt ist.
„Ah … ah! Das nenne ich schlafen; es muss schon wieder Nacht sein. Ah … ah! doch nein; dort fällt ja das Tageslicht auf die Moostapeten meiner Behausung; es ist also heller Tag. Aber wie komme ich denn eigentlich in diese gastfreundliche Einsiedelei? Ah … ah! Ach so, jetzt besinne ich mich: großes Gewitter gestern; verirrte mich; lief bei stockfinsterer Nacht und strömendem Regen im Wald umher und fand endlich diesen Winkel, in dem ich mich sofort häuslich niedergelassen und bis jetzt geschlafen habe.“
Er erhob sich von dem harten, steinigen Boden, ergriff das Felleisen, das ihm als Kopfkissen gedient hatte, und trat vor den Eingang der Höhle.
„Guten Morgen, du lieber, schöner, grüner Wald! Schüttelst zwar dein immer junges, hundertköpfiges Haupt missbilligend über den faulen, schlaftrunkenen Kumpan, der ich heute bin, bietest mir aber Waschgeschirr und Morgentrunk in altgewohnter, fürsorglicher Weise. Hab Dank für diese Aufmerksamkeit, du alter, treuer Freund!“
Er nahm Handtuch und Seife aus einer Seitentasche des Felleisens und trat an das Wasser, um sich zu waschen. Der Mann war noch jung und trug die Kleidung eines gewöhnlichen Handwerksburschen, die durch den Gewitterregen, die Irrfahrt im Wald und das Nachtlager auf den Steinen bedeutend gelitten hatte. Er schien Eisenarbeiter, vielleicht auch Schlosser oder Schmied zu sein, aber die kleine, feine, weiße Hand, mit der er jetzt das schadhaft gewordene Gewand in Ordnung zu bringen suchte, konnte sich unmöglich viel mit Hammer und Zange beschäftigt haben.
In seiner Haltung lag etwas soldatisch Strammes, und jede seiner Bewegungen zeigte eine Gewandtheit, die man im Allgemeinen nur bei Leuten findet, die den so genannten besseren Ständen angehören. Der Kopf war nicht eigentlich schön zu nennen, aber die hohe, breite, gedankenreiche Stirn, die von kühn geschwungenen Brauen begrenzten geistvolle Augen von jener Unbestimmtheit der Färbung, die meist auf eine ungewöhnliche geistige Begabung schließen lässt, die fein und leicht gebogene Nase, der etwas spöttische Zug um den schönen und von einem sorgfältig gepflegten Bärtchen beschatteten Mund, die Selbstsicherheit und Schärfe des ganzen Mienenspiels machten den Eindruck, den der Menschenkenner mit dem Wort ‚bedeutend‘ bezeichnet hätte.
Nach Beendigung seiner Morgenwäsche nahm er das Felleisen auf den Rücken, wies der Mütze ihre kecke Stellung auf dem gegen die damalige Sitte kurz geschnittenen Haar an, warf noch einen letzten befriedigten Blick auf sein Spiegelbild im klaren Bach und wandte sich zum Gehen. „So, das passt ja alles prächtig. Etwas Liederlichkeit gehört mit zum rußigen Handwerk. Die Stiefel sind offenherzig; die Hose hat einen Riss; das Hemd dämmert zwischen Weiß und Schwarz, und der Ellbogen guckt in die Welt. Aber in der Hauptsache bin ich ein ganzer Kerl, und ich habe als halbwüchsiger Junge oft genug zum Vergnügen auf den Amboss unseres Schlossschmieds gepocht, um mir genug Fertigkeit zutrauen zu dürfen; so werde ich es auch jetzt tun, wo es mir mit der Hämmerei wenigstens auf eine Weile ernst sein muss.“
Noch nicht lange war er am Bach aufwärts gegangen, als er seitwärts eine halblaute Stimme vernahm. In der Absicht, sich nach dem Weg zu erkundigen, schlug er die angegebene Richtung ein und trat um eine von Haselbüschen gebildete Ecke. Kaum aber hatte er die Biegung hinter sich, so blieb er überrascht stehen.
Vor ihm öffnete sich eine kleine, von duftigem Ruchgras und Waldblumen bedeckte Lichtung. In ihrer Mitte stand ein Körbchen, gefüllt mit Erdbeeren, und daneben kniete eine weibliche Gestalt, die, wie der erste Blick zeigte, in lautem, inbrünstigem Gebet lag.
Erst wollte er sich scheu zurückziehen; aber die Betende stand unter einer solchen Fülle von Anmut und Schönheit, dass er wie angewurzelt stehen blieb und den Körper weit vorbeugte, um sich keins ihrer Worte entgehen zu lassen.
Es war ein Mädchen. Langes, schwarzes, lockiges Haar hing entfesselt über den bloßen Nacken herab und umrahmte eine reine, weiße Stirn von edler Rundung. Das kleine, feingezeichnete Näschen mit seinen rosig angehauchten Flügeln vollendete würdig das klassische und doch so weiche Profil. Die Lieblichkeit des Mundes, zwischen dessen leicht aufgeworfenen Lippen sich wie eine Perlenreihe kleine, elfenbeinweiße Zähne zeigten, musste jedem seiner Worte Bedeutung geben, zumal die Stimme jenen tiefen, vollen Klang hatte, den man am häufigsten bei den an Gemüt und Empfindung besonders reich ausgestatteten Naturen beobachtet. Das edelgeformte Kinn beschloss das schöne Oval eines Gesichtchens, dessen Züge so ergreifend waren, dass man sich bei ihrem Anblick unwiderstehlich gefesselt fühlte, und auf der zarten Wange lag jene Röte der Erregung, die stets wahrheitsgetreu die Empfindung bestätigt und hier besonders noch das seltene Weiß der Haut so vorteilhaft abhob.
Das Herrlichste aber waren die Augen; Augen von einer so reinen und dabei doch gesättigten Bläue, dass ihr Spiegel im schärfsten Gegensatz zu dem dunklen Haar stand und dadurch die Eindrucksfähigkeit des Gesichtes aufs höchste gesteigert wurde. Obgleich sich bei dem emporgerichteten Blick die langen seidenen Wimpern erhoben hatten, lag doch auf diesen wunderbaren Sternen ein Schleier, der seinen Schatten auch über die schönen Züge warf und ihnen einen leidenden, ja, fast tragischen Anflug gab: dem erblindeten Auge war der Zutritt des freundlichen warmen Sonnenlichts versagt. Und das war’s, was sie hier in der Einsamkeit des Waldes auf die Knie niedergezogen und ihre Lippen zum Gebet geöffnet hatte. Ihre gefalteten Hände lagen schwer auf der Brust, und diese Brust hob und senkte sich unter dem Drang der Gefühle, die aus einem gequälten Herzen ihren Weg empor zum Himmel nahmen.
Dem unberufenen Lauscher entging keins ihrer Worte. Er wagte kaum zu atmen, und erst als sie mit lautem Schluchzen geendet hatte und unter strömenden Tränen das ermattete Köpfchen sinken ließ, befreite sich seine Brust in einem tiefen, vollen Zug, und seine Hand fuhr trocknend über das feucht gewordene Auge.
„Mein Gott, wer ist dieser Engel? Sind jene Märchen von Feen und übernatürlichen Wesen wahr, die zuweilen einem Sterblichen erscheinen, um ihn durch ein für das Menschenherz unfassbares Glück dem Erdenleben zu entfremden? Oder hat die Natur dies Meisterstück vollendet, um uns von der Armseligkeit unsrer pinselhaften oder töpferischen Künstlerwerke zu überzeugen? Und wer so wie diese Heilige beten kann, der hat die Sünde noch nicht kennengelernt und ist wert, an ein starkes und treues Mannesherz gelegt und dort gehalten zu werden bis zum letzten Atemzug.“
Da raschelte es in den Zweigen, und hart neben ihm drangen, ohne ihn zu bemerken, zwei Männer vorsichtig durch das Gebüsch. Der eine ging in der Kleidung eines gewöhnlichen Forstläufers; der andere aber gehörte jedenfalls einer besseren Stellung an und schien die Aufmerksamkeit des Handwerksburschen in ganz besonderem Maße zu fesseln, denn dieser war bei seinem Erscheinen in höchster Überraschung einen Schritt zurückgetreten und betrachtete ihn aus seinem Versteck hervor mit scharfem, durchbohrendem Auge.
Er trug eng anliegende weißlederne Hosen, die in hohen blankgewichsten Stiefeln steckten. Der blausamtene Rock mit Schoß- und Ärmelaufschlägen aus rotem Tuch war mit talergroßen Silberknöpfen verziert. Auf der hochaufgetürmten Lockenperücke saß ein kleines, mit goldenen Borden besetztes Hütchen. An der linken Seite hing nach der Mode jener Zeit der schmale Stoßdegen, und die Rechte umfasste ein langes, starkes, mit Elfenbeinknopf gekröntes Schilfrohr.
Es war eine hohe, muskulöse und starkgliedrige Goliathgestalt, der man gleich auf den ersten Blick eine außergewöhnliche Körperstärke zusprechen musste; doch konnte der Ausdruck der groben, zugehackten Gesichtszüge kein vertrauenserweckender sein, zumal die kleinen tief liegenden Augen nur mit verstecktem Blick unter den fleischigen, dickfaltigen Lidern hervorzudringen vermochten.
„Beim heiligen Hubertus, dem Beschützer aller Vieh- und Mädchenjäger“, sprach er mit leiser Stimme, die wie ein unterdrücktes Grunzen zwischen den breiten, aufgetriebenen Lippen hervordrang, „da ist sie endlich wieder einmal, die ‚Rose von Ernstthal‘. Und der Kuckuck soll mich holen, wenn dieser Name nicht ein passender ist, obgleich die Dornen zu fehlen scheinen; denn gestochen hat mich, so oft ich ihr auch nachgepirscht bin, das kleine Geschöpf noch nie, sondern ist mir stets und immer durch die Schlingen gegangen. Heut aber steht sie mir schussgerecht, und ich werde diesmal so gewiss aufs Blatt treffen, wie man mich den ‚Blauweißen‘ nennt!“
Mit rohem Lachen stieß er diese Worte hervor und schickte sich an, die letzte Hecke des Gebüschs zu durchbrechen. Da fasste ihn sein Begleiter bittend am Arm.
„Lasst das sein, Herr Junker; das ist nichts für Euch, kein Edelwild, sondern nur einer armen Witwe einziges Kind und dazu fast blind. Das Mädchen geht in den Wald, um im frischen Grün seine Augen zu stärken und Linderung seiner Not zu finden. Häuft nicht noch mehr Unglück auf die armen, braven Leute!“