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Ein fantastisches Leseabenteuer – nicht nur für Katzenliebhaber!
Katharina Leyden ist eine realistische junge Frau, die gegen alles Übernatürliche eine Abneigung hegt. Als sie eines Abends von einer Katze besucht wird, die zu ihr spricht und ihr von einem geheimnisvollen Buch erzählt, das angeblich eine Vorfahrin Katharinas geschrieben haben soll, zweifelt sie daher zunächst an ihrem Verstand. Doch bald ist ihre Neugier geweckt, und sie beginnt, sich mit dem Leben jener mysteriösen Katharina vom Walde zu beschäftigen …
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Seitenzahl: 547
Andrea Schacht
Der Ring der Jägerin
Roman Neuveröffentlichung
Inhalt
Katharina Leyden ist eine realistische junge Frau, die gegen alles Übernatürliche eine Abneigung hegt. Als sie eines Abends von einer Katze besucht wird, die zu ihr spricht und ihr von einem geheimnisvollen Buch erzählt, das angeblich eine Vorfahrin Katharinas geschrieben haben soll, zweifelt sie daher zunächst an ihrem Verstand. Doch bald ist ihre Neugier geweckt, und sie beginnt, sich mit dem Leben jener mysteriösen Katharina vom Walde zu beschäftigen …
Autorin
Andrea Schacht war lange Jahre als Wirtschaftsingenieurin und Unternehmensberaterin tätig, hat dann jedoch ihren seit Jugendtagen gehegten Traum verwirklicht, Schriftstellerin zu werden. Ihre historischen Romane um die scharfzüngige Kölner Begine Almut Bossart gewannen auf Anhieb die Herzen von Lesern und Buchhändlern. Mit Die elfte Jungfrau kletterte Andrea Schacht erstmals auf die SPIEGEL-Bestsellerliste, die sie seither mit schöner Regelmäßigkeit immer neu erobert. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Katzen in der Nähe von Bonn.
Die Originalausgabe erschien 1998 unter dem Titel »Vor Wundern flieht man nicht« bei Knaur, München.
1. AuflageNeuveröffentlichung Mai 2012 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München.Copyright © by Blanvalet Verlag,in der Verlagsgruppe Random House GmbH, MünchenUmschlagmotiv: © bürosüd°, MünchenHK · Herstellung: samSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-06395-5
www.blanvalet.de
Brichst Du das Siegel,so warne ich Dich:Du siehst in den Spiegel –erkennst Du Dich?
Kapitel 1
Ich brütete über meinen Unterlagen – Bilanzanalyse. Ein trockenes Thema an einem kalten Novemberabend. Aber ich hatte mir nun mal vorgenommen, dieses Abendstudium durchzuhalten, und in einem halben Jahr würde ich es wohl geschafft haben.
Ein Klopfen an der Fensterscheibe schreckte mich kurz auf. Irritiert sah ich hoch. Es klopfte noch einmal. Das konnte eigentlich nicht sein, wer sollte schon im zweiten Stock an die Fensterscheibe klopfen? Also ignorierte ich es. Wahrscheinlich waren es nur die Zweige des Kirschbaums vor dem Haus, die sich im Wind bewegten.
»Zur Beurteilung der Liquidität werden die Deckungsgrade sowie Liquiditätsgrade …«
Es klopfte schon wieder! Verärgert starrte ich in die spiegelnde Scheibe. Draußen war es jetzt, um halb neun, tiefe Nacht. Ich erkannte nur mein eigenes Gesicht im Glas, ein bisschen müde schon um die Augen, die sorgfältig aufgesteckten Haare ein wenig durcheinandergeraten, diese hässliche Nase dominierend über ungehalten zusammengekniffenen Lippen. Katharina, wie ich sie nur zu gut kannte!
Ich wollte mich abwenden, als eben der Vollmond sein kaltes Licht durch die Wolkenfetzen warf. Er zeigte sein weißes Gesicht, und mir war es, als könnte ich eine kleine, helle Gestalt vor dem Fenster erkennen, die koboldartig auf und ab hüpfte. Aber ich hatte bereits seit meinem sechsten Lebensjahr aufgehört, an irgendwelche Geister zu glauben – nachdem ich nämlich entdeckt hatte, dass sich hinter der Maske des Nikolaus mein Onkel Hans-Peter versteckte. Darum ignorierte ich das seltsame Treiben und versuchte, mich wieder auf meine Kennzahlen zu konzentrieren.
»Häufige Verwendung finden darüber hinaus die Kennzahlen Working Capital und die Effektivverschuldung …«
Es wollte nicht so recht klappen heute Abend. Mein Kopf schmerzte schon seit dem frühen Nachmittag, und meine Konzentrationsfähigkeit ließ mehr und mehr zu wünschen übrig. Dumme weibliche Schwächen, sagte ich mir. Aber immer bei Vollmond fühlte ich mich irgendwie angeschlagen.
Diesmal klopfte es an der Balkontür, und ein seltsames Geräusch – fast ein Schrei – begleitete es. Mit einem bösen Wort auf den Lippen knallte ich das Lehrbuch zu und stand auf, um dem Treiben ein Ende zu machen. Wenn die Rollläden unten waren, würden die Geräusche wohl aufhören. Als ich an das Fenster trat und nach draußen schaute, erkannte ich die Ursache der Störung. Auf dem Balkon saß eine weiße Katze und hatte die Pfote erhoben, um an das Glas zu schlagen. Liebe Zeit, wie war die denn hier hochgekommen? Und wie die mich ansah! Noch einmal klopfte sie und maunzte dabei herzerweichend.
Ich habe nicht viel für Tiere übrig, weder für Hunde noch für Aquariumsfische, für Wellensittiche oder gar Katzen. Sie stören mich zwar nicht, aber sie sind mir gleichgültig. Dieses Tier aber gab dermaßen deutlich zu verstehen, dass es hineinwollte, dass ich fast ohne es zu wollen die Tür öffnete. Wie ein Blitz war das weißpelzige Geschöpf in das Wohnzimmer geschlüpft und setzte sich mitten im Raum hin, um sich den Bauch zu lecken.
»Ich brauch keine Katze, also verschwinde wieder!«, fuhr ich sie unwillig an, aber das schien die Katze nicht zu interessieren. Sie hob den Kopf und schaute mich durchdringend an. Ich starrte zurück. Ihre Augen waren schon beeindruckend – strahlend blau und irgendwie abgründig. Minutenlang verharrten wir so, und dann, ich gebe es zu, hielt ich den Blick nicht mehr aus und sah zur Seite. Damit schien das Tier zufriedengestellt, und es legte sich lang ausgestreckt auf den Boden.
»Du kannst nicht hierbleiben, du blödes Vieh. Verschwinde!«
Ich wies nochmals zu der offenen Balkontür, doch das hinterließ überhaupt keinen Eindruck. Im Gegenteil! Die Haltung der Katze signalisierte mir ein ganz besonders eindeutiges »Pfff!«. Da mir allmählich kalt wurde, gab ich nach und schloss die Tür. Außerdem hatte ich Hunger und wollte mir endlich etwas zu Essen machen. Dann würde ich mich wieder um die Katze kümmern.
Dachte ich.
Die Katze war da anderer Meinung.
Kaum hatte ich die Küchentür aufgemacht, schoss sie hinterher und inspizierte den Raum. Die Kühlschranktür hatte es ihr besonders angetan, als ob sie wüsste, dass dahinter Nahrungsmittel lagerten. Ich ignorierte sie, schnitt mir zwei Scheiben Brot ab, legte eine Tomate dazu und holte das Stück geräucherte Putenbrust aus dem Kühlschrank. Während des Essens wollte ich den Artikel lesen, den ich am Morgen begonnen hatte, und blätterte ein paar Augenblicke in der Zeitschrift herum. Als ich die Seite gefunden hatte, griff ich nach dem Sandwich – es bestand noch aus den beiden Brotscheiben und der Tomate. Das Stück Putenfleisch befand sich zur einen Hälfte in und zur anderen Hälfte außerhalb der Katze. Ich war so verblüfft, dass mir die Worte fehlten. Darum konnte ich – vermutlich mit weit aufgerissenen Augen – beobachten, wie das weiße Miststück mit großem Genuss das saftige Fleisch verputzte und sich anschließend zufrieden grinsend die Lippen leckte.
Die Katze grinste wirklich.
»Sag mal, tickst du noch ganz richtig, du dämliches Biest?«, fauchte ich sie an. Aber die Katze erhob sich nur, stellte ihren Schwanz stolz auf, drehte mir den Hintern zu und schlenderte ins Wohnzimmer zurück.
Irgendwie musste ich jetzt doch lachen. War es nicht meine Schuld gewesen, das Tier hereinzulassen – und dann auch noch einen Teller mit einem Leckerbissen hinzustellen und nicht darauf zu achten? Die Katze war ja wohl hungrig gewesen. Und ich hatte noch etwas Käse in Reserve.
Als ich ins Wohnzimmer zurückging, lag mein ungebetener Gast malerisch auf dem dunkelblauen Sessel und fusselte ihn mit weißen Haaren voll. Prima! Ich hasse Hausarbeit.
»Du hast nicht zufällig das Bedürfnis, wieder nach draußen zu gehen?«
»Mirrr!«
Das war der erste Laut, den sie, abgesehen von dem Maunzen vorhin, von sich gab. Er sagte mir nichts. Aber da sie auch nicht mit dem kleinsten Pfotenzucken zu verstehen gab, dass sie sich von dem weichen Polster zu entfernen gedachte, deutete ich es als Ablehnung.
Wie gesagt, mit Tieren hatte ich bisher wenig zu tun. Von Katzen wusste ich nur, dass sie launisch und hinterhältig waren und unaufgefordert hässliche Kratzer austeilten. Also traute ich mich auch nicht, sie anzufassen. Meine Cousine Sabina, die einen Wuscheltiger ihr Eigen nennt, schwärmt mir zwar immer wieder vor, wie zärtlich und verschmust dieser sei, aber darauf wollte ich es bei dem fremden Tier nicht ankommen lassen. Allerdings betrachtete ich es jetzt etwas genauer.
Die Katze sah im Grunde sehr edel aus, was mich vermuten ließ, dass sie von Rasse war. Schmaler Kopf, dichtes, sehr gepflegtes, fleckenlos weißes Fell, zartrosa Nase, leicht gebogen, rosa Pfoten, dünner Schwanz, recht große Ohren, innen auch rosig, fast durchschimmernd, und Augen, die an leuchtende blaue Edelsteine denken ließen. Wenn man es so betrachtete, war sie eine Schönheit. Auffallend in ihrem rechten Ohr war ein dünner goldener Ring, der wie gehämmert wirkte. Er war so klein, dass ich ihn anfangs übersehen hatte. Und er sah fast so aus wie die kleinen Kreolen, die ich auch zu tragen pflegte.
Ich kniete mich vor dem Sessel nieder und betrachtete die Katze genauer. Sie ließ die Prüfung ruhig über sich ergehen und gab ganz leise Laute von sich, so ein Brummeln tief aus der Kehle. Ob das ein gutes Zeichen war? Vorsichtig hob ich die Hand, um ihr über den Nacken zu streichen, immer bereit, sie blitzschnell zurückzuziehen, wenn eine der krallenbewehrten Tatzen nach mir schlagen sollte. Aber nichts dergleichen geschah, nur das Brummeln wurde intensiver, als ich über den seidigen Kopf strich. Dann schloss sie die Augen und schien in einen tiefen Schlaf zu sinken. Auch ich fühlte mich erschöpft und müde und beschloss, Katze Katze sein zu lassen, und ging zu Bett.
Ein Kitzeln weckte mich. Etwas kribbelte mich an der Nase. Es war lästig. Ich strich mir verschlafen und ohne die Augen zu öffnen, meine Haare aus dem Gesicht. Sie sind sehr lang, und wenn ich sie abends nicht zu einem Zopf flechte, stören sie mich furchtbar.
Das Kitzeln hörte nicht auf. Außerdem roch es nicht gut. Nach Mundgeruch. Igitt, das hatte ich das letzte Mal ertragen müssen, wenn mein ehemaliger Mann mich morgens anhauchte. Den Alptraum wollte ich lieber abschütteln, deshalb machte ich also doch die Augen auf. Im fahlen Licht, das durch die Vorhänge fiel, sah ich die weiße Gestalt neben mir sitzen, und mit einem Schlag kam die Erinnerung an die Katze, die ich abends hereingelassen hatte.
»Mauuuuuu«, jaulte sie mir jetzt ins Ohr. Es war fünf Uhr dreißig, und eine Stunde Schlaf hätte ich noch gehabt. Zornig schubste ich sie vom Bett. Sie kam mit einem Protestjammern auf und quakte los. Ich zog mir die Bettdecke über die Ohren und versuchte, das Gelärme zu ignorieren. Nach einer Weile verstummte es auch, und ich dämmerte noch bis zum Piepsen des Weckers weiter.
Als ich dann aufstand, war von dem Tier keine Spur zu sehen. Ich streckte mich, schlug die Decke zurück und ging ins Bad. Verschlafen sah mich Katharina Leyden im Spiegel an. Vollmondnächte! Nach Vollmondnächten habe ich immer Ringe unter den Augen – obwohl ich noch nicht einmal dreißig bin. Mal sehen, was eine heiße Dusche da reparieren konnte. Ich zog mir das lange weiße Nachthemd – mein einziges und ganz geheimes Zugeständnis an die Romantik – über den Kopf und wollte gerade in die Duschwanne steigen, als ich die Bescherung sah.
Hier hatte die Katze einen deutlich sichtbaren und scheußlich stinkenden Haufen hinterlassen. Dieses dreimal verdammte Mistvieh! Angeekelt machte ich also erst mal die Dusche sauber und schimpfte die ganze Zeit über auf das miese Stück.
Nach der Morgentoilette hatte ich mich dann wieder einigermaßen beruhigt. Vielleicht hätte ich die Katze hinauslassen sollen, als sie mich geweckt hatte?
Meine Haare waren dann endlich zu einem Knoten geschlungen, ich hatte mäßig Make-up aufgetragen und ein strenges Blazerkostüm angezogen. Ich vertrete die Meinung, dass eine berufstätige Frau möglichst korrekt gekleidet sein sollte. Das verhindert unliebsame Annäherungen. Einige meiner Kolleginnen kamen ja sogar in Jeans oder in supermodischen Fummelchen ins Büro. Das lag mir nicht. Schließlich bin ich Chefsekretärin bei dem kaufmännischen Geschäftsführer, und bald würde ich auch sogar mehr sein, wenn ich erst mein Diplom in Betriebswirtschaft hätte.
Zum Frühstück gab es wie üblich schwarzen Kaffee und ein Knäckebrot mit Diätmargarine. Mehr war mir nicht möglich, schon weil ich auf meine Figur achtete. Ich hatte eben die Tasse an die Lippen gesetzt, als mir etwas um die Beine strich. Vor Schreck verschüttete ich die heiße Flüssigkeit, die mir durch die weiße Bluse auf den Busen tropfte.
In solchen Situationen kann mein Wortschatz undamenhaft werden. Und meine Stimme sehr laut. Die weiße Katze saß völlig verschreckt unter dem Sofa, als ich, noch immer wütend vor mich hin murmelnd, die Bluse auszog und mit großen Schritten ins Badezimmer ging, um sie möglichst gleich einzuweichen.
Der goldgelbe Pulli sah eigentlich viel zu auffallend zu der dunkelbraunen Kombination aus, aber was blieb mir anderes übrig?
Dann öffnete ich die Balkontür und empfahl dem Tier, sich so schnell wie möglich zu verabschieden. Diesmal gehorchte es.
Kapitel 2
Der Tag verlief mäßig gut. Dr. Mergelstein – böse Zungen nennen ihn Nörgelstein – hatte wieder einmal seine Berichte zu überarbeiten. Dieser Mann hat einfach keine Disziplin. Bis ihm der Text gefällt, arbeitet er ihn Dutzende Mal um. Und der Aufsichtsratsbericht heute hatte nur vierzig Seiten, siebenundzwanzig Gliederungspunkte mit etlichen Untergliederungspunkten, tausend Tabellen, Anlagen und Graphiken. Gelobt sei die Textverarbeitung, aber gegen krause Formulierungen kann ich damit irgendwann auch nichts mehr ausrichten.
Die Rähmchen nicht mit Doppelstrich? Ja, Rähmchen mit Doppelstrich. Und die Euro zentriert? Natürlich, die Euro zentriert. Die Unterüberschrift vielleicht doch besser fett? Selbstverständlich, die Unterüberschrift fett. Und noch mal die Tabelle dreizehn A durchrechnen? Sicher doch – aber wäre die Cashflow-Entwicklung nicht schlüssiger gegenüber der Umsatzentwicklung? Woher ich das wissen wolle? Mann Gottes, ich bin doch nicht gänzlich verblödet, nur weil ich derzeit noch seine Sekretärin bin. Er weiß doch, dass ich kurz vor der Prüfung stehe. Und mich in meiner Diplomarbeit mit genau diesen Fragen beschäftige.
Einigermaßen säuerlich fuhr ich spätabends nach Hause.
Kurz vor neun klopfte die weiße Katze wieder an die Balkontür. Erst wollte ich ja nicht aufmachen, aber dann dachte ich mir, dass es vielleicht doch ganz unterhaltsam sein würde, sie bei mir zu haben, obwohl die Härchen auf dem Sessel nur äußerst schwierig zu entfernen waren. Ich legte eine alte Decke darauf.
Die Dame trat ein, als sei sie hier zu Hause. Der erste Weg führte sie in die Küche, und ein hungriges Jammern wurde laut. Darum machte ich der Katze und mir eine Dose Heringsfilets auf, die wir beide mit gleichem Hunger, aber ohne besonderen Genuss verspeisten. Der kulinarische Gipfel war es nicht. Morgen musste ich unbedingt die Zeit finden, etwas Vernünftiges zu kaufen. Vielleicht ein paar Eier oder so. Für heute musste ein Glas Rotwein als Dreingabe reichen, und der Katze stellte ich, weil ich in Spendierlaune war, ein Tellerchen Dosenmilch hin, was großen Anklang fand.
Dann zog sich das Tier mit lautem Brummeln auf den Sessel zurück, und mir kam so langsam der Verdacht, dass ich mich ab jetzt als Katzenhalterin bezeichnen durfte. Das passte mir natürlich überhaupt nicht. Ich war viel zu beschäftigt, um mich um ein Tier zu kümmern. Wahrscheinlich brauchten die Katzen alle nur denkbaren Sonderbehandlungen, mussten ständig zum Tierarzt, legten am laufenden Meter Junge in die unmöglichsten Ecken, bekamen teures Futter zubereitet und hatten seltsame sanitäre Angewohnheiten. Wie an diesem Morgen zum Beispiel. Außerdem haarten sie und verbreiteten wahrscheinlich Flöhe, Würmer und Bazillen.
Außerdem brauchten Katzen vermutlich einen Namen.
Aber ich wollte ja gar keine Katze. Ich wollte meine Arbeit fertig schreiben und setzte mich wieder an den Schreibtisch, um die letzten Hürden zu überwinden.
Es war ein einsames Geschäft, das Fernstudium. Manchmal wünschte ich mir, mit Gleichgesinnten die Probleme durchsprechen zu können. Ja, es ging sogar so weit, dass ich mich dabei ertappte, wie ich laut Selbstgespräche führte. Aber was soll’s, dachte ich mit einem Schulterzucken. Das hatte ich mir natürlich selbst zuzuschreiben. Wäre ich mit achtzehn nicht so unsäglich dumm gewesen, hätte ich damals ganz normal studieren können. Aber nein, ich hatte ja die große Liebe entdeckt, mich Hals über Kopf in eine Ehe gestürzt, ein bisschen gejobbt und gehofft, dass Charly die große Karriere macht. Nach zwei Jahren zeigte sich, dass das Fußballerdasein stark vom Meniskus und der Achillessehne abhängt und sich der daran hängende Mensch plötzlich einen anderen Gelderwerb suchen muss, wenn diese nicht mehr funktionstüchtig sind. Was er nicht tat und wiederum von meinen paar Kröten abhängig wurde. Wir schieden nach drei Jahren Streit im Bösen.
Ich hatte zwar mein Abitur, aber keinen gelernten Beruf und musste tunlichst schnell eine vernünftige Ausbildung bekommen. Die Sekretärinnenschule fiel mir leicht, und danach ging es mir besser. Nur mit Sport hatte ich seitdem absolut nichts mehr am Hut. Mit Männern auch nicht.
Gegen Mitternacht hatte ich die letzte Seite des letzten Kapitels beendet. Ich streckte mich und bewegte meine verkrampften Schultern. Jetzt das Ganze noch in die vorgegebene Form bringen, Literaturverzeichnis, Graphiken und Anlagen – alles Routinearbeiten, die ich in den nächsten Wochen im Büro machen konnte. Bis zum Jahresende würde die Arbeit fertig sein.
Die Katze hatte ich völlig vergessen. Erst als ich aufstand, um mich zum Schlafen zurückzuziehen, wurde ich durch ein leises »Mirrr« auf sie aufmerksam gemacht. Sie streckte sich ebenfalls, stemmte die Beine in die Polster und machte einen runden Rücken. Dann fixierten mich die blauen Augen wieder – und wieder war ich diejenige, die zuerst wegsah.
Als mich das Kitzeln im Gesicht weckte, ließ ich sie anstandslos hinaus. Dann drehte ich mich mit dem guten Gefühl um, dass es Wochenende war und ich noch weiterschlafen konnte.
Kapitel 3
Der Samstag war den widerwärtigen Hausarbeiten vorbehalten. Und dem Einkauf. Mit den Heerscharen gleichermaßen Wochenendfixierten schob ich meinen Wagen durch den Supermarkt und suchte die wichtigsten Vorräte zusammen. Von Fertiggerichten halte ich nicht viel, aber aufwendig kochen mag ich auch nicht. Also gibt es bei mir häufig Eier in allen Formen, Kurzgebratenes oder Nudeln mit irgendeiner Sauce. Komisch, als ich alles beisammen hatte, stand ich plötzlich vor dem Regal mit Tierfutter. Sollte ich? Das war vermutlich wie Fertiggericht für Menschen. Ich drehte mich kurz um, rammte einer älteren Dame fast den Wagen ins Kreuz und fädelte mich zur Geflügeltheke ein. Etwas Hühnerfilet würde vielleicht goutieren. Wenn nicht der Katze, dann wenigstens mir. Und einen Becher Sahne nahm ich auch mit. Warum eigentlich nicht?
Die Katze ließ sich den Tag über nicht sehen. Was mich wunderte, denn es war ein extremes Schmuddelwetter. Kühl, grau, Nieselregen.
Erst als es dunkel war, ertönte das mir wohlbekannte Klopfen. Ich war inzwischen auch dahintergekommen, wie das Tier auf den Balkon kam. Es kletterte den Kirschbaum hoch!
Diesmal jedoch war etwas anders. Die Katze strich heftig um meine Beine herum und machte dabei natürlich meine hellen Hosen nass. Aber dann blieb sie vor mir sitzen und legte einen winzigen, glitzernden Gegenstand zu meinen Füßen ab. Aufmunternd maunzte sie dann. Ich bückte mich und nahm verwundert einen kleinen goldenen Ohrring auf. Das war ja lustig. Seit wann apportieren Katzen denn? Und hoffentlich war der nicht zu wertvoll, denn wem sie ihn geklaut hatte, würde ich wohl nur durch Zufall herausfinden.
Die Katze stupste mich am Knie. Und miaute in den höchsten Tönen.
»Hast du Hunger, Kleine? Ich hab heute sogar etwas Hühnerfilet für dich.«
Das Stupsen ging weiter, dann lief sie ein paar Schritte voraus, aber seltsamerweise nicht in die Küche, sondern in mein Schlafzimmer. Ich folgte ihr verdutzt und fand sie vor meinem Spiegel sitzen und sich heftig das rosige Ohr kratzen, in dem ihr Ohrring baumelte.
Es durchzuckte mich wie ein Lichtstrahl die Erkenntnis.
»Ich soll den Ohrring anziehen? Na gut, es ist schon Verrückteres passiert.«
Mit ein bisschen Mühe öffnete ich den Verschluss des kleinen Perlensteckers, den ich normalerweise trug, und befestigte stattdessen den Goldring im Ohrläppchen. Sah hübsch aus, aber nicht ungewöhnlich. Ähnliches hatte ich auch in meiner bescheidenen Schmucksammlung. Irgendwie schäme ich mich ja fast zuzugeben, dass ich ein Faible für Ohrringe habe, je größer desto lieber. Aber ich halte mich zurück damit. Sie passen nicht zu meiner grässlichen Nase. Und auch nicht zu meinem Kleidungsstil. Ich finde eben, streng steht mir am besten. Da sieht diese zu große, leicht gebogene Nase dann so aus, als ob sie zu den kühlen grauen Augen gehört. Und den Vergleich mit der Streisand finde ich an den Haaren herbeigezogen.
»Nicht schlecht, Katharina.«
»Was war das?«
Verdutzt sah ich mich nach der Sprecherin um. Wer konnte denn unbemerkt in die Wohnung kommen?
»Setz dich aufs Bett, damit du nicht vor Schreck umfällst.«
Das tat ich auch ganz unwillkürlich. Die Katze hüpfte neben mich und sah mich wieder so abgründig an.
»Mit dem Ohrring kannst du mich verstehen. Fall jetzt BITTE nicht in Ohnmacht.«
Nein, in Ohnmacht würde ich nicht fallen, obwohl alles in mir sich sträubte, zu glauben, was ich da hörte. Ob ich Halluzinationen hatte?
»Akzeptiere es einfach.«
»Spinn ich denn?«, fragte ich mich laut, nachdem mein Atem wieder normal ging.
»Oft genug, jetzt nicht. Ich spreche mit dir, Katharina. Erinnerst du dich an deine Urgroßmutter Elfriede?«
Ich erinnerte mich kaum, aber ganz vage war mir in Erinnerung, dass sie im hohen Alter wunderlich geworden war. Sie war gestorben, als ich dreizehn war, und in der Familie wurde gemunkelt, sie habe sich gegen Ende ihres Lebens mehr mit Tieren als mit Menschen unterhalten.
»Du meinst, sie verstand auch Tiere?«
Ich fragte doch wirklich diese verrückte Katze. Ja war ich denn völlig abgetreten?
»Sie verstand sie – auf ihre Weise. Jetzt akzeptiere doch endlich mal, dass ich mit dir rede. Der Ring hilft dir dabei. Wenn du ihn herausnimmst, verstehst du mich nicht mehr. Aber ich habe ihn dir extra gebracht, damit wir miteinander sprechen können, Katharina.«
Wieder sah sie mich eindringlich an, und meine Hand, die zum Ohr fassen wollte, blieb wie erstarrt in der Luft hängen. Ich schaffte es beim besten Willen nicht, sie weiter nach oben zu bewegen. Aufseufzend gab ich nach und ließ sie sinken.
»Nun gut, Katze. Vielleicht bin ich nur überarbeitet, und es sind die Nerven. Ja, es müssen die Nerven sein. Die Anstrengung, meine Diplomarbeit fertigzumachen, hat mich erschöpft. Am besten, ich spinne einfach weiter.«
»Gute Idee. Du darfst mich Minerva nennen.«
»Danke. Aber das ist mir zu hochgestochen für eine Katze. Für mich bist du Minni.«
»Auch recht.«
Dieses Tier konnte man noch nicht einmal ärgern.
»Könntest du uns jetzt wohl etwas zu speisen richten? Ich verspüre einen kleinen Appetit.«
»Nein, meine Liebe, das könnte ich nicht, ich muss erst noch die Wäsche machen.«
Je alltäglicher die Beschäftigung, desto eher würde sich dieser Spinnkram legen, dachte ich mir.
»Katharina, ich würde es dennoch vorziehen, wenn du uns zuerst eine kleine Mahlzeit kredenzen würdest. Hühnerfilet, leicht in Butter gedünstet, ein Schälchen Sahne mit lauwarmem Wasser gemischt, ja?«
»Minni, ich habe Haushaltsarbeiten zu erledigen, die haben Vorrang vor deinem kleinen Appetit.«
»Du gehst jetzt in die Küche und machst mir einen Happen, du blöde Kuh. Ich habe einen tierischen Hunger!«
»Bitte?«
Ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Diese akustischen Halluzinationen sprengten den Rahmen des Erträglichen.
»Gehst du jetzt, du geistig unterbelichtetes Weidetier?«
Kopfschüttelnd erhob ich mich und folgte dem zarten Wink meiner Katze. Meiner Katze? Offensichtlich war ich eher ihr Mensch. Sie folgte mir und sah kritisch zu, wie ich das Geflügelfleisch in Würfel schnitt.
»Nicht so groß, ich will sie auf einen Happen haben.«
Also kleiner. Ich holte gewohnheitsmäßig die Diätmargarine aus dem Kühlschrank und spürte fünf Krallen im Bein.
»Butter, du däml …«
»Verkneif’s dir, Minni!«, fauchte ich sie an. Und nahm natürlich die Butter. »Leicht gesalzen, Madame?«, fragte ich mit spöttischem Unterton.
»Kann nicht schaden. Ein Hauch Rosmarin, wenn zur Verfügung.«
»Rosmarin?«
»Schon gut, man kann darüber streiten, bei Geflügel.«
Maria hilf, eine Feinschmeckerkatze.
»Und pass auf, dass es nicht zu trocken wird. Ich mag es rosa.«
Ich richtete einen Teller her, stellte die Sahne wie angeordnet zurecht und beobachtete dann, wie Minni mit zierlichen Bissen das warme Tellergericht verputzte. Akustische Halluzinationen schmatzen nicht.
»Nicht ganz so delikat, wie ich es gewöhnt bin, aber es ging.«
»Na, Gott sei Dank. Was wäre nur passiert, wenn es dir nicht geschmeckt hätte?«
»Ach, dann hätte ich mir hier irgendwo die Krallen wetzen müssen, um auf Jagd gehen zu können.«
Visionen von zerfetzten Möbeln tauchten kurz vor meinem Auge auf, und es schauderte mich.
»Jetzt kannst du deine Wäsche machen, ich mache inzwischen auch meine Wäsche. Später unterhalten wir uns.«
Mit diesen Worten stolzierte Minerva ins Wohnzimmer. Ich blieb kopfschüttelnd in der Küche stehen. Dann raffte ich mich auf und machte mir ebenfalls mein Stück Huhn in der Pfanne. Kurzgebraten, saftig. Anders als sonst, da hatte ich es immer durchgebraten. Ein kluges Tier, diese Minni.
Danach war die Wäsche dran, und als ich endlich ins Wohnzimmer zurückging, lag Minni tief und fest schlafend auf dem Sessel. Ich war froh darüber. Dann würde wenigstens die Stimme schweigen.
Im Fernsehen lief der übliche Samstagabend-Schwachsinn, und ich döste ebenfalls bald vor dem Geflimmer ein. Der Stress und die Anstrengungen der letzten Wochen verlangten ihren Tribut. Darum beschloss ich, als ich zu den Spätnachrichten die Augen aufschlug, direkt ins Bett zu gehen. So lautlos wie möglich, um ja das schlafende Tier nicht zu wecken, schlich ich an dem Sessel vorbei. Und dennoch war mir, als folge mir ein aufmerksamer, blauer Blick. Aber es kam kein Kommentar, worüber ich froh war. Wahrscheinlich ginge es mir morgen besser.
Kapitel 4
»Könntest du mich bitte mal hinauslassen, ich habe ein starkes körperliches Bedürfnis!«
Ein Kitzeln in meinem Gesicht begleitete diese Worte. Oh nein, es ging mir noch nicht besser. Aber schlaftrunken wankte ich zur Balkontür und öffnete sie.
»Danke. Ich komme in drei Stunden zurück. Bitte öffne mir dann unaufgefordert.«
Es war halb sechs. Gehorsam stellte ich den Wecker auf halb neun. Man muss eben seinen Wahnsinn ausleben. Traumlos versank ich in die Wogen eines abgrundtiefen Schlafes, aus dem mich mit Mühe das Pfeifen des Weckers riss. »Tür aufmachen«, war das Erste, woran ich dachte. Und auch tat. Zufrieden eine Maus vor sich hertragend balancierte Minni auf der Balkonbrüstung.
»M’ Früftück«, erklärte sie vollmundig.
Dazu gab es nicht viel zu bemerken. Dann überkam mich seit Tagen das erste Mal wieder ein ausgesprochen leichtes Gefühl. Sozusagen eine wunderliche Heiterkeit. So muss das sein, wenn einem etwas völlig Unabänderliches passiert, man einfach nicht mehr gegen seinen kranken Geist ankämpfen muss und hemmungslos irre sein darf. Ich fing erst leise an zu kichern, dann warf ich mich schließlich schallend lachend auf das Sofa und beobachtete, wie Minni säuberlich die Maus zerlegte. Gut, dann habe ich eben eine sprechende Katze. Hat schließlich nicht jeder.
Ich widmete mich meiner Morgentoilette. Die Waage zeigte zufriedenstellende einundfünfzig Kilo, was bei einer Größe von ein Meter siebzig gerade recht ist.
»Du bist zu mager, Katharina. Spillerig, keine vernünftigen Muskeln, kein Pölsterchen für schlechte Zeiten. Das musst du ändern, hörst du?«
»Hat dich jemand um einen Kommentar gebeten?«
»Nein, aber ich pflege zu reden, wann es mir gefällt.«
Minni hatte sich auf die Waschbeckenumrandung gesetzt und schnupperte an den beiden Parfümflakons.
»Steht dir nicht, dieses künstliche Zeugs. Lavendel wär besser.«
Ich sah die Katze mit der kraus gezogenen Nase mit resigniertem Lächeln an.
»Wie schön, dass du unaufgefordert deine Meinung sagen kannst. Und noch schöner ist, dass ich einfach nicht drauf achten muss.«
»Solltest du aber. Dann wärst du nämlich ein bisschen zufriedener mit dir selbst.«
»Wer sagt dir, dass ich unzufrieden bin?«
»Ich.«
»Raus jetzt, ich will mich fertigmachen«, forderte ich sie ungeduldig auf.
»Ach, mich stört das nicht …«
»Aber mich!«
»Eijeijeijeijei, was für ein eigensinniges Weib!«
Minni sprang vom Becken und schnürte hinaus. Ob sie recht hatte mit dem Parfüm? Katzen haben ja eine sehr empfindliche Nase. Und, ehrlich gesagt, mir gefielen die beiden blumig-aromatischen Düfte auch nicht mehr so besonders. Ich hatte sie gekauft, weil mir das zugehörige Image gefallen hatte. Aber weder das eine noch das andere faszinierte mich so nachhaltig, dass ich meine gesamte Garderobe damit tränken wollte. Also heute gar nichts, nur Wasser und eine CD. Harfenmusik, was Minni zu gefallen schien. Sie leckte sich mit langsamen, anmutigen Bewegungen die Wirbelsäule dazu.
Draußen war weiterhin Schmuddelwetter, etwas feuchtkalter Nebel, Temperaturen um den Gefrierpunkt, kaum Wind. Eigentlich sollte ich heute die letzte Aufgabe in Statistik lösen, aber als ich meinen überquellenden Schreibtisch musterte, verging mir jede Lust. Ich konnte natürlich auch mal aufräumen. Aber dazu hatte ich auch keine Lust.
»Minni, ich bin frustriert!«
»Weiß ich.«
Schon wieder hatte ich verdrängt, dass meine Mitbewohnerin ja sprechen konnte, und sah sie nur groß an.
»Guck nicht so geistlos in die Gegend. Setz dich hin, wir haben etwas zu besprechen. Heute ist der richtige Tag dazu.«
Na gut, alles besser als Statistik oder bügeln. Ich setzte mich zu ihr auf das Sofa.
»Na, dann los.«
»Du brauchst jetzt mal deine Phantasie, Katharina.«
»Ich fürchte, davon habe ich nicht viel. Ich ziehe es vor, realistisch zu denken.«
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher.«
»So richtig schön Faktenwissen? Ganz streng logisch alles? Sauber nach Formel und Gesetz? Was geschrieben steht, glaubst du alles?«
»Du willst mich verspotten, Minni. Natürlich bin ich auch kreativ. Aber das schließt doch Realismus nicht aus.«
»Nein, aber Phantasie auch nicht. Gut, du bekommst ein paar Fakten von mir. Also, ich komme zu dir von einem Ort, der sich Trefélin nennt. Er umfasst ungefähr eine halbe Million Quadratkilometer, ist in seiner Nordsüd-Ausdehnung circa tausend Kilometer lang, der breiteste Teil liegt bei fünfhundert Kilometern. Der Norden und der Westen sind vom Meer begrenzt, Süden und Osten schließen an die Steppen der Anderländer an. Die höchste Erhebung ist der Mondberg mit knapp dreitausend Metern. Es herrscht mildes Kontinentalklima mit mitteleuropäischer, im Süden mediterraner bis tropischer Vegetation. Hauptsitz der Königin ist der Sternberg. Sie regiert zusammen mit dem Weisen über die verschiedenen Clans, die wiederum ihre eigenen Reviere verwalten.«
»Wovon leben die Leute?«
Die Beschreibung war dürftig und klang irgendwie kätzisch, aber sie hatte mich neugierig gemacht.
»Von der Jagd.«
»Primitive Kulturen? Höhlenbewohner?«
»Höhlen werden bewohnt und Laubendörfer. Aber primitiv würde ich die Kultur nicht nennen«, antwortete Minni mit einem feinen Lächeln um ihre blauen Augen. »Eher extrem hochstehend.«
»Und wo, bitte, liegt dieses hübsche Ländchen?«
»Auf der anderen Seite.«
»Von was?«
»Von dir.«
»Sag mal, willst du mich auf den Arm nehmen?«
»Nein, Faktenwissen war angesagt, meine Gute. Phantasie hast du ja nicht.«
»Minerva, du nervst.«
Ich wollte die Diskussion abbrechen und die Sonntagszeitung aufschlagen, aber eine Tatze mit scharfen Krallen hieb in das dünne Papier und zerriss den Leitartikel.
»Es gibt ein Problem in Trefélin.«
Gespielt missmutig drehte ich mich zu der weißen Katze um. Zu meiner Überraschung sah sie mich mit einem Blick an, in dem beinahe so etwas wie ein Flehen zu erkennen war. Ich gab nach.
»Erzähl mir davon.«
»Mein Volk lebt seit Jahrtausenden in Frieden und Wohlstand. Doch dann, im letzten Jahr, wurde durch einen ungeheuren Zufall eine böse Macht geweckt. Es gelang uns aber, sie zu entdecken und unschädlich zu machen, bevor größerer Schaden angerichtet werden konnte. Haremhab und seinem Freund gelang es, die weiße Ratte zu erschlagen. Doch weitere Ratten, zwar führerlos aber weiter gefährlich, mussten noch ausgerottet werden. Bei diesem Feldzug wurde die Königin verletzt. Seitdem ist sie krank.«
Ich muss wohl reichlich verwirrt ausgesehen haben. Ratten? Ich fragte also: »Du wirst mich für dumm halten, aber seid ihr ein Volk von Katzen?«
»Klar, was sonst?«
»Und was soll ich da jetzt machen?«
»Uns helfen, die Königin zu heilen.«
»Bring sie her, ich fahre mit ihr zum Tierarzt.«
Man will ja nicht ungefällig sein.
»Sie ist zu krank dafür. Der Übergang würde sie umbringen. Außerdem kann ihr ein Tierarzt nicht helfen.«
»Dann kann ich es erst recht nicht. Aber du bist so klug, Minerva, das hättest du selbst wissen können.«
Ich wollte die Zeitung vom Fußboden aufheben, aber da setzte sich diese penetrante Katze mit einem Satz drauf.
»Doch, du kannst ihr helfen.«
»Bedaure, nein. Und jetzt geh von der Zeitung runter. Ich will lesen.«
»Und ich will, dass du mir zuhörst.«
»Ich hab aber keine Lust mehr dazu.«
Ich schubste sie sanft in die Seite, aber sie schlug nur die Krallen in das Papier, was der Lesbarkeit nicht eben entgegenkam.
»Geh da runter!«, herrschte ich sie an.
»Erst wenn du mir zugehört hast.«
»Es interessiert mich nicht, was deine komische Königin hat.«
Ich stand auf, hob die zappelnde Minerva am Bauch hoch und trug sie zu ihrer Decke.
»Lass mich runter, du blöde Kuh!«
»Ach, sei ruhig. Minerva kommt wohl wirklich von nerven!«
Minni blieb bis auf weiteres still, und ich glättete die arg zerzauste Zeitung. Eine halbe Stunde lang war es sehr ruhig im Raum, nur Regentropfen schlugen leicht an die Scheiben, und die kahlen Kirschbaumzweige kratzten leise an der Mauer.
Oder?
Minni war nicht auf ihrer Decke, und das Kratzen und Zerren kam nicht von draußen, es kam – von der Gardine. Minni hing ganz oben in den Stores, hatte an allen Pfoten die Krallen ausgefahren und ließ sich so langsam hinabgleiten.
»Minni!«, brüllte ich entsetzt, als ich die losen Fetzen der Gardine sah.
»Nun, ich wollte dich nicht weiter mit meinen Erzählungen belästigen, aber irgendetwas Anregendes braucht eine Katze am Sonntagmorgen doch, nicht wahr? Auch wenn die Lappen hier ziemlich staubig sind.«
»Minni!«
Sie rutschte noch ein Stück tiefer. Der Stoff schrie im Todeskampf.
»Dabei fand ich unsere Unterhaltung anfangs recht konstruktiv!«, warf sie mir über die Schulter zu.
»Minni!!!«
Sie ließ sich an einer Vorderpfote hinabgleiten. Und das hieß neue Gardinen.
»MINNI!«
»Aber vielleicht möchtest du, bevor ich die andere Fensterseite behandele, doch weiter mit mir plaudern? Dein Tonfall ist sehr vielversprechend.«
Ich gab nach. Meine Güte, was können Katzen gemein sein.
»Schön, reden wir miteinander.« Ich setzte mich, innerlich noch immer kochend, wieder auf meinen Platz und wartete, bis Minerva sich den Staub aus dem Fell gebürstet hatte. Sie war dabei sehr sorgfältig, und ich musterte mit einem einigermaßen schlechten Gewissen die Vorhänge. Hätte ich sie häufiger waschen sollen? Obwohl, vielleicht wären neue, einfarbige nicht schlecht. Dieses geometrische Muster passte zwar zum Teppich, aber freundlicher würden hellere Farben wirken.
»So, jetzt geht es einigermaßen. Bist du bereit, Katharina?«
»Ich lausche.«
»Wie gut kennst du dich in deiner Familiengeschichte aus?«
»Was hat das denn mit dem Thema zu tun?«
»Ziemlich viel. Also antworte mir.«
»Nun ja, ich kann mich an meine Urgroßmutter erinnern, darüber haben wir gestern ja schon gesprochen. Meine Großmutter mütterlicherseits lebt noch. Sie müsste jetzt eben über siebzig sein. Mein Großvater hat schon vor Jahren das Zeitliche gesegnet, was vermutlich kein großer Verlust für die Menschheit war, wenn ich Mandy glauben kann. Die Eltern meines Vaters sind schon vor meiner Geburt gestorben.«
»Die brauchen wir nicht. Nur die mütterliche Linie.«
»Tja, das hat mich nie sonderlich interessiert. Was spielt das für eine Rolle für Trefélin?«
»Eine nicht unwesentliche. Ich muss wissen, ob du die richtige Person bist. Ich suche einen Nachkommen der Katharina vom Walde. Gewisse Indizien sprechen dafür, dass du es sein könntest. Aber ich hätte gerne Gewissheit.«
»Was hat die andere Katharina mit der Königin zu tun?«
»Sie hätte gewusst, wie man ihr helfen kann.«
»Wann hat sie denn gelebt? Vielleicht finden wir etwas über sie in irgendwelchen alten Aufzeichnungen vom Standesamt oder so? Ich könnte da mal anrufen.«
»Sie ist 1753 gestorben.«
»Oh. Das ist zweihundert Jahre her. Das wird schwierig.«
»Deswegen dachte ich ja, du könntest dich an deine Familie erinnern. Aber ihr Menschen tut euch damit manchmal schwer.«
»Eigentlich nicht. Ich meine, ich könnte mal mit Mandy sprechen, wenn ich sie erreiche. Vielleicht hat die noch Erinnerungen an unsere Vorfahren.«
»Wer ist Mandy?«
»Meine Oma, aber Gnade Gott, ich nenne sie so!«
Ich musste kichern, bei dem Gedanken, Mandy zärtlich Oma zu nennen. Als ich sie das letzte Mal sah, trug sie ihre aschblonden Haare mit den silbernen Strähnchen in duftigen Locken um den Kopf frisiert, war braungebrannt, perfekt geschminkt und auf dem Weg zum Tennisplatz der Ferienanlage. In der Bar abends hatte ich sie dann gegen zwei Uhr aus den Augen verloren. Mandy verbringt die kalte Jahreszeit an warmen Stränden und die warme Jahreszeit an noch wärmeren. Manchmal bleibt sie für ein-, zwei Monate auch in ihrer Penthousewohnung.
»Kannst du Kontakt mit deiner Ahnin aufnehmen?«
Minni sah mich freundlich aufmunternd an und ich sie verblüfft. Ahnin war gut. Ahnin war richtig gut. Das war zu gut, um es Mandy vorzuenthalten. Ich wollte spontan zum Hörer greifen, dann verharrte ich kurz und mahnte mich, erst nachzudenken, dann zu handeln.
»Was soll ich meiner – äh – Ahnin denn als Begründung angeben?«
»Na, was ich dich gefragt habe. Ob eure Familie auf Katharina vom Walde zurückzuverfolgen ist.«
»Und warum will ich das wissen? Ich glaube kaum, dass mir Mandy deine Geschichte mit der kranken Katzenkönigin abnimmt.«
»Ach, lass dir was einfallen.«
Minni machte es sich leicht, sie putzte jetzt hingebungsvoll ihren ohnehin makellosen Schwanz.
Ich überlegte. Lügen und Ausreden waren nicht mein Stil, wohl auch eine Sache der mangelnden Phantasie. Also so nahe wie möglich an der Wahrheit bleiben. Eine Bekannte will wissen – am besten für einen Artikel über … über …
»Worüber wusste Katharina vom Walde denn so besonders gut Bescheid, Minni?«
»Kräuter, Heilverfahren, die Sterne …«
Einen Artikel über Naturheilverfahren. Gut. Jetzt musste Mandy nur noch zu Hause sein. Ich wählte ihre Nummer, und Wunder über Wunder, meldete sie sich selbst.
»Hallo, Mandy, erinnerst du dich noch dunkel an mich?«
»Hältst du mich schon für senil, Kathy?«
»Aber nein doch, wie könnte ich? Aber bei deinem aufreibenden Leben wäre es ja möglich, dass du schon mal einen Teil deiner umfangreichen Familie aus den Augen verlierst.«
Mandy kicherte. Ihre Stimme war die einer viel jüngeren Frau, das Alter hatte ihr lediglich einen Hauch Tiefe gegeben, der sie rauchiger, irgendwie sexy klingen ließ.
»Ich fliege heute Abend nach Fuerteventura. Hast du Lust, auf einen Kaffee vorbeizukommen und tschüss zu sagen?«
»Um dich anschließend mit Sack und Pack zum Flughafen zu fahren?«
»Das wäre natürlich überaus praktisch.«
»Dachte ich mir. Gut, ich komme in einer Stunde vorbei. Ich brauche ein paar Auskünfte von dir.«
»Worüber?« Leises Misstrauen schwang in der Frage mit.
»Über unsere Familie, die Toten, nicht die Lebenden.«
»Mit denen habe ich nichts zu tun!«
»Doch, Mandy, bitte. Eine Bekannte von mir schreibt einen Artikel über Naturheilverfahren und ist auf eine Katharina vom Walde gestoßen, die unsere Vorfahrin sein soll. Sie hat mich gebeten, meine Ahnin nach ihr zu fragen.«
»Wen?«
»Meine Ahnin, Ahnin!«
Ich hatte es geschafft. Erstmalig in meinem Leben war es mir gelungen, Mandy mundtot zu machen. Ein Ereignis!
»Wie gesagt, ich komme dann in einer Stunde etwa. Bis dann.«
Ganz sanft legte ich den Hörer auf.
Kapitel 5
»Eijeijeijeijei, du siehst richtig gut aus, wenn du so grinst, Kathy. Ich würde gern mitkommen.«
»Kommt nicht in die Tüte.«
»Nein, ich laufe auch lieber frei herum.«
»Das habe ich nicht gemeint, Minerva. Ich wollte damit nur sagen, dass du hierbleibst. Ich fahre alleine.«
»Ich komme mit.«
»Definitiv nicht.«
»Muss ich erst wieder überzeugend werden?«
Minni zeigte mir die rechte Pfote mit den ausgestreckten Krallen und hatte ein Funkeln in den Augen, das von Destruktion sprach. Dieses Tier konnte seinen Willen überdeutlich klarmachen.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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