Die Seerose im Speisesaal - Ulrich Tukur - E-Book

Die Seerose im Speisesaal E-Book

Ulrich Tukur

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Beschreibung

Ulrich Tukur ist mit diesem Band eine bezaubernde Hommage an die Lagunenstadt gelungen, wo er seit Jahren lebt. Seine Geschichten sind romantisch, komisch und voller liebenswerter Figuren. Mit unbändigem Vergnügen und einer tiefen Zuneigung nähert er sich den Spuren in dieser Stadt und fügt sie zusammen zu einem poetischen Vexierspiel zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Fiktion und Realität.

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Das Buch

Es gibt keine zweite, die so ist wie sie. Schöner als alle anderen, geheimnisvoller, leuchtender, melancholischer. Voll von Geschichte und Geschichten. Mit der Neugier des Fremden, der dennoch längst zu ihr gehört, entdeckt Ulrich Tukur in Venedig das Außerordentliche im Alltäglichen. Plötzlich offenbaren sich in der historischen Kulisse wie selbstverständlich die absonderlichsten Dinge. Da befindet sich am deutschen Konsulat ein Klingelschild, das an ein berühmtes Gesicht mit Schnauzbart erinnert – und damit zugleich an die faschistische Vergangenheit Italiens und einen anderen deutsch-ita­lienischen Flirt, der sich zu jener Zeit in Venedig zugetragen haben soll. Oder es herrscht wieder mal Hochwasser in der Lagune, auf dem der Autor sich durch die Jahrhunderte treiben läßt, dabei auf seine eigene Familie stößt und schließlich selbst vor Anker geht.

»Ach, wenn Ulrich Tukur sich doch nur entschließen könnte, weiterzuschreiben: Das wären schöne Aussichten.«

NDR Kultur

Der Autor

Ulrich Tukur, 1957 in Viernheim geboren, studierte Germanistik, Anglistik und Geschichte, bevor er an die Staatliche Schauspielschule Stuttgart ging. Noch zu Studienzeiten spielte er in Michael Verhoevens Film Die weiße Rose, später wurde das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg unter der Leitung von Peter Zadek zu seiner künstlerischen Heimat. Tukur bevorzugt die abgründigen, zerrissenen Figuren, er brillierte als Andreas Baader ebenso wie als Hamlet, Jedermann oder Bonhoeffer und zuletzt als Stasioffizier Anton Grubitz in dem mit einem Oscar ausgezeichneten Film Das Leben der Anderen. Ulrich Tukur, der für seine Arbeit zahlreiche Preise erhielt, lebt mit seiner Frau, der Fotografin Katharina John, in Venedig.

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Ungekürzte Ausgabe im List Taschenbuch List ist ein Verlag derUllstein Buchverlage GmbH, Berlin 1. Auflage Oktober 2008 4. Auflage 2011

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2007/claassen Verlag Agentur: Montasser Media © der Photographien: Katharina John Umschlaggestaltung und Konzeption: RME, Roland Eschlbeck und Kornelia Rumberg Titelabbildung: Katharina John Satz und eBook bei LVD GmbH, Berlin

ISBN 978-3-8437-0538-7

Meinen Eltern

»Una bugia è una bugia, cento bugie sono mezza verità«Loredan

Vorwort

Unendlich viel ist über Venedig geschrieben worden und, nebenbei bemerkt, auch unendlich oft, daß unendlich viel über Venedig geschrieben worden ist. Versänke die schönste aller Städte nicht ohnehin in der Lagune, so würde sie schon so von den Myriaden Worten, die sie darzustellen und zu beschreiben suchen, langsam unter Wasser gedrückt und fortgespült.

Dies ist kein Buch über Venedig, es ist ein Buch, das nur in Venedig hat entstehen können. Zwar taucht die Stadt in jeder der folgenden Geschichten auf, aber sie spielt nicht die Hauptrolle, ist vielmehr Kulisse für denkwürdige und bedeutungslose Auftritte, vor allem aber Knotenpunkt, an dem vieles auf sonderbare Weise zusam­menläuft, was scheinbar nichts miteinander zu tun hat.

Venedig ist eine Bühne, auf der zahllose Akteure standen, manche haben Spuren hinterlassen, andere werden erst sichtbar, wenn man die Staubschicht abträgt, die die Zeit auf jedes abgespielte Stück legt.

Und so ist es, ohne daß ich es beabsichtigte, auch ein Buch über den Tod geworden. Ich habe ihn in dieser Stadt oft beobachtet, hier fühlt er sich wohl, er versteckt sich nicht und hat auf San Michele die schönste Heimstatt, die man sich denken kann. Und da er so entspannt durch die düsteren Gassen und über die lichten Plätze wandelt, zeigt er sich – auch wenn er nicht wirklich Humor hat – hin und wieder von seiner komischen Seite.

Maria, die Gemüsehändlerin, zum Beispiel, deren Laden gleich um die Ecke lag und die ihre beiden Kinder sinnigerweise Rosa und Marino getauft hatte, war eines Abends beim Spazierengehen ohnmächtig geworden, mitsamt ihrem Hund in den Kanal gefallen und ertrunken. Ihr Herz war nicht mehr das allerbeste gewesen, und weil sie überdies auch noch schlecht sah und die Brille im Laden vergessen hatte, war ihr ein falsches Medikament in die Hände geraten und hatte ihrem Leben ein überraschendes Ende gesetzt. Ihr Hund, der das Aussehen einer überdimensionalen Blutwurst besaß, aber schwimmen konnte wie ein Fisch, soll so lange gebellt und geheult haben, bis ein Herr in einem weißen Anzug erschien, der ohne zu zögern ins Wasser sprang und ebenfalls ertrank. Zwei Tage später hing ein Anschlag mit ihrem Bild an der Vaporettostation, auf dem Ehemann, Kinder und Angehörige ihrer Erschütterung und tiefen Trauer Ausdruck verliehen und zur Begräbnisfeier in die Redentore-Kirche luden.

Oder der immer betrunkene Lamberto, von dem K. ganz aufgeregt berichtete, er stünde direkt unter unserer Wohnung am Kanal, diskutiere mit den Möwen und schwanke geradezu furchterregend hin und her. Ich versicherte ihr, daß Betrunkene selten stürzten, und wenn, dann hätten sie stets das Talent, sich nicht zu verletzen, ja nicht einmal weh zu tun. Als ich kurze Zeit später zufällig aus dem Fenster sah, herrschte draußen hektische Be­trieb­samkeit. Eine Krankenbarkasse hatte am Kai festgemacht, und zwei Boote der Carabinieri kreuzten mit Blaulichtern auf dem Kanal. Menschen liefen wild gestikulierend die Uferpromenade entlang oder gafften mit offenem Mund auf das Wasser. Lamberto war doch hineingefallen, und da es winterlich kalt war, auf der Stelle einem Herzschlag erlegen und untergegangen. Einige Tage später brachte auch seine Familie eine Nachricht an der Haltestation an, daß man in der Eufemia-Kirche für seine arme Seele bitten wolle. Derlei Dinge habe ich hier immer wieder erlebt, sie spielen sich nicht im Verborgenen ab, sie sind sichtbar und alltäglich; es ist, als risse der Henkel einer Einkaufstüte und ihr gesamter Inhalt purzele aufs Straßenpflaster.

In den folgenden Geschichten wird Seltsames geschehen, einiges mag übertrieben, ja phantastisch erscheinen, aber so wahr es eine Stadt gibt, die wie eine losgerissene Blüte im Meer treibt, so wahr hat sich auch alles abgespielt. So oder so ähnlich.

Das Letzte zuerst

Daß ich am 19. November eines unnatürlichen und viel zu frühen Todes gestorben bin, verdanke ich einer banalen chemischen Reaktion. Ich hatte in der ersten Novemberwoche mit Hilfe zweier junger Männer aus dem toskanischen Bergdorf M., in dem ich mir Jahre zuvor einen bereits in den neunzehnhundertfünfziger Jahren verlassenen und völlig heruntergekommenen Bauernhof gekauft hatte, meinen ersten eigenen Wein von den noch jungen Rebstöcken gelesen und nach seiner Pressung auf siebzehn Eichenholzfässer gefüllt. Die Fässer lagerten in einem restaurierten Keller, der über eine lange, steil nach unten führende Steintreppe zu erreichen war. Das Gewölbe selbst war eng und feucht, besaß aber für die Entwicklung und Lagerung des Weines die richtige, konstante Temperatur. Daß ich es geschafft hatte, auf schwierigem Terrain und in fast eintausend Meter Höhe einen kleinen Weinberg anzulegen, ihn mit Rebstöcken einer resistenten Weißwein­sorte zu bepflanzen, die ich mir aus Südtirol hatte kommen lassen, daß vier Jahre später die ersten Trauben schwer und golden zwischen den Blättern hingen und der Herbst mir in jeder Weise zuarbeitete, erfüllte mich mit einer Freude, die ich nie zuvor so intensiv erlebt habe. Ich hatte keine wirkliche Kenntnis, wie der Rebensaft genau zu behandeln sei, damit sich in den Fässern ein Wein entwickle, der mir nicht gleich ein Loch in den Magen schlüge. Es gab so viel verwirrende Informationen in den Fachbü­chern, die ich zu Rate zog, daß ich am Ende hilflos dastand und beschloß, meinem jungen Freund Enrico Ge­hör zu schenken, der mir empfahl, es wie die Bauern der Umgebung zu tun: Ich ließ die Fässer einfach offen, um sie nach Abschluß der Gärung mit einem Holzkeil zu verschließen.

Nach M. war ich durch die Vermittlung des englischen Malers G. gekommen, der mein Nachbar auf der Giudecca war und wie ich unter den heißen, unendlich schwü­len Sommern Venedigs litt. Er hatte eine Amerikanerin aus Seattle geheiratet, die drei Galerien in der Stadt betrieb; allesamt kosteten sie weit mehr, als sie einbrachten, und er war daher dazu verdammt, seine artistische Produktion auf einer gewissen quantitativen Höhe zu halten. Seine Frau war amüsant, wild und verschwenderisch, und in dem Maße, in dem sie die Szene beherrschte, verstummte er und ließ nur noch einige wenige bissige Sätze von sich hören, die stets einen gewissen Unterhaltungswert besaßen. Seine Hochzeit, so erzählte er mir, hätte er nur ertragen, weil sie ihm die seltene Gelegenheit geboten habe, möglichst viele Menschen auf einen Schlag zu beleidigen.

G. führte mich in die Gesellschaft von M. ein, eine noch weitgehend intakte Dorfgemeinschaft, die sich dadurch auszeichnete, daß die jungen Männer bis zum Alter von vierzig Jahren ihre Kinderzimmer bewohnten und das ­soziale Leben sich im Spannungsfeld zweier Bars abspielte, der »Bar Italia« und der direkt neben der Kirche befind­lichen »Bar Misericordia«, der Bar zur Barmherzigkeit, in der ebenso erbarmungslos getrunken wurde. Einmal am Tag zog man von einem Etablissement zum anderen, eine beachtliche körperliche Leistung, der bis zur Einnahme der nächsten Mahlzeit keine weitere folgte.

An jedem Wochenende im Sommer fand ein Fest statt zu Ehren der Wildschweine oder der heimatlichen Küche, des Weines, der Kartoffel-Tortelloni oder des Brotes, und in Ermangelung anderer Gründe sogar des Bieres.

Eine elektrisch bis an die Grenzen des Erträglichen verstärkte Kapelle spielte zum Tanz auf, und das ganze Dorf schwofte zu den traditionellen Liedern des »Ballo liscio«. Am Ende der Nacht lag sich der harte Kern unverwüst­licher Zecher in den Armen, brüllte »Firenze dorme«, und Florenz konnte nur froh sein, daß es weit genug entfernt lag.

M. hatte um die Jahrhundertwende eine touristische Glanzzeit erlebt, reiche Florentiner und Adlige aus Prato und Pistoia hatten sich Villen und Schlößchen gebaut, um die herrliche Landschaft des Apennin, die gute Luft und die sommerlich kühlen Temperaturen zu genießen, Hotels entstanden, im Winter konnte man sogar Ski laufen, das Land war kultiviert und strahlte im Licht einer sanften, geordneten Epoche. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es hier wie andernorts bergab, die Bauern verließen ihre Höfe, um in den Tuchfabriken von Prato Arbeit zu finden, die Felder, Wiesen und Weiden verwilderten, und die Hotels verschwanden bis auf einige wenige.

Hier lagerte also in einem Weinkeller in fast eintausend Meter Höhe mein ganzer Stolz, eingeschlossen in siebzehn Fässer aus französischer Eiche, dreitausendachthundert­undfünfundzwanzig Liter Traubenmost, die sich anschick­ten, mir die größte Überraschung meines Lebens zu bereiten.

Bei der Gärung des Mostes, die selbständig und bald nach Einfüllen der Fässer einsetzt, wird der enthaltene Trau­benzucker in Alkohol umgewandelt, ein gottgefälliger Vorgang, der mir naturwissenschaftlichem Kretin als einzige aller Stoffumwandlungen schon in der Schule eingeleuchtet hatte. Jeden Tag stieg ich mit einer Kerze hinunter in den Keller und legte mein Ohr an die Öffnungen der Fässer, denen ich allen einen Eigennamen gegeben hatte. Fiorenzo sprudelte und erzählte mir Geschichten vom harten Leben der Bauern, die hier oben im Schweiße ihres Angesichts dem kargen Boden entrissen hatten, was er nur hergeben konnte. Federico flüsterte von den Vollmondnächten und den Bergen, die wie hingelagerte Riesen träumend zusahen, wenn unter den mächtigen Buchen des Vorplatzes und im Licht der Fackeln zur Musik einer Handharmonika gesungen und getanzt wurde. Fatima zischelte von den Mädchen, die im Gestrüpp der Holunderbäume ihre Unschuld hingegeben hatten, zu einer Zeit, als der Hof schon lange verlassen und einsam dalag. Jedes Faß hatte eine Geschichte zu erzählen, und ich hielt mich Stunden bei meinen Freunden auf, und nie wurde mir die Zeit zu lang.

Am 19. November um die Mittagszeit setzte ein Schnee­sturm ein, und die Temperaturen erreichten einen Tiefpunkt, der für diese Region und Jahreszeit untypisch war. Am selben Abend stieg ich noch einmal in den Keller hinunter, um mich für einige Zeit zu verabschieden, denn ich mußte nach Venedig zurück. Ich schloß die schwere Holztür hinter mir, um zu verhindern, daß die kalte Luft hinunterzog und den Aufenthalt zu ungemütlich werden ließ. Es war schon fast Mitternacht, ich hatte einigen Rotwein vor dem Kamin getrunken und war ein wenig müde. Im Keller war es nicht kälter als sonst, und ich stellte die Kerze auf einen Hocker, der neben Francesca stand. Mit einem Gummischlauch zog ich etwas Wein aus Fabricios Bauch und fand ihn gar nicht schlecht, deutlich besser als zwei Tage zuvor, aber immer noch moussierend und zu süß. Ich saß in dem bequemen Lehnstuhl, den mir En­ricos Vater Dino zum Geburtstag geschenkt hatte, und erlebte einen dieser seltenen Momente, in denen man fühlt, daß man glücklich ist.

Mir war warm, droben vor der Tür tobte der Schneesturm, aber hier unten war es nur ein leises, beruhigendes Geräusch. Ich trank ein paar Gläser des noch gärenden, unfertigen Weines, der mir aber von allen auf der Welt einmal am besten schmecken würde, spürte den sanften Auf­ruhr im Magen, ließ meinen Blick liebevoll über die im Schatten schwebenden Weinfässer gleiten: Fabbro, Fio­­renzo, Faunia, Federico, Francesca, Fausto, Ferrucio, Fiona, Felice, Fabricio … und muß irgendwann eingeschlafen sein. Ich bemerkte nicht, daß die Kerze auf einmal erlosch, und ich ahnte auch nichts von der Existenz des Kohlendioxyds, eines Gases, das unmerklich den Faßöffnungen entwich, zu Boden sank und allmählich den Sauerstoff in dem engen, abgeschlossenen Gewölbe verdrängte.

Drei Tage später entdeckte mich K., die nach M. gefahren war, um nach mir zu suchen, in derselben sitzenden Position. Das Wetter war umgeschlagen, und wie ein meteorologischer Hohn spannte sich ein tiefblauer Himmel über die verschneiten Berge des Apennin. Sie funkelten im Licht einer verfrühten Wintersonne, schwerelos, als wären es Wolken, die am Boden ruhten, um sich im nächsten Augenblick wieder zu erheben und davonzuschweben. Nach dem ersten Schrecken, rief K. Enrico an, der fast zwei Stunden brauchte, bis er sich durch den Schnee hindurchgekämpft hatte. Beim Versuch, mich die steile Kellertreppe hinaufzuwuchten, kugelte er sich die linke Schulter aus, ließ mich los, ich stürzte zurück ins Dunkel und prallte mit dem Kopf gegen Fiorenzo, der einen dumpfen Ton von sich gab und glucksend protestierte. Wenig später aber hoben sie mich auf einen alten Schlitten, der sich im Stall fand, und zogen mich zum Grab des Jägers Giancarlo Chiaramonti, das fünfzig Meter unterhalb des Hofes zwischen zwei kahlen Kirschbäumen lag. Chiaramonti, der Enkel einer florentinischen Schauspieler­legende, war am 29. September 1990 auf einer Treibjagd von seinem Cousin in unübersichtlichem Gelände für ein Wildschwein gehalten und von unzähligen Schrotkugeln durchlöchert worden.

In weiser Voraussicht hatte ich meine Frau vor einiger Zeit wissen lassen, daß ich, wenn überhaupt, nur hier oben begraben sein wollte, neben dem mir unbekannten Jäger, der, wie ich jetzt feststellte, ein wirklich netter Kerl war. Um nichts auf der Welt wollte ich nach dem Ende dieses Menschentheaters noch etwas mit irdischen Administrationen zu tun haben.

Im Schweiße ihres Angesichts hoben die beiden am frühen Nachmittag ein Grab aus, der Boden war gefroren, und tief kamen sie nicht. Schließlich lag ich, eingewickelt in eine Kamelhaardecke, in einem ein Meter tiefen Erdloch, K. weinte und sang Hans Albers’ Lied vom wehenden Wind, dessen Text sie nicht beherrschte. Enrico schmet­terte »Firenze dorme« ergreifend falsch, dann nahmen sie die Schaufeln, und es wurde dunkel. Am nächsten Tag stattete K. den Carabinieri in V. einen Besuch ab und gab eine Vermißtenanzeige auf.

Im darauffolgenden Frühjahr, der Besenginster trug schon die ersten sattgelben Blüten, lag ein Menschenarm auf dem Abhang vorm Hof, und da ein goldener Ring mit einem eingelassenen Rubin an einem der Fingerknochen steckte, hätte es aller Welt klar sein können, daß es sich hier um meinen rechten Arm handelte. Ein pietätloses Wildschwein oder vielleicht ein Fuchs hatte ihn aus dem viel zu flachen Grab gezerrt, die noch verwertbaren Reste abgenagt und schließlich liegenlassen. Kein Wanderer oder Jäger kam vorbei, um einen grausigen Fund zu machen, wenig später krochen Gräser und Schlingpflanzen darüber, und so hatte ich Glück, daß der Schwindel nicht aufflog und meine Ruhe neben Giancarlo andauert, bis auch der letzte Leser dieser Zeilen das Zeitliche segnet.