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Das bisher tiefgehendste und persönlichste Buch des Yogalehrers und Autors von "Loslassen mit Yoga-Nidra" Dies ist ein Praxisleitfaden für alle, die Ihre Welt und die ihr innewohnende Schönheit mit den Augen einer Mystikerin oder eines Mystikers betrachten wollen, egal ob Einsteiger oder erfahrene Meditierende. Die kraftvollen und zutiefst positiven Auswirkung der Meditation auf viele ihrer Praktizierenden sind mittlerweile breit bekannt und auch wissenschaftlich belegt. Doch wie können wir diese Wirkungen so in unser Leben integrieren, dass sie uns nachhaltig zu mehr Lebensqualität führen und auch über schwierige Phasen in unserem Leben hinweg tragen? Die Antwort liegt in der Entwicklung der "Sicht der Mystiker" - des intuitiven, gelebten Verständnisses, dass alles "gut ist" - von wo aus dann wahrhaft inspiriertes Handeln möglich wird. Viele von uns sind zu ihrem eigenen Großmeister, unserem eigenen "Guru" – wörtlich, dem was uns aus der Dunkelheit zum Licht, zur Klarheit führen soll – geworden. Wir wählen selbst, was wir lernen wollen und müssen, wann und von wem. Je mehr Auswahl wir haben, desto wichtiger wird es, ein eigenes Koordinatensystem zu entwickeln, um zu erkennen, was möglich ist – das heißt, wobei uns eine bestimmte Praxis helfen kann, und wo nicht. Begleiten Sie Andreas Ziörjen in seinem bisher persönlichsten Buch auf eine Reise durch seine Erfahrungen mit dem spirituellen Weg und der Meditation. Wenn Sie gerade erst anfangen zu meditieren, werden Sie eine bessere Vorstellung davon bekommen, welche Praxis für Sie geeignet sein könnte. Wenn Sie bereits meditieren oder Yoga oder eine andere nach innen gewandte Kunst praktizieren, können Sie hier einfach lernen, sie mit anderen Augen zu betrachten – und darüber hinauszugehen, ohne sie aufzugeben.
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Seitenzahl: 337
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WIDMUNG
Ich widme dieses Buch der inneren spirituellen Meisterin, dem inneren spirituellen Meister, die wir alle in uns tragen und allen Wesen, in denen wir ihr (oder ihm) begegnen.
Namaste.
Die Spirale der
MEDITATION
Die Kraft der Achtsamkeit verstehen und das Leben mehr genießen
Andreas Ziörjen
© 2023 Andreas Ziörjen
Das Chakra-Atelier
Die englischsprachige Originalausgabe erschien im Jahr 2019 unter dem Titel
On How To Become Your Own Guru
Vollständige Neubearbeitung und Übersetzung durch den Autor
Druck und Distribution:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland
ISBN
Paperback
978-3-347-84189-5
Hardcover
978-3-347-84190-1
e-Book
978-3-347-84191-8
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.
Cover
Widmung
Titelblatt
Urheberrechte
EINFÜHRUNG
GEBRAUCHSANWEISUNG
1 MEDITATION – WAS IST DAS?
2 WARUM MEDITIEREN?
3 DER RICHTIGE WEG
4 TANTRA-PHILOSOPHIE
5 DIE VIER YOGA-WEGE
6 DAS SCHNECKENHAUS–MODELL
7 IN AKTION TRETEN
8 DIE GEDANKENMASCHINE
9 Konzentration
10 DER GEFÜHLSKÖRPER
11 DIE SINNE
12 DAS RÄTSEL
13 DIE ESSENZ DER PRAXIS
14 Die innere Führung
15 DER YOGAVOGEL
Anhang 1: ÜBUNGSHILFEN
ANHANG 2: FRAGEN & ANTWORTEN
ANHANG 3: FINGERZEIGE
SEGNUNG
GLOSSAR
LITERATUR-EMPFEHLUNGEN
Danke
ÜBER DEN AUTOR
Nachwort
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EINFÜHRUNG
Herzlich willkommen zu diesem Buch über Meditation. Ich schlage Ihnen vor, gleich mit einer kleinen Übung zu beginnen: Begeben Sie sich in Ihr Badezimmer und schließen
Sie die Tür hinter sich, damit Sie für einen Moment ungestört sind. Bringen Sie Ihr Gesicht nahe zum Spiegel und blicken Sie für einen langen Moment tief in die Spiegelung Ihrer eigenen Augen.
Dann umarmen Sie sich und sagen Sie mit klarer Stimme zu sich selbst: „Liebe/r… (Ihr Name), ich liebe dich. Wir sind gemeinsam weit gekommen. Ich danke dir.” Beobachten Sie, was dabei in Ihnen vorgeht – möglichst ohne zu urteilen.
Falls Ihnen das Befolgen dieser Anleitung im ersten Moment schwerfällt oder zu emotional sein sollte, machen Sie sich keine Sorgen. Sagen Sie sich einfach, was Sie sich jetzt sagen wollen. Dann gehen Sie zurück zu Ihrem Sessel (oder wo auch immer Sie dieses Buch gerade lesen) und machen Sie es sich wieder bequem.
Ich erinnere mich noch gut an meine ersten „Gehversuche” in der Meditation. Das muss irgendwann zwischen 1994 und 1996 gewesen sein. Ich war damals fast achtzehn Jahre alt und – wie viele von uns in diesem Alter – nicht ganz mit mir im Reinen. Aus irgendeinem Grund – ich weiß nicht mehr genau, warum – setzte ich mich eines Abends hin, um zu meditieren.
Ich hatte sicherlich etwas darüber gelesen. Und ich erinnere mich daran, dass ich mir einige Kung–Fu–Filme angesehen hatte, in denen die Kämpfer in beeindruckenden Kampfkunststellungen durch die Luft zu schweben schienen, auf Hügeln meditierten und vor ihrem inneren Auge sahen, was irgendwo weit weg von ihnen geschah. Das wollte ich auch können.
Natürlich erwartete ich nicht ernsthaft, nach ein wenig Meditationspraxis durch die Luft schweben zu können. Aber irgendwie dachte ich: Auch wenn diese Taten tausendfach übertrieben waren, musste etwas dahinterstecken. Ein wahrer Kern. Etwas, das mit der Kraft unseres Geistes zu tun hat. Das weckte den Forschungsdrang in mir.
Als ich dann an jenem Abend tatsächlich zum ersten Mal formell zu meditieren versuchte, waren meine eigentlichen, bewussten Ziele etwas bescheidener als diese wilden Träume und nicht so klar umrissen: Etwas mehr Gelassenheit. Etwas mehr Präsenz, bessere Reaktionsfähigkeit und körperliche Koordination für mein Kampfkunst-Training, in das ich in jenen Jahren einen Großteil meiner Freizeit investierte. Vielleicht erhoffte ich mir, mich etwas weniger unbeholfen und schüchtern im Umgang mit Mädchen zu fühlen. Das war‘s, mehr oder weniger.
Also setzte ich mich in mein Zimmer, verschränkte die Finger vor dem Gesicht in einer Handhaltung („Mudra”), die ich einmal in einem Buch über die koreanische Kampfkunst Hapkido gesehen hatte, und versuchte krampfhaft, nicht zu denken. Aufrecht zu sitzen, ohne mich zu bewegen. Das, so merkte ich bald, war zunächst die mit Abstand größte Herausforderung für mich.
Nach dreißig Sekunden wurde es schwierig. Nach einer Minute wurde es noch schwerer. Nach zwei Minuten lief mir der Schweiß über das Gesicht, nur von der Anstrengung, den Bewegungsimpulsen zu widerstehen. Ich war nie ein Junge mit einem besonderen Bewegungsdrang gewesen, noch hatte ich mich je besonders nervös oder unruhig gefühlt. Zumindest hatte ich das bis dahin geglaubt.
Vielleicht ließen die Konzentration und der Wille, in dieser Position zu verharren, meine Gedanken damals tatsächlich für einen Moment zur Ruhe kommen. Ich weiß es nicht. Jedenfalls durchströmte mich nach etwa fünf Minuten Stillsitzen eine Welle des Glücks. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Ich wurde in Freude und Frieden gebadet, und dieser Zustand hielt stundenlang an, noch lange nachdem ich wieder in meinen Alltag zurückgekehrt war.
Nach diesem äußerst beeindruckenden „ersten Mal” fühlte ich mich fast täglich dazu hingezogen, mich nach innen zu wenden, um die Stille in mir zu finden. Für mich wurde die Meditation damals fast zu einer Art Droge. Glücklicherweise jedoch eine mit (fast) keinen Nebenwirkungen.
In den seit damals vergangenen rund dreißig Jahren hat sich meine Praxis stark verändert. Ich bin durch Höhen und Tiefen gegangen. Ich bewegte mich von äußerst real wirkenden mystischen Erfahrungen und langanhaltender, tiefer Verbundenheit mit allem, was ist, hin zu Zeiten, in denen ich gar nicht wirklich „präsent” war und mich eher unwohl in meiner Haut fühlte. Manchmal fühlte ich mich durch die Meditation mehr von der Gesellschaft getrennt und sie wirkte eher als Hindernis für den weltlichen Erfolg in meinem Leben denn – dem heute vorherrschenden Bild entsprechend – als Unterstützung. Manchmal fiel es mir monatelang leicht, vor dem Gang zur Arbeit jeden Morgen um fünf Uhr früh aufzustehen und mich einer langen Übungssequenz hinzugeben. Dann wieder gab es Zeiten, in denen ich das Üben völlig vergaß und mich in stressigere Erfahrungen des Berufslebens vertiefte. Und manchmal floss einfach alles, die Praxis und auch der materielle Erfolg – ohne, dass ich dafür meinen Seelenfrieden verkaufen musste.
Bereits als Zwanzigjähriger, als ich kurz nach einer Dienstzeit in der Schweizer Armee für meine Studienzeit nach Zürich zog, praktizierte ich in Gruppen verschiedener Wege und Traditionen Hatha–Yoga, daoistisches Qigong, Zen, christliche Kontemplation und anderes mehr, was mich in Kontakt mit vielen großen Meditationslehrern und später Freunden brachte.
Diese Vielfältigkeit und Intensität kamen daher, dass ich es damals sehr hilfreich fand, alle paar Tage in einer Gruppe zu meditieren. In Zürich trafen sich jedoch die meisten Meditationsgruppen, die mich interessierten, nur einmal pro Woche. Also lag es nahe, einige unterschiedliche Wege parallel zu praktizieren.
Doch, wichtiger noch, da existierte ein tiefer Drang in mir, Dinge, die mich wirklich interessierten, aus allen Blickwinkeln zu betrachten, um ein besseres Verständnis zu dafür zu gewinnen. Ich wollte immer das große Ganze sehen und die Vielfalt der Details verstehen, die dem Dasein innewohnen.
Diese Neugier, dieser Wunsch zu verstehen, wie unsere Welt wirklich funktioniert, führte mich kurz nach meinen ersten Meditationserfahrungen zunächst zum Ingenieurstudium an der Eidgenössischen Technischen Hochschule und zu einigen Jahren Arbeit in diesem Berufsfeld – aber auch zum Studium der heiligen Schriften und zu vielen spirituellen Lehrern, Meditierenden, Yogis und Heilern.
Bisweilen fragte mich jemand: Warum praktizierst du Meditation, Yoga, Qigong und all das, warum verbringst du einen großen Teil deiner Freizeit damit? Diese Frage mit einem leicht verständlichen Konzept zu beantworten, ist mir nie leichtgefallen. Immer wenn ich versuchte, es in Worte zu fassen, scheiterte ich kläglich.
Die für mich persönlich richtige Antwort befand sich allerdings bereits damals in meinem Bücherregal, in einem der zahlreichen Werke über östliche Philosophie, die sich mir zumeist nur häppchenweise erschlossen:
Der britisch–amerikanische Philosoph Alan Watts wurde einmal gefragt, ob er mit seinen populären philosophischen Büchern nicht die Welt verbessern wolle, obwohl er immer wieder betonte, dass alles perfekt sei, so wie es ist, und wir uns nicht an Zielen festhalten sollten. Warum also schrieb er seine Bücher, die so viele Menschen dazu inspirierten, ihr Leben zu hinterfragen und vielleicht sogar zu verändern? Watts antwortete, dass das Schreiben von Büchern für ihn etwas ganz Natürliches sei – so wie es für einen Apfelbaum natürlich ist, Äpfel zu tragen.
Also meditierte ich mit Buddhisten, Christen, Hindus und Atheisten, praktizierte Yoga, Tai–Chi, Qigong, Kampfkunst und was weiß ich noch alles. Ich wollte damit nie bewusst ein Ziel erreichen – ja, ich hatte über viele Jahre nicht einmal vor, Lehrer zu werden. Im Gegenteil – andere Menschen in die Meditation einzuführen, erschien mir lange Zeit lächerlich. Gerade weil mir diese Erfahrung so persönlich und in Konzepten nicht greifbar erschien.
Dennoch entstand in dieser Phase meines Lebens die Idee zu diesem Buch. Eines Tages bemerkte ich nämlich folgendes Phänomen: In vielen Meditationsworkshops oder Retreats begegnen wir Menschen, die lange meditieren, vielleicht große und tiefe innere Erfahrungen haben, bei denen aber äußerlich nichts zu geschehen scheint – im Alltag, in ihrem Leben, in ihrem persönlichen Wohlbefinden und in ihrer Wirkung auf andere.
Es scheint ihnen im Leben nicht „besser zu gehen”, und manche Meditierende sind vielleicht sogar unglücklicher als vorher, weil sie ihre Muster immer deutlicher wahrnehmen, aber immer noch nicht bereit sind, sie zu verändern oder zumindest wirklich anzunehmen. Sie suchen, aber sie finden nicht. Zumindest schien es mir damals so.
Vor der Tür eines öffentlichen Meditationsraumes, der von verschiedenen Gruppen genutzt wurde, erlebte ich einmal einen Streit zwischen Meditationslehrenden verschiedener Hintergründe – der eine fühlte sich durch die ankommende Gruppe der anderen in der Meditation „seiner“ Gruppe gestört. Die beiden schrien sich an und warfen sich Beleidigungen an den Kopf.
Das passte so gar nicht in mein damaliges Bild von Meditation – ich hielt es für selbstverständlich, dass man nach jahrelanger Meditationspraxis so ruhig und unerschütterlich wie ein Bergsee im Winter gegenüber allen möglichen Konflikten und Angriffen geworden sein sollte – und es machte mich nachdenklich.
Übrigens: Wenn ich heute wieder in einen solchen Konflikt geriete, würde ich nicht so vorschnell urteilen wie damals. Ich würde vor allem darauf achten, wie und wie rasch die beiden Streitenden danach wieder ins Gleichgewicht finden. Keiner von uns ist ständig ein Heiliger oder eine Heilige – jedenfalls nicht nach dem gängigen Klischee von Heiligkeit.
In dieser Zeit begegnete ich auch Jan–Willem van de Weterings interessantem Buch „Der leere Spiegel” über das Leben in Zen–Gemeinschaften. Leider enttäuschte auch dieses Werk meine Hoffnungen, einen Beleg dafür zu finden, dass regelmäßige Meditation zu absoluter innerer und äußerer Harmonie führt. In Van de Weterings Berichten wirkten viele sehr erfahrene Meditierende alles andere als glücklich, ausgeglichen und entspannt. Da gab es auch Depressionen, Einsamkeit, Neid, Wut und einfach eine ganze Menge menschlicher Dinge.
Ich erinnere mich besonders an eine darin beschriebene Szene, in der eine Menge gestresster, fast panischer Zen–Meister die anlässlich einer Konferenz in einer Großstadt weilten, alle gleichzeitig versuchten, nach Hause zu ihren Tempeln zu telefonieren. Dies überlastete das zum Zeitpunkt jener Vorkommnisse offensichtlich noch nicht sehr stabile Telefonnetz und führte schließlich zu noch mehr Unzufriedenheit. Auch das passte nicht in mein damaliges – zugegeben etwas naives – Bild von Meditation.
Was, glauben Sie, könnte der Grund sein für diese scheinbar entmutigenden Ergebnisse langjähriger Meditationspraxis?
Eine mögliche Erklärung ist die folgende:
Meditation schafft eine Tür in der Mauer unseres Unterbewusstseins, eine Tür zu unserem höheren „Lebensplan” – im Yoga nennen wir das Svadharma. Doch wenn wir das Innere erfahren und sogar etwas davon in unser Leben bringen wollen, müssen wir tatsächlich durch diese Tür gehen und selbst die Treppe hinaufsteigen, mit unserer eigenen Willenskraft. Und das kann harte innere Arbeit sein, ein regelrechtes „Wühlen” im Schlamm unserer Muster, Blockaden und negativen Überzeugungen, die wir im Licht der Meditationspraxis üblicherweise klarer und klarer erkennen können.
Gleichzeitig ermöglichen uns jedoch die eher mental geprägten Meditationszustände oft bereits nach verhältnismäßig kurzer Übungszeit den Rückzug in eher abgehobene Sphären der Glückseligkeit. Da ist die Versuchung für das Ego groß, diese Dinge einfach beiseitezuschieben – bis man dann durch irgendwelche äußeren Trigger unsanft wieder auf dem Boden der Realität landet.
Ganzheitliche Meditation ist also nicht etwas, bei dem sich alles von selbst regelt, wenn wir uns nur zweimal am Tag hinsetzen und unseren Atem beobachten. Vieles reguliert sich in der Tat automatisch, wenn mehr Bewusstheit da ist – aber anderes bedarf noch unserer bewussten Mitwirkung.
Daher das Bodhisattva–Ideal des Mahayana–Buddhismus, daher die ersten beiden Teile des Ashtanga–Marga, des achtgliedrigen Pfades des altindischen Yogis Patanjali, die sich mit dem „richtigen” inneren und äußeren Verhalten beschäftigen. Wir können den inneren und den äußeren Weg nicht trennen, sie sind eins. Erst durch unsere Erfahrungen im Alltag, durch unsere Beziehungen und Resonanzen mit der Außenwelt (die ja eigentlich auch Innenwelt ist) können wir erkennen, wie es in uns wirklich aussieht.
Mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf begann ich, meine eigenen Erfahrungen auf dem spirituellen Weg mit seinen Herausforderungen und Lichtmomenten anders zu sehen, und die Teile des Puzzles fügten sich mehr und mehr zusammen. Als ich beinahe fünfzehn Jahre nach diesen Erfahrungen erstmals meine eigene Berufung als Lehrer spürte und auch formale Lehrer– und Therapeuten-Ausbildungen absolvierte, wurde noch etwas anderes wichtig: die Frage nach meinem eigenen Beitrag – welche der Gaben und Erfahrungen, die ich von der Welt und meinen Lehrern und Lehrerinnen erhalten hatte, ich zum Wohle aller Wesen weitergeben konnte, wollte und sollte.
Mit dem Yoga–Nidra, das bis heute eine meiner zentralen meditativen Praktiken geblieben ist, eröffnete sich mir ein Weg, verschiedene Meditationsformen zusammenzuführen und diese Synthese als leicht zugängliches Tor zur meditativen Erfahrung und der begleitenden Praxis der Selbsterforschung mit anderen Menschen und Entdeckern auf dem inneren Weg zu teilen.
Doch die Frage blieb offen: Wie „funktioniert” Meditation, warum „funktioniert” sie überhaupt und – nicht zuletzt – was bedeutet „Funktionieren” in diesem Zusammenhang überhaupt?
Nach Jahren der Begegnung mit großen Forschenden und Lehrenden auf diesem Gebiet bin ich inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass Meditation und die bewusste Entwicklung unserer eigenen Philosophie und Überzeugungen – oder anders gesagt: das Hinterfragen und Ablegen unserer gesellschaftlichen Programmierung – Hand in Hand gehen müssen.
Das ist oft nicht so einfach wie es zunächst klingt. Da die meisten Menschen heute keine „richtigen” Meditationsmeister*innen mehr als ständige Wegbegleiter haben, müssen sie sich dazu in die Lage versetzen, deren Aufgabe zumindest teilweise selbst zu übernehmen. Und tatsächlich bin ich davon überzeugt, dass auch diejenigen, die sich auf einen äußeren Meister verlassen, irgendwann Zugang zu ihrem „inneren Guru” finden müssen, wenn sie sich wirklich weiterentwickeln wollen.
Schließlich haben mir seit Jahren viele derjenigen Personen, die ich für meine eigenen Gurus hätte halten können, die mir viele der Erkenntnisse ermöglicht haben, von denen ich in diesem Buch spreche, immer wieder Folgendes gesagt:
Die Zeit der äußeren Meister ist vorbei. Wir treffen immer noch Lehrer, Begleiter und Freunde auf diesem Weg. Doch unsere wahre Meisterin, unser Guru, ist in uns – und wenn wir genau hinsehen, war das auch immer schon so. Ich werde das in diesem Buch noch ausführlich erklären. Manche nennen diese Kraft höhere Intuition, Shakti oder Kundalini, andere Hohes Selbst, Geisthelfer oder Schutzengel. Etwas unterschiedliche Erscheinungsformen, aber im Grunde die gleiche Quelle.
Nachdem ich schließlich trotz meiner ursprünglichen Vorbehalte vor einigen Jahren begann, andere Menschen in die Meditation einzuführen, entstand das Schneckenhaus–Modell zur Beschreibung der meditativen Erfahrung, das diesem Buch zugrunde liegt. Letztlich ist dieses Konzept das Ergebnis unzähliger Diskussionen zu diesem Thema in meinen Kursen und darauffolgenden Forschungen – immer mit dem Ziel, den Menschen ein Werkzeug an die Hand zu geben, ihre eigenen Erfahrungen mit den in meinen Yoga– und Meditationskursen erlernten Versenkungstechniken besser zu verstehen.
Basierend hauptsächlich auf dem bereits erwähnten achtgliedrigen Pfad von Patanjali und dem zwölfstufigen Pfad der klassischen buddhistischen Meditation, hat sich dieses Modell in den vergangenen Jahren auch für mich selbst immer wieder als hilfreich erwiesen, um meine Meditationserfahrungen zu betrachten und selbst zu entscheiden, wo ich anfangen und wie ich weitermachen kann, wenn ich irgendwo ein wenig stecken geblieben bin.
Auch dieser Ansatz ist nur als Hilfe für den denkenden Geist zu verstehen. Je besser, direkter und klarer die Verbindung zu unserer höchsten Intuition wird, desto mehr können wir uns darauf verlassen, dass wir ohnehin immer auf den für uns besten und schnellsten Weg geführt werden, egal was unser Ego gerade denkt und tut.
Die dreiundzwanzig Aspekte der Meditation (in diesem Buch Kammern genannt), die wir in dem oben erwähnten „Schneckenhaus” finden, sind keineswegs etwas Neues, sondern sollen durch die Aufbereitung und Neumischung verschiedener traditioneller Ansätze einen einfachen Überblick über die Erfahrungsbereiche ermöglichen, die auf dem meditativen Weg nach innen und wieder zurück in die „Welt“ wichtig und hilfreich sind.
Man könnte sagen, dass dieses Buch nur ein kleiner „Reminder” – eine Gedankenstütze – für Ihren höheren Wesenskern ist, der all dies bereits weiß, es aber nicht immer für unser denkendes Selbst präsent und bewusst verfügbar hält.
Vergessen Sie auch nicht, dass es mit Sicherheit kein Zufall ist, dass Sie dieses Buch gerade jetzt in den Händen halten. Möge es Ihren nächsten Schritt auf dem spirituellen Weg so angenehm und mühelos machen, wie sich eine reife Gurke von ihrem Stiel löst (in Anlehnung an das berühmte indische Maha-Mritunjaya–Mantra).
Als Autor dieses Philosophie- und Übungsbuches verstehe ich mich, der tantrischen Tradition folgend, mehr als Künstler denn als spiritueller Lehrer. Mir ist es wichtig, zu eigenen Erfahrungen mit den hier vorgestellten Inhalten anzuregen, wenn möglich sogar ein wenig zu provozieren.
Ich sehe dieses Buch als einen alchemistischen Kessel. Es nutzt die Fähigkeit der Yoga–Philosophie und der Meditation, Gegensätze zu integrieren und zusammenzuführen. Und zwar mit dem Ziel, das zu vereinen, was eigentlich zusammengehört, aber allzu oft als getrennt wahrgenommen wird.
Nicht umsonst bedeutet die wörtliche Übersetzung des Sanskrit–Wortes „Yoga” „zusammenbringen”, „anjochen” oder „vereinigen”.
Auf diese Weise möchte ich dem weiten und schönen Feld der Meditationsliteratur eine Diskussionsgrundlage hinzufügen, um die verschiedenen spirituellen und meditativen Wege noch mehr zusammenzuführen.
Wir sind alle eins, ein Stamm, eine Welt, eine Familie, nicht nur als Teil der Menschheit, sondern als Teil der Gesamtheit wahrnehmender Wesen. Unser spiritueller Weg ist ein guter Ausgangspunkt dafür, diese Erkenntnis wirklich zu verinnerlichen, sie zu leben. Das verhilft unserer ganzen Existenz automatisch zu mehr Freiheit und Offenheit bezüglich unseren Glaubenssätzen – ohne dass dies zu Oberflächlichkeit oder Schuldgefühlen führen braucht, wenn Sie sich bisher aus Prinzip an einen von anderen abgegrenzten Weg, an eine bestimmte Form gebunden fühlten und dies auch weiterhin so halten wollen.
Ich verneige mich vor Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser und Wirklichkeitsforscher*in, und hoffe, dass die in diesem Buch vorgestellten Konzepte Ihnen einige neue Perspektiven auf diesem so persönlichen und unverwechselbaren Weg eröffnen werden.
Vielleicht helfen sie Ihnen sogar dabei, neue Schritte in Richtung eines noch vollständigeren, bewussteren, liebevolleren und harmonischeren Seins zu gehen – und diesen neuen Zustand mit Ihnen selbst und der ganzen Welt zu teilen.
In Liebe und Verbundenheit,
Andreas Hau’oli Ziörjen
Pāhoa, Hawai’i, im Dezember 2022
GEBRAUCHSANWEISUNG
In diesem Kapitel finden Sie einige Hinweise dazu, wie Sie die Übungen in diesem Buch und die online verfügbaren Audio–Meditationen nutzen können, um sich den Einstieg in die Meditation so einfach wie möglich zu gestalten.
Im vorliegenden Buch geht es um Meditation. Diese ist – um ein leicht abgewandeltes Zitat von Thomas Edison zu verwenden – ein Prozent Theorie und neunundneunzig Prozent Praxis. Deshalb schlage ich vor, dass Sie jetzt mit einer täglichen Übungspraxis beginnen, falls Sie noch keine haben.
Die auf den folgenden Seiten enthaltenen Impulse werden Ihnen helfen, einen guten Anfang zu machen, ganz gleich, für welche Übungsform Sie sich entscheiden.
Da es zu Beginn oft nicht leicht ist, allein oder nach schriftlicher Anleitung zu meditieren, habe ich für Sie auf meiner Website und in der kostenlosen Meditations–App „Insight Timer” einige gesprochene Meditationsreisen vorbereitet, die Sie leicht in den meditativen Zustand hinein– und wieder herausführen. Auf Insight Timer finden Sie auch ganze Meditationskurse zu verschiedenen Themen von mir und vielen anderen Meditationslehrenden aller Stilrichtungen.
Ich empfehle Ihnen, mit einer der nachfolgend beschriebenen Übungen zu beginnen (unter Anleitung oder selbstständig gemäß den Tipps in der zweiten Hälfte dieses Buches), sie einige Tage zu praktizieren und dann zu entscheiden, wie Sie weiter vorgehen möchten. Wenn Sie schon etwas Erfahrung haben, können Sie auch einfach in Stille meditieren.
Bei der Meditation kann man nichts falsch machen, wie ich Ihnen in diesem Buch zeigen werde. Alles, was sich gut anfühlt und Ihnen hilft, weiter und tiefer zu gehen, ist perfekt. Vertrauen Sie Ihrer Intuition.
Wenn Sie allein meditieren, ist es hilfreich, einen Wecker oder einen Meditationstimer zu benutzen, damit Sie nicht auf die Zeit achten müssen. Smartphone–Apps wie der bereits erwähnte Insight Timer bieten zusätzliche Funktionen wie Intervall–Glocken und Meditationstagebücher.
Meditation in der Gruppe ist ebenfalls hilfreich, um eine Art „Rückgrat” für die persönliche Praxis zu schaffen. Erkundigen Sie sich zum Beispiel bei Ihrem nächsten Yoga–Studio, Ihrer Kirche, Ihrem Tempel oder Ihrem Gemeindezentrum.
Im Folgenden finden Sie eine kurze Beschreibung einiger geführter Meditationsübungen, die sich gut als Einstieg eignen. Der Vollständigkeit halber habe ich auch die „Kammern” des Spiralenoder Schneckenmodells erwähnt, auf die sich die einzelnen Meditationen und Kurse hauptsächlich beziehen. Das wird aber erst dann wirklich interessant, wenn man sich mit den Konzepten, die in diesem Buch erläutert werden, näher beschäftigt hat.
Die Sankalpa–Meditation
Die Sankalpa–Meditationen (eine längere Version mit einer tieferen philosophischen Erfahrung ist ebenfalls erhältlich) enthalten eine Reihe positiver Gedanken und Reflexionen zu den Themen spirituelle Entwicklung, Beruf und Berufung, Beziehungen und Gesundheit, die als Grundlage für die Suche nach einem eigenen Sankalpa hilfreich sein können.
Ein Sankalpa ist Ihre „höchste” Absicht, die Sie zur Unterstützung Ihrer Meditationsentwicklung verwenden können (mehr dazu später im Buch).
Obwohl die Sankalpa–Meditationen eng und in hoher Geschwindigkeit geführt sind und keine längeren Zeiten der Stille enthalten, können sie auch als eigenständige, regelmäßige Meditationsübungen praktiziert werden. Sie wirken dann sozusagen als psychosomatische „warme Dusche” für die Chakren.
Die Kammern der Spirale, die wir bei dieser Übung berühren: Alle Kammern von 1 (Motivation) bis 6 (Philosophie).
Die Nyasa & Stille Meditation
In dieser Meditation verwenden wir als Einstieg die Werkzeuge des energetischen Ausgleichs – eine Körperreise und die Ausrichtung der Sinne nach innen – die vielen Yogapraktizierenden aus dem Yoga Nidra bekannt sind. Diese Meditation bietet aber zusätzlich eine 15–minütige stille Plattform für eigene selbstgeführte Meditationstechniken, Mantra-Rezitation oder eine Visualisierungspraxis (Yoga, Sport, Manifestationen).
Die Kammern der Spirale, die wir bei dieser Übung berühren: Je nachdem, welche Technik für den stillen Teil gewählt wird, kann jede Kammer berührt werden.
Yoga–Nidra zur Selbstvergebung (mit Ho'oponopono)
Wenn unsere Energie irgendwo in den Chakren oder in unseren feinstofflichen Hüllen nicht frei fließen kann, manifestiert sich das oft in Form von emotionalen oder mentalen Blockaden. Zum Beispiel können wir dann die Fähigkeit verlieren, uns selbst oder anderen etwas zu vergeben, was in der Vergangenheit geschehen ist.
Da die vollständige Akzeptanz der Gegenwart die Grundlage für die freie Wahl ist, wohin wir gehen wollen, ist dies eine sehr wichtige Fähigkeit.
Diese Übung verwendet das hawaiianische Vergebungsritual Ho'oponopono und erfordert einige Vorbereitungen und philosophische Grundlagen, daher empfehle ich für ein optimales Ergebnis, zuerst die Teile dieses Buches zu lesen, in denen wir über Emotionen sprechen, oder ein Buch über Ho’oponopono.
Die Kammern der Spirale, die wir in dieser Übung berühren: Kammer 5 (Selbstanalyse), alle Kammern von 10 (Nicht–Urteil) bis 14 (Liebende Güte).
Die Liebesstrahl–Meditation
Lieben wir uns selbst oder jemanden wirklich? Diese Frage ist in der Regel viel schwieriger zu beantworten, als wir auf den ersten Blick glauben. Viele Menschen sind sich einig, dass die Liebe zu uns selbst – zu unserem Körper, zu unserem Leben, zu unserem Geist, zu unserem ganzen Sein – viele positive Auswirkungen auf uns selbst, auf unsere Gesundheit und auf alle Menschen, mit denen wir täglich in Kontakt kommen, haben kann.
Wo auch immer Sie in dieser Öffnung Ihres Herzens für Sie selbst und andere in diesem Augenblick stehen mögen, diese Übung hilft Ihnen, den Teil Ihrer selbst zu stärken, der bedingungslos lieben kann – hier und jetzt.
Die Kammern der Spirale, die wir in dieser Übung berühren: Hauptsächlich Kammer 14 (liebende Güte)
Alle genannten Meditationen finden Sie auf www.andreasziorjen.com/shop
1 MEDITATION – WAS IST DAS?
Vor einigen Jahren fand ich in einem Yoga–Magazin ein Interview mit der New Yorkerin Tao Porchon–Lynch, damals mit 96 Jahren wahrscheinlich die älteste aktive Yogalehrerin der Welt. Etwas, das sie der Reporterin sagte, berührte mich zutiefst. Auf die Frage, ob sie noch formell meditiere, antwortete sie, dass Meditation für sie jetzt bedeute, ihr Auto anzuhalten und zuzusehen, wenn eine Schar Gänse vorbeifliege.
Ich denke, genau das ist das Wichtigste, was man aus diesem Buch lernen kann, welches viele Konzepte und Erkenntnisse aus dem weiten Feld der alten und neuen Meditationstraditionen zusammenführt:
Die Fähigkeit, das Wunder Ihrer eigenen Lebendigkeit und der Welt zu bestaunen und ihre Schönheit zu erkennen, ist der Hauptindikator dafür, wie Ihre meditative Praxis voranschreitet
Das ist meine Erfahrung als Meditierender und als Meditationslehrer.
Das sieht nicht jeder gleich. Vielleicht haben Sie auch schon Menschen etwas anderes sagen hören, nämlich dass „Erfolg” in der Meditation darin bestehe, das Denken während der Meditation zum Schweigen kommen zu lassen.
Kann man aufhören zu denken? Ja, vielleicht, für eine Weile. Aber nicht wirklich, nicht auf Dauer, nicht, wenn wir unser Leben als mitfühlende und in Gemeinschaft lebende Menschen weiterführen wollen. Denn wir alle haben das, was die alten Yogis Manas nannten: eine „Denkmaschine”, die ein integraler Bestandteil unseres Selbst und unserer Erfahrung in dieser Welt ist.
Die meisten Menschen erleben irgendwann in ihrem Leben so genannte „Flow–Erfahrungen”, in denen Denken, Fühlen und Handeln durch die absolute Konzentration auf den Augenblick eins zu werden scheinen und die Gedanken – gewissermaßen – versiegen.
In der Meditation ist es jedoch nicht unser primäres Ziel, mit dem Denken aufzuhören oder den Gedankenfluss versiegen zu lassen. Wenn dies von Zeit zu Zeit geschieht, ist es ein wunderbares Gefühl, doch als Lehrer und Praktizierender der Meditation bin ich der Meinung, dass es sich dabei eher um einen Unterhaltungswert als um einen wirklichen Wert handelt.
Der wahre Wert einer Meditationspraxis kann nur an ihren Auswirkungen in Ihrem Alltag gemessen werden, nicht an den Erfahrungen während der Meditation selbst!
Diese an sich triviale Erkenntnis ist nicht immer leicht zu verstehen, vor allem dann nicht, wenn sich in unseren Meditationen zu bestimmten Zeiten tatsächlich sehr intensive Erlebnisse oder Glückszustände einstellen, in denen wir gerne Verweilen würden.
Allzu schnell sagt dann unser Ego: „Von dem will ich mehr haben, so soll es immer sein!” Und dann verlieren wir uns meist in der Jagd nach der Wiederholung eines Zustandes, der in dieser Form nicht wiederholbar ist. Das ist schwer zu vermeiden, besonders wenn die Erfahrung außergewöhnlich tief war.
Doch es hilft bereits, wenn wir uns nur dieser Tatsache bewusst bleiben, die ich hier ihrer Wichtigkeit entsprechend noch einmal in anderen Worten wiederhole:
Meditation muss in unseren Alltag hineingetragen werden, wenn wir als Menschen wirklich weiterkommen wollen, wenn wir ein verkörpertes Erwachen wollen und keinen abgehobenen Egotrip in den Meisterhimmel
Die formale Meditationspraxis hilft uns, immer mehr Präsenz und Achtsamkeit im Alltag zu entwickeln. So ist Meditation ein Verstärker für praktisch alle Bemühungen, uns selbst besser kennen zu lernen, und sie ist eine mächtige Hilfe, kontraproduktive Denk– und Verhaltensmuster zu erkennen und zu schwächen oder – noch besser – zu transformieren. Im Yoga werden solche Muster und Prägungen Samskara genannt.
Diese Anwendung von Spiritualität auf alles, was in unserem Leben existiert, ohne die Dinge in "spirituell" oder "nicht spirituell" einzuteilen, wird manchmal als tantrischer Ansatz bezeichnet, der unter anderem in den kaschmirischen Tantra-Wegen und im Hatha–Yoga, in den Lehren von Osho oder im daoistischen inneren Qigong sichtbar wird.
Da ich gerade den Begriff Tantra eingeführt habe und in diesem Buch noch einige Male darüber sprechen werde, möchte ich bereits ein paar Worte dazu sagen. In meinen Kursen verwende ich die Begriffe Yoga, Tantra und Meditation mehr oder weniger synonym. Tantra in dieser Form hat nicht viel mit dem sogenannten Neotantra zu tun, das üblicherweise der sexuellen und sozialen Erfahrung eine große Bedeutung beimisst, sei es als Selbstzweck (sexuelle Befreiung und Steigerung des ekstatischen Potentials, Auflösung alter Traumata und Stärkung eines liebevolleren, achtsameren Umgangs miteinander) oder als Mittel (spirituelle Befreiung durch die Freisetzung sexueller Energien).
Als Praktizierender verstehe ich selbst mich als verbunden mit dem klassischen Tantra, einer Philosophie der inneren Freiheit und der Einheit von allem, was ist. Tantra bedeutet wörtlich unter anderem Netz oder Gewebe, in dem Sinne, dass alle existierenden Dinge tief miteinander verbunden sind. Alle Formen des Hatha–Yoga beispielsweise sind tantrischen Ursprungs und haben zumindest in ihren Anfängen Körper und Geist integriert, ohne unsere körperliche Existenz negativ zu bewerten.
So viel zunächst zum Thema Tantra. Wir werden insbesondere im Kapitel 4, das dieser Philosophie gewidmet ist, noch näher darauf eingehen.
In diesem Buch geht es nicht nur um tantrische Meditation, auch wenn es – aufgrund meiner eigenen Erfahrungen als Tantriker – unzweifelhaft davon beeinflusst ist, sondern um die Prinzipien, die die Grundlage jeder meditativen Erfahrung bilden und die für Anfänger und Fortgeschrittene aller Richtungen gleichermaßen von Interesse sein können.
Meditation ist also ein Werkzeug, um unsere Präsenz im Alltag zu unterstützen und zu intensivieren, bewusster zu werden und uns immer mehr in Richtung innerer Freiheit und Authentizität zu entwickeln.
Wenn wir eine bestimmte Stufe der Meditationspraxis erreicht haben, haben wir manchmal das Gefühl, dass „unsere Handlungen einfach geschehen” – das heißt, dass sie so spontan und im besten Interesse aller Beteiligten erscheinen, dass sie zwar immer noch auf unseren bewussten Entscheidungen beruhen, aber in einen höheren Zweck eingebettet zu sein scheinen, den unser kleines Ego nie ganz kennen kann – und auch nicht kennen muss.
Als konzeptionell begabte Wesen können wir niemals ‚nicht denken‘– solange wir leben, können wir nie ‚nicht entscheiden‘. Die Frage ist vielmehr: Wer denkt, wer entscheidet? Wer bist du?
Dieses „Wer bin ich?” ist die primäre Frage, auf die viele Menschen, die sich in den letzten Jahrtausenden der Meditation zugewandt haben, eine Antwort gesucht haben. In den mystischen Schriften aller Kulturen können wir von den Versuchen dieser Meditierenden lesen, ihre Erfahrungen zu beschreiben.
Doch auch diese Schriften wurden von ihrem Denken geschaffen, obwohl die Erfahrungen selbst wahrscheinlich außerhalb dieser Sphäre lagen. Und ohne unseren denkenden Geist könnten wir diese „Finger, die auf den Mond zeigen” gar nicht lesen, obwohl sie uns auf etwas hinweisen wollen, das dem rationalen Verstand nicht direkt zugänglich ist.
Wir brauchen also unseren Verstand. Wir können und sollten nicht versuchen, ihn loszuwerden. Dennoch lohnt es sich, bewusst mit diesem ungemein mächtigen Instrument zu arbeiten. Das gilt zumindest so lange, wie wir uns auf der Ebene des „Ich will”, des Urteilens und Entscheidens bewegen.
Deshalb sagen viele fortgeschrittene Meditierende: „Handle, als ob du einen freien Willen hättest. Akzeptiere die Ergebnisse, als ob alles vorherbestimmt wäre”.
In meinem Buch „Sankalpa” habe ich ausführlich über das Thema des freien Willens und der damit verbundenen Impulse geschrieben.
Da es in der vorliegenden Arbeit mehr um Achtsamkeit und Selbstentwicklung geht als um die Manifestation unserer innersten Träume, werden wir uns hier vor allem mit der zweiten Seite dieser Gleichung beschäftigen: nämlich dem Akzeptieren von allem, was ist.
Wann immer wir einen Gedanken, ein Gefühl oder ein Verlangen in uns unterdrücken müssen, läuft etwas schief
Damit will ich nicht sagen, dass wir jedem Impuls oder Wunsch, der in uns auftaucht, nachgeben und ihn in die Tat umsetzen sollten. Gerade unser freier Wille (der zumindest auf der Ebene der dualen Wirklichkeit durchaus real ist) erlaubt es uns, zu solchen Handlungsimpulsen „ja” oder „nein” zu sagen.
In der von Patanjali geprägten indischen Yogaphilosophie werden diese ständigen Entscheidungen unseres denkenden Geistes Vritti genannt – Geistesbewegungen – oder in einer besonders schönen Übersetzung des Yoga–Sutras von Bettina Bäumer auch „wählende Gedankenströme”. Erklärtes Ziel des traditionellen indischen Yoga ist es, diese „wählenden Ströme” zur Ruhe kommen zu lassen. Wir müssen dann also – so die Vorstellung – nichts mehr unterdrücken, weil nichts mehr aufsteigt – oder, je nach Blickwinkel, wir uns eine Ebene „hinter“ diesen Vorgängen befinden.
Das – nur auf den ersten Blick gegensätzliche – Ziel vieler tantrischer Meditationsformen ist es dagegen, alles, was in uns und außerhalb von uns ist, zuzulassen und konstruktiv damit umzugehen, sozusagen „eins” mit ihm zu werden – so vollständig in der Ebene der Geistesbewegungen und Sinneseindrücke zu sein, dass kein Unterschied mehr zwischen der Instanz des urteilenden Beobachters und dem, was tatsächlich geschieht.
Nur so, sagen uns die Vertreterinnen jener Sichtweise, können wir in innerer Harmonie mit uns selbst bleiben und die Energie von möglicherweise unerwünschten oder negativen Gedanken und Gefühlen ohne die meist wenig hilfreichen Prozesse der Scham oder Unterdrückung nutzen, um sie beispielsweise in produktive und authentische Handlungen umzuwandeln.
Wenn wir etwas unterdrücken, verursacht es oft an anderer Stelle in uns Schwierigkeiten oder Unannehmlichkeiten, im schlimmsten Fall sogar Krankheiten. Oder die Emotion baut sich auf, bis sie sich irgendwann in einem ungünstigen Moment gewaltsam entlädt.
Wie bereits erwähnt, ist der Gegensatz zwischen dem Tantra und dem klassischen indischen Yoga nur ein scheinbarer. Denn wenn wir alles, was ist, ohne Widerstand geschehen lassen, stellt sich im Geist ebenfalls Ruhe ein – die Ruhe der unmittelbaren Spontaneität und des reinen Fließens.
Um die gerade gemachten Feststellungen noch etwas klarer zu sehen, lassen Sie uns für einen Moment über Sexualenergie und Asketentum sprechen.
Im Ansatz des daoistischen Qigong wird die sexuelle Kraft als die große Kraftquelle verstanden, deren Energie in den höheren Chakren umgewandelt und dort für spirituelle Zwecke genutzt werden kann. Viele andere spirituelle Wege wie das katholische Christentum, asketische Strömungen oder bestimmte buddhistische Traditionen glauben ebenfalls daran und verlangen von ihren „professionellen” Adepten ein zölibatäres Leben. Eine solche Fokussierung auf die höheren Chakren unter Vernachlässigung der „niederen”, erdgebundenen Zentren führt häufig zu Problemen der einen oder anderen Art.
Denn in der Regel gelingt die Umwandlung dieser „Wunschenergie” in spirituelle Energie nicht vollständig, einfach weil wir alle Menschen sind und z.B. sexuelle Triebe als Teil unserer Existenz in dem Körper tragen, in dem wir uns befinden, der wir – in gewisser Weise – sind.
Wenn wir also diese Energie nicht vollständig umwandeln, unterdrücken wir einen Teil davon. Dieser wird dann irgendwann auf nicht unbedingt produktive Weise freigesetzt, löst Schuldgefühle bei der unterdrückenden Person aus oder führt im schlimmsten Fall sogar zu noch größerem Leid bei den Betroffenen und ihrer Umgebung.
Die auch in unserer Zeit noch weit verbreitete Verurteilung und Unterdrückung der Sexualität durch Religionen und teilweise sogar Gesetze ist übrigens auch ein Grund dafür, dass insbesondere neotantrische Strömungen der Auflösung und Befreiung der damit verbundenen inneren Spannungen so große Aufmerksamkeit widmen.
Neben dem Bereich des Ausdrucksvermögens (dem Hals-Chakra) ist das Sakral-Chakra als Sitz unserer Sexualkraft schlichtweg derjenige Bereich, in dem fast alle Menschen unserer Gesellschaft entweder aus eigener Erfahrung oder aus der Ahnenreihe heraus größere Ansammlungen stagnierender oder traumatisierter Energie in ihrem Feld haben. Ich kann ihnen das aus meiner Tätigkeit als Energieheiler bestätigen. Wir werden weiter hinten im Buch auch noch darüber sprechen, warum das so ist.
Damit ist allerdings nicht gesagt, dass man sich zwingend mit Sexualkraft beschäftigen muss, wenn man spirituell vorankommen will. Doch für eine verkörperte, ganzheitliche Spiritualität – also eine Spiritualität, die auf allen Ebenen unseres täglichen Lebens wirkt – ist es sicher hilfreich, diesen wichtigen Aspekt unseres Seins zumindest nicht völlig auszuklammern.
Vor etwas über 25 Jahren lernte ich Yoga bei Anand Nayak, einem anerkannten Yogaexperten und Universitätsprofessor in Freiburg in der Schweiz. In seinen Kursen kam ich zum ersten Mal direkt mit östlicher Philosophie in Berührung. Anand hatte bei einem indischen Jesuiten studiert, dem im Jahr 1987 verstorbenen, bekannten Weisheitslehrer Anthony de Mello.
De Mello war ein Meister der Introspektion und der Verbindung von westlicher und östlicher Erfahrung. In einer leicht verständlichen Sprache fasste er das Ziel des Yoga zusammen:
Es gehe nicht darum, etwas zu erreichen, sagte er. Es gehe darum, etwas loszulassen, nämlich unsere Urteile und Erwartungen darüber, wie die Dinge sein sollten. Dann wird potenziell jede Erfahrung zu einem Instrument der inneren Befreiung.