Die Tote auf der Bank - Bärbel Junker - E-Book

Die Tote auf der Bank E-Book

Bärbel Junker

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Ein schreckliches Verbrechen, begangen vor fünfzehn Jahren, verwickelt Hauptkommissar Felix Heckert und seinen Kollegen Kommissar Benno Schuster in ein Netzwerk des Verbrechens. Wo ist das Motiv für all die Morde? Wovon lässt sich der Auftragskiller Niklas Kramer außer seiner Geldgier leiten? Und was hat der Bankier Homberger zu verbergen? Hat es etwas mit dem Syndikat zu tun, welches Igor Komarow wie ein Riesenkrake umfängt und unauffällig aus dem Hintergrund leitet und beherrscht? Wovor fürchtet sich Charlotte Schramm? Und wo ist der minderjährige Autist Milan abgeblieben? Die beiden Kommissare ermitteln und stoßen dabei auf ein verflochtenes System unterschiedlicher Verbrechen begangen aus Hass, Skrupellosigkeit und Gier, welches kaum zu entwirren ist. Da naht Hilfe in Gestalt Katharina Bergers, die den Tod ihrer Schwester geahndet sehen will. Ihr Vorschlag ist raffiniert, jedoch wird er gelingen?

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Bärbel Junker

Die Tote auf der Bank

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

ZUM BUCH

PROLOG

DER FUNDORT

DIE TOTE AUF DER BANK

DER ANRUF

DIE IDENTIFIZIERUNG

ERINNERUNGEN

DER AUFTRAGGEBER

DAS TODESURTEIL

DAS TESTAMENT

NEUE ERKENNTNISSE

RÜCKBLICK

ABLEHNUNG

ANGST

GEFÄHRLICHE FREUNDE

UNERWARTETER BESUCH

ALBTRÄUME

WARTEN

ABGEHAUEN

VERPATZTER AUFTRAG

ENTSETZEN

GEFÜHLE

ERMITTLUNGEN

RACHE

LIEBE

NEUE SPUREN

SAMANTHAS TAGEBUCH

BÖSE ÜBERRASCHUNG

SCHWIERIGKEITEN

AUFGEFLOGEN

FESTNAHME

VERHAFTET!

HOFFNUNG

DAS GESTÄNDNIS

ANWALTSBESUCH

FAHRT NACH BERLIN

SCHWACHSTELLEN

HAUS WALDFRIEDEN

ZWEI TAGE SPÄTER

Impressum neobooks

ZUM BUCH

Ein schreckliches Verbrechen, begangen vor fünfzehn Jahren, verwickelt Hauptkommissar Felix Heckert und seinen Kollegen Kommissar Benno Schuster in ein Netzwerk des Verbrechens.

Doch wo ist das Motiv für all die Morde zu finden?

Wovon lässt sich der Auftragskiller Niklas Kramer außer seiner Geldgier leiten?

Und was hat der Bankier Bastian Homberger zu verbergen?

Hat es etwas mit dem Syndikat zu tun, welches Igor Komarow wie ein Riesenkrake umfängt und unauffällig aus dem Hintergrund leitet und beherrscht?

Wovor fürchtet sich Charlotte Schramm so schrecklich, dass sie Hauptkommissar Felix Heckert belügt?

Und wo ist der minderjährige Autist Milan abgeblieben?

Die beiden Kommissare ermitteln und stoßen dabei auf ein verflochtenes System unterschiedlicher Verbrechen begangen aus Hass, Skrupellosigkeit und Gier, welches kaum zu entwirren ist.

Da naht Hilfe in Gestalt Katharina Bergers, die den Tod ihrer Schwester geahndet sehen will. Ihr Vorschlag ist raffiniert, jedoch wird er gelingen?

PROLOG

Die einsame Frau auf der Bank liebte diesen idyllischen, von dichtem Wald und Holunderbüschen umgebenen Ort.

In Gedanken versunken sah sie vor sich hin, durchlebte noch einmal die unerwartete Begegnung mit der Person aus ihrer Vergangenheit, die sie auch heute noch aus tiefster Seele verabscheute und hasste.

Sie hatte ihn auf einem Parkplatz getroffen.

Zufall oder Schicksal? Sie wusste es nicht.

Noch einmal sieht sie sich dort stehen und zu den beiden sich gestenreich unterhaltenden Männern hinüberstarren, die mit lauter Stimme aufeinander einreden.

Diese Stimme!

Ist er es? Kann das wirklich sein? Als sie ihn erkennt, lodert das damalige Entsetzen erneut wie eine höllische Feuersbrunst in ihr empor.

Sie lässt ihn nicht aus den Augen.

Erinnerungen werden wach, Erinnerungen, die sie nur allzu gerne aus ihrem Gedächtnis löschen würde, etwas, dass ihr jedoch bis heute nicht gelungen ist. Versucht hat sie es, jedoch vergebens.

Ja, er muss es sein, obwohl sein Gesprächspartner ihn mit dem Namen Homberger anspricht, einem ganz anderen Namen als der, unter dem sie ihn kennt.

Aber er ist es, daran zweifelt sie nicht, denn seine arrogante Stimme ist unverwechselbar; und seinen Namen kann man ändern, sofern man die richtigen Beziehungen und das entsprechende Geld dafür hat.

Aufgewühlt beobachtet sie ihn, lässt ihn keine Sekunde aus den Augen. Was soll sie tun? Ihn hier und jetzt zur Rede stellen? Oder ihn zuerst einmal heimlich beobachten? Vielleicht wäre das klüger, jedoch fehlt ihr dazu die Geduld. Sie entscheidet sich.

Als er sich von seinem Gesprächspartner verabschiedet und sich auf den Weg zu seinem Wagen macht, folgt sie ihm.

Trotz des fremden Namens ist sie sich absolut sicher ihren Peiniger von damals vor sich zu haben. Die Bestätigung seiner Identität lässt nicht lange auf sich warten. Als er sein volles Haar mit der linken Hand aus der hohen Stirn streicht, fällt ihr Blick auf seinen nur noch zur Hälfte vorhandenen Ringfinger. Eine Verunstaltung, an der er sich stets gestört hat.

Und was nun? Zu ihm gehen und ihn mit seiner Vergangenheit konfrontieren?

Sie zögert noch unentschlossen, als er vor einem BMW, einer silberfarbenen Luxuslimousine, stehen bleibt.

Natürlich, ein solches Fahrzeug passt zu ihm, denn dem Luxus war er von jeher zugeneigt. Teure Luxuskarosse, kostspielige, elegante Garderobe. Dieser Mann strahlt aus jeder Pore Reichtum aus. Aber Geld war ja auch in der Vergangenheit nie ein Problem für ihn.

Langsam geht sie auf ihn zu.

Noch hat er sie nicht bemerkt, da er ihr beim Aufschließen seines Wagens den Rücken zukehrt.

Jetzt oder nie, denkt sie entschlossen und spricht ihn mit seinem richtigen Namen an.

Er wirbelt erschrocken herum und starrt sie geradezu entsetzt an. „Samantha? Verdammt, wo kommst du denn her?“, stößt er hervor.

Diese Stimme! Diese arrogante Stimme, deren Klang sie über all die Jahre begleitet hat und die sie hasst wie nichts auf der Welt. Sie wird sie ihr Leben lang nicht vergessen.

Er starrt sie so schockiert an, als sei sie eine Erscheinung. Aber letztendlich ist sie das wohl auch für ihn: Ein Geist, ein längst vergessenes Gespenst aus der Vergangenheit.

Anders als für sie, denn sie hat ihn keineswegs vergessen!

Hasserfüllt starrt sie ihn an. Was wird er tun? Sich umdrehen und einfach wegfahren?

Doch er überrascht sie, lässt sie weder einfach stehen, noch steigt er in seinen Wagen und fährt davon. Erstaunlich bei einem Mann wie ihm, der sich nicht um andere Menschen schert, sie nur für seine Zwecke benutzt.

„Wieso hast du mich nach all den Jahren sofort wiedererkannt?“, wundert er sich. „Ich habe mein Aussehen doch etwas verändert.“

Sie mustert ihn schweigend an. Ich würde dich stets wiedererkennen, denkt sie hasserfüllt, obwohl ich dein Gesicht irgendwie anders in Erinnerung habe.

„Was ist? Hat es dir die Sprache verschlagen?“, fragt er, seine Überraschung abschüttelnd wie einen unbequemen Umhang, ironisch und so selbstsicher wie sie ihn kennt.

Sie sieht ihn stumm an, während die Jahre schwinden, sich zurückschrauben zu dem einen, dem unsäglichen Tag, der ihr Leben so einschneidend verändert hat.

Er trug die Schuld daran, war der Verursacher, dieser Mann vor ihr, dem Schuldgefühle fremd sind. Hass überwältigt sie unvermittelt und stark, unvergänglicher Hass, der sie nun schon seit fünfzehn Jahren begleitet und nie vergeht.

Wie ein Sturzbach brechen Abscheu und Bitterkeit ungebremst aus ihr hervor.

Eine Weile hört er sich mit steinerner Miene ihre Vorwürfe an. Doch dann wird es ihm zu viel.

„Hör auf, Samantha. Was soll das Theater? Das führt doch zu nichts. Lass die Vergangenheit ruhen, andernfalls wird es deiner Gesundheit schaden“, warnt er eiskalt.

„Ich habe keine Angst vor dir“, stößt sie verbittert hervor.

„Das solltest du aber“, erwidert er kalt.

„Sei deiner Sache nur nicht so sicher. Du weißt nicht alles, obwohl du dir das wahrscheinlich einbildest. Ich könnte dich vielleicht überraschen“, droht sie.

„Diesmal wirst du nicht ungestraft davonkommen, dafür sorge ich.“

„Ach, Samantha, mach dich doch nicht lächerlich. Was damals passierte interessiert doch heute niemanden mehr. Außerdem hast du keinerlei Beweise. Dein Lamentieren ändert nichts, verärgert mich nur. Du kannst mir nichts anhaben. Also verschwinde, so lange du es noch kannst. Und wenn du am Leben bleiben möchtest, dann rate ich Dir niemals wieder meinen Weg zu kreuzen. Hast du das verstanden?“

Sie antwortet nicht, reagiert nicht auf seine Drohung. „Warum hast du deinen Namen geändert?“, fragt sie stattdessen. „Zwangen dich deine Schandtaten unterzutauchen? Bei deiner Veranlagung und deinem miesen Charakter würde mich das nicht überraschen.“

Sein Blick ist mörderisch. „Wenn du so weitermachst, redest du dich noch um Kopf und Kragen“, stößt er finster hervor.

„Ach ja? Willst du mir mal wieder drohen?“, fragt sie ironisch.

Er schüttelt genervt den Kopf und öffnet die Wagentür. Nach einem letzten abschätzigen Blick steigt er ein und fährt davon.

Die Frau auf der Bank seufzte. Sie war sich seiner Gefährlichkeit wohl bewusst. Aber der Hass hatte sie bei ihrem Zusammentreffen einfach übermannt. Natürlich hätte sie nicht so völlig die Beherrschung verlieren dürfen.

Doch diese Erkenntnis kam leider zu spät. Das Gesagte konnte nicht mehr zurückgenommen werden. Aber selbst wenn, würde es an seiner Drohung nichts ändern. Sollte er irgendeine Teufelei gegen sie planen, vielleicht sogar sie endgültig zum Schweigen bringen wollen, würde ihn sowieso nichts davon abhalten können.

Wie konnte sie sich vor einem frühzeitigen Ende schützen? Gar nicht, dachte sie verzagt. Aber ich könnte zumindest einen Hinweis auf ihn und seine Machenschaften hinterlassen, falls ich plötzlich das Zeitliche segne.

„Genug der trüben Gedanken an diesem herrlichen Sommertag“, murmelte sie.

Sie schloss die Augen, lehnte sich zurück, und wandte sich angenehmeren Erinnerungen zu. Ihr fiel Frank ein, der sie so charmant umworben und in den sie sich Hals über Kopf verliebt hatte. Allerdings sah sie diese Begegnung heute in einem anderen Licht als noch vor kurzem, denn jetzt wurde ihr Blick nicht mehr von ihrer Zuneigung zu diesem Mann getrübt, der so überraschend in ihr Leben getreten war.

Durch ihn hatte sie diesen schönen, abgeschiedenen gelegenen Ort kennengelernt. Mit ihm hatte sie hier eine zwar sehr kurze, jedoch herrliche Zeit verbracht. Kostbare Stunden zu zweit, nur umgeben von Wald und dem Gesang der Vögel. Was kann es Schöneres geben, hatte sie damals glücklich gedacht.

Närrin die sie war!

Sie hätte lieber auf die Warnung ihrer Schwester hören sollen. Katharina hatte schon von jeher über ein besonders feines Gespür für Menschen verfügt, hatte sie immer sehr schnell einschätzen und durchschauen können.

Sei vorsichtig. Lass dich lieber nicht so schnell auf diesen Mann ein, hatte sie gewarnt. Du kennst ihn erst seit kurzem, weißt kaum etwas über ihn. Und da du ziemlich wohlhabend bist, kann ein wenig Vorsicht bestimmt nicht schaden.

Ich bin ihm bisher nur zweimal kurz begegnet, aber ich traue ihm nicht. Es ist zwar nur ein Gefühl, aber ich halte diesen Mann für gefährlich.

Sie hatte die Warnung ihrer Schwester nicht ernst genommen, wollte nichts Negatives über Frank hören, hatte diesen lieber vertrauensvoll schon bei ihrem zweiten Treffen zu diesem idyllischen Ort begleitet. Ein verwunschener Ort, an dem es ihr schien, als seien sie beide ganz allein auf dieser ansonsten so lauten und hektischen Welt.

Sie hatte sich in Franks Nähe so glücklich und sicher gefühlt, hatte geglaubt, in ihm endlich den Mann fürs Leben gefunden zu haben.

Sie hatte sich geirrt.

Und dann hatte er sich ohne Vorankündigung von einem Tag auf den anderen von ihr getrennt. Hatte Schwierigkeiten vorgeschoben die ihn zwangen Deutschland zu verlassen. Ihr Angebot ihm zu helfen hatte er brüsk abgelehnt.

Ich bin von jeher ein Einzelgänger gewesen und werde es auch immer bleiben. Ich komme allein am besten zurecht, Samantha. Und so ist es mir auch am liebsten. Die Zeit mit dir war nett, aber alles geht einmal zu Ende, hatte er kühlerwidert.

Sie waren auseinander gegangen wie Fremde. Alles war gesagt. Ein letzter kühler Blick. Dann war er ebenso plötzlich aus ihrem Leben verschwunden wie er hineingetreten war.

Und sie hatte erkennen müssen, dass dieser Mann, von dem sie gehofft hatte, er würde von nun an zu ihrem Leben gehören, wohl niemals etwas für sie empfunden hatte. Nur, weshalb hatte er sich dann überhaupt um sie bemüht?

Was hatte er von ihr gewollt?

Inwiefern war sie überhaupt jemals für ihn von Interesse gewesen?

Hatte er es auf ihr Vermögen abgesehen? Allerdings hatten sie darüber nie gesprochen, und er hatte sie auch nie um Geld gebeten. Das konnte es also nicht gewesen sein.

Aber was dann?

Sie senkte den Kopf und blickte auf ihren Hund Baro, der friedlich zu ihren Füßen schlief. Frank hatte Baro ebenso wenig leiden können wie dieser ihn. Vielleicht hatten ihr kleiner Beschützer und ihre Schwester diesen Mann von Anfang an durchschaut und richtig eingeschätzt.

Frank mochte ihren kleinen Hund nicht, hatte sie sogar dazu überreden wollen, sich von ihm zu trennen, etwas, dass für sie nie in Frage gekommen wäre. Hätte er darauf bestanden, wäre es das Ende ihrer Beziehung gewesen. Baros unerschütterliche Liebe und Treue hatte sie schon so oft in schweren Zeiten getröstet, denn ihr kleiner Freund enttäuschte sie nie. Sie liebte ihn von ganzem Herzen und würde ihn niemals in Stich lassen.

Nachdenklich starrte sie auf die dunkelbraune Hundeleine in ihrer Hand. In das Leder gepresst stand dort Baros Name. Lächelnd nahm sie ein weiches Tuch aus ihrer Tasche und polierte die Goldbuchstaben. Nachdem die Buchstaben glänzten, hängte sie die Leine über die Rückenlehne der Bank, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sekunden später war sie eingeschlafen.

Schrilles, hektisches Bellen, riss Samantha abrupt aus ihrem leichten Schlummer. Erstaunt musterte sie ihren zitternden Hund, den sie noch nie so aufgeregt erlebt hatte.

„Was ist denn los, Baro? Hast du schlecht geträumt?“, fragte sie verwundert. Dabei schweifte ihr Blick aufmerksam über den stillen Platz, an dem sie mit Frank verabredet war.

Und plötzlich fragte sie sich, wieso sie mit einem Treffen an diesem Ort überhaupt einverstanden gewesen war? Immerhin hatte er sie bei ihrem letzten Zusammensein eiskalt und endgültig abserviert.

Ich hätte auf Charlotte hören und seine Nachricht sofort zerreißen sollen, dachte sie reumütig. Warum tat ich es dann nicht? Aus Neugier? Wollte ich einfach nur wissen, wieso er nicht wie geplant das Land verlassen hat? Vielleicht. Und jetzt kommt er noch nicht einmal, lässt mich hier an diesem verlassenen Ort einfach sitzen, ärgerte sie sich.

Zum Teufel! Was denkt sich dieser Mann?!

Unbehaglich musterte sie ihre Umgebung, die ihr plötzlich bedrohlich erschien. Ein ungutes Gefühl, eine Empfindung von Einsamkeit und Gefahr kroch in sie hinein. Und erstmals erkannte sie, wie einsam gelegen dieser Treffpunkt wirklich war. Hilfe hatte sie an diesem verlassenen Ort bei Gefahr sicherlich nicht zu erwarten.

Sie drehte sich im Sitzen um und musterte misstrauisch den dichten Wald hinter sich, der sich über viele Hektar Fläche ausdehnte. Aber von dort waren keinerlei Geräusche zu vernehmen, welche die Anwesenheit Fremder vermuten ließen.

„Wer sollte sich wohl auch hierher an diesen abgelegenen Ort verirren“, murmelte die einsame Frau in die Stille um sich herum. Und doch hatte irgendetwas ihren kleinen Hund aufgeschreckt, der ganz nahe an sie herangerückt war und seinen Kopf an ihr Bein presste.

Hatte ihn vielleicht ein Tier in dem Wald hinter ihr erschreckt? Sie beugte sich vor und streichelte zärtlich sein weiches Fell.

„Was ist los, Baro? Was hat dich so erschreckt? Du zitterst ja immer noch“, sagte sie besorgt.

Die schokoladenbraunen Augen des Hundes sahen sie verständig an.

„Ist jetzt alles wieder gut?“, fragte sie zärtlich.

Nein, das war es Baros Verhalten nach anscheinend ganz und gar nicht. Seine Ohren zuckten nervös, seine Lefzen zogen sich zurück, seine Mundwinkel reichten plötzlich bis fast an seine Ohren.

Knurrend kam er mit einem Satz auf die Beine. Seine braunen Augen sahen Samantha auffordernd an; und dann geschah etwas, das sie völlig überraschte, weil sie es nicht für möglich gehalten hätte. Der kleine Hund drehte sich um und verschwand mit wenigen Sätzen im Wald.

Die Frau sah ihm sprachlos hinterher.

Baro wich nie von ihrer Seite, war noch niemals zuvor fortgelaufen. Was hatte ihn jetzt dazu veranlasst?

Einen Moment lang vernahm sie noch sein Bellen, das sich nach einer Weile jedoch in dem dichten Wald verlor.

Dann war es plötzlich still.

„Baro?“, flüsterte die Frau verwirrt. Sie starrte auf die undurchdringliche Barriere dicht stehender Bäume und fühlte sich plötzlich sehr allein.

„Baro?“, murmelte sie. Sorge um ihn riss sie jählings aus ihrer Lethargie. Sie sprang auf und eilte ihrem Hund hinterher.

Sie fegte Blätter und Zweige beiseite, die ihr den Weg ins Innere des Waldes versperrten. Dabei beachtete sie weder die Schrammen an ihren Armen noch die Beschädigungen an ihrer Kleidung, die ihr aggressives Vorgehen verursachten.

Sie stürmte voran ohne zu überlegen.

Und der Wald schloss sich lautlos wieder zu einer dichten Wand hinter ihr.

Zwischen den Bäumen hindurch, die nur diffuses Licht bis zum Waldboden durchließen, hastete die Frau in dem Bestreben, ihren kleinen Freund einzuholen. Einzig die Sorge um ihren Gefährten trieb sie voran.

Immer wieder rief sie Baros Namen. Immer tiefer eilte sie in die Schatten hinein, welche die alten Baumriesen warfen, nicht überlegend, dass sie sich verlaufen und den Rückweg nicht finden könnte.

Sie sorgte sich um Baro, musste ihn zurückholen, alles andere war nicht wichtig.

Um sie herum war es so still wie auf einem Friedhof. Nur die Geräusche, die ihr Vorwärtsstürmen verursachten, störten die Lautlosigkeit ihrer Umgebung. Selbst die Vögel des Waldes hatten ihre manchmal ziemlich schrille Unterhaltung eingestellt.

Die kopflos dahin eilende Frau bemerkte nichts von alledem.

Sie wollte ihren kleinen Freund wiederfinden, das war alles, was in diesem Moment für sie zählte.

Unverdrossen stürmte sie voran, ihrem unausweichlichen Schicksal entgegen.

DER FUNDORT

„Was ist mit ihr? Woran ist sie gestorben?“, fragte Kriminalhauptkommissar Felix Heckert, ein sympathischer, mittelgroßer, etwas untersetzter, gepflegter Mann mit kurzem graumeliertem Haar und intelligenten grauen Augen.

Der Kommissar hatte sich mit dem Rechtsmediziner Dr. Eugen Roth etwas zurückgezogen, um das Tatortteam, die Ermittlungsteams und wer da noch so alles herumwuselte, nicht bei ihrer Arbeit zu behindern.

„Ich kann noch nicht allzu viel sagen, Felix. Aber sie wurde nicht hier getötet. Der Fundort ist in diesem Fall nicht der Tatort.“

„War es Mord, Eugen?“

„Ja, Felix. Man hat ihr das Genick gebrochen. Es wurde zwar der Versuch unternommen, es als Unfall hinzustellen, so, als sei sie gestolpert und mit dem Genick gegen die Rückenlehne der Bank geprallt. Aber das wurde so dilettantisch ausgeführt, dass es wohl kaum einen Rechtsmediziner geben dürfte, der darauf hereingefallen wäre.“

„Sie kann nicht von alleine so unglücklich gestürzt sein?“

„Nein, die Quetschungen im Nackenbereich, wo der Täter sie anscheinend packte, sprechen dagegen. Genaueres kann ich jedoch erst nach der Obduktion sagen.“

„Aber warum hat man sie auf diese Bank gesetzt und nicht dort zurückgelassen, wo sie getötet wurde?“, dachte Heckert laut.

„Wer weiß. Vielleicht gibt es etwas an dem Tatort, das verräterisch für den Täter wäre. Oder er wollte, dass man sie bald findet. Gründe kann es viele geben wie du weißt“, meinte der Rechtsmediziner.

„Das ist wohl wahr. Aber um schnell gefunden zu werden, dürfte dieser Ort wohl etwas zu abgelegen sein“, meinte der Kommissar nachdenklich. „Aber was können Sie …“

„Sind wir jetzt wieder beim Sie?“, unterbrach Eugen Roth ihn lächelnd.

„Nein. Entschuldige bitte, soll nicht wieder vorkommen, Eugen“, sagte der Kommissar verlegen.

„Schon gut, Felix. Die Macht der Gewohnheit. Wer kennt das nicht“, erwiderte der Arzt schmunzelnd. „Aber ich habe dich unterbrochen. Was wolltest du gerade sagen?“

„Ich wollte wissen, ob du mir sonst noch etwas mitteilen kannst, was uns eventuell weiterhelfen könnte.“

„Das kann ich leider nicht, Felix, noch nicht. Vielleicht helfen euch die Hautpartikel weiter, die ich unter ihren Fingernägeln gefunden habe. Aber das kann ich erst nach der Obduktion sagen. Im Moment hätte ich da nur noch ganz allgemeine Informationen für dich“, bedauerte der Mediziner.

„Und die wären?“

„Zum Beispiel das Alter der Toten. Ich schätze es auf etwa dreißig. Sie ist schlank und gepflegt. Ihre Kleidung war teuer und ist nicht gerade von der Stange. Sie trug keinen Schmuck, es wäre möglich, dass ihn der Täter gestohlen hat. Aber das gehört in dein Ressort. Und sie hatte weder eine Tasche noch Papiere bei sich“, zählte der Arzt auf.

„Wenn der Täter wollte, dass sie schnell gefunden und identifiziert wird, wundert es mich, dass ihre Papiere fehlen. „Da sie nichts bei sich hat, könnte es auch ein Raubmord gewesen sein.“

„Vielleicht. Eine andere Möglichkeit wäre, dass sie den Täter bei etwas überraschte, was sie auf keinen Fall hätte sehen dürfen. Aber das ist natürlich reine Spekulation. Die Ermittlungen führst du. Ich bin zum Glück nur der Rechtsmediziner.“

„Meiner Meinung nach ist an dir ein erstklassiger Ermittler verloren gegangen“, erwiderte Heckert schmunzelnd.

„Danke für die Blumen, Felix“, entgegnete der Arzt. Schon im Begriff zu gehen, fiel ihm doch noch etwas ein.

„Warte, Felix. Fast hätte ich es vergessen. Wie ich hörte, hat Olaf Breitner, unser Spurensicherungsgenie, hinter der Bank eine Hundeleine gefunden. Wäre möglich, dass sie der Toten gehört. Es soll ein Name draufstehen. Vielleicht hilft dir das ja weiter.“

„Was für ein Name?“

„Keine Ahnung. Das musst du ihn schon selber fragen. So, für den Moment ist das nun aber wirklich alles. Sobald mein Kollege Dr. Hellwege und ich mit der Obduktion fertig sind, werden wir dir wohl mehr sagen können“, hoffte der Arzt.

„Aber ein zur Leine gehörender Hund wurde wohl nicht zufällig gefunden, oder?“, fragte Heckert lächelnd.

„Ich glaube nicht. Aber Olaf Breitner wird dir sicherlich mehr sagen können. Der besitzt ja selber die Fähigkeiten eines Suchhundes, dem entgeht nichts“, erwiderte Eugen Roth nicht ohne Bewunderung.

„Kannst du mir noch schnell etwas zur Todeszeit sagen?“, drängte der Kommissar.

„Nur, dass sie seit mindestens zwanzig Stunden tot ist.“

„Wer entdeckte die Tote? Und wieso wurde sie überhaupt so schnell an diesem abseits gelegenen Ort gefunden?“, wollte Kommissar Heckert wissen.

„Das weiß ich doch nicht, Felix. Ich bin doch nur der Arzt. Tut mir leid, aber ich muss mich jetzt wirklich wieder um meine Arbeit kümmern“, erwiderte Roth und machte sich eilig davon.

„Eine Frau war es, Chef. Sie hat die Tote zufällig entdeckt“, beantwortete Kommissar Benno Schuster die Frage, der noch immer Kommissar Markus Jansen vertrat, Heckerts Freund und Vertrauten, der für einen speziellen Fall freigestellt worden war. Benno hatte zufällig den letzten Teil des Gesprächs mit angehört.

„Und wie gelangte diese Frau ausgerechnet an einen so entlegenen Ort? Eine Spaziergängerin wird es ja wohl kaum sein. So entlegen wie dieser Platz ist, würde ich eher nicht auf einen Zufall schließen“, meinte der Hauptkommissar skeptisch.

„Kein Zufall, Chef. Sie sagt, sie kommt schon seit Jahren immer um dieselbe Jahreszeit hierher, um die hier besonders üppig gedeihenden Holunderbeeren zu ernten“, erwiderte Benno Schuster.

„Und wo ist sie jetzt?“

„Ich habe sie zu unserem Wagen gebracht. Sie war so erschüttert über den Anblick der Toten, dass sie fast in Ohnmacht gefallen wäre. Da konnte ich sie ja nicht einfach in Stich lassen, oder?“

„Natürlich nicht, Benno. So können wir sie wenigsten gleich befragen“, beruhigte ihn Heckert. „Kommen Sie. Hören wir uns mal an, was uns die Frau zu sagen hat. Vielleicht bringt uns das ja weiter.“

DIE TOTE AUF DER BANK

„Ich komme schon seit Jahren hierher, Herr Kommissar. Die schwarzen Holunderbeeren hier sind ganz besonders köstlich“, erzählte Magda Krause. „Und seitdem der Bahnbetrieb vor einigen Jahren auf dieser Strecke eingestellt wurde, kennt kaum noch jemand diesen verborgenen Platz, was mir bisher in jedem Jahr eine gute Ernte einbrachte. Vermutlich bin ich mittlerweile noch die Einzige, die hier Beeren pflückt.“

„Als Sie hier ankamen, war die Frau da alleine?“, wollte Kommissar Heckert wissen.

„Ja, sie war alleine. Allerdings bin ich hier in all den Jahren kaum jemals jemandem begegnet“, erwiderte Magda Krause.

„Haben Sie die Frau auf der Bank sofort gesehen als sie ankamen?“

„Natürlich, Herr Kommissar. Ich musste doch an ihr vorbeigehen, um an die Holunderbüsche zu gelangen. Ich habe nur guten Tag gesagt und die Frau nicht weiter beachtet, zumal ich ja auch die Leiter zu schleppen hatte. Allerdings war ich etwas überrascht hier überhaupt auf jemanden zu treffen.“

„Und wie kamen Sie darauf, dass mit der Frau auf der Bank etwas nicht in Ordnung sein könnte?“

„Neugier war es jedenfalls nicht, Herr Kommissar, das dürfen Sie mir ruhig glauben“, erwiderte die Frau etwas pikiert.

„Das habe ich auch keine Sekunde lang angenommen, Frau Krause“, entgegnete Heckert freundlich.

„Zuerst ist mir nichts Ungewöhnliches an ihr aufgefallen“, berichtete Magda Krause von seinen freundlichen Worten besänftigt. „Aber als ich ein paarmal zu ihr hinsah, da fiel mir dann doch plötzlich auf, dass sie sich überhaupt nicht bewegte.

Anfangs dachte ich, sie sei ohnmächtig geworden. Also entschloss ich mich zu ihr hinzugehen und nachzusehen, ob ich ihr helfen kann.

Und das hab ich dann ja auch getan.

Aber als ich näher kam schwante mir nichts Gutes, als ich sie so unbeweglich auf der Bank sitzen sah. Und als ich dann vor ihr stand, wurde meine schreckliche Ahnung bestätigt, denn sie sah mich starr aus leblosen Augen an.

Es war ganz schrecklich!

Einen Moment lang fürchtete ich, mein Herz bliebe stehen.

Aber nachdem ich mich dann von meinem Schreck erholt hatte, alarmierte ich sofort die Polizei“, sagte sie leise.

„Aber Sie haben die Frau vorher noch nie gesehen, ist das korrekt?“, vergewisserte sich Heckert.

„Ja, das ist korrekt. Ich kenne die Frau nicht und habe sie auch vorher noch nie gesehen.“

„Ich danke Ihnen für das lange Warten und für Ihre Geduld, Frau Krause“, verabschiedete sie der Hauptkommissar freundlich.

„Und was ist jetzt mit meinen Holunderbeeren, Herr Kommissar? Ich bin schließlich extra deswegen hierher gefahren. Sind Ihre Leute jetzt fertig? Kann ich endlich meine Beeren pflücken?“, wollte die Frau wissen.

„Ich bedaure das traurige Ende der armen Frau wirklich sehr, aber die Holunderbeeren können doch nichts dafür“, fuhr Magda Krause treuherzig fort, die sich überraschend schnell von dem Schreck erholt hatte. Jetzt kam ihre praktische Seite zum Vorschein und die befürchtete, sie müsse unverrichteter Dinge abziehen.

„Es tut mir sehr leid, aber die Untersuchungen hier werden noch länger andauern“, erwiderte Heckert freundlich. „Allerdings dürften Sie hier am Wochenende wohl wieder ganz ungestört die Beeren pflücken können.“

„Danke, Herr Kommissar. Wissen Sie, wenn ich es mir so recht überlege, dann passt mir das Wochenende auch viel besser. Da können mich nämlich mein Mann und meine beiden Söhne hierher begleiten. Jetzt, wo das hier passiert ist, traue ich mich ehrlich gesagt alleine nicht mehr hierher.“

Nachdem die beiden Kommissare sie noch zu ihrem Kombi begleitet und ihr dabei geholfen hatten die sperrige Leiter zu verstauen, verabschiedete sich Magda Krause und fuhr davon.

„Und was machen wir jetzt, Chef?“, wollte Kommissar Schuster wissen.

„Wir fahren zurück ins Präsidium. Hier stören wir nur. Versuchen Sie anhand der Fotos etwas über die Tote herauszufinden. Wenn wir Glück haben, finden Sie was in Ihrem Computer“, erwiderte der Hauptkommissar.

DER ANRUF

Kommissar Benno Schuster hatte gehofft, noch am selben Tag mit Hilfe seines Computers etwas über die Tote auf der Bank herauszufinden. Aber nach Stunden vergeblichen Suchens musste er kapitulieren. Er fand nichts. Die Tote war polizeilich nicht erfasst.

„Dann lassen Sie ihr Foto in den Medien veröffentlichen“, entschied sein Vorgesetzter.

Jetzt, nur einen Tag später, saß Benno Schuster an seinem Schreibtisch und legte übers ganze Gesicht strahlend den Telefonhörer auf. Er stand auf und eilte beschwingt aus dem Zimmer. Er klopfte an die gegenüberliegende Bürotür seines Chefs und trat ein.

„Ich hatte gerade einen interessanten Anruf, Chef. Eine Frau namens Katharina Berger behauptet, das im Hamburger Abendblatt abgebildete Foto zeige ihre Schwester.“

„Ist das sicher?“

„Ich denke schon. Sie klang jedenfalls glaubwürdig. Sie hat sich für dreizehn Uhr angesagt.“

„Das ist eine gute Nachricht. Vielleicht bringt uns das ja in diesem Fall endlich ein Stück weiter“, erwiderte der Hauptkommissar erfreut.

„Gibt es schon was Neues, Chef?“

„Ich habe mir gerade den Tatortbericht und den Untersuchungsbefund von Dr. Roth angesehen. Zum Tatortbericht ist zu sagen, dass die Tote einen Hund gehabt haben muss, denn an ihrer Kleidung wurden Hundehaare gefunden. Vermutlich gehört die gefundene Hundeleine also ihr.

Außerdem wurden an ihren Kleidungsstücken Erde, Kletten und Tannennadeln festgestellt“, fuhr Heckert fort. „Das deutet darauf hin, dass sie den Wald betreten hat. Vielleicht ist sie ja ihrem Hund hinterhergelaufen oder sie wurde dazu gezwungen.

Seltsam finde ich jedoch die Rückstände eines Holzschutzmittels, welches man ebenfalls an ihrer Kleidung entdeckte. Ich kann mir einfach nicht erklären wie es dahingekommen sein könnte.“

„Das ist wirklich seltsam. Wer mit so etwas hantiert, der zieht doch bestimmt Arbeitskleidung an“, erwiderte Kommissar Schuster verwundert.

„Das meine ich auch. Aber wie dem auch sei, gehen wir schnell noch den Bericht des Doktors durch, bevor Ihre Besucherin hier auftaucht“, entschied Heckert.

„Er schreibt, dass ihre Hände und Arme Schrammen und kleinere Schnitte aufweisen, die von Gebüsch und Zweigen stammen, was für die Theorie ihres Betretens des Waldes spricht“, fuhr er fort.

„Und außerdem steht in dem Bericht, dass es ein willkürlich herbeigeführter Genickbruch war, der die Frau brutal vierundzwanzig Stunden vor ihrem Auffinden tötete. Quetschungen im Nackenbereich bestätigen das. Die gefundenen Fingerabdrücke waren verwischt. Verwertbare gibt es nicht, da der Täter wohl Handschuhe trug.

Da wir den Tatort in dem Wald vermuten, vor dem sie auf der Bank gesessen hat, kommen wir nicht umhin, diesen nach Spuren abzusuchen. Ich habe bereits alles dafür Notwendige in die Wege geleitet.“

„Das hört sich nicht besonders vielversprechend an“, meinte Benno Schuster enttäuscht. „Ich hatte mir mehr von der Obduktion erhofft, Chef.“

„Na ja, etwas Positives ist schon dabei herausgekommen. Immerhin wurden unter den Fingernägeln der Toten Hautpartikel gefunden, die nicht von ihr stammen.“

„Na, das ist doch schon mal was“, freute sich Benno. „Eine DNA-Analyse wird uns dabei helfen den Täter zu überführen.“

„Das schon, doch bis dahin ist noch so manches zu klären. Ich frage mich zum Beispiel, weshalb der Täter sein Opfer nicht einfach im Wald liegen ließ“, erwiderte Heckert.

Kommissar Schuster sah nachdenklich vor sich hin. „Vielleicht sollte sie möglichst bald gefunden werden“, überlegte er laut.

„An diesem entlegenen Ort? Hätte diese Frau Krause dort nicht ausgerechnet an diesem Tag Holunderbeeren pflücken wollen, hätte die Getötete unter Umständen noch ziemlich lange dort auf der Bank sitzen können. Aber wie auch immer, irgendwann finden wir es sicherlich heraus.“

Kommissar Schuster schaute auf seine Armbanduhr.

„Gleich dreizehn Uhr. Die Anruferin müsste jeden Augenblick hier sein. Ich geh mal schnell nach unten und nehm sie dort in Empfang“, bot Benno an.

„Bitte, bringen Sie die Besucherin zuerst hierher. Ich möchte kurz mit ihr sprechen, bevor sie ihre Schwester identifiziert, falls es denn wirklich ihre Angehörige ist“, bat Heckert.

„Wollen Sie, dass ich dabei bin, Chef?“

„Ja. Vielleicht fällt Ihnen während des Gesprächs irgendetwas auf, das ich übersehen habe.“

Kommissar Schuster nickte und machte sich auf den Weg.

DIE IDENTIFIZIERUNG

Es dauerte nicht lange, da kam Benno Schuster mit Katharina Berger zurück in Hauptkommissar Heckerts Büro. Dieser musterte aufmerksam die Besucherin, die auf einem der Stühle vor seinem Schreibtisch Platz genommen hatte.

Katharina Berger war eine attraktive Frau. Das elegante graue Kostüm brachte ihre schlanke Figur vorteilhaft zur Geltung. Die dazu passenden Pumps und die dunkelgraue Designertasche rundeten ihr ansprechendes Outfit perfekt ab. Ihre mahagonifarbenen Haare trug sie hochgesteckt. Ihre grünen Augen musterten aufmerksam die beiden Kommissare.

„Sie glauben Ihre Schwester auf dem Zeitungsfoto erkannt zu haben, Frau Berger?“, fragte Kommissar Heckert, nachdem sie sich bekannt gemacht hatten.

Kommissar Schuster, der neben dem Schreibtisch stand, verfolgte aufmerksam das Gespräch.

„Ich glaube es nicht nur, Herr Kommissar Heckert. Ich weiß es“, erwiderte die Besucherin. „Was ist passiert? Wurde Samantha ermordet?“, fragte sie leise.

„Und wieso vermuten Sie ein Verbrechen? Es könnte doch auch ein Unfall gewesen sein, meinen Sie nicht?“, fragte Kommissar Heckert.

Katharina Berger sah ihn erstaunt an. „Na, Sie sind gut. Ich bin doch hier bei der Mordkommission, nicht wahr? Was würden Sie denn denken, wenn man Sie dort hinbeordern würde, Herr Kommissar? Doch sicherlich nicht an einen Unfall, oder irre ich mich?“

„Nein, natürlich nicht. Es war auch nur eine der üblichen Fragen“, erwiderte der Kommissar.

„Was ist passiert? Bitte, sagen Sie es mir“, verlangte Katharina.

„Wir sprechen darüber, nachdem Sie sich die Verstorbene angesehen haben“, erwiderte Heckert. „Zuerst einmal begleiten wir Sie jetzt zu unserem Rechtsmediziner, der uns bereits erwartet.“

Katharina Berger stand stocksteif neben der Bahre, auf der ihre tote Schwester lag. Schweigend starrte sie auf Samanthas bleiches Gesicht. Sie stand kerzengerade, vollkommen unbeweglich und sagte kein einziges Wort.

Man hätte auch sie für tot halten können, hätte sich ihr Brustkorb nicht unter ihren leichten Atemzügen bewegt. Nur Katharinas Körper war hier an diesem schaurigen Ort, ihre Gedanken jedoch weigerten sich das Entsetzliche zu akzeptieren. Sie wanderten stattdessen durch die Vergangenheit, einer Vergangenheit, in der sie und ihre ältere Schwester fest zusammenhielten und glücklich waren.

Nein, es darf nicht sein, Samantha! Du kannst mich doch nicht alleine lassen. Ich brauche dich. Du bist meine große Schwester, die mir stets beigestanden hat. Du darfst mich nicht verlassen, schrie es in Katharina.