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Die Geschichte der Täuferbewegung fasziniert. In den Wirren der Reformationszeit lebten ihre Anhänger zwischen den Fronten und entwickelten eigene Ideen. Es ging ihnen nicht nur um eine Erneuerung des Glaubens. Sie wollten auch Wege finden, in einer von Macht und Bevormundung geprägten Gesellschaft christliches Leben praktisch zu gestalten. Glaubens und Gewissensfreiheit, Trennung von Kirche und Staat, Gewaltfreiheit - das sind für uns heute keine Tabu-Themen. Derartige Anliegen brachten den Täufern aber schwerste Verfolgung ein. Sehr viele bezahlten dies mit ihrem Leben. Dies traurige Schicksal traf auch die Halberstädter Täufer. Dabei verdanken wir gerade ihrer Bewegung viele Anstöße zu Entwicklungen von denen wir heute ganz selbstverständlich profitieren. Speziell über die Täufer von Halberstadt ist bisher zu wenig bekannt. Ihr Schicksal ist aber typisch für die damalige Zeit der kirchlichen Machtspiele. Für den interessierten Leser bietet sich ein Einblick in die Stadt- und Zeitgeschichte vor 500 Jahren.
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Seitenzahl: 103
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Vorwort
1.
Die Hinrichtung an der Bodebrücke bei Gröningen
2.
Hintergründe
2.1 Unruhige Zeigten – reformatorische Strömungen
2.2 Beginn der Täuferbewegungen
3.
Die Täufer nach den Bauernkriegen
3.1 Die Entwicklung in Mitteldeutschland
3.1.1 Alexander
3.1.2 Neue „Sendboten“
3.1.3 Georg Knoblauch
4.
Zufluchtsort Halberstadt
4.1 Halberstadt als Sammelpunkt
4.2 Gottesdienste und Gemeinschaft
4.3 Taufe
4.4 Abendmahl
4.5 Ehe und Familie
5.
Sommer und Herbst 1535
5.1 Geburt, Kündigung und Umzug
5.2 Verhaftungen und Verhöre
5.2.1 Eine Verhaftung mit Kettenreaktion
5.2.2 Erste Folgen
5.2.3 Weitere Verhaftungen und Verhöre
5.2.4 Reaktion des Kardinals
5.2.5 Verhöre im Ratsgefängnis
5.2.6 Letzte Verhaftung
5.3 Das Urteil und seine Folgen
6.
Was wurde aus den übrigen Täufern aus Halberstadt?
6.1 Zu den einzelnen Schicksalen
7.
Luther, Melanchton und die Täufer
Nachwort
Anhang
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Namensregister
In den letzten Jahrzehnten ist das Interesse an der Täuferbewegung des 16. Jahrhunderts deutlich gestiegen. Das mag daran liegen, dass die Deutungshoheit zu Geschehnissen der Kirchengeschichte nicht mehr den „großen“ Kirchen überlassen wird.1 So entstanden neue Blickrichtungen und Einschätzungen. Das kann man schon allein an manchen Begriffen erkennen. Als Beispiel finden wir gegenwärtig den Begriff „Wiedertäufer“ nur noch in Zitaten älterer Literatur, während heute mit großer Selbstverständlichkeit von den „Täufern“ gesprochen und geschrieben wird.2 Dazu rückt die bisher wenig beachtete Wirkgeschichte des Täufertums bis in die Gegenwart stärker in den allgemeinen Wahrnehmungshorizont. Allein das Vorhandensein einer weitverbreiteten und durchaus lebendigen Freikirchenkultur – quasi als alternatives Kirchenmodell zu den historischen „Groß“-Kirchen – lässt sich als Folge der Täuferbewegung einordnen. Weder von Luther noch von Zwingli war der Ausbruch aus der Vorstellung eines „Corpus Christianums“ – also einer Einheit von Kirche und weltlicher Macht – angestrebt. Die Täuferbewegung hat historisch gesehen genau hier angesetzt: Weltliche Macht hat nicht über den Glauben der Menschen zu befinden. Das galt damals als Aufruhr, heute als Selbstverständlichkeit und hat bei uns Verfassungsrang im Sinne von Glaubens- und Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes.
Literatur zur europaweiten Täuferbewegung gibt es heute erfreulicherweise sehr umfangreich und in hoher wissenschaftlicher Qualität. Dazu gehören auch Veröffentlichungen um Geschehnisse am Rande der stets behandelten Regionen und Personen. Durch eine Gedenkveranstaltung im Frühjahr 2023 für hingerichtete Täufer in Halberstadt bin ich aufmerksam geworden auf das dortige Geschehen um die Jahre 1534 bis 1536. Was sich damals abspielte, ist zwar eine dieser Randerscheinungen im Ganzen der reformatorischen Wirren. Mir scheint es aber wert, diese Ereignisse einmal für sich genommen zu betrachten. Für die damaligen Verhältnisse wird der Umgang mit Abweichlern in erschreckender Weise als „normal“ erkennbar. Es fällt schwer, sich dies emotional und aus heutiger Logik zuzumuten. Dass die Reaktion der römischen Kirche gegenüber Täufern nicht von Wohlwollen geleitet war, ist aus deren Vorstellungswelt heraus nachvollziehbar. Dass aber auch Luther wie Zwingli für sich selbst die Freiheit des Glaubens einklagten und in Anspruch nahmen, ohne sie anderen zuzugestehen, zeigt ein hohes Maß an Ignoranz und Inkonsequenz. Gerade auch von ihrer Seite wurde die Verfolgung der Täufer mit großer Härte betrieben.
Bei dem Leben und Glauben der Täufer von Halberstadt handelt es sich um ein Geschehen in reformatorisch unruhigen Zeiten. Kirchenpolitisch waren die Jahre 1534 bis 1536 in der Stadt zu der Zeit noch von katholischer Seite geprägt. Allerdings sickerte reformatorisches Gedankengut schon langsam ein und zwar bemerkenswerterweise zuerst in Teilen der Geistlichkeit.
Ich widme mich dem Thema nicht zuallererst mit eigener Forschungsleistung, sondern trage hier zusammen, was schon von anderen vor allem zu den Täufern in Thüringen und Umgebung erarbeitet wurde. Die vielen Quellenangaben in den Fußnoten, dienen nicht nur als Belege für meine Darstellung, sondern können Interessierten Wegweiser sein für eigene Nachforschungen. Die Besonderheit in vorliegender Arbeit liegt in meiner Fokussierung auf die Geschehnisse in und um Halberstadt und ihre Einbettung in die damaligen Wirren. Zusammenfasende Arbeiten zu diesen Vorkommnissen liegen bisher nicht vor. Das will ich hiermit nachholen. Die damals beteiligten Personen möchte ich auf diesem Wege würdigen und verständlich machen, wie sehr sie ihrerseits nur als Teil einer größeren historischen Umwälzung zu verstehen sind.
Dankenswerterweise liegen veröffentlichte Akten vor, auf die ich zurückgreifen konnte. Das sind vor allem die Bearbeitungen durch Eduard Jacobs von 18993 und Paul Wappler von 19134, letzterer bezieht sich in seinen Auswertungen auch vielfach auf Jacobs. Auf diese und weitere Informationen und Literatur weise ich ohnehin in den Fußnoten hin.
Viele Zitate aus den Akten sind, wo es notwendig erschien, sprachlich mehr oder weniger geglättet. Mir geht es hauptsächlich um die Verständlichkeit des Inhaltes für heutige Leser, weniger um die Originalität des Urtextes.
Schwerwiegender sind die unterschiedlichen Schreibweisen von Ortsnamen, erst recht von Personennamen. Bei letzteren gibt es recht markante Abweichungen. Es geht nicht nur um einfache Varianten der Schreibweise wie z.B. bei Thomas Münzer/Müntzer; Jörg/Georg, Knoblauch/Knobloch. Wir haben es auch mit komplett anderen Namen zu tun, die Probleme bereiten wie bei Hans und Greta/Gretha Höhne/Heune/Reuße; Adrian Richter/Henkel, Hans Peißker/Döring. Damit kein Namenswirrwar entsteht, habe ich stets nur eine Variante verwendet und in wörtlichen Zitaten Abweichungen kenntlich gemacht.
Meinen Beitrag zur Geschichte Halberstadts und der Täuferbewegung verstehe ich nicht als einen weiteren wissenschaftlichen Baustein mit möglichst neuen Erkenntnissen. Es handelt sich – wie schon angedeutet – um eine Zusammenfassung vorhandener Informationen speziell mit dem Fokus auf die Halberstädter Täufer. Damit ist es auch eine Einladung an interessierte Leserinnen und Leser, sich anhand des zusammengetragenen Materials mit einem historisch und örtlich abgegrenzten Teil eines größeren Geschehens zu befassen. Schließlich sind die Täufer von Halberstadt auch ein Teil der Stadtgeschichte. Für hilfreiche Korrekturen oder Ergänzungen bin ich sehr empfänglich und dankbar.
Peter Muttersbach (Februar 2024)
1 Leider kann man das Reformationsjubiläum von 2017 darin noch als Rückfall einordnen.
2 Für die Täufer galt ihre Praxis nicht als Taufwiederholung, weil für sie die Säuglingstaufe wegen des fehlenden Glaubens nicht als rechte Taufe galt.
3Eduard Jacobs: Die Wiedertäufer im Harz, in: Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde 32 (1899), 423-536.
4Paul Wappler: Die Täuferbewegung in Thüringen von 1526–1584, Jena 1913.
Anfang Oktober 1535. Hans Höhne, Adrian Richter und Petronella, eine Bäckersfrau aus Holdenstedt, wurden zu ihrer Hinrichtung geführt. Das Ganze sollte außerhalb Halberstadts geschehen. Dort hatte man sie zuvor verhaftet, verhört, gefoltert und verurteilt. Ihr Verbrechen: Sie hielten sich zur Täuferbewegung. Die Hinrichtung sollte zwölf Kilometer östlich von Halberstadt erfolgen – wohl um Aufsehen in Halberstadt zu vermeiden.5 Zu oft schon führten öffentliche Hinrichtungen von Täufern zu Mitleidsbekundungen in der Bevölkerung. Schlimmer noch, der Märtyrertod unschuldiger und rechtschaffender Leute wirkte als deren Glaubenszeugnis eindrucksvoll auf die Zuschauer. Oft genug predigten die Todeskandidaten noch zuvor den Gaffern oder sangen Glaubenslieder.6
Hinrichtungsort war die Brücke vor Gröningen an der Bode. Nach kurzer Befragung, ob sie von ihren Überzeugungen lassen wollen, wurden die Drei wegen ihrer hartnäckigen Weigerung erneut gefoltert, um sie vielleicht doch noch im Wissen um ihr nahes Ende umzustimmen. Da sie unerschütterlich bei ihren Überzeugungen blieben, war ihr Tod beschlossene Sache. Jeder der Drei wurde gefesselt in einen Sack eingebunden und von der Brücke in die Bode geworfen. Nachdem sie keine Lebenszeichen mehr von sich gaben, zog man sie heraus und verscharrte sie nahe der Uferböschung in „ungeweihter Erde“.
Das Urteil über die Hingerichteten erging am 8. Oktober 1535 schriftlich vom Kardinal Albrecht (1490-1545), Erzbischof zu Magdeburg und Mainz. Er schrieb an den Stiftshauptmann Heinrich von Hoym in Halberstadt:
„Albrecht von Gottes Gnaden Röm. Kirchencardinal Legat, Erzbischof zu Magdeburg und Mainz, Primas, Erzkanzler und Churfürst. Administrator des Stiftes Halberstadt, Markgraf zu Brandenburg etc.
Lieber Rat und Getreuer.7 Wir befehlen dir hiermit du wollest die gefangenen Wiedertäufer, weil sie sich von ihrem Aberglauben nicht wollen abweisen lassen und halsstarrig darauf beharren, zum förderlichsten wohl verwahrt gegen Gröningen bringen, daselbst wider sie peinliches Gericht, wie du das wohl schicklich zu tun verstehst, bestellen und halten und sie dann als verführerische Wiedertäufer und wie ihr Bekenntnis mitbringt peinlich anklagen und so dieselben ihren Irrtum bekennen, sie zum Tode verurteilen lassen; die du dann wollest in einen Sack stecken und im Wasser ersäufen. Wenn sie tot sind, durch den Scharfrichter außerhalb geweihter Erde begraben lassen. So haben wir unserem Weihbischof zu Halberstadt hierneben Befehl getan, was er sich gegen die Frauen, so ihren Irrtum bekennen und davon abstehen wollen, halten, und mit ihnen vornehmen soll, darin du ihm auch soviel von Nöten hilfreich sein und seinem Angeben nach mit ihnen gebaren lassen wollest. Geschieht unserer Meinung und haben dirs in Gnaden zur [Seitenwechsel] Antwort nicht wollen vorhalten.
Datum zu Halle auf Sankt Moritzburg, am Freitag nach Francisi, anno domini im 15ten und 35ten [8. Oktober 1535]. Unserm Hauptmann des Stifts Halberstadt, Rath und lieben getreuen Heinrich von Hoym.“
Diese Hinrichtung findet eine zeitgenössische Bestätigung im Tagebuch des Halberstädter Bürgers Albrecht Meige. Vermutlich war er ein Verwandter des bei den Verhören beteiligten Richters Meige. Zum Jahr 1535 schreibt er,
„dass in Halberstadt einige gefangene Wiedertäufer wieder zur päpstlichen Religion gebracht, die anderen aber, die sich nicht dazu bequemen wollten, zu Gröningen in der Bode ersäuft worden seien.“8
Ein genaues Datum dieser Hinrichtung erfahren wir von Meige nicht. Es ist aber nicht zu bezweifeln, dass die „Säckung“ und „Ersäufung“ kurz nach der Fällung des Todesurteils durch den Kardial Albrecht, als dem obersten Richter, stattfand. So können wir vom 8. oder 9. Oktober ausgehen.
5Jacobs (s. Anm. 3), 461; ebenso Wappler (s. Anm. 4), 135.
6 Vgl. Wappler (s. Anm. 4), 139.
7 Diese Anrede ist ungewöhnlich und deutet auf eine Beziehung hin, die verwandtschaftlicher Art sein könnte. Näheres war nicht in Erfahrung zu bringen. Bekannt ist lediglich, dass Kardinal Albrecht und Herzog Georg von Sachsen Cousins waren.
8 Jacobs (s. Anm. 3), 458.
Wie konnte es zu diesem makabren Vorgang kommen? Hintergrund sind die unruhigen Zeiten um die Reformation in Zentraleuropa zum Anfang des 16. Jahrhunderts. Unruhig schon deshalb, weil sich damals vieles im Umbruch befand. Lange als sicher geltende Ansichten erschienen in einem neuen Licht. Denken wir nur an die Entdeckungsreisen, die das bisherige Weltbild völlig auf den Kopf stellten. Denken wir an Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern. Das löste einen Informations- und Bildungsschub aus, der auch einfacheren Bevölkerungsschichten zugute kam.
Buchdruckerei
Es ist überhaupt nicht verwunderlich, dass in dieser Zeit vieles einer Neuorientierung bedurfte wie das Weltbild, so auch die gesellschaftlichen Verhältnisse oder Fragen des Glaubens und der Kirche. Nichts galt mehr als gottgegeben unveränderbar. So geriet vieles auf den Prüfstand. Es gab zwar schon im Mittelalter verschiedene christliche Bewegungen, die recht unabhängig von kirchlichen Vorgaben eigene Ideen zur Verwirklichung christlichen Lebens ins Spiel brachten. Das war die Zeit vieler Ordensgründungen. Trotz aller Eigenständigkeiten ermöglichten die Orden einen Verbleib innerhalb der damaligen Kirche. Andere unkonventionelle Geister gerieten mit ihren Ansichten schnell in den Geruch, Ketzer zu sein. Es war nicht zu vermeiden, dass die Frage nach einem erneuerten Christsein stets auch die Strukturen der Kirche berührte. Das führte natürlich zu Auseinandersetzungen mit den Mächtigen in der Kirche. Jan Hus (~1370–1415) sei hier als besonders krasses Beispiel genannt. Er wurde 1415 als Ketzer während des Konzils in Konstanz verbrannt.
So ergaben sich in dieser hier angesprochenen Umbruchphase verschiedene Strömungen, die man als Entladung einer lang aufgestauten Spannung verstehen kann. Zu ihnen gehörten hauptsächlich die Bestrebungen Luthers (1483–1546) und Zwinglis (1484–1531) Anfang des 16. Jahrhunderts. Beide Reformatoren erzielten eine erhebliche Wirkung: Luther mit seinen 95 Thesen 1517 in Wittenberg, seiner heftigen Kritik am Papsttum und Ablasshandel und seiner Übersetzung des Neuen Testamentes ins Deutsche (1522). Dadurch wurde für viele Menschen überhaupt erst biblische Grundlagen zugänglich. Ebenso sorgten auch Luthers Streitschriften für einigen Wirbel. Zwinglis reformatorisches Bestreben begann schon 1516 als Leutpriester in Einsiedeln mit seiner Kritik an der abergläubischen Volksfrömmigkeit unter den Pilgern und ebenso am Ablasshandel. Den Zürcher Ratsherren fiel er dadurch positiv auf, deshalb beriefen sie ihn ans dortige Großmünster. Eine gründliche Kirchenreform mit biblischer Orientierung lag Zwingli am Herzen.