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Das Römische Reich stand im 3. Jh. n.Chr. am Abgrund: militärisch, politisch, sozial und fiskalisch. War es eine ›Weltkrise‹, die der antike Mittelmeerraum unter den Soldatenkaisern durchlitt? Dieser Band zeichnet die verschiedenen Aspekte nach und versucht sich in einer Deutung: Nicht eine alle Lebensbereiche erfassende Krise erschütterte das römische Weltreich, sondern umwälzende Veränderungen außerhalb des Imperiums erforderten militärische Reaktionen und brachten die alte Prinzipatsordnung ins Wanken. Die ›Soldatenkaiser‹ – viele dieser durchweg vom Heer erhobenen Kaiser waren alles andere als unzivilisierte Haudegen – stellten sich typisch römisch, traditionsverbunden und doch innovativ den Herausforderungen ihres Zeitalters und schufen so ein neues Imperium.
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Seitenzahl: 322
Veröffentlichungsjahr: 2020
Michael Sommer
Die Soldatenkaiser
GESCHICHTE KOMPAKT
Michael Sommer, studierte Alte Geschichte, Klassische Philologie, Wissenschaftliche Politik, Neuere und Neueste Geschichte sowie Vorderasiatische Archäologie in Freiburg, Basel, Bremen und Perugia, lehrte in Liverpool und ist seit 2012 Professor für Alte Geschichte an der Universität Oldenburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind das römische Imperium, der östliche Mittelmeerraum sowie die Phönizier.
Herausgegeben von
Kai Brodersen, Martin Kintzinger, Uwe Puschner
Antike
Herausgeber für den Bereich Antike:
Kai Brodersen
Berater für den Bereich Antike:
Ernst Baltrusch, Peter Funke, Charlotte Schubert, Aloys Winterling
GESCHICHTE KOMPAKT
Michael Sommer
Abbildungsnachweis:
akg-images: S. 36, 53, 67, 83
Karten, Peter Palm: S. 96,104
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4., vollständige überarbeitete und bibliografisch aktualisierte Auflage 2020
© 2020 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt
1. Auflage 2004
Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch
die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.
Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach
Einbandgestaltung: schreiberVIS, Seeheim
Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier
Printed in Germany
Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-27224-2
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:
eBook (PDF): 978-3-534-74622-4
eBook (epub): 978-3-534-74623-1
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Innentitel
Inhaltsverzeichnis
Informationen zum Buch
Informationen zum Autor
Impressum
Geschichte kompakt
Vorwort zur 4. Auflage
I. Historische Voraussetzungen
1. Prinzipat
2. Einheit des Mittelmeerraums
II. Die Quellen und ihre Probleme
1. Literarische Quellen
2. Inschriften
3. Papyri
4. Münzen
5. Archäologische Quellen
III. Die Soldatenkaiser: Das Drama und seine Akteure
1. Vorspiel: Das severische Kaiserhaus
2. Erster Akt: Von Maximinus Thrax bis Philippus Arabs (235–249)
3. Zweiter Akt: Von Decius bis Gallienus (249–268)
4. Dritter Akt: Von Claudius II. Gothicus bis Carus (268–283)
5. Nachspiel: Diokletian und die Tetrarchie (284–305)
IV. Herausforderungen: Die alte Ordnung in der Krise
1. Die Grenzen im Westen: Rhein und Donau
2. Ein neuer Nachbar im Osten: Die Sasaniden
3. Usurpation
4. Zwischen Kontinuität und Rezession: Die Wirtschaft
V. Antworten: Eine neue Ordnung zeichnet sich ab
1. Militär und Strategie
2. „Sonderreiche“: Die Regionalisierung militärischer Verantwortung
3. Innovationen in Wirtschaft und Verwaltung
4. Auf der Suche nach Legitimität: Ansätze zu einer religiösen Fundierung des Kaisertums
VI. Bilanz einer Epoche
Auswahlbibliographie
Register
In der Geschichte, wie auch sonst, dürfen Ursachen nicht postuliert werden, man muss sie suchen. (Marc Bloch)
Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. Historische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zuspruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte, und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Geschichte stets vielfältige, neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretationen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden.
Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verlässlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe „Geschichte kompakt“ bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen der Antike, des Mittelalters, der Neuzeit und der Globalgeschichte verständlich und auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Studiums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen und europäischen Geschichte werden in Einzelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Literatur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektüre eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfassend vertraut zu machen. „Geschichte kompakt“ ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeignet, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte.
Die Autorinnen und Autoren sind in Forschung und Lehre erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Jeder Band ist, trotz der allen gemeinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe „Geschichte kompakt“ soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissensstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen historischen Arbeit erweitert werden.
Kai Brodersen
Martin Kintzinger
Uwe Puschner
Das Thema „Soldatenkaiser“, das bei Erscheinen der Erstauflage 2004 noch eine Randexistenz führte, ist mittlerweile fest im Lehrkanon der Alten Geschichte etabliert. Jahr für Jahr wächst die einschlägige Bibliografie – ein sicheres Zeichen, dass das 3. Jahrhundert noch lange nicht „überforscht“ ist. Schon deshalb ist es dem Verfasser ein Anliegen, den Band so aktuell wie möglich zu halten. Die Neuauflage im neuen, zeitgemäßen Gewand gibt Gelegenheit zu einer gründlichen Überarbeitung nicht nur der Bibliografie, sondern auch des Textes. Dank gebührt dem Lektorat der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, insbesondere Daniel Zimmermann, sowie meinen Oldenburger Mitarbeitern und Studenten, von denen inzwischen etliche die Soldatenkaiser für ihre eigene Forschung entdeckt haben. Welcher Ort wäre als Inspirationsquelle für die Überarbeitung geeigneter als Oxford, wo die „Soldatenkaiser“ vor 15 Jahren das Licht der Welt erblickten?
Oxford, August 2019 Michael Sommer
Abb.1 „Die Provinzen der Soldatenkaiserzeit“
Überblick
Rom, noch Anfang des 4. Jahrhunderts v. Chr. ein Stadtstaat in Mittelitalien, stieg in rund 250 Jahren zur Hegemonialmacht des Mittelmeerraums auf. Von der Expansion und ihren Folgen überfordert, machte die Republik kurz vor der Zeitenwende der Herrschaft eines einzigen Mannes Platz: Augustus begründete den Prinzipat, eine Monarchie in allen Belangen, nur nicht dem Namen nach. Seine Stabilität verdankte der Prinzipat dem politischen Weitblick seines Gründers, nicht zuletzt aber auch dem besonderen Umfeld, in dem sich das römische Imperium im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. befand: es hatte keinen äußeren Gegner, der ihm militärisch auch nur annähernd gewachsen war. Der Prinzipat war eine Schönwettermonarchie.
264–241 v. Chr.
1. römisch-karthagischer Krieg (bis 241): Rom steigt zur Großmacht im Mittelmeerraum auf
241 v. Chr.
Sizilien wird erste römische Provinz
60 v. Chr.
sogenanntes 1. Triumvirat: Pompeius – Caesar – Crassus
44 v. Chr.
Ermordung Caesars
43 v. Chr.
sogenanntes 2. Triumvirat: M. Antonius – Octavianus – Lepidus
27 v. Chr.
Nominelle Wiederherstellung der res publica; Übertragung der prokonsularischen Befehlsgewalt an Augustus auf zunächst zehn Jahre: faktisch Beginn des Prinzipats
14 n. Chr.
Tod des Augustus: Tiberius tritt Nachfolge an
68
1. Vierkaiserjahr: Krise des Prinzipats
193
2. Vierkaiserjahr
Periodisierung
Wir nennen, einer Konvention folgend, den ersten Abschnitt der römischen Kaiserzeit den „Prinzipat“. Die Epoche wird so einerseits von der voraugusteischen Periode römischer Geschichte, der Republik, andererseits von der Spätantike abgegrenzt. Der Begriff kann sich nicht auf eine in antiken Quellen verwendete Terminologie stützen. Die Römer empfanden zwar die Veränderungen, die mit Augustus Einzug hielten, für sie war ihr Gemeinwesen aber nach wie vor eine res publica, eine „öffentliche Angelegenheit“. Die monarchische Struktur verfestigte sich erst allmählich, auch und gerade in der Begrifflichkeit.
Der Prinzipat lässt sich nicht eindeutig als Epoche abgrenzen. Man lässt ihn meist 27 v. Chr. beginnen, dem Jahr der Verrechtlichung der außerordentlichen, bis dahin faktisch militärdiktatorischen Gewalt des Augustus. Damit hat man wesentlich die staatsrechtliche Komponente im Auge, die aber nur ein Segment der für den gesellschaftlichen und politischen Wandel relevanten Faktoren ist. Grundsätzlich sind deshalb auch andere Zäsuren denkbar: frühere, wie der Beginn des sogenannten 1. Triumvirats zwischen Caesar, Pompeius und Crassus (60 v. Chr.), das Jahr der Ermordung Caesars (44 v. Chr.), der Abschluss des sogenannten 2. Triumvirats zwischen Octavianus (Augustus), M. Antonius und Lepidus (43 v. Chr.), aber auch spätere, wie der Tod des Augustus (14 n. Chr.), als die ursprünglich Augustus persönlich übertragenen Vollmachten auf seinen Nachfolger Tiberius übergingen und so der Prinzipat entpersönlicht und damit erst institutionalisiert wurde.
Nicht einfach zu bestimmen ist auch das Ende der Epoche. Das Rom der Spätantike war ein völlig anderes Rom als das Imperium eines Augustus, Hadrian oder Septimius Severus. Übergänge aber vollziehen sich fast immer in langsamen, für die Zeitgenossen kaum merklichen Rhythmen. Bei allem Wandel herrscht stets auch Kontinuität. Und so war das Reich der Spätantike zwar ein anderes Imperium, aber es war noch immer unverkennbar römisch.
Wieder erfasst die rein staatsrechtliche Betrachtung nur einen Ausschnitt des Gesamtgeschehens. Die Monarchie hatte sich gewandelt, der Kaiser war kein princeps („Erster“) mehr, sondern legte nunmehr auf die Anrede dominus („Herr“) und entsprechende Gesten der Unterordnung Wert, weshalb die politische Struktur der Spätantike zumal der älteren Forschung häufig als „Dominat“ (im Gegensatz zum Prinzipat) galt. Die Reichszentrale bemühte sich seit dem späten 3. Jahrhundert um die Regelung von immer mehr Lebensbereichen; sie unterhielt dazu ein Heer von Staatsbediensteten, eine immer ausgeklügelter werdende Bürokratie, die Rom zuvor kaum gekannt hatte. Viele Initiativen der kaiserlichen Regierung erwecken den Anschein eines „totalitären“ Staates, der gleichwohl in seinen Möglichkeiten – verglichen mit modernen Nationalstaaten – beschränkt blieb.
Die Forschung lässt den Prinzipat entweder mit dem letzten Severer Alexander (der bis 235 regierte) oder mit dem Regierungsantritt Diokletians (284) enden. Schon diese Unschärfe lässt erkennen, dass die dazwischenliegenden fünfzig Jahre eine Epoche des Übergangs waren, die sich weder der Prinzipatszeit noch dem früher sogenannten „Dominat“ der Spätantike klar zuordnen lässt. Sie ist Gegenstand dieses Buches, in all ihrer schillernden Uneindeutigkeit und Ambivalenz, die sie mit anderen Perioden politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Zeitenwechsels teilt.
Quelle
Maecenas über die Prinzipatsordnung
(Cassius Dio 52,15,1–4)
Denke nicht, dass ich dir rate, das Volk und den Senat zu versklaven und eine Tyrannis zu errichten. Das dir vorzuschlagen, würde ich mich niemals erdreisten. Noch würdest du selbst es über dich bringen. Das aber wäre ehrenhaft und zweckmäßig für dich wie für das Gemeinwesen: dass du selbst, in Absprache mit den fähigsten Männern, die geeigneten Gesetze verfügst, ohne jede Möglichkeit von Widerstand oder Kritik seitens der Massen; dass du und deine Ratgeber Krieg führen nach deinem eigenen Belieben und alle übrigen Bürger deinen Befehlen unverzüglich gehorchen; dass die Auswahl der Amtsträger dir und deinen Beratern obliegt; und dass du mit ihnen Ehren und Strafen festsetzt. Der Vorzug all dessen bestünde darin, dass, was immer dir und deinesgleichen gut schiene, unverzüglich Gesetz würde; dass die Kriege gegen unsere Feinde in aller Stille und zum günstigen Zeitpunkt geführt würden; dass jene, denen eine Aufgabe anvertraut würde, aufgrund ihrer Verdienste und nicht durch das Los oder durch Rivalität ernannt würden; dass die Fähigen geehrt würden, ohne Eifersucht heraufzubeschwören, die Schlechten bestraft, ohne Aufruhr auszulösen. Das meiste, was so in Angriff genommen würde, würde richtig ausgeführt werden, anstatt an die Volksversammlung überwiesen, öffentlich hin und her überlegt, Parteivertretern überantwortet oder der Gefahr ehrgeizigen Wetteifers ausgesetzt zu werden. Und wir sollten uns glücklich schätzen angesichts der Wohltaten, die uns zuteilwerden, statt in riskante auswärtige Kriege oder unseligen internen Zwist verwickelt zu werden.
Prinzipatskonzeption
Die Passage aus dem Geschichtswerk des Cassius Dio (s. Quelle) ist ein Schlüsseltext für das Verständnis des römischen Prinzipats. Der, dem hier geraten wird, ist niemand anderer als Augustus, der Begründer jener politischen Ordnung, die wir Prinzipat nennen und die das römische Kaiserreich zu einem staatsrechtlichen wie herrschaftssoziologischen Sonderfall macht. Im Prinzip monarchisch, denn es gab die meiste Zeit über nur einen Kaiser, und im Prinzip autokratisch, denn faktisch war die Machtfülle des Kaisers schrankenlos, war der Prinzipat doch gleichzeitig auch eine komplexe juristische Konstruktion, die Strukturen der römischen Republik modifiziert fortsetzte.
Cassius Dio ist ein Historiograf des 3. Jahrhunderts n. Chr. Die Worte, die er Maecenas, dem Ratgeber des Augustus, in den Mund legt, sind so vermutlich nie gefallen, aber vom Verfasser mit Bedacht gewählt. Dio stellt in einer fingierten Gesprächssituation zwei Positionen einander gegenüber. Maecenas’ Gegenpart M. Agrippa hatte zuvor leidenschaftlich für die Wiederherstellung der Republik plädiert. Augustus stand am Wendepunkt: Sein Sieg über M. Antonius und Kleopatra bei Actium (31 v. Chr.), der ihm den Weg zur Alleinherrschaft geebnet hatte, lag gerade zwei Jahre zurück. Sollte er auf seine außerordentlichen Machtbefugnisse verzichten und die Republik wiederherstellen? Oder sollte er, wie es ihm der Maecenas Dios riet, nach der Alleinherrschaft greifen?
Die Prinzipatsordnung, zu der Augustus fand und die seine Nachfolger sukzessive weiterentwickelten, stellte tatsächlich formal die Republik wieder her. Der Princeps tat seine Absicht in zwei meisterhaft inszenierten Auftritten vor dem Senat kund (27 v. Chr.). Erst zu diesem Anlass nahm er den Ehrentitel „Augustus“ an, den nach ihm alle Kaiser im Namen führten (während nachrangige Mitherrscher, häufig Kaisersöhne und präsumtive Nachfolger, den Namen „Caesar“ erhielten). Vier Jahre später legte er den Konsulat, den er bis dahin in Serie innegehabt hatte, nieder. Statt der Ämter bekleidete Augustus fortan nur noch deren Befugnisse: Prokonsularische und tribunizische Gewalt wurden zu tragenden Säulen des Prinzipats. Ein wenig treuherzig versichert der erste Princeps in seinem „Tatenbericht“ (Res gestae), er überrage alle anderen nicht an Machtfülle (potestas), wohl aber an Autorität (auctoritas).
Die Formulierung enthält gleichwohl, wenn auch nicht die ganze, so doch wenigstens mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. Augustus war, ebenso wenig wie einer seiner Nachfolger, alles andere als ein absoluter Monarch. Das lag wesentlich an der Entstehungsgeschichte des Prinzipats aus dem römischen Bürgerkrieg heraus. Zwar war das von Augustus geschaffene System als solches legitim, weil es in der Krise den inneren Frieden wiederhergestellt hatte und fortan nicht mehr infrage gestellt wurde, doch fehlten verbindliche Kriterien, welche die einzelnen Kaiser legitimierten: Weder die imperatorische Akklamation durch das Heer, der Treueeid oder die Verleihung der prokonsularischen und tribunizischen Amtsgewalt – die seit Augustus den Kern der kaiserlichen Herrschaftsbefugnisse bildeten – durch den Senat noch die dynastische Kontinuität reichten für sich genommen, um die Loyalität der Beherrschten auf Dauer sicherzustellen. Sie waren lediglich Investiturakte partikularer Gruppen, die allein keine Legitimität schaffen konnten.
Die Kaiser mussten deshalb, wie Egon Flaig überzeugend herausgearbeitet hat, kontinuierlich bei den drei Gruppen um Akzeptanz werben, die zu koordiniertem Handeln in der Lage waren und deshalb die Prinzipatsgesellschaft maßgeblich konstituierten: Senatoren, Militär und stadtrömische Bevölkerung (plebs urbana): „Den Herrscher hält ganz allein die Tatsache oben, dass er akzeptiert wird; verliert er seine Akzeptanz, dann stürzt er“ (Flaig). Die Akzeptanz des einzelnen Kaisers war maßgeblich an seine Person geknüpft und daran, wie er die Kommunikation mit den Einflussgruppen bewältigte. Verlor er den Draht zu ihnen, gelang es ihm nicht, sich ihnen durch Geld- und Lebensmittelspenden, die Ausrichtung von Zirkusspielen, als erfolgreicher Feldherr oder großzügiger Gastgeber zu präsentieren, kurz: als Wohltäter, auf den sich die Hoffnungen aller richteten, waren seine Tage als Kaiser gezählt.
Folgen der Prinzipatsordnung
Unvermeidliche Folge waren Usurpationen, Verschwörungen oder Revolten. Am gravierendsten wirkte stets der Vertrauensentzug durch das Militär. War das Verhältnis zwischen Kaiser und Soldaten zerrüttet, waren Usurpationen nur eine Frage der Zeit. Ihr Verlauf war immer gleich: Die Truppen an den exponierten Grenzen Roms, vorzugsweise dort, wo mehrere Legionen massiert waren, riefen ihren eigenen Kommandeur zum Imperator aus. Der imperatorischen Akklamation folgte der Marsch auf Rom, die Entscheidung zwischen Amtsinhaber und Prätendent brachte der Bürgerkrieg, eine Serie von Bürgerkriegen im nicht seltenen Fall sich häufender, einander zeitlich überschneidender Usurpationen (s. S. 105).
Herrschaft im Akzeptanzsystem des Prinzipats haftete stets das Odium des Außeralltäglichen an und damit eine starke charismatische Komponente – im Sinne von Max Webers Herrschaftssoziologie. Sie war daher stets prekär. Besonders prekär, weil in der konstitutionellen Mechanik nicht vorgesehen, war die Nachfolge. Zwar konnte ein vom Amtsvorgänger designierter Nachfolger, der oft – aber keineswegs immer – ein Verwandter war, auf einen gewissen Vertrauensvorschuss setzen. Dennoch blieben schwere Prinzipatskrisen in den ersten zwei Jahrhunderten die Ausnahme: Nur der Akzeptanzverlust Neros und über hundert Jahre später des Commodus brachten, mit dem ersten (69) und zweiten (193) Vierkaiserjahr, Usurpationsserien mit Wellen von Bürgerkriegen ins Rollen. In anderen Fällen gelang es den Amtsinhabern, Usurpationen im Keim zu ersticken.
Entwicklung der Prinzipatsordnung
Bei aller scheinbaren Gleichförmigkeit entwickelte sich die Prinzipatsordnung doch allmählich von den augusteischen Anfängen aus weiter. Die Richtung war eindeutig, der Prozess unumkehrbar: Obwohl das Kaisertum latent stets seinen quasi-außerordentlichen Notstandscharakter beibehielt, trieb es doch fortschreitender Institutionalisierung und Formalisierung entgegen. Das sogenannte, auf einer Bronzetafel vom Kapitol erhaltene „Bestallungsgesetz“ des Kaisers Vespasian (lex de imperio Vespasiani) von 69/70 dokumentiert eine wichtige Etappe auf diesem Weg: „dass er das Recht und die Macht habe, wie es der vergöttlichte Augustus und Tiberius Iulius Caesar Augustus und Tiberius Claudius Caesar Augustus Germanicus hatten, zu tun, was immer er an Göttlichem und Menschlichem, an Öffentlichem und Privatem dem Wohl und übergeordneten Interesse des Staates für dienlich erachte“ (CIL VI, 930). Die, wenigstens theoretische, Allmacht des Prinzeps hatte hier (soweit sich auf Basis der überkommenen Quellen urteilen lässt: erstmalig) eine rechtliche Grundlage erhalten.
Parallel dazu erfolgte, allerdings gegen beträchtliche senatorische Widerstände, die schrittweise Professionalisierung der kaiserlichen Verwaltung und Rechtsprechung. Wichtige Funktionen übernahmen, anstelle der republikanischen Magistrate und Promagistrate, mehr und mehr nichtsenatorische Amtsträger, die speziell für ihre Aufgaben ausgebildet waren. Obwohl bereits unter Claudius erhebliche Anstrengungen zur Rationalisierung des kaiserlichen Palastes unternommen wurden, auch und gerade durch Einsatz von Freigelassenen in herausgehobenen Verwaltungsfunktionen, kam die Bürokratisierung bis ins ausgehende 3. Jahrhundert nicht über relativ bescheidene Anfänge hinaus.
Was war von der ursprünglichen Architektur des Prinzipats und ihrer gewollten Uneindeutigkeit über 200 Jahre nach Augustus, als Dio sein Geschichtswerk schrieb, noch übrig? Unser Text erlaubt hierzu einige Schlussfolgerungen, denn selbstverständlich reflektieren die Ausführungen des Maecenas nicht das Denken der augusteischen Epoche, sondern ein Bild vom Kaisertum, das in Dios eigener Zeit, der späten Severer und frühen Soldatenkaiserzeit, Aktualität besaß. Wir stehen damit an der Schwelle zu jener Epoche, die uns im Folgenden interessieren soll. Aber natürlich ist Dios Standpunkt nicht der eines unbefangenen Beobachters, sondern von der Interessenlage eines selbst gestaltend tätigen, am politischen Geschehen aktiv beteiligten Zeitgenossen vorgegeben: Dio, der Senator aus dem kleinasiatischen Bithynien und gewesener Konsul, entstammte der alten Elite, dem ordo senatorius, der an der Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert um seine Privilegien fürchtete.
Und so lässt Dio seinen Maecenas mit Bedacht von der Tyrannis abraten. Sein Kaiser ist kein Despot, sondern ein Monarch, der „seinesgleichen“ – damit sind natürlich die Senatoren gemeint – an Entscheidungsprozessen teilhaben lässt. Im Dreieck der Interessengruppen hebt Maecenas die Rolle des Senats hervor, während er die „Massen“, gemeint ist die plebs urbana, aber auch die große Gruppe des Militärs mit ihrer ausgeprägten inneren Kohäsion, mit Bedacht ausklammert. Der größte Vorzug monarchischer Regierung besteht, folgen wir dem Text weiter, in klaren Entscheidungsstrukturen: Der Wille des Kaisers wird Gesetz; die elementare Entscheidung über Krieg und Frieden obliegt allein ihm. Was Cassius Dio hier durch den Mund des Maecenas ausbreitet, ist eigentlich der Entwurf für eine absolute Monarchie, die um eine aristokratische Komponente abgemildert ist.
Dieser Gedanke kam natürlich nicht aus dem politisch luftleeren Raum. Er hatte, in der Perspektive des Autors, einen eminenten Gegenwartsbezug. Hintergrund war die Krise des Prinzipats, die sich bereits unter Commodus (180–192 n. Chr.) und im zweiten Vierkaiserjahr andeutete und nach dem Tod des Septimius Severus (193–211), unter Caracalla (211–217), Macrinus (217–218) und Elagabal (218–222), verschärfte. Der Zeitgenosse Dio setzte seine Hoffnungen nach sich häufenden Usurpationen, Palastwirren, Anzeichen für eine fiskalische Überforderung des Imperiums sowie verlustreichen Kriegen und Bürgerkriegen auf ein starkes Regiment des jungen Kaisers Severus Alexander (222–235). Die Zeit war reif für innere Konsolidierung und Ausgleich. Nicht zuletzt dürften auch der hohe Blutzoll und drohende Macht- und Prestigeverlust des Senatorenstandes Dios Überlegungen beeinflusst haben. Entsprechende Züge trägt das „Programm“, das er seinem Maecenas in den Mund legte.
Zentrum und Peripherie
Die große Leistung Roms, wenn man es so nennen darf, bestand darin, zum ersten – und bis heute auch zum letzten – Mal das gesamte Mittelmeerbecken in einer einzigen politischen Struktur zusammengefasst zu haben. Von der Iberischen Halbinsel bis zum Euphrat, vom Hadrianswall bis zur Sahara kursierten die gleichen Münzen, galt dasselbe Recht, folgten die Legionen einem einheitlichen Oberbefehl. Die meisten Städte waren auf identischem Bauplan errichtet, hatten ähnliche Verfassungen und dasselbe Inventar an öffentlichen Bauten. Wertvolle Waren zirkulierten als Prestigegüter im gesamten Imperium, und das Getreide zur Versorgung der Hauptstadt Rom fand seinen Weg aus Ägypten über das halbe Mittelmeer.
Wie ein Ring legten sich die Provinzen um das Mittelmeer, das die Römer mit gutem Recht mare nostrum („unser Meer“) nannten.
Stichwort
Provinciae
waren im ursprünglichen Sprachgebrauch die Amtsbereiche römischer Magistrate. Der Begriff bezeichnete schon früh Roms außeritalische Herrschaftsgebiete. Den Anfang machte, nach dem Ersten Punischen Krieg, Sizilien (241 v. Chr.), es folgte kurz darauf Sardinien (238 v. Chr.). Im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. beschleunigte sich das Tempo der römischen Expansion und erfasste schließlich den gesamten hellenistischen Osten und erstmals auch dem Mittelmeer fernere Gebiete (Gallien, Britannien, Germanien). Die Verwaltung der Provinzen oblag in der Regel Personen, die zuvor ein Amt mit Imperium (Konsulat oder Prätur) versehen hatten. Je nach Größe und Bedeutung der Provinz stand ihr ein gewesener Konsul (Prokonsul) oder Prätor (Proprätor) vor.
Der Prinzipat schuf auch für das Provinzialsystem neue Voraussetzungen. Da die Macht des princeps maßgeblich auf seiner Kontrolle der Legionen beruhte, war es für ihn unerlässlich, die exponierten Grenzprovinzen, in denen ein Großteil der Truppen massiert war, seinem direkten Oberbefehl (imperium) zu unterstellen. Sie wurden daher schon unter Augustus der Verantwortung von Promagistraten entzogen und senatorischen legati („Beauftragten“) des Kaisers oder, im Fall kleinerer Provinzen sowie des allerdings außerordentlich wichtigen Ägypten, ritterlichen Präfekten unterstellt. Doch auch weiterhin blieben die römischen Provinzverwaltungen kleine Stäbe; den Hauptteil der administrativen Aufgaben leisteten die sich selbst verwaltenden Städte.
Die Balance zwischen Rom und seinen Provinzen verschob sich seit der frühen Kaiserzeit. Dem republikanischen Rom und seinen Amtsträgern waren die Provinzen nichts anderes gewesen als Reservoirs, denen sich materielle Ressourcen entziehen und ins Zentrum umlenken ließen. Den Provinzialen gegenüber spielte man hemmungslos das Recht des Eroberers aus. In der Kaiserzeit hingegen machte die Nivellierung zwischen Rom und Italien einerseits, den Provinzen andererseits zügige Fortschritte, abzulesen vor allem an der wachsenden Zahl von Senatoren, die den Provinzen entstammten. Die Herrscher leisteten dieser Entwicklung nachhaltig Vorschub.
Quelle
Kaiser Claudius über Provinzialen im Senat (48 n. Chr.)
(H. Dessau: Inscriptiones Latinae Selectae, Bd. 1, Berlin 1954, Nr. 212)
Es war, das ist hinreichend bekannt, eine Neuerung, dass mein Großonkel, der vergöttlichte Augustus, und mein Onkel, Tiberius Caesar, entschieden, dass die Fähigeren und Wohlhabenderen von überall, die gesamte Blüte der Bürgerkolonien und Provinzstädte, in dieser Kurie sitzen sollten. Wie bitte? Hat nicht ein Italiker einen begründeteren Anspruch, Senator zu sein, als ein Provinziale? Was ich davon halte, werde ich euch durch Taten zeigen, wenn ich euch die diesbezüglichen Maßnahmen meiner Zensur vorlege. Denn nicht einmal Provinzialen sind, so meine ich, zurückzuweisen, wenn sie nur der Kurie zur Zier gereichen.
Stichwort
Zensur
Seit 366 v. Chr. führten alle fünf Jahre zwei von der Volksversammlung (Zenturiatskomitien) gewählte censores (üblicherweise gewesene Konsuln) einen census, eine Vermögensschätzung und Musterung der Bürger, durch. Zusätzlich oblag ihnen das regimen morum: die Verantwortung für die Einhaltung des traditionellen Wertekanons, des mos maiorum („Sitte der Vorfahren"). Das Amt der Zensoren war auf 18 Monate befristet und wurde streng kollegial versehen. Seit dem späten 4. Jahrhundert v. Chr. nahmen die Zensoren zusätzlich die lectio senatus vor, die Ernennung neuer und die Streichung amtierender Senatoren von der Senatsliste.
Stadtrecht und Bürgerrecht
Es waren allerdings auch Schwierigkeiten zu überwinden. Die italischen Senatoren sahen ihre Privilegien dadurch bedroht, dass jetzt vermehrt Provinzialen in ihre Reihen drängten. Auf ihren Unmut nimmt Claudius Bezug (s. Quelle). Natürlich waren auch die von Claudius in den Senat aufgenommenen Provinzialen keine Reichsbewohner ohne römisches Bürgerrecht (peregrini), sondern durchweg bereits römische Ritter (Angehörige des ordo equester, des nach den Senatoren zweiten Stands der römischen Gesellschaftspyramide) und Nachfahren von Italikern, die in mehreren großen Kolonisationswellen seit spätrepublikanischer Zeit in die Provinzen übergesiedelt waren.
Diese „Kolonisten“, meist Veteranen, Gründer römischer Bürgerkolonien (coloniae civium Romanorum) auf provinzialem Boden, leisteten einen entscheidenden Beitrag zur Romanisierung. Sie stellten nicht nur die Kontrolle der einheimischen Bevölkerung sicher, sondern boten auch zahlreiche Anreize, sich römischem Lebensstil anzupassen. Die provinziale Bevölkerung wurde so vielerorts innerhalb weniger Generationen assimiliert: Aus Hispaniern, Galliern, Briten, Germanen, Illyrern oder Dakern wurden Römer, die allerdings oft, in unterschiedlichem Maß, zu ihrer römischen eine regionale oder lokale Identität bewahrten.
coloniae
Die coloniae waren Abbilder Roms im Kleinen. Ihre Bürger waren zugleich römische Bürger (cives Romani) und Bürger ihrer jeweiligen Gemeinde. Siedler latinischer Kolonien verloren, wenn sie aus Rom stammten, das römische Bürgerrecht und waren rechtlich den latinischen Bundesgenossen Roms gleichgestellt. In der Frühzeit entstanden Kolonien wesentlich zur militärischen Sicherung unterworfenen Landes. Neben diesem Aspekt trat mehr und mehr der Abbau von Bevölkerungsüberschüssen in Rom und im italischen Kernland und die Versorgung von Veteranen mit knappem Ackerland. Seit den Gracchen, verstärkt seit Caesar, setzte die Gründung von coloniae auf Provinzboden ein und leistete einen erheblichen Beitrag zur Romanisierung. Mit dem Bedeutungsverlust des römischen Bürgerrechts hörte die Gründung neuer Kolonien bzw. die Verleihung kolonialen Status an bestehende Gemeinden („Titularkolonien“) nicht auf: Coloniae rangierten nun in der Prestigehierarchie der Städte an der Spitze.
municipia
Zu den römischen Bürgerkolonien gesellten sich andere Formen städtischer Organisation, mit je unterschiedlichem Rechtsstatus. Municipia waren ursprünglich italische Städte, denen Rom in der Republik den Status als römische Bürgergemeinden (mit vollem Stimmrecht der Bürger in der Volksversammlung) oder Halbbürgergemeinden (ohne Stimmrecht) verliehen hatte, wofür sie im Gegenzug „Pflichten übernahmen“ (munera capere). In der Kaiserzeit erhielten peregrine provinziale Gemeinden als municipia latinisches Recht (municipia Latina): Die Jahresbeamten der Städte, seit Hadrian alle Dekurionen (Ratsherren) erwarben kraft ihres Amtes das römische Bürgerrecht.
Die Besonderheit dieses abgestuften Systems war, dass prinzipiell jeder Provinziale die Perspektive hatte, seine Kinder oder Enkel römische Bürger werden zu sehen. Neben der Verleihung des Bürgerrechts an ganze Stadtgemeinden, sogenannte Titularkolonien, öffnete der Dienst in den nichtrömischen Hilfstruppeneinheiten (Auxiliartruppen) den Zugang zum römischen Bürgerrecht. Ferner waren freigelassene Sklaven (liberti) vom Tag ihrer Freilassung römische Bürger, wenn auch in der ersten Generation mit minderen Rechten. Die Durchlässigkeit des Systems und die Großzügigkeit, mit der Rom sein Bürgerrecht verlieh, machten aus Unterworfenen in ein oder zwei Generationen Teilhaber an der Macht und der Herrlichkeit des Imperiums – eine wesentliche Komponente erfolgreicher Herrschaftssicherung. Nicht ganz zu Unrecht konnte der als Nichtrömer geborene griechische Philosoph Aelius Aristides in einer Rede auf Rom und die Römer im 2. Jahrhundert n. Chr. feststellen: „Ihr seid fähig, zugleich die Macht über ein Reich, und dazu über ein gewaltiges, auszuüben und es nicht ohne Menschenfreundlichkeit zu beherrschen“ (Aristides, or. 26,66).
Kultur
Der Westen hatte der kulturellen Ausstrahlung Roms wenig entgegenzusetzen. Anders freilich stellte sich die Lage in den östlichen Provinzen dar. Hier traf das Imperium auf Zivilisationen, die Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende, älter waren als Rom selbst. Stadtkultur mit all ihren Annehmlichkeiten gelangte nicht erst durch römische Siedler ins Land, sondern war hier längst tief verwurzelt. Griechisch, das sich im Hellenismus als Verkehrssprache ausgebreitet hatte, behielt diesen Status auch unter römischer Herrschaft. Dasselbe gilt regional für das Aramäische in seinen unterschiedlichen lokalen Varianten. In viel geringerem Umfang als im Westen veränderten Koloniegründungen die demografische Struktur.
Dennoch bewies Rom auch im Osten seine Integrationskraft. Städtische Eliten strebten in den Ritterstand, später auch in den Senat, und sie adaptierten in Kunst und Architektur die römische Formensprache, die Möglichkeiten, die sie zur Selbstdarstellung bot, fest im Blick. Mehr vielleicht noch als im Westen zeigte sich im Osten, dass römische Zivilisationsleistungen ein Angebot waren, kein Zwang. Wo Assimilation und Akkulturation erfolgten, ging die Initiative von unten aus, von der lokalen Bevölkerung, vor allem ihren Eliten, nicht vom Kaiser und den Statthaltern. Es gab kein „Programm“ zur Romanisierung, das den Rändern der römischen Welt die Bausteine des Römischseins hätte aufpfropfen können. Stattdessen gab es das Verlangen der Provinzialen, so zu werden wie jene, die einst als Eroberer gekommen waren.
Der Grund dafür ist denkbar einfach: Das römische Imperium war kein auf Homogenität hin konzipierter Nationalstaat. Wie alle Großreiche übte es ein gewisses Maß „struktureller Toleranz“ (der Neuzeithistoriker Jürgen Osterhammel), einfach weil es nicht anders konnte. Das Reich war und blieb, aller Tendenz zur Romanisierung zum Trotz, polyethnisch, multikulturell und religiös vielfältig. Lokale Besonderheiten, „kleine“ Traditionen, blieben unter der Oberfläche der „großen“, reichsweit wirksamen Tradition erhalten. Für uns sind sie, mangels aussagekräftiger Befunde, oft nur schwer aufzuspüren. Allerdings zeichnet sich, auch dank eines wachsenden Bestands an materiellen Zeugnissen, ein Bild ab, das ältere Romanisierungsmodelle differenzieren hilft.
Danach vollbrachte das Römische Reich ab Augustus eine beeindruckende Integrationsleistung. Weit stärker als andere Imperien band es breite Bevölkerungsschichten auch affektiv an die römische Herrschaft, die allenthalben nicht nur rasch akzeptiert, sondern für die meisten auch Anknüpfungspunkt zur innerlichen Identifikation mit Rom war. Drei Angebote erleichterten den Provinzialen die Integration: das soziale Aufstiegsversprechen über den Erwerb des römischen Bürgerrechts; die Verheißung eines komfortableren Lebens dank der Segnungen der römischen Zivilisation; und die Möglichkeit zur Identitätsbestimmung im ideellen Koordinatensystem des von den Griechen erschaffenen und von den Römern gepflegten Mythos. Diesen Angeboten entsprachen die drei Dimensionen von Romanisierung: rechtliche, materielle und symbolische Romanisierung. Sie erlaubten es den Adressaten, die Bedingungen ihrer Romanisierung als Akteure weitgehend selbst zu gestalten: Wie die Angebote jeweils interpretiert und akzeptiert wurden, hing von den Gegebenheiten vor Ort ab, und die wiederum waren stark von lokalen Traditionen und von der sehr unterschiedlichen Intensität römischer Herrschaft geprägt.
Herrschaftsintensität
Herrschaftsintensität nimmt in Großreichen, allgemein gesprochen, vom Zentrum zur Peripherie hin ab. Am größten ist sie im Kerngebiet, dem Ausgangspunkt der Expansion, mit einer oder mehreren Hauptstädten und dem Siedlungsbereich der das Reich tragenden ethnischen Gruppe(n). Darum lagern sich eroberte und direkt von der Zentrale beherrschte Territorien. Noch weiter außen liegen Vasallen- und Klientelstaaten sowie Stämme, über die das Großreich noch eine (nach außen hin immer lockerere) indirekte Oberherrschaft ausübt. Außenpolitisch zu Gefolgschaft verpflichtet, genießen sie im Inneren ein – je unterschiedlich – hohes Maß an innerer Autonomie. Indirekte Herrschaft spart der Zentralmacht die Kosten und den personellen Aufwand direkter Verwaltung; sie ermöglicht so einen denkbar effizienten Einsatz knapper Ressourcen. Praktisch alle vormodernen Imperien bedienten sich ihrer zur Beherrschung weiter Räume, die sie direkt nicht leisten konnten. „Indirekte Herrschaft“ und die Abnahme von Herrschaftsintensität vom Zentrum zur Peripherie hin, gleichsam in konzentrischen Kreisen, sind nur idealtypische Modellbildungen, und natürlich können regionale Besonderheiten, etwa besondere geografische Gegebenheiten (Hochgebirge, Wüsten, Inseln), Ausnahmen von der Regel bedingen.
Das Modell hat weitgehend auch für das Römische Reich Gültigkeit. Auch da, wo natürliche Barrieren (Ozeane, Flüsse, Gebirge) seine Grenzen scheinbar deutlich markierten, reichte sein indirekter Einfluss meist weiter. Jenseits der Rhein- und Donaulinie, wo Rom sich nach der verheerenden Niederlage des Varus (9 n. Chr.) militärisch zurückhielt, wirkte seine Diplomatie umso effektiver; und im Orient begnügte sich Pompeius, als er Syrien zur Provinz machte (64 v. Chr.), mit einem kleinen Brückenkopf an der Küste, den er aber mit einem breiten Glacis von Klientelmonarchien umgab, das die römische Provinz dem Zugriff des rivalisierenden östlichen Großreichs, des Partherreichs, entzog.
Doch kannte das Römische Reich noch eine zweite Besonderheit, die es von anderen Großreichen unterschied. Es beherrschte nicht nur die von ihm abhängigen Klientelkönigreiche und Nomadenstämme indirekt, es gewährte auch seinen Provinzen und selbst dem italischen Kernland Autonomie. Griechische und römische Antike waren, obwohl der überwiegende Teil der Menschen auf dem Land lebte, wesentlich durch urbanes Leben geprägt. Städte waren Schauplätze des politischen Lebens und Bezugspunkte kultureller Identität. Sie wurden im gesamten Mittelmeergebiet zu Zellen römischer Herrschaft, mit der signifikanten Ausnahme Ägyptens. Städte waren allenthalben autonome Gemeinwesen, mit eigenen politischen Organen und Amtsträgern. Zu den Städten gehörte ihr, nicht selten großes, Territorium, mit Dorfgemeinschaften, die von der Stadt als Zentralort abhängig waren. Stadt und Umland bildeten eine politische, soziale und ökonomische Einheit. Stadt grenzte so an Stadt. Das Römische Reich war, aus der lokalen Perspektive betrachtet, kaum mehr als eine Föderation autonomer Städte.
Städte
Die Städte waren es deshalb auch, die Rom die Herrschaft über seine Provinzen mit denkbar geringem Personalaufwand gestatteten. Ihre inneren Angelegenheiten, von juristischen Fragen über die städtischen Finanzen bis hin zu Kultangelegenheiten, regelten sie weitgehend in eigener Regie. Der Provinzstatthalter griff meist nur in Notfällen, bei Konflikten zwischen Städten oder als Appellationsinstanz in Rechtsstreitigkeiten ein. Besonderes Gewicht besaßen deshalb die den Stadtrat und die städtischen Magistrate stellenden Familien der städtischen Oberschicht, die Dekurionen. Sie bildeten in den unzähligen Städten des Imperiums eine Senatsaristokratie im Kleinformat. ■
Auf einen Blick
Ein Mann beherrschte seit Augustus das römische Imperium, das sich vom Atlantik bis nach Mesopotamien erstreckte, doch waren die Kräfte, die das Reich zusammenhielten, vielfältig und komplex. Die Kaiser waren auf die senatorische Elite und das Militär angewiesen, um sich behaupten zu können. Deshalb waren sie genötigt, Kompromisse zu schließen. Das Reich war weder politisch, noch sozial, ökonomisch oder kulturell eine Einheit, aber die normierende Kraft der Romanisierung schweißte es allmählich zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen, zu einem Raum, der auch wirtschaftlich eng miteinander verflochten war.
Literaturhinweise
Christ, K.: Geschichte der römischen Kaiserzeit, München 31995. Umfassende und hervorragend lesbare Gesamtdarstellung der Epoche.
Flaig, E.: Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im römischen Reich, Frankfurt am Main 22019. Theoretisch informierte, weit über die Usurpation hinausgreifende Analyse des Prinzipats.
Millar, F.: The emperor in the Roman world, London 21992. Einflussreiche, nicht unumstrittene Darstellung der institutionellen Aspekte des römischen Kaisertums.
Sommer, M.: Das römische Kaiserreich. Aufstieg und Fall einer Weltmacht, Stuttgart 2018. Kurzdarstellung der Epoche mit Einführungscharakter.
Überblick
Verglichen mit der römischen Republik und der frühen Kaiserzeit ist das 3. Jahrhundert n. Chr. ein quellenarmes Zeitalter. Viele literarische Texte sind nur fragmentarisch überliefert, andere, wie die gleich mehrfach problematische Historia Augusta, stammen aus viel späterer Zeit. Umso größere Bedeutung kommt deshalb anderen Quellen zu: archäologischen Überresten ebenso wie Inschriften, Münzen und Papyri.
Wir wissen über das 3. Jahrhundert relativ wenig – noch weniger, als über viele andere Epochen antiker Geschichte. Und besonders dürftig ist unser Wissen über die Zeit der Soldatenkaiser. Ein Grund liegt in den Zufälligkeiten der Überlieferung: Wichtige Texte, die Aufschlüsse über historische Ereignisse und Zusammenhänge geben könnten, sind verschollen, andere, erhaltene stellen einer schlüssigen Deutung schier unüberwindliche Hürden entgegen. Andererseits: Eine dürftige, problematische Überlieferungssituation ist vielleicht, vor dem Hintergrund allgemeinen Zeitenwechsels, nicht nur zufallsbedingt. Sie mag ihrerseits auch Indikator sein, Ausdruck sich wandelnder Präferenzen und Möglichkeiten der Zeitgenossen. Ein ganzer Abschnitt, nur den Quellen gewidmet, ist vermeintlich trockener Lesestoff; angesichts der Zeugnisse der Soldatenkaiserzeit und ihrer vielfältigen Probleme ist er unerlässlich.
Herodian
Cassius Dios Geschichtswerk, die Hauptquelle für das 2. und beginnende 3. Jahrhundert, bricht 229 ab. Obwohl für das Verständnis der Epoche und ihrer prägenden Grundstimmungen unentbehrlich, ist es deshalb im strengen Sinn für die Geschichte der Soldatenkaiserzeit wertlos. Etwas weiter (bis 238) reichen die acht Bücher Geschichte des vielleicht aus Syrien stammenden, unter den Gordianen oder etwas später schreibenden Historiografen Herodian, dessen Werk in der Altertumswissenschaft wegen seiner „Fabulierfreudigkeit“ (Hermann Bengtson) keinen guten Ruf genießt. Einer historischen Forschung, die nicht allein an der Rekonstruktion der Ereignisgeschichte, sondern auch an kulturellen Wertmustern und Mentalitäten interessiert ist, hat Herodian, der mit durchaus originellen Erzähltechniken arbeitet, gleichwohl etwas zu sagen.
Herodians Zeitgenossenschaft macht ihn zum wichtigen Zeugen für Stimmungen und Wahrnehmungen der Epoche. Die literarische Gestaltung seines Stoffes erhält von hier ihre Impulse und wird so zum Spiegel einer besonderen historischen Dynamik. Dass Herodian die Krisensymptome seines Zeitalters nicht entgingen, wird aus seinen Bewertungen der von ihm skizzierten Kaiserpersönlichkeiten deutlich. Sein Gegenstand ist Zeitgeschichte von Commodus bis Maximinus Thrax. Alle diese Kaiserpersönlichkeiten müssen sich an Mark Aurel messen lassen, dem hochgebildeten letzten Adoptivkaiser, dessen Selbstbetrachtungen ein Hauptwerk der Ideengeschichte sind. Mark Aurels Regierungszeit verklärt Herodian, der sie nicht erlebt hat, in der Rückschau zu einem goldenen Zeitalter; griechische Bildung, paideia, ist ihm Schlüsselqualifikation des guten Herrschers schlechthin. Dagegen nehmen sich die Kaiserpersönlichkeiten seiner Gegenwart – ein entarteter Tyrann (Caracalla), ein exotischer Wollüstling (Elagabal), ein barbarischer Berserker (Maximinus Thrax) – wie bloße Karikaturen aus. Das griechische Bildungsideal der paideia beherrscht seine Darstellung und bestimmt die selektive Schilderung von Ereignisgeschichte.
Historia Augusta
Ein ganzes Bündel von Problemen wirft die Historia Augusta auf, eine von Hadrian bis Numerian (117–285) reichende Sammlung von Kaiserbiografien und für weite Teile der Soldatenkaiserzeit die einzige literarische Quelle. Bereits die Autorschaft bereitet kaum lösbare Probleme: Um die Frage, ob für alle Viten der Sammlung ein einziger Verfasser verantwortlich zeichnet oder, wie vom Werk selbst suggeriert, für jede Vita ein anderer, wird in der Forschung zur Historia Augusta heftig gerungen. Ungeklärt und durch die Frage der Autorschaft zusätzlich kompliziert sind auch Quellen, Tendenz und Entstehungszeit der Sammlung: vermutlich die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts.
Zu diesen Schwierigkeiten gesellt sich noch der offensichtlich besonders hohe Grad literarischer Fiktionalität der Historia Augusta – im Prinzip ein Problem jeglicher historiografischer Literatur der Antike. Weniger die Überlieferung historischer Fakten als vielmehr das Ziel, unterhaltsame Lektüre zu bieten, sowie vielleicht eine – sich uns nicht immer erschließende – antichristliche Polemik bestimmen weite Teile des Textes. Mit den Mitteln klassischer Quellenkritik ist kaum zu entscheiden, wo der oder die Verfasser aus Faktenwissen schöpfen. Dennoch lagen dem Autor oder den Autoren der Historia Augusta zahlreiche Quellen vor, die heute verloren sind. Schon deshalb wird man an der Historia Augusta kaum vorbeikommen.
Dexippos
Zu den heute weitgehend verlorenen historiografischen Texten des 3. Jahrhunderts zählt die griechische Chronik des Atheners Dexippos, die bis zum Tod Claudius’ II. (270) reichte. Auf Dexippos griffen die Historia Augusta und mehrere byzantinische Geschichtsschreiber zurück, in denen Fragmente der Chronik überdauert haben. Dexippos erlebte den Einfall der von den Goten abgespaltenen Heruler nach Griechenland und den Fall Athens. Für seinen Einsatz bei der Zurückschlagung der Heruler errichteten die Athener ihm eine Ehrenstatue, deren Basis (mit Inschrift) erhalten ist. Lediglich fragmentarisch überliefert sind auch die Geschichtswerke der Zeitgenossen Eusebios und Nikostratos von Trapezunt, ganz verloren sind die griechischen Schriften des Asinius Quadratus, eines Senators aus Italien. Der Eindruck, dass die literarische Produktion im 3. Jahrhundert fast gänzlich erlahmte, ist grundfalsch: Er ist hauptsächlich einer gegenüber der frühen Kaiserzeit deutlich ungünstigeren Überlieferungssituation geschuldet und sollte daher nicht als Krisensymptom missverstanden werden.
Breviarien
Eine im 4. Jahrhundert neu entstandene Untergattung der historiografischen Literatur sind die „Breviarien“, historische Abrisse in Kurzform, entstanden in offiziellem Auftrag des Kaiserhauses. Erhalten sind die Breviarien Eutrops, Aurelius Victors und des Festus sowie eine anonyme Schrift, die Epitome de Caesaribus. Sie alle schöpfen, wie auch die Historia Augusta, aus einer gemeinsamen, nicht erhaltenen und erst von einem Historiker des 19. Jahrhunderts rekonstruierten Quelle, die nach ihm „Enmannsche Kaisergeschichte“ heißt. In ihrer Darstellung wesentlich knapper, liefern die Breviarien durchweg verlässlichere Informationen als die problematische Historia Augusta. Von ähnlicher Bedeutung ist die Chronica Urbis Romae, eine kurz gefasste Stadtgeschichte, die bis zur Alleinherrschaft Konstantins des Großen (324) reicht, wenig später entstand und Mitte des 4. Jahrhunderts in einem Almanach, dem sogenannten Chronograph des Jahres 354 n. Chr., Verwendung fand.
Chroniken christlicher Autoren
Eine weitere Gruppe literarischer Quellen bilden die Chroniken christlicher Autoren des 3. bis 5. Jahrhunderts. Sie konzentrieren sich, der Textnatur entsprechend, auf heils- und kirchengeschichtliche Aspekte, zunächst auf Verfolgungen, die Christen zu erdulden hatten, und ihre Auseinandersetzung mit dem römischen Staat; später auf innerchristliche Konflikte und die Zurückdrängung heidnischer Kulte. Trotz des heilsgeschichtlichen Deutungsschemas enthalten Werke wie die Kirchengeschichte des Bischofs Eusebios von Caesarea und Orosius’ Historiarum adversum paganos libri VII