Die Sünde aber gebiert den Tod - Andrea Schacht - E-Book + Hörbuch

Die Sünde aber gebiert den Tod E-Book

Andrea Schacht

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Beschreibung

Spannung, Historie und viel Humor! Mit soviel Tempo, Dramatik und witzigen Dialogen hat selten jemand über das mittelalterliche Köln geschrieben!

Köln, an Weihnachten des Jahres 1376. In Groß Sankt Martin, der Kirche des Benediktinerklosters, wird die Christmette jäh gestört. Das Schreien eines Säuglings unterbricht den Lobgesang der Mönche. Pater Ivo bringt das kleine Geschöpf, das ein Feuermal – den »Satanskuss« – auf der Wange trägt, kurzerhand zu den Beginen am Eigelstein. Dort überschlagen sich schon bald darauf die Ereignisse: Erst versucht jemand, das Kind zu entführen – dann geschieht ein Mord. Die scharfzüngige junge Begine Almut Bossart erlebt den Jahreswechsel im Zentrum einer dramatischen Verwicklung um Liebe und Verrat. Und gerät dabei selbst einmal mehr in Lebensgefahr …

Die historischen Romane um die Begine Almut Bossart bei Blanvalet:
1. Der dunkle Spiegel
2. Das Werk der Teufelin
3. Die Sünde aber gebiert den Tod
4. Die elfte Jungfrau
5. Das brennende Gewand

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Seitenzahl: 461

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Buch 

Köln, an Weihnachten 1376: In der Klosterkirche Groß Sankt Martin wird die Christmette gefeiert. Doch just als die Mönche das Loblied auf die Geburt des Heilands anstimmen, hallt das wütende Schreien eines Säuglings durch die ehrwürdigen Gewölbe. Das Baby, etwa ein halbes Jahr alt, liegt hinter dem Altar und brüllt aus Leibeskräften. Sein Gesicht ist rot, doch röter noch ist das Feuermal – der »Satanskuss« – auf seiner Wange. Ivo, der Benediktinerpater, bringt das Kind kurzerhand zum Konvent der Beginen am Eigelstein. Almut Bossart, die junge, gewitzte Begine, entdeckt kurz darauf in den Windeln ein Pergament hochbrisanten Inhalts, der auf einen Anschlag auf die Stadt Köln hinweist. Dann findet ein Novize in der Küche des Benediktinerklosters eine Frauenleiche. Die Tote ist nackt, der Kopf abgetrennt. Dem vielen Blut nach zu schließen, wurde die Frau auch in diesem Raum des Klosters ermordet. Aber wer von den Mönchen wäre zu einer solchen Tat fähig – und warum? Almut und Pater Ivo müssen wieder einmal gemeinsam ein Rätsel lösen, das sie schließlich auf die Spur eines Verräters in den höchsten Kreisen führt. Vom Hof des Erzbischofs in die Tiefen des klösterlichen Kerkers, von einem mittelalterlichen Femegericht bis in das Leprösenheim Melaten und in die düsteren Gassen der Stadt, in der die Ausgestoßenen und Armen leben: Das Geheimnis um den »Satanskuss« und den Verrat an der Stadt können Almut und Pater Ivo nur unter Todesgefahr lüften. Denn ein besessener Mörder trachtet nach dem Leben derer, die ihn entlarven wollen... 

Autorin 

Andrea Schacht, Jahrgang 1956, war lange Jahre als Wirtschaftsingenieurin und Unternehmensberaterin tätig, bevor sie dem seit ihrer Jugend gehegten Wunsch nachgegeben hat, Schriftstellerin zuwerden. Sie lebt heute als freie Autorin mit ihrem Mann und ihren zwei Katzen bei Bad Godesberg.Von Andrea Schacht außerdem lieferbar:

 Die historischen Romane um die Begine Almut:

Der dunkle Spiegel (36280) – Das Werk der Teufelin (36466)

 Die »Ring-Saga«: Der Siegelring (35990) 

Andrea Schacht

Die Sünde abergebiert den Tod

Roman

 

 

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Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt Electronic Publishing GmbH, Hamburg

www.kreutzfeldt.de

März 2007 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Copyright © der Originalausgabe 2005 by Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Covergestaltung: punchdesignISBN 978-3-641-01246-5 V003

www.blanvalet-verlag.de

Mein Dank gilt Dagmar,die der FranziskaCharakter und Kochlöffel verlieh.

Wenn die Begierde empfangen hat,gebiert sie die Sünde;die Sünde aber, wenn sie vollendet ist,gebiert den Tod.

 Jakobus 1.15

Dramatis Personae

 

Almut Bossart – die Heldin, eine junge Begine mit einem scharfsichtigen Geist und leider auch einer scharfen Zunge. Zudem wird Frau Almut ziemlich oft von dem Dämon Neugier gezwickt, der sie zeitweilig mitten ins Geschehen drängt.

 

 Die Klerikalen:

 

Pater Ivo – der Benediktiner mit Hornhaut auf der Seele, aber einem beweglichen Geist. Die Dämonen, die ihn zwicken, stammen aus seiner bewegten Vergangenheit. Seine Verbindung zu den Beginen wird nicht immer freundlich aufgenommen.

Theodoricus de Cornis – der behäbige Abt zu Groß Sankt Martin, den ein Nierenstein zwickt und ihn damit zeitweilig an den Rand des Geschehens drängt.

Rudgerus – der Prior zu Groß Sankt Martin, der eine schlimme Kindheit hatte.

Lodewig – ein dicklicher Novize und Hasenfuß, der wegen seiner großen Ängstlichkeit oft zum Opfer übler Streiche wird.

Bruder Markus – der Infirmarius mit der mitfühlenden Seele.

Die Weltlichen:

 

Aziza – die man die maurische Hure nennt, obwohl sie christlich getauft wurde. Eine Frau mit überraschend guten Beziehungen.

Heinrich Krudener – ein Apotheker und Alchemist, der die Kunst beherrscht, Geheimnisse sichtbar zu machen.

Trine – seine Gehilfin und taubstumme Schnüfflerin mit einem interessanten Bierrezept.

Pitter – der Päckelchesträger mit dem knurrenden Magen und den flinken Füßen, der die höfischen Umgangsformen lernt.

Fredegar – ein höflicher Knappe, der einigen unfreiwilligen Wäschen unterzogen wird.

Gero von Bachem – ein verfemter Ritter, beinahe ohne Fehl und Tadel.

Bettina de Benasis – eine etwas kopflose Dame.

Hannes von der Schmiergass – ein VIP unter den Bettlern, Schellenknecht zu Melaten.

Evvi – eine eitle Waschmagd aus dem Aussätzigenspital zu Melaten.

Gerlis – die Amme, Prüfmeisterin zu Melaten.

Franziska – eine findige Aushilfsköchin kratzborstigen Gemüts, die einen grausigen Fund macht.

Simon – ein Hufschmied und Gastwirt mit glücklicherweise sehr breiten Schultern.

Das Kind – einziges unschuldiges Opfer in dem Spiel.

Frau Barbara – Almuts Stiefmutter, deren gut gemeinte Heiratsvorschläge beständig auf Ablehnung treffen.

Conrad Bertholf – Baumeister und Almuts Vater, der oft über seine Tochter staunen muss.

Die Beginen:

 

Magda von Stave – die Meisterin der Beginen aus altem ehrwürdigen Kaufmannsgeschlecht, was sie weder leugnen kann noch will.

Rigmundis von Kleingedank – die Mystikerin, bei der

Bilsenbier recht wunderliche Visionen erzeugt.

Clara – die Gelehrte, die lieber die spitze Feder schwingt

als die spitze Sticknadel.

Elsa – die Apothekerin, die bei der Behandlung ihrer Patienten allerlei Informationen aufschnappt.

Gertrud – die mürrische Köchin, die durch eine böse Krankheit nicht milder gestimmt wird.

Bela und Mettel – die Pförtnerin und die Schweinehirtin, die sich auch vor harter Arbeit nicht scheuen.

Judith, Agnes und Irma – drei fleißige Seidenweberinnen,

die Rigmundis sehr ergeben sind.

Ursula Wevers – die Witwe eines jüngst verstorbenen Tuchwebers, eine begnadete Sängerin.

Historische Persönlichkeiten

 

Erzbischof Friedrich III. von Saarwerden – der noch sehr junge Erzbischof, der sich, durch den Rat der Stadt beleidigt, nach Bonn zurückgezogen hat, aber nun aus seiner Schmollecke gelockt wird.

Gerhard de Benasis – Patrizier und Schöffe, am Hof des Erzbischofs als Berater des jungen Friedrich tätig.

Vorwort

Köln, die blühende Handelsmetropole des Mittelalters, war nicht frei von Konflikten. Ende des 14. Jahrhunderts erstarkte die Bürgerschaft zunehmend und versuchte, das einengende Korsett von Kirche und Patrizierwesen zu sprengen.

Die Bewohner der Stadt waren erstaunlich freigeistig und fortschrittlich, sie trieben Handel mit aller Welt – der Rhein als mächtige Verkehrsader machte es möglich. Besonders selbstbewusst traten hier vor allem die Frauen auf, die nach neuesten Erkenntnissen mehr als in allen anderen Städten eigene Siegel führten – damit also voll geschäftsfähig waren. Und auch die große Anzahl von Stiftsfrauen und Beginen ist bemerkenswert. Frauen, die sich der Munt der Männer dadurch entzogen, dass sie in selbst gewählten Gemeinschaften zusammen lebten und arbeiteten.

In den Jahren 1375 bis 1377 spitzte sich die Auseinandersetzung zwischen Bürgerschaft und Klerus im so genannten Schöffenstreit zu. Im Grunde ging es darum, dass die Händler und Handwerker, die Gilden und Zünfte also, sich nicht der geistlichen, sondern einer weltlichen Gerichtsbarkeit unterstellen wollten. Verständlich, denn bei aller kölschen Frömmigkeit – die Geschäfte gehen vor! Die Schöffen, die die hohe Gerichtsbarkeit repräsentierten, unterstanden aber dem Erzbischof. Ihm aus machtpolitischen Gründen loyal zur Seite stand die Richerzeche, die Vereinigung der reichen Patrizier.

Ein nichtiger Anlass brachte das Fass zum Überlaufen. Der junge Erzbischof Friedrich III. von Saarwerden verließ die Stadt und zog sich schmollend nach Bonn zurück, begleitet von den Schöffen, einem Teil der Kleriker und seinen Beratern.

Der Streit eskalierte, denn mit Hinterlist und Intrige versuchten die verschiedenen Parteien Kapital aus der Situation zu schlagen. Ein heimtückischer Anschlag auf die Stadt wurde geplant, Femegerichte abgehalten, Güter beschlagnahmt, Komplotte geschmiedet...

Dennoch ging das Leben in der Stadt weiter, in fröhlicher Missachtung von Acht und Bann, die der Kaiser über das zänkische Köln verhängt hatte. Erst im Winter 1376/1377 spitzte sich die Lage zu, aber endlich fruchteten die Vermittlungsgespräche zwischen dem Rat der Stadt und dem Erzbischof.

Vor diesem Hintergrund entwickelt sich das grausige Geschehen dieses Romans, in dem meine Heldin Almut mit einem gar schaurigen Mord im Kloster zu Groß Sankt Martin konfrontiert wird. Dessen Aufklärung führt sie tief hinein in die politischen Verwicklungen ihrer Zeit.

 

Im heiligen Köln im

Winter des Jahres 1376

der Menschwerdung

des Herrn

 

 

1. Kapitel

Kalt war es und windstill in dieser Dezembernacht. Ein frostiger Hauch hatte die Zweige und dürren Blätter wie mit weißem Samt überzogen. Leise knisterte und wisperte es auf der Lichtung im Wald. Das spärliche Licht der Mondsichel ließ die Augen eines wachsamen Waldkaters aufleuchten, als er von seinem hohen Sitz auf einem dicken Eichenast die Witterung herannahender Männer aufnahm. Sie versuchten leise zu sein, doch seine feinen Sinne nahmen das Schlagen der weiten Mäntel gegen ihre Stiefel wahr. Mochten sie noch so vorsichtig auftreten, ihre Schritte auf dem federnden Waldboden konnte er deutlich hören. Ihre Gesichter jedoch sah er nicht, denn nicht nur wegen der Kälte trugen die neun Männer dunkle Umhänge, deren hochgeschlagene Kapuzen ihre Häupter verbargen. Vermummt waren sie vor allem, weil sie nicht erkannt werden wollten, weder von dem Kläger noch vom Angeklagten der Feme.

Doch nur der Kläger war auf dem Gerichtsplatz unter den Sternen erschienen, ebenfalls verhüllt durch einen weiten Umhang. Der Angeklagte war der Aufforderung nicht gefolgt, sich zu dieser mitternächtlichen Stunde einzufinden. Und so wurde das Urteil in seiner Abwesenheit über ihn verhängt.

»Ich verfeme dich!«, klang es dumpf durch die eisige Nacht. »Deinen Hals weihe ich dem Strick, deinen Leichnam den Tieren, und Vögeln, ihn zu verzehren. Deine Seele befehle ich Gott im Himmel, wenn er sie denn nehmen will.«

Während des Femespruchs, der den Angeklagten zu einem Vogelfreien erklärte, dessen Leben und Besitz jeder nehmen konnte und der kein Anrecht auf Schutz und Hilfe mehr hatte, hob sich einmal der Kopf des Klägers, und in seinem überschatteten Gesicht glühten die Augen beinahe so hell auf wie die des lauernden Waldkaters.

Schließlich warf der Richter den Weidenstrick aus dem Rund der Gerichtsstätte – als Zeichen, dass die Sitzung beendet sei. Das Urteil, das im Namen des Erzbischofs von Köln gefällt worden war, würde dem feigen Verräter trotz seiner Abwesenheit bekannt genug sein.

Die sieben Freischöffen verschwanden zwischen den hohen Stämmen der alten Eichen auf verschiedenen Wegen, und auch der Kläger verließ gemeinsam mit dem Richter den Platz.

»Und nun, mein lieber Graf, können wir über die Vollstreckung des Urteils sprechen. Ich habe da so eine Idee, die unserem Herrn sehr zupass kommen wird!«, hörte es der wachsame Waldkater unter seinem hohen Sitz flüstern. Dann eilten die beiden Männer über das raschelnde, trockene Laub der Stadt entgegen.

2. Kapitel

In der Stube war es ausnehmend gemütlich. Ein prächtiges Feuer prasselte im Kamin, der warme Würzwein in der Kanne duftete süß, und durch die runden Glasscheiben, die kunstvoll mit Blei zusammengesetzt die Fensteröffnung verschlossen, fielen noch die letzten schrägen Strahlen der untergehenden Wintersonne. Zwischen den beiden Frauen im Raum herrschte eine heitere, entspannte Stimmung. Die ältere saß eifrig spinnend auf der Bank neben der Feuerstelle, die andere hatte ihre kunstvolle Stickerei auf den Tisch gelegt. Das Licht reichte für solch feine Arbeiten nicht mehr aus, aber um eine der teuren Wachskerzen anzuzünden, war es noch zu früh. So ruhten denn ihre Hände müßig auf dem seidigen Pelz eines großen schwarzen Katers, der es sich auf ihrem Schoß gemütlich gemacht hatte. Er schnurrte mit dem wirbelnden Spinnrad um die Wette.

»Ja, ja, Frau Barbara, ich weiß Euer Angebot zu schätzen. Ich weiß ja, es kommt Euch von Herzen. Aber da Ihr die Antwort seit langem kennt, nehme ich an, Vater hat wieder einmal darauf bestanden, dass Ihr diese Frage stellt.«

Die Hausherrin zuckte resigniert lächelnd mit den Schultern. Sie trug ein hell- und dunkelgrün gestreiftes Gewand, das nach der neuesten Mode eng am Oberkörper anlag und eine elegante Pelzverbrämung um Hals- und Ärmelausschnitte aufwies. Ihr Gesicht unter dem weich fallenden Kruseler zeigte Reife, doch es war lebhaft genug, um nicht alt zu wirken. Kurzum, sie war eine gepflegte Frau in den mittleren Jahren, die auf ihr Äußeres hielt.

»Du kennst ihn ja, Almut. Aber sag, würdest du nicht wirklich gerne einmal wieder schöne Kleider aus weichen, anschmiegsamen Stoffen tragen? Es scheint mir so widersinnig für eine junge Frau wie dich, in diesen kratzigen, grauen Fetzen herumzulaufen.«

»Dem weltlichen Tand, liebe Stiefmutter, habe ich aus guten Gründen entsagt.«

»Pah!«

»Im Übrigen sind unsere Kleider nicht aus billigem Stoff genäht! Frau Magda sorgt schon dafür, dass weiche Wolle und feines Leinen verwendet werden. Und weißt du, mir gefällt es, mich nicht ständig nach irgendwelchen Äußerlichkeiten richten zu müssen.«

Almut hatte sich vor gut vier Jahren, nachdem ihr betagter Gatte seiner Krankheit erlegen war, einem Beginen-Konvent angeschlossen, was ihr Vater, der Baumeister Conrad Bertholf, missbilligte. Er hätte seine verwitwete Tochter gerne wieder mit einem Berufskollegen verheiratet. Aber Almut, und das gestand er sich selber ein, war schon als Kind willensstark, manchmal sogar ausgesprochen widersetzlich gewesen, und insgeheim nötigte sie ihm damit einen gewissen Respekt ab. So waren denn seine Versuche, sie über seine zweite Frau zu einer Rückkehr in das weltliche Leben zu überreden, auch eher halbherzig.

»Widernatürlich!«, murrte Frau Barbara. »Trotzdem widernatürlich, diese Vorliebe für graue Kittel und die einfachen weißen Gebände. Ihr seid doch keine Nonnen! «

»Nein, Frau Barbara, gewiss nicht. Aber die Kleidung ist praktisch bei den Arbeiten, die wir verrichten, und sie flößt den Leuten Achtung ein.« Heimlich schmunzelte Almut über ihre Stiefmutter, deren gelegentliche Anfälle von Eitelkeit sie schon mal zu einem exzentrischen Aufputz verleiteten, wie etwa die doppelhörnige Haube, die sie heute unter ihrem gekräuselten Schleier trug.

»Ach, was soll ich mit dir darüber disputieren. Du tust ja doch, was du willst, Almut.«

»Richtig, Frau Barbara. Ganz so wie Ihr auch!«

In tiefem gegenseitigen Verständnis sahen sich die

beiden Frauen in der hereinbrechenden Dämmerung an. »Ich zünde die Kerzen an, denke ich. Es wird selbst

zum Spinnen zu dunkel.«

Frau Barbara stand vom Spinnrad auf und nahm zwei Kerzenhalter vom Tisch, um die Kerzen mit einem Span am Kamin anzuzünden. Das lebendige Licht erfüllte den Raum mit goldenem Schein, und der Teppich an der weiß gekalkten Wand glühte in seinen prächtigen Farben auf.

»Mir scheint, meine Schwester hat Euch einen Besuch abgestattet!«, bemerkte Almut und wies auf den kunstvollen Wandbehang. »Ich meine mich erinnern zu können, dieses Werk bei seiner Erstehung gesehen zu haben.«

»O ja, Aziza hat deinem Vater ihre Aufwartung vor einigen Tagen gemacht.« Frau Barbara kicherte leise in sich hinein. »Ich finde, sie ist eine anmutige und unterhaltsame junge Frau mit einem erlesenen Geschmack. Aber dein Vater wurde rot bis zu den Ohrenspitzen, als er sie bei mir sitzen sah, und fand außer einem heftigen Räuspern keine rechten Worte. Dabei habe ich es ihm nie zum Vorwurf gemacht, dass er sich in der Zeit nach dem Tod deiner Mutter der Gesellschaft einer Konkubine erfreut hat.«

»Ich denke, er hält Frauen manchmal für recht mysteriöse Wesen. Wir sind eben nicht so einfach zu behandeln wie seine Steinmetze und Maurer. Er erwartet immer das Schlimmste und ist dann überrascht, wenn es nicht zu tränenreichen Ausbrüchen kommt.«

»Aber er ist ein guter Mann, Almut. Wenn ich ehrlich sein soll, dann wünsche ich wirklich, du würdest dich wieder mit einem Gatten verbinden.«

»Nicht jeder ist wie mein Vater – großherzig, gütig und einfach zu lenken. Warum soll ich mich unter die Munt eines Mannes stellen, der mir weniger Freiheiten erlaubt als die Regeln meines Konvents?«

»Nun, da wäre noch die Frage der Zuneigung...«

Ja, die wäre da noch, dachte Almut. Und ihr kam ein Mann in den Sinn, der ebenfalls großherzig und gütig, keinesfalls jedoch leicht zu lenken war. Für ihn empfand sie Zuneigung, nur... Sie schüttelte leicht den Kopf. Unerreichbar war er natürlich auch.

Frau Barbara bemerkte diese Reaktion, war aber klug genug, das Thema zu wechseln: »Erzähl mir, Almut, wie ihr mit der Lage derzeit zurechtkommt. Leidet ihr irgendeinen Mangel?«

Eine berechtigte Frage, denn seit dem vierten Dezember war Köln in Acht und Bann. Der Rat der Stadt hatte vor zwei Jahren den Erzbischof Friedrich III. von Saarwerden beleidigt, worauf dieser mitsamt der ihm unterstehenden hohen Gerichtsbarkeit schmollend in Bonn Zuflucht genommen hatte. Kurz darauf hatte er bei Kaiser Karl IV. mit seiner Klage gegen den Rat Erfolg gehabt, und so war Köln zunächst in die Reichsacht genommen worden. Seit diesem Monat nun war die Stadt auch noch aller Privilegien verlustig erklärt worden. Hatten die Bürger die Acht noch weitgehend ignorieren können und das Wirtschaftsleben unverdrossen weitergeführt, so war die Situation jetzt doch etwas angespannt. Die auswärtigen Handelspartner hielten sich merklich zurück, und es stand zu befürchten, dass so manche Güter und Waren in den nächsten Wochen bedenklich knapp werden könnten. Und das auch noch mitten im kalten Winter und zu der Weihnachtszeit!

Almut nahm einen Schluck von dem warmen Würzwein und schüttelte den Kopf.

»Nein, Frau Barbara, wir leiden keinen Mangel. Unsere Meisterin hat Kaufmannsblut in den Adern, und sie wirtschaftet gut mit den Einnahmen aus den Stiftungen und unseren Arbeiten. Ich habe selbst einige Zeit ihre Aufzeichnungen geführt, als sie vor drei Monaten von diesem Dummkopf von Vizevogt eingekerkert worden ist. Selbst wenn manche Dinge teuer werden sollten, kommen wir zurecht. Außerdem habe ich gehört, vor zwei Tagen sei endlich ein Waffenstillstand vereinbart worden.«

»Ja, die Gerüchte sind auch an meine Ohren gedrungen. Aber die Verhandlungen können sich hinziehen. Ich halte den Erzbischof Friedrich nicht für besonders weitsichtig in solchen Dingen. Er ist mit seinen achtundzwanzig Jahren einfach zu jung auf den Thron gekommen.«

»Er ist genauso alt wie ich, Frau Barbara.«

»Ja, wenn du in seiner Position wärst...!«

Almut kicherte. »Was für eine Vorstellung – eine Erzbischöfin. Das ist genauso grotesk wie die Vorstellung, eine Frau würde zur Dombaumeisterin ernannt!«

Beide lachten noch über diese verrückten Ideen, als der Hausherr mit kräftigem Schritt zur Tür hineinpolterte. Conrad Bertholf war ein rüstiger Mann mit rötlichem Haar und wettergegerbtem Gesicht. Der Baumeister verbrachte viel Zeit bei seinen Gewerken und scheute sich nie, auch Hand mit anzulegen.

»Nun, meine Tochter, es ist schön von dir, Frau Barbara zu besuchen. Ich sehe, ihr plaudert über vergnügliche Themen.«

»Nicht so sehr vergnüglich, sieht man von einer kleinen Absurdität ab, die uns eben eingefallen ist. Wir sprachen über die Lage der Stadt in diesem leidigen Schöffenstreit, Herr Vater.«

Conrad Bertholf starrte seine Tochter und sein Weib irritiert an und meinte dann: »Äh...«

Dass Frauen sich über etwas anderes unterhalten könnten als die allfälligen Fragen von Haushalt, Putz und gesellschaftlichem Klatsch, erstaunte ihn immer wieder. Aber er fasste sich, als er sich den belustigten Gesichtern der beiden gegenübersah.

»Eine leidige Sache, wohl wahr. Hätte der Erzbischof nicht im Herbst letzten Jahres den heimtückischen Angriff auf die Stadt geplant, hätte man sicher schon früher zu einer Einigung kommen können.«

»Seine beiden Handlanger sind aber noch immer in Haft, nicht wahr?«

Die verräterischen Kanoniker von Wevelinghoven und Kelz waren zum Glück kurz vor dem geplanten Anschlag gefangen genommen worden. Sie hatten aber, soweit Almut wusste, nicht preisgegeben, wer sie beauftragt hatte. Es war der Wendepunkt in der gesamten Auseinandersetzung, die zunächst nur wie eine begrenzte Krise ausgesehen hatte. Mit der Festsetzung der Geistlichen und dem missglückten Überfall aber begann der Krieg zwischen der Stadt Köln und den Anhängern des Erzbischofs, der nun schon seit über einem Jahr für Unannehmlichkeiten sorgte. Gelegentliche Überfälle und Brandschatzungen waren die Folgen. Vor den Stadtmauern hatten sich Heerlager von Söldnern gebildet, der Rhein war verpfählt und Deutz mehrfach niedergebrannt worden. Und wegen des Interdikts hätten auch eigentlich keine Messen mehr gelesen werden, keine Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen stattfinden dürfen. Doch der Rat hatte die Geistlichen gebeten, nicht dem Erzbischof zu folgen, sondern unter seinem Schutz in der Stadt zu bleiben und weiter für ihre Gemeinden zu sorgen. Es hätte auch kein Handel mehr getrieben, keine Verträge und keine Bündnisse geschlossen, keine Sicherheiten und Gelöbnisse gegeben werden dürfen. Doch daran hielt sich niemand so genau. Nur die hohe Gerichtsbarkeit – der Vogt und die Schöffen – war mit Friedrich nach Bonn gezogen, und das war misslich, da Gewaltverbrecher nun nicht mehr ordentlich verfolgt und verurteilt werden konnten.

»Von Wevelinghoven und Kelz sind noch im Kerker der Stadt, obwohl der Erzbischof mit Femegerichten gegen Kölner Bürger darauf reagiert hat.« Almuts Vater schnaubte verächtlich. »Er behauptet ja starrsinnig, die beiden hätten nicht in seinem Auftrag gehandelt.«

Das üble Komplott war aufgedeckt worden, bevor der Anschlag durchgeführt werden konnte. Wie sich herausgestellt hatte, waren von den besagten zwei Kanonikern Vorbereitungen getroffen worden, um den Truppen des Erzbischofs mit einer heimtückischen List den Zugang zur Stadt zu ermöglichen. Es misslang, und es wurde nur geringer Schaden angerichtet, doch der Vorfall verschärfte die Lage nachhaltig – denn letztlich lief es in dem Streit darauf hinaus, wer die Herrschaft über die Stadt hatte.

Bürger und Rat wünschten sich eine weltliche Oberhoheit, der Erzbischof eine kirchliche. Wesentlich für die ausgeübte Macht war die Gerichtsbarkeit. Derzeit hatte noch immer der Erzbischof das Hohe Gericht mit seinen Schöffen unter sich und erpresste damit die Bürgerschaft.

Baumeister Bertholfs Miene drückte Besorgnis aus, als er seine Tochter betrachtete.

»Mir wäre es in diesen unsicheren Zeiten lieber, wenn du bei uns bleiben würdest, Almut. Da draußen am Eigelstein, in diesem ärmlichen Konvent, bist du doch nicht sicher!«

»Ach, Herr Vater, so ärmlich geht es bei uns nicht zu, und letztlich ist man nirgendwo in der Stadt sicher, wie der Angriff am Severinstor gezeigt hat.«

»Mh!«, brummte Conrad Bertholf. Das Severinstor lag in der Stadtmauer an der entgegengesetzten Seite vom Eigelstein und bedenklich nahe an seinem eigenen Haus. »Na gut. Braucht ihr irgendwas?«

Almut lächelte ihn mit großer Freundlichkeit an. »Wenn Ihr eine Ladung Holz übrig hättet...«

»Ich dachte, du lässt, wie alle vernünftigen Leute, deinen Bau im Winter ruhen.«

»Natürlich, Herr Vater. Ich widme mich derzeit feinen Handarbeiten. Aber bei einem warmen Kaminfeuer sind die Finger geschmeidiger.«

»Ah, natürlich. Ich werde dafür sorgen. Sag mir Bescheid, wenn du aufbrichst, ich begleite dich zurück. Es ist nicht gut für eine junge Frau, in der Dunkelheit durch die Straßen zu gehen. Die alte Anne ist kein Schutz für dich.«

»Danke, Herr Vater. Ihr seid sehr gütig!«

Er zog sich aus der Stube zurück, und Frau Barbara und Almut wandten sich von der politischen Lage den wesentlich drängenderen Haushaltsproblemen zu.

»Wisst Ihr, Frau Barbara, wir leiden zwar keinen Mangel in unserem Konvent, aber wir haben mit einem scheußlichen Missstand zu kämpfen. Unsere Köchin ist krank, und Ihr glaubt gar nicht, wie wir ihr Wirken vermissen.«

»O doch, liebe Almut, das weiß ich nur zu gut. Ich musste selbst vor zwei Wochen unsere Berte aus der Küche werfen. Grundgütige Maria, hat die uns in der letzten Zeit einen Fraß vorgesetzt! Es hat eine Weile gedauert, bis ich dahinter kam, dass es nichts mit den Lebensmitteln zu tun hatte, wie sie uns weismachen wollte. Im Gegenteil, die Qualität war noch immer erstaunlich gut. Aber dieses Weib hat schon in der Früh angefangen, tief in den Metkrug zu schauen. Im Laufe des Tages wurde sie dann so trunken, dass sie nur noch einen Schweinefraß zusammenbrauen konnte. Aber zum Glück habe ich vor wenigen Tagen eine neue Köchin gefunden. Sie stammt zwar nicht von hier, und ich bin mir nicht sicher, ob sie bleiben wird. Aber bei Tisch ist es eine Erleichterung, wieder schmackhaftes Essen in den Schüsseln vorzufinden!«

»Wie wahr, Frau Barbara!«, seufzte Almut und befreite sich von den liebevoll ausgestreckten Krallen des Katers, der versuchte, ihr den grauen Schleier vom Kopf zu ziehen. »Wir haben unsere Apothekerin gebeten, die Küche mitzubetreuen, aber Elsas Arzneien schmecken schon grauenhaft, und ihre Grütze ist noch entsetzlicher. Mettel, unsere Pförtnerin, hat zwar etwas bessere Ergebnisse erzielt, aber sie muss natürlich weiterhin ein Auge auf das Tor haben, und so gab es verkohltes Brot und angebrannte Würste. Clara, unsere Gelehrte, wusste wie immer viele gute Ratschläge, aber als sie den ersten Sack Mehl heben musste, brach sie stöhnend zusammen und jammerte, das vertrage ihre Gesundheit nicht. ›Du weißt doch, mein Rücken!‹«, machte Almut mit einem Grinsen die wehleidige Clara nach. »Rigmundis haben wir gar nicht erst gefragt, sie bekommt schon beim Rühren im Kessel einen verklärten Blick und hat dann wieder Visionen. Schließlich haben Ursula und ich die Sache in die Hand genommen. Na ja, essen kann man das, was wir fabrizieren, aber nach drei Tagen Grütze morgens, Grütze mittags und Grütze zur Vesper steht uns der Sinn doch nach etwas Abwechslung!«

Frau Barbara lachte mitfühlend, und als ein kühler Luftzug durch den Raum ging, blickte sie auf und nickte der eintretenden Frau zu.

»Oh, Almut, dies hier ist die Antwort auf unsere Gebete. Maria, unsere neue Köchin!«

Eine etwa fünfzigjährige, untersetzte Person machte einen höflichen Knicks und stellte den beiden Frauen einen Korb mit Gebäck auf den Tisch. Etwas unzufrieden murrte sie: »Mandelbrötchen, frisch aus dem Ofen. Nicht so süß, wie ich es mir gewünscht hätte, denn Honig ist knapp geworden.«

Almut nahm sich ein Stück von dem warmen Gebäck und biss genussvoll hinein. Sie hatte sich zwar zu Bescheidenheit, Keuschheit und Dienst am Nächsten verpflichtet und hielt sich getreulich an diese Gelübde, aber von einer Schwäche hatte sie sich doch nicht trennen können, und das war die Lust an süßen Wecken.

»Himmlisch! Maria, Ihr kennt nicht zufällig noch eine weitere Köchin, die bereit wäre, einige Tage lang für zwölf Beginen am Eigelstein zu kochen?«

Überrascht sah die Köchin Almut an, dann zog sich plötzlich ein breites Lächeln über ihr Gesicht.

»Wenn Ihr mit einer Fremden vorlieb nehmen wollt, wüsste ich wohl eine.«

»Meinetwegen kann sie eine Maurin sein oder eine Heidin aus dem Norden, Hauptsache, sie ist in der Lage, mehr als Grütze zu kochen, und lässt das Brot nicht im Ofen verbrennen.«

»Nun, dann solltet Ihr es mit Franziska versuchen. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob sie bereit ist, die Aufgabe zu übernehmen, aber Fragen schadet ja nicht. Sie ist eine gut ausgebildete Leihköchin und kam vor etwa drei Wochen von Aachen herüber. Zwölf Beginen – das dürfte ihr keine Probleme bereiten. Franziska hat sogar schon für Leute von Adel gekocht.«

Almuts Augen leuchteten auf, und sie fragte: »Diese Franziska – wo ist sie zu finden?«

»Im Augenblick hat sie eine Kammer im Gasthof Zum Adler in der Nähe der Stadtmauer.«

»Den Gasthof kenne ich, er ist nicht weit von unserem Konvent entfernt. Ich werde sie schon morgen aufsuchen. Kann ich mich auf Euch berufen, Maria?«

»Natürlich. Bestellt ihr einen schönen Gruß von mir, und richtet ihr aus, sie solle mich, so es ihre Zeit zulässt, einmal besuchen.«

»Na siehst du, Almut, manchmal lösen sich Probleme schneller, als man denkt«, meinte Frau Barbara, als Maria die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Woran krankt denn eure Köchin?«

»Gertrud hatte erst einen bösen Husten, der nicht heilen wollte, aber nun sind ihr auch noch die Gelenke angeschwollen, und sie hat rote und braune Knoten an den Füßen, weshalb sie kaum noch stehen kann.«

Entsetzt sog ihre Stiefmutter den Atem ein. »Bist du sicher, Almut? Knoten an den Füßen?«

»O heilige Mutter Maria, erbarme dich! Ihr habt ja Recht!« Voller Entsetzen sah Almut ihre Stiefmutter an. Was sie soeben beschrieben hatte, waren die ersten Anzeichen von Aussatz, und plötzlich verstand sie die Ängste ihrer Köchin Gertrud.

Wie ein böses Omen war von draußen plötzlich die Glocke des Schellenknechts zu hören, des Almosensammlers vom Aussätzigenheim von Melaten, der seine Runden zog und in der Vorweihnachtszeit auf besonders großzügige Spenden hoffte.

3. Kapitel

Er trug einen schlichten Lederrock und einen weiten Umhang ohne Verzierungen und Wappen. Doch sein mächtiges Ross und das Schwert an seiner Seite wiesen ihn als Ritter aus. Er war groß und überaus kräftig. Ein dunkler Bart umrahmte einen festen Mund, und seine Nase ragte gerade und ein wenig scharf unter der Kapuze hervor, die er gegen den frostigen Wind über den Kopf gestreift hatte. Er war ohne Begleitung, aber dennoch musterten ihn die Wachen am Tor misstrauisch, als er Einlass begehrte. Sie fragten ihn nach seinem Namen, und er nannte ihnen einen, der nicht der seine war. Auf die Frage nach seinem Begehr antwortete er, er wolle das Kloster der Schottenmönche aufsuchen, um dort Buße zu tun.

Fremde Ritter sah man nicht gerne in der Stadt, vor deren Mauern die Feinde lagerten, und es kostete den Besucher unendliche Geduld, viel Überredungskraft und einige Goldmünzen, bis man ihn endlich einließ.

Mehrmals musste er sich den Weg erfragen, bis er schließlich einen Jungen fand, der ihn zum Ziel führte – das Kloster der Schottenmönche. Die jetzigen Ordensbrüder waren schon lange keine Schotten mehr, sondern Benediktiner aus dem eigenen Land. Doch der Geist der ersten Mönche schwebte noch immer zwischen den Säulen von Kirche und Kreuzgang und gab denen, die es spüren konnten, eine Ahnung von dem keltischen Erbe, das ihrem christlichen Glauben einen Freiraum gab, den die römische Kirche nicht immer billigte. Auch die kleine Pfarrkirche, in der sich die Gemeinde versammelte, erinnerte an die Schotten, die das Kloster von Groß Sankt Martin gegründet hatten. Sie war der heiligen Brigitte, der Brigid, geweiht, einer Heiligen, die auf tiefe Wurzeln in ihrem fernen Heimatland zurückblicken konnte.

An die Pforte dieses Klosters nun pochte der Ritter, und es wurde ihm geöffnet. Abermals musste er die Frage nach seinem Namen beantworten, und diesmal nannte er den, der sein Eigen war. Auch sein Begehr wiederholte er und den Wunsch, mit dem Vater Abt sprechen zu dürfen.

Er wurde eingelassen, doch Schwert und Dolch verlangte der Pförtner von ihm, denn Waffen durften auf dem Boden des Klosters nicht getragen werden. Willig reichte der Ritter, der sich als Gero von Bachem bezeichnete, ihm das Gehenk und ließ sich von einem jungen, pummeligen Novizen zu den Gästeunterkünften geleiten.

4. Kapitel

Ursula rührte unzufrieden in der Grütze, als Almut in die Küche trat. »Wie geht es Gertrud?«, fragte sie. »Hast du nach ihr gesehen?«

»Sie liegt im Bett und hat mich angeblafft, als ich den Kopf zur Tür hineinstreckte. Dabei wollte ich ihr nur die Decken richten.«

»Mach dir nichts daraus – sie ist schon gesund ein rechter Sauertopf. Ich will schauen, ob ich sie etwas aufheitern kann. Hast du Teufelchen gesehen?«

»Gesehen schon, aber sie lässt sich von mir nicht anfassen. Sei nur vorsichtig, sie faucht und zischt jeden an, der sich ihr nähert.«

Almut fand die schwarze Katze dösend in der Vorratskammer und schnappte sie sich mit beherztem Griff. Kaum lag sie an ihrer Schulter, fing sie auch schon an zu zappeln und zu krakeelen. Aber Almut fertigte nicht nur feine Stickereien an, sondern hatte auch recht kräftige Hände, und so, mit festem Druck auf den Nacken des sich sträubenden Tieres, eilte sie die Stiegen zu Gertruds Kammer hinauf. Ohne zu warten trat sie ein, und sofort hörte Teufelchen auf zu protestieren.

Dagegen richtete sich die Köchin von ihrem Lager auf und blitzte Almut böse an.

»Mach, dass du rauskommst!«, krächzte sie heiser und bekam gleich darauf einen Hustenanfall.

Die Katze sprang auf ihr Lager, trat sich eine Kuhle in die Decken und legte sich dann behaglich schnurrend nieder.

Almut wartete geduldig, bis die Kranke wieder zu Atem gekommen war. In der Kammer war es düster, die Fensterläden waren gegen den kühlen Zug geschlossen, und die Luft roch verbraucht und muffig. Nur ein blakendes Öllämpchen spendete ein wenig flackerndes Licht.

»Dein Husten ist schlimmer geworden. Hast du Elsas Arznei nicht genommen?«

»Geh raus, Almut!«

»Nein, ich bleibe. Du brauchst Hilfe, Gertrud.« »Mir kann sowieso keiner mehr helfen!«

»Was für ein Quatsch!«

»Geh, um der Liebe Gottes willen, Almut. Geh, um deiner selbst willen. Und nimm diese verdammte Katze mit.«

Wieder musste die Köchin mit einem Hustenanfall kämpfen und rang nach Luft. Almut öffnete die Fensterläden, und ein Schwall kalter, trockener Frostluft drang in die Kammer.

»Nur einen Moment lüften, Gertrud. Zieh die Decken hoch!«

Die Köchin konnte sich nicht wehren, sie wurde von wahren Hustenkrämpfen geschüttelt. Almut sah sich um und entdeckte das Krüglein, in dem Elsa ihre Medizin abzufüllen pflegte. Es war noch so gut wie voll. Sie schloss die Läden wieder und zog sich einen Hocker an Gertruds Bett.

»Hör mir zu, Gertrud, ich glaube, ich weiß, was dir Sorgen macht. Du meinst, es ist nicht nur ein böser Winterhusten, nicht wahr?«

Müde nickte Gertrud und ließ sich zurücksinken.

»Hast du es also auch schon herausgefunden.«

»Ich habe herausgefunden, wovor du Angst hast. Du

glaubst, vom Aussatz befallen zu sein, nicht wahr?« »Schau dir doch meine Füße an!«

Zornig zog die Köchin die Decke hoch und enthüllte knochige Beine. Um die Füße hatte sie ein paar Lappen gewickelt, doch die geröteten, geschwollenen Zehen ragten daraus hervor.

»Überall habe ich solche Flecken und Knoten.« »Und wenn es nur Frostbeulen sind?«

»Sind es nicht. Also geh, damit die Krankheit nicht auch noch dich ereilt. Und nimm die Katze mit.«

»Ich habe noch nie von einer Katze gehört, die den Aussatz bekommen hat. So, und nun nimmst du den Hustensaft, damit du schlafen kannst.«

»Du bist furchtbar, Almut.«

»Ja, ich weiß.« Sie reichte ihr einen Hornlöffel mit der honigsüßen Flüssigkeit. »Aber du kannst nicht einfach hier liegen bleiben und versuchen zu sterben. Wenn deine Befürchtung berechtigt ist, dann müssen wir etwas unternehmen.«

»Ich werde euch verlassen, sowie ich wieder aufstehen kann.«

»Ich werde zu Meister Krudener gehen und ihn fragen, was zu tun ist. Du musst untersucht werden, sowie du es schaffst, aus dem Bett zu kommen. Es gibt Leute, die wissen die Symptome viel besser zu deuten als du oder ich. Nur wenn es wirklich der Aussatz ist, musst du in das Siechenhaus ziehen.«

»Und in einem Spital voller Krüppel leben, ausgesegnet wie eine Tote, und dort langsam bei lebendigem Leib verfaulen.«

Voller Mitleid sah Almut die Köchin an. Sie war eine große, hagere Frau, doch nun war sie durch Fieber und Angst noch mehr eingefallen und lag, knochig und mit verfilzten Haaren, auf ihrem Lager. Mit einer Hand streichelte sie geistesabwesend den warmen, schwarzen Pelz der Katze an ihrer Seite. Doch es war trotz allem inzwischen wieder ein kleiner Funken Leben in ihren Augen. Almut hoffte, er möge entstanden sein, weil sie endlich ihre entsetzliche Angst in Worte hatte fassen können.

»Du wirst leben, Gertrud. Und ich werde dir jetzt etwas Grütze bringen, und du isst sie. Ich weiß, sie ist ziemlich fade, wir beherrschen einfach nicht deine Kunst, sogar einfachen Haferbrei schmackhaft zu machen. Aber er sättigt und wärmt.«

»Man kann sich nicht gegen dich wehren.« »Manchmal nicht.«

Ein winziges Lächeln huschte über das graue Gesicht der Köchin. »O ihr Ärmsten, sogar Weihnachten Grütze und noch mal Grütze!«

»Ich hoffe doch nicht! Morgen suche ich die Freundin der Köchin meiner Mutter auf, die hier in Köln zu Besuch ist. Sie hat einen guten Ruf als Leihköchin und wird uns sicher aushelfen, bis wir wissen, wie es mit dir weitergeht.«

»Eine Fremde in meiner Küche!«

»Notgedrungen! Sie wird nicht auf dem Hof backen und kochen können.«

»Ist ja auch egal, nicht wahr?«

»Ist es.«

Gertrud schwieg ein paar Augenblicke lang, während Almut den Docht des Lämpchens richtete und die Decken zurechtzog.

»Danke, Almut. Danke, dass du ehrlich zu mir bist. Jemanden, der mir jetzt falsche Hoffnungen macht, könnte ich nicht ertragen.«

Almut nickte und verließ den Raum, um die versprochene Schüssel mit Grütze zu holen. Als sie zurückkam, war Gertruds Miene entspannter als zuvor. Die Hustenarznei, die eine reichliche Dosis Mohnsaft enthielt, begann ihre Wirkung zu zeigen. Kaum hatte sie den klebrigen Grützebrei ausgelöffelt, sank sie mit schläfrigen Lidern in die Decken zurück.

»Bete für mich, Almut.«

»Natürlich, Gertrud. Schlaf gut. «

Nach der Komplet hatte Almut noch ein langes Gespräch mit der Meisterin der Beginen geführt. Magda von Stave war vor drei Jahren zum zweiten Mal zum Oberhaupt der zwölfköpfigen Gemeinschaft gewählt worden, die sie mit Umsicht und diplomatischem Geschick führte. Die beiden Frauen diskutierten lange über die Befürchtungen der Köchin und beschlossen, bis zum endgültigen Urteil über ihren Zustand den anderen gegenüber Stillschwiegen zu bewahren.

 

Am nächsten Morgen machte sich Almut zusammen mit Elsa, der Apothekerin der Beginen, auf, um sich nach der Köchin Franziska zu erkundigen. Es war frostig kalt, und die Nacht hatte die lehmigen Wege hart frieren lassen. Raureif glitzerte an den dürren Grashalmen, und über den Dächern der Häuser stieg allenthalben dunkler Rauch auf. Es roch nach brennenden Holzscheitern und glosendem Torf. Die Beginen erreichten bald den Adler, ein Gasthaus, dem auch eine Hufschmiede angegliedert war. Er wirkte auf den ersten Blick unbewohnt, denn weder der Schornstein noch die Esse rauchten. Es war auch kein Hämmern oder ein metallisches Klingklang zu vernehmen, Laute, die gewöhnlich anzeigten, dass der Schmied seinem Handwerk nachging.

»Versuchen wir es in der Schenke, Elsa. Dort wird sicher jemand sein!«

Almut stieß die feste, eisenbeschlagene Tür auf und fand ihre Vermutung bestätigt.

Der Schmied war in der Gaststube – allerdings steckte er mit dem Oberkörper im Kamin und schimpfte, was das Zeug hielt. Eine zierliche Frau lehnte mit dem Rücken zur Theke, die Arme vor der Brust verschränkt.

»Verdammt und bei allen Heiligen! Der letzte Sturm hat die Reste vom Storchennest hineingedrückt, kein Wunder, dass der Kamin nicht zieht. So ein Dreck! Das hat man nun davon, wenn man den Tieren ihre Behausung nicht unter den Füßen fortreißt«, tönte es undeutlich unter dem Mauerwerk hervor. Gleich darauf erklang ein kratzendes Geräusch und ein Schmerzlaut, dem eine schwarze Rußwolke folgte. Almut ließ sich neben Elsa auf einer Bank nieder und beobachtete amüsiert das Schauspiel, das sich ihnen bot. Offensichtlich war ihr Eintritt unbemerkt geblieben.

»Ach nee, das Storchennest?«, spottete die zierliche Frau mit unverhohlener Schadenfreude. »Als ich mich darüber beklagte, die Stube wolle und wolle nicht warm werden, meintet Ihr, das läge an meinem Fischblut.«

Erneut ging ein heftiger Rußregen nieder und hüllte die Gegend um den Kamin in eine schwarze Wolke. Aus ihr tauchte der Adlerwirt wie ein dunkler Geist auf. Er bot ein seltsames Bild. Über und über rußverschmiert und mit einigen Strohhalmen im Haar, wirkte er wie ein Dämon aus der Hölle. Helle Augen glänzten unter der eigenwilligen Patina hervor und funkelten die kleine Frau an.

»Ich habe Euch die Wärme meiner Stube und meiner Bettstatt angeboten! Da wäre Euch genug eingeheizt worden. Aber nein, das war der edlen Dame ja nicht gut genug. Dabei würde ich Euch die ganze Wirtschaft zu Füßen legen!«

»Für den Anfang täte schon das Vogelnest reichen. Also wirklich, Simon, das war die unverblümteste Werbung, die mir jemals zu Ohren gekommen ist. Was denkt Ihr Euch nur dabei?«

»Ich denke nur praktisch! Ja, ist das denn in Aachen anders? Ich bin alleine, und Ihr seid alleine.« Seine raue Stimme wurde sogar ein wenig bittend, als er weitersprach. »Frau Franziska, hört, ich bin gesund und kräftig und verdiene mir einen recht auskömmlichen Lebensunterhalt. Aber ich brauche eine Gefährtin. Warum nicht Ihr? Ich finde Euch ganz niedlich, und arbeiten könnt Ihr auch ordentlich. Ruft einen Priester, und wir machen es richtig!«

Die beiden Beginen sahen sich grinsend an, fanden es aber an der Zeit, sich bemerkbar zu machen. Almut räusperte sich und fragte: »Verzeiht, wir scheinen zu ungelegener Zeit bei Euch eingedrungen zu sein, aber wir sind auf der Suche nach einer Frau Franziska aus Aachen.«

Überrascht von der unerwarteten Anrede wischte sich der Wirt über die Augen. Auch die Frau war herumgefahren und starrte nun wortlos die Besucherinnen an. Simon klopfte sich ohne großen Erfolg das Wams ab.

»Lasst mich das machen und geht Euch umkleiden«, fauchte Franziska. »So hält man Euch am Ende für einen Teufel. Immerhin sind das fromme Schwestern!«

Damit schob sie den Wirt entschlossen zu einer Stiege im hinteren Bereich. Dann wandte sie sich wieder an die beiden Gäste und setzte eine beflissene Miene auf. Doch bevor sie die Gastlichkeit des Hauses anbieten konnte, unterbrach Almut sie.

»Ich grüße Euch, Frau Franziska. Das seid Ihr doch, wie mir scheint.«

»Ja, das bin ich.«

Misstrauisch betrachtete die junge Frau die beiden Beginen.

»Mein Name ist Almut, dies hier ist Frau Elsa. Wir kommen vom Beginen-Konvent am Eigelstein, ganz hier in der Nähe, und möchten Euch um Unterstützung bitten.«

»Mich? Wie kommt Ihr gerade auf mich?«

Mit einigen Sätzen erklärte Almut, was ihr auf dem Herzen lag. Zunächst lauschte die Köchin verblüfft, doch bei dem Gruß, den ihr die Köchin Maria ausrichten ließ, verschwanden die misstrauischen Fältchen um ihre Nase.

»Maria hat mich empfohlen? Nun, dann kann ich wohl kaum nein sagen. Natürlich werde ich aushelfen. Hier koche ich zwar auch, aber egal, ob ich mich bemühe oder auch nicht, die Saufnasen wissen meine Arbeit nicht zu schätzen. Ab einem gewissen Quantum würden die sogar das Storchennest fressen. Und dieser große Junge, der Wirt Simon, der weiß das auch nicht zu würdigen. Er nimmt mich schon als gänzlich selbstverständlich hin. Putz dies, wisch das, schließlich bist du ein Weib – das ist sein Grundsatz. Aber was rede ich... Beschreibt mir den Weg, ich komme gerne. Nur werde ich bestimmt nicht die halbe Nacht mit Euch auf den Knien liegen und Psalmen singen.«

Almut schüttelte leicht erheitert den Kopf.

»Nein, das müsst Ihr nicht, nur Kochen und Backen. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr eine eigene Kammer in einem unserer Häuser haben.«

»Nein, das geht nicht. Wenn ich Simon in der Wirtschaft nicht ein klein wenig zur Hand gehe, kommt bald keiner mehr in die Schenke. Er ist ja ein guter Schmied, wisst Ihr, aber sich auch um die Gäste kümmern zu müssen, das überfordert ihn mächtig. Ihr hättet die Küche mal sehen müssen, als ich hier ankam!«

»Dann ist es sicher sehr freundlich von Euch, ihm auszuhelfen! Wir brauchen Euch auch nur, um jeweils eine Mahlzeit für den Tag vorzubereiten. Und das, was er Euch zahlt, geben wir natürlich auch.«

»Zahlt? Was der zahlt? Ein kaltes Kämmerchen darf ich bewohnen. Und nicht mal das gönnt er mir. In sein Bett soll ich kommen. Noch so eine Dienstleistung, die hier fehlt.«

»Nun, überlegt’s Euch. Bei uns habt Ihr auf jeden Fall ein warmes Kämmerchen für Euch allein«, bot ihr Almut lächelnd an.

»Aber nur fromme Frauen drum herum!«, murmelte die Köchin leise. »Besser wir lassen es, wie es ist.«

Elsa, die vor Almut aus dem Gasthaus trat, wiegte missbilligend den Kopf.

»Was für eine kleine Kratzbürste. Hoffentlich versalzt sie uns nicht die Suppe!«

»Dann kann sie wieder gehen, und es gibt weiter Grütze!«

5. Kapitel

Bis auf das ewige Licht, das seinen Schein sanft über den Altar ergoss, war es zu dieser Stunde dunkel in der Klosterkirche von Groß Sankt Martin. Die Mönche hatten ihr Stundengebet zur Vesper gehalten und befanden sich nun im Refektorium oder im Wärmeraum. Die einsame Gestalt, die auf den harten Steinfliesen vor dem Altar kniete, wähnte sich völlig allein. Tief in sein Gebet versunken, bemerkte der Mann den hochgewachsenen Mönch in schwarzem Habit nicht, der sich von hinten leise näherte. Doch mochte der fromme Bruder noch so rücksichtsvoll auftreten, um die innere Einkehr des Betenden nicht zu stören, gab doch der Stoff seiner Kutte ein feines Wispern von sich, und urplötzlich war der Kniende aufgesprungen. Ein spitzes Stilett blitzte im Lichtschein der Kerze auf.

Genauso schnell, wie es gezogen worden war, wurde es ihm aus der Hand geschlagen. Es rutschte mit einem Klirren über den steinernen Boden aus seiner Reichweite.

Fassungslos blickte der Ritter auf seine leere Hand.

»Nun, ich dachte, man habe Euch darauf hingewiesen, dass das Tragen von Waffen im Kloster untersagt ist!«, hörte er eine dunkle Stimme mahnen. Sie klang nicht vorwurfsvoll, sondern leicht belustigt.

»Doch, das hat man getan«, erwiderte der Kämpe. »Aber man unterließ es, mich darauf hinzuweisen, wie überaus kampferfahren die hier lebenden heiligen Männer sind.«

»Oh, nicht alle, mein Freund, nicht alle. Wir leben an einem Ort des Friedens miteinander, wie Ihr sehr wohl wisst. Wovor fürchtet Ihr Euch noch vor dem Altar unserer Kirche, dass Ihr selbst beim Gebet das Messer griffbereit halten müsst? Den Teufel selbst?«

»Den Leibhaftigen nicht, aber möglicherweise seinen menschlichen Bruder.«

Nachdenklich betrachtete der Mönch unter seinen tiefschwarzen Brauen, die sich dämonisch über den Lidern krümmten, den Ritter, der nun in aufrechter Haltung vor ihm stand. Kein Wort fiel zwischen ihnen, bis er schließlich fragte: »Habt Ihr Euer Gebet beendet?«

»Nicht auf die rechte Weise, aber doch – ja. Ich hoffe, Ihr verzeiht mir.«

»Es ist nicht meine Verzeihung, die Ihr erbitten müsst, Herr Gero von Bachem.«

Der Mönch hatte das Stilett aufgehoben und hielt es, an der Spitze der Klinge gefasst, so aufrecht hin, dass es wie ein Kreuz wirkte.

»Wohl wahr, Bruder. Ich werde nicht versäumen, es an rechter Stelle zu tun.«

»Nehmt dieses Messer und lasst es nicht mehr sehen!«

Der Ritter nahm die Waffe leicht befremdet an sich und ließ sie in einer Scheide unter seinem linken Ärmel verschwinden.

»Kommt mit mir ins Gästehaus, wir wollen bei einem Schluck Wein ein wenig reden!«, forderte ihn der Ordensmann dann auf.

Das Gästehaus des Klosters war bemerkenswert leer, die Lage in der Stadt zog nicht gerade Besucherscharen an. Lediglich zwei reisende Scholaren saßen disputierend am Feuer, und die beiden Männer wandten sich dem langen Tisch zu, an dem normalerweise die Mahlzeiten eingenommen wurden. Doch bevor sie sich setzten, nahm der Mönch ein Brett von einem Bord und stellte es mitsamt den zugehörigen Figuren zwischen sich und den Ritter.

»Schwarz oder weiß, Herr Gero?«

Ohne zu zögern nahm der Aufgeforderte die schwarzen Schachfiguren und stellte sie mit kundiger Gewandtheit auf.

Ein dicklicher Novize, jung noch, vielleicht erst dreizehn oder vierzehn Jahre alt, trat zu ihnen und fragte: »Wünscht Ihr und Euer Gast etwas zu trinken, Pater Ivo?«

»Das wünschen wir in der Tat, Lodewig, mein Junge. Hol uns Becher und einen Krug Würzwein, heiß, wenn möglich, denn unser Gast hat lange in der kalten Kirche gebetet.«

Dann herrschte eine geraume Zeit einträchtiges, konzentriertes Schweigen zwischen den Männern, während sich die weißen und schwarzen Heere auf dem Brett zwischen ihnen bekämpften. Schließlich stellte Pater Ivo fest: »Ihr habt Euch hier eingefunden, um eine Buße zu leisten.«

»Die nur mich etwas angeht.«

»Selbstverständlich. Nur Euch und Euren Beichtvater.« Vorsichtig setzte Pater Ivo seinen Springer auf ein Feld und rückte in die Nähe der Dame seines Gegenspielers. »Er ist streng zu Euch gewesen, Herr Gero, und er hat Euch gezwungen, Eure Farben abzulegen. Mich dünkt, auch das ständige Tragen eines Kettenhemdes unter dem Wams müsste mit einer beträchtlichen Unannehmlichkeit verbunden sein. Eine unbequeme Buße, ohne Zweifel.«

Der Ritter schob sacht den Springer mit seinem Turm beiseite und schützte damit seine königlichen Hoheiten.

»So mag es Euch scheinen, doch das ist keine der mir auferlegten Bußen. Ein Kämpfer ist es gewohnt, gewappnet zu sein. Außerdem verhindert es, dass der Körper in Friedenszeiten verweichlicht.«

Ein weißer Bauer schob sich vorsichtig in die Richtung des schwarzen Königs.

»Friedenszeiten sind nun gerade nicht ausgebrochen, es sei denn, Ihr zählt schon einen Waffenstillstand dazu.«

Mit einem kühlen Lächeln durchbrach der Ritter mit seinem Läufer die Deckung der weißen Dame und bemerkte beiläufig: »Leichtgläubig bin ich noch nie gewesen, Pater Ivo. So nannte Euch der Junge eben, und das ist doch Euer Name, nicht wahr?«

»Er tut es hier.«

»Ja, das dachte ich mir.«

Mit einem Bauern schlug Pater Ivo den Turm des anderen und rückte damit in bedrohliche Nähe zum König.

»Seid Ihr und Euer Knappe gut untergebracht, Herr Gero?«

»Ich kann nicht klagen, und mein Knappe, wie Ihr sehr wohl wisst, hat mich nicht begleitet.«

»Nun, solltet Ihr Knappendienste benötigen, etwa um Euren Ringpanzer abzulegen, so gibt es auch hier einige Burschen, die Euch zur Hand gehen können.«

Der Ritter erwiderte nichts auf dieses Angebot, denn die Glocke hatte zur Komplet gerufen, und leise drang der Psalmengesang zu ihnen her. Gedankenversunken setzte er seinen verbliebenen Läufer vor, der, wenn sich die rechte Gelegenheit ergab, durchaus einen vernichtenden Schachzug ermöglichen würde.

»Ich dachte, Ihr müsstet nun Euer Stundengebet einhalten.«

»Der Herr wird heute ohne meinen Lobgesang auskommen müssen.«

»Ihr scheint ein sehr eigenes Verhältnis zu unserem Herrn zu pflegen.«

»Ich rechne auf sein Verständnis und seine allumfassende Gnade!«

»So man Euch übel wollte, Pater, könnte man Eure Rede als ketzerisch deuten!«

Pater Ivo zog seinen Turm vor und gab seinem König eine Blöße.

»Man tat dies schon.«

»Schach!«, stellte der Ritter fest. »Und Ihr fürchtet nicht, dereinst in den Höllenfeuern dafür zu schmoren?«

»Ihr, der Ihr Euch nicht vor dem Leibhaftigen fürchtet, wollt mir mit der Vorstellung einer Hölle Angst bereiten?« Pater Ivo hob seinen Bauern und schob sanft die schwarze Dame fort. »Es ist nicht gut, seine Dame zu opfern.«

Betrübt sah der Ritter seine Königin vom Brett verschwinden, doch dann fasste er sich und schob den wartenden Läufer vor.

»Das mag der Unterschied zwischen einem Priester und einem Krieger sein.«

»Glaubt Ihr?«

»Wenn es um ein höheres Ziel geht, bleibt ein solches Opfer manchmal nicht aus.«

»So Ihr es damit erreicht!« Pater Ivo zog seinen Springer vor und kippte den schwarzen König um. »Matt.« Verdutzt sah ihn Gero von Bachem an.

»Das war ein gerissener Zug. Doch ich gebe zu, diese Partie habe ich nicht ganz unverdient verloren. Ich scheine nicht ganz bei der Sache gewesen zu sein.«

»Nun, ich biete Euch eine Revanche an.«

»Beizeiten, Pater Ivo, beizeiten. Doch für heute habt Ihr mehr als genug von mir erfahren.«

»Und Ihr von mir!«

Mit einem Blick tiefen gegenseitigen Verständnisses schieden die beiden Männer voneinander.

6. Kapitel

Es sieht aus, als hättest du eine wahre Perle gefunden, Almut!«, lobte Magda die Begine, als sie am nächsten Abend den Löffel beiseite legte und sich mit einem kleinen, wohligen Rülpser zurücklehnte. »Frau Franziska versteht etwas vom Kochen. Und Clara hat die Geschichte der keuschen Susanna wirklich schön vorgetragen, wenngleich ich doch den Eindruck habe, die Badeszene mit den beiden lüsternen Männern hast du mit beinahe unziemlicher Eindringlichkeit geschildert!«

Ein unterdrücktes Kichern ging durch die Reihen der wohlgesättigten Beginen, die sich wie üblich zum Vespermahl im Refektorium eingefunden hatten.

Almut sah, wie sehr sich die schmächtige Köchin über die Auszeichnung freute, und half ihr, die Reste vom Tisch zusammenzutragen. Gemeinsam gingen sie mit Schüsseln und Brotkörben beladen über den Hof zu Gertruds Haus, in dessen Erdgeschoss sich die Küche mit dem mächtigen Herdfeuer befand.

»Das war wirklich ein feines Essen, mit dem Ihr uns Euren Einstand gegeben habt.«

»Freut mich, wenn es Euch gemundet hat. Aber ich fürchte, so gut wird es in den nächsten Tagen nicht mehr werden, die Speisekammer ist ziemlich leer.«

»Schreibt mir auf, was Ihr benötigt, wir werden es auf dem Markt besorgen.«

Franziska stieß ein kleines schnaubendes Lachen aus.

»Ihr wart wohl schon seit einigen Tagen nicht mehr einkaufen, Frau Almut. Da ist nicht mehr viel zu besorgen. Und das, was es noch gibt, ist völlig überteuert. Obwohl erst im letzten Monat die Schlachtzeit war, ist Fleisch selten. Jeder füllt die Speisekammern, so gut er kann, und nur Weniges findet überhaupt den Weg zum Markt.«

»Mh. «

»Auch Eure Weinvorräte gehen zur Neige.«

Almut nickte: »Das ist allerdings ärgerlich. Elsa hat mir schon berichtet, unser Weinhändler stünde vor einem leeren Lager, seit die Schiffe aus dem Süden nicht mehr im Hafen anlegen.«

»Ihr könntet Euer eigenes Bier brauen, es sind noch etliche Säcke Gerste da.«

»Das dauert aber einige Wochen, nicht wahr?« »Stimmt. Aber ich habe im Adler einen Kessel angesetzt, ich denke, der Wirt wird Euch einige Krüge liefern, wenn Ihr ihm ein oder zwei Getreidesäcke überlasst.« »Ihr könnt auch Bier brauen?«

Achselzuckend antwortete Franziska und griff nach einer Brotkrume: »Ist nicht so schwer. Und die Gäste trinken mein Bier recht gerne. Ich lasse Euch morgen von Simon etwas davon zum Kosten bringen. Zwei Krüge werden wohl erst einmal reichen.«

»Danke, Frau Franziska. Und nun wollen wir uns an den Abwasch machen.«

Hochnäsig wirbelte die junge Frau herum und stemmte die Hände in die Hüfte.

»Wir? Ich bin zum Kochen eingestellt, nicht zum Spülen!«, stellte sie energisch fest. »Da hätte ich ja auch gleich im Adler bleiben können.«

Almut musste über diesen Ausbruch lächeln und breitete gutmütig die Hände aus.

»Auch recht. Dann könnt Ihr jetzt gehen und Euren Abend genießen!«

»Ihr wisst ganz genau, dass ich das nicht kann. Oder glaubt Ihr, ich gehe alleine durch die stockfinstere Nacht zum Adler zurück? Ich warte, bis Simon mich abholt. Versprochen hat er es jedenfalls.«

»Nun, dann setzt Euch, bis er kommt, ans Feuer und schaut mir zu, wie ich den Abwasch erledige!«

Aber das konnte Franziska nun auch wieder nicht, und nachdem Almut das zweite schwere Schaff Wasser aus dem Brunnen geholt hatte, nahm sie ganz selbstverständlich die Wurzelbürste zur Hand und begann, den Kessel und die Pfannen zu schrubben.

»Ihr habt es recht behaglich hier«, setzte sie in versöhnlichem Ton zu einem Gespräch an, und Almut deutete es richtig als Versuch, ihre schroffe Antwort zuvor zu mildern.

»Ja, doch. Wir haben jeder eine eigene Kammer. Die Meisterin, Rigmundis und Ursula wohnen über dem Refektorium im Haupthaus, die drei Seidenweberinnen unten neben ihrer Werkstatt. Clara und ich teilen uns das Häuschen neben dem Stall, Elsa wohnt über der Apotheke, Bela und Mettel bewohnen das Pförtnerhäuschen. Gertrud, unsere kranke Köchin, hat ihre Kammer hier über uns. Sie hat, glaube ich, im Winter das wärmste Plätzchen, denn in der Küche brennt immer der Kamin.« Almut stellte die gesäuberten Tonschüsseln auf das Bord. »Tagsüber kommen drei Mägde, die für uns waschen und sauber machen und auch sonst alle schweren Arbeiten übernehmen, die so anfallen.«

»Damit ihr Damen Euch nicht die Finger schmutzig machen müsst und Zeit zum Beten und Psalmensingen habt?«

Almut grinste und erwiderte im Gassenjungenton, den sie Pitter, dem Päckelchesträger, abgelauscht hatte, der hin und wieder Botendienste für sie verrichtete: »Klar!«

Misstrauisch beäugte die Köchin sie. »Ihr habt Euch doch dem christlichen Leben geweiht, oder nicht? Ihr habt ja wohl reiche Stifter, die Euch all das ermöglichen.«

»Auch, ja. Das Grundstück und Haupthaus wurden vor siebzig Jahren von einem Verwandten unserer Meisterin gestiftet, die kleinen Häuschen sind nach und nach dazugekommen, teils als Mitgift der Beginen, teils als Stiftung. Aber unser täglich Brot müssen wir schon selbst verdienen.«

»Mit Beten und Psalmensingen?«

»Zum Teil. Wir bekommen Geld oder Lebensmittel dafür, damit wir für manche Familien die Jahrzeiten halten. Ihr wisst, das sind die Gebete am Grab der Verstorbenen zu deren Todestag. Wir helfen gewöhnlich auch bei den Beerdigungen als Totenwache und Klagefrauen. Oh, Ihr hättet unsere Thea kennen lernen müssen. Sie war eine Künstlerin im Heulen und Zähneklappern.«

Franziska gluckste unwillkürlich.

»Andererseits haben wir auch einen beachtlichen Ruf als Handwerkerinnen. Bei den Seidenwebern der Zunft sind wir allerdings nicht so gut gelitten, sie werfen uns vor, die Preise zu verderben. Wir müssen nämlich keine Steuern zahlen. Außerdem haben wir häufig Aufträge, feine Handarbeiten herzustellen. Magda sorgt dafür, dass wir immer beschäftigt sind. Aussteuern, Wäsche für die Haushalte der Kleriker, Altartücher, Gewänder für die Priester...«

»Arbeit für zarte Finger!«

»Daneben sind die Hühner, die Ziegen und das Schwein zu versorgen, der Kräutergarten muss gepflegt werden, Arzneien sind herzustellen, Kranke zu versorgen und Tote aufzubahren. Aber ich gebe Euch Recht, gelehrte Texte übersetzen und kopieren, den Mädchen das Lesen, Schreiben und Rechnen beibringen, das sind Aufgaben, die die Finger nicht rau machen, weshalb Clara auch von den groben Arbeiten befreit ist.«

» Oh.«

»Hingegen ist das Backen, Braten, Kochen, Schroten, Wein keltern, Einwecken...«

»...und Grütze kochen?«

»Ja, sogar viel Grütze.«

»Entschuldigung.«

»Gewährt!«

Franziskas Augen blitzen auf, und Almut hatte das erste Mal das Gefühl, der starre Panzer, mit dem sich die Köchin umgeben hatte, würde ein wenig aufbrechen.

»Und was ist Eure Aufgabe in dieser Gemeinschaft, Frau Almut?«

»So ziemlich alles, was anfällt. Nur die Seide darf ich nicht anfassen.«

»Warum das denn nicht?«

»Wegen meiner Hände. Die Weberinnen haben immer Angst um ihre feinen Stoffe.«

»So ungeschickt scheint Ihr mir doch gar nicht zu sein...«

»Nein, ungeschickt nicht, aber ich baue gerade eine Kapelle, und das, liebe Frau Franziska, ist zarten Fingerchen ein wenig abträglich. Zumal ich die Mauern