Vanitas - Hartmut Wiedling - E-Book

Vanitas E-Book

Hartmut Wiedling

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Beschreibung

Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! - Das ist nach Immanuel Kant der Wahlspruch der Aufklärung. Doch folgst du dem Rat, begegnest du ablehnendem Unverständnis. Gedanken, die noch nicht in TV, ZEIT oder SPIEGEL gestanden haben, sind befremdlich. Vielleicht sind sie nicht neu, vielleicht unsinnig, vielleicht fehlerhaft, vielleicht nur vielen ungewohnt und daher befremdlich. Ich weiß es nicht. Ich habe dennoch einmal ein paar Gedanken und Erinnerungen aufgeschrieben. Eigene und fremde, die mich beeindruckt haben. Für all diejenigen, die Gespräche besser finden als Romane: Neunzehn Essays aus Wissenschaft, Psychologie und Gesellschaft.

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Band 32 1. Auflage 2017

Zum Autor

Hartmut Wiedling geb. 1940

Mathematiker, Physiker und Volkswirt, ansonsten Dilettant1.

1 Ein Dilettant (italienischdilettare aus lateinischdelectare „sich erfreuen“, „ergötzen“) ist ein Liebhaber einer Kunst oder Wissenschaft, der sich ohne schulmäßige Ausbildung und nicht berufsmäßig damit beschäftigt. Als Amateur oder Laie übt er eine Sache um ihrer selbst willen aus, also aus Interesse, Vergnügen oder Leidenschaft.

Hartmut Wiedling

Vanitas

– es ist alles eitel2 –

Oder: Wir sind alle nur Käfer

2 Vanitas (lat. „leerer Schein, Nichtigkeit, Eitelkeit“; auch „Lüge, Prahlerei, Misserfolg oder Vergeblichkeit“) ist ein Wort für die jüdisch-christliche Vorstellung von der Vergänglichkeit alles Irdischen, die im Buch Kohelet (Prediger Salomo) im Alten Testament ausgesprochen wird (Koh 1,2 LUT): „Es ist alles eitel.“ Diese Übersetzung Martin Luthers verwendet „eitel“ im ursprünglichen Sinne von „nichtig“. Quelle: Wikipedia

Inhalt

Vorwort

Vorspann

Kindliche Fragen

Philosophie und Wissenschaft

Aufklärung (Kant)

Decartes: Cogito – ergo sum

Mathematik und Glaube

Der liebe Herr Stade

Rechtsprechung und Axiomatik

Naturwissenschaft und Axiomatik

Ethisches Handeln – aus Egoismus?

Wer oder was in uns handelt moralisch?

Fatalismus

Kleine Verbrechen bestraft man

– große werden entschuldigt

Gesellschaft

Der mündige Bürger – und sein Ende

Erbschaft – soziales Unrecht

Utopia: Ein Kapitalismus mit Ethik

Psychologie

‚Know-how‘ oder ‚Know-why‘?

Späte Gipfel

Literarische Scheinwelt

Kunst und Kitsch

Wissen als Hilfe und Hindernis

Vorwort

Immer wieder habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich mit meinen schlichten Ideen und Gedanken Reaktionen hervorgerufen habe, wie wenn ich in ein Wespennest steche. Ich wollte einige davon, die mir wichtig erschienen, einmal in einem Band zusammenfassen. Leicht verständlich und in einfacher Sprache. Ohne Anspruch auf wissenschaftliche Strenge.

Eines der wichtigsten Elemente dieser Betrachtungen ist die Erfahrung, dass immer dann, wenn ich versuche, Dingen wirklich auf den Grund zu gehen, es ins Uferlose führt. Die „letzten Dinge“ bleiben immer unergründlich. Davon zeugen die Abschnitte des ersten Kapitels, das „Philosophie und Wissenschaft“ überschrieben ist.

Diese Betrachtungen waren auch ausschlaggebend für den Titel des Bändchens: „Vanitas“.

In den beiden weiteren Kapiteln folgen gesellschaftskritische Betrachtungen zur Gegenwartssituation. Eigentlich sehr einfache und, wie ich meine, naheliegende Gedanken. Und dennoch rufen sie immer wieder heftige Gegenwehr hervor, vermutlich, weil sie dem gewohnten Gedankengut des „Mainstreams“ nicht entsprechen.

Vorspann

Kindliche Fragen

Mehr als mit Heinz Nußbaum, dem Bäckerssohn, war ich als heranwachsender Knabe mit Dieter Sommerfeld, Spitzname „Somms“, verbunden. Er war fast drei Jahre älter als ich, evangelisch erzogen, ging zum Konfirmandenunterricht, wurde konfirmiert.

Viel früher als ich wusste er schon einiges über Mädchen, kannte sich in der Bibel aus, hatte bereits Diskussionen mit dem Pastor gehabt, kurzum er war schon in vielen Themen zu Hause, die ich erst allmählich ahnte und die mich daher besonders interessierten.

Konservativ–evangelisch erzogen, hatten sich für ihn viele Fragen gar nicht erst gestellt, da sie durch Religion und Erziehung beantwortet wurden und sein gesellschaftliches Umfeld es ihm abgenommen hatte, sie selbst für sich zu lösen. Fragen, nach deren Antworten ich selbst suchen musste, denn ich hatte durch die Erziehung meiner Eltern, in erster Linie meines Vaters, früh gelernt, dass es keine fertigen „gottgegebenen" Lösungen für die Probleme des Lebens gibt und dass ich selbst über die Antworten nachdenken, mich entscheiden und meinen Weg durch das Leben selbst finden musste.

Wenn ich dann aber glaubte, zu einer Frage eine eigene Lösung gefunden zu haben, wollte ich damit nicht allein bleiben. Ich wollte meine Antworten mit den Meinungen anderer vergleichen, sie absichern, im Gespräch ihre Tragfähigkeit testen. Aber mit wem? Zwar hätte ich mit den Eltern über alles reden können, aber das wollte ich nicht. Dieter Sommerfeld war der ideale geistige Komplize. Seltsam, trotz des Altersunterschiedes trafen wir uns oft, streiften durch den Schlosspark, kletterten auf Bäume oder Barackendächer, setzten uns und hatten immer Gesprächsthemen.

Was ist uns nicht alles durch den Kopf gegangen! Erstaunlich, wie weit und endgültig wir damals in unserer noch schlichten Gedankenwelt schon gekommen sind, wie tief sich alles eingegraben hat und welch langen Bestand die damalige Entwicklung gehabt hat!

Vieles ließ sich für uns nicht lösen. Aber es auszusprechen allein schon erhöhte das Lebensgefühl und ließ unser Selbstbewusstsein wachsen: Was ist das Leben eigentlich? Wo kommt unsere Seele (oder wie man es nennen möchte) her? Was wird nach dem Tode sein (ich: ewiger Schlaf, er: irgendwie wohl bei Gott)? Wir wussten, dass Raum und Zeit nicht endlich sein konnten, konnten uns den unendlichen Raum aber auch nicht vorstellen. Alles unlösbare Fragen.

Vieles stellten wir in Zweifel – und lehnten es anschließend ab:

Müssen wir unseren Eltern eigentlich dankbar sein? Eigentlich nicht. Oder haben sie uns etwa uns zuliebe in die Welt gesetzt? Sicher nicht. War es daher nicht ihre Pflicht, uns auch großzuziehen mit allen damit verbundenen Mühen? Warum dann Muttertag? Dankbar sollten wir nur dafür sein, dass die Eltern viel mehr für uns taten, als sie zu tun verpflichtet waren – und wir waren uns einig, dass wir beide das Glück hatten, in dieser schönen Situation zu leben.

Bin ich eigentlich froh, dass ich lebe? Ist es überhaupt schön, zu leben? Was ist schön daran? Morgens aufstehen? Nein! – Zur Schule gehen? Nein! – Mittagessen? Von Ausnahmen abgesehen: Nein! – Schularbeiten machen? Nein! – Im Haushalt helfen? Nein! – Abends ins Bett gehen? Nein! – Schlafen? Nein! ––– Da blieben nur wenige wirklich lebenswerte Stunden: Fußballspielen, Murmelspielen, Kuchenessen, Durst haben und dann trinken, Kartenspielen, schwimmen, auf dem Rad am Rhein entlang fahren, in den Ferien verreisen, ach, es gab schon einiges. Aber wog es die große Überzahl von nicht lohnenden Stunden wirklich auf?

Und was war eigentlich das Lohnende am Fußballspielen, Kuchenessen oder in die Ferien fahren? – Nirgends eine befriedigende Antwort: genau gesehen war ja Fußballspielen unsinnig, ebenso wie Radfahren. Und Kuchenessen? Na ja, irgendetwas war da doch schon toll. Aber was? Die Vorfreude? Das In–den–Mund–Stecken? Das Kauen? Das Schlucken? Das Geschluckt–haben? – Für sich allein genommen alles nicht so ganz toll – und dennoch, es war schön. Nur: Bei genauerem Zusehen, sozusagen unter dem Mikroskop, blieb selbst bei den schönsten Momenten nichts übrig, das sich eigentlich lohnte.

Einen Freund haben. – Oder gar eine Freundin? Das wäre was! – Und warum? Was wäre dann anders?

Eines ist vielleicht noch schöner: eine gute Tat oder eine große Leistung. Aber beim Hinsehen löst sich auch das wieder in nichts auf: Wozu eine gute Tat? Was habe ich davon? Soll ich überhaupt „gut" sein? Was ist schlecht daran, der Mutter Geld aus dem Portemonnaie zu stehlen und dafür ein Eis zu kaufen? Solange es keiner merkt, sollte ich das eigentlich öfter tun! –

Übrigens: Ich tat es. Genau so. Keiner merkte es. Und das Eis schmeckte hervorragend. Irgendwie war ich sogar stolz auf meine Idee und meinen Mut. –

Und überhaupt: Wäre es nicht viel klüger, alle Menschen, wo immer es zum eigenen Vorteil möglich ist, zu belügen, zu betrügen, zu bestehlen, notfalls am Ende vielleicht tot zu schlagen, wenn sich sicherstellen ließe, dass es nicht herauskommt? Warum wird uns beigebracht, ehrlich und gut zu sein? Dieter Sommerfeld hatte eine Antwort. Ich weiß es noch wie heute. Wir saßen auf dem Dach einer kleinen Hütte neben dem Schulhof. Er antwortete etwa so:

„Gott möchte es so. Er hat uns die 10 Gebote gegeben und viele andere Verpflichtungen. Das steht alles in der Bibel, zum Beispiel in der Bergpredigt (die ich nicht kannte). Da steht das alles drin. Und später werden wir belohnt, wenn wir uns daran gehalten haben.“ –

Das war für mich keine Antwort.

„Gibt es denn diesen Gott überhaupt, der allmächtig ist, alles bestimmt, das geschieht, uns liebt und leitet?“ –

So etwa war meine Frage, und der gute Somms meinte:

„Ja sicher, es steht so in der Bibel.“

„Bist Du sicher, dass es auch wirklich so ist?“

„So habe ich es gelernt und so glaube ich es.“

„Ich kann mir das alles nicht vorstellen.“

„Warum nicht? Alle glauben es, die ich kenne.“

„Wenn der liebe Gott mein Leben bestimmt und alles entscheidet, was mit mir geschieht und mich wirklich liebt, so müsste er mir doch zeigen, dass er da ist. Er müsste mir den Glauben an ihn geben. Oder wenigstens mir helfen, ihn zu finden, wenn er wirklich ein guter lieber Gott ist!“

Keine Antwort.

„Er könnte jetzt eine Glocke ertönen lassen zum Zeichen, dass es ihn gibt. Dann würde ich an ihn glauben. Großes Ehrenwort.“

„Dann bitte ihn doch darum.“

Ich tat es. Laut und vernehmlich. Wir taten es zusammen:

„Lieber Gott, wir wollen an Dich glauben und Deine Gebote befolgen, wenn es Dich gibt. Bitte gib uns ein Zeichen, dass Du uns hörst, damit wir an Dich glauben können. Lass eine Glocke erklingen!“

Warten. Nichts geschah.

„Das ist vielleicht zu viel verlangt. Der Pastor sagt, man solle Gott nicht versuchen. Ich glaube, er meint, man darf nicht unbescheiden viel erwarten oder erbitten. Der Glockenton wäre ja schon eher ein Wunder. Das kannst Du nicht erwarten.“

Pause.

Ich habe eine Idee.

„Siehst Du die Amsel da auf dem Dach?“

„Ja.“

„Es müsste kein Wunder geschehen, um sie in der nächsten Minute einmal dort drüben auf den großen unteren Ast der alten Kastanie fliegen zu lassen und kurz singen zu lassen, um mir ein Zeichen zu geben. Das wäre ganz natürlich, und für Gott keine Mühe, da er sowieso alles bestimmen muss, was geschieht – egal, ob er sie nun auf dem Dach sitzen oder auf die Kastanie fliegen lässt. Wenn er uns dieses kleine Zeichen gäbe, dann würde ich an ihn glauben.“

Wir schauten auf die Armbanduhr und beobachteten den Vogel. Nichts geschah. Er blieb wo er war.

„Vielleicht solltest Du richtig darum beten, damit Gott es auch hört.“

Ich tat es. Der Vogel blieb.

„Vielleicht ist es besser, wenn Du es tust“, sagte ich, „Du bist gläubig, getauft und konfirmiert.“

Keine Wirkung. Wir wiederholten es mehrfach gemeinsam. Da endlich flog die Amsel los. Weit weg. Nicht auf die Kastanie. Ich glaube, wir waren beide traurig.

Mein Gefühl der Leere war wieder ein wenig mächtiger geworden.

Philosophie und Wissenschaft

Aufklärung (Kant)

Zwei Zitate*:

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.

Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.

Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude!