Die Seele des Alphas - Dirk Greyson - E-Book

Die Seele des Alphas E-Book

Dirk Greyson

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Beschreibung

Werwolf Fredrik ist gerade vom College zu seinem Rudel zurückgekehrt und versucht, seinem machthungrigen Bruder aus dem Weg zu gehen. Als dieser jedoch aus purem Vergnügen eine Gestaltwandlerin aus einem anderen Rudel als Gefangene festhält, überwindet Fredrik seine Angst und bringt sie nach Hause zurück. Dort lernt er Christopher kennen und erkennt in ihm seinen Gefährten. Da die Bedrohung durch seinen Bruder noch nicht gebannt ist, zögert er allerdings, sich zu sehr auf Christopher einzulassen. Und tatsächlich ist ihm sein Bruder auf den Fersen und wird nichts unversucht lassen, um die Macht zu erlangen, nach der er sich sehnt. Vor allem, als er erkennt, dass die Quelle dieser Macht Fredrik selbst sein könnte… Buch 2 der »Alphas«-Reihe. Buch ist in sich abgeschlossen.

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EPUB

Seitenzahl: 326

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Deutsche Erstausgabe (ePub) Februar 2017

Für die Originalausgabe:

© 2016 by Dirk Greyson

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Darkness Threatening«

Originalverlag:

Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2017 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

ISBN ePub: 978-3-95823-626-4

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

Aus dem Englischen von Nina Hunter

Liebe Leserin, lieber Leser,

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Klappentext:

Werwolf Fredrik ist gerade vom College zu seinem Rudel zurückgekehrt und versucht, seinem machthungrigen Bruder aus dem Weg zu gehen. Als dieser jedoch aus purem Vergnügen eine Gestaltwandlerin aus einem anderen Rudel als Gefangene festhält, überwindet Fredrik seine Angst und bringt sie nach Hause zurück. Dort lernt er Christopher kennen und erkennt in ihm seinen Gefährten. Da die Bedrohung durch seinen Bruder noch nicht gebannt ist, zögert er allerdings, sich zu sehr auf Christopher einzulassen. Und tatsächlich ist ihm sein Bruder auf den Fersen und wird nichts unversucht lassen, um die Macht zu erlangen, nach der er sich sehnt. Vor allem, als er erkennt, dass die Quelle dieser Macht Fredrik selbst sein könnte…

Diese ganze Serie gäbe es nicht ohne Kate Douglas' unglaubliche Arbeit. Du bist großartig!!!

Kapitel 1

»Es ist mir egal, was sie dir an dieser lächerlichen Schule beigebracht haben«, brüllte Juneau, stand auf und ging hinüber zu Fredrik, der sich bemühte, keine Angst zu zeigen. Zwar war Juneau sein Bruder, aber sie verstanden sich absolut nicht. »Ich weiß nicht, wo du gelernt hast, dass es okay ist, eine verdammte Fee zu sein, die es sich von hinten besorgen lässt, aber in diesem Rudel geht das nicht.« Juneau schlug Fredrik so heftig mit dem Handrücken ins Gesicht, dass der sich um sich selbst drehte.

Fredrik hielt sich am Tisch fest, um nicht zu Boden zu stürzen. »Leck mich, Juneau. Du bist hier derjenige, der keine Ahnung hat. Ich bin, wer ich bin, und es gibt absolut nichts, was du dagegen machen kannst. Dad ist tot und du lebst in dieser vergammelten Hütte am Rand von Nirgendwo.« Er richtete sich wieder auf.

»Forderst du mich heraus?«, knurrte Juneau. »Denn solltest du noch einmal so mit mir reden, weide ich dich aus wie ein Kaninchen.« Er trat wieder näher.

»Ja, ich weiß. Du bist der Alpha... von gar nichts.«

»Ich bin dein Alpha. Vergiss das bloß nicht. Mag sein, dass ich in diesem Stück Scheiße hier lebe, aber nicht mehr lange.«

»Wo sind die anderen?«, meinte Fredrik herablassend, erntete dafür aber einen Blick, der kalt genug war, das Wasser am Äquator zu Eis gefrieren zu lassen.

»Sie kommen. Diejenigen, die treu zu Vater gehalten haben, wurden nach dem Niedergang im letzten Sommer in alle Winde verstreut, aber ich habe nach denen geschickt, die am loyalsten waren. In drei Tagen werden sie hier sein, dann werde ich mein eigenes Rudel aufbauen und mir zurückholen, was mir ohnehin zusteht. Und du, geliebter Bruder, wirst an meiner Seite stehen, deine große Klappe halten und tun, was ich dir sage. In diesem Rudel wird es keine Schwäche geben und das bedeutet, dass es sich kein Mann von hinten besorgen lassen wird. Du wirst dich paaren und einen ganzen Stall von Welpen zeugen. Unsere Zahl muss so schnell wie möglich wachsen.«

»Warum sollte ich tun, was du sagst?« Fredrik war von sich selbst überrascht und fragte sich, wo er den Mut gefunden hatte, zu widersprechen. Er war immer der ruhige Typ gewesen. Ihr Vater, Anton, hatte sich nie für etwas interessiert, was nicht mit Kämpfen zu tun hatte, oder mit brutaler Kraft und Macht. Diese drei Dinge waren alles gewesen, was zählte, wofür er gelebt hatte. Es war für ihn und seinen Wolf so notwendig gewesen wie Sauerstoff.

»Weil ich dein Alpha bin und sehr viel stärker als du. Und weil ich dich langsam und qualvoll töten werde, wenn du es nicht tust.« Juneau stand auf und sah auf den Stuhl neben sich und dann wieder zu ihm. Der Blick, den er Fredrik zuwarf, war mindestens ebenso intensiv wie einer der Laser, die er in der Schule gesehen hatte. »Ich warte.«

Fredrik hob den Stuhl hoch und brachte ihn zu seinem Bruder, der sich darauf niederließ, als wäre er ein König. Aber es gab kein Königreich. Als ihr Vater die Herausforderung gegen Mikael Volokov, den Alpha des Old Faithful-Rudels, verlor, hatte sich alles verändert. Sie waren Ausgestoßene ‒ jedes einzelne Mitglied der Familie ihres Vaters ‒, befleckt von seinem dunklen Wahnsinn und dem Hunger nach Macht. Fredrik war diesem Supergau nur deshalb entkommen, weil Anton ihn aufs College geschickt hatte. Er hatte gesagt, er wollte, dass Fredrik die Gepflogenheiten der Menschen und der Welt da draußen lernte. Wahrscheinlich nur, um seine Macht auch auf diese Bereiche auszudehnen. Zum Glück hatte ihm sein Vater genug Geld hinterlassen, sodass er die Schule fast beenden konnte. Allerdings reichte es nicht ganz bis zum Schluss und das hatte Juneau Macht gegeben. Falls Fredrik seinen Abschluss machen wollte, musste er sich unterwerfen. Diese Diskussion war die Krönung dieser Entscheidung ‒ und Fredrik verstand erst jetzt, dass er den wohl größten Fehler seines Lebens gemacht hatte.

Er hatte geglaubt, dass er die Familie losgeworden und endlich von ihnen weggekommen war. Das war nicht das Leben, das er sich vorstellte, und der Tod seines Vaters hatte ihm die Chance gegeben, einfach unbemerkt zu verschwinden. Er hatte gehofft, ein neues Rudel zu finden und dort ein neues Leben zu beginnen. Aber das war ihm nicht vergönnt. Die Erhöhung der Studiengebühren hatte ihm keine Wahl gelassen: Er musste seinen Bruder um Geld bitten und jetzt saß er fest.

»Du wirst in diesem Haus leben, wo ich ein Auge auf dich haben kann. Dein Zuhause ist das Zimmer, in dem du bis jetzt gewohnt hast.« Juneau sah auf und die Frau, die bisher am Ofen beschäftigt gewesen war, jeden Augenkontakt vermieden und versucht hatte, so zu tun, als würde sie nichts sehen und nichts hören, beeilte sich, schnell herüberzukommen und einen Teller vor Juneau abzustellen. Er beachtete sie kaum, warf ihr nur einen Blick zu und begann zu essen.

Fredrik unterdrückte ein Schaudern. Er schlief seit zwei Nächten in diesem Zimmer. Na ja, viel geschlafen hatte er nicht, da sein Bruder in den letzten zwei Nächten stundenlang lauthals Urlaute von sich gegeben hatte. Juneau war unersättlich und schlief mit mindestens drei Frauen pro Nacht. Er schien es, wie auch schon ihr Vater, für seine Pflicht zu halten, so viele Welpen wie möglich zu zeugen. Er war das Alphamännchen und konnte sich daher aussuchen, mit wem er schlief.

»Es wird dir guttun, mit anzuhören, wie sich ein Mann benimmt«, fuhr Juneau fort und riss Fredrik aus seinen Gedanken. »Du wirst um Erlaubnis bitten, wenn du das Gelände verlassen willst, und du wirst mit niemandem sprechen, wenn ich es nicht erlaube. Irgendwie werde ich schon einen richtigen Mann machen...« Er machte eine unbestimmte Geste in Richtung Fredrik. »Aus dem hier.« Er schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht, wie unser Vater dich zeugen konnte.«

Die Tür ging auf und Yuri, der Beta seines Bruders und Komplize seit Kindertagen, wenn es um Verbrechen und Bestrafungen ging, kam ins Zimmer und setzte sich.

»Inge«, sagte Juneau. Er hörte seinen Bruder das erste Mal den Namen der Frau benutzen, seit er hier angekommen war. Zumindest kannte Fredrik jetzt ihren Namen.

Sie füllte einen weiteren Teller und stellte ihn vor Yuri ab. Fredrik war kurz davor zu verhungern, aber er machte keine Anstalten, sich zu setzen. Die Vorstellung, irgendeine Mahlzeit mit seinem Bruder zu teilen, war in etwa so appetitanregend wie ein Stück Schlamm zwischen zwei Kothaufen.

»Dimitri hat angerufen. Er hat eine Überraschung für dich«, sagte Yuri fröhlich und in seinen Augen leuchtete Schadenfreude.

Fredrik lief ein kalter Schauer über den Rücken und er fragte sich, was Yuri und sein Zwillingsbruder vorhatten. Yuri und Dimitri glichen sich wie ein Ei dem anderen und dachten auf dieselbe Weise. Um ehrlich zu sein, war es, als würden sie sich ein Gehirn teilen. Keiner von beiden war besonders schlau, aber sie waren beide skrupellos und glaubten, sie könnten sich einfach nehmen, was immer sie haben wollten.

»Er wird in einer Stunde da sein.«

»Was für eine Überraschung?«, fauchte Juneau und schnaubte durch die Nase. »Setz dich!«, befahl er und Fredrik tat, wie ihm geheißen.

Inge brachte ihm einen Teller. Er warf ihr ein Lächeln zu und dankte ihr leise. Inge sah aus, als wüsste sie nicht, wie sie auf diese einfache höfliche Geste reagieren sollte. Schließlich nickte sie und eilte davon wie ein verschrecktes Reh.

»Er sagte, es handelt sich um ein Accessoire für dein Schlafzimmer und dass du es lieben wirst.«

Fredrik konnte sein Schaudern unterdrücken. Gott allein wusste, was die zurückgebliebenen Kumpel seines Bruders jetzt wieder im Schilde führten, aber es war mit Sicherheit nichts Gutes. Er aß, aber das Essen schmeckte nach nichts. Fredrik aß nur um des Essens willen. Es war nahezu unmöglich, das Essen in seinem Mund zu schmecken. Er war hier ein Gefangener, mehr nicht. Er musste einen Weg finden, von hier zu verschwinden, und er musste ihn schnell finden.

Als er fertig war, nahm Fredrik seinen Teller, stellte ihn in die Spüle und wollte in sein Zimmer zurückkehren. Er musste hier weg.

»Setz dich wieder hin«, sagte Juneau. Fredrik seufzte und setzte sich. »Unsere Zeit wird bald kommen. Ich fühle es. Die Rudel, die sich nach Vaters Tod abgespalten haben, versuchen noch immer, wieder auf die Füße zu kommen. Volokov ist überfordert und auch wenn ihn all diese neuen Alphas ihn zum Oberalpha gewählt haben, oder wie sie es sonst nennen, kann er doch nicht überall sein.« Juneau grinste.

»Was werden wir tun?«, fragte Yuri und rieb sich die Hände. »Ich will ihn alleine in die Finger bekommen, selbst wenn es nur für ein paar Minuten ist.«

Juneau sprang auf und sein Stuhl fiel krachend zu Boden. »Volokov gehört mir, schlicht und einfach.« Er umklammerte die Tischkante und beugte sich näher zu Yuri. »Hast du das verstanden?«

»Ja, natürlich«, sagte Yuri und entblößte seinen Hals ein wenig.

»Gut. Er hat meinen Vater getötet und ich werde alles zurückholen, was er besessen hat. Mehr noch sogar, denn ich werde mir auch Old Faithful holen. Alles davon.«

Yuri zeigte doch so etwas wie Intelligenz ‒ oder vielleicht einfach nur Selbsterhaltungstrieb ‒ und nickte. Juneau setzte sich langsam wieder hin.

Fredrik wollte seinen Bruder fragen, wie er sich dieses Vorhaben vorstellte. Die anderen Rudel hatten sich unter Volokov vereinigt und jetzt, da sie eine Person hatten, der alle vertrauten, waren sie auch stärker. Aber Fredrik blieb stumm; er wollte nicht schon wieder geschlagen werden.

Am Ende saß er eine weitere Stunde am Tisch und musste zuhören, wie Yuri und Juneau über all ihre grandiosen Pläne sprachen, die absolut nichts wert waren. Juneau war ebenso rücksichtslos wie ihr Vater, aber er war sogar noch verrückter, falls das überhaupt möglich war.

Ein Truck kam draußen zum Stehen. Das tiefe Rumpeln sagte ihm, dass es sich um einen großen Truck handelte, wahrscheinlich, um etwas zu kompensieren. Als der Lärm aufhörte, öffnete und schloss sich quietschend eine Tür, eine weitere folgte. Dann glitt Dimitri herein wie die Schlange im Wolfspelz, die er war. Wo Yuri stark war und dazu neigte, möglichst laut zu sein, war Dimitri hinterhältig und agierte aus dem Verborgenen.

»Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht«, sagte er zu Juneau. »Willst du, dass ich es dir hole?« Er lächelte und offenbarte seine vordere Zahnlücke. Damit sah er noch mehr wie ein Bauerntölpel aus als sein Bruder, aber das Aussehen konnte trügen.

»Sicher.« Juneau lehnte sich zurück und wartete, während Dimitri zurück zu seinem Truck ging.

Fredrik schämte sich, aber auch er drehte sich um, um zuzusehen. Er schluckte hart und übergab sich beinahe, als er sah, wie Dimitri mit jemandem auf seiner Schulter zurückkam. Es war ein Mädchen, etwa sechzehn Jahre alt und sie war ein hübsches, junges Ding. Eindeutig ein Wolf und noch dazu stark.

Juneau grinste und Fredrik rümpfte die Nase, als er die Erregung seines Bruders roch. »Sie ist noch ein Kind.«

»Kümmere dich um deinen eigenen Mist. Sie ist alt genug, um Welpen zu haben, und bei Gott, ich glaube, sie wird meine bekommen.«

Sie begann sich zu winden und zu wimmern. Sie leistete noch immer Widerstand und Fredrik war froh darüber, auch wenn das für sie noch mehr Ärger bedeutete. Gott wusste, sein Bruder hatte keine Skrupel, wenn es darum ging, das zu bekommen, was er haben wollte.

»Bring sie in mein Zimmer. Ich glaube, die hebe ich mir für später auf.«

Dimitri trug das an Händen und Füßen gefesselte Mädchen quer durch das Zimmer und warf sie auf das Sofa. Ihre Augen zuckten umher und sie biss in den Knebel in ihrem Mund. Der Geruch von Angst erfüllte den Raum, aber darunter lagen Mut und Stärke. Fredrik wusste, sie würde beides brauchen, wenn sie überleben wollte.

»Jetzt vergewaltigst du also auch noch Kinder«, sagte Fredrik, stand auf und ging in Richtung des Zimmers, das ihm zugewiesen worden war.

»Das hat nichts mit Vergewaltigung zu tun. Sie will mich, das kann ich in ihren Augen lesen, und sobald es Nacht geworden ist, wird diese Kleine nach mir schreien. Nicht wahr?« Juneau tätschelte ihre Wange und Fredrik lief es kalt den Rücken hinab.

Dimitri hob das Mädchen vom Sofa hoch und trug sie ins Schlafzimmer, wo sie wahrscheinlich gefesselt liegen bleiben würde, bis Juneau für sie bereit war.

Die Vorstellung, seinem Bruder dabei zuhören zu müssen, wie er... Gott... Fredrik lief eilig ins Badezimmer und schloss die Tür hinter sich. Sein Mittagessen bekam einen zweiten Auftritt und er spülte es so schnell wie möglich die Kloschüssel hinunter. Sollte sein Bruder hören oder riechen, was er hier tat, wäre wieder die Hölle los.

Er klappte den Klodeckel herunter und setzte sich darauf. Durch die Tür hindurch konnte er sie kaum verstehen, aber manchmal hörte er ihr schallendes Gelächter und die Witze darüber, wie viel Spaß Juneau daran haben würde, das Mädchen, das im Schlafzimmer lag, zu entjungfern. Gott, sie waren krank und wenn sein Magen nicht bereits leer wäre, hätte er sich noch einmal übergeben. Was stimmte mit seinem Bruder nicht?

Okay, Halbbruder. Zum Glück hatten sie nicht dieselbe Mutter. Vielleicht war das der Unterschied. Er und Juneau stammten ganz sicher vom gleichen Vater ab, daran bestand kein Zweifel. Die beinahe schwarzen Augen waren der Beweis dafür. Die meisten von Antons Kindern hatten diese Augenfarbe und Juneau hatte eine Menge Halbbrüder und Halbschwestern. Der sexuelle Appetit ihres Vaters war ebenso stark gewesen wie Juneaus. Nach der Niederlage ihres Vaters hatte sich die Familie in alle Winde verstreut und jetzt sah es so aus, als wollte Juneau sie wieder zusammenführen. Gott...

Fredrik betätigte die Toilettenspülung noch einmal und öffnete die Badezimmertür. Die drei redeten noch immer, leiser diesmal, aber das war egal. Er konnte sie noch immer hören. Juneau besaß einen hervorragenden Geruchssinn, aber sein Gehör war nicht so scharf wie Fredriks. Etwas, was Fredrik ihm nie erzählt hatte.

In Antons Familie lernten die Rudelmitglieder schnell, sich auf jeden Vorteil zu stützen, der ihnen das Überleben sicherte, und mehr als einmal hatte Fredrik gehört, wie sich die Wut in seinem Vater oder seinem Bruder angestaut hatte und war ihnen vorsorglich aus dem Weg gegangen, bis sie sich wieder beruhigt hatten.

»Lasst uns laufen gehen. Ich muss irgendwas jagen«, sagte Juneau. Fredrik hatte die Tür zu seinem Zimmer erreicht und trat ein. Er schloss sie so leise wie möglich hinter sich und stand regungslos da, versuchte nicht zu atmen, damit er sie hören konnte.

Die Haustür öffnete und schloss sich. Fredrik hoffte, dass sie alle fort waren, aber wahrscheinlich war einer der bekloppten Zwillinge hiergeblieben. Er lauschte an der Tür und öffnete sie einen Spalt, schnupperte, ob sich noch jemand im Haus befand. Er roch Angst und hörte im Nebenzimmer leises Schluchzen, mehr aber nicht. Er trat aus dem Zimmer. In diesem Moment hörte er einen Stuhl über den Boden kratzen. Wie er es befürchtet hatte. Fredrik straffte die Schultern und ging zurück in den offenen Hauptraum.

Dimitri saß am Tisch und starrte ins Leere. »Was hast du vor? Juneau hat gesagt, ich soll hierbleiben und ein Auge auf dich und das Geschenk haben.« Er grinste idiotisch. »Aber ich habe mir überlegt, dass du mein Geschenk sein könntest.« Er stand auf. »Ein Loch ist ein Loch, nicht wahr? Außerdem wette ich, dass dir gefällt, was ich für dich habe.«

Fredrik schluckte hart. »Das glaube ich nicht. Du bist nicht mein Typ.«

»Bin ich nicht, hah? Ich bin ein Kerl und du magst Kerle, also dachte ich mir, ich finde mal raus, was es damit so auf sich hat.« Er kam näher und Fredrik trat einen kleinen Schritt zurück. Dimitri stampfte mit dem Fuß auf und lachte. »Ich werde mich nicht mit so einem wie dir beschmutzen. Du kannst aufhören so auszusehen, als würdest du gleich die Wände hochgehen.« Er ging zu dem kleinen Tisch neben dem alten Sofa, zog die Schublade auf und nahm ein Kartenspiel heraus. Er begann sie zu mischen, wieder und wieder. Das schnipsende Geräusch der Karten erfüllte das kleine Zimmer.

Fredriks Kehle war knochentrocken, also öffnete er den Kühlschrank und nahm sich ein Wasser heraus. Inge war auch gegangen, also waren nur noch Dimitri und er hier. Sein Blick wanderte immer wieder zu Juneaus Tür. Dahinter befand sich ein zu Tode verängstigtes Mädchen. Der Geruch allein reichte aus, damit sich ihm wieder der Magen umdrehte. Er öffnete die Flasche, spülte sich den Mund aus und spuckte das Wasser in die Spüle. Dann trank er einen tiefen Schluck und die Flüssigkeit landete mit einem hohlen Klatschen in seinem Magen. Er schloss die Kühlschranktür und öffnete eine der Küchenschubladen. Er brauchte eine Waffe, irgendetwas, das gerade greifbar war, wenn er gegen Dimitri eine Chance haben wollte. Der war zwar kleiner als Yuri, aber Fredrik war ihm physisch nicht gewachsen. Verdammt, er konnte es von der Statur her mit niemandem in der Familie aufnehmen. Sein Vater hatte ihn immer seinen kümmerlichen Welpen genannt.

»Was hast du vor?« Dimitri sah nicht einmal von seinem Spiel auf.

»Ich hole mir nur etwas Wasser. Willst du auch welches?«

»Ne. Gib mir lieber ein Bier«, sagte er und legte eine weitere Karte aus. »Ich habe Augen im Hinterkopf. Ich weiß, wenn du versuchst, irgendetwas abzuziehen.«

Fredrik öffnete abermals den Kühlschrank und nahm ein Bier heraus. Als er die Tür wieder schloss und die Schublade neben dem Kühlschrank aufzog, musste er sich zurückhalten, um nicht vor Freude zu jubeln. Er hatte die Messer gefunden. Er nahm eines heraus, trug das Bier zu Dimitri und stellte es vor ihm ab.

»Ich weiß, was du vorhast«, sagte Dimitri und packte seine Hand. »Ich weiß alles und du bist nur ein Kümmerling. Glaub also ja nicht, dass du hier irgendetwas versuchen und damit durchkommen kannst. Wenn ich zulasse, dass du verschwindest, hat Juneau mich bei den Eiern und ich würde sie lieber behalten. Und du kommst hier nur raus, wenn ich es zulasse.«

»Ist das so?« Fredrik zuckte zurück und rammte das Messer in Dimitris Hals, ehe er ihn auf den Tisch stieß. Er schaffte es, dem Blut auszuweichen, aber es spritzte überall auf den Fußboden. »Du Stück Scheiße denkst vielleicht, ich bin klein, aber ich kann kämpfen«, sagte er. Dimitris Augen wurden starr und er rührte sich nicht mehr.

Fredrick wich zurück. Sein Herz raste, als er zurückwich, und versuchte, auf dem Weg zu Juneaus Zimmer nicht auf der immer größer werdenden Blutlache auszurutschen. Er riss die Tür auf und keuchte. Das Mädchen lag, an Knöcheln und Handgelenken gefesselt, auf dem Bett. Sie war mit einem Laken bedeckt, aber man sah deutlich, dass sie darunter nackt war. Ihre bernsteinfarbenen Augen waren so groß wie Untertassen und wenn er an Frauen interessiert wäre, würde er sie garantiert für eine der hübschesten Frauen halten, die er jemals gesehen hatte.

»Ich werde dir nichts tun, aber wir müssen hier raus.« Fredrik löste die Fesseln um ihre Handgelenke und nahm ihr den Knebel ab. »Du musst leise sein. Nimm dir die Fußfesseln ab, ich hole dir etwas zum Anziehen.« Fredrik war schon wieder in Bewegung. Als er aus dem Zimmer trat, schlug er einen Bogen um Dimitri und ging in sein Zimmer. Er nahm ein T-Shirt, eine Jogginghose und ein Paar dicke Socken aus seiner Kommode. Er hatte keine Schuhe, die ihr passen würden, also musste es auch so gehen. Als Fredrik zurückkehrte, war das Mädchen bereits aufgestanden. Das Laken hielt sie um sich geschlungen. »Wir müssen in zwei Minuten hier weg sein«, sagte er.

Sie nickte und nahm die Anziehsachen.

Zum letzten Mal kehrte Fredrik in sein Zimmer zurück und holte die wenigen Dinge, die ihm wichtig waren: sein Handy, seine Brieftasche und ein Foto seiner Mutter. Er nahm auch seine geheimen Ersparnisse mit. Als er aus dem Zimmer kam, stand das Mädchen vollständig angezogen im Flur. Er nahm sie im Vorbeigehen bei der Hand und zog sie praktisch zur Vordertür der Hütte.

»Scheiße«, fluchte Fredrik.

»Was ist?«

»Ich brauche die Schlüssel.« Er kehrte zu Dimitri zurück und durchsuchte dessen Taschen. Er fand ein Handy und dann seine Schlüssel. Fredrik griff sich auch sein Portemonnaie, nahm das Geld heraus und ließ den Rest auf den Boden fallen. »Hab sie.«

Er führte das Mädchen aus der Hütte und zu Dimitris Truck. Das Fahrzeug war der einzige neue Gegenstand in der Umgebung. Fredrik öffnete die Tür und stieg ein. Er wartete, bis auch das Mädchen eingestiegen war, startete den Motor und fuhr so schnell er konnte los, nachdem sie die Tür geschlossen hatte. »Zu welchem Rudel gehörst du?«, fragte Fredrik.

»Warum?«, fragte sie und drückte sich gegen die Tür, um so viel Abstand zwischen ihnen beiden zu lassen wie möglich.

»Damit ich dich nach Hause bringen kann.«

»Mein Onkel ist der Alpha des Old Faithful-Rudels«, erwiderte sie.

Herr im Himmel. Fredrik fragte sich, ob Yuri und Dimitri gewusst hatten, wer sie war. Nicht, dass das für sie einen Unterschied gemacht hätte. Ihnen ging es nur darum, sich was oder wen auch immer zu nehmen, wenn ihnen danach war.

»Okay. Ich kann dich in ihr Revier bringen und du musst mich dann zum Gelände des Rudels führen.«

»Du bringst mich wirklich nach Hause?« Er konnte den Zweifel in ihrer Stimme hören, nur einen Zentimeter unter der Oberfläche verborgen.

»Ja. Natürlich mache ich das. Aber erst müssen wir so weit von hier weg wie nur möglich.«

»Hast du den anderen Wolf wirklich getötet? Du bist nicht viel größer als ich.«

»Ich habe ein Messer benutzt, aber ja: Ich habe ihm die Kehle durchstochen. Ich konnte nicht zulassen, dass sie dir wehtun.« Seine Hände zitterten und als er zu schnell in eine Kurve ging, balancierte der Truck kurzzeitig auf zwei Rädern, aber sie mussten schnell so weit wie möglich wegkommen. Wenn man sie schnappte, wäre er ebenso tot wie Dimitri und das Mädchen erwartete ein Schicksal, weit schlimmer als das, was ihr bevorgestanden hätte, bevor er versucht hatte, sie zu retten.

»Warum?«, flüsterte sie. »Du hast die gleichen Augen wie ihr Anführer.«

»Er ist mein Arschloch-Halbbruder. Ich bin Fredrik Romanov und ich werde dir nichts tun. Du brauchst also nicht weiter zu versuchen, mit der Autotür zu verschmelzen.«

Sie entspannte sich ein wenig. »Jane«, sagte sie mit überraschend kräftiger Stimme. »Jane Stephenson.«

Als er ihren Nachnamen hörte, hob er die Augenbraue. Damit hatte er nicht gerechnet.

»Meine Mutter ist Alpha Volokovs Schwester.« Sie hielt sich fest, als er schneller wurde und auf die Hauptstraße einbog, die durch den Park führte.

Bald waren auch andere Fahrzeuge auf der Straße zu sehen und Fredrik fühlte sich etwas besser, auch wenn er den Truck eines toten Mannes fuhr. Immerhin, dieser Mann war ein Wolf gewesen, was bedeutete, dass Juneau auf keinen Fall die Polizei rufen würde. Das Letzte, was er wollte, waren Polizisten, die sich in seine Angelegenheiten einmischten. Sicherlich war Juneau wütend genug, um die Hütte mit bloßen Händen auseinanderzunehmen, aber er würde sicherlich niemanden zu Hilfe rufen. Er würde sich persönlich an Fredrik rächen wollen und das so brutal wie nur irgend möglich. Daran bestand für Fredrik kein Zweifel.

»Schön, dich kennenzulernen. Ich hätte mir nur wirklich gewünscht, es wäre unter besseren Umständen gewesen.« Fredrik griff in seine Hosentasche und zog sein Handy heraus. Er tippte den Code ein und reichte es Jane. »Ruf deine Familie an. Sag ihnen, dass du in Sicherheit und auf dem Weg nach Hause bist.«

Jane nickte und gab die Nummer ein. Fredrik wusste sofort, dass jemand den Anruf angenommen hatte, denn Jane brach in Tränen aus. »Es geht mir gut, Mama. Fredrik hat mich gerettet und er bringt mich nach Hause.« Sie riss sich schnell wieder zusammen und die Tränen versiegten. »Niemand hat mir etwas getan, aber sie wollten es. Sie haben mir nur Angst gemacht.« Verflixt, Jane hatte mehr Mut und innere Stärke, als Fredrik ihr zugetraut hatte.

»Sag ihr, wir fahren in einem dunkelgrauen Chevy Truck so schnell es geht durch den Park. Wir sollten in etwa einer Stunde am Revier eures Rudels sein.« Der Verkehr wurde spärlicher und Fredrik fuhr so schnell, wie er es wagte. Jeder Kilometer brachte ihn weiter weg von seinem Bruder und Jane weiter in Sicherheit.

Jane gab seine Botschaft weiter. »Sag Onkel Mikael, dass es mir gut geht.« Eine kurze Pause. »Ich bin es, Onkel Mikael... Ja, ich bin wirklich okay... Erinnerst du dich, ich bin in die Stadt gegangen. Ich habe ein paar Sachen für Gran besorgt... Ja, ich bin okay. Es war beängstigend, aber niemand hat mir etwas getan, auch wenn Fredrik jemanden töten musste, um mich zu retten. Und er fährt wie Onkel Karl.« In ihrer Stimme lag ein Hauch Fröhlichkeit. »Ich habe dich auch lieb. Ich rufe noch einmal an, sobald wir uns dem Revier nähern.« Sie legte auf und behielt das Handy in der Hand. Nach ein paar Sekunden klingelte es und Jane nahm ab. »Daddy, es geht mir gut.« Jetzt fing sie an zu weinen. »Wirklich. Fredrik hat mich gerettet und er ‒ sie werden ihn töten, wenn sie ihn finden.« Sie lauschte ein paar Minuten, verabschiedete sich dann und legte auf.

»Sehen wir einfach zu, dass du nach Hause kommst«, sagte Fredrik. Dann würde er sich überlegen, wie er so weit wie nur menschenmöglich von seinem Bruder flüchten konnte. Vielleicht sollte er sich einen anderen Wagen besorgen und nach Osten fahren. Möglicherweise fand er dort ein Rudel, dem er sich anschließen konnte. Vielleicht gab es dort auf dem Land noch ein Rudel, das noch nicht von seinem Vater gehört hatte.

Jane schwieg und Fredrik versank in seinen eigenen Gedanken.

»In etwa sieben Kilometern musst du die Straße verlassen«, sagte Jane, während sie immer tiefer in den Park hineinfuhren. »Die Straße ist noch ein paar Kilometer asphaltiert und dann nur noch ein Schotterweg. Das ist die Grenze des Rudelreviers und ich schätze, meine Familie wird uns dort erwarten.«

»In Ordnung«, sagte Fredrik.

Wieder schwieg sie für ein paar Minuten und Fredrik ließ den Truck weiter die Kilometer fressen. »Warum hast du das getan?«, fragte Jane. »Du hast viel riskiert, um mich zu retten, und du hast den Mann getötet, der mich entführt hat.«

»Er hatte es verdient. Niemand sollte gezwungen sein, das zu erdulden, was mein Bruder geplant hat. Er wollte sich nehmen, was nicht ihm gehört und was du ihm auch nie geben würdest.«

»Ich habe gehört, was dieser Typ zu dir gesagt hat.«

»Na ja, Männer wie ich sind nicht willkommen im Rudel meines Bruders.«

»Nicht alle sind so.« Jane schien etwas von ihrem früheren Selbstbewusstsein wiedererlangt zu haben. »Niemand würde es wagen, so etwas im Old Faithful-Rudel zu sagen. Onkel Mikael und Onkel Denton würden das nicht zulassen. Sie glauben, jeder verdient es, einen Ort zu haben, an dem er er selbst sein kann.«

»Klingt, als hättest du diese Rede schon oft gehört«, sagte Fredrik. Jane nickte und lächelte. Die Sonne ging bereits hinter ihnen unter, als Fredrik die Old Faithful-Grenze erreichte. Ein halbes Dutzend Fahrzeuge versperrte den Weg und er hielt an. Eine Menge Leute warteten am Straßenrand und sie scharten sich um Jane, als sie aus dem Truck stieg.

Fredrik öffnete die Fahrertür und blieb dahinter stehen, wartete, bis sie alle Jane begrüßt hatten. Es war eine berührende Szene, eine, wie Fredrik sie bisher nur wenige Male in seinem Leben miterleben durfte. Wärme und Zärtlichkeit waren nicht die Art seines Vaters gewesen und ein Stich der Eifersucht durchdrang ihn, als ihm aufging, was er sein Leben lang vermisst hatte.

Stimmen überlagerten sich, aber diese waren fröhlich und voller Glück. Dieses Geräusch war ihm fast fremd. Gelächter, Jubel, Fröhlichkeit ‒ nichts davon gehörte zu seinem Leben. Fredrik versuchte, sich zu verstecken und allen aus dem Weg zu gehen. Seine Mutter war die einzige Person gewesen, die ihm Zuneigung gezeigt hatte, und damit war es vorbei gewesen, als er sechzehn Jahre alt wurde. Also ja, Scheiß drauf, er war verdammt eifersüchtig auf Jane. Ein ganzes Rudel Wölfe war froh sie wiederzuhaben. Er hielt sich zurück, wollte ihr Glück nicht stören und wusste auch nicht, wie er damit umgehen sollte.

»Onkel Mikael, das ist Fredrik«, sagte Jane und der größte Wolf, den er jemals gesehen hatte, kam zu ihm herüber. Volokov war größer als Juneau, sogar größer, als sein Vater gewesen war.

»Danke, dass du sie zurückgebracht hast«, sagte Volokov. Er starrte ihn an, Macht drang ihm aus allen Poren.

»Ich konnte nicht zulassen, dass ihr jemand etwas tut. Sie ist unschuldig und Juneau weiß nur, wie man sich nimmt, was man will.« Er wand sich unter dem intensiven Blick, dann richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und erwiderte ihn mit erhobenem Kopf. Sein Vater hatte das früher immer getan und Fredrik hatte von ihm weit mehr zu fürchten gehabt als von Mikael Volokov. Immerhin war er derjenige gewesen, der seine Nichte sicher zurückgebracht hatte.

»Du besitzt Stärke.«

»Onkel Mikael, er hat einen Wolf getötet, um mich zu retten«, erklärte Jane und stellte sich neben ihren Onkel. »Sie hatten mich gefesselt und dieser Juneau...« Sie schauderte und Alpha Volokov legte seinen Arm um sie. »Er wollte...« Sie zögerte.

»Ich denke, dein Onkel versteht, was du meinst«, sagte Fredrik. »Und du warst sehr tapfer. Du hast einen kühlen Kopf behalten und mir dabei geholfen, aus dem Haus zu entkommen. Du solltest stolz auf dich sein.«

Eine Frau, auf die am besten die Beschreibung Amazone passte, kam auf Jane zu und nahm sie in die Arme. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht.«

»Es tut mir leid, dass ich alleine weggegangen bin. Ich wollte nur für Gran zum Laden und...«

»Schon okay. Du dachtest, wie wir alle, dass die Gefahr vorbei wäre und wir unser Leben wieder so führen können, wie wir es möchten«, sagte Mikael. »Wir wissen jetzt, dass dem nicht so ist und wir werden alle sehr viel vorsichtiger sein.« Seine Worte machten deutlich, dass das Thema noch nicht vom Tisch war, er es aber nicht hier diskutieren wollte. »Wir reden, sobald deine Mutter aufhört, dich zu beglucken und dich auch wieder aus den Augen lässt. Wahrscheinlich bist du bis dahin bereits achtzehn.«

Jane verdrehte die Augen, aber sie ließ ihre Mutter und den Alpha nicht los. »Können wir nach Hause gehen?«

»Sicher, Babygirl.« Ein Wolf, von dem Fredrik annahm, dass es sich bei ihm um Janes Vater handelte, führte sie von den beiden anderen weg, zog sie sofort in seine Arme und drückte sie einfach. Es brauchte keine Worte. Dann erlaubte Jane sich, zusammenzubrechen.

»Komm mit uns. Das Rudel schuldet dir etwas. Wir haben seit Stunden versucht, sie zu finden, bis ihr angerufen habt«, sagte Mikael.

Freddie zögerte. »Ich muss so weit von meinem Bruder weg wie irgend möglich. Ich habe einen seiner besten Freunde und Kumpel getötet, um sie da herauszuholen.« Er atmete tief ein. Seine Erinnerungen an die letzten Stunden überschlugen sich. Er wollte einfach nur weglaufen und sich irgendwo verstecken ‒ das befahl ihm sein Instinkt. Er kämpfte sonst nie um etwas. Er war kleiner als andere Wölfe, also floh er normalerweise, um Gefahren aus dem Weg zu gehen und er war nie in größerer Gefahr gewesen als jetzt.

»Was du brauchst, ist eine Gelegenheit, etwas zu essen, auszuruhen und nachzudenken«, sagte Alpha Volokov eindringlich. Er war eindeutig ein Wolf, mit dem man nicht diskutierte, aber in seiner Stärke lagen auch Freundlichkeit und Vernunft. Etwas, das Fredrik fast übersehen hätte, weil er nicht gewohnt war, das zu hören, zumindest nicht von anderen Wölfen. »Morgen früh bringen wir dich dorthin, wo immer du hinwillst.« Mikael wandte sich den anderen zu. »Zurück zum Lager, Karl«, rief er und ein starker Wolf mit einem breiten Grinsen in seinem Gesicht kam herübergerannt. »Ist das dein Truck?«, fragte der Alpha Fredrik, aber der schüttelte den Kopf.

»Es war das einzige Fahrzeug dort. Es gehörte dem Wolf, den ich getötet habe...« Die Erkenntnis dessen, was er getan hatte, traf ihn mit der Wucht einer Ziegelmauer. Er hatte jemanden getötet. Das hatte er noch nie zuvor getan. Ohne darüber nachzudenken, ohne jedes Mitgefühl hatte er das Messer in Dimitris Hals getrieben und dabei zugesehen, wie er verblutet war.

»Okay. Karl, nimm jemanden mit, fahrt den Truck weg und stellt ihn auf einem der Parkplätze der Touristenattraktionen ab. Es wird heute Nacht regnen, das sollte die Gerüche eindämmen. Hunderte von Menschen, die morgen früh über den Parkplatz laufen, werden die Duftspur weiter verschleiern.«

Fredrik griff in seine Hosentasche und zog widerstrebend den Autoschlüssel heraus. Dieser Truck war seine Chance auf Freiheit und er wollte ihn nicht einfach hergeben. »Wie...?« Es fühlt sich an, als würde er die Gefangenschaft unter seinem Bruder gegen die Gefangenschaft in einem anderen Rudel eintauschen, und er konnte absolut nichts dagegen tun.

»Dein Bruder wird nach dem Truck suchen, um dich zu finden, und wir wollen ihn so weit von uns und dir wegführen wie möglich. Wie ich bereits sagte, morgen helfen wir dir, dorthin zu kommen, wo du hinwillst. Am besten wäre dafür wahrscheinlich der Flughafen geeignet.«

Fredrik gab Karl den Schlüssel. Der pfiff und einer der anderen Wölfe eilte herbei. Sie sprachen kurz miteinander und dann fuhr einer im Truck und der andere in einem Auto davon. Fredrik wusste, dass der Alpha wahrscheinlich recht hatte, aber er hasste es, mitansehen zu müssen, wie der Truck verschwand.

»Alle zurück zum Lager«, rief Alpha Volokov und die Rudelmitglieder gingen zu ihren Fahrzeugen. Es war eng, aber alle kamen in den Wagen unter. Fredrik war sich nicht sicher, wo er mitfahren sollte, aber Alpha Volokov deutete auf die Vorderseite eines Volvos und Fredrik stieg ein.

»War Anton wirklich dein Papa?«, fragte ein Junge vom Rücksitz. Er war etwa acht Jahre alt und neben ihm saß sein Bruder, zumindest vermutete Fredrik das.

»Das war er, aber er war nie wirklich ein Papa«, erwiderte Fredrik ehrlich.

»Er war ein böser Wolf«, sagte der Welpe.

Fredrik drehte sich um. Der Welpe hatte die Arme über der Brust verschränkt, eine Kriegserklärung an jeden, der ihm widersprechen wollte.

»Alexi, Fredrik ist ein Gast«, wies der Alpha ihn sanft zurecht.

»Okay, Alpha Mikael. Aber Anton war wirklich böse.«

»Ich nehme an, du bist ein Alpha in Ausbildung«, sagte Fredrik zu Alexi, der nickte und seine ernste Miene beibehielt.

»Das ist er.« Alpha Volokov sah ihn kurz von der Seite an, während er fuhr, wahrscheinlich, um ihn im Auge zu behalten.

»Mein Vater war gemein und grausam zu jedem«, sagte Fredrik zu dem kleinen Alexi. »Ich schätze, ich hatte Glück, weil meine Mutter ganz anders war.«

»Anton gewann die Herausforderung gegen Alexis und Mishas Vater«, erklärte Alpha Volokov und Fredrik nickte. Er hatte schon viele Wölfe getroffen, die Alexis Gefühle teilten.

»Es tut mir leid«, sagte Fredrik zu den beiden Jungs. Er wusste nicht, was er sonst sagen sollte. Was sagte man zu den Welpen von jemandem, den das eigene Arschloch von einem Vater in blindwütiger Raserei auf der Suche nach Macht getötet hatte? Dafür gab es keine Beileidskarten.

»Wir wohnen jetzt bei Alpha Mikael«, sagte Misha. »Er ist wie unser Papa, aber er ist nicht unser Papa. Nicht wirklich. Genau wie Alpha Denton.«

Fredrik wusste überhaupt nicht mehr, was er sagen sollte. Er saß nur still da, fuhr einfach mit und fragte sich dabei, in was er sich da reingeritten hatte.

Nachdem Alpha Volokov abgebogen war, wurde die Straße für einige Kilometer unwegsamer. Nach einer weiteren Kurve parkten sie vor einem großen, rustikal aussehenden Haus. Die anderen Autos und Trucks parkten hinter ihnen. Alle stiegen aus und noch mehr Wölfe kamen, um mitzufeiern.

»Okay«, schnitt eine weibliche Stimme durch den Lärm. »Ich habe mehr als genug zu essen da. Lasst uns alle hineingehen.« Das musste die Mutter des Alphas sein.

Die Wölfe strömten hinein und Fredrik ging ihnen aus dem Weg. Alpha Volokov blieb zurück und ein Wolf, fast ebenso groß wie er, kam zu ihm. Sie standen nah beieinander. Sie sprachen nicht miteinander, schienen aber auf andere Weise miteinander zu kommunizieren. Er wusste nicht, was ihn so sicher machte; vielleicht lag es an der Art und Weise, wie sie sich ansahen.

Als die beiden Männer sich umarmten und feurig küssten, drehte Fredrik sich weg. Erregung und der Geruch von Leidenschaft erfüllten die Nacht. Fredrik machte angesichts der Intensität einen Schritt zurück. Er versuchte, nicht auch erregt zu werden, da er wusste, dass sie es riechen würden. Das Letzte, was er wollte, war, zwischen zwei Gefährten zu stehen, die auch noch Alphas waren.

»Fredrik«, rief Alpha Volokov, nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten. Sie standen noch immer nah beieinander, berührten einander, als würden sie es brauchen. Fredrik fragte sich, wie es sich anfühlen musste, so jemanden an seiner Seite zu haben. »Das ist mein Gefährte, Denton. Denton, Fredrik hat Jane vor seinem Bruder gerettet.«

Fredrik schüttelte dem viel größeren Wolf die Hand. »Es tut mir leid, dass meine Blutlinie dir und den Deinen so viel Kummer bereitet hat.«

Beide starrten ihn an. »Eine interessante Art, das auszudrücken«, sagte Alpha Denton.

»Ich weiß. Du hättest wahrscheinlich das Wort Familie benutzt. Aber was glaubst du, was für eine Art von Familie mein Vater hatte? Es war keine Familie. Mehr ein Rudel Hyänen, wo jeder nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht war und immer versucht hat, andere auszunutzen.« Er wich zurück. »Wenn ihr mir einfach sagt, wo ich bleiben kann, gehe ich dorthin und allen anderen aus dem Weg. Und wenn ihr mich zum nächsten Flughafen bringen könntet, besorge ich mir einen Flug irgendwohin und ihr seid mich so bald wie möglich wieder los.«

»Komm mit«, sagte Alpha Denton und deutete auf die Tür.

Als Fredrik eintrat, brandete Applaus auf und er blieb abrupt stehen. Er sah hinter sich. Jane, jetzt mit ihren eigenen Sachen bekleidet, nahm seine Hand und zog ihn mit sich nach vorn.