Die Seminaristin - Hartmut Wiedling - E-Book

Die Seminaristin E-Book

Hartmut Wiedling

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Beschreibung

"Die Seminaristin" ist ein Lokalkrimi. Handlungsort Bordesholm. Innerhalb weniger Jahre werden vier junge Frauen, allesamt Seminaristinnen der Verwaltungsakademie, tot aus dem Bordesholmer See geborgen. Zufall? Mord? Eifersucht? Oder treibt ein Serienmörder im schönen Bordesholm sein übles Spiel? Am Ende gar ein Dozent? Keine leichte Aufgabe für Hauptkommissar Wilhelm Bielfeld und Kommissarin Erika Friedberg

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Viktor Grube suchte einen Stock, um das Schilf auseinander zu biegen. In ihm keimte ein Verdacht, den er gleichzeitig weit von sich wies. Er stieg die kurze Böschung hinunter und ging einige Schritte ins Wasser hinein. Jetzt war er sich sicher: Im Schilf lag ein Körper, wohl eine Leiche. Aber genau wusste er das ja nicht. So überwand er sich kurz entschlossen und watete näher an den Körper heran. Grube stand vor dem Oberkörper. Das Gesicht lag im Wasser. Beherzt griff Viktor Grube zu und drehte den Kopf aus dem Wasser.

„Nein! Hilfe! Wer macht so etwas!“, schrie der Mann, ließ den Kopf aus seinen Händen fallen und lief schluchzend ans Ufer.

Mit Dank an Herrn Klaus Flor für die zahlreichen Korrekturvorschläge

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Prolog

„Mist!“

Sofie knallte die Klarsichthülle mit der Verwaltungsrechtsarbeit auf ihr Bett. Tränen stiegen ihr in die Augen. Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf den Boden. Sie nahm die Arbeit vom Bett auf und legte sie auf den Tisch:

„Das musst du dir nicht auch noch angucken, Flori. Reicht, wenn ich das heulende Elend habe!“

Aber der Teddy, dessen braune Nase unter der Bettdecke herausguckte, sagte nichts.

„Was mache ich nun? Ich brauche doch eine Eins, damit die mich übernehmen. Lernen? Eigentlich habe ich keine Zeit dazu. Mit dem alten Bock flirten? Sieht aus, als sei der empfänglich dafür. Aber du hast damit keine Probleme. Gut, dass du dir das alles anhörst.“

Schluchzend warf sich die junge Frau auf das Bett und nahm ihren Vertrauten in den Arm. Ihr Atem wurde ruhiger, und sie nickte ein.

„Aufstehen, Sofie. Es gibt Abendbrot.“

Sofie hatte nicht bemerkt, dass ihre Zimmergenossin gekommen war. Sie saß am Tisch und hatte die verkorkste Arbeit vor sich.

„Na, da hast du dich aber wirklich nicht mit Ruhm bekleckert. Aber er hat auch streng zensiert. Hat er was gegen dich?“

„Weiß nicht. Glaube ich nicht. Hätte wohl eher gerne etwas mit mir.“

Sofie konnte wieder lächeln.

„Nein, essen möchte ich nicht. Bringst du mir ein Stück Brot mit für nachher? Ich gehe jetzt erst einmal laufen, dass die Wut verdampft.“

„Um den See?“

„Nee, da war ich gestern. Zu matschig nach dem Regen. Da könnte die Gemeinde auch mal wieder was machen. Ein bisschen Kies würde Wunder wirken. Will doch Erholungsort sein, das Kaff!“

Damit sprang Sofie von dem Bett auf, gab dem Teddy einen Nasenstüber und zog sich um. Im eng anliegenden schwarzen Laufanzug mit leuchtend grünen Schuhen verließ sie die Verwaltungsakademie durch den Haupteingang. Mit einigen Schritten über den Rasen war sie bei der dort stehenden wannenartigen Skulptur, setzte einen Fuß nach dem anderen auf den Rand des Kunstwerkes und schnürte die Schuhe fest. Dabei hörte sie die Eingangstür aufgehen. In Erwartung eines Kommentars wandte sie den Kopf und blickte in die Augen ihres Verwaltungsrechtslehrers. Die beiden Männer sagten kein Wort, als sie an ihr vorbeigingen. Sofie nestelte noch an ihren Schuhen herum, bis die Männer um die Gebäudeecke zum Parkplatz verschwunden waren. Dann sprang sie auf und lief die Auffahrt hinunter zur Heintzestraße.

Die Wagen der beiden Dozenten standen nebeneinander auf dem Personalparkplatz. Während er die Autotür öffnete, sagte der eine:

„Heißer Käfer da eben, kennst du sie?“

„Mmh, ja. Sofie. Will Bademeisterin werden. Macht bei mir ‚Verwaltungsrecht‘, murmelte der andere und stieg in seinen Wagen.

Sofie lief die Heintzestraße entlang, überquerte die Ampel und folgte der Holstenstraße bis zum Moorweg. Es begann zu dämmern und einige Autos fuhren bereits mit Licht.

„Warum fährt der so langsam hinter mir her?“

Sofie blickte sich nicht um. Sie bog in den Moorweg ein, und das Auto fuhr geradeaus weiter. Ein Bordesholmer Mitschüler hatte ihr diesen Rundweg gezeigt. Sie bog vom Moorweg in die Straße Siebenbergen ein, würde dann die Steigung durch das Wohngebiet nehmen und über den Veranstaltungsplatz in die Alte Landstraße kommen, die dann direkt zur Verwaltungsakademie führte.

Kam da auf dem Moorweg, kurz bevor sie nach Siebenbergen einbog, nicht schon wieder ein sehr langsam fahrendes Auto ihr entgegen? Als suchte der Fahrer etwas.

Der Veranstaltungsplatz war unbeleuchtet. Sofie befiel Unbehagen. Aber als sie die befahrene Kieler Straße zwischen einigen Autos überquerte, verflüchtigte sich das Gefühl.

„Jetzt noch einen Kilometer und dann unter die Dusche“, freute sich die junge Frau.

Die Alte Landstraße ist eine unechte Einbahnstraße. Die Einfahrt von der Kieler Straße ist verboten. Anliegern wie den Brieftaubenzüchtern, die dort ihr Heim haben, ist die Fahrt entgegen der Einbahnstraßenrichtung jedoch erlaubt. Zwischen dem Taubenzüchterheim und der Schwalbensiedlung wird die Alte Landstraße zu einem von auf beiden Seiten hoch aufwachsenden Knicks gerahmten Redder. Die Lichtkegel der Straßenlaternen erreichen einander nicht.

Sofie hatte das Fahrzeug nicht bemerkt, das ganz leise von hinten an sie herangerollt war. Plötzlich gab der Fahrer Gas, so dass der große Wagen mit aufheulendem Motor an der Joggerin vorbeiflog. Sofie erschrak zu Tode; mit weichen Knien lief sie weiter.

„So ein Idiot“, dachte sie und steigerte das Tempo.

Da kam ihr ein Auto entgegen. Ängstlich lief Sofie vom Asphalt herunter und auf dem Knickfuß weiter. Als der Wagen einige Meter vor ihr war, flammten seine Scheinwerfer auf. Sofie hörte das Heulen des Motors.

„Der hört sich an wie der vorhin“, schoss es ihr durch den Kopf. Dann gab es einen dumpfen Aufprall. Um Sofie war schwarze Nacht.

1.

„Sie werden von unseren Bewohnern geachtet und geschätzt. Wir würden Sie gern weiter beschäftigen und bieten Ihnen ein Seminar in der Verwaltungsakademie Bordesholm als Zusatzqualifikation für schwierige berufliche Situationen an. Die Kosten trägt unsere Einrichtung.

Hätten Sie Interesse daran?“

Isabella Venga war hocherfreut über das Angebot ihres Chefs, dem Leiter des Altenpflegezentrums Großenbrode.

Er hatte nichts anderes erwartet, als er sie für dieses Gespräch beiseite nahm. Das Seminar nannte sich Anti-Gewalt-Training. Zielgruppe waren Beschäftigte aller Berufsgruppen, die im beruflichen Umfeld mit Altenpflege, Forensik und Demenz in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen zu tun haben, um schwierige Situationen deeskalieren zu können.

Bella, das war ihr Rufname, recherchierte sofort im Internet und sah sich den Ort Bordesholm mit seinem kulturellen Angebot – den Veranstaltungen in der Klosterkirche, dem Savoy und nicht zuletzt mit der Bordesholmer Edition an. Die Bordesholm-Krimis waren nur ein Teil einer Reihe von literarischen Werken, die in den letzten Jahren von sich reden machten. Natürlich interessierte Bella auch die Homepage der Akademie, in der sie das Seminar machen würde.

Am Tag der Anreise steuerte Bella ihren kleinen Fiat-Cinquecento pünktlich und sicher auf den Parkplatz direkt hinter der Verwaltungsakademie.

Als sie die große, freundliche, lichtdurchflutete Eingangshalle betrat, sah sie sich zuerst um.

Ein paar Grüppchen Jugendlicher standen verteilt im Raum. Herren so um die 30 und auch Damen in diesem Alter kamen und gingen an diesen Gruppen vorbei. In den Händen trugen sie Collage -Taschen oder Laptops.

Nachdem Bella das Treiben eine Weile beobachtet hatte, ging sie zur Rezeption und erledigte die Anmeldeformalitäten. Sie erfuhr die Nummer ihres Zimmers im Internat, in dem sie für die Zeit des Lehrganges Quartier beziehen sollte.

Unsicher, wohin sie gehen sollte, fragte sie einen der Jugendlichen:

„Gehört ihr auch zur Gruppe 'Gewalttraining'?“

„Nein, wir sind Verwaltungs-Azubis und gehören zum Seminar 13371“, sagte er, musterte Bella von oben bis unten. „Gewalttraining, wozu das denn? Wirst du Polizistin oder so was?“

Bella schüttelte den Kopf und lachte. Sie ging weiter zur nächsten Gruppe. Da erklang ein lauter Gong. Die einzelnen Seminare wurden aufgerufen.

„Seminar 74001, 'Anti-Gewalt-Training', findet im Seminarraum 131 statt.“

Bella ging auf das Informationsschild im Foyer zu und suchte auf der Anzeigetafel den Raum 131.

Aufgeregt und gespannt auf die anderen Teilnehmer nahm sie ihren Trolley und stellte sich ans Ende des Dreisitzersofas. Fünf männliche und vier weibliche Teilnehmer erschienen. Bella stellte fest, dass sie wohl die jüngste der Seminarteilnehmer zu sein schien. Ein lockig ergrauter circa endvierziger Sportsmann kam zu ihnen.

„Mein Name ist Gerhard Steffen, ich bin Leiter des Seminars und begrüße Sie hier in Bordesholm. Wir treffen uns in einer Stunde hier in unserem Seminarraum wieder. Denjenigen, die sich hier eingemietet haben, zeige ich erst einmal ihre Zimmer. Bitte, kommen Sie mit in den Internatstrakt. Wir sind ziemlich ausgebucht und müssen auch die Zweibettzimmer mit nutzen.“

Bella bemerkte, dass sich die vier weiblichen Teilnehmer ihrer Gruppe anscheinend bereits kannten.

Sie startete einen Versuch.

„Hi. Ich bin Bella Venga und komme aus Fehmarnsund. Ich mache im Juni mein Diplom zur Altenpflegerin. Und ihr? Woher kommt ihr?“

„Ich bin Sonja, komme aus Elmshorn und arbeite zurzeit für die Jugendhilfeeinrichtung 'Rosengarten' an der Sonderschule Elmshorn…. wir alle vier, das heißt Helga, Kirsten, Jutta und ich kennen uns vom Berufsschulunterricht.“

Nach dem Rundgang verteilten sich die Mädchen auf die Zimmer. Von den Vieren wohnten je zwei von ihnen zusammen. Helga und Kirsten in 27 im ersten Stock, Sonja und Jutta in 43, ebenfalls im ersten Stock des alten Traktes.

Für Bella war Zimmer Nr. 44 vorgesehen. Noch kannte sie ihre Mitbewohnerin nicht. Gerhard Steffen gab ihr mit auf den Weg:

„Frau Venga, Ihre neue Zimmergenossin heißt Sofie Grödner, eine sympathische junge Frau. Sie belegt das Seminar 'Vorbereitungslehrgang zur geprüften Meisterin für Bäderbetriebe'.“

„Ich lasse Sie dann alleine“, wandte er sich danach an die Gruppe der Neuankömmlinge. „Kommen Sie erst mal an. Wenn Sie noch Fragen haben, dürfen Sie sich gerne bei mir melden oder im Sekretariat.“

Bella nickte ihm zu und begab sich auf die Zimmersuche. Die Rollen ihres Trolleys hallten in dem verwaisten Gang. An der Tür mit den goldfarbenen Ziffern 44 stoppte sie und lauschte. Sie klopfte einmal und wartete. Es rührte sich nichts. Sie klopfte erneut, dieses Mal lauter. Ohne länger auf eine Einladung zu hoffen, drückte sie die Klinke herunter. Die Tür war unverschlossen und sie trat ein. Zögerlich rief sie:

„Hallo? Hallooo! Keiner da?“

Bella war allein. Auf dem Bett ihrer Mitbewohnerin türmten sich mehrere Schachteln, auf dem Boden lagen Zeitschriften und Bücher. Am Bettende, wie drapiert, Schals, bunte Ketten und Gürtel. Den kleinen Duschraum mit Waschbecken und Toilette hatte Sofie Grödner voll in Beschlag genommen. Schminksachen der verschiedensten Art lagen überall herum. Offenbar rechnete ihre Mitbewohnerin nicht damit, dass jemand mit ihr das Zimmer teilen sollte.

2.

„Oh mein Gott! Na das kann ja heiter werden.“

Bella stellte ihren Trolley ab, ohne den Blick von dem Chaos zu wenden. Ein mulmiges Gefühl beschlich sie. Hier sollte sie die nächste Zeit bleiben?

„Hi!“

Sofie stürmte ins Zimmer und griff zu ihrer Jacke. Sie stockte und sah Bella fragend an.

„Hast du dich verlaufen? Oh, das kenn ich!“, sagte sie schmunzelnd.

Bella schüttelte den Kopf. Sofies Blick fiel auf den schwarzen Trolley und ihr Lachen verflog.

„He, was soll das? Sag nicht, dass du hier mit einziehen willst! Sorry, aber...nee, das hier ist mein Zimmer!“

Bella zuckte mit den Schultern und sagte:

„Das weiß ich nicht. Mir hat man nur gesagt, dass hier im Hause nichts anderes frei wäre und ich mich hier melden soll.“ Weiter kam sie nicht.

„Na, das wollen wir doch erst mal sehen!“

Sofie schnaubte und rannte hinaus.

Unschlüssig hob Bella ein T-Shirt vom Boden auf und zuckte zusammen. Sofie stand im Türrahmen und motzte:

„Finger weg von meinen Sachen!“

Am liebsten wäre Bella auf der Stelle wieder abgereist, aber sie hatte keine Wahl. Sie musste bleiben, schließlich hatte sie der Weiterbildung zugesagt.

Sie war flexibel genug, sich mit einer weiteren Person ein Zimmer zu teilen. Aber so hatte sie es sich nicht vorgestellt.

Durch die verschlossene Tür des Sekretariats hörte man Sofies aufgebrachte Stimme.

Ohne Erfolg kam sie mit hochrotem Kopf wieder heraus und konnte sich gerade noch beherrschen, die Tür nicht hinter sich ins Schloss zu knallen. Die Worte, die man ihr mit auf den Weg gab, waren klar und deutlich:

„Keiner zwingt Sie, den Kursus frühzeitig abzubrechen, aber Sie sind auch nur ein Gast des Hauses und müssen sich entsprechend benehmen.“

Ja, ja. Das wusste sie selber. Die sportliche Blondine verließ das Gebäude der Akademie und lief los. Schneller als sonst. Wie gut, dass sie sowieso gerade joggen gehen wollte und bereits passend angezogen war.

Unterdessen hatte Bella sich eingerichtet und die Anweisung ihrer Zimmergenossin ignoriert. Sie konnte gar nicht anders. In diesem Chaos fühlte sie sich nicht wohl und die Stimmung hing eh schon auf dem Tiefpunkt. Da kam es auf einen mehr oder weniger unnötigen Spruch auch nicht mehr an.

Schneller als sonst kehrte Sofie zurück. Völlig verausgabt betrat sie das Zimmer, sah sich um und traute ihren Augen nicht. Ihre Sachen lagen fein säuberlich zusammengelegt auf dem Stuhl.

Daneben zierte neue Bettwäsche in einem kräftigen knalligen Pinkton das bisher noch ungenutzte Bett. Auf dem Schreibtisch hatten Füller, Kugelschreiber und Block ihren Platz gefunden.

Sofie nahm ein Handtuch aus dem Bad, wischte sich den Schweiß von der Stirn und warf sich aufs Bett. Der Zettel und die Schachtel, die auf ihrem Kopfkissen lagen, flogen ihr entgegen.

Nanu? Sie nahm die Schachtel an sich, öffnete sie und stopfte sich zwei der Milka-Schokoladenherzen in den Mund.

Dann griff sie zu dem Zettel und las das mit großen Buchstaben Geschriebene vor.

´Liebe Mitbewohnerin. Ich versuche es einfach nochmal von vorne. Mein Name ist Bella, mein Lehrgang dauert zwei Wochen und ich wünsche mir nichts weiter als eine tolle, gemeinsame Zeit! ´

„Bella heißt du also, O.K.!“, sagte sie zu sich. Na dann auf eine tolle gemeinsame Zeit!“

„Ja, warum eigentlich nicht!“

Sofie steckte sich noch ein Stück in den Mund und ließ es sich auf der Zunge zergehen.

Hm, sie liebte diese Schokolade.

Um sich von dem verunglückten Zusammentreffen abzulenken, hatte sich das Mädchen aus Fehmarn auf den Weg gemacht, die Akademie zu erkunden. Nachdem sie sich einen Cappuccino in der Cafeteria gegönnt hatte, stand sie vor der Tür ihrer neuen Unterkunft und hoffte auf eine bessere Stimmung. Vorsichtig drückte sie die Klinke nach unten, öffnete die Tür und steckte den Kopf durch den Spalt. Das Zimmer war leer. Aus dem Bad drangen Geräusche. Das Rauschen des Wassers kam eindeutig aus der Dusche. Bella trat ein und entdeckte die Schachtel mit der Schokolade.

Die Hälfte der ‚Glücklich- Macher‘ fehlte.

Es war schon weit nach Mitternacht, als die Mädchen das Licht löschten. Sie hatten sich angenähert. Also doch noch ein guter Anfang.

Die Beiden konnten ähnlicher nicht sein: blond, zierlich, Pferdeschwanz.

Die Tage vergingen und Sofie half Bella sich zurechtzufinden. Die aufs Neue festgestellten Gemeinsamkeiten ließen das Gefühl aufkommen, sie würden sich schon ewig kennen. Sie tauschten sich aus und erzählten sich Sachen, die man eigentlich nur einigen wenigen anvertraute. Doch manchmal redete es sich leichter, wenn man das Leben, so wie langjährige Freunde es begleiten, nicht in den Vordergrund stellt. Die beiden Mädchen waren sich einig, dass ihr Bauchgefühl sie nicht täuschte. Sie vertrauten sich.

Das Wochenende stand vor der Tür. Bella und Sofie hatten sich vorgenommen, die Blacklightparty im ‚Far Out‘ an der B4 in Grevenkrug zu besuchen.

Sie wühlten in ihren Schränken, und auf dem Bett wuchs der Berg mit den in Frage kommenden Kleidungsstücken.

Sie kringelten sich vor Lachen und die gute Stimmung kam dem Höhepunkt nahe. Nachdem sie das passende Outfit angezogen hatten, zogen sie los. Das bestellte Taxi wartete schon.

Die Schlange vor dem Eingang des Clubs war überschaubar und tat der guten Laune keinen Abbruch. Kaum, dass die Mädchen die ersten Bässe hörten, wippten sie hin und her. Ausgelassen riss Sofie die Arme nach oben, ließ die Hüften kreisen und rief:

„Platz da, wir kommen!“ Sie sah zu ihrer neuen Freundin und lachte. Bella lachte zurück und rief:

„Ja, wir wollen alles. Feiern, tanzen und...?“

„Jungs natürlich!“, schrien die Beiden und brachen in Gelächter aus.

Der Abend hatte so vielversprechend angefangen.

Sofie saß auf ihrem Bett und zitterte. Bella drückte sie fest an sich und tröstete sie.

Noch wusste Bella nicht genau, was alles passiert war.

Dabei hatten sie sich doch nur kurz getrennt. Sofie wollte vor die Tür, um eine Zigarette zu rauchen. Bella verschwand noch schnell auf die Damentoilette. Danach konnte sie Sofie zuerst nicht finden.

Sie lief umher, fragte andere Gäste, die dort standen, und ging letztendlich um das Haus. Auf dem Boden an der Ecke hockte Sofie wie ein Häufchen Elend, ihre Hände schützend über den Kopf gehalten, und weinte. Ohne weiter zu fragen, hob Bella sie auf, ging zum nächsten Taxi und fuhr mit ihr zurück zur Akademie.

Unterwegs versuchte Sofie ihr zu erklären, was passiert war. Doch so viel Mühe sich das Mädchen auch gab, brach es immer wieder in Schluchzen aus. Die Wortfetzen waren wie Puzzleteile, die Bella nur mühsam zusammenfügen konnte.

Es kam heraus, dass ein junger Mann Sofie aufgelauert hatte, gewaltsam festgehalten und an die Wand gedrückt hatte. Er war ganz nahe an sie heran gekommen, hatte ihr Liebesschwüre ins Ohr geflüstert und erst von ihr abgelassen, als er von jemandem angesprochen wurde, der ihn zu kennen schien. Welch ein Glück. Wer weiß, was noch passiert wäre. Da stand auch schon Bella vor ihr.

Langsam beruhigte sich die sonst so taffe Sofie. Sie schlief in den Armen ihrer liebgewonnen Freundin ein, die ihr immer noch über die blonden Haare strich. Bella war hellwach und versuchte, in dem, was sie gehört hatte, einen Zusammenhang zu finden. Was war das für ein Kerl? Einer von den Typen, mit denen sie am Tresen geflirtet hatten? Nein. Sie war sich sicher, dass sie es mitbekommen hätte, wenn ihnen eine Person gefolgt wäre.

Bella kam ein Verdacht: Und wenn es Mark war? Sofies Ex. Der Türsteher von der Bergstraße? Der, der sie immer und immer wieder belästigte. Sofie hatte von ihm erzählt. Ihm sogar eine Seite in ihrem Tagebuch gewidmet.

Bella sah auf die rot gefärbten Handgelenke ihrer Mitbewohnerin und fragte sich: Wie viel Kraft benötigte man, um so etwas zu hinterlassen. Wenn ‚Mann‘ jedoch so kräftig gebaut war wie Mark, brauchte es wohl nicht viel. Ja, aber warum hatte Sofie nichts gesagt. Sie nannte keinen Namen. Bella musste zugeben, dass alles Grübeln sie nicht weiterbrachte. Sie müsste warten, bis es ihrer Freundin besser ging. Die ersten Vögel sangen bereits ihr Morgenlied, als Bella die Augen zufielen und sie einschlief.

3.

Kai Stölting und seine Seminarfreunde aus Norderstedt und Umgebung hatten noch nicht einmal ihren Rausch und seine Nachwehen ablegen können, als das große Fest der Bestenehrung des letzten Jahrgangs am nächsten Morgen um 10.00 Uhr feierlich eröffnet wurde.

Erst vor drei Tagen in die Verwaltungsakademie in Bordesholm zum Seminar 13500 'Verwaltungsrecht' eingecheckt, hatten sie den Vorabend genutzt, die Lokalitäten von Bordesholm kennenzulernen.

Sie waren enttäuscht wieder zurückgekommen. Nirgends eine passende Party. Nach einem längeren Fußmarsch am See entlang hatten sie sich für einen kleinen Abstecher in die hauseigene Bar „Alter Haidkrug“ im Keller entschieden.

„Mann, ist das hier gemütlich. Und wir laufen in der Gegend umher!“

Kai und seine Kollegen staunten nicht schlecht. Alte Fotografien und einige altmodische Einrichtungsgegenstände aus längst vergangener Zeit zeigten den Alten Haidkrug, wie er einmal ausgesehen hatte. Sie erkannten ihren Referenten Claus Müller am Tresen, der ihnen zuwinkte.

„Setzt euch zu mir! Wenn ihr wollt, kann ich euch etwas über diese alte Gaststätte, die letztendlich den Grundstein für die heutige Verwaltungsakademie bedeutet, erzählen. Schließlich arbeite ich im Landesarchiv.“