Die sieben Kelche - Norman Liebold - E-Book

Die sieben Kelche E-Book

Norman Liebold

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Beschreibung

Nahtegal sitzt voller Fragen am Ufer eines Sees, als ein alter Mann über die Wasser kommt und ihm Antworten verspricht, wenn er aus dem Kelch trinkt, der ihm gereicht wird. Nahtegal trinkt und hört die Stimmen von Drachen, die rings umher im See schwimmen: "Dies ist der erste Kelch. Man nennt ihn den Kelch des Gifts! Und wirst Du die andern Kelche nicht bis zur Neige trinken bis zum Letzten, so wird der Trunk von innen her Dich bei lebend'gem Leib verbrennen, bis nur noch ein leerer Schatten Du, ohn Gefühl, Sinn, Ziel und Freud! Beeile Dich, Dein Jünglingsein sei Dir als Frist gesetzt, mit dem letzten Kelch wirst Du zum Manne oder aber zum stumpfen Nichts!" Nahtegal begibt sich auf eine Odyssee, eine phantastische Reise in ein verfluchtes Land, das er befreien muß, wo ihm Kämpfe bevorstehen mit Drachen, Medusen und seinem Selbst - bis er die Erkenntnis erlangt, daß dieses finstere, dornenüberwucherte Reich seine eigene Seele ist.

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Norman Liebold

Die Sieben Kelche

Gralssuchendes Spielmanns-Epos

mit Illustrationen von Norman Liebold

AMATOR VERITAS

Digitale Version der überarbeiteten Ausgabe 2003.

Amator Veritas Buch Nr. XXIV.
Illustrationen von Norman Liebold.
Copyright © 2003
Norman Liebold und Amator Veritas Verlag, Hennef.
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen und elektronische Medien, sowie der Übersetzung auch einzelner Teile.
ISBN-13 (Print): 978-3-937330-06-8

Widmung

Den Vätern Beorns: Michael Frank, dem Bildhauer, Maxim Spektor, und Landi „Graywolf“ Landefeld. Und all jenen Künstlern, die für ihre Kunst kämpfend auf Bequemlichkeiten, Luxus

Prolog

Gestatten, ich bin Nahtegal, Vögelchen auch genannt, und heute erzähl ich Euch die Mär von den Kelchen, sieben an der Zahl. - Sie ist so wahr, als ich nur schwören kann, doch habt acht! Der Spielmann mag zwar bestimmen, in welcher Folg die Tön seiner Melodie erklingen, doch das Instrument erst macht den Ton! - Eine Mär ist gleichsam der Hammerschwung auf die Glocken eines Glockenspiels - ohne Glockenspiel jedoch wirbeln sie ohne Sinn nur durch die Luft. - So braucht die Mär und der Märenspinner Euch, die Ihr seinen Geschichten lauscht - so wie der Hammer des Glockenspiels bedarf, damit die Melodie erklingt. - Doch ein jedes Glockenspiel macht einen andern Ton, und so auch die Geschicht in Euch bei jedem eine eigne Mär - lauscht drauf, findet Eure Kelche! Dies hier ist keine andre Reise als die Eure!

DAS BUCH DER IRRUNGEN

DER KELCH DES GIFTS

An der Schwelle, über die tretend das Kind zum Jüngling reift und der Blick, ein Mädchen streifend, zurückkehrt und verharren will, schwebt‘ ein Bild im Wachtraum zu mir hinab und lächelte mich an. Wie hold war das! Welch Tiefe lag in diesen wachgeträumten Augen! Von da an, glaube ich, war ich verzaubert, gesegnet und nicht weniger auch - verdammt. Welch Leichtigkeit für den, der nie in solch wachgeträumte Augen geschaut! Dem in menschlich Angesicht irgendwann zwei Augensterne funkeln und er sie fassen kann!

Ich aber mußte suchen, denn solch ein Bild gräbt tief sich ein und läßt Dich nimmer los. Du vergißt‘s imWachen, doch tief in Dir lebt es fort und läßt Dich ewig nach ihm irren. Mein Blut war stets so heiß als irgendeines, mein Sinn wach, und mehr als einmal schlug schwer mein Herz und neigte sich mein Sinn: Vier Frauen waren immer da, zugleich, das schien mein Fluch zu sein. Die Erste hatte den Leib des Traumgesichts, die Zweite blickt‘ mit seinen Augen, die Dritte war mir Seelenfreund und die Vierte erhitzte mir Leib und Blut. Von Wollust aber wußte ich noch nichts. Kaum hatten meine Lippen hier und da geküßt ein anderes Paar Lippen und weiche Brüste, da war in mir drinnen eine stete Wirrnis, die fand kein Ziel.

Da trat in einer Nacht, die dunkel war voll Mond und Sterne am Himmel droben und Nebel dicht um mich herum, ein Mann an mich heran und spielte leis auf einer Flöte. Wie rührt‘ die Weis‘ mich an! So seltsam altbekannt, so wundersam! Es war, als drehte sich die Welt um mich herum und verwandelte sich zu einer Andern, die älter war und echter schien. Die Flötenweis brach ab, die Welt aber blieb verwandelt. Der Mann, er schaut‘ mich an und sprach: „Nun, Freund, wie fühlt man sich?“ Und mir war kein Wort im Munde. „Verwirrt bist Du, nicht wahr? Sitzt hier auf langem Stege in der Nacht, ringsum der dunkle, tiefe See, über Dir die stille Tief‘ des Himmelskreises, sitzt hier, schaust hinan und bist verwirrt. Vier Frauen sitzen in dem Hause dort, die Erste schaust gern Du an, die Zweite läßt in den Augen Dich ertrinken, die Dritte versteht, was Schmerz und Freude Dir, und die Vierte macht Dich lüstern. Doch keine will Dich wollen machen, daß Du die Hand Ihr reichst und mit Ihr die Welt durschstreiftst nach der letzten Rätsel Lösung, drum sitzt Du hier draußen und fragst, warum Du das nicht fühlen kannst.“

Er sprach grad mir aus dem Herzen, nahm die Flöte und blies eine weitre Weis‘, die noch ärger in mein Innres drang und alles so darinnen schwingen ließ, daß meine Wirrnis noch viel stärker ward. „Du fühlst einen Hunger in Dir drin und weißt doch nicht, was ihn stillen könnt. Für die Antwort gäbst Du viel, doch frage ich: Gäbst Du auch genug? Vielleicht kenne ich die Antwort ja auf Dein Fragen!“

Und wieder erfüllte eine Flötenweis den dichten Nebel um uns her. Sie griff tiefer noch als die Vorige in mein Fühlen und wühlt‘ es auf: Aus dem Schlamm befreit schimmerte etwas greifbar nah und doch unendlich fern. Ich sprach: „Was muß ich geben, damit Antwort ich erfahr‘?“ Und meine Stimme war heiser und der Hals mir trocken.

„Nichts als daß Du dieses hier in einem Zuge bis zur Neige leerst!“ sprach der Fremde und hielt einen Kelch mir hin, wie ich ihn noch nie geseh‘n: Über und über bewachsen von Ornamenten aus verschlungnen Frauengliedern.

„Was ist dort drin?“, so fragte ich, doch der Fremde lachte nur und drückt‘ den Kelch mir in meine Faust. Dann spielte er, die Melodie drang tiefer in mich ein als alle Anderen und wühlte mehr Schlamm noch auf im Flusse meines Seins: Fragen, die ich tausendmal gestellt, und solche, die ich noch nicht gekannt, stürzten auf mich ein, und im Kelch, da schimmerte es, wie nur Antwort schimmern kann.

„Schau in den See!“, sagte der Fremde leis und spielte weiter seine Zauber-Melodie, und wie ich vom Steg auf den schwarzen Spiegel blickt‘, da sah ich Schlangen darin schwimmen, die mehr als Schlangen Drachen waren: Riesenhaft mit schimmernden Leibern. Radgroße Augen schauten mich an und schienen zu mir zu sprechen in Worten, die Bilder war‘n. „Auch ich trank einst den Trunk“, sprach der Fremde. „Und sieh, was ich heute bin!“ Und er verwandelte sich vor meinen Augen, streckte unendlich sich in die Länge, begann zu schimmern und glitt als Drachenschlange in die Flut.

Ich aber blieb zurück auf dem hölzern Steg, den Kelch in meiner Hand und schaut‘ hinab und sah die Schlangen dort sich tummeln und zu mir hinaufschau‘n mir rädergroßen Augen. Welch Weisheit lag darin, welch Wissen grad um meine Fragen! Da setzt ich den Kelch an meine Lippen und stürzt ihn hinunter in einem Zug. Welch Schmerz! Er durchzuckte sengend mich mit dem Trunk, der durch meine Kehle floß. Wie flüssig Blei war er in meinem Leib und brannte sich durch mein Gebein.

„Dies ist der erste Kelch“, tönt‘s aus der Tiefe, „Man nennt ihn den Kelch des Gifts! Und wirst Du die andern Kelche nicht bis zur Neige trinken bis zum Letzten, so wird der Trunk von innen her Dich bei lebend‘gem Leib verbrennen, bis nur noch ein leerer Schatten Du, ohn Gefühl, Sinn, Ziel und Freud! Beeile Dich, Dein Jünglingsein sei Dir als Frist gesetzt, mit dem letzten Kelch wirst Du zum Manne oder aber zum stumpfen Nichts!“ So begann ich, Nahtegal, meine lange Suche, meine Odyssee nach den Kelchen hin, die zu finden das Gift mich zwang in meinen Adern.

DIE MELODIE

Die Zeit vom Kinde bis zum Manne ist ohn Ziel, jedwede Richtung ist vergessen, Wirrnis ist nur, denn was man als Kind tief im Innern fühlend weiß, ist vergessen, und noch nicht erfahr‘n was als Mann wissend Dir Ziel verleiht. Die Jugend ist ein Tanz, wild sich im Kreise drehend, der Narrentanz des Kindes, das nicht sterben will. Verzweifelt starrt man hierhin, dorthin, um irgendwo einen Weg zu finden, doch des unbewußt Gewußten beraubt und bar bewußten Wissens sieht man nichts als Zeichen einer Sprache, die man nie gelernt zu lesen, rätselhafte Hieroglyphen. Man greift nach allem, was verspricht, die Symbole Dir zu deuten, jagt im Glauben, erkannt zu haben, Phantomen nach, stürzt jagend in blinden Abgrund oder steht wie am Anfang da, sucht nach neuem Weg und jagt wieder einem Glauben nach. Die Einen ertragen‘s nicht, enttäuscht zu werden, verschließen stur die Sinne sich und jagen, ewig tanzend, bis zum Tode weiter irgendeinem Glauben nach. Die Anderen hocken sich nieder irgendwann, ein Weg ist ihnen falsch wie auch der andere, drum sie gar keinen mehr zu geh‘n sich entscheiden können. Nur wen‘ge bleiben, die mit angestrengtem Blicke die Zeichen forschen, tasten, nicht blindem Glauben folgend einfach vorwärts stürzen, sondern offnen Auges, offnen Ohres, die Zeichen und Muster zu deuten suchen.

Ich weiß nicht, zu welchen ich gehört, das Gift war in meinen Adern, fraß sich tiefer und trieb mich voran. Ich suchte in den Zeichen, doch nur eines kannte ich: Das war die Melodie, die der Fremde einst gespielt. Vielfältig widergespiegelt traf ich ihre Fetzen hie und da auf meinenWegen: In Bildern, Büchern, Symphonien, in der Wälder Stille, der Tiefe eines See‘s. Ich schnitzte aus einem Baume eine Flöte mir und versuchte langsam tastend die Weis‘ zu finden. Doch was ich auch tat, ich traf sie nicht, kaum hatte ich, mich selbst vergessend ein paar Töne heraufbeschwor‘n, da schwebten sie schon mit dem Wind davon und ließen sich nimmer wiederfinden. So suchte ich überall wo ich nur konnt‘ nach den Melodien, die mir von jener Nacht als geahnte Schatten im Gedächtnis waren und sich nicht fassen ließen. Viele Monde suchte ich, bis an einem Abend der Wind eine Melodie zu mir herübertrug. Ich ging ihr nach, von Hoffnung war voll mein Herz. Und an einem Teiche fand ich im letzten Sonnenstrahl ein Mädchen sitzen, das spielte Flöte. Ich stand im Schatten, hörte zu, und der Tönereigen ging durch mich hindurch und ließ mein Herze schneller schlagen: Er war ähnlich jenem, den der Fremde in jener Nacht am See gespielt - ähnlich, doch nicht gleich. Jene andre Welt schien überm Teiche im leichten Nebel sich zu wiegen, ich trat zu dem Mädchen hin und schaut‘ es an. Es war nicht schön, es war von jenen Vieren Eine: Hatte nicht den Leib, nicht die Augen meines Wachtraumbilds, noch erhitzte sie mein Blut, doch etwas schien mir verwandt mit mir, und so sprach ich es an.

Als ich sagte, ihr Flötenspiel hätte mich gerührt, sie möge es doch noch einmal spiel‘n, da ward sie ganz rot, schlug die Augen nieder und spielt‘ noch mal. DieWeis, sie war wirklich ganz ähnlich der des Fremden. Und doch schien sie vor dem Letzten abzuweichen, grad bei den Tönen, die mir damals bis ins Herze drangen, die Welt um und um sich drehen ließen, grad bei diesen Tönen scheute sie und floh zurück in des Anfangs seichten Klang. Sie lehrte mich, auf meiner Flöte ihreWeis‘ zu spiel‘n, und hatte ich zuvor nicht vermocht, an die Melodie heranzutreten, so schien sie nun so greifbar nah: Es fehlten mir doch nur die letzten Töne: Schon vibriert‘ die Welt, bäumt‘ sich auf in ihren Festen, und sie sich dreh‘n zu machen bedurft es nicht mehr viel.

Ich ahnte fast, welche Töne mir noch fehlten, doch als ich anfing, sie zu suchen, den einen traf, dem anderen mich näherte, da schlug das Mädchen mir mit angsterfülltem Antlitzt die Flöt‘ vom Mund und küßt‘ mich schnell, daß ich nicht weiterspielte.

„Nicht das!“ so flehte sie mich an. „Dann dreht sich alles und etwas kommt von Nirgendwo! Ich weiß nicht was, ich will es auch nicht wissen! Mit der Weise ist etwas Geheimnisvolles, sieh, wenn ich spiele, spiegeln in den Nebeln sich fremde, wunderschöne Wesen. Doch ich fürcht mich, daß sie, gerufen, nicht mehr gehen wollen!“ „Hast Du jene Töne schon gespielt?“ so fragte ich, und sie nickte leis: „Da kam eine Frau, die bot mir Antwort auf die Fragen, die mich quälten. Ich fragte stets nach dem Woher und nach dem, was hinter den Dingen ist.

Ich spielt‘, und alles drehte sich, und für eine Zeit sah ich die andre Seit, und die Frau, sie reichte einen Kelch mir hin, der war verziert mit lauter nackten Leibern, und sie sprach Trink! zu mir, doch der Kelch, er roch nach Gift, und so gab ich ihn zurück. Seitdem spiel ich zwar die Weise noch, schau auf die Schemen in den Nebeln, die Töne jedoch, die blies nie wieder ich.“

„Lehr sie mich, ich bitte Dich!“ rief ich, „Ich trank den Trunk, er war von Gift, er brennt in meinen Adern und ich muß sie wissen, daß das Gegengift ich erlangen kann!“

„Schweig! Nie wieder spiel ich sie!“ rief sie. „Geh nicht zu der alten Hexe!“ Und sie schlang ihre Arme um meinen Hals und küßte mich. Ich fühlte kaum etwas, seltsam war‘s, mein Herz wollte keine Antwort geben auf das schnelle Schlagen unter ihrer Brust. Doch in mir das Gift es regte sich und fuhr in mich hinein, ein Hunger ohnegleichen nach weißem Fleisch, ein Hunger ohn ein Angesicht, und in meinem Kuß nippte auch sie davon, und hungrig klammerten unsre Glieder. Da rückte sie von mir ab und sprach: „Zerbrech die Flöte, such nicht länger! Bleib hier, wir wollen alles nehmen, wie es ist und nicht länger danach suchen, was hinter den Dingen vielleicht könnte sein!“

Ich schaute in ihre Augen, hielt ihre Hand, und in mir drinnen das Gift, es schäumte. Freut‘s sich schon, in meine Adern gänzlich sich zu ergießen? Nein, nicht das! „Komm mit mir, laß uns die letzten Töne spiel‘n der Zauberweis, und nachschau‘n, was hinter den Dingen ist!“ so sagte ich und setzte die Flöte an die Lippen. Meine Weis‘, sie war gewachsen schon, drei Töne mehr schon kannte sie, und die Nebel krochen um uns her. Da schrie sie auf, zeigte auf die Wasser, und darinnen schauten Augen rädergroß zu uns hinüber. Sie rannte fort, ich blieb allein zurück und die Drachenschlangen sah‘n dunkel in mein Herz.

Ich nahm mein Bündel, ich zog weiter, und im Weiterzieh‘n spielt beständig ich die Flöte, tastete nach den letzten Tönen, daß die Welt sich endlich drehe. Doch was ich auch tat, ich konnte sie nicht finden. Ich reiste viel umher, forschte überall und fand bis auf Fetzen nichts, und die Fetzen waren Hieroglyphen mir, keinen Zusammenhang konnt ich entdecken. Wenn man zu sehr sucht, kann man erblinden. Wie oft spielte ich nicht meine Melodie? Die Menschen wurden von ihr bezaubert, sie mache sie träumen, sagten sie, regte tief in ihnen was, das schon tot sie wähnten, doch keiner fühlte, was schmerzlich ich empfand: Daß an ihr die Töne fehlten, die so sehr ich irgendwo zu finden hofft.

Als ich dem Gesetze nach zum Manne ward, bekam ich ein Kästchen von jener der Vier geschenkt, die aussah, wie mein Wachtraum ausgeschaut. Ich klappt‘ es auf, und daraus ertönte eine Weise, die mir bis ans Herz hinunter ging War sie das? Ich starrte das Kästchen an, dann das Mädchen, bracht kein Wort heraus. Es gab sie! Es war kein Traum!

ODYSSEE

Und mit Feuerdrang, die Spieluhr stets bei mir tragend, begann ich erneut die Suche, reiste kreuz und quer, monatelang, spielte jedem die Spieluhrweise vor und fragte: „Hast Du die schon mal gehört?“ Das schöne Mädchen, das sie mir geschenkt in elfenbeineingelegtem Kästchen, das Mädchen hatte ich nicht gewagt zu fragen: Jener der Vier, die ausschauten und lächelten wie einst das Wachtraumbild ausgeschaut und mich angelächelt, wagt nie ich nah zu sein. Und nun gleich gar nicht, wo es schien, als könnt eine verwandte Seele mit darinnen wohnen. Versteht Ihr das? Es war eine Art der Angst, die Minnesängerkomplex ich nennen möchte, ich erzählt‘ Euch schon davon. Ach! Zwar schmolz ich dahin im Schaun, doch Scheu und Furcht machten mich ein jedes Mal schmählich flieh‘n, stand des Wachtraums Ebenbild vor mir. Ich war gefangen irgendwo im Wachtraum noch, in Träumerein, als Nebelschwaden hingen sie vor meinen Augen.

Von meinem Irren will ich so kurz berichten als ich nur kurz berichten kann: Mit der Spieluhr in der Tasche irrt ein Jahr lang ich umher, spielt allerorten die Weis den Menschen vor, studiert’ sie ein auf meiner Flöte und fand, das ich sie längst schon kannt‘. Doch im Wahne stürzt immer weiter ich, immer schneller, überschlug mich fast und fiel bei den Frauen von der Einen hin zu Nächsten. Ach! Täuschten sie mich, oder täuschte ich sie vielleicht? Oder täuscht ich mich vielleicht gar selber? Nichts davon und doch gleich alles drei! Die Eine sang mir Melodienfetzen vor gleich jenen aus der Traumspieluhr, die Andere spielte sie auf dem Saxophon, mit der Guitarre, jene wiederum malte sie mit Farben auf Leinewand, doch immer fand ich, daß es Fetzen waren oder Abziehbilder nur, die ich ihnen, beständig die Melodie vorspielend, geradezu drängend eingeimpft. Es mögen wohl auch solche gewesen sein, die mit Absicht mir solches vorgegaukelt: Ich flog drauf wie auf Leim die Fliegen, und surrte dann enttäuscht von dannen. Ich sah den Wald vor lauter Bäumen nicht! Sucht beständig nur nach meiner Melodei, nach meinesWachtraums Verkörperung und brannte fast dran aus. Denn immer nur vorwärtsstürzend, ruhelos, mit immer größrer Kraftanstrengung, erschöpfte ich mich mehr und mehr und konnt irgendwann kraftlos nicht mehr weiter. Und zuweilen, wenn ich die Flöte spielte, an einem See, wo Nebel drüber schwammen, sah ich in den weißen Schwaden meinen Wachtraum schweben, doch immer ferner, immer unnahbarer wurde er, mehr noch, er schien kränker mit einem jeden Mal, etwas Schwarzes zog sich um ihn herum und schien ihn zu erwürgen. „Das Gift, das mich verzehrt, es verzehrt auch Dich!“ so rief ich den Nebelschaden zu, drinnen die Traumgestalt zu mir hinüberschaute. Und um so schneller stürzt vorwärts ich, suchte nach den Kelchen, spielt die Flöte, tastet‘ verzweifelt nach den letzten Tönen und spielt immer doch die selbe Melodie, wiederholte in einem fort nichts als was mechanisch tot auf die Spieluhr gebannt mich zu verhöhnen schien.