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Predigten können wie Haltepunkte wirken. Wie bei einem kleinen Verkehrsknoten kann man aussteigen, einsteigen, umsteigen, jemanden nach dem Weg fragen, den nächsten Bus abwarten, ein neues Ziel oder Zwischenziel ermitteln, einem Mitmenschen behilflich sein oder selbst Hilfe annehmen usw. Ein Haltepunkt kann manchmal zur Ruhe-Oase werden, wenn man länger warten muss und die Sonne gerade zum Genießen einlädt. Es bleibt aber dabei, ein Haltepunkt dient der Mobilität, obwohl sein Name das Gegenteil vorgaukelt. Ebenso sollen und können die Predigten des Autors vielseitig anregen, nachdenklich machen, Ziele ins Blickfeld rücken, Falschfahrten vermeiden helfen, ein aufgeregtes Herz zur Ruhe kommen lassen, aber auch Denken und Glauben in Bewegung bringen. Verblüffend sind die manchmal recht unkonventionellen Blickwinkel, die sich durch die hier vorliegenden Predigten eröffnen. – Ein anregendes Lesevergnügen.
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Seitenzahl: 350
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Wenn zum Datum kein Ort genannt ist, wurde die jeweilige Predigt in der Christuskirche in Schöningen gehalten.
Vorwort
Psalm 8,5 Was ist der Mensch?
17.07.2005
Psalm 77, 2-11 Warum lässt Gott das Leid zu?
Calpe/Spanien, 05.07.2009
Psalm 103,2 Roter Faden
Erlöserkirche Salzgitter, 16.10.2011
Jesaja 53, 1-12 Eine unglaubliche Vision
Erlöserkirche Salzgitter, 16.03.2008
Matthäus 5,1-12 Die Seligpreisungen
20.01.2008
Matthäus 11, 28-30 Jesus lädt ein: Lernt von mir!
17.03.2013
Matthäus 13, 44-46 Glückspilze
12.08.2012
Matthäus 25, 40 Wie soll ich dich empfangen?
Adventspredigt
29.11.2015
Matthäus 26, 58. 69-75 Verleugnung – und was dann?
09.12.2012
Markus 2, 13-17 Christus ruft in die Nachfolge
10.01.2013
Markus 12, 1-12 Mord und Totschlag im Weinberg
01.03.2015
Lukas 17, 5-6 Glauben und Vergeben
Stephanusgemeinde Braunschweig, 20.10.2013
Johannes 14,9 Ich lebe und ihr sollt auch leben
Jahreslosung 2008
Kirche im Dorf, Uhry, 06.01.2008
Johannes 16, 33 In der Welt habt ihr Angst
14.02.2016
Apostelgesch. 1, 3-12 Wer bestimmt die Richtung?
Sonntag nach Himmelfahrt
20.05.2012
Apostelgesch. 11, 1-18 Konflikt in Jerusalem
18.10.2009
Apostelgesch. 16, 9-15 Paulus und Lydia
26.07.2015
Römer 1, 17 Zum Reformationstag
Erlöserkirche Salzgitter, 28.10.2012
Römer 6, 1-11 Christus befreit zu neuem Leben
30.01.2011
Römer 8, 31 Gott mit uns
– Volktrauertag 2014
16.11.2014
Römer 8, 39 Das Leben wagen
Kings Church London, 18.05.2014
Römer 12, 1-8 Einzelne Könner sind noch kein Team
27.02.2011
1. Korinther 13, 13 Was gibt uns Halt im Leben?
19.01.2014
1. Korinther 15 Nun aber ist Christus auferstanden!
12.04.2015
Galater 1 und 4 Strömungen in der Gemeinde
01.02.2009
Galater 2, 15-3,3 Christus allein
22.02.2009
Galater 6, 1-18 Karfreitag
10.04.2009
Philipperbrief Paulus schreib an die Christen in Philippi – und auch an uns?
22.10.2014
1. Thessalonicher 5, 17 Gebet im Alltag – Beständig beten!?
26.05.2013
1. Petrus 1, 3-9 Christen zwischen Hoffnung und Bedrängnis
17.01.2010
1. Johannes 4, 16 Gott ist Liebe –
Traupredigt
20.05.2012
Anhang
Das schreibt Paulus im Blick auf seinen Dienst. Das mache ich mir zu eigen. Wer predigt, will Menschen erreichen. Wer es häufig tut, hat oft umso mehr Zweifel, ob er seine Zuhörer wirklich erreicht hat. Das hängt natürlich von unterschiedlichen Faktoren ab, darunter auch von solchen, die außerhalb der Reichweite des Predigers liegen.
Bei allem Vorbehalt gegen Reden in menschlicher Weisheit (so Paulus im 1.Kor 2,13) hat das Predigen immer auch eine menschliche Seite wie bei dem Beispiel des Paulus vom Schatz im irdenen Gefäß: Es ist menschliches Reden, menschliches Bemühen, menschliches Wollen einerseits – aber immer auch die Erwartung und das Gebet, dass Gott redet und dass wir in der Verkündigung erfahren, wie sehr Gott sich um uns Menschen bemüht. Es ist ein Reden, verbunden mit der Hoffnung auf die Kraft seines Geistes. Es ist ein Reden, das sich vom Auftrag Gottes zur Verkündigung getragen weiß. Und es ist immer verbunden mit der Erwartung, dass sich dem Hörer der göttliche Schatz des Evangeliums erschließt – bei allem Menschlichen des Predigers.
Für mich war es immer wieder eine erstaunliche Erfahrung, dass die Predigten schon in ihrer Entstehung zuerst mir galten. Ich war selbst betroffen und berührt von dem, was die Botschaft ausmachte.
Predigten können wie Haltepunkte wirken. Wie bei einem kleinen Verkehrsknoten kann man aussteigen, einsteigen, umsteigen, jemanden nach dem Weg fragen, den nächsten Bus abwarten, ein neues Ziel oder Zwischenziel ermitteln, einem Mitmenschen behilflich sein oder selbst Hilfe annehmen usw. Ein Haltepunkt kann manchmal sogar zur Ruhe-Oase werden, wenn man länger warten muss und die Sonne gerade zum Genießen einlädt. Es bleibt aber dabei, ein Haltepunkt dient der Mobilität, obwohl sein Name das Gegenteil vorgaukelt. Ebenso sollen und können Predigten vielseitig anregen, nachdenklich machen, Ziele ins Blickfeld rücken, Falschfahrten vermeiden helfen, ein aufgeregtes Herz zur Ruhe kommen lassen, Denken und Glauben in Bewegung bringen. Das verbindet sich mit meiner Zielvorstellung für diesen Predigtband.
Es gibt schon einen Vorläuferband mit einer Sammlung von Predigten aus früherer Zeit. Dies ist also mein zweiter Band, diesmal mit Beispielen aus den letzten zehn Jahren. Der erste Band – „Keine Rolltreppe in den Himmel“ – von 2008 zeigt mir heute, wie sehr mein Predigtstil im Laufe der Zeit einem Wandel unterzogen war und ist. Einen Anteil daran hatte, dass die letzten Jahre vom Ruhestand geprägt waren, mir also mehr Zeit zur Vorbereitung blieb. Ebenso sind inzwischen die technischen Möglichkeiten andere, z. B. durch den Einsatz von Präsentationen zur inhaltlichen Unterstützung des Hörens durch die visuelle Wahrnehmung. Das ist auch ein Grund für manche Bilder und Grafiken in diesem Band.
Wie im ersten Band gibt auch diese Predigt-Sammlung Einblick in das Bemühen, meine Zuhörer mit der Botschaft des Evangeliums so zu erreichen, dass sie dabei deren lebensverändernde Kraft entdecken und sich von ihr eingeladen und angezogen fühlen. In der Bibel erfahren wir Gottes liebevolle Absichten mit uns. Dabei stellt sich heraus, dass das kein frommes Einwickelpapier für abgestandene Lebenseinstellungen ist. Es ist vielmehr die herausragende Möglichkeit, das Leben verantwortlich zu gestalten. Der Himmel ist und bleibt immer Gottes Geschenk obendrein. Das gilt auch für alle anderen guten Gaben Gottes, mit denen er uns seine Liebe zeigt. Die größte Gabe ist Jesus. Durch ihn dürfen wir Kinder Gottes sein.
Geschenke entbinden uns aber nicht, sie auszupacken, sie zu würdigen und ihren Gebrauch einzuüben. Jesus lädt zur Nachfolge ein. Das ist kein Wellnessprogramm, sondern ein stetiges Einüben in ganz neue Denk- und Lebensweisen. Gerade darin liegt die Chance, sich dem Wirken des Heiligen Geistes zu öffnen und so stets neu zu entdecken, dass Gott mich mit meinem kleinen Horizont mit hineinnimmt in seinen weiten Blick für diese Welt.
Auch hier wie im ersten Band fällt die spärliche Berücksichtigung des Alten Testamentes auf. Das liegt nicht an dessen Geringschätzung, sondern daran, dass ich im Neuen Testament dem Evangelium näher bin und es unmittelbarer aussagen kann. Ich muss nicht erst die Brücke schlagen zwischen dem Alten Testament und der Guten Nachricht des Neuen Testamentes. Allerdings werden die wenigen alttestamentlichen Beispiele auch zeigen, dass diese Brücke nicht erst auf Umwegen zu finden ist. Aber meine Einseitigkeit sei mir gestattet.
Recht einseitig ist auch meine Vorliebe für Predigten, die von einem Bibeltext ausgehen, nicht vorrangig von einem Thema. Oft aber schimmert auch ein Thema, ein bestimmter Anlass, ein zu klärender Sachverhalt durch. Dadurch verknüpfen sich Text und Thema. Das halte ich für legitim, solange der biblische Text das Thema trägt und so nicht als bloßer Stichwortgeber missbraucht wird.
Die vorliegenden Predigten sprechen häufig in ganz konkrete Situationen hinein, die der Gemeinde zum damaligen Zeitpunkt geläufig waren. Das können interne Vorgänge sein, aber auch aktuelle Probleme der öffentlichen Diskussion. Somit sind viele Predigten auch zeit- und situationsbedingt. Das lässt manches farbiger erscheinen, als es sogenannte „zeitlose Wahrheiten“ könnten. Der Hintergrund ist damit klar: Als Prediger habe ich die Situation der Gemeinde vor Augen. Somit sind diese Predigten auch ein Stück Gemeinde- bzw. Zeitgeschichte. Wer also beim Lesen über damals aktuelle Hinweise stolpert, möge bitte auf das vorangestellte Datum zur Predigt achten. Geordnet sind sie in diesem Band nicht nach ihrer zeitlichen Entstehung, sondern nach Bibeltexten. Da aber die Daten auch im Inhaltsverzeichnis mit angegeben sind, lässt sich die Lektüre durchaus auch nach zeitlicher Anordnung gestalten.
Predigten sind Reden und keine „Schreiben“. Deshalb habe ich versucht, diesen gedruckten Predigten den Rede-Charakter zu bewahren. Das war nicht immer durchzuhalten. Manche Redepausen, manche Betonungen oder freie Ergänzungen fehlen natürlich und lassen den Text „flacher“ wirken als während des gesprochenen Vortrags. Das ist der Preis der „Schriftwerdung“.
Diese Predigtsammlung spiegelt in vielem meine Persönlichkeit wieder. Sie sagt aus, was mir wichtig erschien, was mich bewegt hat, welches Anliegen meiner Meinung nach bedacht werden sollte. Sie verrät auch vieles von meiner Art, diese Anliegen dem Hörer nahezubringen. Ich lasse damit auch einen Blick in mein Herz zu.
Manchem mag es helfen, etwas zu meinem Werdegang im Zusammenhang mit diesen Predigten zu erfahren: Nach meinem Theologiestudium und Gemeindediensten in Wuppertal und Braunschweig war ich ab 1972 Teilzeit-Pastor der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde in Schöningen, die in der damaligen Situation keinen Pastor finanzieren konnte. Parallel absolvierte ich ein zusätzliches Lehramtsstudium in Braunschweig mit dem Ziel, später Schuldienst und Gemeindedienst in Schöningen miteinander kombinieren zu können. Nach dem Ende des Studiums zogen wir als Familie 1975 nach Schöningen. Seitdem war ich als Lehrer tätig und arbeitete darüber hinaus in der Gemeinde weiterhin bis 1992 verbindlich als Pastor – jetzt aber ehrenamtlich. In diesen insgesamt zwanzig Dienstjahren in Schöningen hat sich die Gemeinde sehr verändert. Es waren – geistlich wie äußerlich – Aufbau- und Umbaujahre, die viel Kraft erforderten. Nachdem es der Gemeinde wieder möglich wurde, einen hauptamtlichen Pastor zu berufen, konnte ich mich mehr auf die bis zur Pensionierung noch folgenden Jahre im Schuldienst konzentrieren. Daneben war ich noch einige Jahre Gemeindeleiter und nahm darüber hinaus weitere Dienste in Schöningen und der Umgebung wahr (an mancher Ortsangabe erkennbar). Aus diesem Zeitlauf erklärt sich, dass alle hier wiedergegebenen Predigten aus meiner Zeit des Ruhestandes stammen.
Der Leserin, dem Leser wünsche ich, in den vorliegenden Predigten den Schatz im irdenen Gefäß zu entdecken, von dem ich anfangs in Anlehnung an 2. Korinther 4, 7 sprach.
Schöningen im Juni 2016
17.07.2005
Der Psalm 8:
2 Herr, unser Herrscher! Groß ist dein Ruhm auf der ganzen Erde! Deine Hoheit reicht höher als der Himmel.
3 Aus dem Lobpreis der Schwachen und Hilflosen baust du eine Mauer, an der deine Widersacher und Feinde zu Fall kommen.
4 Ich bestaune den Himmel, das Werk deiner Hände, den Mond und alle die Sterne, die du geschaffen hast:
5 Wie klein ist da der Mensch, wie gering und unbedeutend! Und doch gibst du dich mit ihm ab und kümmerst dich um ihn! (Luther: Was ist doch der Mensch, dass du seiner gedenkst und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?)
6 Ja, du hast ihm Macht und Würde verliehen; es fehlt nicht viel und er wäre wie du.
7 Du hast ihn zum Herrscher gemacht über deine Geschöpfe, alles hast du ihm unterstellt:
8 die Schafe, Ziegen und Rinder, die Wildtiere in Feld und Wald, 9 die Vögel in der Luft und die Fische im Wasser, die kleinen und die großen, alles, was die Meere durchzieht.
10 Herr, unser Herrscher, groß ist dein Ruhm auf der ganzen Erde! (Gute Nachricht Bibel)
Der Dichter dieses Psalms – offensichtlich David – ist geradezu verblüfft. Er kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, wenn er darüber nachdenkt, welche Rolle wir Menschen im ganzen Weltgefüge spielen. Er stellt dabei nur fest, wie die Dinge sind. Er gibt aber keine Antwort darauf, warum sich Gott mit uns abgibt, warum wir eine besondere Position in der Welt haben.
Was macht überhaupt unser Menschsein aus? Was macht einen Menschen zum Menschen? Es geht mir dabei nicht um die akademische Frage nach dem Unterschied zwischen Tier und Mensch. Es geht mir um unsere ganz konkrete Lebenserfahrung: Was ist der Mensch, wenn er seelisch krank ist – körperlich krank – geistig verwirrt – alt und gebrechlich – herumgeschubst – ausgebeutet oder arbeitslos und abgeschoben – oder gar gefoltert? Was bleibt, was trägt? Wer bin ich trotzdem? Was ist die „Würde“ des Menschen dabei?
Wer bin ich vor mir selbst, vor anderen, vor Gott? – Das ist doch auch die Frage nach dem Sinn dessen, was ich bin und tue. Der erste Satz im Grundgesetz lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Was aber ist diese Würde? Woher bekomme ich sie?
Was sagt uns die Bibel dazu? Ich möchte dabei nicht bei der Schöpfungsgeschichte beginnen. Zu vieles ist zerstört am „Bilde Gottes“. Aber ich komme noch darauf zurück. Ich möchte lieber bei Jesus ansetzen.
Jesus hat niemals einen anderen zum letzten Dreck gemacht. Er hat niemanden zum Feind erklärt. Er trat die Seele des anderen nicht mit Füßen. Selbst um den mitgekreuzigten Verbrecher bemühte sich Jesus. Er hat gebetet für seine Peiniger. In wie vielen Gesprächen warb er um Verständnis bei den Pharisäern! Wie wichtig waren ihm die armen Schlucker in Galiläa! Und wenn wir die Bergpredigt lesen, lernen wir viel vom Menschenbild Jesu: Auch der sich mir gegenüber als Feind benimmt, ist ein Mensch!
Natürlich gebraucht auch die Bibel das Wort Mensch unterschiedlich und oft gar nicht sehr schmeichelhaft:
Du denkst, was menschlich ist, sagte Jesus zu Petrus (Mt 16,23). Bileam zu Balak: Gott ist nicht ein Mensch, dass er lüge! (4.Mo 23,19) Schärfer noch in Psalm 116,11: Alle Menschen sind Lügner! Oder schon in den Urgeschichten: Das Trachten des Menschen Herz ist böse von Jugend auf. (1.Mo 8,21)
Vielleicht hatte Tucholsky an diesen Zusammenhang gedacht, als er vorschlug, einander nicht mehr mit Tiernamen zu beschimpfen. Wir sollten vielmehr sagen: Du Mensch! als schlimmsten Ausdruck der Verachtung. Denn nur Menschen sind so gemein zu ihren Artgenossen.
Das negative Menschenbild der Bibel ist sehr realistisch. Aber das ist nicht alles und schon gar nicht so einseitig wie bei Tucholsky. Gott hat uns Menschen geschaffen nach seinem Bilde, nach seiner Vorstellung. Auch wenn dieses Bild entstellt wurde durch die Sünde wie ein kostbares Gemälde durch einen Säureanschlag. Gott hat dieses zerstörte Bild Jesus übergeben, um es wieder herzustellen, gleichsam als Restaurator. So sehr ist Gott interessiert an uns Menschen!
Gott achtet jeden Menschen! Gott hat beispielsweise gerade Menschen, die andere vielleicht gering achteten, erwählt, um mit ihnen in besonderer Weise in der Welt zu handeln: Abraham (ein Kleinviehnomade) – Mose (ein Mörder) – Maria (die Verlobte eines kleinen Handwerkers) – die Jünger (Fischer, Zöllner, Zeloten) usw.
Ich sehe es so: Die Würde des Menschen besteht darin – oder, ich will es anders sagen: Deine Würde als Mensch besteht darin, dass Gott dich als Mensch geschaffen hat, dass er dich als Mensch liebt. Er ist so sehr an dir interessiert, dass er es zuließ, dass Jesus um deiner Erlösung willen gelitten hat. Gott hat Sehnsucht danach, mit dir bleibende Gemeinschaft zu haben.
Das macht deine und meine Würde aus. Alles andere bleibt nicht, trägt nicht, kann mir genommen werden: Jugend, Schönheit, Tatkraft, Geld, Ansehen, Können…
Wollten wir einem alten Menschen vielleicht sagen: Ja, wenn du jung und knackig wärest, würde ich dich als Mensch achten? – Wollten wir einem kranken Menschen sagen: Ja wenn du gesund wärest, könnte ich Achtung vor dir haben. – Wollten wir einem geistig Behinderten sagen: Wenn du dein Schicksal tatkräftig selbst in die Hand nehmen würdest… – Wie wir selbst und in unserer Gesellschaft mit den Schwachen umgehen, zeigt unser wahres Menschenbild!
Wir merken sehr schnell, wohin das führen kann, wenn wir unser Menschenbild von Gottes Vorgaben abkoppeln. Aber: Nicht ich mache mich zum Menschen, sondern Gott hat es getan. Nicht meine Maßstäbe gelten, sondern Gottes Maßstäbe. Nicht was ich habe, sondern was Gott mir zuwendet, ja dass er sich selbst mir zuwendet, macht mich zum Menschen.
Nur vor Gott finde ich zu mir selbst, weiß ich, wer ich bin, hat mein Leben auch Sinn!
Dieses Menschenbild der Bibel hat für uns natürlich auch Folgen. Da haben z.B. Feindbilder keinen Platz mehr. Feindbilder zielen ja darauf ab, den anderen zu zerstören. Aber die Bibel lehrt uns, den anderen für uns nicht Feind sein zu lassen, auch wenn er selbst es sein möchte. Sein Menschsein schrumpft nicht zusammen zur Karikatur eines Feindbildes, so dass ich das Recht hätte, ihn zu zerstören.
Was haben wir im sogenannten „christlichen Abendland“ für ein Menschenbild, wenn wir Milliarden für eine schreckliche Tötungsmaschinerie ausgeben, während andere verhungern? Mit dem Geld für den Irakkrieg ließe sich Afrika sanieren. Weltweit lernen Menschen, wie man andere Menschen tötet (beim Militär sowieso) – aber auch Kinder werden zum Töten gedrillt als Kindersoldaten, deren Seelen dadurch zerstört werden. Oder denken wir an Ausbildungslager für Terroristen. Die Folge sind die aktuellen Anschläge. Einen anderen zu töten, heißt doch: Ich spreche ihm das Recht ab, ein Mensch sein zu dürfen. Ich nehme mir das Recht heraus, ihn zu vernichten, ob aus wirtschaftlichen Gründen oder aus religiösen, ethnischen usw.
Eine Folge des biblischen Menschenbildes ist es auch, den anderen nicht mehr zum Objekt, zum Mittel zum Zweck machen zu können in der Sexualität, der Politik, der Arbeitswelt usw. Mich schaudert‘s, wenn Manager arbeitende Menschen nur noch als „Kostenfaktoren“ hinstellen – als „Kosten mit zwei Beinen“.
Auch der Hochmut hat nun keinen Platz mehr im biblischen Menschenbild. Im Hochmut stelle ich mich ja über den anderen: der Gebildete über den weniger Gebildeten, der Wohlhabende über den armen Schlucker, der Deutsche über den Türken, der linke Politiker über den rechten und umgekehrt, der Baptist über den Lutheraner usw.
Das biblische Menschenbild hat für uns auch Folgen bei Spannungen zwischen Gruppen und einzelnen. Es gibt doch diese typischen Spannungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, Lehrern und Schülern, Männern und Frauen, Gläubige und Nichtgläubige usw. Die Frage, die mich in Konfliktlagen immer wieder bewegen muss, bleibt die: Ist der andere – trotz des Konfliktes – in meinen Augen so sehr Mensch, wie er Mensch ist in den Augen Gottes? Dabei setzen wir bitte unsere Augen nicht gleich mit Gottes Augen! Nicht: Gott sieht bestimmt den anderen auch so, wie ich ihn sehe, sondern: Sehe ich den anderen so, wie Gott ihn sieht?
Zum Schluss möchte ich auf Psalm 8 zurückkommen: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? Gott gedenkt des Menschen, er denkt an ihn. Er denkt an dich und mich! Er nimmt sich des Menschen an. Er nimmt sich deiner an. Ich sagte vorhin:
Deine Würde als Mensch besteht darin, dass Gott dich als Mensch geschaffen hat, dass er dich als Mensch liebt. Er ist an dir so sehr interessiert, dass er Jesus um deiner Erlösung willen hat leiden lassen. Gott hat Sehnsucht danach, mit dir bleibende Gemeinschaft zu haben.
Deine Würde als Mensch hängt also an Gott. Ein anderer Mensch kann sie dir nicht geben und auch nicht nehmen. Ein anderer kann dich er-mutigen oder ent-mutigen, aber deine Würde hängt nicht von ihm ab sondern von Gott. Deshalb kannst du den Mut haben, Dinge zu verändern, die veränderbar sind. Deshalb kannst du aber auch die Geduld haben, Dinge anzunehmen, die du nicht verändern kannst. Stets bleibt dir dabei aber der aufrechte Gang möglich, weil Gott dir deine Würde geschenkt hat. Niemand hat das Recht, uns klein zu machen.
Abschließend möchte ich ein Bibelwort lesen, in dem das Wort Menschenwürde überhaupt nicht vorkommt, das aber durchweht wird von dem Geschenk Gottes, dass ich aufatmen und Mensch sein kann und darf (Römer 8,31-35a):
31 Was bleibt zu alldem noch zu sagen? Gott selbst ist für uns, wer will sich dann gegen uns stellen? 32 Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern hat ihn für uns alle in den Tod gegeben. Wenn er uns aber den Sohn geschenkt hat, wird er uns dann noch irgendetwas vorenthalten? 33 Wer kann die Menschen anklagen, die Gott erwählt hat? Gott selbst spricht sie frei. 34 Wer kann sie verurteilen? Christus ist für sie gestorben, ja noch mehr: Er ist vom Tod erweckt worden. Er hat seinen Platz an Gottes rechter Seite. Dort tritt er für uns ein.
35 Kann uns noch irgendetwas von Christus und seiner Liebe trennen?
–––––––––––––––
Calpe/Spanien, 05.07.2009
Der Predigttext:
2 Laut will ich schreien zu Gott, laut zu Gott, dass er auf mich höre.
3 Am Tag meiner Not suche ich den Herrn, meine Hand ist ausgestreckt des Nachts und ermattet nicht, meine Seele will sich nicht trösten lassen.
4 Ich denke an Gott und seufze, ich sinne nach, und mein Geist will verzagen.
5 Du hältst meine Augen wach, ich bin voller Unruhe und kann nicht reden.
6 Ich denke nach über die Tage von einst, die längst vergangenen Jahre.
7 Ich denke an mein Saitenspiel des Nachts, in meinem Herzen sinne ich nach, und es forscht mein Geist.
8 Wird der Herr auf ewig verstoßen und nie mehr gnädig sein?
9 Hat seine Güte für immer ein Ende, ist sein Wort verstummt für alle Zeit?
10 Hat Gott seine Gnade vergessen, hat er im Zorn sein Erbarmen verschlossen?
11 Und ich sprach: Das ist mein Schmerz, dass so anders geworden ist das Handeln des Höchsten.
(Zürcher Bibel)
Die zurzeit wiederholt gezeigten Bilder von den Anschlägen auf das Wold-Trade-Center in New York lassen unsere Empfindungen von damals wieder hochkommen. Aber sie haben sich in diesem Jahrzehnt schon längst vermischt mit den Bildern der Kriege in Afghanistan und im Irak, vermischt mit den Nachrichten über Gräuel des Gadhafi-Regimes oder syrischer Kampfeinsätze gegen demonstrierende Zivilisten, mit dem Hungerelend in Ostafrika, vermischt mit Nachrichten über die Versklavung von Kindern, Beschneidung von Frauen, Ausplünderung und Zerstörung ganzer Regionen… Das ungeheure Ausmaß der Gräuel, die Menschen an Menschen verüben, haben wir auch aus der eigenen Geschichte zu beklagen. Da kommt von ganz allein die Frage hoch: Wie kann man nach all dem noch an Gott glauben, der so etwas zulässt? oder: Wie kann man nach Ausschwitz noch singen: Lobet den Herren, der alles so herrlich regieret? (so Dorothee Sölle).
Mich machen diese grässlichen Tatsachen ratlos, hilflos und wütend. Ich fühle mich mitverantwortlich und zugleich ohnmächtig. Ich will wissen, was in unserer Welt geschieht und kann und mag diese Bilder und Berichte nicht mehr ohne innere Abwehr wahrnehmen. Aber die Augen verschließen, alles ausblenden, das ist auch keine Lösung.
Warum lässt Gott das Leid zu? Warum greift er nicht ein, wenn wir Leid erleben oder jemanden leiden sehen? Warum stoppt er nicht die Menschen, die anderen Leid zufügen?
Unser Text ist nur einer von vielen in der Bibel, in denen Gott gedrängt wird, doch endlich zu handeln wie es in den Versen 2 und 3 heißt:
Laut will ich schreien zu Gott, laut zu Gott, dass er auf mich höre. Am Tage meiner Not suche ich den Herrn, des Nachts ist unermüdlich meine Hand ausgestreckt; meine Seele will sich nicht trösten lassen.
Gerade in den Psalmen wird oft dieser Verzweiflungsschrei wiedergegeben und diese Aufforderung an Gott, endlich zu handeln:
Steh auf, Gott, und führe deinen Streit! (Ps 74,22)
Herr, wie lange willst du zusehen? (Ps 35,17)
Du hast es gesehen, Herr, schweige nicht! Erhebe dich, wache auf, Recht zu schaffen! (Ps 35,22 f.)
O Herr, bleib nicht stille! Schweige doch nicht und ruhe nicht, o Gott! (Ps 83,2)
Wie lange, o Herr, willst du meiner ganz vergessen? (Ps 13,2)
Aber auch bei Jesaja finden wir diese ungeduldige Aufforderung an Gott:
Ach, dass du den Himmel zerrissest und führest herab! (Jes 63,19)
Wir erfahren Leid als etwas Feindliches, Fremdes, das eigentlich nicht sein dürfte. Wir lehnen es ab, wir wollen nicht leiden. Wir arbeiten gegen das Leid – bei uns und bei anderen (z. B. im Gesundheitswesen). Aber wir schaffen es damit nicht aus der Welt. Das zeigt unsere Ohnmacht. Wir fühlen uns ausgeliefert. Wir geben uns mit diesem Zustand nicht zufrieden, wir begehren auf, ja wir rebellieren: Gott, tu doch endlich etwas, damit das aufhört!
Ich habe mich auf das Thema „Leid“ eingelassen. Ich weiß, es ist wie ein vermintes Gelände. Ich will trotzdem eine Spur legen durch dieses Gelände. Vielleicht wagt ihr es, mir dabei wenigstens gedanklich zu folgen. Ich kann dabei nicht alle Fragen beantworten, aber vielleicht die wesentlichste. Allerdings gebe ich mich dabei nicht zufrieden mit manch vorschneller oder oberflächlicher Antwort, die wir zu hören bekommen. Ich nenne einige:
Leiden läutert. – Wirklich? Wird der Gefolterte geläutert in seiner Qual sterben?
Leiden gehört eben zum Menschsein. – Und weshalb wehren wir uns dagegen? Warum will keiner leiden (es sei denn, er hat einen seelischen Schaden)?
Gott ist uns im Leiden nahe. – Heißt das: Gott steht daneben und hilft nicht, obwohl er es könnte? Was wäre das für ein Arzt, der dem Patienten nahe ist, ihm helfen könnte, aber es nicht tut? Das wäre unterlassene Hilfeleistung!
Irgendwann wirst du erfahren, welchen Sinn dein Leiden hat. – Was hilft mir das jetzt, damit fertig zu werden, wenn ich keinen Sinn erkenne? Und gibt es den Sinn des Leidens überhaupt? Ist das nicht eine Vertröstung, die mein Leiden nicht ernst nimmt?
Ihr merkt, für mich sind das keine hilfreichen Antworten.
Beim Thema „Leiden“ sehen wir uns in der Opferrolle. Wer will schon Opfer sein? Natürlich gibt es auch Täter, die Leiden verursachen. Gott muss doch gesehen haben, was Leute wie Hitler, Stalin, Pinochet, Sadam Hussein, Osama bin Laden, Gadhafi usw. angerichtet haben. Da hätte er doch eingreifen müssen, ihnen das Handwerk legen, mal gehörig auf den Tisch hauen. Dann sähe es doch schon ganz anders aus in unserer Welt.
In den Psalmen bekommt Gott häufig Aufforderungen und gute Ratschläge zu hören:
Wach endlich auf! Handle! Greif ein! Falle dem Feind in den Arm!
Hier will ich die Spur im Minenfeld ansetzen: Wenn wir schon wissen, wie Gott sich verhalten müsste, dann lasst uns das einmal gründlich durchspielen. Wir versetzen uns in die Rolle, die wir Gott zugedacht haben. Das ist zwar anmaßend, aber vielleicht auch erhellend und heilsam. Was soll Gott also tun?
Klar: Das Leiden in der Welt beseitigen! – Das ist zu allgemein. Wie soll das konkret geschehen? (Ich grenze das jetzt einmal bewusst auf menschliche Handlungen und deren Folgen ein.) Dann sollte Gott sicher zuerst solchen furchtbaren Menschenschlächtern (s. o.) das Handwerk legen.
Aber wie soll er es tun? Soll er sie töten? Wie verhält sich das mit unserem Denken über die Todesstrafe? – Soll er sie zu freundlichen Marionetten machen, die nicht mehr die von Gott geschenkte Freiheit besitzen, Gutes oder eben auch Böses zu tun? Bei Licht betrachtet bleibt nur die eine oder andere dieser beiden „Lösungen“. In jedem Fall ist es mit dem Menschsein der Täter vorbei: Tod oder Marionette.
Und wenn Gott nun auf unseren Rat hin handelt an diesen Typen, ist jetzt das Leid verschwunden aus unserer Welt (Kriminalität, Ausbeutung, politischer Schwindel)? Natürlich nicht!
Wo soll Gott aufhören mit seinem Eingreifen? Soll er nur die schlimmen Leiden beseitigen? Wo wäre die Grenze? Er soll doch auch unsere persönlichen Leiden beseitigen. Wir sind doch empört, wenn uns jemand Unrecht zufügt. Gott soll die Täter daran hindern, Täter zu sein. Das geht doch nur, wenn Gott darin ganz konsequent ist – siehe oben: Tod oder Marionette.
Na prima, das wäre also geschafft! Aber eine Frage bleibt noch: Was ist denn mit mir, wenn ich Täter bin? Soll Gott mich dann auch aus dem Leben befördern oder aus mir eine freundliche Marionette machen? Soll er mich auch um mein Menschsein bringen? Will ich das? – Wir merken, desto konkreter wir werden, desto dichter kommen wir an unsere eigenen Verhaltensweisen heran. Und spätestens jetzt blocken wir ab: So haben wir das nicht gemeint. Gott soll das Leiden beseitigen, aber mich mit seinen Aktionen verschonen. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!
Die Bibel vermittelt uns die traurige Wahrheit, dass wir Menschen es ziemlich blöd finden, auf Gott zu hören und unsere Freiheiten nur so zu nutzen, wie Gott uns das zugedacht hat. Wir alle missbrauchen unsere Freiheit. Der Sündenfall ist doch nicht eine Sache von Adam und Eva. Es ist unser ganz persönlicher Sündenfall. Jeder von uns hat nicht nur die Freiheit zu sündigen. Jeder von uns will diese Freiheit auch nutzen können. Und jeder von uns hat sie genutzt. Es würde uns überhaupt nicht gefallen, würde uns Gott dieser Freiheit berauben. Wir bestehen geradezu auf unseren Sündenfall! – Allerdings hat das Folgen, genau die Folgen, unter denen wir leiden. Und leiden wollen wir doch nicht! Darum drehen sich ja unsere Gedanken.
Für Gott ist es kein Problem, das Leiden zu beseitigen. Er kann es tun, indem er die Ursachen beseitigt – und die Ursache sind wir. Da liegt das Problem. Wollen wir wirklich immer noch, dass Gott das Leiden beseitigt?
Meine Einsicht zum Thema ist also: Wenn Gott das Leiden abschaffen soll, dann müsste er uns abschaffen! Wenn kein Unrecht mehr sein soll, dann darf auch keine Sünde mehr sein – und deshalb auch kein Sünder! Das ist das Sintflut-Thema der Bibel! – Das war es dann wohl mit unseren ach so klugen Ratschlägen an Gott!
Wenn unsere Lösungsvorschläge nicht greifen, was dann? – Hat Gott eine Lösung? In Hes 33,11 steht eine Art Grundsatzerklärung Gottes:
So wahr ich der Lebendige bin, spricht Gott, der Herr: Ich habe nicht Wohlgefallen am Tode des Gottlosen, sondern daran, dass sich der Gottlose von seinem Wandel bekehre und am Leben bleibe.
Es bleibt nicht bei dieser Erklärung Gottes. Das Unfassbare geschieht. Er geht nicht gegen uns Gottlose vor, sondern er kommt zu uns Gottlosen. Er löscht nicht die Menschheit aus oder beraubt sie ihrer Freiheit, sondern er wird selbst Mensch.
Durch Jesus kommt Gott ganz in unser Menschsein hinein. Er ist versucht zur Sünde wie wir Menschen. Er leidet wie wir Menschen. Er stirbt den Tod eines Menschen – obwohl das bei ihm eben nicht Folge eines Sündenfalles ist. Phil 2,6-8:
Christus war in Gottes Gestalt und hielt es nicht wie einen Raub fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich selbst, indem er Knechtsgestalt annahm und den Menschen ähnlich wurde; und der Erscheinung nach wie ein Mensch erfunden, erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz.
Jetzt entdecken wir, dass der Satz von vorhin „Gott ist bei uns im Leiden“ doch seine Berechtigung hat, aber erst in seiner tieferen Bedeutung. Gott schafft uns nicht ab, macht nicht kurzen Prozess mit uns, sondern er kommt zu uns und leidet lieber selbst. Er macht uns nicht zu Marionetten, sondern will die zerstörte Beziehung wieder erneuern. Da ist doch der Schaden entstanden. Hier lag die Ursache der Sünde. Gott räumt erst einmal den berechtigten Schuldvorwurf gegen uns aus dem Weg, indem Jesus, der Unschuldige, unsere Schuld auf sich nimmt.
Röm 5,6.8: Christus ist, als wir noch schwach waren, zur bestimmten Zeit für Gottlose gestorben. … Gott beweist seine Liebe gegen uns dadurch, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.
Und nun wirbt Gott um unser Vertrauen, dass nur auf seinen Rat hin unser Leben gelingt. Das heißt also: Wir hören auf, unsere Freiheit zu missbrauchen. Sein Geist befähigt uns dazu. Das ist mit Sicherheit ein Lernprozess, ein Weg. Da geht manches daneben. Niemand sollte sich dadurch entmutigen lassen. Aber es ist der Weg des Lebens.
Ich will das am Beispiel des Autofahrens deutlich machen: Wir steuern unser Leben – im Guten wie im Schlechten. Wir können aggressiv fahren, rücksichtslos oder zuvorkommend, fehlertolerant, hilfreich. Das liegt in unserer Verantwortung. Wenn wir Jesus vertrauen, laden wir ihn ein, sich neben uns zu setzen als Beifahrer. Wir können immer noch entscheiden, wie wir fahren und wohin wir fahren wollen. Aber wir können dabei auf Jesus hören, seinen Rat befolgen. Dann finden wir durch Jesus den Weg (vielleicht vergleichbar mit einem Navigationsgerät).
Was hat das mit dem Thema „Leiden“ zu tun? – Nun, der Weg, den wir uns ursprünglich dachten, funktioniert nicht, es wäre ein Weg des Todes. Also müssen wir Gottes Fahrplan ernsthaft prüfen. Sein Weg mit uns, ist ein Weg des Lebens. Wer diesen Weg des Lebens geht, hört auf, anderen Leid zuzufügen. Der übt neue Spielregeln und Verhaltensweisen ein. Der hört auf seinen Beifahrer Jesus. Das ist das Beste, was jeder von uns dieser Welt bieten kann. Wir hören auf, Leiden zuzufügen. Und wir können Einfluss nehmen, dass auch andere damit aufhören. Darin sehe ich auch eine politische Verantwortung von uns Christen.
Lasst uns den Weg des Lebens gehen, zu dem Gott uns einlädt und den er durch seinen Geist ermöglicht!
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Erlöserkirche Salzgitter-Bad, 16.10.2011
Gottesdienst
zum roten Faden Gottes
in unserem Leben
Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.
Psalm 103,2
Ich begrüße jeden in diesem Gottesdienst. Jeder, der gekommen ist, hat etwas mitgebracht: nämlich seine ganz persönliche Geschichte. Damit sind wir jetzt vor Gott. Wir sind vor ihm, egal wer wir sind, wie wir sind und deshalb auch wie wir geworden sind. Wir sind vor ihm mit unseren Erinnerungen und Erfahrungen. Wir sind mit unserem Leben hier vor Gott.
Wenn wir unsere Geschichte so vor Gott betrachten, kann das sehr interessant werden. Vielleicht machen wir dann Entdeckungen, die uns Zusammenhänge erhellen. Wo hat Gott Spuren in meinem Leben hinterlassen? Was ist als rotee Faden Gottes in meinem Leben erkennbar? Darüber wollen wir heute nachdenken. – Vielleicht fällt dem Einen oder Anderen dazu etwas ein, was er für mitteilenswert hält. Dann wird auch dazu in diesem Gottesdienst Gelegenheit sein. – Mit allem aber sind wir vor Gott, dem wir so vieles unserer Lebensgeschichte verdanken. Ihn lasst uns loben mit dem folgenden Lied.
Lied Feiern&Loben (F&L) 460,1-5: Lobet den Herren, alle die ihn ehren
Lesung: Psalm 103,2-13 (als Wechsellesung) / Gebet
Lied F&L 352: Lobe den Herrn, meine Seele
(nicht vom Pastor vorgetragen)
Man spricht vom roten Faden, wenn man Zusammenhänge erkennen oder erklären möchte. Zum Beispiel kann man in einer Fußballreportage hören: „Der Kampfgeist der gastgebenden Mannschaft war enorm; er zog sich wie ein roter Faden durch beide Halbzeiten.“
In Hannover gibt es den roten Faden aber auch in echt. In der Innenstadt finden wir ihn als Wegmarkierung. Wer wichtige Punkte der Altstadt erkunden will, braucht nur diesem „roten Faden“ zu folgen. – Dieser rote Faden ist eine gute Orientierung. In einem Begleitheft werden dann alle Sehenswürdigkeiten erläutert.
Der „rote Faden“, das ist eine Redewendung, um Zusammenhänge aufzuzeigen oder zu erklären. Woher kommt diese Redewendung?
Das ist eigentlich eine ganz verrückte Sache: Bei den britischen Kriegsschiffen verschwand immer Tauwerk. Um das zu verhindern, wurde seit 1776 in alle Seile der Marine ein roter Faden eingearbeitet. An jedem Zentimeter gestohlenem Tauwerk war einwandfrei erkennbar: Das gehört der britischen Krone. So viel zur Redewendung.
Wer zu Jesus gehört, müsste ebenso an einem „roten Faden“ erkennbar sein als sein Eigentum. Und wenn Jesus für uns Weg, Wahrheit und Leben ist, dann wird das zum Geschenk für unsere Lebensgeschichte. Dazu passt das folgende Lied.
Lied F&L 325: Du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben
Den roten Faden gibt es auch in unserem Leben. Jeder, der zurückschaut, wird Zusammenhänge erkennen. Da sind bestimmte Dinge, die über eine lange Zeit wichtig und prägend waren oder noch sind. Wer z. B. besonders sportlich ist, wird leicht damit einen Zusammenhang erkennen über verschiedene Stationen seiner Kindheit und Jugend. Wer vielleicht schon als Kind Schlimmes erlebt hat, weiß, wie nachhaltig dies Einfluss hatte auf den weiteren Weg. Jeder von uns hat seine Lebensgeschichte. Jede dieser Geschichten hat ihren eigenen roten Faden. Die Älteren unter uns können ihren persönlichen roten Faden vielleicht besser erkennen als die Jüngeren.
Wenn wir über den roten Faden in unserem Leben nachdenken wollen, geht es nicht um persönliche Hobbys oder irgendwelche Eigenheiten, sondern – wie im vorhin gelesenen Psalm 103 – um die Entdeckung des roten Fadens Gottes in unserem Leben: Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. Wo und wie erkenne ich Gottes Spuren in meinem Leben? Was ist sein roter Faden bei mir?
Wenn ich über mein Leben nachdenke, merke ich allerdings auch schnell:
Der rote Faden ist gar keine gerade Linie bei mir und wohl bei keinem von uns.
Niemand ist in seiner Beziehung zu Gott absolut geradlinig und unerschütterlich. Das wäre vielleicht auch gar nicht so gut.
Es gibt ohnehin manche Schlingerbewegungen. Die können manchmal sogar recht heftig werden. Verschlungene Wege finden wir auch bei Gestalten aus der Bibel. Warum nicht auch bei uns?
Manchmal scheint ein Knoten unser Leben zu bestimmen.
Manchmal scheint der Faden sogar gerissen, unterbrochen.
Oft kommt uns das Leben wie ein Labyrinth vor. Aber auch ein Labyrinth hat System, hat Anfang und Ziel. – Es ist gut, einmal im eigenen Leben auf Entdeckungsreise zu gehen, um den roten Faden Gottes darin aufzuspüren. Und keiner muss sich schämen, wenn dieser rote Faden recht verschlungen erscheint.
Wir kennen das schon aus der Bibel. Da begegnen uns ja allerlei Gestalten und Lebensgeschichten. Häufig werden sie uns als Glaubensvorbilder hingestellt. Und doch sind ihre Geschichten voller Ungereimtheiten mit selbstverschuldeten oder von anderen aufgezwungenen Lebenskurven oder Abbrüchen. Und dennoch oder gerade deshalb erkennen wir in ihren Geschichten etwas vom Willen Gottes, mit ihnen zum Ziel zu kommen. Bei allen können wir Gottes roten Faden entdecken.
Abraham hörte nicht nur auf Gottes Stimme, wie hier dargestellt. Er war auch bereit, seine hübsche Frau dem Pharao zu überlassen. Er gab sie als seine Schwester aus. So wollte er der Gefahr entgehen, umgebracht zu werden. Denn als seine Frau hätte der Pharao eventuell Sara zur Witwe gemacht, um sie heiraten zu können. Hat Abraham nur an sich oder auch an Sara gedacht? Und seine Bereitschaft, seinen Sohn zu opfern, geht jedem von uns unter die Haut, der Kinder hat. Gottes roter Faden ist in seinem Leben deutlich erkennbar, aber recht verschlungen.
Josef, Papas verwöhnter Liebling, wird von seinen Brüdern in eine Zisterne geworfen, dann von ihnen als Sklave verkauft, macht eine kleine Kariere in Ägypten, landet wegen einer Falschaussage seiner Chefin im Gefängnis, ist dem Tode nahe, macht dann eine sogar sehr große Karriere beim Pharao und begegnet am Ende wieder seinen Brüdern. Eine Achterbahn des Lebens. Aber Gottes roter Faden ist in seinem Leben deutlich erkennbar. Er selbst erkennt das und sagt seinen Brüdern (1.Mo 50,20): Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott hat es gut mit mir gemacht.
Moses, nicht ganz echtes Findelkind, Karrieretyp, Mörder, Flüchtling, Hirte, Anführer wider Willen, Herausforderer des Pharao, Chef einer wandernden Volksgruppe mit ständig neuen Problemen. Aber von Gott beauftragt, begabt, bewahrt und geführt. Das gehört zu Gottes rotem Faden in seinem Leben.
David, Hirtenjunge mit dem Versprechen Gottes, König zu werden. Bis das eintrifft, durchläuft er ähnliche Hochs und Tiefs wie Josef. Aber anders als Josef leistet er sich unglaubliche Gräueltaten auf diesem Wege. Ganze Dörfer plündert und rottet er aus in seiner Zeit als Anführer einer Räuberbande. Als er endlich König war, glaubte er, auch die Erlaubnis zum mörderischen Machtmissbrauch zu haben. Gott tritt bei ihm gehörig auf die Bremse. David war nie der harmlose Harfenspieler. Aber letztlich wurde Gottes Hand in seinem Leben spürbar. Gottes roter Faden wurde deutlich erkennbar.
Nehmen wir Petrus: Fischer, der Jesus begegnet und erkennt, dass er nicht zu Jesus passt, weil er ein Sünder ist. Aber gerade solche sucht Jesus. Petrus wird zum Sprecher, manchmal zum vorlauten Großmaul unter den Jüngern. Das Bild zeigt seinen Absturz. Feige verkriecht er sich hinter einer Lüge. Er kennt Jesus auf einmal nicht mehr. Jesus schenkt ihm nach seiner Auferstehung neu das Vertrauen und beauftragt ihn, Verantwortung zu tragen für die Gemeinde. So findet Petrus den scheinbar verlorenen roten Faden Gottes in seinem Leben wieder.
Paulus, der stolze, karrierebesessene Pharisäer. Er hasst die Jünger Jesu, verfolgt sie, tötet sie. Er fühlt sich als Glaubensheld. – Dann der totale Knick in seinem Leben. Er muss zur Kenntnis nehmen, dass alles, was er tut, nicht für sondern gegen Gott gerichtet ist. Nun muss er sein Leben ganz neu sortieren und wird ein Jünger Jesu, ein wichtiges Werkzeug Gottes. Auch dabei erlebt er unglaubliche Höhen und Tiefen. Aber welche Segensspur Gottes, welch ein deutlich erkennbarer roter Faden Gottes beeindruckt uns an seiner Geschichte.
So zieht sich durch die ganze Bibel der rote Faden der Liebe Gottes zu uns Menschen und mit uns Menschen. Aber dieser Faden, manchmal seltsam verschlungen, soll uns zum Ziel führen. So wird aus gelebter – manchmal auch erlittener – Vergangenheit Hoffnung für die Zukunft.
Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.
Dazu passt das Lied F&L 425:
Du hast mir so oft neuen Mut gegeben.
(Während des Liedes werden „rote Fäden“ verteilt.)
Was ist der rote Faden Gottes in meinem und deinem Leben? Jeder von uns hat seine ganz eigene Geschichte mit Gott. Darüber nachzudenken, lohnt sich. Und weil jeder heute nicht ohne seine Geschichte hier ist, ist auch jeder mit seiner Geschichte jetzt vor Gott. Der rote Faden Gottes kann erkennbar sein als Führung Gottes, als Geschenk, als Bewahrung, als Ermöglichung, als Kurskorrektur, als Verlässlichkeit. Der rote Faden Gottes kann aus verschiedenen Elementen bestehen. Wer will, nimmt jetzt unseren symbolischen roten Faden in die Hand. Wir lassen uns Zeit, vor Gott nachzudenken: „Gott, ich möchte deinen roten Faden in meinem Leben erkennen.“ – Ich werde die Zeit der Stille beenden.
(Zeit der Stille/Meditation)
Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. – Ich (PM) nehme hier diesen roten Faden auf (hält ein rotes Seil). Ich will damit sagen:
Ich bin Gott unendlich dankbar für seinen roten Faden in meiner an manchen Stellen sehr seltsam wirkenden Lebensgeschichte. Allein, dass ich hier vor euch stehe, ist schon erstaunlich. Eigentlich hätte es mich gar nicht geben sollen. Nach heutiger Abtreibungspraxis wäre das „Problem“ per sozialer Indikation „gelöst“ worden. Aber Gott hat gewollt, dass ich lebe. Das hat er gleich anfangs gezeigt und auch in einer sehr heiklen späteren Situation 1945 bei Kriegsende.
Nun schaue ich auf gut sieben Jahrzehnte zurück. Dabei entdecke ich erstaunliche Führungen und Weichenstellungen Gottes in meinem Leben. Dazu gehören Berufung, Begabung und Beauftragung, aber auch manche Zumutung und Bewahrung, manches Hoch und Tief. Mein Lebensweg war nicht meine Idee, sondern seine. Es ist sein roter Faden, den er in mein Leben hineingewoben hat. Dafür bin ich unendlich dankbar.
Ich möchte jetzt diesen roten Faden weitergeben. Wer möchte etwas sagen zu seiner Erfahrung mit Gottes rotem Faden?
(Gelegenheit zu weiteren freien Beiträgen)
Lied F&L 333: Herr, ich komme zu dir, und ich steh vor dir, so wie ich bin
Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.