Vier Männer und Lucy - Hartmut Wiedling - E-Book

Vier Männer und Lucy E-Book

Hartmut Wiedling

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Beschreibung

Ein tragikomisches Bühnenstück Vier alte Schul- und Studienfreunde wohnen zusammen in einer WG. Alle vier arbeiten an ihrer Doktorarbeit, und zwar über das gleiche Thema Placebo. Allerdings, entsprechend ihren jeweiligen Fakultäten, unter verschiedenen Aspekten: medizinisch, psychologisch, philosophisch und künstlerisch. Da taucht die brasilianische Friseuse Lucy auf. Kein Wunder, dass sie auch hier an dem gleichen Thema arbeiten... Das Stück verfolgt sie bis ins demente Greisenalter.

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Seitenzahl: 97

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Leseanleitung

Lieber Leser!

Sie meinen, die Lektüre eines Bühnenstücks sei weniger unterhaltsam als das Lesen eines Romans oder einer Erzählung? Probieren Sie es aus! Machen Sie sich einen Theaterabend:

Wenn Sie dieses Schauspiel bei der Lektüre wie ein Theaterstück erleben wollen, sollten Sie vor jeder Szene und vor jedem Auftritt der Schauspieler die Bühnen- und Regieanweisungen aufmerksam lesen, sich die Bühne und die Schauspieler bildlich vorstellen und erst dann - vor diesem Hintergrund - den Text lesen, den die Schauspieler sprechen.

Setzen Sie sich dabei gemütlich hin, wie wenn Sie im Parkett des Theater wären, lassen Sie sich Zeit, und vergessen Sie alles um sich herum.

Inhaltsverzeichnis

Szene – Lucy statt Brautpaar - Selfie

Szene - Axel zeigt Martin das Selfie – Martins Promotion naht – Diss.-Themen

Szene – Feiern: Martins nahe Promotion, Lucy - alle wollen was für sie tun

Lucy tritt auf

Szene – Axel und Dani mit neuer Frisur - ohne Worte – Dann Lucys erster Monolog

Szene: Schwärmen für Lucy. Eigentlich alle ein wenig verliebt

Szene mit Kadenz: Doktorfeier mit Lucy

Szene: Lucy Monolog 2

Szene: Axel und Lucy

Axel und sein Bild

Szene: Lucy schwanger

Szene: Beschluss: gemeinsame Vaterschaft. Aber einer muss herhalten

Szene: Abschied

Szene: Vier Jahre danach, Monolog Axel

Szene: Vierter Geburtstag

Szene: Szene Lucy erscheint

Szene: Abschied

Szene: Schlussbild 01

Szene: Schlussbild 02

Szene: Schlussbild 03

Szene: Schlussbild 04

Szene: Schlussbild 05

Szene: Abspann

Anmerkungen

1. Szene – Lucy statt Brautpaar - Selfie

Bühnenbild: Vorraum mit 4 Türen mit Türschildern: „Dani“, „Martin“, „Utz“ und „Axel“.

Bühne zwei Minuten lang leer. Etwas Gerümpel vor der Tür. An der Seite drei Mülleimer mit Aufschrift „Papier“, Gelb“, „Rest“ Tür von Axel öffnet sich: Axel. Schaut auf die Uhr. Axel schaut suchend umher, dann in den Zuschauerraum:

Axel (Designer): Es wird Zeit. 20 Uhr soll‘s losgehen, hatten wir gesagt.

Schaut sich dann auf der Bühne suchend nach erwarteter Kundschaft für ein Foto um.

Axel (Designer): Ich hasse Unpünktlichkeit. Noch dazu beim Termin für das Hochzeitsfoto. Kein Benehmen mehr, die Leute.

Proleten.

Schaut in den Zuschauerraum:

Axel (Designer): Nein. Ich meine nicht Sie. Sie sind ja da. Und die anderen hier ja auch. Ein Glück, dass Sie gekommen sind. Wär ja sonst auch blöd. Könnten wir ja gleich nach Hause gehen, Harz-IV kassieren.

Pause. Schaut gezielt in den Zuschauerraum.

Axel (Designer), stirnrunzelnd: Oh! Da vorne ist ein Platz leer geblieben.

Schade eigentlich.

Erwartet eine Antwort. Falls keine kommt, deutet er auf einen leeren Platz in der zweiten Reihe.

Axel (Designer): Ja richtig. Hier vorne. Oder sitzt da ein Kleinkind? Kann ich nicht so genau erkennen. Wegen des Vordermanns.

Leuchtet mit der Taschenlampe auf einen leeren Platz

Axel (Designer): Nee, ist wirklich frei. Sehr bedauernswert. Ist aber auch egal. Dann eben nicht. Hat wohl jemand was Besseres gefunden. Denkt er. - Oder sie. Ist wohl woanders hingegangen. Oper oder so. (trällert belustigt, mit lächerlicher Grimasse eine Opernmelodie, z.B. „Wie eiskalt ist dies Händchen“). Dann wieder zum Publikum gewandt:

Axel (Designer): Beginnen wir halt ohne ihn! - Oder sie.

Geht zurück, zögert einen Moment, geht dann zu seiner Tür und verschwindet.

Zwei Minuten Pause. Dann kommt eine hübsche, südländisch anmutende junge Dame (im Wahrheit Lucy) in den Zuschauerraum. Schaut auf ihre Karte und zwängt sich durch zu dem freien Platz. Dreht sich zum Hintermann um. Südländischer Akzent:

Lucy: Hat ja doch noch nicht angefangen. Und ich dachte schon, ich bin zu spät.

Setzt sich auf den freien Platz in der zweiten Reihe.

Pause. Ein Handy klingelt. Lucy rührt sich nicht. Dann doch: Lucy wühlt in der Handtasche und kramt ihr Handy hervor.

Lucy (zu sich selbst): Oh. Ist meins.

Lucy nimmt das Handy an Ohr.

Lucy: „Ja?“ - „Ach du bist es. Nee, ganz, ganz schlecht. Bin im Theater. Nein, nicht so schlimm, hat noch nicht angefangen.

Soll aber gleich losgehen. Ja, hast ja Recht. War mal wieder so eilig. Hab vergessen, es auszustellen. Tschüssi!“

Stille. Axel kommt wieder auf die Bühne. Schaut sich suchend um.

Axel (Designer): War da jemand? - horcht - Hab mich wohl getäuscht.

Immer noch nicht. Ob sie es nicht finden? – ruft fragend: Hallo! Keiner da?

Die anderen drei Türen öffnen sich. Martin, Utz und Dani treten auf die Bühne. Sie setzen sich an einen Tisch. Axel setzt sich etwas abseits, neben seiner Zimmertür, dazu.

Schweigen. Depressive Stimmung

Utz (Psychologe): Nichts los.

Dani (Mediziner): Zeit, dass endlich was passiert!

Die anderen nicken träge. Axel schaut auf die Uhr, tritt an den Bühnenrand Axel (Designer): Höchste Zeit.

Die zu spät gekommene Dame in der zweiten Reihe stimmt zu:

Lucy: Finde ich auch. Fangt endlich an!

Erschreckt springen alle auf und verschwinden in ihren Zimmern. Pause.

Die zu spät gekommene Dame steht während der folgenden Worte langsam auf.

Lucy zu den Zuschauern gewandt: Sagten die nicht, es soll was passieren? - Das können sie haben.

Zwängt sich durch die Zuschauerreihe. Geht Richtung Bühne. Spricht einen Zuschauer an:

Lucy: Kommen Sie mit? Zu zweit ist besser. Für das Hochzeitsfoto braucht er wohl ein Paar. Bin gespannt, wie er reagiert. - Keine Angst! Nein, nein. Nur fürs Foto. Müssen mich nicht wirklich heiraten. Bin ja nicht schwanger. Von Ihnen schon mal sowieso nicht.

Versucht, den Angesprochenen mit sich zur Bühne zu ziehen.

Falls er sich weigert:

Lucy: Feigling. Dann eben nicht.

Falls er mitkommt, sieht sie ihn sich, noch im Zuschauerraum, genauer an.

Lucy: Warten Sie. Nee, entschuldigen Sie. Das ist mir jetzt echt peinlich. Ich äh – ich glaube, wir passen doch nicht so recht zusammen.

Lucy weiter zum Publikum, mit vertraulicher Geste: Will mir ja nicht das Bild verhunzen.

Gibt ihm ein Zeichen, zurückzugehen. Schaut sich im Zuschauerraum noch einmal suchend um, tut so als winke sie einem jungen Mann zu.

Lucy: Sie? Ja? Prima. Kommen Sie, das wäre toll. Würden ein gutes Paar abgeben. Fürs Foto, meine ich. Vielleicht ja auch sonst. Werden wir sehen. Vielleicht in der Pause. Ich geb Ihnen einen aus. Kommen Sie mit? Nicht? Schade.

Bevor er reagieren kann, geht sie allein auf die Bühne. Schaut auf Axels Tür.

Lucy: Na, der wird Augen machen!

Sagt nichts. Wartet.

Axel tritt wieder auf. Bleibt eine Weile bewundernd und sprachlos. Dann:

Axel (Designer): Oh! – kurze Pause - Aber … Sie sind allein?

Lucy: Nein. Zu zweit.

Axel (Designer): Wie meinen Sie das?

Lucy: Wie ich es sage: Zu zweit. - Sie und ich.

Axel schaut auf die Uhr, dann guckt er sie fragend an.

Axel (Designer): Ich meine nur, ich hatte gedacht… ich sollte doch… ich glaube – Na ja, zu einem Hochzeitsfoto gehört eigentlich ein verliebtes Paar.

Lucy: Kriegen wir hin. Werden Sie sehen. Können Sie kein Selfie?

Macht, da vielleicht nicht alle Zuschauer wissen, was ein Selfie ist, die typische Armhaltung, wenn man sich selbst mit dem Handy fotografiert.

Lucy drängt sich mit Axel in dessen Zimmer (Atelier). Licht aus.

30 Sekunden Pause. Dann Licht an. Lucy kommt allein aus dem Zimmer. Rückt sich die Frisur zurecht. Ruft noch einmal zurück:

Lucy: Dann also bis morgen. Halb zehn. OK?

Axel (Designer): Ok. Bis morgen!

Geht ab.

2. Szene - Axel zeigt Martin das Selfie – Martins Promotion naht – Diss.-Themen

Unmittelbar anschließend. Gleiches Bühnenbild: Vorraum mit 4 Türen mit Vornamen.

Axel kommt aus seinem Zimmer. Streicht sich die Frisur zurecht.

Axel (Designer): Lucy? Bist du noch da?

Lauscht in alle Richtungen

Keine Antwort. Dann etwas lauter:

Axel (Designer): Lucy!

Macht mit den Armen eine enttäuschte Bewegung: hebt beide Arme und lässt sie dann resigniert fallen.

Axel (Designer): Ist wohl schon weg.

Dann klopft er bei Martin an.

Martin (Philosoph): Herein!

Martins Zimmertür öffnet sich. Der Blick wird frei für seine Wohnung. (Vorhang hoch? Tür auf?)

Martin (Philosoph): Ach, Axel, du bist es!

Axel (Designer): Wen hattest du erwartet?

Martin (Philosoph): Niemanden. – Sag mal, hattest du nicht einen Fototermin?

Axel (Designer): Leider geplatzt. Schade. Hochzeitspaare sind immer so spendabel.

Martin (Philosoph): Und stattdessen hast du ein Nickerchen gemacht?

Axel (Designer): Wie kommst du darauf?

Martin (Philosoph): Hörte sich so an. Und eigentlich siehst du auch so aus.

Axel streicht seine immer noch etwas wirren Haare zurecht.

Axel (Designer), resigniert: Ach Martin, lass1, das ist ein zu weites Feld. - Muss das ganze erst mal verdauen.

Martin (Philosoph): Wovon sprichst du?

Axel holt sein Handy hervor und zeigt Martin eines von Dutzenden von Selfies. Könnten, wenn möglich für die Zuschauer per Beamer sichtbar gemacht werden: Axel und Lucy in witzigen Positionen. Zum Schluss ein Hochzeitsfoto von den beiden.

Martin (Philosoph): Donnerwetter! Wirklich fast wie ein Hochzeitsfoto!

Axel (Designer): Ja. Hat was. Echt dirty.

Martin (Philosoph): Könnte eine Spanierin sein.

Axel (Designer): Brasilianerin.

Martin (Philosoph): Erzähl!

Axel (Designer): Später mal.

Martin (Philosoph): Gut. Dann später. Versprochen?

Axel (Designer): Versprochen.

Axel schaut auf Martins Buch, nimmt es in die Hand und blättert darin.

Axel (Designer) zu Martin, auf das Buch weisend: Heidegger. Quälst du dich wieder mit deinem Namensvetter, dem neunmalklugen philosophischen Plagegeist?2

Martin seufzt Martin (Philosoph): Ich zuck schon richtig zusammen, wenn mich jemand mit meinem Vornamen anredet.

Axel (Designer), ironisch, laut: Hallo, Martin!

Der Angeredete zuckt zusammen. Axel schaut in das Buch und liest laut vor.

Axel (Designer): „Kausalität ist als gründend in der menschlichen Freiheit zu denken und die eigentliche ontologische Dimension der Freiheit wird erst erreicht, wenn Freiheit als Bedingung der Möglichkeit der Offenbarkeit des Seins des Seienden, d.i. des Seinsverständnisses, gedacht ist.“

Axel (Designer) unterbricht sein Zitat, schaut Martin an: Verstehe nur Bahnhof. Kannst du mir das vielleicht einmal ganz langsam vorlesen?

Axel (Designer) zum Publikum: Oder haben Sie das auf Anhieb verstanden? Auch nicht? Also von vorne. Ist doch ganz einfach.

Martin (Philosoph) liest ganz langsam und deutlich vor: „Kausalität ist als gründend in der menschlichen Freiheit zu denken und die eigentliche ontologische Dimension der Freiheit wird erst erreicht, wenn Freiheit als Bedingung der Möglichkeit der Offenbarkeit des Seins des Seienden, d.i. des Seinsverständnisses, gedacht ist.“

Macht eine Pause

Axel (Designer), laut: Sehr eindrucksvoll. Überirdisch. Echt dirty.

Martin (Philosoph): Dabei ist das noch nicht einmal Heidegger selbst, sondern nur der Kommentar des Herausgebers.

Axel (Designer), laut: Wirkt ziemlich gelehrt.

Martin (Philosoph): Soll es auch. Obwohl der mit Sicherheit auch gar nichts verstanden hat. Tut nur so. Verkauft sich übrigens gut, die Masche. Macht den Lesern Komplexe. Die meinen, es liegt an ihnen, wenn sie es nicht begreifen.

Axel (Designer): Versprich mir, dass du nicht auch so wirst!

Martin (Philosoph): Doch. Muss ich. Aber nur für ein Weilchen. Bis zur Doktorprüfung. Der Prof versteht übrigens mein Geschreibsel auch nicht. Nickt aber immer anerkennend. „Weiter so!“ sagt er und lächelt geheimnisvoll. Ich glaube, er möchte, dass ich mich bei ihm habilitiere.

Axel (Designer): Echt dirty.

Martin (Philosoph): Mach ich aber nicht mit. Nicht auf Dauer. Nach der Doktorprüfung ist Schluss damit. Dann geh ich zur Zeitung und mache mich über all das hohle Getue lustig.

Axel (Designer): Du meinst, das ist wirklich hohl? Ich dachte immer...

Martin (Philosoph): Denken ja alle zunächst. Das ist ja gerade der Bluff.

Axel (Designer): Bluff?

Martin (Philosoph): Ich vermute, er konnte nicht anders. Heidegger meine ich.

Axel (Designer): Sagtest du ‚Konnte nicht anders‘?

Martin (Philosoph): Ja. Sagte ich. Und sobald ich den Doktor in der Tasche habe, schreibe ich das auch sofort in meiner ersten Publikation. Ich meine, wenn jemand einen klaren Gedanken hat, kann er ihn auch in klarer, einfacher Sprache ausdrücken. Und da Heidegger das offenbar nicht hinbekam, hatte er vermutlich keine klaren Gedanken. Seine sprichwörtliche Unverständlichkeit wurde das Markenzeichen, das ihn bekannt gemacht hat.

Axel (Designer): Wenn du das schreibst, fliegst du.