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Böse Mediensatire, Berlin-Roman und tragikomische Liebesgeschichte in einem. Endlich ist Volker Surmanns von vielen Seiten hochgelobter Debütroman auch als E-Book erhältlich, und zwar ergänzt um den ursprünglichen Titel des Romans: Tod eines Komikes. Denn um nicht weniger geht es. Yannick Herbst ist Anfang dreißig und mäßig erfolgreicher Stand-up-Comedian. "Früher hieß es Komiker", sagt seine Mutter, "aber da waren die Leute auch noch witzig." Er lebt in Berlin, der Stadt der kreativen Durchwurstler, und strauchelt zwischen neurotischen Comedy-Veranstaltern, provinziellen Kleinkunstvereinen und humorlosen Fernsehproduzenten hin und her. Seine Fantasie verlangt eine Trennung auf Zeit, und bei seinen Auftritten stehlen ihm immer öfter Panikattacken die Show. Immerhin bietet sich Yannick mit einem Mal die Chance, auf der Showtreppe des privaten Glücks ein paar Stufen gutzumachen. Er verliebt sich in den jungen Flusspferdpfleger Konrad, der nicht nur seine kreative Fantasie beflügelt. Doch diese Beziehung entwickelt sich nicht weniger seltsam als seine Bühnenkarriere.
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Seitenzahl: 345
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Volker Surmann
Oder: Tod eines Komikers
Roman
E-Book Ausgabe
© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2014basierend auf der Printausgabe © Querverlag GmbH, Berlin 2010Coverfoto: Marty Kropp (Fotolia.com)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de
Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.
ISBN: 978-3-944035-26-0
„So fuhren wir durch das kühler werdendeZwielicht weiter auf den Tod zu.“F. Scott Fitzgerald („Der große Gatsby“)
„Darum glaubt mir, Freunde, wenn ich euch sage:Und würde morgen die Welt untergehen,so würde ich mich heute noch vor ein Flusspferdgehege pflanzen.“Heiko Werning („Das Flusspferd“)
[32. Sitzung]
1 [Kaltenbüttel]
2 [Uta Sybille Kramer]
[28.-31. Sitzung]
3 [Sturback’s Coffeeshop]
[27. Sitzung]
4 [Zoo]
[21. Sitzung]
5 [Reeperbahn]
6 [Flusspferdhaus]
[Mein letzter Auftritt]
7 [Funfurt]
8 [Eltern]
[19. Sitzung]
9 [Publikum]
10 [Bier]
11 [Wildlife]
12 [Deutschland]
[Mein letzter Auftritt]
13 [Teeküche]
14 [Casting]
15 [Sabbelrath]
[17. Sitzung]
16 [Audienz]
17 [Almhütte]
18 [Ficken 3000]
[Mein letzter Auftritt]
19 [Lehrerzimmer]
20 [Fantasie]
[15. Sitzung]
21 [Pfingsten]
22 [Pressefotos]
[12. Sitzung]
23 [Fünfhundert Mark]
24 [Bildschirmschoner]
25 [Silverstate]
[10. Sitzung]
26 [Rampensau]
27 [Niederländische Antillen]
[4. Sitzung]
28 [Attacke]
29 [Tagesspiegel]
30 [Cheeseclub]
[1. Sitzung]
31 [Curaçao]
32 [Epilog]
[Dank]
Anhang
[Interview]
[Klausur]
– Wo waren Sie?
– Weg.
– ... weg.
– Tut mir leid.
– Sie wissen, dass Sitzungen, wo der Klient nicht erscheint, privat abgerechnet werden müssen. Das zahlt keine Kasse.
– Ich weiß. Dann ist das wohl so.
– Ich muss zugeben ... Dass Sie einfach ein paar Sitzungen nicht kommen, hat mich überrascht.
– Ganz ehrlich? – Mich auch.
Yannick Herbst trat von der Bühne. Ein wohliges Glücksgefühl ritt noch die Applauswelle, bis sie verebbte, sich totlief auf einem Strand, der hier aus Torfmoor bestand. Der Kleinkunstabend in der Alten Meierei Kaltenbüttel war zu Ende. Vierzig zufriedene Zuschauer verließen den zum Theater umgebauten Geräteschuppen einer ehemaligen Landmolkerei und trollten sich in die dunkle Ödnis der niedersächsischen Provinz.
Es war ein guter Abend gewesen. Ein guter Abend eines durchwachsenen Tages, an dem die Lustlosigkeit im Käfig seines Hirns auf und ab getigert war und an fast jedem Nervenknoten das Bein gehoben und ihr Revier markiert hatte. Lustlos war Yannick in Berlin aufgebrochen, lustlos war er in den Zug gestiegen, lustlos war er in Uelzen aus- und in den Bus nach Kaltenbüttel umgestiegen. Mein Gott! Der nächstgrößere Ort war Uelzen! Das sagte doch schon alles! Lustlos hatte er folglich die Bühne eingerichtet und sie später betreten. Erschrocken hatte er registriert, dass nur eine Handvoll Leute in seinem Alter war, der Rest Mitte fünfzig. Von der Bühne blickte er in eine Art Lehrerzimmer.
Nur ein attraktiver Junge, Anfang zwanzig mit sympathisch unfrisierten, schwarzen Haaren, hatte seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen können. Er saß in der letzten Reihe, offensichtlich allein. Yannick hatte ihn angelächelt, als er seine Nummer über eine Lehrerclique auf einer Geburtstagsparty vorbereitete: „Smalltalk hat ja schon sehr viel von einem Guerilla-Krieg an sich, aber Smalltalk unter Lehrern fällt unter das Kriegswaffenkontrollgesetz“, hatte er gewitzelt, und das ganze Lehrerzimmer hatte gelacht.
„Ganz schlimm ist, wenn Lehrer Witze erzählen.“ Lacher. Hier hatte noch nie jemand gelacht, aber offenbar kannte sich sein Publikum bestens aus.
Es musste am Berufsstand des Pädagogen liegen. Niemand ließ sich so gerne von der Bühne aus abwatschen wie Lehrer und Sozialpädagogen, ausgenommen vielleicht noch Politiker. Als ob es ihnen nicht reichte, in ihrem Job ständig fertig gemacht zu werden. Yannick fragte sich, ob Masochismus dereinst als Berufskrankheit für Pädagogen anerkannt werden würde und wann wohl der erste Lehrer Beihilfe für SM-Spielzeug einklagte.
Dann folgte wie immer der Witz, den mal sein eigener Philosophielehrer im Unterricht erzählt hatte: „Was sitzt im Lehrerzimmer mit ’nem IQ von hundertzwanzig?“
Hier setzte Yannick immer eine kurze Kunstpause, zögerte, bis es still war im Saal, und gab dann die Antwort: „Drei Sportlehrer!“ Wieder ein Lacher.
Damals, in der elften Klasse hatte Yannick nichts Besseres zu tun gehabt, als diesen Spruch umgehend auf der Klatschseite der Schülerzeitung zu veröffentlichen, was kurzfristig zu einer erbitterten Feindschaft der Fachkonferenzen Philosophie und Sport geführt hatte.
Yannick legte nach: „Ich hab den Witz mal auf einer Party erzählt, wo auch viele Lehrer waren. Alle haben gelacht – bis auf einen.“ Verhaltene Lacher.
An dieser Stelle wussten die meisten Zuschauer stets, was kommen würde, was kommen musste. Natürlich war es ein Sportlehrer, der nicht lachte. Prompt lachten wieder alle: die eine Hälfte des Saals, weil sie den Witz erst jetzt kapierte, die andere, weil sie ihn schon vorher verstanden hatte und sich bestätigt fühlte. Doch dann drehte Yannick den Gag unerwartet herum und legte noch einen drauf: „Ja, der hatte den Witz nicht verstanden.“
Yannick Herbst liebte diesen Gag; derartige Kombinationen fielen ihm nur selten ein. Sie waren pures Gold für Komiker. Der Saal hatte getobt. Nur ein Endfünfziger in der ersten Reihe hatte sich, offensichtlich nur seiner weiblichen Begleitung zuliebe, ein mühsames Lächeln abgerungen. Yannick hatte ihn angesprochen: „Sie gucken so ernst. Sind Sie etwa zufällig Sportlehrer?“ Ein hysterischer Kiekser seiner Begleitung. Prompt hatte auch das restliche Publikum zu kichern begonnen. Volltreffer. „Nicht wahr?! Sie sind wirklich Sportlehrer!“ Das Publikum hatte gejohlt und Yannick einen Geistesblitz gehabt: „Soll ich den Witz noch mal langsam wiederholen?“ Kreischende Lacher, Szenenapplaus. Yannick Herbst war in seinem Element gewesen.
Doch nun hatte Yannick Herbst sein Element verlassen und widmete sich anderen Elementen.
Inzwischen stand er am Tresen und trank bereits das zweite Glas Rotwein. Langsam spürte er eine wohltuende Wärme in sein Großhirn aufsteigen, wo sie sich eine bequeme Hängematte aus Synapsen und Ganglien knüpfte und ihr Kopfkissen aufschüttelte. Yannick Herbst wurde müde. Mühsam hangelte er sich durch den üblichen Smalltalk mit den Gästen und Veranstaltern. „Der Georg“ (Deutsch und Geschichte) hatte Tresendienst, dabei den angebotenen Produkten selbst wohl ordentlich zugesprochen, und redete auf Yannick ein, wie professionell er auf der Bühne wirken würde.
„Ja ja, danke“, sagte der und schaute sich im Saal um. Der Twen mit der hübschen Wuschelfrisur stand etwas abseits umringt von einigen Binnen-I-TrägerInnen. Yannick gab ihn auf. Er freute sich auf sein Bett im Hotelzimmer.
„Iris, wie sieht es aus, bringt ihr mich gleich ins Hotel?“
„Die Iris“, Georgs Frau (Französisch und Textiles Gestalten) und Sprecherin des Kulturvereins, ein freundlicher Muttertyp mit gelegentlich angestrengt wirkendem Blick, drehte sich entrüstet zu ihm um: „Ach was, du schläfst doch bei uns.“
Scheiße. Yannick wusste, was das bedeutete: Noch mehr Rotwein, noch mehr sinnloser Smalltalk, mindestens einmal mehr die Fragen, ob er von seinem Job denn leben könne und worin denn nun genau der Unterschied zwischen Kabarett und Comedy bestehe. „Britta kommt auch noch mit und Simon natürlich. Dann können wir bei uns noch einen trinken.“
Das hatte er befürchtet.
„Wer ist Simon?“
„Unser Sohn.“ Iris’ Blick schwenkte zu dem schwarzen Wuschelkopf.
Wenigstens eine kleine Entschädigung für ein ausgefallenes Hotelzimmer.
Britta war Anfang fünfzig mit kurzen, schwarzen Haaren. Yannick wollte kein Unterrichtsfach für sie einfallen. Kosmetikfachschule, dachte er, als er des perfekten Make-ups und der stark gezupften Augenbrauen gewahr wurde.
Bald saßen sie zu viert in Iris’ und Georgs Fünfziger-Jahre-Backstein-Häuschen in der Küche. Simon hatte sich aber sofort in sein Zimmer verzogen, weil er am nächsten Morgen mit seiner Freundin zu einem Fußballspiel wolle. Freundin. Fußball. Zwei Worte, dieselbe Enttäuschung. Yannick goss sich daraufhin einen weiteren Rotwein ein. Er schaute auf die Flasche: Von einem billigen Bardolino im Kulturhaus zu einem schweren Merlot. Das ist überhaupt nicht gut; Rotweine soll man nicht mischen, dachte Yannick und nahm einen großen Schluck.
„Soll ich ein paar Schnittchen machen?“, fragte Iris, den Kopf schon im überdimensionierten Kühlschrank auf der Suche nach Aufschnitt und Butter. Yannick nickte: „Ich brauch eine Grundlage“, nuschelte er.
„Ich kann’s immer noch nicht fassen, dass du wirklich schwul bist“, ereiferte sich Britta. Yannick lächelte etwas gequält. Ja okay, er war schwul, er hatte es auf der Bühne erwähnt, aber was war schon dabei? Heute waren doch alle schwul.
„Ja, genau, du, du wirkst so ... männlich auf der Bühne“, schaltete sich Georg ein, während er eine weitere Flasche Rotwein entkorkte. Dabei waren ihre Gläser noch voll.
„Ehrlich!“, fuhr Britta fort. „Ich bin seit zwanzig Jahren Stewardess und dachte, ich könnte es sofort erkennen.“
„Schon gut, ich werde in Zukunft mit einem Safttablett auftreten.“
Iris stellte die Schnittchen auf den Tisch: viel Wurst, viel Käse, schweres Brot. Yannick griff zu.
Die nächste Flasche war ein Weißwein. Yannick lehnte ab. Britta hatte sich hicksend verabschiedet, nachdem Yannick die wirtschaftliche Situation eines selbständigen Komikers ausführlich dargestellt und während einer halbstündigen Diskussion möglicher Abgrenzungskriterien zwischen Kabarett und Comedy mindestens sechs Salamistullen vertilgt hatte. Er hoffte, diese Grundlage war ausreichend schwer, um noch rechtzeitig unter den Alkoholspiegel zu sinken.
„Du, du bist so ... so anders als sonst, wenn du da vorne stehst“, lallte Georg. „Du, du wirkst so männlich.“
Nicht schon wieder. Yannick spürte Unbehagen in sich aufsteigen. Schwungvoll goss er sein Glas mit Weißwein voll und trank einen großen Schluck. Sein Unwohlsein blieb. Er kannte viele Vorurteile über Schwule. Dass sie besonders männlich wirkten, gehörte nicht dazu.
„Da vorne auf der Bühne, da oben, also da wirkst du so ... so potent.“
Yannick verschluckte sich am Weißwein. Bitterer Traubensaft stieg ihm vom Rachen in die Nase. Er hustete und alkoholhaltiger Schnodder drang ihm aus den Nasenlöchern.
Georg beachtete ihn nicht: „Weiß’ du, Yannick“, er beugte sich vor und legte seine Hand mitten auf den Tisch, als erwartete er, dass Yannick die seine darauf legte. Doch der hustete noch immer in seine hastig gegriffene Serviette.
„Du ... du bist schwul, Yannick, und ich bin bi.“ – O Gott.
Iris sprang auf: „Ich hol dir ein Glas Wasser. Georg, lass das doch.“
Doch Georg ließ nichts.
„Nein, wir können doch mal ehrlich sein! Ich bin betrunken, da darf ich doch mal sagen, was ich denke.“
Iris kramte geräuschvoll ein Glas aus einem Schrank und riss den Wasserhahn auf.
„Ach, Georg, lass, das geht doch niemanden was an.“
„Wieso?“ Georg wurde lauter. „Da kann man doch offen drüber sprechen, wieso ’nn nicht!?“
Iris stellte das Glas Wasser auf den Tisch und Yannick versuchte, seinen Hustenreiz mit Weißwein unter den Tisch zu trinken.
„Wir sollten vielleicht lieber ins Bett gehen“, schlug Iris vor. Sie hatte sich gar nicht erst wieder an den Tisch gesetzt, sondern räumte ihn ab und sortierte Brot und Schinken wieder in die Küchenschränke ein.
Yannick Herbst mochte peinliche Geheimnisse, aber etwas an Iris’ Reaktion sagte ihm, Georgs Geheimnis lieber nicht kennen zu wollen. Doch Georg war nun richtig in Fahrt: „Ich kann’s ja offen sagen, Yannick. Ich bin betrunken.“ Nun gut, das war kein Geheimnis: „Ich hab da auch kein Problem mit. Ich hatte mal ’ne Prostata-OP, ein Karzinom. Ist aber alles weg jetzt.“
„Oh“, sagte Yannick und schaute in sein Glas. Schweres Thema. Viel zu schwer für so viel Alkohol. Karzinome und Alkohol vertrugen sich nicht.
„Ach, hör doch auf, Georg“, flehte Iris und klapperte geräuschvoll mit der Besteckschublade, die sie seit zwei Minuten unaufhörlich auf- und zuzog, vermutlich um das Unvermeidliche selbst nicht hören zu müssen.
„Wieso? Ich hab da kein Problem mit. Ist doch nichts dabei. Seitdem krieg ich keinen mehr hoch!“, polterte Georg, und Yannick wurde langsam klar, wieso er potent auf der Bühne wirkte.
„Ist halt so. Ich hab seit zwei Jahren keinen Verkehr mehr. Ich hab da überhaupt kein Problem mit!“
In der Küche wurde es still. Georg schwieg, Yannick schwieg, nur Iris’ Hand klapperte noch immer an der Besteckschublade, während sie ihren Kopf hinter der geöffneten Kühlschranktür verbarg und angestrengt Käse-Scheibletten anstarrte. Auch sie schwieg.
Zum ersten Mal in seinem Leben sehnte sich Yannick Herbst nach belanglosem Smalltalk. Da hatte er wenigstens seine Antworten parat.
„Und, Yannick, was sagst du dazu? Is’ doch nichts dabei, oder?“ Georg schaute ihn mit trunkenen Augen erwartungsvoll an.
Yannick überlegte, was er sagen sollte.
„Nun, ich ... also ... ich finde den Unterschied zwischen Kabarett und Comedy gar nicht so wichtig“, plapperte er. „Das sind doch irgendwie zwei Seiten derselben Medaille ...“
„Warum lenkst du jetz’ ab, is’ dir das Thema unangenehm?“
Nö, gar nicht! Nächtliche Gespräche mit volltrunkenen impotenten Krebsopfern gehörten schon immer zu meinen bevorzugten Freizeitbeschäftigungen, dachte Yannick lieber nur, nickte stumm in seinen Weißwein und hoffte auf eine plötzlich aufsteigende Übelkeit. Doch die ließ ihn im Stich.
„Du kannst gut reden, du stehst in der Blüte deiner Manneskraft!“
„Georg! Bitte!“, zischte Iris.
„Ist doch nichts dabei. Ich hab ’ne tolle Frau, ich hab ’nen tollen Sohn gezeugt. Ich hab da kein Problem mit. Ist doch nichts dabei. Ich kann halt nicht mehr ficken!“
„Ja, da kann man schon stolz drauf sein, auf so einen Sohn“, griff Yannick nach dem kommunikativen Strohhalm und wollte ihn nicht mehr loslassen: „Und ’ne Freundin hat er auch, na die kann aber auch stolz sein, mit so einem tollen Jungen ...“ – zu ficken, kam Yannick in den Sinn – „... zusammen zu sein.“
Georgs wässrige Augen verrieten, dass er den gleichen Gedanken gehabt hatte.
„Georg, ich finde, wir sollten jetzt Schluss machen, das ist mir alles zu privat. Außerdem bin ich doch Komiker, nachher mache ich da später mal Witze drüber. Wir sollten jetzt besser Feierabend machen. Es ist ja auch schon spät ...“
Yannick redete ununterbrochen weiter. Er redete, um nicht mehr hören zu müssen. Er plapperte noch, als er schon längst hinter Iris ins Obergeschoss trottete und sie ihm sein Zimmer zeigte: ein als Gästezimmer getarnter Abstellraum abgewohnter Jugendmöbel.
Yannick zog sich aus, schluckte eine Aspirin und legte sich ins Bett. Die Decke war deutlich zur kurz, aber das machte nichts, denn das Bett war kaum länger. Er roch den muffigen Duft aus staubigem Sperrholzmobiliar und versuchte zu schlafen, während der Kater begann, auf dem Schrottplatz seiner Träume ein grässliches Musical zu inszenieren.
Trotzdem spürte Yannick in seinen Shorts eine Erektion aufsteigen. Nein, das war gar nicht gut, sagte er sich. Das war zu potent. Doch dann fiel ihm ein, dass ein oder zwei Räume weiter der hübsche Simon liegen musste. Er hätte sich jetzt gerne einen runtergeholt, doch er konnte nicht. Allein der Gedanke, Georg würde am nächsten Morgen sein Bett abziehen und das Laken nach seinen ach so potenten Komiker-Flecken absuchen, hielt ihn davon ab. Yannick hoffte bloß, nicht von Simon zu träumen, und dachte deshalb vorm Einschlafen intensiv an fünfzigjährige Sportlehrerinnen.
Am nächsten Morgen frühstückte Yannick allein mit Iris und seinem Kater. Georg schlief noch. Yannick zelebrierte den Kater ausgiebig: „Mann, Mann, Mann, haben wir gesoffen. Ich hab echt ’nen totalen Blackout. Kann mich gar nicht mehr dran erinnern, worüber wir gestern Nacht eigentlich gesprochen haben“, log er.
Iris glaubte ihm nicht. Trotzdem lächelte sie dankbar.
Yannick saß im Bus. Sein Kopf dröhnte immer noch und ihm war flau vom starken Kaffee, den Iris am Morgen aufgebrüht hatte. Als wäre es ihr Plan gewesen, mit einer Überdosis Koffein auch die letzte Erinnerung an den Vorabend aus seinem Hirn zu ätzen. Sie hatte darauf verzichtet, ihn zum Bahnhof zu bringen. Stattdessen hatte sie ihm den Weg zur nächsten Bushaltestelle erklärt, er war mitsamt Gepäck dorthin getrottet und teilte sich nun die Stehplätze im Linienbus nach Uelzen mit krakeelenden Schulkindern, deren schrille Stimmen ebenfalls dazu geeignet waren, den gestrigen Abend aus dem Gedächtnis zu lasern. Kaffee und Gekreische sorgten dafür, dass sich sein Magen anfühlte wie ein Kristallglas kurz vorm Zerspringen. Yannick drehte sich zum Fenster, wischte Kondenswasser beiseite und schaute auf die flache Landschaft. Äcker und Fichtenschonungen. Fichten, Äcker. Dazwischen gelegentlich eine Siedlung aus flachen, rotbraun geklinkerten Häusern mit Spitzdächern und Metallzäunen, gestrichen in Türkis, Weiß oder Rost. Blautannen im Vorgarten. Damit die Lichterketten im Dezember nicht in der Luft hingen.
Kaltenbüttel. So weit hatte er es also geschafft. Da spielte echt nicht jeder.
Yannick überlegte, ob er zufrieden sein sollte. Er hatte einen Auftritt hinter sich, bei dem die Zuschauer fröhlich nach Hause gegangen waren und mit Lob und Schulterklopfen nicht gegeizt hatten. Gestern war er glücklich gewesen, kurz nach dem Auftritt.
Heute kam ihm dieses Glück wie ein Strohfeuer vor. Während des Spielens fielen Nervosität und Lampenfieber von ihm ab, Adrenalin wurde in verträglichen Dosen durch sein Blut gepumpt, mit dem Applaus schwappte eine Welle Serotonin durch seinen Körper und sprudelte lustig bis unter die Haut. Dann war das Serotonin abgebaut, die letzten Glückshormone gingen an einer Alkoholvergiftung ein und nun schaute Yannick aus dem Busfenster in die nieselverregnete niedersächsische Pampa. Äcker, Fichtenschonungen. Nieselregen jenseits der Scheibe und in seinem Innern, gelegentlich donnerte ein Magengrimmen.
Kaltenbüttel. Ziel aller Komiker. Was waren Mainzer Unterhaus, Münchner Lach & Schieß-Gesellschaft, Quatsch Comedy oder der Berliner Cheeseclub, wenn man auch in der Alten Meierei Kaltenbüttel auftreten konnte? Was waren Viersternehotels, wenn man in den Genuss echter Gastfreundschaft in einem Gästezimmer aus verblichenem Furnierholz kommen konnte!
War der Auftritt erfolgreich? Yannick zählte im Kopf die Eckdaten zusammen: Er hatte rund vierzig Zuschauer gut unterhalten. Er hatte sich dabei wider Erwarten wohlgefühlt. Er hatte eine Gage erhalten, bei der nach Abzug von Steuer, Fahrtkosten und der Provision für seine Agentin sogar etwas zum Leben übrig blieb. Yannick überschlug kurz: Um ein normales Monatseinkommen zu erwirtschaften, musste er nur zwanzigmal monatlich in Kaltenbüttels auftreten, zwanzigmal in abgewohnten Jugendmöbeln schlafen oder in Dorfpensionen mit durchgelegenen Federbetten, altmodisch gemusterten Teppichen und „Frühstück von 6 bis 8.30 Uhr“. Sich zwanzigmal im Monat mit Georgs und Irissen betrinken. Der Bus fuhr über eine Bodenwelle und Yannick musste einen Mundvoll aufgestoßenen, bitteren Kaffees zum zweiten Mal hinunterschlucken.
Später im Zug rief er seine Agentin an.
„Humorkontor Berlin: Uta Sybille Kramer, ich grüße Sie.“
„Hallo, Uta, hier ist Yannick.“
„Guten Morgen, Yannick, schön, dass du dich meldest, ich hab nur wenig Zeit. Wie war’s in Uelzen?“
„Das war nicht Uelzen, sondern Kaltenbüttel, das ist zwanzig Kilometer weiter weg.“
„Und wie war’s?“
„Ganz okay, vierzig Zuschauer, gute Stimmung, aber ...“
„Das ist doch schön. Was ‚aber’?“
„Uta, ich glaube, ich will solche Auftritte nicht mehr machen.“
„Aber wieso denn nicht?“ Seine Agentin klang ein wenig belustigt. Yannick schilderte den Abend.
„Na, so was gehört aber zum Job.“
„Aber kannst du nicht wenigstens dafür sorgen, dass ich immer ein Hotelzimmer kriege?
„Dann hättest du diesen Auftritt nicht bekommen. Hotelzimmer können die nicht bezahlen. Sei froh, dass ich dir dort überhaupt dreihundert rausgeholt habe.“
Yannick schwieg. Das war immer das Dilemma. „Friss oder stirb“, lautete die übliche Alternative für Komiker seines Standes; tingeln hieß, sich auf solche Bedingungen einzulassen, zumindest, wenn man neu im Geschäft war. Das Problem war nur: Yannick war nicht neu im Geschäft; er tingelte seit knapp zehn Jahren.
„Du bist noch neu im Geschäft, Yannick. Damit musst du leben.“
„Ich bin nicht neu im Geschäft.“
„In meinem Geschäft schon.“
Manchmal fragte er sich, ob seine Agentin überhaupt an ihn glaubte. Oder ob er in ihrem Agentur-Portfolio das Feigenblatt der Nachwuchsförderung für finanziell minderbemittelte Kleinkunstveranstalter darstellte. Das Humorkontor Berlin – ein Eineinhalb-Personenbetrieb bestehend aus Uta Sybille Kramer und stetig wechselnden, unbezahlten Praktikantinnen – organisierte in der Hauptsache Tourneen beliebter Comedians und Kabarettisten. Yannick Herbst war der am wenigsten bekannte Komiker in ihrem Angebot.
„Oder soll ich meinen Klienten etwa sagen, dass du seit zehn Jahren erfolglos durch die Lande tingelst?“
Vielleicht brauchte Uta Sybille Kramer aber einfach einen Künstler, an dem sie all die schlechte Laune auslassen konnte, die sie bei ihren Stars runterschlucken musste.
„Nein, so meinte ich das auch nicht.“
„Wo bist du heute?“
„In Berlin, bei dieser Mixshow im Kaffeehaus.“
„Das machst du doch mit links.“
„Klopf auf Holz.“
„Übrigens, kannst du Lisa noch neue Pressemotive von dir schicken?“
„Wer ist Lisa?“
„Meine neue Praktikantin, sehr patentes Mädchen.“
„Ich hab euch doch gerade erst die neuen Motive geschickt.“
„Die gefallen uns nicht.“
„Aber mir gefallen sie.“
„Aber ich kann dich damit nicht verkaufen.“
„Was hast du gegen das Motiv? Hallo? ... Uta?“
Die Verbindung war abgebrochen. Der Zug befand sich zwischen Uelzen und Hannover im mobilfunkfreien Nichts. Früher oder später würde man das hier als Tourismusnische erkennen: „Kommen Sie zu uns, machen Sie Urlaub, wo Sie garantiert nicht zu erreichen sind!“
Yannick hatte viel Zeit und Energie in seine neuen Pressefotos investiert und war stolz auf die neuen Motive. Er hatte sie mit Laura, seiner Mitbewohnerin, angefertigt. Normalerweise fotografierte sie nur Menschen in Lack und Leder, oder, wenn sie Geld brauchte, Zootiere. Doch für ihren Mitbewohner machte sie gerne eine Ausnahme, obwohl der weder Fell noch Leder trug.
Yannick dachte zurück an den Tag, an dem er Laura kennengelernt hatte. Er war ähnlich trüb gewesen, der Tag wie auch Yannick. Zwei Jahre war das her. Er hatte sich auf dem Rückweg von einem Auftritt in Hamburg befunden, und Laura stand mit einem Rucksack und zwei Fototaschen nah der Autobahnauffahrt Richtung Berlin: ein sehr groß gewachsenes, schlankes Mädchen in schwarzer Lackhose und hoch geschnürten Doc Marten’s, mit blassem Gesicht und blauschwarz gefärbten Haaren.
Yannick war in der Nacht zuvor von seinem Freund verlassen worden und fand, dass es seiner aktuellen Gemütsverfassung entsprach, sich eine depressive Anhalterin aus dem Gothic-Milieu an Bord zu holen. Mit etwas Glück würde sie Joy Division in den CD-Player einlegen, und dann könnten sie gemeinsam den nächsten Brückenpfeiler ansteuern. Dummerweise war Laura äußerst gut gelaunt und aufgedreht, da sie am Vortag ihre Lehre abgeschlossen hatte und nun in Berlin als Fotografin durchstarten wollte.
„Tolle Idee“, nuschelte Yannick, „Fotografen werden in Berlin immer gesucht.“
„Quatsch! Das wird hammerhart, in Berlin könnteste mit Fotografen die Straße pflastern“, korrigierte ihn Laura unwirsch, „wenn die nicht schon mit Webdesignern asphaltiert wär.“
Yannick musste lachen. Laura plapperte fröhlich drauflos. Sie würde erst mal bei einer Freundin einziehen und sich nach WG-Zimmern umsehen. In der letzten Phase der Ausbildung hätte sie viel mit Schwarz- und Glanzeffekten herumexperimentiert und hoffte, damit im Umfeld von Mode- oder Musikfotografie punkten zu können, vielleicht auch irgendwo in der Gothic-Ecke. Sie würde schon was finden.
Dann stoppte ihr Redefluss. Laura schaute ihren Fahrer an und sagte: „Und jetzt du.“
Yannick war so überrumpelt gewesen, dass er bereitwillig erzählte. Manchmal kann man sich ja flüchtigen Bekanntschaften besser öffnen als selbst besten Freunden, fiel Yannick ein, als er sich die Beziehungsgeschichte zu seinem Ex referieren hörte. Knapp drei Jahre waren sie zusammen gewesen, doch zuletzt hatte es immer wieder gekriselt, weil Marcus einen festen Job mit Fünftageswoche hatte, Yannick dagegen vornehmlich an Wochenenden durch die Lande reiste und jeder dem anderen vorwarf, keine Zeit für den anderen zu haben. Zuletzt wollten sie dem begegnen, indem sie zusammenzogen, um möglichst viele der kostbaren, gemeinsamen Stunden unter demselben Dach zu verbringen.
„Ich hab dann ’ne größere Wohnung genommen, die wir sogar zusammen besichtigt hatten. Aber Marcus kündigte sein Appartement einfach nicht.“
„Sondern lieber dir“, Laura schaute mitfühlend. „Shit happens. Darf ich Musik einlegen?“
„Klar“, sagte Yannick, dachte traurig an das leere Zimmer in seiner Wohnung und staunte nicht schlecht, als nicht Joy Division, sondern Roxette aus den Lautsprechern dröhnten. Er lachte.
„Siehst du“, meinte Laura, „wirkt schon. Meine heimliche Leidenschaft, seit ich elf bin. Hilft immer, wenn man schlecht drauf ist.“
„Du scheinst eine recht untypische Gothic-Vertreterin zu sein“, stellte Yannick fest.
„Falsch. Ich bin überhaupt kein richtiger Gothic. Vielleicht war ich es mal“, meinte Laura. „Klar, ich mag die Musik. Schwarz ist meine Lieblingsfarbe, aber keine Einstellung.“
Am Berliner Ring sangen sie „Joyride“ schon zum dritten Mal laut mit. Als sie durch Reinickendorf fuhren, fragte Yannick, ob Laura bei ihm einziehen wolle.
Seit knapp drei Jahren war sie nun seine Mitbewohnerin und gute Freundin. Die Rolle der Schwulenmutti, der klassischen Gabi, hatte sie zum Glück nie angenommen. Inzwischen hatte sich Laura auf Fetischfotografie spezialisiert, Schwule waren für sie ähnlich vertraut wie schwarz glänzende Sexualmode, aber nicht minder bizarr. Im Grunde hielt sie alle Homosexuellen für bekloppt. Yannick betrachtete das als eine sehr gesunde Einstellung, die er Laura nicht mal anlasten konnte, da sie auch den Rest der Menschheit für bekloppt hielt und sich selbst bereitwillig einschloss. Diese Grundeinstellung zum Leben stattete sie mit einem wohltuenden Sarkasmus aus, der dafür sorgte, dass ihm ein Spruch von Laura manchmal mehr half als zehn „Hmmms“ von seinem Therapeuten.
Yannick versuchte sich Lauras Reaktion vorzustellen, wenn er ihr nachher die Sache mit den abgelehnten Pressefotos berichtete. Sie würde sich in ihrer Weltsicht einmal mehr bestätigt fühlen.
Er schaute auf sein Handy: wieder Empfang. Sofort wählte er die Nummer des Humorkontors, doch ihn vertröstete nur die Mailbox.
Yannick Herbst lehnte sich zurück, drückte seinen immer noch dröhnenden Kopf an die kühle Fensterscheibe des Intercitys und wachte erst in Hildesheim auf; den Umstieg in Hannover hatte er verschlafen. Uta Sybille Kramer hatte nichts von sich hören lassen.
– ausgefallen
„Was mache ich hier auf der Bühne?“, fragte sich Yannick Herbst, während er sich sprechen hörte und innerlich korrigierte: Nein, stimmte nicht, er stand auf gar keiner Bühne: Er stand auf einer etwa ein Quadratmeter großen Europalette, auf die jemand eine Sperrholzplatte genagelt und ein Mikrofon davor gestellt hatte.
„’tschuldigung, kann ick mal vorbei?“, grummelte eine dumpfe Stimme hinter ihm, und Yannick spürte, wie er zur Seite geschoben wurde und sich ein fühlbar ausladender Bauch an seinem Po vorbeischubberte. Einige Leute im Publikum kicherten.
Na, wenigstens mal ein Lacher, dachte Yannick.
Die Bühnen-Palette stand direkt vor dem Gang zu den Toiletten im Sturback’s Coffeeshop. Hinter Yannick klebte ein Plakat mit dem Schriftzug „Volle Latte Fun – Comedy im Coffeeshop“. Zwischen diesem Plakat und der improvisierten Bühne war eine Lücke von etwa einem halben Meter, und durch die musste jeder, der mal musste. Da der Tresenbetrieb während der Show weiterlief, wollte auch immer mal jemand zur Toilette.
Seine Nummer befasste sich mit peinlichen Situationen. Yannick erzählte die Story, wie er sich einmal mit seinem Opa vor einer Beerdigung Mut angetrunken hatte, und sich dann mitten in der Trauerfeier bei seinem Opa die Kohlensäure regte.
Yannick setzte eine Kunstpause, bevor er fortfuhr.
„Und in diesen Moment der andächtigen Stille kam plötzlich aus Opas Mund ein Mark erschütternder ...“
„Grande iced crushed coffee vanilla cream latte?“, brüllte es vom Tresen her.
Das Publikum lachte.
Yannick spielte amüsiert und überlegte hektisch, wie er die versaute Pointe retten könnte. Keine Chance.
„Rülpser“, ergänzte er trocken. Fragezeichen auf den Gesichtern des Publikums, sie hatten schon vergessen, was er vor der überlangen Latte Kaffee gesagt hatte.
„Der Pastor reagierte aber souverän. Er sagte nur, Gott spreche viele Sprachen, aber ob er den Dialekt kenne, bezweifle er.“ Die Fragezeichen beim Publikum blieben, es hatte den Faden verloren.
Yannick wusste nicht, wer auf die Idee gekommen war, Comedyshows nicht mehr in Theatern zu veranstalten, sondern an jedem noch so abseitigen Ort. Fast jeder Comedian hatte inzwischen seine eigene Show, die er „hostete“, wie man im humoristischen Neusprech sagte, und bei der Auswahl der Location waren die Kollegen nicht eben zimperlich. Hauptsache ungewöhnlich, Hauptsache schrill, Hauptsache irgendein Sponsor butterte Kohle in die Show, damit der Eintritt frei sein konnte.
Nun also Sturback’s Coffeeshop. Einst trug der Laden den klangvollen Namen „Heiner Sturbacks Schrippenschmiede“, doch mit dem Aufstieg von Berlin-Ost zu Berlin-Mitte hatte der alte Bäckermeister seine Backstube an der Friedrichstraße anglisiert und in „Sturback’s Coffeeshop“ umbenannt. Anfangs ohne Genitiv-Apostroph, doch erst mit jenem nahm man der ehemaligen ur-deutschen Backstube die Modernisierung tatsächlich ab, fünf Prozent Umsatzsteigerung durch Deppenapostroph, das lohnte sich: Der Deutsche an sich trank italienische Kaffeeprodukte eben nur aus der Hand von Amerikanern. Heiner Sturback vermutete, das habe etwas mit Globalisierung zu tun.
Inzwischen brummte der Laden, ein junger Innenarchitekt hatte ihn „mehr so loungemäßig“ hergerichtet, damit die Kunden auch „etwas chillen“ könnten. Der alte Bäcker war daraufhin erschrocken, denn er wusste, dass seine Tochter immer „chillen“ wollte, wenn sie sich mit ihrem Freund auf ihr Zimmer verzog, doch als der Innenarchitekt nur ein paar gemütliche Sessel in den Laden tragen ließ, war er beruhigt – auch hinsichtlich der abendlichen Betätigung seiner Tochter hinter verschlossenen Türen.
Man musste mit der Zeit gehen, wusste Heiner Sturback. Und die Zeiten von halben Schrippen mit Rührei oder Hackepeter waren in Berlin-Mitte vorbei. Als neuste Neuerung hatte man nach „iced crushed vanilla latte cream coffee“ und den vier Becher-Größen „tall“, „big“, „large“ und „grande“ sogar Bagels eingeführt. Deren Konsistenz erinnerte zwar an Calamares in einer Universitätsmensa, trotzdem gingen die zähen Backwerkkringel weg wie warme Semmeln, beziehungsweise selbst ofenwarme Semmeln wurden ihretwegen verschmäht.
Leider war eine seiner älteren Mitarbeiterinnen – Sturback hatte sie übernommen aus seiner Hellersdorfer Filiale – mit dem neuartigen Trendgebäck überfordert und schrieb kurz nach der Einführung ans Schaufenster: „Heute im Angebot: American Beagles, 1,30 Euro“. Nachdem die ersten Kunden amüsiert vor der Fensterscheibe leise gegiggelt und sich andere neben dem amerikanistischen Fauxpas per Handyfoto verewigt hatten, ließ Heiner Sturback nicht etwa den Schriftzug entfernen, sondern stattdessen die Schweineohren am nächsten Tag etwas länglicher ausrollen und verkaufte sie als „Original American Beagles“. Sie waren binnen zwei Stunden ausverkauft und brachten Sturback’s Coffeeshop sogar eine amüsierte Notiz im Tagesspiegel ein.
Die wiederum las Kalle Grütz. Der Kreuzberger Hauptstadtkomiker hatte eine Idee, und Berlin zwei Monate später eine Comedyshow mehr.
Yannick merkte, dass seine Gedanken ganz woanders waren als bei seinem Gig. Aber das machte nichts. Hier war eh alles verloren. Yannicks Stimme, obschon deutlich verstärkt, versank in den Klängen des Kaffeehauses. Umgeben von Muffins und Bagels war er auf der Bühne schon lange verhungert, „gestorben“ wie man unter Künstlern zu sagen pflegte, wenn ein Kollege richtig abschmierte. Der Ice-Crusher hinter der Theke gab dazu Geräusche von sich, als gelte es, die Kadaver auf der Bühne verendeter Comedians rückstandslos zu entfernen.
„Es is‘ echt total geil hier“, hatte Kalle Grütz geschwärmt. „Unglaublich harte Schule. Dis sind echt amerikanische Stand-up-Bedingungen hier. Da musste richtich fighten!“
Es war ein Kampf mit ungleichen Mitteln. Wer auch immer Milchaufschäumer und Ice-Crusher hinter der Theke bediente, besaß ein ausgeprägtes Gefühl für Timing. Inzwischen hatte sich Yannick vom Thema Rülpsen in Kirchen zu Herbert Grönemeyer vorgearbeitet, war also nur einen kleinen Schritt weiter: „Grönemeyer ist ja inzwischen mehr so ein Fall für die Theologen! Den kann man nicht mehr verstehen, den muss man ...“ – CRUSH-CRUSH-CRUSH-CRUSH – „äh ... also auslegen, wollte ich sagen.“
„Leute, die Grönemeyer hören, sind ja dieselben, die auch Bücher von ...“ – CRUSH-CRUSH-CRUSH. – „... is doch immer das Gleiche: Suizidale junge Frauen sitzen weinend an verschlungenen Flüssen, dann kommt ein Kloster vorbei und alles wird gut. Ich finde ja ...“ – SSSSCCHHHWWWÜÜÜÜÜFFFF FFSSSCCCHHHWWWÜÜÜÜÜÜFFFFFFSSSCCCHHHHH, unterbrach diesmal der Milchaufschäumer – „... ist in meinen Augen der Xavier Naidoo der Weltliteratur ... ähm, ... also Paulo Coelho, ... falls Sie es nicht mitgekriegt haben.“
Zwecklos. Yannick war genervt. Aus dem Hintergrund vernahm er die Stimme von Kalle Grütz, der mit zwei der Thekenbedienungen schäkerte. „Echt amerikanische Bedingungen, total geil“, wehte herüber. Yannick nahm sich vor, während Kalles nächster Moderation einen tall big maximum grande ice crushed latte macchiato mit extra viel Eis und Milchschaum zu bestellen.
Inzwischen tummelte sich Frohsinn an allen erdenklichen, Etablissements. Es war eine Modewelle, wie es eine Modewelle in den Achtzigern gewesen war, jedes soziokulturelle Zentrum mit „Alter“ zu benennen. Yannick hatte schon in mindestens acht Alten Schlachthöfen gespielt, vier Alten Bahnhöfen, drei Alten Schmieden, zwei Alten Schulen und je einer Alten Molkerei, Alten Säge, Alten Sparkasse, Alten Bäckerei, einer Alten Abdeckerei, einem Alten Kindergarten, sogar in einem Alten Altenheim und einem Alten Neubau war er schon aufgetreten.
Doch inzwischen war „alt“ old-fahioned und neue, trendige Spielorte mussten her. Es gab Comedyshows in Coffeeshops, in jeder zweiten Großstadt gab es Jungvolksbespaßungen in Waschoder Frisörsalons, und dem meist jungen Publikum schien es zu gefallen, bei Live und ungeschnitten im Frisörsalon Haarleluja zusammengepfercht zwischen Trockenhauben zu stehen und sich vor Lachen in die Hose zu pissen, weil die einzige Toilette angesichts von hundertzwanzig Besuchern im Achtzig-Quadratmeter-Laden immer schon vor der Pause den Dienst quittierte.
Es gab Comedyshows in Autohäusern mit dem Titel Fahrspaß und Bleifuß, in Einkaufszentren (Shoppedy) sogar in einem Sargdiscount: Die Lach-dich-tot-Show mit dem „lustigen Bestatterpaar Ilse und Wolfram Tieferleger“. Es gab die Show Völlig abgefahren! an der BAB-Autobahnraststätte Helmstedt, bei der man Fernfahrerwitze tunlichst vermeiden sollte, sich aber immer einen billigen Lacher einheimsen konnte mit der Erwähnung ukrainischer Prostituierter. Bei Comedy im Parkhaus in Köln hatte sich Yannick mal einen furchtbaren Schnupfen geholt. Dafür war es der einzige Gig in der Domstadt gewesen, bei dem er auf Anhieb einen Parkplatz gefunden hatte. Und nächste Woche würde er bei der berüchtigten Dirty-Jokes-Show – Comedy im Klärwerk auftreten, natürlich in Darmstadt, wo sonst.
Einzig mit einer eigenen Mixshow war Yannick gescheitert, aber die Idee, eine Comedyshow in einem kleinen Comedyclub zu veranstalten, erschien Kollegen wie Publikum doch als zu bizarr.
– Wie fühlen Sie sich jetzt am Ende dieser Sitzung?
– Ich bin in den Gedanken schon woanders.
– Aha. Wo?
– Bei meinem Auftritt heute Abend.
– Hm ... Ein besonderer Auftritt? Wo spielen Sie?
– In so einem Coffeeshop.
– Comedy im Coffeeshop?
– Ja, so etwas gibt’s. Ich war da neulich schon mal. Es war schrecklich. Aber ich muss halt irgendwo diese verdammte neue Nummer ausprobieren.
– Sie schaffen das schon. Wie sagt man bei Ihnen? – Toi toi toi!
– Okay.
– ... okay?
– Ich sag „okay“, weil man nicht „danke“ sagen darf. Das bringt Unglück.
– Glauben Sie an so was?
– Nein.
– Aber trotzdem sagen Sie nicht „danke“.
– Ja.
– Aber „alles Gute“ darf ich Ihnen wünschen.
– Da darf ich sogar „danke“ sagen.
– Also dann alles Gute für heute Abend, und bis nächste Woche dann!
– Ja.
Yannick schlief noch, als das Telefon klingelte. Bevor er abnahm, schaute er auf seinen Wecker: 8.50 Uhr. Für einen Bühnenkünstler kurz nach Mitternacht.
„Ja?“
„Uta hier. Sag mal, was war denn gestern im Coffeeshop los?“
„Na, was wohl, da ging’s richtig ab! Ice-Crusher und Milchaufschäumer haben das Publikum bestens unterhalten und immer wieder stürmten Zuschauer die Bühne, weil dahinter das Klo war.“
„Und dein Auftritt?“
„Das war mein Auftritt.“
„Ich hab gerade einen Anruf von Bernd Schelling gehabt. Ich hatte ihn gestern zur Show eingeladen, und er war da.“
„O nee.“ Bernd Schelling war der künstlerische Leiter des Theaters im Alten Wasserturm, einem etablierten Haus mit zweihundert Plätzen, sehr angesehen bei Publikum und Presse. Eine der Top-Bühnen der Stadt.
„Bernd meinte, du habest keinen einzigen Lacher platzieren können.“
„Damit hat er auch ganz recht! Ich hatte nicht die Chance dazu.“
„Bernd meinte, du habest gar kein Gefühl für Timing gehabt. Vielleicht hättest du in Uelzen weniger trinken sollen.“
„Damit hat das nichts zu tun. Die Leute hätten einfach weniger Milchkaffee bestellen sollen, dann hätten sie mich auch gehört.“
„Yannick, das geht so nicht. Bernd Schelling ist ein guter Freund von mir. Er nimmt mir den Abend gestern nicht übel, aber allzu oft kann ich mir das trotzdem nicht leisten.“
„Aber ich kann unter solchen Bedingungen nicht spielen!“
„Das wirst du aber müssen, denn den Wasserturm kannst du dir fürs Erste abschminken.“
Yannick legte auf und sich selbst wieder ins Bett. Die nächsten drei Stunden verbrachte er damit, die Stuckrosette an seiner Zimmerdecke anzustarren. Stuckrosette. Mehr wollte er nicht sehen, mehr wollte er nicht denken. Stuckrosette. Er fühlte sich elend. Er hatte einen beschissenen Auftritt hinter sich. Er konnte nichts dafür, sagte er sich immer wieder, trotzdem fühlte er sich, als hätte er es mal wieder im Alleingang vergeigt. Er wollte drüber nicht nachdenken. Lieber die Stuckrosette betrachten.
Nach zwei Stunden holte er sich einen runter, damit er wenigstens das Gefühl hatte, etwas Sinnvolles zu tun.
Es gehörte zu Murphy’s Gesetzen, dass wichtige Leute stets in den ungünstigsten Situationen auftauchten. Yannicks traumatischster Auftritt in dieser Hinsicht war eine Show in Köln gewesen. Als er in dem kleinen Seitenstraßentheater eintraf, erwischte ihn der Theaterleiter kalt mit der Ankündigung, es gebe nur vier Vorbestellungen, aber an der Abendkasse würde sicher noch was passieren. Da sei er total optimistisch.
An der Abendkasse passierten dann der Verkauf von zwei weiteren Karten und die Herausgabe von zwei Freikarten an Franz Moebel, den Chef eines der bedeutendsten Kabaretttheater der Republik, gelegen in einem Kölner Vorort.
Manche Menschen umgibt eine Aura von Wichtigkeit, die sich beim Betreten jedes Raumes den Kopf am Türrahmen stößt. Schon die Selbstverständlichkeit, mit der Franz Moebel und sein Begleiter als letzte den Theatersaal betraten und gezielt die Mittelplätze in der hintersten Reihe ansteuerten, musste den anderen sechs Zuschauern Ehrfurcht eingeflößt haben. Die Bedeutung der beiden Herren hing im Saal wie ein penetrantes Aftershave und betäubte den Rest des kärglich versammelten Publikums.
Yannick fühlte sich auf der Bühne wie in einem Horror-Film. Da war eine unheimliche, fremde Präsenz im Raum. Normalerweise hatte er auf der Bühne alle Fäden in der Hand. Auch hier warf er sie gewohnt aus, doch irgendwie bündelten sich die anderen Enden in der letzten Reihe, wurden von dort angezogen, entglitten Yannick und verschwanden in einem schwarzen Loch am Ende des Saals.
So sehr er sich bemühte, mit der geringen Zahl der Zuschauer zu kokettieren, es misslang. Im blendenden Gegenlicht der Scheinwerfer konnte Yannick nur eine junge Zuschauerin in der zweiten Reihe sehen. Sie lachte als Einzige. Dann hörte er ihr Lachen abbrechen, sah ihren Blick hektisch flackern; sie schaute sich kurz um und presste die Lippen dann aufeinander. Ihr Lachen hallte noch kurz nach im fast leeren Saal und wurde dann von der letzten Reihe absorbiert.
Ab jetzt war das Theater vollkommen still, leer und tiefschwarz. Yannick kam diese Situation bekannt vor. Ein Déjà-vu? Dann fiel es ihm ein: Es war wie in Star Trek: Ein langsamer Schwenk der Kamera durchs All, eine gleißende Sonnenkugel, dann Unendlichkeit, Schwärze, Weite und Sterne, in verschiedenen Helligkeiten glimmend, Stille, und plötzlich gleitet mit unheilvollem Bassraunen ein Borg-Kubus ins Bild. Widerstand war zwecklos.
Yannick kämpfte sich weiter durch seinen Text, aber jedes Fünkchen Lebendigkeit im Saal wurde von den Borgs in der letzten Reihe assimiliert.
Nach der Pause war Franz Moebel verschwunden, und nach und nach zündeten sogar Yannicks Pointen wie vereinzelte Phasentorpedos, die einschlugen in einen Borg-Kubus.
Acht Jahre lag dieser Abend zurück, aber noch immer hatte Yannick das Gesicht der jungen Zuschauerin, die sich selbst das Lachen verbot, vor seinen Augen präsent – vor allem in Momenten wie diesem.
Es klopfte.
Yannick warf sich schnell die Bettdecke über, und Laura steckte den Kopf zur Tür hinein. Seit ein paar Tagen hatte sie eine kupferfarbene Strähne im schwarzen Pony. Korrodiertes Kupfer. Der Haarschnitt hatte sich dazu mangaesk verändert.
„Hey, alles in Ordnung?“
„Bin nicht so gut drauf.“
„Liebeskummer?“
„Schön wär’s.“ Für Liebeskummer musste man erst mal verliebt sein. Aber seine Fähigkeit zur Liebe ähnelte immer mehr seinen Kenntnissen über Vektorrechnung: Mit achtzehn wusste er mal, was das ist.
Wann war er das letzte Mal verliebt gewesen? Vermutlich bei Marcus.
„Also künstlerische Existenzkrise. So schlimm?“
Yannick nickte. In groben Zügen schilderte er, wie der Vorabend gelaufen war.
„Hol dir einen runter, das mach ich immer in solchen Situationen. Hilft zwar nicht gegen die Krise, aber man fühlt sich besser.“
„Hab ich schon.“
„Dann komm mit mir in den Zoo.“
Laura ging pro Woche mindestens dreimal in den Zoo. Obschon ihr Spezialgebiet die Akt- und Fetischfotografie geworden war, musste sie sich zeitweise mit anderen Jobs über Wasser halten. Ein unbezahltes Praktikum bei der Berliner Morgenpost hatte sie in den Zoo geführt. Ihre Resultate gefielen, sie hatte es erstmals in der Geschichte der Zeitung geschafft, ein niedliches Foto von einem erwachsenen Warzenschwein zu machen, und so wurde sie bald zu einer gerne gebuchten Tierfotografin wider Willen und durfte all die Bilder schießen, die dann uninspirierte Redaktionspraktikanten beschrifteten mit Sätzen wie „Giraffenjunge Benjamin kriegt den Hals nicht voll“. „Heißa! Heißa! Sommer! Da braucht ein kleiner Eisbär Abkühlung!“ oder „Neues Gehege: Pinguine haben Fracksausen.“
Laura wäre nicht Laura, würde ihr dieser fotografische Spagat nicht einen Heidenspaß machen. Auf der einen Seite hatte sie mit ihren sechsundzwanzig Jahren schon Dinge gesehen und fotografiert, die neunzig Prozent der Bevölkerung die Schamesröte ins Gesicht treiben würde, auf der anderen Seite machte sie die Fotos, die dieselben neunzig Prozent beim Blick in die Zeitung „Ei, wie niedlich!“ ausrufen ließ.
„Was ist heute dran?“
„Nilpferde. Eins davon ist krank. Schnupfen, Süßwasserallergie, Magersucht, was weiß ich.“
„Klingt dramatisch.“
„Ist es auch; wart mal die Schlagzeile in der B.Z. ab.“
Sie gingen also in den Zoo. Die Frau im Kassenhäuschen starrte gelangweilt Löcher in die Luft. Als Laura ihren Presseausweis zücken wollte, nickte sie nur wissend, sie kannte die schmale, schwarze Frau mit den großen Fototaschen nur allzu gut. Laura stellte Yannick als ihren Praktikanten vor und grinste ihn danach an.
„Solange ich nur bei deinen Tierfotos Praktikant bin, soll’s mir recht sein.“
„Ach, alles andere ist nur ’ne Frage der Zeit.“
Es war wenig los; Ende Februar, der Tag war kühl und wolkenverhangen, viele Tiere schienen im Winterschlaf zu wandeln und von den anderen dafür beneidet zu werden. Nur wenige Stammbesucher schlenderten mit hochgeschlagenen Krägen an den Gehegen vorbei. Einige Tiere durften in ihren Häusern bleiben, andere hielten Mahnwachen vor den Stalltüren.
Sie betraten das Flusspferdhaus. Eine feuchtwarme Wand aus Dunggeruch schlug auf sie nieder.
„Das stinkt ja wie im Affenkäfig hier.“
„Affenkäfig riecht besser“, korrigierte Laura.
Das Nilpferdgehege war von einem Wassergraben umgeben, der zum Besucherraum eine Plexiglaswand hatte. In dem stinkenden Brackwasser zog ein Schwarm Karpfen seine Runden. Fette, graue Viecher. Karpfen sind die Flusspferde unter den Süßwasserfischen, dachte Yannick.
Laura stellte sich an die Ummauerung des Geheges und schaute skeptisch zu den Tieren. Drei Nilpferde lagen regungslos im Sand und stanken vor sich hin.
„Sieht eins davon krank aus?“
„Sehen eher aus wie tot. Und dem Geruch nach verwesen sie schon.“